Der Herr der Drachen
Zwei junge Menschen im Kampf gegen den grausamen Drachengott - ein Leseerlebnis mit unvergesslichen Charakteren!
Der alte Pakt zwischen Menschen und Drachen zerbricht. Es ist Shaans größte Hoffnung,...
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Produktinformationen zu „Der Herr der Drachen “
Zwei junge Menschen im Kampf gegen den grausamen Drachengott - ein Leseerlebnis mit unvergesslichen Charakteren!
Der alte Pakt zwischen Menschen und Drachen zerbricht. Es ist Shaans größte Hoffnung, eine Drachenreiterin zu werden und ihr Volk zu beschützen. Und die größte Hoffnung der Menschen ruht auf Shaan. Denn Azoth, der finstere Herr der Drachen, ist erwacht und will seine Tyrannei über die Welt erneuern. Nur der junge Barbarenkrieger Tallis könnte Shaan in ihrem einsamen Kampf beistehen - denn auch er hat Macht über die Drachen.
Lese-Probe zu „Der Herr der Drachen “
Der Herr der Drachen von Lara Morgan1
Die Stadt Salmut, Saranthium
Mit einem Ruck fuhr Shaan aus dem Schlaf auf. Ihr Atem ging schnell und stoßweise. Zum wiederholten Mal hatte sie von Feuer und Tod geträumt.
Benommen rollte sie sich auf den Rücken und starrte die Risse in der Decke an. Es war kurz nach Morgengrauen, Hitze und Luftfeuchtigkeit nahmen bereits zu. Sie war schweißbedeckt, das Bettzeug klebte an ihren Gliedern, und sie fühlte sich plötzlich unbehaglich. So strampelte sie die Decke ans Fußende und fuhr sich dann mit unsicheren Händen durch das kurze, dunkle Haar. Dieses Mal war der Traum noch lebendiger gewesen. Die unerwünschten Bilder drängten erneut in ihr Bewusstsein. Brennendes Fleisch, Schreie, Feuer, das die seltsame Stadt verschlang, und diese Stimme, die sie verfolgte und sie quälte. Sie konnte noch immer das zischelnde Flüstern hören.
Als draußen der Wagen klapperte, der den Müll einsammelte, schrak sie zusammen. Ärgerlich schob sie die letzten Traumschwaden beiseite. Was sollte es bringen, darüber nachzugrübeln, wenn sie auch so schon genügend Schwierigkeiten hatte? Sie erhob sich aus ihrem Bett, ging zum Fenster hinüber und stieß die hölzernen Läden auf. Der Gestank von Unrat und Fäulnis wehte von der Straße zwei Stockwerke tiefer zu ihr herauf, und angeekelt hob sie den Kopf, um wenigstens einen Hauch frischer Luft zu erhaschen. Der Himmel war vom verwaschenen Rosa des anbrechenden Morgens getönt. Hinter den flachen Dächern der Stadt ragten die Lagerhallen und Landungsstege des Großen Hafens in das dunkle Wasser der Bucht. Die mächtige Hauptpier sah aus wie ein steinerner Arm, der auf den Rand der Welt zeigte, und das Meer ähnelte einem Tuch aus schwarzer Seide. Die Schiffe, die vor Anker lagen, bewegten sich kaum im leichten
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Wellengang.
Shaan ließ den Blick zu den dicht an dicht stehenden, weiß getünchten Häusern gleiten, die sich entlang der roten Klippe am gegenüberliegenden Ende der Bucht drängten. Dies war die Anlage, die die Drachen und ihre Reiter beherbergte. Sie biss sich auf die Lippen, und ihr Magen zog sich zusammen. Es waren nur noch zwei Monate bis zum Wettkampf der Reiter. Würde ihr gestriger Fehler ihr einen Strich durch die Rechnung machen? Würde er sich dann noch daran erinnern?
Davon hätte sie träumen sollen, nicht von einer brennenden Stadt. Wenn sie bei dem Wettkampf versagte, würde sie zwei weitere Jahre den Söhnen und Töchtern der Würdenträger der Stadt hinterherputzen müssen, denen die Stellung als Reiter praktisch sicher war. Beim Wettkampf zu patzen, das würde bedeuten, dass all ihre Anstrengungen vergebens gewesen wären.
Sie stützte sich auf dem Fensterbrett auf, und das gesplitterte Holz schabte ihr über die Haut. Der Septenführer Balkis hatte vorher kaum von ihr Notiz genommen, aber nun gab es keine Zweifel mehr, dass sie ihm im Gedächtnis bleiben würde. Beim bloßen Gedanken daran, wie er sie angesehen hatte, wurde Shaan übel. Sie hatte ihm eine scharfe Schneide anstelle einer stumpfen Klinge gereicht. Der Jungreiter, den er ausbildete, hatte mit sieben Stichen am Oberschenkel genäht werden müssen. Es lag an den Träumen und am Schlafmangel. Wäre sie nicht so müde gewesen, wäre ihr ein solcher Fehler nicht unterlaufen.
Sie brauchte jeden erdenklichen Vorteil, um sich einen Platz als Jungreiterin zu sichern. Den Mann gegen sich aufzubringen, der möglicherweise über ihr Schicksal entscheiden würde, dürfte nicht besonders hilfreich sein. Solange sie zurückdenken konnte, war niemand, der zum Septenführer ernannt worden war, jünger als Balkis gewesen, und ausgerechnet sie musste sich seinen Unmut zuziehen. Sie starrte zur Anlage hinüber, als könnte sie mit ihrem Blick in sein Gehirn eindringen. Wähle mich, dachte sie, wähle mich.
Ein hochseetüchtiges Fischerboot lenkte sie ab, dessen Segel sich nun, da es am Landungssteg festmachte, strahlend weiß vor den roten Klippen abhoben. Eine Zeit lang ließ sie ihren Blick darauf ruhen, dann fluchte sie mit einem Mal, als ihr einfiel, dass sie versprochen hatte, an diesem Morgen für Torg Fisch zu besorgen. Seufzend zog sie sich ein ärmelloses grünes Kleid über den Kopf, schlüpfte mit den Füßen in ihre Sandalen, trat hinaus in den schmalen Flur und schlang im Gehen einen breiten Gürtel um ihre Taille.
»Tuon, Tuon, aufwachen«, rief sie den Flur hinunter und klopfte energisch gegen eine Tür am Ende des Ganges. Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnete sie sie und steckte ihren Kopf hinein. »Tuon, bist du wach?«
Das Zimmer war doppelt so groß wie ihr eigenes. In der Ecke gegenüber lag eine Frau quer auf einem breiten Bett, die Decke über den Kopf gezogen. Zu sehen waren nur ihre rosafarbenen Zehen, die unter dem zerknautschten Bettzeug hervorlugten.
»Tuon, aufwachen.« Sie ließ die Tür gegen die Wand krachen.
Ein zerzauster Haarschopf schob sich unter den Laken hervor, gefolgt von einer Hand, die ein Kissen in Shaans Richtung schleuderte.
»Lass mich in Ruhe.«
Shaan sah ungerührt zu, wie der federgefüllte Sack gegen den Türrahmen prallte.
»Das nächste Mal musst du besser zielen.« Mit langen Schritten durchquerte sie den Raum und baute sich vor der Frau auf, die Hände in die Hüften gestemmt. »Komm schon. Ich muss zum Angeln. Du könntest mich doch begleiten und schwimmen gehen. Das würde auch ein wenig von diesem Gestank von dir abwaschen. «
Aber Tuon bewegte sich nicht, und Shaan sah verärgert zu ihr hinunter. Dann beugte sie sich über sie und riss ihr die Decke weg. »Nun komm schon. Selbst Mistkäfer bewegen sich schneller als du.«
»Ist ja schon gut!« Tuon rollte sich auf den Rücken und blinzelte, dann rieb sie sich verschlafen über den nackten Bauch. »Nach dem gestrigen Missgeschick bist du, wie ich sehe, eine sehr angenehme Begleitung.«
Tuon war blond und üppig, was sie zur Favoritin vieler Matrosen machte, die im Red Pepino einkehrten. Ihre Haut war hell im Vergleich zu Shaans, sie war einen Kopf größer, zehn Jahre älter und für Shaan der einzige Familienersatz, den sie hatte.
Shaan rümpfte die Nase und ging über die Bemerkung hinweg.
»Himmel, ist das stickig hier!« Sie trat ans Fenster und riss es mit einem Ruck auf. »Warum lüftest du nicht hin und wieder mal?«
»Wir sind ja prächtiger Laune heute!« Tuon setzte sich mühsam im Bett auf. »Ein Glück, dass Torg dich nicht für sich arbeiten lässt. So, wie du aus der Wäsche schaust, würdest du weniger als ein Straßenjunge verdienen.«
»Als ob ich mich von irgendeinem schwitzenden, stinkenden Schwein von einem Seemann besteigen ließe.«
Shaan kratzte mit einem Fingernagel an einem Flecken der abgesplitterten Farbe auf ihrem Arm.
»Tatsächlich? Aber du bist dir nicht zu schade, ihnen die eine oder andere Geldbörse zu stehlen?«
»Na, wenn schon.« Shaan zuckte mit den Schultern. »Sie waren betrunken und dumm, und es ist ihnen ganz recht geschehen.« Sie konzentrierte sich weiter auf die Farbreste und tat so, als bemerke sie Tuons hochgezogene Augenbrauen überhaupt nicht. Sie hatte einiges verlernt, wenn Tuon sie hatte beobachten können. Als sie noch mit den Straßenbanden herumgezogen war, hatte sie mitten auf dem dichtgedrängten Marktplatz einem Händler die Börse entwenden können, ohne dass irgendjemand Verdacht geschöpft hätte. Aber diese Zeiten gehörten der Vergangenheit an.
»Wenn Torg das herausfindet, wird er gar nicht erfreut sein«, sagte Tuon. »Das macht es schwerer für die Kunden, seine Mädchen zu bezahlen. Mich eingeschlossen.«
»Tja, nun«, antwortete Shaan und sah auf, »dieser Seemann war ohnehin zu betrunken, um einen hochzubekommen.«
Tuons Augen wurden schmal. »Du stiehlst doch nur, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Was ist es diesmal? Kannst du wieder nicht schlafen, oder machst du dir noch immer Sorgen wegen dieses Septenführers?«
»Ich mache mir keine Sorgen.« Shaan schnippte einen Farbkrümel zum Fenster hinaus.
»Nein, natürlich nicht.« Tuon verschränkte die Arme vor ihren nackten Brüsten. »Hat ja auch nichts zu bedeuten, wenn man von dem Mann angeschrien wird, der beim Wettkampf über das eigene Schicksal zu entscheiden hat. Geschieht doch alle Tage. Und klar«, sie warf ihr einen schelmischen Blick zu, »ist es völlig unwichtig, dass dieser Mann auch noch verdammt gutaussehend ist.«
»Und das auch weiß«, schnaubte Shaan.
»Das wissen sie doch immer«, entgegnete Tuon trocken. »Aber trotzdem – ein Septenführer …«
»Der einer Arbeiterin wohl kaum einen zweiten Blick gönnen wird«, unterbrach Shaan sie. »Nicht, dass ich darauf Wert legen würde.«
»Das wollte ich auch nicht angedeutet haben.« Tuon sah sie prüfend an, und Shaan spürte, wie ihr die heiße Röte in die Wangen stieg. »Ich wollte nur sagen, dass ich mir Sorgen machen würde, wenn ich diejenige wäre, die eine Reiterin werden will, und der Septenführer auf mich wütend wäre. Oder gibt es sonst einen Grund, warum du dich aufplusterst wie eine Katze, die in der Falle sitzt?«
Shaan wandte den Blick ab und starrte aus dem Fenster. »Ich bin einfach nur müde. Ich muss mich in der Anlage melden, um bei der Ausgabe des Mittagessens zu helfen, und außerdem Fische für Torg besorgen. Wenn du mich also begleiten willst, dann steh auf, oder ich gehe allein.«
Tuon bewegte sich nicht. »Du hattest wieder diesen Traum, stimmt’s?«
Shaan ließ sich erneut gegen den Fensterrahmen sinken und sah Tuon niedergeschlagen an.
»Du solltest es mir besser erzählen. Du weißt doch, dass ich es sowieso rausbekomme.«
Mit dem durchdringenden Blick ihrer blauen Augen schien Tuon sie am Fenstersims festzunageln. Shaan versuchte zurückzustarren, aber sie war zu müde, um dem Blick standzuhalten.
»In Ordnung«, seufzte sie. »Ja, bei der Göttin, dieser verfluchte Traum ist wieder da.«
»War dieses Mal irgendetwas anders?«
»Nein, es hat sich nichts geändert. Da waren wieder die brennende Stadt und die Menschen und …« Sie zögerte. Darüber wollte sie nicht sprechen. Sie wollte auch nicht daran denken, wie realistisch sich alles angefühlt hatte, der Rauch, der ihre Lungen ausgefüllt hatte, der stechende Gestank von versengtem Fleisch und die Stimme. »Es war nur ein Traum, Tuon. Der gleiche, den ich schon seit Wochen habe. Der gleiche, von dem du immer und immer wieder hörst.«
»Nur ein Traum?«
Shaan fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und bereute, dass sie davon angefangen hatte. »Ja, nur ein Traum. Nichts von Bedeutung. Ist doch egal.« Sie strich die Vorderseite ihres Kleides glatt. »Komm schon, es wird immer heißer. Lass uns aufbrechen.« Aber Tuon bewegte sich nicht. »Du musst zu einem Traumseher gehen, Shaan. Diese Träume kommen immer häufiger. Du solltest mit jemandem darüber sprechen. Vielleicht sogar mit Morfessa.«
»Dem Ratgeber der Führerin?« Shaan hätte beinahe aufgelacht.
»Er ist der beste Traumseher in der Stadt.«
»Auf keinen Fall gehe ich zu ihm hin. Und überhaupt: Ich habe gar kein Geld und kann mir auch nicht vorstellen, dass Morfessa jeden Beliebigen empfangen würde. Ich bin eine Arbeiterin in der Anlage, ein Niemand.«
»Ich werde dafür bezahlen«, beharrte Tuon. »Du solltest mit jemandem sprechen. Diese Träume müssen irgendetwas bedeuten, sie …«
»Sie bedeuten überhaupt nichts. Es ist nur die Hitze. Komm schon und zieh dich an. Ich muss den Fisch besorgen.«
Tuon seufzte. »In Ordnung, in Ordnung. Gib mir mal meine Sachen. «
Shaan war dankbar, dass Tuon das Thema fallen ließ, und holte ein blaues Kleid, das reich mit Blumen bestickt war, aus dem Schrank.
Doch Tuon sah sie eindringlich an, als sie das Kleid entgegennahm.
»Versprich mir, Shaan, dass du wenigstens darüber nachdenkst, einen Traumseher zu Rate zu ziehen. Machst du das?«
»In Ordnung.«
Damit gab sich Tuon zufrieden, zog sich rasch an, und gemeinsam stapften sie die Treppe hinunter. In der Küche war der Besitzer des Red Pepino, Torg Fairwind, damit beschäftigt, energisch einen Klumpen Brotteig zu bearbeiten, ihn zu klopfen und durchzuwalken.
Seinen kahlen Kopf hatte er mit einem Tuch bedeckt.
Ein dicker Goldring baumelte an seinem rechten Ohr und schimmerte, wenn er sich bewegte.
Torg lächelte, als die beiden Mädchen den Raum betraten, und seine Zähne hoben sich weiß glänzend von seiner schwarzen Haut ab. »Morgen.«
Die beiden Frauen zuckten vor der Hitze, die der Ofen ausstrahlte, zurück.
»Was machst du denn da?« Tuon keuchte und fächelte sich Luft ins Gesicht. »Dafür gibt es Bäcker, falls du es noch nicht weißt.«
»Ja, aber denen traue ich nicht über den Weg.« Er donnerte ein großes Stück des Teigklumpens auf die Tischplatte. »Niemand macht Brot wie Torg.« Er zwinkerte ihnen zu und hieb so kräftig auf den Teig, dass der Tisch wackelte.
»Ihr geht los, meinen Fisch besorgen?« Er sah Shaan an, und sie nickte.
»Ich hole nur noch meine Ausrüstung.«
»Gut. Und sieh zu, dass du dich gründlich wäschst. Ich kann den Wein von letzter Nacht noch an dir riechen. Wenn du dir nur mal die Haare waschen und ein bisschen Fleisch auf die Knochen bekommen würdest, könntest du einige Münzen mehr verdienen, genau wie Tuon.«
»Nein, vielen Dank«, knurrte Shaan mit finsterer Miene. »Da würde ich lieber meinen Kopf in diesen Ofen stecken.« Sie nahm ihren Schnürbeutel vom Haken neben der Hintertür. »Komm schon, Tuon.« Der Klang von Torgs Kichern und das gleichmäßige Aufklatschen vom Teig auf der Tischplatte folgten ihnen, als sie den Hof überquerten und durch die Hinterpforte hinausgingen.
Die Straßen waren beinahe leer, und sie kamen im gewöhnlich überfüllten Seefahrer-Viertel gut voran. Als sie sich jedoch dem Marktplatz näherten, wurden die Gassen belebter. Von vorn drangen die Rufe der Standverkäufer zu ihnen, die ihre Waren anpriesen, und Wagen, voll beladen mit Gemüse, fuhren schaukelnd an ihnen vorbei, gezogen von schnaubenden Muthus. Der Markt befand sich auf einem riesigen Platz, der von allen Seiten von hohen Gebäuden gesäumt wurde, in denen Geschäfte, Tavernen und Kaf-Häuser untergebracht waren. Ein Kreis von Wagen und behelfsmäßigen Ständen füllte den Hauptteil der offenen Fläche.
Bunt gemusterte Tücher waren über Stangen gespannt, um die Waren vor der Sonne zu schützen. In der Mitte befanden sich ein schattiger Garten und ein Springbrunnen.
Die Szenerie war ebenso chaotisch wie vertraut, aber Shaan spürte einen Hauch von Unbehagen in der Luft, während sie und Tuon sich ihren Weg durch das Gewimmel bahnten. Die Menschen lärmten nicht so ausgelassen wie sonst. Verkäufer drängten sich in Grüppchen zusammen, und mit in sorgenvolle Falten gelegten Gesichtern spähten sie nervös in den Himmel hinauf, während sie murmelnd die Köpfe zusammensteckten. Die Kunden stöberten halbherzig in den Auslagen, und ihre Versuche, um den Preis zu feilschen, waren leise und ohne rechte Begeisterung
Übersetzung: Marianne Schmidt
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Penhaligon Verlag in der Verlagsgruppe
Random House GmbH, München
Shaan ließ den Blick zu den dicht an dicht stehenden, weiß getünchten Häusern gleiten, die sich entlang der roten Klippe am gegenüberliegenden Ende der Bucht drängten. Dies war die Anlage, die die Drachen und ihre Reiter beherbergte. Sie biss sich auf die Lippen, und ihr Magen zog sich zusammen. Es waren nur noch zwei Monate bis zum Wettkampf der Reiter. Würde ihr gestriger Fehler ihr einen Strich durch die Rechnung machen? Würde er sich dann noch daran erinnern?
Davon hätte sie träumen sollen, nicht von einer brennenden Stadt. Wenn sie bei dem Wettkampf versagte, würde sie zwei weitere Jahre den Söhnen und Töchtern der Würdenträger der Stadt hinterherputzen müssen, denen die Stellung als Reiter praktisch sicher war. Beim Wettkampf zu patzen, das würde bedeuten, dass all ihre Anstrengungen vergebens gewesen wären.
Sie stützte sich auf dem Fensterbrett auf, und das gesplitterte Holz schabte ihr über die Haut. Der Septenführer Balkis hatte vorher kaum von ihr Notiz genommen, aber nun gab es keine Zweifel mehr, dass sie ihm im Gedächtnis bleiben würde. Beim bloßen Gedanken daran, wie er sie angesehen hatte, wurde Shaan übel. Sie hatte ihm eine scharfe Schneide anstelle einer stumpfen Klinge gereicht. Der Jungreiter, den er ausbildete, hatte mit sieben Stichen am Oberschenkel genäht werden müssen. Es lag an den Träumen und am Schlafmangel. Wäre sie nicht so müde gewesen, wäre ihr ein solcher Fehler nicht unterlaufen.
Sie brauchte jeden erdenklichen Vorteil, um sich einen Platz als Jungreiterin zu sichern. Den Mann gegen sich aufzubringen, der möglicherweise über ihr Schicksal entscheiden würde, dürfte nicht besonders hilfreich sein. Solange sie zurückdenken konnte, war niemand, der zum Septenführer ernannt worden war, jünger als Balkis gewesen, und ausgerechnet sie musste sich seinen Unmut zuziehen. Sie starrte zur Anlage hinüber, als könnte sie mit ihrem Blick in sein Gehirn eindringen. Wähle mich, dachte sie, wähle mich.
Ein hochseetüchtiges Fischerboot lenkte sie ab, dessen Segel sich nun, da es am Landungssteg festmachte, strahlend weiß vor den roten Klippen abhoben. Eine Zeit lang ließ sie ihren Blick darauf ruhen, dann fluchte sie mit einem Mal, als ihr einfiel, dass sie versprochen hatte, an diesem Morgen für Torg Fisch zu besorgen. Seufzend zog sie sich ein ärmelloses grünes Kleid über den Kopf, schlüpfte mit den Füßen in ihre Sandalen, trat hinaus in den schmalen Flur und schlang im Gehen einen breiten Gürtel um ihre Taille.
»Tuon, Tuon, aufwachen«, rief sie den Flur hinunter und klopfte energisch gegen eine Tür am Ende des Ganges. Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnete sie sie und steckte ihren Kopf hinein. »Tuon, bist du wach?«
Das Zimmer war doppelt so groß wie ihr eigenes. In der Ecke gegenüber lag eine Frau quer auf einem breiten Bett, die Decke über den Kopf gezogen. Zu sehen waren nur ihre rosafarbenen Zehen, die unter dem zerknautschten Bettzeug hervorlugten.
»Tuon, aufwachen.« Sie ließ die Tür gegen die Wand krachen.
Ein zerzauster Haarschopf schob sich unter den Laken hervor, gefolgt von einer Hand, die ein Kissen in Shaans Richtung schleuderte.
»Lass mich in Ruhe.«
Shaan sah ungerührt zu, wie der federgefüllte Sack gegen den Türrahmen prallte.
»Das nächste Mal musst du besser zielen.« Mit langen Schritten durchquerte sie den Raum und baute sich vor der Frau auf, die Hände in die Hüften gestemmt. »Komm schon. Ich muss zum Angeln. Du könntest mich doch begleiten und schwimmen gehen. Das würde auch ein wenig von diesem Gestank von dir abwaschen. «
Aber Tuon bewegte sich nicht, und Shaan sah verärgert zu ihr hinunter. Dann beugte sie sich über sie und riss ihr die Decke weg. »Nun komm schon. Selbst Mistkäfer bewegen sich schneller als du.«
»Ist ja schon gut!« Tuon rollte sich auf den Rücken und blinzelte, dann rieb sie sich verschlafen über den nackten Bauch. »Nach dem gestrigen Missgeschick bist du, wie ich sehe, eine sehr angenehme Begleitung.«
Tuon war blond und üppig, was sie zur Favoritin vieler Matrosen machte, die im Red Pepino einkehrten. Ihre Haut war hell im Vergleich zu Shaans, sie war einen Kopf größer, zehn Jahre älter und für Shaan der einzige Familienersatz, den sie hatte.
Shaan rümpfte die Nase und ging über die Bemerkung hinweg.
»Himmel, ist das stickig hier!« Sie trat ans Fenster und riss es mit einem Ruck auf. »Warum lüftest du nicht hin und wieder mal?«
»Wir sind ja prächtiger Laune heute!« Tuon setzte sich mühsam im Bett auf. »Ein Glück, dass Torg dich nicht für sich arbeiten lässt. So, wie du aus der Wäsche schaust, würdest du weniger als ein Straßenjunge verdienen.«
»Als ob ich mich von irgendeinem schwitzenden, stinkenden Schwein von einem Seemann besteigen ließe.«
Shaan kratzte mit einem Fingernagel an einem Flecken der abgesplitterten Farbe auf ihrem Arm.
»Tatsächlich? Aber du bist dir nicht zu schade, ihnen die eine oder andere Geldbörse zu stehlen?«
»Na, wenn schon.« Shaan zuckte mit den Schultern. »Sie waren betrunken und dumm, und es ist ihnen ganz recht geschehen.« Sie konzentrierte sich weiter auf die Farbreste und tat so, als bemerke sie Tuons hochgezogene Augenbrauen überhaupt nicht. Sie hatte einiges verlernt, wenn Tuon sie hatte beobachten können. Als sie noch mit den Straßenbanden herumgezogen war, hatte sie mitten auf dem dichtgedrängten Marktplatz einem Händler die Börse entwenden können, ohne dass irgendjemand Verdacht geschöpft hätte. Aber diese Zeiten gehörten der Vergangenheit an.
»Wenn Torg das herausfindet, wird er gar nicht erfreut sein«, sagte Tuon. »Das macht es schwerer für die Kunden, seine Mädchen zu bezahlen. Mich eingeschlossen.«
»Tja, nun«, antwortete Shaan und sah auf, »dieser Seemann war ohnehin zu betrunken, um einen hochzubekommen.«
Tuons Augen wurden schmal. »Du stiehlst doch nur, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Was ist es diesmal? Kannst du wieder nicht schlafen, oder machst du dir noch immer Sorgen wegen dieses Septenführers?«
»Ich mache mir keine Sorgen.« Shaan schnippte einen Farbkrümel zum Fenster hinaus.
»Nein, natürlich nicht.« Tuon verschränkte die Arme vor ihren nackten Brüsten. »Hat ja auch nichts zu bedeuten, wenn man von dem Mann angeschrien wird, der beim Wettkampf über das eigene Schicksal zu entscheiden hat. Geschieht doch alle Tage. Und klar«, sie warf ihr einen schelmischen Blick zu, »ist es völlig unwichtig, dass dieser Mann auch noch verdammt gutaussehend ist.«
»Und das auch weiß«, schnaubte Shaan.
»Das wissen sie doch immer«, entgegnete Tuon trocken. »Aber trotzdem – ein Septenführer …«
»Der einer Arbeiterin wohl kaum einen zweiten Blick gönnen wird«, unterbrach Shaan sie. »Nicht, dass ich darauf Wert legen würde.«
»Das wollte ich auch nicht angedeutet haben.« Tuon sah sie prüfend an, und Shaan spürte, wie ihr die heiße Röte in die Wangen stieg. »Ich wollte nur sagen, dass ich mir Sorgen machen würde, wenn ich diejenige wäre, die eine Reiterin werden will, und der Septenführer auf mich wütend wäre. Oder gibt es sonst einen Grund, warum du dich aufplusterst wie eine Katze, die in der Falle sitzt?«
Shaan wandte den Blick ab und starrte aus dem Fenster. »Ich bin einfach nur müde. Ich muss mich in der Anlage melden, um bei der Ausgabe des Mittagessens zu helfen, und außerdem Fische für Torg besorgen. Wenn du mich also begleiten willst, dann steh auf, oder ich gehe allein.«
Tuon bewegte sich nicht. »Du hattest wieder diesen Traum, stimmt’s?«
Shaan ließ sich erneut gegen den Fensterrahmen sinken und sah Tuon niedergeschlagen an.
»Du solltest es mir besser erzählen. Du weißt doch, dass ich es sowieso rausbekomme.«
Mit dem durchdringenden Blick ihrer blauen Augen schien Tuon sie am Fenstersims festzunageln. Shaan versuchte zurückzustarren, aber sie war zu müde, um dem Blick standzuhalten.
»In Ordnung«, seufzte sie. »Ja, bei der Göttin, dieser verfluchte Traum ist wieder da.«
»War dieses Mal irgendetwas anders?«
»Nein, es hat sich nichts geändert. Da waren wieder die brennende Stadt und die Menschen und …« Sie zögerte. Darüber wollte sie nicht sprechen. Sie wollte auch nicht daran denken, wie realistisch sich alles angefühlt hatte, der Rauch, der ihre Lungen ausgefüllt hatte, der stechende Gestank von versengtem Fleisch und die Stimme. »Es war nur ein Traum, Tuon. Der gleiche, den ich schon seit Wochen habe. Der gleiche, von dem du immer und immer wieder hörst.«
»Nur ein Traum?«
Shaan fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und bereute, dass sie davon angefangen hatte. »Ja, nur ein Traum. Nichts von Bedeutung. Ist doch egal.« Sie strich die Vorderseite ihres Kleides glatt. »Komm schon, es wird immer heißer. Lass uns aufbrechen.« Aber Tuon bewegte sich nicht. »Du musst zu einem Traumseher gehen, Shaan. Diese Träume kommen immer häufiger. Du solltest mit jemandem darüber sprechen. Vielleicht sogar mit Morfessa.«
»Dem Ratgeber der Führerin?« Shaan hätte beinahe aufgelacht.
»Er ist der beste Traumseher in der Stadt.«
»Auf keinen Fall gehe ich zu ihm hin. Und überhaupt: Ich habe gar kein Geld und kann mir auch nicht vorstellen, dass Morfessa jeden Beliebigen empfangen würde. Ich bin eine Arbeiterin in der Anlage, ein Niemand.«
»Ich werde dafür bezahlen«, beharrte Tuon. »Du solltest mit jemandem sprechen. Diese Träume müssen irgendetwas bedeuten, sie …«
»Sie bedeuten überhaupt nichts. Es ist nur die Hitze. Komm schon und zieh dich an. Ich muss den Fisch besorgen.«
Tuon seufzte. »In Ordnung, in Ordnung. Gib mir mal meine Sachen. «
Shaan war dankbar, dass Tuon das Thema fallen ließ, und holte ein blaues Kleid, das reich mit Blumen bestickt war, aus dem Schrank.
Doch Tuon sah sie eindringlich an, als sie das Kleid entgegennahm.
»Versprich mir, Shaan, dass du wenigstens darüber nachdenkst, einen Traumseher zu Rate zu ziehen. Machst du das?«
»In Ordnung.«
Damit gab sich Tuon zufrieden, zog sich rasch an, und gemeinsam stapften sie die Treppe hinunter. In der Küche war der Besitzer des Red Pepino, Torg Fairwind, damit beschäftigt, energisch einen Klumpen Brotteig zu bearbeiten, ihn zu klopfen und durchzuwalken.
Seinen kahlen Kopf hatte er mit einem Tuch bedeckt.
Ein dicker Goldring baumelte an seinem rechten Ohr und schimmerte, wenn er sich bewegte.
Torg lächelte, als die beiden Mädchen den Raum betraten, und seine Zähne hoben sich weiß glänzend von seiner schwarzen Haut ab. »Morgen.«
Die beiden Frauen zuckten vor der Hitze, die der Ofen ausstrahlte, zurück.
»Was machst du denn da?« Tuon keuchte und fächelte sich Luft ins Gesicht. »Dafür gibt es Bäcker, falls du es noch nicht weißt.«
»Ja, aber denen traue ich nicht über den Weg.« Er donnerte ein großes Stück des Teigklumpens auf die Tischplatte. »Niemand macht Brot wie Torg.« Er zwinkerte ihnen zu und hieb so kräftig auf den Teig, dass der Tisch wackelte.
»Ihr geht los, meinen Fisch besorgen?« Er sah Shaan an, und sie nickte.
»Ich hole nur noch meine Ausrüstung.«
»Gut. Und sieh zu, dass du dich gründlich wäschst. Ich kann den Wein von letzter Nacht noch an dir riechen. Wenn du dir nur mal die Haare waschen und ein bisschen Fleisch auf die Knochen bekommen würdest, könntest du einige Münzen mehr verdienen, genau wie Tuon.«
»Nein, vielen Dank«, knurrte Shaan mit finsterer Miene. »Da würde ich lieber meinen Kopf in diesen Ofen stecken.« Sie nahm ihren Schnürbeutel vom Haken neben der Hintertür. »Komm schon, Tuon.« Der Klang von Torgs Kichern und das gleichmäßige Aufklatschen vom Teig auf der Tischplatte folgten ihnen, als sie den Hof überquerten und durch die Hinterpforte hinausgingen.
Die Straßen waren beinahe leer, und sie kamen im gewöhnlich überfüllten Seefahrer-Viertel gut voran. Als sie sich jedoch dem Marktplatz näherten, wurden die Gassen belebter. Von vorn drangen die Rufe der Standverkäufer zu ihnen, die ihre Waren anpriesen, und Wagen, voll beladen mit Gemüse, fuhren schaukelnd an ihnen vorbei, gezogen von schnaubenden Muthus. Der Markt befand sich auf einem riesigen Platz, der von allen Seiten von hohen Gebäuden gesäumt wurde, in denen Geschäfte, Tavernen und Kaf-Häuser untergebracht waren. Ein Kreis von Wagen und behelfsmäßigen Ständen füllte den Hauptteil der offenen Fläche.
Bunt gemusterte Tücher waren über Stangen gespannt, um die Waren vor der Sonne zu schützen. In der Mitte befanden sich ein schattiger Garten und ein Springbrunnen.
Die Szenerie war ebenso chaotisch wie vertraut, aber Shaan spürte einen Hauch von Unbehagen in der Luft, während sie und Tuon sich ihren Weg durch das Gewimmel bahnten. Die Menschen lärmten nicht so ausgelassen wie sonst. Verkäufer drängten sich in Grüppchen zusammen, und mit in sorgenvolle Falten gelegten Gesichtern spähten sie nervös in den Himmel hinauf, während sie murmelnd die Köpfe zusammensteckten. Die Kunden stöberten halbherzig in den Auslagen, und ihre Versuche, um den Preis zu feilschen, waren leise und ohne rechte Begeisterung
Übersetzung: Marianne Schmidt
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Penhaligon Verlag in der Verlagsgruppe
Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Lara Morgan
Lara Morgan ist in Westaustralien aufgewachsen und hat große Teile Europas ebenso bereist wie die Dschungel Borneos. Sie hat mehrere künstlerische Projekte geleitet und als Redakteurin gearbeitet. Im Jahr 2004 gewann sie den Kurzgeschichtenwettbewerb von Australian Women's Weekly. »Der Herr der Drachen« ist ihr erster Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lara Morgan
- Altersempfehlung: Ab 12 Jahre
- 2010, 510 Seiten, Maße: 13,6 x 21,5 cm, Hochw. Broschur mit Klappeinb.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828997228
- ISBN-13: 9783828997226
Rezension zu „Der Herr der Drachen “
"Packend. Nachschub für alle Drachenfans. Ein packendes Abenteuer, eine überzeugende Heldin, ein knapper, schnörkelloser Stil: Der Start der Trilogie aus Australien macht Appetit auf mehr!" Petra
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