Blutträume
'In seinen Alpträumen sieht sich Stéphane Kismet mit blutigen Händen, von der Polizei gejagt. Und beim Aufwachen glaubt er, dass er seine eigene Zukunft gesehen hat. Gemeinsam mit dem Polizisten Victor Marchal, der in einem bestialischen Frauenmord...
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Produktinformationen zu „Blutträume “
'In seinen Alpträumen sieht sich Stéphane Kismet mit blutigen Händen, von der Polizei gejagt. Und beim Aufwachen glaubt er, dass er seine eigene Zukunft gesehen hat. Gemeinsam mit dem Polizisten Victor Marchal, der in einem bestialischen Frauenmord ermittelt, entdeckt Stéphane: Die Wirklichkeit entspricht tatsächlich seinen Visionen. Ist er ein Mörder, ohne es zu ahnen? Und wer kann verhindern, dass weitere Morde geschehen?
Klappentext zu „Blutträume “
In seinen Alpträumen sieht sich Stéphane Kismet mit blutigen Händen, von der Polizei gejagt. Und beim Aufwachen glaubt er, dass er seine eigene Zukunft gesehen hat. Gemeinsam mit dem Polizisten Victor Marchal, der in einem bestialischen Frauenmord ermittelt, entdeckt Stéphane: Die Wirklichkeit entspricht tatsächlich seinen Visionen. Ist er ein Mörder, ohne es zu ahnen? Und wer kann verhindern, dass weitere Morde geschehen?
Lese-Probe zu „Blutträume “
Blutträume von Franck Thilliez1. Donnerstag, 3. Mai, 6 Uhr 30
Die Weinflaschen
Das Bild vor seinen Augen flackerte, wurde größer, dann wieder kleiner. Ihm wäre beinah der Schädel geplatzt. Stéphane blieb mitten auf der Treppe stehen, drehte sich kurz um und stieg dann weiter ins Erdgeschoss hinab. Im Wohnzimmer tastete er nach dem Lichtschalter, betätigte ihn mehrmals, doch das Licht ging nicht an. Er erblickte nur die Blutspur, die seine Finger auf dem Putz hinterlassen hatten. Er starrte auf seine zitternden Hände, die rot befleckt waren von Leben und Tod, dann ging er rasch weiter. Der Strahl seiner Taschenlampe zerschnitt die Dunkelheit. Sein Atem brannte. Vor Schmerz. Und vor Angst. Die Gegenstände in seinem Blickfeld verschwammen miteinander. Vor ihm, zwischen zwei Säulen, hing das nüchterne bösartige Porträt der Baronin von Reille.
Links davon stand eine wunderschöne asiatische Keramikfigur, die er mit dem Ellbogen zu Boden fegte. Und auf den Fliesen schließlich lagen zerrissene Kartons, übereinandergestapelte Koffer, ein Teppichmesser mit ausgefahrener Klinge. Er rannte auf eine Tür zu, eilte die acht Stufen ins Kellergeschoss hinab. In diesem kalten Teil des riesigen Hauses hatten die Räume nur Fenster auf Höhe der Grasdecke, als versinke das steinerne Schiff unter der Erde. Zu dieser Tageszeit waren nur Schatten erkennbar. Ein Stück weiter fiel der Lichtkegel auf einen Spiegel. Stéphane blieb stehen.
Er strich mit den Fingern über die drei Kratzer auf seinem Gesicht und berührte sein linkes Auge, das angeschwollen war und voller Tränen. Mit dumpfer Gewalt ließ er seine Faust gegen die reflektierende Oberfläche krachen. Die khakifarbene Anglerjacke, die er trug, schien wie eine Granate zu bersten.
Er lief weiter durch einen von Rohren gesäumten Gang. Der gelbliche
... mehr
Lichtstrahl streifte eine Reihe Fleischerhaken an der Decke. Auf der rechten Seite lagen unförmige, dicht behaarte Knäuel, dem Zahn der Zeit überlassen. Es waren abgetrennte Köpfe. Dutzende von abgetrennten Köpfen, die Gesichter angstvoll erstarrt in ihrem letzten Schrei. Beunruhigt hob Stéphane den Kopf.
Aus dem Erdgeschoss drangen Geräusche, es waren Schritte zu hören. Jemand rannte umher. Als er sich umdrehte, schoss ein Schatten aus einer schwärzlichen Öffnung hervor und verschwand laut fauchend wieder. Seine eigene Katze erkannte ihn nicht mehr. Von Angst gepackt, lief er an mehreren Räumen vorbei, die links und rechts von ihm im Halbdunkel lagen.
In einem befanden sich Augäpfel, Gläser voll mit Fingernägeln, durchsichtige Tüten mit Haaren. In einem anderen mehrere Filmplakate: Die Fliege von Cronenberg, Das Kettensägenmassaker von Hooper, Nightmare von Wes Craven. Hier war es. Im vorletzten Raum.
Nachdem er über Kabel, Eierbriketts und zerbrochene Ziegelsteine hinweggestiegen war, stürzte er zu den Weinflaschen. Alles andere verblasste: seine Flucht, der Tod, das Blut. Jetzt zählte nur noch eins: die Anordnung der Weinflaschen. Wie erstarrt blieb Stéphane vor dem Weinregal stehen.
Der Lichtkegel seiner Taschenlampe fiel auf die oberste Reihe, den 96er Bordeaux. Darunter lag ein weiterer Wein bester Qualität: ein 99er Burgunder. Der Bordeaux oben, der Burgunder darunter. Unmöglich.
Er überprüfte es noch einmal. Der Bordeaux oben, der Burgunder darunter. Da ließ Stéphane seine Lampe fallen. Als sie auf den Boden prallte, beleuchtete sie die Einstichspuren auf seinem rechten Unterarm. Eine von ihnen war bläulich verfärbt, beinah schwarz. Jemand musste ihm eine Spritze ins Fleisch gestoßen haben. Voller Verzweiflung ließ er sich auf die Knie sinken, stöhnte wie ein in die Enge getriebenes Tier.
Er begann zu weinen, mit dem Gesicht am Boden, die Nase im Staub, der Mund voller Staub, doch dann packte ihn die Wut, und er stand wieder auf. Er stürzte zu dem Kohlehaufen und nahm das Stück Kreide, das obenauf lag. Er begann, blindlings auf die Wände aus Ziegelstein zu schreiben. Wörter, ganze Sätze. Immer mehr.
»Wann wirst du das alles lesen?« Dreimal brach die Kreide ab. Am Ende schien er beinah mit den Fingern zu schreiben. Erst im letzten Moment bemerkte er die kräftige Gestalt hinter ihm, die eine Pistole auf ihn gerichtet hatte. Der Kreislauf begann von neuem.
2. Donnerstag, 3. Mai, 6 Uhr 32
Mit zusammengebissenen Zähnen klappte Vic Marchal sein Handy zusammen. Er stand in einer Ecke des kleinen Schlafzimmers und tastete nach seinem Hemd, der schwarzen Jeans, dem Levi's-Gürtel und dem Lederholster, das am Griff eines Rudergeräts hing. Als er die Tür zur Diele öffnete, fiel ein schwacher Lichtstrahl auf den Linoleumboden. Boulogne-Billancourt erwachte bei strahlendem Sonnenschein.
»Das war Mortier«, sagte er, als er das Bett knarren hörte.
»Und?«
»Willst du wissen, was dieses Arschloch als Letztes gesagt hat?«
Seine Stimme wurde tiefer und ganz schroff: »Beeil dich, Chip, wir haben einen harten Fall. Doch vorher solltest du noch ordentlich frühstücken.«
»Chip?« Im Halbdunkel zog Vic seine Hose an. »Habe ich dir das noch nicht erzählt?«
»Du bist gestern Abend spät nach Hause gekommen.«
»Das haben sie sich als Neuestes ausgedacht. Ein Chip, der hat jede Menge Kontakte.«
Céline schaltete das Nachtlicht an, richtete sich gähnend im Bett auf und strich sich die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht. Vic betrachtete sie voll Begierde. Er mochte diese weibliche Geste, diese kaum wahrnehmbare Kopfbewegung, die sie noch immer so begehrenswert machte. Die junge Frau streckte sich wie eine Katze, die Handflächen zur Decke gerichtet.
»Meinst du, es wird gehen?« Vic stieg über einen noch verpackten Kinderwagen hinweg, umrundete einen Schachtisch aus Marmor und setzte sich neben sie.
»Wenn man von der vergifteten Atmosphäre absieht?« »Wenn man von der vergifteten Atmosphäre absieht.«
»Heute ist mein großer Tag. Sie setzen mich auf einen Fall an. Ein richtiger Mord in Saint-Ouen. Es scheint, als ob ...«
Als er den beunruhigten Blick seiner Frau sah, wechselte er lieber das Thema. »Weißt du, wo meine Turnschuhe sind?«
»Deine Turnschuhe?«
»Alle im Team tragen Turnschuhe. Sie machen sich ständig über mich lustig, nennen mich abwechselnd Chip oder Mulder.«
»Ihretwegen musst du dich nicht ändern, mein Schatz.«
»Ich versuche nur, mich zu integrieren.« Er beugte sich vor und streichelte Célines Bauch. »Heute Nacht habe ich gespürt, wie sie sich bewegt hat. Du lagst an mich geschmiegt, und die Kleine hat mich in den Rücken geboxt.«
»Vic. Ich bin erst im vierten Monat, da kannst du noch nichts spüren. Die Kleine, hast du gesagt?« »Das machen nur Mädchen bei ihrem Vater, wenn sie noch so klein sind. Noch nicht geboren und schon eine kleine Furie.«
»Es wird ein Junge werden.« Behutsam fuhr der Polizist mit der Spitze des Zeigefingers über die Wölbung ihrer Brüste. »Wir haben die Ultraschallaufnahmen«, flüsterte er. »Wir müssen nur ...« »Nein! Wir warten noch! Und außerdem kann man darauf nichts erkennen!«
»Ich werde dich wohl nicht überzeugen können, selbst wenn du noch halb schläfst, was?«
Sie setzte sich auf und zwirbelte die Haare auf seiner Brust. Aufmerksam beobachtete er ihre zierlichen, langen Hände. Er mochte es, ihnen zuzusehen, während er versuchte, ihre geheimen Absichten zu erraten.
»Ich habe mir einen anderen Vornamen überlegt«, murmelte sie. »Und?«
»Was hältst du von Tao, so wie mein Großvater?«
»Tao? Ist dir das heute Nacht eingefallen?«
»Ja, genau. Ich hatte einen seltsamen Traum. Auf Vietnamesisch bedeutet Tao >Schöpfung<.«
Er umfasste ihre dargebotene Brust.
»Hmm ... Das ist ein schöner Vorname. Sehr weich, rund, zart. Mal was anderes als Théo oder Matéo. Aber darüber müssen wir uns keine Gedanken machen, schließlich wird es ein Mädchen.«
Céline lächelte gedankenverloren, doch ihr Gesichtsausdruck wurde viel zu schnell wieder ernst. Sie zog das Bettlaken über ihre Brust, als wolle sie sich schützen. Sie war nicht sehr groß und hatte die langen glänzenden Haare, den schelmischen Blick und die leicht ovale Gesichtsform von ihrer vietnamesischen Mutter geerbt.
»Ich habe Angst, Vic.«
»Bitte hör auf, dir Sorgen zu machen. Nicht schon am frühen Morgen.«
»Ja, aber es ist das alles hier. Diese kleine Wohnung, die gehetzten Leute draußen. Wie ein riesiger Hühnerstall.«
»Ist es so schlimm?« Sie antwortete leise: »Ich habe ein ungutes Gefühl für das Baby.«
Er nahm ihre kleinen Fäuste und umfasste sie zärtlich. »Ein ungutes Gefühl. Schon wieder.«
»Du kannst sagen, was du willst, ich glaube daran.«
Céline verspürte ständig das Bedürfnis, beruhigt zu werden. Sie durchlebte ihre Schwangerschaft wie eine Art Prüfung, ein Martyrium.
»Das Baby bewegt sich nicht mehr, es atmet nicht mehr, es wird missgebildet zur Welt kommen.«
Vic sagte: »Okay, ich erkläre es dir noch einmal. Im vierten Monat sind die Nasenknochen auf dem Ultraschallbild oft noch nicht zu erkennen. Sie piken dir nur in den Bauch und entnehmen ein wenig Fruchtwasser, um sicherzugehen, dass der Fötus keine angeborene Krankheit hat. Sie werden ihm nicht den Kopf durchbohren oder ein Loch in den Bauch stechen. Heutzutage lassen das fast alle werdenden Mütter machen. Einverstanden?«
»Trotzdem besteht ein gewisses Risiko.«
»Das ist minimal!«
»Kommst du am Montag mit?« Vic wich ein wenig zurück.
»Wir sind doch erst so kurze Zeit hier, mein Schatz! Ich arbeite noch nicht mal drei Wochen! Stell dir vor, ich fehle jetzt schon!«
»Also kommst du nicht mit. Okay, schon verstanden. Deine Turnschuhe sind im Badezimmerschrank.«
Céline schaltete das Nachtlicht aus. Vic hätte das Gespräch gerne fortgesetzt, doch er ging mit hängenden Schultern aus dem Zimmer. Es war besser, nicht weiterzumachen. Er kleidete sich fertig an, zog einen Rollladen hoch und warf einen Blick auf die Stadt.
Vom dritten Stockwerk aus konnte man die Seine erkennen, den Turm des Fernsehsenders TF1 sowie ein ganzes Heer unpersönlicher Hochhäuser. Ein seltsames Geflecht aus Stahl und Beton. Er streifte sein Holster über und steckte den Polizeiausweis in die Innentasche seiner Jacke. Im Badezimmer nahm er seine Sig Sauer, legte den Finger auf den Abzug und drückte vier-, fünfmal hintereinander ab, bis sich sein Gesicht vor Schmerz verzerrte.
Mit schweißbedeckter Stirn steckte er die Waffe zurück ins Holster. Dann bog er den rechten Arm, so weit es ging, nach hinten und stieß einen lautlosen Schrei aus. Nachdem er das Licht ausgeschaltet hatte, ging er zurück ins Schlafzimmer.
»Bis heute Abend, mein Schatz.«
Er beugte sich hinab, um seine Frau zu küssen, doch sie drehte sich weg. Ihre Haut duftete nach der Sonne des Südens. Schweren Herzens machte sich der junge Leutnant auf den Weg. Céline würde den ganzen Tag lang in diesem Loch hier bleiben und ihren Gedanken nachhängen. Es wurde Zeit, dass das Baby kam. Noch fünf Monate. Dann begann ein neues Leben.
Kommandant Mortier hatte ihm empfohlen, gut zu frühstücken. Natürlich hatte Vic diesen heimtückischen Rat nicht befolgt. Es kam nicht in Frage, dass er sich an seinem ersten Tatort übergeben musste.
Aus dem Erdgeschoss drangen Geräusche, es waren Schritte zu hören. Jemand rannte umher. Als er sich umdrehte, schoss ein Schatten aus einer schwärzlichen Öffnung hervor und verschwand laut fauchend wieder. Seine eigene Katze erkannte ihn nicht mehr. Von Angst gepackt, lief er an mehreren Räumen vorbei, die links und rechts von ihm im Halbdunkel lagen.
In einem befanden sich Augäpfel, Gläser voll mit Fingernägeln, durchsichtige Tüten mit Haaren. In einem anderen mehrere Filmplakate: Die Fliege von Cronenberg, Das Kettensägenmassaker von Hooper, Nightmare von Wes Craven. Hier war es. Im vorletzten Raum.
Nachdem er über Kabel, Eierbriketts und zerbrochene Ziegelsteine hinweggestiegen war, stürzte er zu den Weinflaschen. Alles andere verblasste: seine Flucht, der Tod, das Blut. Jetzt zählte nur noch eins: die Anordnung der Weinflaschen. Wie erstarrt blieb Stéphane vor dem Weinregal stehen.
Der Lichtkegel seiner Taschenlampe fiel auf die oberste Reihe, den 96er Bordeaux. Darunter lag ein weiterer Wein bester Qualität: ein 99er Burgunder. Der Bordeaux oben, der Burgunder darunter. Unmöglich.
Er überprüfte es noch einmal. Der Bordeaux oben, der Burgunder darunter. Da ließ Stéphane seine Lampe fallen. Als sie auf den Boden prallte, beleuchtete sie die Einstichspuren auf seinem rechten Unterarm. Eine von ihnen war bläulich verfärbt, beinah schwarz. Jemand musste ihm eine Spritze ins Fleisch gestoßen haben. Voller Verzweiflung ließ er sich auf die Knie sinken, stöhnte wie ein in die Enge getriebenes Tier.
Er begann zu weinen, mit dem Gesicht am Boden, die Nase im Staub, der Mund voller Staub, doch dann packte ihn die Wut, und er stand wieder auf. Er stürzte zu dem Kohlehaufen und nahm das Stück Kreide, das obenauf lag. Er begann, blindlings auf die Wände aus Ziegelstein zu schreiben. Wörter, ganze Sätze. Immer mehr.
»Wann wirst du das alles lesen?« Dreimal brach die Kreide ab. Am Ende schien er beinah mit den Fingern zu schreiben. Erst im letzten Moment bemerkte er die kräftige Gestalt hinter ihm, die eine Pistole auf ihn gerichtet hatte. Der Kreislauf begann von neuem.
2. Donnerstag, 3. Mai, 6 Uhr 32
Mit zusammengebissenen Zähnen klappte Vic Marchal sein Handy zusammen. Er stand in einer Ecke des kleinen Schlafzimmers und tastete nach seinem Hemd, der schwarzen Jeans, dem Levi's-Gürtel und dem Lederholster, das am Griff eines Rudergeräts hing. Als er die Tür zur Diele öffnete, fiel ein schwacher Lichtstrahl auf den Linoleumboden. Boulogne-Billancourt erwachte bei strahlendem Sonnenschein.
»Das war Mortier«, sagte er, als er das Bett knarren hörte.
»Und?«
»Willst du wissen, was dieses Arschloch als Letztes gesagt hat?«
Seine Stimme wurde tiefer und ganz schroff: »Beeil dich, Chip, wir haben einen harten Fall. Doch vorher solltest du noch ordentlich frühstücken.«
»Chip?« Im Halbdunkel zog Vic seine Hose an. »Habe ich dir das noch nicht erzählt?«
»Du bist gestern Abend spät nach Hause gekommen.«
»Das haben sie sich als Neuestes ausgedacht. Ein Chip, der hat jede Menge Kontakte.«
Céline schaltete das Nachtlicht an, richtete sich gähnend im Bett auf und strich sich die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht. Vic betrachtete sie voll Begierde. Er mochte diese weibliche Geste, diese kaum wahrnehmbare Kopfbewegung, die sie noch immer so begehrenswert machte. Die junge Frau streckte sich wie eine Katze, die Handflächen zur Decke gerichtet.
»Meinst du, es wird gehen?« Vic stieg über einen noch verpackten Kinderwagen hinweg, umrundete einen Schachtisch aus Marmor und setzte sich neben sie.
»Wenn man von der vergifteten Atmosphäre absieht?« »Wenn man von der vergifteten Atmosphäre absieht.«
»Heute ist mein großer Tag. Sie setzen mich auf einen Fall an. Ein richtiger Mord in Saint-Ouen. Es scheint, als ob ...«
Als er den beunruhigten Blick seiner Frau sah, wechselte er lieber das Thema. »Weißt du, wo meine Turnschuhe sind?«
»Deine Turnschuhe?«
»Alle im Team tragen Turnschuhe. Sie machen sich ständig über mich lustig, nennen mich abwechselnd Chip oder Mulder.«
»Ihretwegen musst du dich nicht ändern, mein Schatz.«
»Ich versuche nur, mich zu integrieren.« Er beugte sich vor und streichelte Célines Bauch. »Heute Nacht habe ich gespürt, wie sie sich bewegt hat. Du lagst an mich geschmiegt, und die Kleine hat mich in den Rücken geboxt.«
»Vic. Ich bin erst im vierten Monat, da kannst du noch nichts spüren. Die Kleine, hast du gesagt?« »Das machen nur Mädchen bei ihrem Vater, wenn sie noch so klein sind. Noch nicht geboren und schon eine kleine Furie.«
»Es wird ein Junge werden.« Behutsam fuhr der Polizist mit der Spitze des Zeigefingers über die Wölbung ihrer Brüste. »Wir haben die Ultraschallaufnahmen«, flüsterte er. »Wir müssen nur ...« »Nein! Wir warten noch! Und außerdem kann man darauf nichts erkennen!«
»Ich werde dich wohl nicht überzeugen können, selbst wenn du noch halb schläfst, was?«
Sie setzte sich auf und zwirbelte die Haare auf seiner Brust. Aufmerksam beobachtete er ihre zierlichen, langen Hände. Er mochte es, ihnen zuzusehen, während er versuchte, ihre geheimen Absichten zu erraten.
»Ich habe mir einen anderen Vornamen überlegt«, murmelte sie. »Und?«
»Was hältst du von Tao, so wie mein Großvater?«
»Tao? Ist dir das heute Nacht eingefallen?«
»Ja, genau. Ich hatte einen seltsamen Traum. Auf Vietnamesisch bedeutet Tao >Schöpfung<.«
Er umfasste ihre dargebotene Brust.
»Hmm ... Das ist ein schöner Vorname. Sehr weich, rund, zart. Mal was anderes als Théo oder Matéo. Aber darüber müssen wir uns keine Gedanken machen, schließlich wird es ein Mädchen.«
Céline lächelte gedankenverloren, doch ihr Gesichtsausdruck wurde viel zu schnell wieder ernst. Sie zog das Bettlaken über ihre Brust, als wolle sie sich schützen. Sie war nicht sehr groß und hatte die langen glänzenden Haare, den schelmischen Blick und die leicht ovale Gesichtsform von ihrer vietnamesischen Mutter geerbt.
»Ich habe Angst, Vic.«
»Bitte hör auf, dir Sorgen zu machen. Nicht schon am frühen Morgen.«
»Ja, aber es ist das alles hier. Diese kleine Wohnung, die gehetzten Leute draußen. Wie ein riesiger Hühnerstall.«
»Ist es so schlimm?« Sie antwortete leise: »Ich habe ein ungutes Gefühl für das Baby.«
Er nahm ihre kleinen Fäuste und umfasste sie zärtlich. »Ein ungutes Gefühl. Schon wieder.«
»Du kannst sagen, was du willst, ich glaube daran.«
Céline verspürte ständig das Bedürfnis, beruhigt zu werden. Sie durchlebte ihre Schwangerschaft wie eine Art Prüfung, ein Martyrium.
»Das Baby bewegt sich nicht mehr, es atmet nicht mehr, es wird missgebildet zur Welt kommen.«
Vic sagte: »Okay, ich erkläre es dir noch einmal. Im vierten Monat sind die Nasenknochen auf dem Ultraschallbild oft noch nicht zu erkennen. Sie piken dir nur in den Bauch und entnehmen ein wenig Fruchtwasser, um sicherzugehen, dass der Fötus keine angeborene Krankheit hat. Sie werden ihm nicht den Kopf durchbohren oder ein Loch in den Bauch stechen. Heutzutage lassen das fast alle werdenden Mütter machen. Einverstanden?«
»Trotzdem besteht ein gewisses Risiko.«
»Das ist minimal!«
»Kommst du am Montag mit?« Vic wich ein wenig zurück.
»Wir sind doch erst so kurze Zeit hier, mein Schatz! Ich arbeite noch nicht mal drei Wochen! Stell dir vor, ich fehle jetzt schon!«
»Also kommst du nicht mit. Okay, schon verstanden. Deine Turnschuhe sind im Badezimmerschrank.«
Céline schaltete das Nachtlicht aus. Vic hätte das Gespräch gerne fortgesetzt, doch er ging mit hängenden Schultern aus dem Zimmer. Es war besser, nicht weiterzumachen. Er kleidete sich fertig an, zog einen Rollladen hoch und warf einen Blick auf die Stadt.
Vom dritten Stockwerk aus konnte man die Seine erkennen, den Turm des Fernsehsenders TF1 sowie ein ganzes Heer unpersönlicher Hochhäuser. Ein seltsames Geflecht aus Stahl und Beton. Er streifte sein Holster über und steckte den Polizeiausweis in die Innentasche seiner Jacke. Im Badezimmer nahm er seine Sig Sauer, legte den Finger auf den Abzug und drückte vier-, fünfmal hintereinander ab, bis sich sein Gesicht vor Schmerz verzerrte.
Mit schweißbedeckter Stirn steckte er die Waffe zurück ins Holster. Dann bog er den rechten Arm, so weit es ging, nach hinten und stieß einen lautlosen Schrei aus. Nachdem er das Licht ausgeschaltet hatte, ging er zurück ins Schlafzimmer.
»Bis heute Abend, mein Schatz.«
Er beugte sich hinab, um seine Frau zu küssen, doch sie drehte sich weg. Ihre Haut duftete nach der Sonne des Südens. Schweren Herzens machte sich der junge Leutnant auf den Weg. Céline würde den ganzen Tag lang in diesem Loch hier bleiben und ihren Gedanken nachhängen. Es wurde Zeit, dass das Baby kam. Noch fünf Monate. Dann begann ein neues Leben.
Kommandant Mortier hatte ihm empfohlen, gut zu frühstücken. Natürlich hatte Vic diesen heimtückischen Rat nicht befolgt. Es kam nicht in Frage, dass er sich an seinem ersten Tatort übergeben musste.
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Autoren-Porträt von Franck Thilliez
Franck Thilliez ist Ingenieur und auf neue Technologien spezialisiert. Seit einigen Jahren schreibt er sehr erfolgreich harte Thriller.
Bibliographische Angaben
- Autor: Franck Thilliez
- 2010, 528 Seiten, Maße: 11,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Kalbhen, Ingrid
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548281451
- ISBN-13: 9783548281452
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