Schwarze Frau, weißes Land
Waris Diries Arbeit als Topmodel und ihr Engagement für die Menschrechte machten sie auf der ganzen Welt berühmt. Doch sie ist eine Getriebene - hin- und hergerissen zwischen ihrer afrikanischen Heimat und der westlichen Welt. Und sie weiß...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Schwarze Frau, weißes Land “
Waris Diries Arbeit als Topmodel und ihr Engagement für die Menschrechte machten sie auf der ganzen Welt berühmt. Doch sie ist eine Getriebene - hin- und hergerissen zwischen ihrer afrikanischen Heimat und der westlichen Welt. Und sie weiß eines: Sie möchte ihrem Sohn Leon das geben, was ihr fehlt: Heimat.
Klappentext zu „Schwarze Frau, weißes Land “
Waris Dirie wurde in der afrikanischen Wüste geboren und sie ist ihr Leben lang eine Nomadin geblieben. Ihre Arbeit als Topmodel und ihr Engagement für Menschenrechte machten sie in der ganzen Welt berühmt, doch sie ist eine Getriebene, die zwischen den Kulturen steht. Ihr neues Buch handelt von ihrem Doppelleben in ihrer neuen "weißen Heimat" wo sie einerseits gefeiert wird, andererseits aber eine Fremde ist, die im Alltag allein wegen ihrer Hautfarbe von Taxifahrern abgewiesen und von Männern als Freiwild betrachtet wird.Als ihr Sohn Leon auf die Welt kommt, wird Waris Dirie ihre Zerrissenheit und Heimatlosigkeit schmerzlich bewusst. Und sie beschließt, ihrem Kind das zu geben, was sie selbst schon lange nicht mehr kennt: eine wirkliche Heimat.
Lese-Probe zu „Schwarze Frau, weißes Land “
Schwarze Frau, weißes Land von Waris Dirie Prolog
Der Traum der Wüstenblume
... mehr
»Leon, ich werde dich nie verlassen.« Zärtlich betrachte ich meinen kleinen Sohn, während ich ihm diesen Satz ins Ohr flüstere. Leon liegt mit geschlossenen Augen friedlich auf meinem Bauch und schmiegt sich an mich. Ich genieße den Moment der Ruhe und Stille, und die Hängematte, in der wir beide liegen, schaukelt ihn sanft in den Schlaf.
Nach einer Weile drehe ich den Kopf und blicke über den Rand der Hängematte, die ich auf der Terrasse meiner kleinen Lodge aufgehängt habe. Ich kann es kaum fassen, dass dies hier unser neues Zuhause ist. Die ehemals alte, heruntergekommene Farm, die seit Jahren leer stand, liegt etwas abseits von einem Dorf an einer kleinen Straße. In Eigenregie haben meine Brüder und ich mit unseren Helfern das halb abgedeckte Dach erneuert und die von Pflanzen überwucherte, baufällige Ruine Stück für Stück renoviert und instand gesetzt, bis das Haus bewohnbar war.
Hinter der Terrasse erstreckt sich die wunderschöne Natur Tansanias. Alles ist grün, die Pflanzen stehen in voller Blüte, und an dem ovalen See am Ende des großen Grundstücks nisten zahlreiche Wasservögel. Tief atme ich den Duft der Rosen ein, die ich selbst gepflanzt habe und die nun langsam am Geländer der Veranda emporranken. Ich beobachte einige Ziegen, die im Garten herumlaufen und grasen, und halte Ausschau nach meiner Mutter, die ganz in der Nähe sein muss. Auf der anderen Seite der Lodge sind meine beiden Brüder gerade dabei, einen neuen Holzzaun aufzustellen. Ich höre sie reden und lachen.
Als ich die heruntergekommene Farm zum ersten Mal sah, wusste ich sofort, dass dies hier der Ort war, an dem ich meinen großen Traum verwirklichen könnte. Ich war mit dem Vorhaben hierher nach Ostafrika gekommen, für die Frauen aus der Region Arbeitsplätze zu schaffen. Sie sollten nicht nur fair bezahlt werden, sondern auch etwas über Landwirtschaft und die Führung einer kleinen Farm lernen. Wertvolles Wissen, das ihnen einen Weg in eine neue, unabhängige Zukunft weisen sollte.
Ich versuche, mich so wenig wie möglich zu bewegen, um Leon nicht aufzuwecken, und schaue in die andere Richtung. Der Ausblick von meinem Platz ist einfach unglaublich. In der Ferne zeichnen sich die Umrisse des gewaltigen Kilimandscharo, des höchsten Bergmassivs Afrikas, mit seiner schneebedeckten Spitze vor dem Horizont ab. Der Himmel ist strahlend blau, trotzdem ist die Lufttemperatur selbst jetzt, am späten Nachmittag, noch immer sehr erträglich. Es weht ein leichter Wind, der ein angenehmes Gefühl auf der Haut hinterlässt.
Leon bewegt sich, und ich merke, wie sehr mich dieser Moment mit meinem schlafenden Baby auf dem Bauch erfüllt. Hier, in meiner Hängematte, mit meinem kleinen Leon, mit meiner ganzen Familie in meiner Nähe, bin ich endlich am Ziel angekommen.
Dann höre ich ein Geräusch, und als ich aufblicke, entdecke ich durch die geöffnete Tür meinen älteren Sohn Aleeke, der am Küchentisch sitzt und seine Hausaufgaben macht. Er ist sehr gut in der Schule, hat schon viele Freunde gefunden und fühlt sich, genau wie ich, sehr wohl hier in Tansania, diesem im Gegensatz zu meiner Heimat Somalia friedlichen Land.
Es ist der perfekte Moment. Endlich habe ich mein Zuhause gefunden. Ich kann afrikanischen Frauen dabei helfen, ihre eigene Zukunft und damit die ihres Kontinents zu verbessern. Meine ganze Familie, die ich schon verloren geglaubt hatte, habe ich hier vereint. Meine Eltern, alle meine Geschwister, meine Söhne. Alle Menschen, die ich liebe, leben nun hier mit mir, inmitten der wunderschönen Natur Ostafrikas.
Noch ist es nur ein Traum ... 1
Einmal Nomadin, immer Nomadin
Ich hatte Wien, das schon beinahe zu meiner neuen Heimat geworden war, nach langen Überlegungen im Jahr 2006 verlassen, um nach Südafrika zu ziehen. Ich wollte so gerne zurück nach Afrika und hatte gehofft, in Kapstadt eine neue Heimat finden zu können. Allerdings war dieses Vorhaben nicht ganz so verlaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich ärgerte mich zwar häufig über die Bürokratie und die pingeligen Behörden in Europa und behauptete gerne, in Afrika sehe man das alles entspannter, aber bei meiner Einreise nach Südafrika erfuhr ich das Gegenteil. Hier hatte ich nicht nur mit Bürokraten, sondern zusätzlich auch noch mit der überall herrschenden Korruption zu kämpfen.
So ist das nun mal: Wenn man in Afrika etwas will, und zwar egal was, dann muss man irgendjemanden bestechen.
Als ich vor Jahren zum ersten Mal nach Somalia zurückkehrte, um mich auf die Suche nach meiner Mutter zu machen, wurde mir dies mit aller Deutlichkeit bewusst. Von dem Moment an, als ich aus dem Flugzeug stieg, musste ich Menschen schmieren und bestechen, egal ob ich Informationen brauchte oder einfach nur unversehrt den Flughafen verlassen wollte. Ich reiste damals mit meinem Bruder Mohammed nach Somalia. Die Maschine, mit der wir nach Mogadischu flogen, hatte die Bezeichnung Flugzeug eigentlich gar nicht verdient, denn wir teilten uns den Laderaum mit Ziegen und Schafen. Am Flughafen in Somalia stand dann plötzlich ein großer Mann mit einem Maschinengewehr vor uns.
»Wir müssen ihm Geld geben«, flüsterte mein Bruder. Ich sah mich um. Überall standen Bewaffnete herum und verbreiteten mit ihren großen Gewehren Angst und Schrecken unter den ankommenden Passagieren. Zwar trugen sie die Phantasieuniform irgendeiner Rebellengruppe, sahen aber aus, als würden sie ihre »Aufgabe« durchaus ernst nehmen.
»Geld? Wofür denn? Ist der Typ vielleicht die Einreisebehörde?«, fragte ich trotzig.
»Sie werden uns die Pässe wegnehmen«, prophezeite mein Bruder besorgt.
»Das wollen wir doch mal sehen«, sagte ich kampflustig und wandte mich an den Hünen vor uns. »Entschuldigung, könnten Sie mir vielleicht ein Taxi besorgen?«
Daraufhin packte mich der Mann unsanft am Arm und zerrte mich in das Flughafengebäude, während ein anderer sich meinen Bruder schnappte. Gemeinsam brachten sie uns in einen winzigen Raum, in dem noch mehr Bewaffnete herumsaßen. Am Ende zahlten wir dann.
So ist das in Afrika, und es sieht nicht danach aus, als würde sich in absehbarer Zeit etwas daran ändern. Bis heute können Familien ihre Kinder nicht zur Schule schicken, da sie nur dann einen »freien Platz« bekommen, wenn sie Schmiergeld an den Verantwortlichen zahlen. Ladenbesitzer müssen einen Teil ihrer Einnahmen an völlig sinnlose, eigens dafür geschaffene Institutionen abgeben, damit sie ihr Geschäft führen dürfen. Wer jemals mit guten Absichten versucht hat, in Afrika ein noch so kleines Projekt anzustoßen, wird festgestellt haben, dass er einen guten Teil des Budgets für Schmiergeldzahlungen einplanen muss, vielleicht sogar mehr als für das eigentliche Vorhaben.
In Afrika ist alles möglich, aber nur, solange dafür Geld fließt. In einem Land wie Somalia, in dem es nicht mal mehr einen funktionierenden Staat gibt, braucht man keine Uniform, sondern lediglich eine furchterregend aussehende Waffe nach Wahl, um Autorität auszustrahlen.
In Ländern wie Südafrika hat der höhere Entwicklungsstandard des Landes eine schöne Mischung aus westlicher Uniformverliebtheit und afrikanischer Korruption hervorgebracht. Ergänzt wird das Ganze durch eine unglaublich hohe Kriminalitätsrate. Als ich nach Südafrika zog, konnte ich all diese Phänomene hautnah erleben.
Bei meiner Ankunft stand ich mit meiner PR-Managerin und Freundin Joanna in der Schlange der Zollstelle. Sie kam problemlos durch die Kontrolle, dann war ich an der Reihe und reichte der Frau am Schalter meinen Reisepass.
»Bitte warten Sie hier auf der Seite, Frau ... Dirie«, sagte sie.
»Meine Freundin ist schon durch«, erwiderte ich und hielt nach Joanna Ausschau.
»Bitte warten Sie hier«, wiederholte die Frau nur.
Also stand ich eine Weile neben dem Schalter herum und wartete, bis eine Frau in Uniform auf mich zukam.
»Bitte folgen Sie mir«, sagte sie nur ohne ein weiteres Wort. Ich ging mit ihr in einen kahlen, ungemütlichen Flughafenraum, wo sie auf einen Stuhl an einem kleinen Tisch deutete. Nachdem ich Platz genommen hatte, setzte sie sich mir gegenüber und blätterte eine Weile schweigend in meinem Reisepass. Dann schloss sie das Dokument, legte es vor sich auf den Tisch, stützte ihre Hände darauf und sah mich an. »Warum sind Sie hier, Frau Dirie?«, fragte sie gedehnt.
»Weil ich hier sein möchte«, erwiderte ich und war etwas erstaunt. Was für eine Frage war das denn?
»Ja, aber aus welchem Grund? Arbeiten Sie hier? Machen Sie Urlaub? Was ist der Grund Ihres Aufenthalts?«
»Ich bin nur zum Vergnügen hier«, antwortete ich. »Ich bin hier, um meinen Kontinent zu besuchen. Immerhin bin ich Afrikanerin.«
Die Frau zog eine Augenbraue hoch. »Es interessiert mich nicht, wo Sie herkommen«, sagte sie schroff. »Wie ist Ihre Adresse hier in Südafrika? Wo werden Sie wohnen?«
»Das weiß ich nicht auswendig, meine Freundin hat die Unterlagen«, entgegnete ich und wurde allmählich nervös. Ich blickte mich in dem winzigen Raum um, in dem nicht mal ein Bild an der Wand hing, und versuchte ruhig zu bleiben.
Die Frau schickte jemanden los, um Joanna zu suchen. Seit sieben Jahren begleitete sie mich jetzt schon auf meinen Reisen und zu meinen zahlreichen Terminen und war seit langem nicht mehr bloß PR-Managerin, sondern auch unverzichtbare Freundin für mich.
Als die Beamtin mit der Adresse zurückkam, stand die Frau auf und verschwand mitsamt dem Zettel und meinem Reisepass, ohne ein Wort zu mir zu sagen. Ich blieb in dem Zimmer sitzen, und meine Nervosität wich einer unbändigen Wut, denn ich wusste genau, was jetzt kommen würde.
»Sie können einreisen, allerdings wird wegen der besonderen Umstände eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von ...«, setzte die Frau an, nachdem sie zurückgekehrt war.
Ich musste zahlen, um in meinen eigenen Heimatkontinent einreisen zu dürfen. So wurde ich also in Afrika begrüßt. Als international tätiges Topmodel habe ich in den letzten Jahren sehr viel Zeit auf Flughäfen verbracht, und ich muss zugeben, in einer Schlange zu stehen gehört nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Schlimmer noch als Warten finde ich allerdings völlig sinnloses und willkürliches Warten, das nur dazu dient, den normalen, einfachen Passagieren sein kleines bisschen Autorität unter die Nase zu reiben. Flughäfen zählten nun mal zu den Orten, an denen ich schon häufiger schlimme Erfahrungen mit missbrauchter Autorität hatte machen müssen. Einmal – ich war auf dem Weg aus den USA nach England, hatte bereits eingecheckt und war sogar schon durch die Sicherheitskontrolle gegangen – schlenderte ich durch den Duty-free-Bereich. Da sprach mich unvermittelt eine uniformierte Frau von hinten an. »Ma’am, kommen Sie bitte mit mir«, sagte sie und wollte mich in ihre Richtung dirigieren.
»Gibt es ein Problem?«, fragte ich und bewegte mich keinen Zentimeter von der Stelle.
»Nein, es geht um eine Sicherheitsmaßnahme. Kommen Sie jetzt bitte mit.«
»Ich werde ganz bestimmt nicht mit Ihnen kommen«, entgegnete ich schon etwas lauter. »Ich bin bereits durch die Sicherheitskontrolle gegangen und muss meinen Flug erwischen.«
»Lady«, sagte die Frau und sah mich eindringlich an. »Kommen Sie bitte sofort mit mir, oder Sie können Ihren Flug komplett vergessen.«
Ich hatte keine Chance, denn sie war diejenige von uns beiden, die in einer Uniform steckte, und so folgte ich ihr zähneknirschend. Sie brachte mich in einen kleinen Raum ohne Fenster, in dem ein Tisch und zwei Stühle standen, nahm mir meinen Boarding Pass ab und ließ mich erst mal eine Weile warten.
Nach einer halben Ewigkeit kam sie zurück und forderte mich im Kommandoton auf, mich auszuziehen. »Ich muss Sie nach Drogen absuchen«, erklärte sie mir.
»Ich bitte Sie«, flehte ich fast schon. »Ich habe nichts bei mir, ich möchte einfach nur meinen Flug bekommen.«
Die Frau trat ganz dicht an mich heran, so dass ich den Schweiß unter ihren Armen deutlich riechen konnte. »Ma’am, machen Sie es sich nicht unnötig schwer. Ziehen Sie sich aus.«
Also zog ich mich aus.
»Und jetzt vorbeugen.« Sie begann sich Plastikhandschuhe anzuziehen. »Ich muss deine Pussy und deinen Hintern inspizieren.«
Ich stand nur regungslos da, starr vor Wut und Hilflosigkeit, und sah sie an. Sie war eine schwarze Frau, genau wie ich, wahrscheinlich sogar in meinem Alter. Das Einzige, was uns beide unterschied, war die Tatsache, dass ich nackt war und sie eine Uniform trug. Dabei war sie darunter genauso nackt wie ich. Ich richtete mich langsam auf.
»Sie werden mich nicht anfassen, Lady«, sagte ich dann. »Ihr Finger geht hier nirgends hin, schon gar nicht in die Nähe irgendeiner meiner Körperöffnungen. In mir ist nichts, das Sie zu interessieren hätte. Sie werden mir Ihren Finger ganz sicher nicht in den Hintern stecken, das garantiere ich Ihnen.« Damit begann ich mich wieder anzuziehen.
Die Frau sah mir schweigend zu. Dann verließ sie den Raum und kam kurz danach mit einem männlichen Polizisten zurück.
Er machte einen unerwartet freundlichen Eindruck. »Kann ich bitte Ihre Papiere sehen?«, fragte er.
»Die hat sie«, sagte ich und deutete auf die Polizistin.
Der Polizist ließ sich meinen Ausweis aushändigen, warf einen kurzen Blick hinein und gab ihn mir zusammen mit dem Boarding Pass zurück. Dann durfte ich gehen.
Uniformen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber Uniformen, egal welcher Art, haben einen seltsamen Effekt auf die Menschen, die sie tragen. Egal wie irrelevant die Autorität ist, die eine Uniform ihrem Träger verleiht, sie scheint ihn zu verändern und sofort dazu zu verführen, diese Autorität zu missbrauchen. Man muss dazu nicht mal eine Polizeiuniform tragen, die eines simplen Flugbegleiters oder Fahrkartenkontrolleurs ist für diesen Effekt offenbar schon ausreichend.
Copyright © 2010 by Droemer Verlag
Nach einer Weile drehe ich den Kopf und blicke über den Rand der Hängematte, die ich auf der Terrasse meiner kleinen Lodge aufgehängt habe. Ich kann es kaum fassen, dass dies hier unser neues Zuhause ist. Die ehemals alte, heruntergekommene Farm, die seit Jahren leer stand, liegt etwas abseits von einem Dorf an einer kleinen Straße. In Eigenregie haben meine Brüder und ich mit unseren Helfern das halb abgedeckte Dach erneuert und die von Pflanzen überwucherte, baufällige Ruine Stück für Stück renoviert und instand gesetzt, bis das Haus bewohnbar war.
Hinter der Terrasse erstreckt sich die wunderschöne Natur Tansanias. Alles ist grün, die Pflanzen stehen in voller Blüte, und an dem ovalen See am Ende des großen Grundstücks nisten zahlreiche Wasservögel. Tief atme ich den Duft der Rosen ein, die ich selbst gepflanzt habe und die nun langsam am Geländer der Veranda emporranken. Ich beobachte einige Ziegen, die im Garten herumlaufen und grasen, und halte Ausschau nach meiner Mutter, die ganz in der Nähe sein muss. Auf der anderen Seite der Lodge sind meine beiden Brüder gerade dabei, einen neuen Holzzaun aufzustellen. Ich höre sie reden und lachen.
Als ich die heruntergekommene Farm zum ersten Mal sah, wusste ich sofort, dass dies hier der Ort war, an dem ich meinen großen Traum verwirklichen könnte. Ich war mit dem Vorhaben hierher nach Ostafrika gekommen, für die Frauen aus der Region Arbeitsplätze zu schaffen. Sie sollten nicht nur fair bezahlt werden, sondern auch etwas über Landwirtschaft und die Führung einer kleinen Farm lernen. Wertvolles Wissen, das ihnen einen Weg in eine neue, unabhängige Zukunft weisen sollte.
Ich versuche, mich so wenig wie möglich zu bewegen, um Leon nicht aufzuwecken, und schaue in die andere Richtung. Der Ausblick von meinem Platz ist einfach unglaublich. In der Ferne zeichnen sich die Umrisse des gewaltigen Kilimandscharo, des höchsten Bergmassivs Afrikas, mit seiner schneebedeckten Spitze vor dem Horizont ab. Der Himmel ist strahlend blau, trotzdem ist die Lufttemperatur selbst jetzt, am späten Nachmittag, noch immer sehr erträglich. Es weht ein leichter Wind, der ein angenehmes Gefühl auf der Haut hinterlässt.
Leon bewegt sich, und ich merke, wie sehr mich dieser Moment mit meinem schlafenden Baby auf dem Bauch erfüllt. Hier, in meiner Hängematte, mit meinem kleinen Leon, mit meiner ganzen Familie in meiner Nähe, bin ich endlich am Ziel angekommen.
Dann höre ich ein Geräusch, und als ich aufblicke, entdecke ich durch die geöffnete Tür meinen älteren Sohn Aleeke, der am Küchentisch sitzt und seine Hausaufgaben macht. Er ist sehr gut in der Schule, hat schon viele Freunde gefunden und fühlt sich, genau wie ich, sehr wohl hier in Tansania, diesem im Gegensatz zu meiner Heimat Somalia friedlichen Land.
Es ist der perfekte Moment. Endlich habe ich mein Zuhause gefunden. Ich kann afrikanischen Frauen dabei helfen, ihre eigene Zukunft und damit die ihres Kontinents zu verbessern. Meine ganze Familie, die ich schon verloren geglaubt hatte, habe ich hier vereint. Meine Eltern, alle meine Geschwister, meine Söhne. Alle Menschen, die ich liebe, leben nun hier mit mir, inmitten der wunderschönen Natur Ostafrikas.
Noch ist es nur ein Traum ... 1
Einmal Nomadin, immer Nomadin
Ich hatte Wien, das schon beinahe zu meiner neuen Heimat geworden war, nach langen Überlegungen im Jahr 2006 verlassen, um nach Südafrika zu ziehen. Ich wollte so gerne zurück nach Afrika und hatte gehofft, in Kapstadt eine neue Heimat finden zu können. Allerdings war dieses Vorhaben nicht ganz so verlaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich ärgerte mich zwar häufig über die Bürokratie und die pingeligen Behörden in Europa und behauptete gerne, in Afrika sehe man das alles entspannter, aber bei meiner Einreise nach Südafrika erfuhr ich das Gegenteil. Hier hatte ich nicht nur mit Bürokraten, sondern zusätzlich auch noch mit der überall herrschenden Korruption zu kämpfen.
So ist das nun mal: Wenn man in Afrika etwas will, und zwar egal was, dann muss man irgendjemanden bestechen.
Als ich vor Jahren zum ersten Mal nach Somalia zurückkehrte, um mich auf die Suche nach meiner Mutter zu machen, wurde mir dies mit aller Deutlichkeit bewusst. Von dem Moment an, als ich aus dem Flugzeug stieg, musste ich Menschen schmieren und bestechen, egal ob ich Informationen brauchte oder einfach nur unversehrt den Flughafen verlassen wollte. Ich reiste damals mit meinem Bruder Mohammed nach Somalia. Die Maschine, mit der wir nach Mogadischu flogen, hatte die Bezeichnung Flugzeug eigentlich gar nicht verdient, denn wir teilten uns den Laderaum mit Ziegen und Schafen. Am Flughafen in Somalia stand dann plötzlich ein großer Mann mit einem Maschinengewehr vor uns.
»Wir müssen ihm Geld geben«, flüsterte mein Bruder. Ich sah mich um. Überall standen Bewaffnete herum und verbreiteten mit ihren großen Gewehren Angst und Schrecken unter den ankommenden Passagieren. Zwar trugen sie die Phantasieuniform irgendeiner Rebellengruppe, sahen aber aus, als würden sie ihre »Aufgabe« durchaus ernst nehmen.
»Geld? Wofür denn? Ist der Typ vielleicht die Einreisebehörde?«, fragte ich trotzig.
»Sie werden uns die Pässe wegnehmen«, prophezeite mein Bruder besorgt.
»Das wollen wir doch mal sehen«, sagte ich kampflustig und wandte mich an den Hünen vor uns. »Entschuldigung, könnten Sie mir vielleicht ein Taxi besorgen?«
Daraufhin packte mich der Mann unsanft am Arm und zerrte mich in das Flughafengebäude, während ein anderer sich meinen Bruder schnappte. Gemeinsam brachten sie uns in einen winzigen Raum, in dem noch mehr Bewaffnete herumsaßen. Am Ende zahlten wir dann.
So ist das in Afrika, und es sieht nicht danach aus, als würde sich in absehbarer Zeit etwas daran ändern. Bis heute können Familien ihre Kinder nicht zur Schule schicken, da sie nur dann einen »freien Platz« bekommen, wenn sie Schmiergeld an den Verantwortlichen zahlen. Ladenbesitzer müssen einen Teil ihrer Einnahmen an völlig sinnlose, eigens dafür geschaffene Institutionen abgeben, damit sie ihr Geschäft führen dürfen. Wer jemals mit guten Absichten versucht hat, in Afrika ein noch so kleines Projekt anzustoßen, wird festgestellt haben, dass er einen guten Teil des Budgets für Schmiergeldzahlungen einplanen muss, vielleicht sogar mehr als für das eigentliche Vorhaben.
In Afrika ist alles möglich, aber nur, solange dafür Geld fließt. In einem Land wie Somalia, in dem es nicht mal mehr einen funktionierenden Staat gibt, braucht man keine Uniform, sondern lediglich eine furchterregend aussehende Waffe nach Wahl, um Autorität auszustrahlen.
In Ländern wie Südafrika hat der höhere Entwicklungsstandard des Landes eine schöne Mischung aus westlicher Uniformverliebtheit und afrikanischer Korruption hervorgebracht. Ergänzt wird das Ganze durch eine unglaublich hohe Kriminalitätsrate. Als ich nach Südafrika zog, konnte ich all diese Phänomene hautnah erleben.
Bei meiner Ankunft stand ich mit meiner PR-Managerin und Freundin Joanna in der Schlange der Zollstelle. Sie kam problemlos durch die Kontrolle, dann war ich an der Reihe und reichte der Frau am Schalter meinen Reisepass.
»Bitte warten Sie hier auf der Seite, Frau ... Dirie«, sagte sie.
»Meine Freundin ist schon durch«, erwiderte ich und hielt nach Joanna Ausschau.
»Bitte warten Sie hier«, wiederholte die Frau nur.
Also stand ich eine Weile neben dem Schalter herum und wartete, bis eine Frau in Uniform auf mich zukam.
»Bitte folgen Sie mir«, sagte sie nur ohne ein weiteres Wort. Ich ging mit ihr in einen kahlen, ungemütlichen Flughafenraum, wo sie auf einen Stuhl an einem kleinen Tisch deutete. Nachdem ich Platz genommen hatte, setzte sie sich mir gegenüber und blätterte eine Weile schweigend in meinem Reisepass. Dann schloss sie das Dokument, legte es vor sich auf den Tisch, stützte ihre Hände darauf und sah mich an. »Warum sind Sie hier, Frau Dirie?«, fragte sie gedehnt.
»Weil ich hier sein möchte«, erwiderte ich und war etwas erstaunt. Was für eine Frage war das denn?
»Ja, aber aus welchem Grund? Arbeiten Sie hier? Machen Sie Urlaub? Was ist der Grund Ihres Aufenthalts?«
»Ich bin nur zum Vergnügen hier«, antwortete ich. »Ich bin hier, um meinen Kontinent zu besuchen. Immerhin bin ich Afrikanerin.«
Die Frau zog eine Augenbraue hoch. »Es interessiert mich nicht, wo Sie herkommen«, sagte sie schroff. »Wie ist Ihre Adresse hier in Südafrika? Wo werden Sie wohnen?«
»Das weiß ich nicht auswendig, meine Freundin hat die Unterlagen«, entgegnete ich und wurde allmählich nervös. Ich blickte mich in dem winzigen Raum um, in dem nicht mal ein Bild an der Wand hing, und versuchte ruhig zu bleiben.
Die Frau schickte jemanden los, um Joanna zu suchen. Seit sieben Jahren begleitete sie mich jetzt schon auf meinen Reisen und zu meinen zahlreichen Terminen und war seit langem nicht mehr bloß PR-Managerin, sondern auch unverzichtbare Freundin für mich.
Als die Beamtin mit der Adresse zurückkam, stand die Frau auf und verschwand mitsamt dem Zettel und meinem Reisepass, ohne ein Wort zu mir zu sagen. Ich blieb in dem Zimmer sitzen, und meine Nervosität wich einer unbändigen Wut, denn ich wusste genau, was jetzt kommen würde.
»Sie können einreisen, allerdings wird wegen der besonderen Umstände eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von ...«, setzte die Frau an, nachdem sie zurückgekehrt war.
Ich musste zahlen, um in meinen eigenen Heimatkontinent einreisen zu dürfen. So wurde ich also in Afrika begrüßt. Als international tätiges Topmodel habe ich in den letzten Jahren sehr viel Zeit auf Flughäfen verbracht, und ich muss zugeben, in einer Schlange zu stehen gehört nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Schlimmer noch als Warten finde ich allerdings völlig sinnloses und willkürliches Warten, das nur dazu dient, den normalen, einfachen Passagieren sein kleines bisschen Autorität unter die Nase zu reiben. Flughäfen zählten nun mal zu den Orten, an denen ich schon häufiger schlimme Erfahrungen mit missbrauchter Autorität hatte machen müssen. Einmal – ich war auf dem Weg aus den USA nach England, hatte bereits eingecheckt und war sogar schon durch die Sicherheitskontrolle gegangen – schlenderte ich durch den Duty-free-Bereich. Da sprach mich unvermittelt eine uniformierte Frau von hinten an. »Ma’am, kommen Sie bitte mit mir«, sagte sie und wollte mich in ihre Richtung dirigieren.
»Gibt es ein Problem?«, fragte ich und bewegte mich keinen Zentimeter von der Stelle.
»Nein, es geht um eine Sicherheitsmaßnahme. Kommen Sie jetzt bitte mit.«
»Ich werde ganz bestimmt nicht mit Ihnen kommen«, entgegnete ich schon etwas lauter. »Ich bin bereits durch die Sicherheitskontrolle gegangen und muss meinen Flug erwischen.«
»Lady«, sagte die Frau und sah mich eindringlich an. »Kommen Sie bitte sofort mit mir, oder Sie können Ihren Flug komplett vergessen.«
Ich hatte keine Chance, denn sie war diejenige von uns beiden, die in einer Uniform steckte, und so folgte ich ihr zähneknirschend. Sie brachte mich in einen kleinen Raum ohne Fenster, in dem ein Tisch und zwei Stühle standen, nahm mir meinen Boarding Pass ab und ließ mich erst mal eine Weile warten.
Nach einer halben Ewigkeit kam sie zurück und forderte mich im Kommandoton auf, mich auszuziehen. »Ich muss Sie nach Drogen absuchen«, erklärte sie mir.
»Ich bitte Sie«, flehte ich fast schon. »Ich habe nichts bei mir, ich möchte einfach nur meinen Flug bekommen.«
Die Frau trat ganz dicht an mich heran, so dass ich den Schweiß unter ihren Armen deutlich riechen konnte. »Ma’am, machen Sie es sich nicht unnötig schwer. Ziehen Sie sich aus.«
Also zog ich mich aus.
»Und jetzt vorbeugen.« Sie begann sich Plastikhandschuhe anzuziehen. »Ich muss deine Pussy und deinen Hintern inspizieren.«
Ich stand nur regungslos da, starr vor Wut und Hilflosigkeit, und sah sie an. Sie war eine schwarze Frau, genau wie ich, wahrscheinlich sogar in meinem Alter. Das Einzige, was uns beide unterschied, war die Tatsache, dass ich nackt war und sie eine Uniform trug. Dabei war sie darunter genauso nackt wie ich. Ich richtete mich langsam auf.
»Sie werden mich nicht anfassen, Lady«, sagte ich dann. »Ihr Finger geht hier nirgends hin, schon gar nicht in die Nähe irgendeiner meiner Körperöffnungen. In mir ist nichts, das Sie zu interessieren hätte. Sie werden mir Ihren Finger ganz sicher nicht in den Hintern stecken, das garantiere ich Ihnen.« Damit begann ich mich wieder anzuziehen.
Die Frau sah mir schweigend zu. Dann verließ sie den Raum und kam kurz danach mit einem männlichen Polizisten zurück.
Er machte einen unerwartet freundlichen Eindruck. »Kann ich bitte Ihre Papiere sehen?«, fragte er.
»Die hat sie«, sagte ich und deutete auf die Polizistin.
Der Polizist ließ sich meinen Ausweis aushändigen, warf einen kurzen Blick hinein und gab ihn mir zusammen mit dem Boarding Pass zurück. Dann durfte ich gehen.
Uniformen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber Uniformen, egal welcher Art, haben einen seltsamen Effekt auf die Menschen, die sie tragen. Egal wie irrelevant die Autorität ist, die eine Uniform ihrem Träger verleiht, sie scheint ihn zu verändern und sofort dazu zu verführen, diese Autorität zu missbrauchen. Man muss dazu nicht mal eine Polizeiuniform tragen, die eines simplen Flugbegleiters oder Fahrkartenkontrolleurs ist für diesen Effekt offenbar schon ausreichend.
Copyright © 2010 by Droemer Verlag
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Autoren-Porträt von Waris Dirie
Waris Dirie wuchs in einer Nomadenfamilie in der somalischen Wüste auf. Im Alter von fünf Jahren erlebte sie die Qualen der Beschneidung - ein Ritual, an dessen Folgen ihre Schwester und zwei Cousinen gestorben sind. Mit vierzehn floh sie zu Verwandten nach Mogadischu und arbeitete dann vier Jahre als Hausmädchen bei ihrem Onkel in London. Mit achtzehn wurde Waris Dirie als Model entdeckt. Lange war es ihr nicht möglich, darüber zu sprechen, was ihr in jungen Jahren zugestoßen war. Doch nach und nach reifte in Waris Dirie der Entschluss, ihre Leiden vor der Öffentlichkeit nicht mehr länger zu verheimlichen. Sie schrieb ihr Aufsehen erregendes erstes Buch "Wüstenblume", das zu einem riesigen Bestseller in 21 Ländern wurde und auch in Deutschland über 100 Wochen auf der Bestsellerliste stand. Heute lebt sie mit ihrem kleinen Sohn in New York und engagiert sich als Sonderbotschafterin der UNO gegen die Beschneidung von Frauen, die noch heute in 28 Ländern der Welt praktiziert wird. 2013 wurde Waris Dirie mit dem "Thomas-Dehler-Preis" für ihr Menschenrechts-Engagement ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Waris Dirie
- 2010, 334 Seiten, 16 farbige Abbildungen, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 342627535X
- ISBN-13: 9783426275351
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