Eine Frau für meinen Mann
Alison wird bald sterben und bittet ihre beste Freundin Fran darum, eine neue Frau für ihren Mann zu suchen. Im Internet geht Fran auf Suche - und stößt dabei zufällig auf das Profil ihres eigenen Mannes. Das hat ungeahnte Folgen.
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Produktinformationen zu „Eine Frau für meinen Mann “
Alison wird bald sterben und bittet ihre beste Freundin Fran darum, eine neue Frau für ihren Mann zu suchen. Im Internet geht Fran auf Suche - und stößt dabei zufällig auf das Profil ihres eigenen Mannes. Das hat ungeahnte Folgen.
Lese-Probe zu „Eine Frau für meinen Mann “
Eine Frau für meinen Mann von Susy McPhee 1
Meine Mutter hat mir beigebracht zu lügen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich hat sie sich nie hingesetzt und gesagt: »Okay, Francesca, heute geht es um die Kunst des Lügens«, oder so. Sie ist wesentlich subtiler vorgegangen, wenn auch der Begriff subtil in Verbindung mit meiner Mutter ein Widerspruch in sich ist. Meine Mutter ist wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen durchs Leben gegangen und hat eine Spur der Zerstörung hinterlassen, so lang und breit wie Afrika.
Sie hat mir selbstverständlich auch andere Dinge beigebracht, zum Beispiel, wo ich mich am besten verstecken konnte, wenn sie mal wieder einen ihrer Wutanfälle hatte, oder wie ich meine rutschenden Socken mit Gummiband oben halten konnte — frühe Lektionen, die ich ohne Bedauern vergessen habe, als ich von zu Hause wegging und die Fesseln meiner Kindheit abschüttelte. Mit dem Lügen jedoch war es etwas anderes. Diese Kunst praktizierte ich, zumal ich schon mit zwölf große Kunstfertigkeit darin besaß.
... mehr
Verkehrt war es nicht. Der Himmel weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht zwischen zwanghafter Ehrlichkeit und gelegentlicher, gut platzierter Unaufrichtigkeit zu differenzieren gelernt hätte. Manchmal, während der unendlich langen Tage und Nächte von Alisons Krankheit war Lügen das Einzige, was mich noch aufrechterhielt.
Und natürlich log ich auch mir selbst etwas vor.
Alison. Meine beste Freundin seit der Grundschule. Sie hatte damals Billy Waterman verprügelt, nachdem er mich im Unterricht zum Weinen gebracht hatte, indem er mir seinen Schniedel unter dem Tisch gezeigt hatte. In der Pause hatte sie ihn an der Mädchentoilette abgefangen und ihm mit einem schwungvollen rechten Haken eine dicke Lippe gehauen.
Als ich vor sieben Jahren durch eine unerwartete Beförderung von Staffordshire nach Berkshire verschlagen wurde, war einer der Hauptgründe für den Umzug in den Süden gewesen, dass mein neuer Arbeitsplatz nur fünfzehn Minuten von Alisons Wohnort entfernt war.
Und jetzt war sie mit zahlreichen Schläuchen an ein Krankenhausbett gefesselt und konnte kaum die Hand heben, geschweige denn Boxhiebe verteilen. Ich erhaschte einen Blick von Alison durch das Fenster, das auf den Stationsflur hinausging, als ich mich dem Zimmer näherte, in dem sie seit anderthalb Monaten lag, und tausend schreckliche Wahrheiten gingen mir durch den Kopf. So sieht es also aus. Was ist mit deinen Haaren passiert? Muss deine Haut diese Farbe haben?
Entschlossen presste ich die Lippen zusammen und ließ mir nichts anmerken. »Du siehst gut aus.«
»Lügnerin.« Alison lächelte mir schwach zu. »Ich sehe beschissen aus.«
»Nein, wirklich — ich finde, du siehst, na ja, du siehst heute nicht so müde aus. Du hast muntere Augen.«
Alison musterte mich. »Was ich von dir nicht behaupten kann. Du siehst so aus, als hättest du seit vierzehn Tagen kein Auge zugemacht.«
»Mir geht es gut.« Ich warf meinen Mantel über die Rückenlehne des Stuhls und zog ihn ans Bett.
»Bist du sicher? Mit Max und Lottie alles in Ordnung?« »Hm? Oh — ja. Ihnen geht's auch gut.«
Alison richtete sich halb auf. »Schätzchen? Bist du sicher, dass du okay bist? Du siehst so ... so grau aus.«
Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen traten. 0 Gott.
Ich hatte mir geschworen, mir nichts anmerken zu lassen. Aber es war nicht leicht zuzusehen, wie die beste Freundin bei jedem Besuch vom Krebs mehr zerfressen war. Ihre Sorge um mich war demütigend.
Ich riss mich zusammen. »Du findest also, ich sehe grau aus?« Ich stieß einen gespielten Seufzer aus und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ja, Max hat vor ein paar Tagen etwas ganz Ähnliches gesagt.«
Fragend hob sie die Augenbrauen. Unvorstellbar, dass mein mustergültiger Gatte etwas so Unangebrachtes von sich gab. »Max?«
»Hm.« Ich nickte unschuldig. »Wir haben doch gerade diesen großen Spiegel fürs Schlafzimmer gekauft. Du weißt schon, so einen, mit dem man sich ganz sehen kann — einen Standspiegel zum Kippen, in Kiefer antik, passend zur Frisierkommode, mit so einer kleinen Schnitzerei oben am Rahmen.« Ich beschrieb die Verzierung mit der Hand. Alison nickte mir zu, was so viel hieß wie »weiter, und was dann?«, und ich seufzte schwer. »Also jedenfalls, ich war gerade aus dem Badezimmer gekommen und beguckte mich — übrigens ein großer Fehler — und sagte zu Max: >Sieh mich nur an. Ich bin dick, runzelig, alt und grau.< Natürlich habe ich erwartet, dass er mir widerspricht.« Erneut nickte Alison. »Aber das tat er nicht, und schließlich sagte ich: >Um Himmels willen, Max, sag etwas Nettes zu mir!«<
Alison wartete gespannt. »Und?«
Ich senkte den Blick. »Er sagte — na ja, er sagte ...« Ich zögerte. »>Zumindest ist mit deinen Augen alles in Ordnung.«<
Alison lachte. Dann wurde sie ganz sachlich: »Im Ernst, Fran. Ich finde, du übertreibst.«
»Das tue ich nicht.«
»Doch. Du hast einen Fulltime-Job, Mann und Kind, um die du dich kümmern musst — sie sind zwar beide süß und lieb, blabla — aber können dich ganz schön auf Trab halten. Und du hast eine beste Freundin, die ungefähr so nutzlos ist wie eine Teekanne aus Schokolade.«
»Noch nutzloser«, erwiderte ich.»Was?«
»Noch nutzloser. Eine Teekanne aus Schokolade könnte ich zum Trost wenigstens aufessen.«
Alison streckte mir die Zunge heraus. »Blödmann! Aber dann würdest du fett werden.« Sie zupfte am Ärmel meines Pullovers. »Sieh dich doch an, du bist doch nur Haut und Knochen. Dick, du liebe Güte. Da habe ich ja mehr Fleisch auf den Rippen.«
»Tja.« Ich warf ihr einen Blick von der Seite zu, und ehe ich es verhindern konnte, entschlüpfte mir eine der Wahrheiten, die ich nie aussprechen wollte: »Aber — wenigstens habe ich noch meine eigenen Haare.«
Sie biss sich auf die Lippen, um ein Lächeln zu unterdrücken, und ich spürte, wie mir erneut die Tränen in die Augen traten.
»Komm her«, befahl sie und klopfte einladend auf die Bettkante. Zögernd setzte ich mich. Alison schlang ihre ausgemergelten Arme um mich und lehnte ihren Kopf einen Moment lang an meine Schulter, sodass ich das frische Parfüm riechen konnte, das untrennbar zu ihr gehörte, den Duft, den sie trotz des langen Krankenhausaufenthaltes und der qualvollen wochenlangen Behandlung nie verloren hatte.
Ich hätte am liebsten laut geschluchzt und die Götter angefleht, sie endlich in Ruhe zu lassen und aufzuhören, sie mir wegnehmen zu wollen.
Alison löste sich von mir und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen.
»Du musst mir helfen.«
Ich schniefte und suchte ohne Erfolg nach einem Taschentuch. Sie reichte mir ein Papiertuch aus der Schachtel, die neben einer Vase mit weißen Freesien auf ihrem Nachtschränkchen stand.
»Red weiter.« Ich putzte mir geräuschvoll die Nase. »Du darfst nicht nein sagen.«»0 Gott.«
»Ich sterbe. Kannst du einer sterbenden Frau ihren letzten Wunsch verwehren?«
»Ja!« Ich schnäuzte mich erneut. »Nein«, gab ich dann zu.
Sie lächelte mich verschwörerisch an und wies zum Nachtschränkchen. »Mach mal die oberste Schublade auf«
Ich gehorchte.
»Da liegt ein Block. Siehst du ihn?«
»Hm.« Ich holte ihn heraus, und sie blätterte die Seiten um. Dann reichte sie ihn mir, und ich begann, laut vorzulesen, was sie in ihrer klaren, rundlichen Schrift notiert hatte.
»>Ende dreißig; keinerlei Erfahrung mit Online-Dating.«< Fragend blickte ich Alison an. »Willst du dich an eine Partnerbörse wenden?«
Sie lachte müde. »Nein, du Schlaumeier. Bin ich etwa Ende dreißig?« Sie nickte mir aufmunternd zu. »Na los, lies schon weiter.«
Ich räusperte mich. >»Ein Vorbesitzer (nur von einer Frau gefahren). Freunde sagen, dass ich einen guten Sinn für Humor hätte, vertrauenswürdig und lustig sei, aber ich bezahle sie natürlich auch gut dafür.<« Ich zog die Augenbrauen hoch. Dann fuhr ich fort: »Ich liebe gutes Essen, guten Wein und lange, faule Wochenenden auf dem Land. Stärken: Ich kann kochen. Und danach abwaschen. Und ich bügele meine Hemden selbst. Schwächen: In Mode bin ich hoffnungslos. Ich bin vernarrt in meine sechsjährige Tochter. Ich würde gerne eine Frau mit ähnlichen Interessen kennenlernen, die keine Angst vor jemandem mit altmodischen Klamotten hat, Kinder mag und gelegentlich gern ein Glas Cloudy Bay trinkt.«
»Und? Was meinst du?«
Ich blickte Alison verwirrt an. »Äh ... klingt hinreißend. Aber ... findest du es unter den Umständen nicht ein bisschen optimistisch, auf Kontaktanzeigen zu antworten?« Ich wies auf die medizinischen Geräte an ihrem Bett. »Ich meine, wo willst du zum Beispiel den Infusionsständer verstecken? Kannst du dich überhaupt noch an andere Outfits als Pyjamas erinnern? Ganz zu schweigen von Adam. Er wird doch bestimmt etwas dagegen haben.« Im Stillen fragte ich mich allerdings, ob mir das nicht egal wäre, aber ich äußerte diesen Gedanken nicht laut. Adam, Alisons Ehemann, arbeitete als Produzent bei der BBC. Als Alison ihn das erste Mal zu uns mit nach Hause brachte, war ich fasziniert gewesen, weil er Max so ähnlich sah, und es hatte mich völlig geblendet, dass er regelmäßig mit einigen der Großen Hollywoods dinierte. Er steckte voller Anekdoten über die weniger bekannten Angewohnheiten der Stars und Sternchen der Fernsehwelt, und ich ließ mich von seinem Charme verführen. Mit seinem Kaschmirpullover und den schicken Manschettenknöpfen wirkte er auf mich wie die glamouröse Ausgabe von Max, der an diesem Abend keinen Pullover trug, sondern ein Hemd, die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, und unter den Fingernägeln Motoröl hatte, das er trotz heftigen Schrubbens nicht hatte wegkriegen können. Als Alison und Adam gegangen waren, hatte Max mich damit aufgezogen, dass ich nie mit einem Mann auskommen würde, der länger vor dem Spiegel stand als ich. Meine Bewunderung war sowieso nur von kurzer Dauer: Als wir das nächste Mal zu viert auf einer Party waren, hatte Adam sich an mich herangemacht, und als ich ihn empört abwies, lachte er mir ins Gesicht und nannte mich prüde. Ich hatte weder Alison noch Max jemals davon erzählt, aber immer, wenn ich Adam sah, verspürte ich den Drang, ihm einen Spieß mit heißem Kebab durchs Auge zu stoßen.
Alison sah mich scharf und durchdringend an, ihre Augen funkelten.»Was?«
»Das ist Adam.«
»Was?« Plötzlich kam ich mir blöde und langsam vor. »Adam und Erin.«
»Was?«, wiederholte ich.
»Fran!« Sie seufzte. »Sag mal was anderes als immer nur >was<!«
»Aber ... ich kann nicht ...«
»Doch, du kannst.«
Ich musterte sie. Mein Mund war auf einmal ganz trocken. Sie wendete keinen Blick von mir.
»Du hast eine Kontaktanzeige für deinen Mann aufgesetzt«, sagte ich schließlich.»Hm — hm.«»Warum?«
Sie seufzte. »Zwing mich nicht, dir meine Gründe zu nennen.«
»Nenn sie.« In mir stieg Wut auf.
»Oh, Fran.« Sie griff nach meiner Hand, aber ich zog sie weg. Sie zuckte mit den Schultern.
»Na, okay. Ich will nicht, dass Adam für den Rest seines Lebens allein bleibt. Du solltest ihn hören, wenn er mich besucht. Glaub mir, es ist nicht so wie bei dir.« Sie schwieg und fuhr sich zerstreut über ihren fast kahlen Schädel. Dann rieb sie sich mit beiden Händen das Gesicht.
»Ich lebe für deine Besuche«, gab sie schließlich zu. »Ich liebe es, wenn du herkommst; du bringst mich zum Lachen. Bei dir kann ich aussprechen >Ich sterbe<, ohne dass du mich so vorwurfsvoll anschaust wie Adam. Du machst Witze über meine Haare, über meinen Zustand, ohne mir das Gefühl zu geben, du wolltest mich vor einer schrecklichen Wahrheit beschützen, die alle kennen. Nur ich muss als Einzige so tun, als hätte ich keine Ahnung. Du sagst zu mir, ich sei nutzloser als eine Teekanne aus Schokolade und erzählst mir alberne Geschichten davon, wie du dich im Spiegel betrachtest ...«
»Das mache ich alles nur, um dich zum Lachen zu bringen!«, erwiderte ich, immer noch wütend. »Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich mich damit abgefunden habe, dich zu verlieren. Es bedeutet keineswegs, dass ich die Hoffnung auf ein Wundermittel aufgegeben habe. Es gibt jeden Tag Fortschritte in der Medizin, und du musst positiv denken! Du darfst die Hoffnung einfach nicht aufgeben! Man weiß ja nie — schon die nächste Behandlung ...«
»Hör auf, Fran«, unterbrach sie mich. »Lüg mich nicht an. Du nicht auch noch. Es wird keine weiteren Behandlungen mehr geben. Du weißt es.« Erneut griff sie nach meiner Hand, aber ich zog sie wieder zurück. Alison seufzte geduldig. »Von allen Leuten, die jeden Tag um mich herum sind — die Krankenschwestern, die Ärzte, Adam, Erin, meine Mum —, bist du die Einzige, die mich einigermaßen normal behandelt. Wenn Adam hier ist, darf ich das Wort Krebs nicht einmal in den Mund nehmen. Er kann damit nicht umgehen. Früher hat er mich immer nach den Untersuchungen und den Behandlungsmethoden gefragt, aber irgendwann hat er damit aufgehört, weil die Antworten ihm nicht gefallen haben. Ich komme mir vor, als ließe ich ihn und Erin im Stich, weil ich nichts gegen dieses Ding ausrichten kann, und eines Tages werde ich verschwinden, und der Gedanke, dass sie dann auf sich allein gestellt sind, macht mir Angst. Du weißt doch, wie schwer das ist. Du bist doch selber Ehefrau und Mutter. Lottie ist genauso alt wie Erin. Adam und Max sind sich so ähnlich, als wären sie Zwillinge — haben wir das nicht immer gesagt? Und doch behandelst du mich genauso wie immer, als ob du jeden Besuch genießt und nicht zulässt, dass diese Krankheit uns die gemeinsame Zeit, die uns noch bleibt, verdirbt. Ohne dich könnte ich überhaupt nicht mehr weitermachen. Du musst mir gegenüber ehrlich bleiben.«
Sie war so ruhig. Ich beneidete sie darum, auch wenn ich mit ihrem wahnsinnigen Plan nicht einverstanden war. Ehrlich gesagt vermutete ich, dass Adam in der Zukunft durchaus für sich alleine sorgen konnte.
Ich nahm den Block wieder in die Hand.
»Ein Vorbesitzer?« Ich hob die Augenbrauen.
»Findest du das zu klischeehaft?« Sie zog die Nase kraus. »Ich wollte nicht >Witwer< schreiben. Das klingt so alt. Außerdem finde ich es in einer Kontaktanzeige taktlos.«
»Wohingegen es vermutlich von äußerst gutem Geschmack zeugt, deine beste Freundin zu bitten, mit dir diese Anzeige zu entwerfen, während du sterbend im Krankenhaus liegst.«
Sie lächelte mich herzzerreißend an. »Ich liebe dich, Fran.«
Ich seufzte, tat genervt, um die verräterischen Tränen, die zu fließen drohten, zurückzudrängen. »Was soll ich tun?«
»Nun.« Aufgeregt faltete sie die Hände über dem Bauch. Ich musste zugeben, dass sie seit Wochen nicht mehr so lebendig ausgesehen hatte. »Also, ich bin nicht sicher, ob ich den richtigen Ton getroffen habe. Deshalb dachte ich, du könntest dir vielleicht einmal ein paar Dating-Sites anschauen, damit wir ein Gefühl dafür kriegen — wie die Leute so reden und so. Und dann könntest du den Text vielleicht ausdrucken, damit wir ihn zusammen durchgehen können. Erin zu erwähnen könnte zum Beispiel daneben sein. Ich will die Frauen nicht schon vorher abschrecken.«
»Erin schreckt doch keinen ab!« Ich war empört. »Das Kind ist hinreißend.«
Sie lachte über meine Echauffiertheit. »Natürlich ist sie das«, stimmte sie mir zu. »Aber es kann ja sein, dass es irgendeine tolle Frau gibt, die perfekt für Adam und Erin wäre, aber nicht ahnt, wie gut sie mit Kindern umgehen kann. Aber wenn sie erst einmal Adam kennengelernt und festgestellt hat, wie fantastisch er ist, dann wäre das Kind sicher kein Problem mehr. Verstehst du?«
»Nicht im Geringsten. Aber was soll's.« Sie sah mich erwartungsvoll an. »Okay, okay — wenn ich einverstanden bin, soll ich die Antworten sichten und dir Bericht erstatten. Hast du das gemeint?«
»Nein. Entschuldigung. Danach ...« Sie blickte mich bedeutungsschwanger an. »Ich will, dass du dich danach um ihn kümmerst, ohne es ihm zu sagen.« Ich wollte protestieren, aber sie hob die Hand. »Das ist wichtig für mich, Fran, also hör mir bitte zu. Lass ihm eine Weile Zeit — sagen wir, sechs Monate oder so. Nicht länger. Ich möchte nicht, dass er ins Grübeln gerät.«
Ich unterdrückte ein Schnauben. Die Vorstellung von einem grübelnden Adam war schwer zu ertragen.
»Und dann schau dir die Antworten an und sieh zu, ob du nicht ein nettes Mädchen findest, das sich um ihn und Erin kümmert«, fuhr Alison fort. »Ich meine, ich bin dann schließlich nicht mehr da, um die Spreu vom Weizen zu trennen.«
»Wie um alles in der Welt soll ich das denn machen? Ich kann ja wohl kaum so tun, als ob ich er wäre. Irgendwann wollen all diese Frauen doch mit ihm telefonieren, um ein Date zu vereinbaren.«
»Oh — da fällt dir schon was ein«, erwiderte Alison. »Du kannst behaupten, du wärst seine Assistentin oder so. Hast du mir nicht erzählt, dass du mit jemandem arbeitest, der seine Zukünftige über eine Partnerbörse kennengelernt hat? Ein echt hübsches Mädchen, das in der Werbung arbeitet?«
»Nein, als Model, der Kollege ist Greg Patterson. Er leitet die Systemarchitektur. Er heiratet Ende des Monats. Für ihn ist es die zweite Ehe.« Seine erste Frau hatte ihn mitten an einem regnerischen Novembertag verlassen. Sie hatte einen Umzugswagen bestellt und ihre schicke Loft-Wohnung völlig leer geräumt, während Greg auf der Arbeit war. Und sie hatte noch nicht einmal einen Brief hinterlassen.
»Na, siehst du«, sagte Alison, als ob das alle Probleme lösen würde, »ihn kannst du um ein paar Tipps bitten.«
»Alison«, erwiderte ich, wobei ich mich bemühte, geduldig zu klingen, »ich werde ganz bestimmt keinen Kollegen um Tipps bitten, wie ich den Mann meiner besten Freundin via Internet an die Frau bringe. Ich meine, abgesehen von der Tatsache, dass er mich wahrscheinlich für verrückt halten würde, wäre es auch völlig unprofessionell. Männer reden über so etwas nicht im Büro, und außerdem bin ich seine Kollegin ...«
»Woher weißt du dann, wie er seine Verlobte kennengelernt hat?«
»Er — ich kann mich nicht erinnern.« Alison zog die Augenbrauen hoch. »Okay, okay. Er hat es mir erzählt.«
»Ach was.« Alison lächelte selbstgefällig. »Ich bin sicher, er steckt voller guter Ratschläge.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich beginne mit Phase eins«, sagte ich. »Darüber hinaus willige ich erst einmal in nichts ein.«
»Heute Abend?«
»Was meinst du mit >heute Abend<?«
»Ich meine, dass du dich heute Abend an den Computer begibst und dir ein paar Partnerbörsen anschaust.« Sie riss die Seite vom Notizblock ab, faltete das Papier zusammen und reichte es mir. »Dann kannst du mir morgen schon was berichten.«
»Morgen schaffe ich es vielleicht nicht, dich zu besuchen«, erwiderte ich hochmütig und ergriff meinen Mantel. »Ich habe nämlich auch noch ein Leben, weißt du.« Aber dann nahm ich ihr doch das Blatt Papier aus der Hand und steckte es in meine Manteltasche.
Alison grinste nur, und das aus gutem Grund. Seit sie vor sechs Wochen zu einer hochdosierten und offensichtlich vergeblichen Strahlentherapie ins Krankenhaus eingeliefert worden war, hatte ich sie jeden Tag besucht.
»Geh nirgendwohin«, sagte ich wie immer und hauchte einen Kuss auf ihre Wange. Sie zwinkerte mir zu, glücklich, trotz der Müdigkeit, die sich langsam in ihrem Gesicht abzeichnete.
»Vielleicht doch«, erwiderte sie spitzbübisch. »Ich habe nämlich auch ein Leben, weißt du.«
Copyright der Originalasugabe © 2009 by Susy Mcphee
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Übersetzung:»Margarethe Pée«
Und natürlich log ich auch mir selbst etwas vor.
Alison. Meine beste Freundin seit der Grundschule. Sie hatte damals Billy Waterman verprügelt, nachdem er mich im Unterricht zum Weinen gebracht hatte, indem er mir seinen Schniedel unter dem Tisch gezeigt hatte. In der Pause hatte sie ihn an der Mädchentoilette abgefangen und ihm mit einem schwungvollen rechten Haken eine dicke Lippe gehauen.
Als ich vor sieben Jahren durch eine unerwartete Beförderung von Staffordshire nach Berkshire verschlagen wurde, war einer der Hauptgründe für den Umzug in den Süden gewesen, dass mein neuer Arbeitsplatz nur fünfzehn Minuten von Alisons Wohnort entfernt war.
Und jetzt war sie mit zahlreichen Schläuchen an ein Krankenhausbett gefesselt und konnte kaum die Hand heben, geschweige denn Boxhiebe verteilen. Ich erhaschte einen Blick von Alison durch das Fenster, das auf den Stationsflur hinausging, als ich mich dem Zimmer näherte, in dem sie seit anderthalb Monaten lag, und tausend schreckliche Wahrheiten gingen mir durch den Kopf. So sieht es also aus. Was ist mit deinen Haaren passiert? Muss deine Haut diese Farbe haben?
Entschlossen presste ich die Lippen zusammen und ließ mir nichts anmerken. »Du siehst gut aus.«
»Lügnerin.« Alison lächelte mir schwach zu. »Ich sehe beschissen aus.«
»Nein, wirklich — ich finde, du siehst, na ja, du siehst heute nicht so müde aus. Du hast muntere Augen.«
Alison musterte mich. »Was ich von dir nicht behaupten kann. Du siehst so aus, als hättest du seit vierzehn Tagen kein Auge zugemacht.«
»Mir geht es gut.« Ich warf meinen Mantel über die Rückenlehne des Stuhls und zog ihn ans Bett.
»Bist du sicher? Mit Max und Lottie alles in Ordnung?« »Hm? Oh — ja. Ihnen geht's auch gut.«
Alison richtete sich halb auf. »Schätzchen? Bist du sicher, dass du okay bist? Du siehst so ... so grau aus.«
Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen traten. 0 Gott.
Ich hatte mir geschworen, mir nichts anmerken zu lassen. Aber es war nicht leicht zuzusehen, wie die beste Freundin bei jedem Besuch vom Krebs mehr zerfressen war. Ihre Sorge um mich war demütigend.
Ich riss mich zusammen. »Du findest also, ich sehe grau aus?« Ich stieß einen gespielten Seufzer aus und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ja, Max hat vor ein paar Tagen etwas ganz Ähnliches gesagt.«
Fragend hob sie die Augenbrauen. Unvorstellbar, dass mein mustergültiger Gatte etwas so Unangebrachtes von sich gab. »Max?«
»Hm.« Ich nickte unschuldig. »Wir haben doch gerade diesen großen Spiegel fürs Schlafzimmer gekauft. Du weißt schon, so einen, mit dem man sich ganz sehen kann — einen Standspiegel zum Kippen, in Kiefer antik, passend zur Frisierkommode, mit so einer kleinen Schnitzerei oben am Rahmen.« Ich beschrieb die Verzierung mit der Hand. Alison nickte mir zu, was so viel hieß wie »weiter, und was dann?«, und ich seufzte schwer. »Also jedenfalls, ich war gerade aus dem Badezimmer gekommen und beguckte mich — übrigens ein großer Fehler — und sagte zu Max: >Sieh mich nur an. Ich bin dick, runzelig, alt und grau.< Natürlich habe ich erwartet, dass er mir widerspricht.« Erneut nickte Alison. »Aber das tat er nicht, und schließlich sagte ich: >Um Himmels willen, Max, sag etwas Nettes zu mir!«<
Alison wartete gespannt. »Und?«
Ich senkte den Blick. »Er sagte — na ja, er sagte ...« Ich zögerte. »>Zumindest ist mit deinen Augen alles in Ordnung.«<
Alison lachte. Dann wurde sie ganz sachlich: »Im Ernst, Fran. Ich finde, du übertreibst.«
»Das tue ich nicht.«
»Doch. Du hast einen Fulltime-Job, Mann und Kind, um die du dich kümmern musst — sie sind zwar beide süß und lieb, blabla — aber können dich ganz schön auf Trab halten. Und du hast eine beste Freundin, die ungefähr so nutzlos ist wie eine Teekanne aus Schokolade.«
»Noch nutzloser«, erwiderte ich.»Was?«
»Noch nutzloser. Eine Teekanne aus Schokolade könnte ich zum Trost wenigstens aufessen.«
Alison streckte mir die Zunge heraus. »Blödmann! Aber dann würdest du fett werden.« Sie zupfte am Ärmel meines Pullovers. »Sieh dich doch an, du bist doch nur Haut und Knochen. Dick, du liebe Güte. Da habe ich ja mehr Fleisch auf den Rippen.«
»Tja.« Ich warf ihr einen Blick von der Seite zu, und ehe ich es verhindern konnte, entschlüpfte mir eine der Wahrheiten, die ich nie aussprechen wollte: »Aber — wenigstens habe ich noch meine eigenen Haare.«
Sie biss sich auf die Lippen, um ein Lächeln zu unterdrücken, und ich spürte, wie mir erneut die Tränen in die Augen traten.
»Komm her«, befahl sie und klopfte einladend auf die Bettkante. Zögernd setzte ich mich. Alison schlang ihre ausgemergelten Arme um mich und lehnte ihren Kopf einen Moment lang an meine Schulter, sodass ich das frische Parfüm riechen konnte, das untrennbar zu ihr gehörte, den Duft, den sie trotz des langen Krankenhausaufenthaltes und der qualvollen wochenlangen Behandlung nie verloren hatte.
Ich hätte am liebsten laut geschluchzt und die Götter angefleht, sie endlich in Ruhe zu lassen und aufzuhören, sie mir wegnehmen zu wollen.
Alison löste sich von mir und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen.
»Du musst mir helfen.«
Ich schniefte und suchte ohne Erfolg nach einem Taschentuch. Sie reichte mir ein Papiertuch aus der Schachtel, die neben einer Vase mit weißen Freesien auf ihrem Nachtschränkchen stand.
»Red weiter.« Ich putzte mir geräuschvoll die Nase. »Du darfst nicht nein sagen.«»0 Gott.«
»Ich sterbe. Kannst du einer sterbenden Frau ihren letzten Wunsch verwehren?«
»Ja!« Ich schnäuzte mich erneut. »Nein«, gab ich dann zu.
Sie lächelte mich verschwörerisch an und wies zum Nachtschränkchen. »Mach mal die oberste Schublade auf«
Ich gehorchte.
»Da liegt ein Block. Siehst du ihn?«
»Hm.« Ich holte ihn heraus, und sie blätterte die Seiten um. Dann reichte sie ihn mir, und ich begann, laut vorzulesen, was sie in ihrer klaren, rundlichen Schrift notiert hatte.
»>Ende dreißig; keinerlei Erfahrung mit Online-Dating.«< Fragend blickte ich Alison an. »Willst du dich an eine Partnerbörse wenden?«
Sie lachte müde. »Nein, du Schlaumeier. Bin ich etwa Ende dreißig?« Sie nickte mir aufmunternd zu. »Na los, lies schon weiter.«
Ich räusperte mich. >»Ein Vorbesitzer (nur von einer Frau gefahren). Freunde sagen, dass ich einen guten Sinn für Humor hätte, vertrauenswürdig und lustig sei, aber ich bezahle sie natürlich auch gut dafür.<« Ich zog die Augenbrauen hoch. Dann fuhr ich fort: »Ich liebe gutes Essen, guten Wein und lange, faule Wochenenden auf dem Land. Stärken: Ich kann kochen. Und danach abwaschen. Und ich bügele meine Hemden selbst. Schwächen: In Mode bin ich hoffnungslos. Ich bin vernarrt in meine sechsjährige Tochter. Ich würde gerne eine Frau mit ähnlichen Interessen kennenlernen, die keine Angst vor jemandem mit altmodischen Klamotten hat, Kinder mag und gelegentlich gern ein Glas Cloudy Bay trinkt.«
»Und? Was meinst du?«
Ich blickte Alison verwirrt an. »Äh ... klingt hinreißend. Aber ... findest du es unter den Umständen nicht ein bisschen optimistisch, auf Kontaktanzeigen zu antworten?« Ich wies auf die medizinischen Geräte an ihrem Bett. »Ich meine, wo willst du zum Beispiel den Infusionsständer verstecken? Kannst du dich überhaupt noch an andere Outfits als Pyjamas erinnern? Ganz zu schweigen von Adam. Er wird doch bestimmt etwas dagegen haben.« Im Stillen fragte ich mich allerdings, ob mir das nicht egal wäre, aber ich äußerte diesen Gedanken nicht laut. Adam, Alisons Ehemann, arbeitete als Produzent bei der BBC. Als Alison ihn das erste Mal zu uns mit nach Hause brachte, war ich fasziniert gewesen, weil er Max so ähnlich sah, und es hatte mich völlig geblendet, dass er regelmäßig mit einigen der Großen Hollywoods dinierte. Er steckte voller Anekdoten über die weniger bekannten Angewohnheiten der Stars und Sternchen der Fernsehwelt, und ich ließ mich von seinem Charme verführen. Mit seinem Kaschmirpullover und den schicken Manschettenknöpfen wirkte er auf mich wie die glamouröse Ausgabe von Max, der an diesem Abend keinen Pullover trug, sondern ein Hemd, die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, und unter den Fingernägeln Motoröl hatte, das er trotz heftigen Schrubbens nicht hatte wegkriegen können. Als Alison und Adam gegangen waren, hatte Max mich damit aufgezogen, dass ich nie mit einem Mann auskommen würde, der länger vor dem Spiegel stand als ich. Meine Bewunderung war sowieso nur von kurzer Dauer: Als wir das nächste Mal zu viert auf einer Party waren, hatte Adam sich an mich herangemacht, und als ich ihn empört abwies, lachte er mir ins Gesicht und nannte mich prüde. Ich hatte weder Alison noch Max jemals davon erzählt, aber immer, wenn ich Adam sah, verspürte ich den Drang, ihm einen Spieß mit heißem Kebab durchs Auge zu stoßen.
Alison sah mich scharf und durchdringend an, ihre Augen funkelten.»Was?«
»Das ist Adam.«
»Was?« Plötzlich kam ich mir blöde und langsam vor. »Adam und Erin.«
»Was?«, wiederholte ich.
»Fran!« Sie seufzte. »Sag mal was anderes als immer nur >was<!«
»Aber ... ich kann nicht ...«
»Doch, du kannst.«
Ich musterte sie. Mein Mund war auf einmal ganz trocken. Sie wendete keinen Blick von mir.
»Du hast eine Kontaktanzeige für deinen Mann aufgesetzt«, sagte ich schließlich.»Hm — hm.«»Warum?«
Sie seufzte. »Zwing mich nicht, dir meine Gründe zu nennen.«
»Nenn sie.« In mir stieg Wut auf.
»Oh, Fran.« Sie griff nach meiner Hand, aber ich zog sie weg. Sie zuckte mit den Schultern.
»Na, okay. Ich will nicht, dass Adam für den Rest seines Lebens allein bleibt. Du solltest ihn hören, wenn er mich besucht. Glaub mir, es ist nicht so wie bei dir.« Sie schwieg und fuhr sich zerstreut über ihren fast kahlen Schädel. Dann rieb sie sich mit beiden Händen das Gesicht.
»Ich lebe für deine Besuche«, gab sie schließlich zu. »Ich liebe es, wenn du herkommst; du bringst mich zum Lachen. Bei dir kann ich aussprechen >Ich sterbe<, ohne dass du mich so vorwurfsvoll anschaust wie Adam. Du machst Witze über meine Haare, über meinen Zustand, ohne mir das Gefühl zu geben, du wolltest mich vor einer schrecklichen Wahrheit beschützen, die alle kennen. Nur ich muss als Einzige so tun, als hätte ich keine Ahnung. Du sagst zu mir, ich sei nutzloser als eine Teekanne aus Schokolade und erzählst mir alberne Geschichten davon, wie du dich im Spiegel betrachtest ...«
»Das mache ich alles nur, um dich zum Lachen zu bringen!«, erwiderte ich, immer noch wütend. »Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich mich damit abgefunden habe, dich zu verlieren. Es bedeutet keineswegs, dass ich die Hoffnung auf ein Wundermittel aufgegeben habe. Es gibt jeden Tag Fortschritte in der Medizin, und du musst positiv denken! Du darfst die Hoffnung einfach nicht aufgeben! Man weiß ja nie — schon die nächste Behandlung ...«
»Hör auf, Fran«, unterbrach sie mich. »Lüg mich nicht an. Du nicht auch noch. Es wird keine weiteren Behandlungen mehr geben. Du weißt es.« Erneut griff sie nach meiner Hand, aber ich zog sie wieder zurück. Alison seufzte geduldig. »Von allen Leuten, die jeden Tag um mich herum sind — die Krankenschwestern, die Ärzte, Adam, Erin, meine Mum —, bist du die Einzige, die mich einigermaßen normal behandelt. Wenn Adam hier ist, darf ich das Wort Krebs nicht einmal in den Mund nehmen. Er kann damit nicht umgehen. Früher hat er mich immer nach den Untersuchungen und den Behandlungsmethoden gefragt, aber irgendwann hat er damit aufgehört, weil die Antworten ihm nicht gefallen haben. Ich komme mir vor, als ließe ich ihn und Erin im Stich, weil ich nichts gegen dieses Ding ausrichten kann, und eines Tages werde ich verschwinden, und der Gedanke, dass sie dann auf sich allein gestellt sind, macht mir Angst. Du weißt doch, wie schwer das ist. Du bist doch selber Ehefrau und Mutter. Lottie ist genauso alt wie Erin. Adam und Max sind sich so ähnlich, als wären sie Zwillinge — haben wir das nicht immer gesagt? Und doch behandelst du mich genauso wie immer, als ob du jeden Besuch genießt und nicht zulässt, dass diese Krankheit uns die gemeinsame Zeit, die uns noch bleibt, verdirbt. Ohne dich könnte ich überhaupt nicht mehr weitermachen. Du musst mir gegenüber ehrlich bleiben.«
Sie war so ruhig. Ich beneidete sie darum, auch wenn ich mit ihrem wahnsinnigen Plan nicht einverstanden war. Ehrlich gesagt vermutete ich, dass Adam in der Zukunft durchaus für sich alleine sorgen konnte.
Ich nahm den Block wieder in die Hand.
»Ein Vorbesitzer?« Ich hob die Augenbrauen.
»Findest du das zu klischeehaft?« Sie zog die Nase kraus. »Ich wollte nicht >Witwer< schreiben. Das klingt so alt. Außerdem finde ich es in einer Kontaktanzeige taktlos.«
»Wohingegen es vermutlich von äußerst gutem Geschmack zeugt, deine beste Freundin zu bitten, mit dir diese Anzeige zu entwerfen, während du sterbend im Krankenhaus liegst.«
Sie lächelte mich herzzerreißend an. »Ich liebe dich, Fran.«
Ich seufzte, tat genervt, um die verräterischen Tränen, die zu fließen drohten, zurückzudrängen. »Was soll ich tun?«
»Nun.« Aufgeregt faltete sie die Hände über dem Bauch. Ich musste zugeben, dass sie seit Wochen nicht mehr so lebendig ausgesehen hatte. »Also, ich bin nicht sicher, ob ich den richtigen Ton getroffen habe. Deshalb dachte ich, du könntest dir vielleicht einmal ein paar Dating-Sites anschauen, damit wir ein Gefühl dafür kriegen — wie die Leute so reden und so. Und dann könntest du den Text vielleicht ausdrucken, damit wir ihn zusammen durchgehen können. Erin zu erwähnen könnte zum Beispiel daneben sein. Ich will die Frauen nicht schon vorher abschrecken.«
»Erin schreckt doch keinen ab!« Ich war empört. »Das Kind ist hinreißend.«
Sie lachte über meine Echauffiertheit. »Natürlich ist sie das«, stimmte sie mir zu. »Aber es kann ja sein, dass es irgendeine tolle Frau gibt, die perfekt für Adam und Erin wäre, aber nicht ahnt, wie gut sie mit Kindern umgehen kann. Aber wenn sie erst einmal Adam kennengelernt und festgestellt hat, wie fantastisch er ist, dann wäre das Kind sicher kein Problem mehr. Verstehst du?«
»Nicht im Geringsten. Aber was soll's.« Sie sah mich erwartungsvoll an. »Okay, okay — wenn ich einverstanden bin, soll ich die Antworten sichten und dir Bericht erstatten. Hast du das gemeint?«
»Nein. Entschuldigung. Danach ...« Sie blickte mich bedeutungsschwanger an. »Ich will, dass du dich danach um ihn kümmerst, ohne es ihm zu sagen.« Ich wollte protestieren, aber sie hob die Hand. »Das ist wichtig für mich, Fran, also hör mir bitte zu. Lass ihm eine Weile Zeit — sagen wir, sechs Monate oder so. Nicht länger. Ich möchte nicht, dass er ins Grübeln gerät.«
Ich unterdrückte ein Schnauben. Die Vorstellung von einem grübelnden Adam war schwer zu ertragen.
»Und dann schau dir die Antworten an und sieh zu, ob du nicht ein nettes Mädchen findest, das sich um ihn und Erin kümmert«, fuhr Alison fort. »Ich meine, ich bin dann schließlich nicht mehr da, um die Spreu vom Weizen zu trennen.«
»Wie um alles in der Welt soll ich das denn machen? Ich kann ja wohl kaum so tun, als ob ich er wäre. Irgendwann wollen all diese Frauen doch mit ihm telefonieren, um ein Date zu vereinbaren.«
»Oh — da fällt dir schon was ein«, erwiderte Alison. »Du kannst behaupten, du wärst seine Assistentin oder so. Hast du mir nicht erzählt, dass du mit jemandem arbeitest, der seine Zukünftige über eine Partnerbörse kennengelernt hat? Ein echt hübsches Mädchen, das in der Werbung arbeitet?«
»Nein, als Model, der Kollege ist Greg Patterson. Er leitet die Systemarchitektur. Er heiratet Ende des Monats. Für ihn ist es die zweite Ehe.« Seine erste Frau hatte ihn mitten an einem regnerischen Novembertag verlassen. Sie hatte einen Umzugswagen bestellt und ihre schicke Loft-Wohnung völlig leer geräumt, während Greg auf der Arbeit war. Und sie hatte noch nicht einmal einen Brief hinterlassen.
»Na, siehst du«, sagte Alison, als ob das alle Probleme lösen würde, »ihn kannst du um ein paar Tipps bitten.«
»Alison«, erwiderte ich, wobei ich mich bemühte, geduldig zu klingen, »ich werde ganz bestimmt keinen Kollegen um Tipps bitten, wie ich den Mann meiner besten Freundin via Internet an die Frau bringe. Ich meine, abgesehen von der Tatsache, dass er mich wahrscheinlich für verrückt halten würde, wäre es auch völlig unprofessionell. Männer reden über so etwas nicht im Büro, und außerdem bin ich seine Kollegin ...«
»Woher weißt du dann, wie er seine Verlobte kennengelernt hat?«
»Er — ich kann mich nicht erinnern.« Alison zog die Augenbrauen hoch. »Okay, okay. Er hat es mir erzählt.«
»Ach was.« Alison lächelte selbstgefällig. »Ich bin sicher, er steckt voller guter Ratschläge.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich beginne mit Phase eins«, sagte ich. »Darüber hinaus willige ich erst einmal in nichts ein.«
»Heute Abend?«
»Was meinst du mit >heute Abend<?«
»Ich meine, dass du dich heute Abend an den Computer begibst und dir ein paar Partnerbörsen anschaust.« Sie riss die Seite vom Notizblock ab, faltete das Papier zusammen und reichte es mir. »Dann kannst du mir morgen schon was berichten.«
»Morgen schaffe ich es vielleicht nicht, dich zu besuchen«, erwiderte ich hochmütig und ergriff meinen Mantel. »Ich habe nämlich auch noch ein Leben, weißt du.« Aber dann nahm ich ihr doch das Blatt Papier aus der Hand und steckte es in meine Manteltasche.
Alison grinste nur, und das aus gutem Grund. Seit sie vor sechs Wochen zu einer hochdosierten und offensichtlich vergeblichen Strahlentherapie ins Krankenhaus eingeliefert worden war, hatte ich sie jeden Tag besucht.
»Geh nirgendwohin«, sagte ich wie immer und hauchte einen Kuss auf ihre Wange. Sie zwinkerte mir zu, glücklich, trotz der Müdigkeit, die sich langsam in ihrem Gesicht abzeichnete.
»Vielleicht doch«, erwiderte sie spitzbübisch. »Ich habe nämlich auch ein Leben, weißt du.«
Copyright der Originalasugabe © 2009 by Susy Mcphee
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Übersetzung:»Margarethe Pée«
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Bibliographische Angaben
- Autor: Susy Mcphee
- 2010, 1, 271 Seiten, Maße: 12,4 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868003010
- ISBN-13: 9783868003017
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