Lockruf der Finsternis
Roman. Deutsche Erstausgabe
In ihrer Hochzeitsnacht wird Amelias Ehemann von schrecklichen Kreaturen ermordet und nun muss Amelia vor ihnen fliehen. Nur der geheimnisvolle Gabriel Wulf kann ihr helfen. Der Mann, der sie seit Jahren in ihren Träumen verfolgt. Doch mit seinen...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Lockruf der Finsternis “
In ihrer Hochzeitsnacht wird Amelias Ehemann von schrecklichen Kreaturen ermordet und nun muss Amelia vor ihnen fliehen. Nur der geheimnisvolle Gabriel Wulf kann ihr helfen. Der Mann, der sie seit Jahren in ihren Träumen verfolgt. Doch mit seinen Gefühlen zu Amelia erwacht auch die Bestie in ihm.
Klappentext zu „Lockruf der Finsternis “
Die schrecklichen Kreaturen, die Amelias Mann ermordet haben, verfolgen auch sie. Einzig der geheimnisvolle Gabriel Wulf steht ihr bei - der Mann, den sie vor Jahren in den Straßen Londons sah und der sie seitdem in ihren Träumen verfolgt - Gabriels einziges Streben ist es, den grausamen Fluch zu lösen, der auf seiner Familie lastet. Und er muss Amelia beschützen - vor dem, was in den Wäldern auf sie lauert, und vor sich selbst. Nie darf sie erfahren, was er wirklich ist. Doch
sosehr sich Gabriel dagegen wehrt: Amelia hat sein Herz bereits entflammt. Und mit der Leidenschaft erwacht auch die Bestie in ihm -
Lese-Probe zu „Lockruf der Finsternis “
Lockruf der Finsternis von Rhonda Thompson1. Kapitel
Collingsworth Manor,
England, 1821
Er bringt mich um . . . mein eigener Ehemann bringt mich um, schoss es Lady Amelia Sinclair-Collingsworth durch den Kopf, als Lord Collingsworth’ Hände sich um ihre Kehle schlossen. Nur dass seine für gewöhnlich so gepflegten Hände sich im Dunkeln gar nicht wie Hände, sondern mehr wie . . .
Pranken anfühlten. Es war Amelias Hochzeitsnacht, und ihr normalerweise eher zurückhaltender Ehemann benahm sich auf einmal weder zurückhaltend noch wie der Gentleman, den sie heute Morgen in London geheiratet hatte. Was war nur in ihn gefahren?
»Du tust mir weh, Robert!«, keuchte sie unter ihm auf ihrem Ehebett, in dem sie gewillt gewesen war, ihre Unschuld, aber nicht ihr Leben zu verlieren.
Ihr Bräutigam lachte. Und es klang alles andere als normal, dieses Lachen. Seine Stimme dröhnte tief und merkwürdig verzerrt, als hätte er die ganze Kehle voller Steine. Aber noch viel unheimlicher waren seine klauenartigen Finger, die nun an ihrem Nacken hinunterglitten und das Nachthemd, das sie trug, vom Halsausschnitt bis zu ihrer Taille auseinanderrissen.
Amelia schrie und wand sich unter Roberts Körper, der sie auf Dem Bett festhielt und erstaunlich schwer war für einen Mann, den ihr Vater einmal als »zerbrechlich aussehend« bezeichnet hatte.
»Robert, bitte!«, sagte sie in flehentlichem Ton. »Du jagst mir Angst ein.«
Da war es wieder, dieses dämonische Lachen, bei dem sich ihr dieNackenhaare sträubten. »Robert ist nicht hier«, schnarrte er.
Was wollte er damit sagen? War dies vielleicht alles nur ein Albtraum, aus dem sie jeden Moment erwachen und sich in ihrem Elternhaus in London wiederfinden würde? Vielleicht hatte sie ja heute Morgen überhaupt nicht in Anwesenheit einer großen Anzahl
... mehr
von Mitgliedern der Londoner Oberschicht geheiratet. Vielleicht hatte sie sich gar nicht zu einem kurzen Honeymoon zu Roberts Landsitz begeben, bevor sie zu ausgedehnteren Flitterwochen ins Ausland reisen würden?
»Ich träume nur und werde gleich erwachen«, flüsterte Amelia, um sich zu beruhigen.
Robert lachte nur kurz auf und rollte sich von ihr herunter, sodass Amelia endlich wieder richtig atmen konnte. Dann hörte sie das Geräusch von zerreißendem Stoff und dachte, Robert zerrte jetzt vielleicht an seinem eigenen Nachthemd herum. Aber Traum oder nicht, das Hämmern von Amelias Herz in ihrer Brust und das Brennen der Kratzer an ihrem Nacken fühlten sich sehr real an. Ihr Instinkt riet ihr, davonzulaufen . . . solange sie noch konnte.
Um zumindest einen Fluchtversuch zu wagen, bewegte sie sich ganz langsam zu der Bettkante hinüber. Aber knochige Finger rissen sie zurück, und dann lag Robert wieder auf ihr . . .
nur war er diesmal nackt . . . und seine Haut fühlte sich nicht wie Haut, sondern wie Fell an.
Amelia krümmte ihre Finger zu Krallen und fuhr mit ihren Nägeln über seine Augen. Robert heulte auf wie ein verletztes Tier. Mit aller Kraft stieß sie ihn zurück und krabbelte unter ihm hervor, rollte sich zur Seite und landete mit einem schmerzhaft harten Aufprall auf dem Boden. Trotzdem kroch sie schnell von dem Bett weg. Aus Schamgefühl, von dem Amelia nicht allzu viel besaß, hatte Robert darauf bestanden, die Lampen unangezündet zulassen. Die Finsternis im Zimmer war erdrückend wie eine über den Kopf gezogene Decke. Wo war bloß die Tür?
»Miststück!«
Das bösartige Fauchen sandte Amelia einen kalten Schauder über ihren Rücken und ließ sie jäh verharren. Sie hatte Angst, sich zu bewegen. Angst, dass er dann merken würde, wo sie war. Als sie vorsichtig im Dunkeln mit der Hand über den Boden glitt, ertastete sie das Bein eines Möbelstücks. Eines Sekretärs, wenn sie sich recht erinnerte, da sie Roberts Zimmer neben dem ihren nur kurz gesehen hatte, als sie vor dem Abendessen zu einem kurzen Nickerchen heraufgekommen war. Langsam erhob sich Amelia auf die Knie und suchte mit der Hand die Schreibtischoberfläche ab, bis ihre Finger einen kalten, schmalen Gegenstand berührten. Bevor sie jedoch Gelegenheit bekam, ihn näher zu bestimmen, wurde sie brutal zurückgerissen und auf den Fußboden gestoßen.
»Du gehörst jetzt mir.«
Obwohl Amelia Robert in der Dunkelheit nicht sehen konnte, fühlte sie, wie er sich über sie beugte. Sein Atem war übel riechend wie der eines rohes Fleisch fressenden Tiers. Ihr Kopf schmerzte, wo sie auf dem Boden aufgeschlagen war; ihr Nacken brannte von den Kratzwunden an ihrem Hals. Und nun schob Robert auch noch ihr Kleid hinauf und zwang mit dem Knie ihre Beine auseinander. Amelia drehte sich der Magen um, als sie seine glatten, scharfen Krallen an ihren nackten Schenkeln spürte. Nun würde dieser Mann, dieses Etwas, das unmöglich Robert sein konnte, ihr die Unschuld nehmen. Amelias Mutter hatte ihr gesagt, in ihrer Hochzeitsnacht müsse sie sich Robert widerstandslos unterwerfen. Sie müsse alles tun, was er von ihr verlangte. Einen Teufel werde ich tun!, dachte Amelia. Sie nahm den dünnen, kalten Gegenstand noch fester in die Hand, hob ihn hoch und ließ ihn jäh herunterfahren.
Es folgte ein Geräusch, das sie daran erinnerte, wie es sich anhörte, wenn die Köchin ein Messer in rohes Lammfleisch stieß. Robert heulte wieder auf, geriet plötzlich ins Schwanken und fiel von ihr herunter. Noch immer mit wild pochendem Herzen rollte Amelia sich auf den Bauch und kroch davon. Sie rechnete jeden Augenblick damit, dass die klauenähnlichen Hände ihren Fuß ergreifen würden und war sich sicher, dass Robert sie in seinem Schmerz und seiner Wut nun töten würde. Stattdessen aber wurde urplötzlich die Tür zu ihrem angrenzenden Zimmer aufgerissen.
Amelia hatte dort eine Kerze brennen lassen, deren sanfter Schein nun die Silhouette eines Mannes beleuchtete – eines hochgewachsenen Mannes von sehr kräftiger Statur. Das Kerzenlicht fiel auf sein blondes Haar und ließ es fast wie Gold erscheinen.
Jetzt wusste Amelia, dass es ein Traum sein musste.
Sie hatte schon oft von diesem Mann geträumt.
»Was zum Teufel ist hier los?«, wollte er von ihr wissen. Komisch. Er hatte in ihren Träumen noch nie etwas gesagt. Und hätte er es getan, dann würde sie ihm die gleiche Stimme angedichtet haben, mit der er jetzt sprach. Leise, tief und geradezu beunruhigend sinnlich. Nur Lord Gabriel Wulf würde eine solche Stimme haben. Nur er würde in ihren Albträumen erscheinen, um sie zu retten. Aber natürlich konnte er gar nicht wirklich hier sein. Dies alles konnte sich nicht wirklich zutragen. Amelia kicherte über ihr eigenes Einbildungsvermögen, aber den hysterischen Ton, der in ihrer Stimme mitschwang,
konnte sie nicht ignorieren.
»Wer ist da?«, fragte der Mann, den sie aus ihren Träumen kannte.
Würde er mit ihr sprechen, wenn sie antwortete? Ihr Traum wurde von Minute zu Minute aberwitziger. »Lady Amelia«, antwortete sie. »Collingsworth«, setzte sie mit einem weiteren unterdrückten Kichern hinzu. »Oder zumindest bis vorhin. Ich habe nämlich gerade meinen Mann getötet.«
Ein schockiertes Schweigen folgte ihren Worten. Der hochgewachsene Fremde trat noch weiter in den Raum. Amelia bemerkte die dunklen Umrisse einer Pistole in seiner Hand.
Ach du liebe Güte. Würde er sie jetzt erschießen? Würde der Albtraum, in dem Robert sie hatte töten wollen, sich in einen anderen verwandeln, in dem Gabriel Wulf der Mörder war?
»Wo ist Lord Collingsworth?«
Wahrscheinlich war es sogar in einem Traum das Beste, einem Mann zu antworten, der eine Waffe in der Hand hielt. »Dort auf dem Boden neben dem Bett.« Falls sie träumte, und es konnte ja gar nicht anders sein, war dieser Albtraum viel zu lebendig. Sie hätte schwören können, dass sie Blut über ihren Nacken rinnen fühlte. »Robert . . . er hat versucht, mir etwas anzutun. Er ist . . . nicht er selbst.«
Wieso sie sich überhaupt die Mühe machte, etwas zu erklären, obwohl nichts an ihrem Traum auch nur den kleinsten Sinn ergab, verstand Amelia selbst nicht. Aber vielleicht begriff sie in tiefster Seele ja doch, wieso sie träumte, dass ihr frischgebackener Ehemann zu einem Ungeheuer geworden war und warum Lord Gabriel Wulf in diesem Traum erschien, um sie zu retten. Die Gesellschaft war das wahre Ungeheuer. Dass sie die Erwartungen, die man in sie gesetzt hatte, zu erfüllen versuchte, blieb offenbar nicht ungestraft. Gabriel Wulf stand für die rebellische Seite ihrer Natur. Er war der Inbegriff der Freiheit.
»Robert ist nicht hier.«
Dass er Roberts Worte exakt wiederholte, verursachte Amelia eine Gänsehaut. Aber nicht nur die Erinnerung an das, was sich vorher abgespielt hatte, ließ sie frösteln. Wenn Robert nicht hier war, wo war er dann?
Ein dunkler Schatten erhob sich plötzlich hinter Amelias blondem Engel. Etwas Silbernes blitzte im Dunkeln auf. Der Gegenstand fuhr in einer stoßenden Bewegung hinunter und bohrte sich in Gabriel Wulfs Schulter. Dann wurden die Geräusche eines Handgemenges laut. Eine Pistole wurde abgefeuert.
Amelia schrie auf, schloss die Augen und schlug die Hände vor die Ohren. Als jemand sie berührte, schrie sie wieder gellend auf.
»Habt keine Angst, ich tue Euch nichts.«
Wie konnte jemand eine so gefährlich sinnliche und zugleich tröstliche und beruhigende Stimme haben? Niemand konnte das. Oder höchstens dann, wenn er wirklich nur ein Trugbild ihrer Fantasie war. Amelia griff nach diesem winzigen Rest von Vernunft und klammerte sich daran fest. Das Beste wäre jetzt wohl, zu erwachen. Aus dem Traum zu erwachen, bevor sie sich in die Arme des Mannes warf. Bevor der Trost, den sie aus ihm bezog, zu etwas anderem wurde. Aber sie erwachte nicht, und warf sich auch nicht in Lord Gabriels Arme. Plötzlich öffnete sich die Tür zu Roberts Zimmer einen Spalt, in dem die flackernde Flamme einer kleinen Kerze erschien.
»Mylady?«, rief eine weibliche Stimme. »Ich habe einen Schuss gehört. Was geht hier vor?«
Mit angsterfüllten Augen erschien nun eine schmale Gestalt auf der Schwelle zu dem Zimmer. Amelia konnte sich nicht an den Namen der jungen Bediensteten erinnern, aber sie war die einzige, die sie und Robert bei ihrer Ankunft in Collingsworth Manor begrüßt hatte.
Copyright 2009 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG,
Bergisch Gladbach
»Ich träume nur und werde gleich erwachen«, flüsterte Amelia, um sich zu beruhigen.
Robert lachte nur kurz auf und rollte sich von ihr herunter, sodass Amelia endlich wieder richtig atmen konnte. Dann hörte sie das Geräusch von zerreißendem Stoff und dachte, Robert zerrte jetzt vielleicht an seinem eigenen Nachthemd herum. Aber Traum oder nicht, das Hämmern von Amelias Herz in ihrer Brust und das Brennen der Kratzer an ihrem Nacken fühlten sich sehr real an. Ihr Instinkt riet ihr, davonzulaufen . . . solange sie noch konnte.
Um zumindest einen Fluchtversuch zu wagen, bewegte sie sich ganz langsam zu der Bettkante hinüber. Aber knochige Finger rissen sie zurück, und dann lag Robert wieder auf ihr . . .
nur war er diesmal nackt . . . und seine Haut fühlte sich nicht wie Haut, sondern wie Fell an.
Amelia krümmte ihre Finger zu Krallen und fuhr mit ihren Nägeln über seine Augen. Robert heulte auf wie ein verletztes Tier. Mit aller Kraft stieß sie ihn zurück und krabbelte unter ihm hervor, rollte sich zur Seite und landete mit einem schmerzhaft harten Aufprall auf dem Boden. Trotzdem kroch sie schnell von dem Bett weg. Aus Schamgefühl, von dem Amelia nicht allzu viel besaß, hatte Robert darauf bestanden, die Lampen unangezündet zulassen. Die Finsternis im Zimmer war erdrückend wie eine über den Kopf gezogene Decke. Wo war bloß die Tür?
»Miststück!«
Das bösartige Fauchen sandte Amelia einen kalten Schauder über ihren Rücken und ließ sie jäh verharren. Sie hatte Angst, sich zu bewegen. Angst, dass er dann merken würde, wo sie war. Als sie vorsichtig im Dunkeln mit der Hand über den Boden glitt, ertastete sie das Bein eines Möbelstücks. Eines Sekretärs, wenn sie sich recht erinnerte, da sie Roberts Zimmer neben dem ihren nur kurz gesehen hatte, als sie vor dem Abendessen zu einem kurzen Nickerchen heraufgekommen war. Langsam erhob sich Amelia auf die Knie und suchte mit der Hand die Schreibtischoberfläche ab, bis ihre Finger einen kalten, schmalen Gegenstand berührten. Bevor sie jedoch Gelegenheit bekam, ihn näher zu bestimmen, wurde sie brutal zurückgerissen und auf den Fußboden gestoßen.
»Du gehörst jetzt mir.«
Obwohl Amelia Robert in der Dunkelheit nicht sehen konnte, fühlte sie, wie er sich über sie beugte. Sein Atem war übel riechend wie der eines rohes Fleisch fressenden Tiers. Ihr Kopf schmerzte, wo sie auf dem Boden aufgeschlagen war; ihr Nacken brannte von den Kratzwunden an ihrem Hals. Und nun schob Robert auch noch ihr Kleid hinauf und zwang mit dem Knie ihre Beine auseinander. Amelia drehte sich der Magen um, als sie seine glatten, scharfen Krallen an ihren nackten Schenkeln spürte. Nun würde dieser Mann, dieses Etwas, das unmöglich Robert sein konnte, ihr die Unschuld nehmen. Amelias Mutter hatte ihr gesagt, in ihrer Hochzeitsnacht müsse sie sich Robert widerstandslos unterwerfen. Sie müsse alles tun, was er von ihr verlangte. Einen Teufel werde ich tun!, dachte Amelia. Sie nahm den dünnen, kalten Gegenstand noch fester in die Hand, hob ihn hoch und ließ ihn jäh herunterfahren.
Es folgte ein Geräusch, das sie daran erinnerte, wie es sich anhörte, wenn die Köchin ein Messer in rohes Lammfleisch stieß. Robert heulte wieder auf, geriet plötzlich ins Schwanken und fiel von ihr herunter. Noch immer mit wild pochendem Herzen rollte Amelia sich auf den Bauch und kroch davon. Sie rechnete jeden Augenblick damit, dass die klauenähnlichen Hände ihren Fuß ergreifen würden und war sich sicher, dass Robert sie in seinem Schmerz und seiner Wut nun töten würde. Stattdessen aber wurde urplötzlich die Tür zu ihrem angrenzenden Zimmer aufgerissen.
Amelia hatte dort eine Kerze brennen lassen, deren sanfter Schein nun die Silhouette eines Mannes beleuchtete – eines hochgewachsenen Mannes von sehr kräftiger Statur. Das Kerzenlicht fiel auf sein blondes Haar und ließ es fast wie Gold erscheinen.
Jetzt wusste Amelia, dass es ein Traum sein musste.
Sie hatte schon oft von diesem Mann geträumt.
»Was zum Teufel ist hier los?«, wollte er von ihr wissen. Komisch. Er hatte in ihren Träumen noch nie etwas gesagt. Und hätte er es getan, dann würde sie ihm die gleiche Stimme angedichtet haben, mit der er jetzt sprach. Leise, tief und geradezu beunruhigend sinnlich. Nur Lord Gabriel Wulf würde eine solche Stimme haben. Nur er würde in ihren Albträumen erscheinen, um sie zu retten. Aber natürlich konnte er gar nicht wirklich hier sein. Dies alles konnte sich nicht wirklich zutragen. Amelia kicherte über ihr eigenes Einbildungsvermögen, aber den hysterischen Ton, der in ihrer Stimme mitschwang,
konnte sie nicht ignorieren.
»Wer ist da?«, fragte der Mann, den sie aus ihren Träumen kannte.
Würde er mit ihr sprechen, wenn sie antwortete? Ihr Traum wurde von Minute zu Minute aberwitziger. »Lady Amelia«, antwortete sie. »Collingsworth«, setzte sie mit einem weiteren unterdrückten Kichern hinzu. »Oder zumindest bis vorhin. Ich habe nämlich gerade meinen Mann getötet.«
Ein schockiertes Schweigen folgte ihren Worten. Der hochgewachsene Fremde trat noch weiter in den Raum. Amelia bemerkte die dunklen Umrisse einer Pistole in seiner Hand.
Ach du liebe Güte. Würde er sie jetzt erschießen? Würde der Albtraum, in dem Robert sie hatte töten wollen, sich in einen anderen verwandeln, in dem Gabriel Wulf der Mörder war?
»Wo ist Lord Collingsworth?«
Wahrscheinlich war es sogar in einem Traum das Beste, einem Mann zu antworten, der eine Waffe in der Hand hielt. »Dort auf dem Boden neben dem Bett.« Falls sie träumte, und es konnte ja gar nicht anders sein, war dieser Albtraum viel zu lebendig. Sie hätte schwören können, dass sie Blut über ihren Nacken rinnen fühlte. »Robert . . . er hat versucht, mir etwas anzutun. Er ist . . . nicht er selbst.«
Wieso sie sich überhaupt die Mühe machte, etwas zu erklären, obwohl nichts an ihrem Traum auch nur den kleinsten Sinn ergab, verstand Amelia selbst nicht. Aber vielleicht begriff sie in tiefster Seele ja doch, wieso sie träumte, dass ihr frischgebackener Ehemann zu einem Ungeheuer geworden war und warum Lord Gabriel Wulf in diesem Traum erschien, um sie zu retten. Die Gesellschaft war das wahre Ungeheuer. Dass sie die Erwartungen, die man in sie gesetzt hatte, zu erfüllen versuchte, blieb offenbar nicht ungestraft. Gabriel Wulf stand für die rebellische Seite ihrer Natur. Er war der Inbegriff der Freiheit.
»Robert ist nicht hier.«
Dass er Roberts Worte exakt wiederholte, verursachte Amelia eine Gänsehaut. Aber nicht nur die Erinnerung an das, was sich vorher abgespielt hatte, ließ sie frösteln. Wenn Robert nicht hier war, wo war er dann?
Ein dunkler Schatten erhob sich plötzlich hinter Amelias blondem Engel. Etwas Silbernes blitzte im Dunkeln auf. Der Gegenstand fuhr in einer stoßenden Bewegung hinunter und bohrte sich in Gabriel Wulfs Schulter. Dann wurden die Geräusche eines Handgemenges laut. Eine Pistole wurde abgefeuert.
Amelia schrie auf, schloss die Augen und schlug die Hände vor die Ohren. Als jemand sie berührte, schrie sie wieder gellend auf.
»Habt keine Angst, ich tue Euch nichts.«
Wie konnte jemand eine so gefährlich sinnliche und zugleich tröstliche und beruhigende Stimme haben? Niemand konnte das. Oder höchstens dann, wenn er wirklich nur ein Trugbild ihrer Fantasie war. Amelia griff nach diesem winzigen Rest von Vernunft und klammerte sich daran fest. Das Beste wäre jetzt wohl, zu erwachen. Aus dem Traum zu erwachen, bevor sie sich in die Arme des Mannes warf. Bevor der Trost, den sie aus ihm bezog, zu etwas anderem wurde. Aber sie erwachte nicht, und warf sich auch nicht in Lord Gabriels Arme. Plötzlich öffnete sich die Tür zu Roberts Zimmer einen Spalt, in dem die flackernde Flamme einer kleinen Kerze erschien.
»Mylady?«, rief eine weibliche Stimme. »Ich habe einen Schuss gehört. Was geht hier vor?«
Mit angsterfüllten Augen erschien nun eine schmale Gestalt auf der Schwelle zu dem Zimmer. Amelia konnte sich nicht an den Namen der jungen Bediensteten erinnern, aber sie war die einzige, die sie und Robert bei ihrer Ankunft in Collingsworth Manor begrüßt hatte.
Copyright 2009 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG,
Bergisch Gladbach
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Bibliographische Angaben
- Autor: Ronda Thompson
- 2009, 347 Seiten, Maße: 12,4 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. amerikan. Engl. v. Ulrike Moreno
- Übersetzer: Ulrike Moreno
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404187423
- ISBN-13: 9783404187423
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