Vitamin K
Warum wir die katholische Kirche brauchen. "Einen neuen Aufbruch wagen". Das offizielle Buch zum Katholikentag in Mannheim 2012
Das offizielle Buch zum Katholikentag im Mai: Warum wir die katholische Kirche brauchen.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch und der ZDK-Vorsitzende Alois Glück in einem Dialog, der deutlich macht: die...
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch und der ZDK-Vorsitzende Alois Glück in einem Dialog, der deutlich macht: die...
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Produktinformationen zu „Vitamin K “
Das offizielle Buch zum Katholikentag im Mai: Warum wir die katholische Kirche brauchen.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch und der ZDK-Vorsitzende Alois Glück in einem Dialog, der deutlich macht: die Kirche ist mehr als eine Sozialagentur oder Hochzeitskulisse.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch und der ZDK-Vorsitzende Alois Glück in einem Dialog, der deutlich macht: die Kirche ist mehr als eine Sozialagentur oder Hochzeitskulisse.
Klappentext zu „Vitamin K “
"Die katholische Kirche kann weder auf die Macht der Gewohnheit vertrauen noch auf die Ohnmacht der Gehorsamen. Sie muss sich erklären. Sie muss überzeugen. Sie muss beweisen, wie sie wirkt - auf die Seele des Einzelnen und aufs Knochengerüst der Gesellschaft.Robert Zollitsch und Alois Glück benennen Stärken und Schwächen ihrer katholischen Kirche. Sie erzählen von ihren eigenen heilsamen Glaubenserfahrungen, ohne Kränkungen zu verschweigen. Hier stehen zwei Rede und Antwort, die das Katholische lieben und sich doch vieles anders wünschen." Christiane Florin
Lese-Probe zu „Vitamin K “
Vitamin K von Alois Glück und Robert ZollitschVorwort
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Zeitgemäße Lebensmittel versprechen Konsumenten einen Hauch von Unsterblichkeit. Sie sind reich an Vitamin C und Kalzium, sie glätten die Haut, verschalten die Synapsen im Gehirn und stärken die Abwehrkräfte. Sie machen nicht nur satt, sondern verwöhnen unser Herz mit ungesättigten Fettsäuren. Functional Food nennen Marketingmenschen diese Produkte. Von Vitamin K ist in diesem Zusammenhang nie die Rede. Mediziner wissen: Es hilft bei der Blutgerinnung und beeinflusst die Knochendichte, aber es macht weder schlauer noch schöner noch abwehrbereiter. Neugeborenen wird Vitamin K verabreicht. Ansonsten kommt es in Gemüsen vor, die Kinder auf dem Teller meist beiseiteschieben: in Zwiebel, Kohl und Mangold. Entdeckt wurde diese Vitamin-K-Gruppe erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Immerhin erhielt der dänische Forscher Carl Peter Henrik Dam 1943 dafür den Medizin-Nobelpreis.
Hat das alles etwas mit der katholischen Kirche zu tun oder ist der Titel des Buches nur ein Wortspiel? Die Kirche muss nicht mühsam durch zig-tausendfache Vergrößerung im Mikroskop sichtbar gemacht werden. Sie springt noch immer ins Auge: Ihre Türme prägen die Silhouetten der Städte und Dörfer; nicht jeder gehört ihr an, aber jeder hat schon von ihr gehört. In Umfragen erreicht sie einen Bekanntheitsgrad von 100 Prozent, mehr als Coca Cola. Fast 25 Millionen Deutsche sind Mitglieder der römisch-katholischen Kirche. Vielleicht, weil sie an Jesus Christus den Auferstand en glauben; vielleicht, weil sie glauben, damit bessere Chancen an katholischen Kindergärten oder Schulen zu haben. Auch im karitativen Bereich - Altenheime, Notfallseelsorge, Obdachlosenhilfe - genießen die Einrichtungen beider Konfessionen hohes Ansehen. Was nachgefragt ist, wird selten in Frage gestellt. Vitamin K gilt offenbar als Kraft, die eine Gesellschaft zusammenhält.
Misstrauen und Ablehnung begegnet der katholischen Kirche dann, wenn ihre Vertreter den ureigenen geistlichen Auftrag erfüllen: wenn sie die Botschaft verkünden. Dieser Bestandteil der Vitamin-K-Gruppe steht im Verdacht, der Gesellschaft eine Überdosis Moral zu verabreichen. Die einen fühlen sich davon gestärkt, die anderen schalten auf Abwehr.
Der Deutschlandbesuch des Papstes im vergangenen Jahr zeigte diese widersprüchlichen Befunde: Einerseits wurde Benedikt XVI. beachtet und bejubelt. Die Fernsehsender übertrugen alle Gottesdienste, die Zeitungen erhoben den 84-Jährigen zum Titelhelden. Der Papst - ein geistlicher Pop-Titan in Weiß. Eine der wenigen Persönlichkeiten weltweit, die es vermögen, Millionen Menschen zu bewegen.
Andererseits machte der Besuch deutlich, wie wenig selbstverständlich die Verkündigung der Botschaft hingenommen wird. Darf der Papst im Deutschen Bundestag reden? Ist er nicht ein »Religionsführer« wie andere auch? Diese Diskussionen beschäftigte wochenlang die Leitartikler, ein Indiz dafür, dass die öffentliche Vitamin-K-Zufuhr zunehmend Allergien auslöst.
Papst Benedikt XVI. sprach dann doch vor dem nicht ganz gefüllten Plenum im Reichstagsrund, er bekam fraktionsübergreifenden Applaus. Die Kommentatoren lobten seine rhetorische und intellektuelle Brillanz. Anders gewendet: Seine Worte wurden rezensiert wie andere große Bundestagsreden auch. Auf journalistische Kniefälle oder besonderes Wohlwollen darf das Oberhaupt der katholischen Kirche nicht hoffen. Auch ein Papst muss Messbares leisten.
Die lautstarke publizistische Debatte im Herbst 2011 übertönte einen stillen gesellschaftlichen Wandel: Benedikt XVI. besuchte seine Heimat und fand ein Land vor, in dem der Katholizismus von immer weniger Menschen als Heimat empfunden wird. Soziologen stellen fest, dass die katholische Kirche ihr einstiges Kernmilieu, die bürgerliche Mitte, verloren hat. Bei den Hochfesten des Lebens und des Sterbens gehören weder Gott noch Geistlichkeit automatisch zu den geladenen Gästen. Es geht von der Wiege bis zur Bahre immer öfter auch ohne. Die Zahl der Taufen sinkt seit Jahrzehnten stärker als die Geburtenzahl, von knapp 300.00o im Jahre 1990 auf rund 170.00o. Der Traualtar ist im Wortschatz präsenter als in der Wirklichkeit. Nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz kamen 198o auf 100 zivile Eheschließungen 57 kirchliche Trauungen, 2010 waren es noch 3o. Wer in Kindheit und Jugend kein Gefühl für »seine« Kirche entwickelt hat, lässt sich auch von der Aussicht auf eine barocke Hochzeitskulisse kaum locken.
Demoskopen versüßen jede für die katholische Kirche bittere Zahl mit der Erkenntnis, die Menschen seien eigentlich auf der Suche nach Orientierung und Sinn. Sie sehnten sich nach etwas, das über diese Welt hinausreiche. Doch diese Sinnsucher scheuen die Institution so wie Kinder das vitaminreiche Gemüse, sie neigen zur spirituellen Selbstversorgung.
Die katholische Kirche kann weder auf die Macht der Gewohnheit vertrauen noch auf die Ohnmacht der Gehorsamen. Sie muss sich erklären. Sie muss überzeugen. Sie muss beweisen, wie sie wirkt. Auf die Seele des Einzelnen und aufs Knochengerüst der Gesellschaft.
Oder muss es heißen: Sie darf sich erklären, sie darf beweisen, sie darf überzeugen? Diese Perspektive wählen die beiden prominenten Katholiken in diesem Buch. Der eine ist Dr. Robert Zollitsch, Erzbischof von Freiburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, der andere Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und oberster Laie im Land. Beide schlagen nicht den Jammerton K an, sie weinen nicht ob der Verluste, sie werben stattdessen fürs Katholische. Ihre These: Unsere Gesellschaft braucht diese Kirche mitnichten als spirituelles Functional Food zu besonderen Anlässen, sondern als Lebens-Mittel.
Robert Zollitsch und Alois Glück neigen weder zum Gesundbeten noch zum Anpreisen einer Wunderwirkformel. Sie benennen Stärken und Schwächen ihrer katholischen Kirche. Sie erzählen von ihren eigenen heilsamen Glaubenserfahrungen, ohne Kränkungen zu verschweigen. Selbstredend kommt das christliche Menschenbild ausführlich zur Sprache, aber auch unchristliches Verhalten in den eigenen Reihen. Hier stehen zwei Rede und Antwort, die das Katholische lieben und sich doch vieles anders wünschen.
Die Kirche ist kein Reformhaus, auch nicht im Land der Reformatoren und hauptberuflichen Papstkritiker. Wer sich als Journalist intensiv mit ihr beschäftigt, lernt, jeder oberflächlichen Veränderungsrhetorik zu misstrauen. Ich muss zugeben: Das Motto des Katholikentages 2012, »Einen neuen Aufbruch wagen«, erschien mir zunächst wie ein müder Werbeslogan für eine Brausetablette, die nicht sprudelt.
Die Gesprächspartner waren da ganz anderer Ansicht. Und so setzten die vier Wörter ein lebhaftes Gespräch in Gang. Wer aufbrechen will, braucht einen Standpunkt, ein Ziel und eine Vorstellung davon, wie das Gelände um ihn herum beschaffen ist. Erzbischof Zollitsch und Alois Glück vermessen das Terrain, in dem sich Christsein heute bewegt, sie weichen auch unangenehmen Themenfeldern nicht aus. Und: Sie formulieren Positionen und Visionen, die sie durch ihre eigene Biografie beglaubigen.
Dieses Buch ist weder Verhör noch Plauderei. Es will die katholische Kirche jenseits der üblichen Reflexe ins Gespräch bringen. Und es zeigt, dass die Kirche das Gespräch braucht, wenn der Glaube nicht mehr vom Himmel fällt. Es gab bei den Interviews keine verbotenen Fragen und nur selten die Antwort »Das ist entschieden«. Das ist in katholischen Kreisen nicht selbstverständlich.
Die nächsten Kapitel dokumentieren einen Gedankenaustausch über Gott und die Welt, vor allem aber über Menschen. Denn Gott braucht keine Vitamine, der Mensch sehr wohl.
Christiane Florin
Aufbruch und Augenblicke:
Wovor haben Kirchen Leute Angst?
CHRISTIANE FLORIN: »Einen neuen Aufbruch wagen«, fordert das Motto des Katholikentages. Wann
haben Sie in Ihrem Leben einen Aufbruch gewagt, Herr Erzbischof?
ERZBISCHOF ROBERT ZOLLITSCH: Das musste ich notgedrungen mehrfach. Ich bin Donauschwabe; gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurden wir im damaligen Jugoslawien ins Vernichtungslager gebracht. Von dort sind wir 1945 geflohen. Damals war ich sieben Jahre alt. Diesen Aufbruch verdanke ich meiner Großmutter. Sie war so mutig und überlegte: Wenn wir hierbleiben, werden wir verhungern. Wenn wir fliehen, können wir Glück haben und über die Grenze kommen. Und wir hatten Glück.
Wir haben damals alles verlassen müssen, was für mich und mein Familie Heimat bedeutete. Die Flucht war schwierig. Stellen Sie sich vor: Es war November, und wir hatten keine Schuhe. Aber wir wollten die Freiheit, wir wollten unser Leben retten. Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht. Diese Erfahrung prägt mich bis heute. Ich habe keine Angst, wenn etwas Neues auf mich zukommt. Meine Großmutter hat mir gezeigt: Wer Mut hat, wer etwas aktiv angeht, wer sich herausfordern und rufen lässt, der kann auch gestalten. Wer das nicht riskiert, über den wird entschieden.
CH. FLORIN: Kann man es lernen, aufzubrechen?
R. ZOLLITSCH: Das ist schwer zu sagen, aber die Erfahrung kann einem selbst helfen und ich kann damit auch anderen helfen. Wer so etwas erlebt hat, kann Menschen Mut machen. Man kann glaubwürdig sagen: Das Neue ist das, in dem die Verheißung liegt. Das heißt natürlich nicht, dass alles Neue auch immer gut ist und dass man den Mut zu Neuem nur lernen kann, wenn man schon mal um sein Leben gefürchtet hat. Es muss nicht immer die Angst im Hintergrund stehen - ich will natürlich nicht mein Leben lang vor etwas fliehen.
CH. FLORIN: Hat Ihre Entscheidung, Priester zu werden, mit dieser Flucht aus dem Lager zu tun?
R. ZOLLITSCH: Ja, sie hat auch mit dieser Erfahrung zu tun. Ich möchte Menschen etwas mitgeben, ihnen sagen, wofür es sich zu leben lohnt. Ich habe erfahren und gespürt, dass Gott bei mir war und mich geführt hat. Und mehr und mehr wurde mir gewiss: Ich kann mich auf ihn verlassen, ich kann mich von ihm führen lassen. Wenn ich aufbreche, habe ich zwar eine...
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012
Zeitgemäße Lebensmittel versprechen Konsumenten einen Hauch von Unsterblichkeit. Sie sind reich an Vitamin C und Kalzium, sie glätten die Haut, verschalten die Synapsen im Gehirn und stärken die Abwehrkräfte. Sie machen nicht nur satt, sondern verwöhnen unser Herz mit ungesättigten Fettsäuren. Functional Food nennen Marketingmenschen diese Produkte. Von Vitamin K ist in diesem Zusammenhang nie die Rede. Mediziner wissen: Es hilft bei der Blutgerinnung und beeinflusst die Knochendichte, aber es macht weder schlauer noch schöner noch abwehrbereiter. Neugeborenen wird Vitamin K verabreicht. Ansonsten kommt es in Gemüsen vor, die Kinder auf dem Teller meist beiseiteschieben: in Zwiebel, Kohl und Mangold. Entdeckt wurde diese Vitamin-K-Gruppe erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Immerhin erhielt der dänische Forscher Carl Peter Henrik Dam 1943 dafür den Medizin-Nobelpreis.
Hat das alles etwas mit der katholischen Kirche zu tun oder ist der Titel des Buches nur ein Wortspiel? Die Kirche muss nicht mühsam durch zig-tausendfache Vergrößerung im Mikroskop sichtbar gemacht werden. Sie springt noch immer ins Auge: Ihre Türme prägen die Silhouetten der Städte und Dörfer; nicht jeder gehört ihr an, aber jeder hat schon von ihr gehört. In Umfragen erreicht sie einen Bekanntheitsgrad von 100 Prozent, mehr als Coca Cola. Fast 25 Millionen Deutsche sind Mitglieder der römisch-katholischen Kirche. Vielleicht, weil sie an Jesus Christus den Auferstand en glauben; vielleicht, weil sie glauben, damit bessere Chancen an katholischen Kindergärten oder Schulen zu haben. Auch im karitativen Bereich - Altenheime, Notfallseelsorge, Obdachlosenhilfe - genießen die Einrichtungen beider Konfessionen hohes Ansehen. Was nachgefragt ist, wird selten in Frage gestellt. Vitamin K gilt offenbar als Kraft, die eine Gesellschaft zusammenhält.
Misstrauen und Ablehnung begegnet der katholischen Kirche dann, wenn ihre Vertreter den ureigenen geistlichen Auftrag erfüllen: wenn sie die Botschaft verkünden. Dieser Bestandteil der Vitamin-K-Gruppe steht im Verdacht, der Gesellschaft eine Überdosis Moral zu verabreichen. Die einen fühlen sich davon gestärkt, die anderen schalten auf Abwehr.
Der Deutschlandbesuch des Papstes im vergangenen Jahr zeigte diese widersprüchlichen Befunde: Einerseits wurde Benedikt XVI. beachtet und bejubelt. Die Fernsehsender übertrugen alle Gottesdienste, die Zeitungen erhoben den 84-Jährigen zum Titelhelden. Der Papst - ein geistlicher Pop-Titan in Weiß. Eine der wenigen Persönlichkeiten weltweit, die es vermögen, Millionen Menschen zu bewegen.
Andererseits machte der Besuch deutlich, wie wenig selbstverständlich die Verkündigung der Botschaft hingenommen wird. Darf der Papst im Deutschen Bundestag reden? Ist er nicht ein »Religionsführer« wie andere auch? Diese Diskussionen beschäftigte wochenlang die Leitartikler, ein Indiz dafür, dass die öffentliche Vitamin-K-Zufuhr zunehmend Allergien auslöst.
Papst Benedikt XVI. sprach dann doch vor dem nicht ganz gefüllten Plenum im Reichstagsrund, er bekam fraktionsübergreifenden Applaus. Die Kommentatoren lobten seine rhetorische und intellektuelle Brillanz. Anders gewendet: Seine Worte wurden rezensiert wie andere große Bundestagsreden auch. Auf journalistische Kniefälle oder besonderes Wohlwollen darf das Oberhaupt der katholischen Kirche nicht hoffen. Auch ein Papst muss Messbares leisten.
Die lautstarke publizistische Debatte im Herbst 2011 übertönte einen stillen gesellschaftlichen Wandel: Benedikt XVI. besuchte seine Heimat und fand ein Land vor, in dem der Katholizismus von immer weniger Menschen als Heimat empfunden wird. Soziologen stellen fest, dass die katholische Kirche ihr einstiges Kernmilieu, die bürgerliche Mitte, verloren hat. Bei den Hochfesten des Lebens und des Sterbens gehören weder Gott noch Geistlichkeit automatisch zu den geladenen Gästen. Es geht von der Wiege bis zur Bahre immer öfter auch ohne. Die Zahl der Taufen sinkt seit Jahrzehnten stärker als die Geburtenzahl, von knapp 300.00o im Jahre 1990 auf rund 170.00o. Der Traualtar ist im Wortschatz präsenter als in der Wirklichkeit. Nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz kamen 198o auf 100 zivile Eheschließungen 57 kirchliche Trauungen, 2010 waren es noch 3o. Wer in Kindheit und Jugend kein Gefühl für »seine« Kirche entwickelt hat, lässt sich auch von der Aussicht auf eine barocke Hochzeitskulisse kaum locken.
Demoskopen versüßen jede für die katholische Kirche bittere Zahl mit der Erkenntnis, die Menschen seien eigentlich auf der Suche nach Orientierung und Sinn. Sie sehnten sich nach etwas, das über diese Welt hinausreiche. Doch diese Sinnsucher scheuen die Institution so wie Kinder das vitaminreiche Gemüse, sie neigen zur spirituellen Selbstversorgung.
Die katholische Kirche kann weder auf die Macht der Gewohnheit vertrauen noch auf die Ohnmacht der Gehorsamen. Sie muss sich erklären. Sie muss überzeugen. Sie muss beweisen, wie sie wirkt. Auf die Seele des Einzelnen und aufs Knochengerüst der Gesellschaft.
Oder muss es heißen: Sie darf sich erklären, sie darf beweisen, sie darf überzeugen? Diese Perspektive wählen die beiden prominenten Katholiken in diesem Buch. Der eine ist Dr. Robert Zollitsch, Erzbischof von Freiburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, der andere Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und oberster Laie im Land. Beide schlagen nicht den Jammerton K an, sie weinen nicht ob der Verluste, sie werben stattdessen fürs Katholische. Ihre These: Unsere Gesellschaft braucht diese Kirche mitnichten als spirituelles Functional Food zu besonderen Anlässen, sondern als Lebens-Mittel.
Robert Zollitsch und Alois Glück neigen weder zum Gesundbeten noch zum Anpreisen einer Wunderwirkformel. Sie benennen Stärken und Schwächen ihrer katholischen Kirche. Sie erzählen von ihren eigenen heilsamen Glaubenserfahrungen, ohne Kränkungen zu verschweigen. Selbstredend kommt das christliche Menschenbild ausführlich zur Sprache, aber auch unchristliches Verhalten in den eigenen Reihen. Hier stehen zwei Rede und Antwort, die das Katholische lieben und sich doch vieles anders wünschen.
Die Kirche ist kein Reformhaus, auch nicht im Land der Reformatoren und hauptberuflichen Papstkritiker. Wer sich als Journalist intensiv mit ihr beschäftigt, lernt, jeder oberflächlichen Veränderungsrhetorik zu misstrauen. Ich muss zugeben: Das Motto des Katholikentages 2012, »Einen neuen Aufbruch wagen«, erschien mir zunächst wie ein müder Werbeslogan für eine Brausetablette, die nicht sprudelt.
Die Gesprächspartner waren da ganz anderer Ansicht. Und so setzten die vier Wörter ein lebhaftes Gespräch in Gang. Wer aufbrechen will, braucht einen Standpunkt, ein Ziel und eine Vorstellung davon, wie das Gelände um ihn herum beschaffen ist. Erzbischof Zollitsch und Alois Glück vermessen das Terrain, in dem sich Christsein heute bewegt, sie weichen auch unangenehmen Themenfeldern nicht aus. Und: Sie formulieren Positionen und Visionen, die sie durch ihre eigene Biografie beglaubigen.
Dieses Buch ist weder Verhör noch Plauderei. Es will die katholische Kirche jenseits der üblichen Reflexe ins Gespräch bringen. Und es zeigt, dass die Kirche das Gespräch braucht, wenn der Glaube nicht mehr vom Himmel fällt. Es gab bei den Interviews keine verbotenen Fragen und nur selten die Antwort »Das ist entschieden«. Das ist in katholischen Kreisen nicht selbstverständlich.
Die nächsten Kapitel dokumentieren einen Gedankenaustausch über Gott und die Welt, vor allem aber über Menschen. Denn Gott braucht keine Vitamine, der Mensch sehr wohl.
Christiane Florin
Aufbruch und Augenblicke:
Wovor haben Kirchen Leute Angst?
CHRISTIANE FLORIN: »Einen neuen Aufbruch wagen«, fordert das Motto des Katholikentages. Wann
haben Sie in Ihrem Leben einen Aufbruch gewagt, Herr Erzbischof?
ERZBISCHOF ROBERT ZOLLITSCH: Das musste ich notgedrungen mehrfach. Ich bin Donauschwabe; gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurden wir im damaligen Jugoslawien ins Vernichtungslager gebracht. Von dort sind wir 1945 geflohen. Damals war ich sieben Jahre alt. Diesen Aufbruch verdanke ich meiner Großmutter. Sie war so mutig und überlegte: Wenn wir hierbleiben, werden wir verhungern. Wenn wir fliehen, können wir Glück haben und über die Grenze kommen. Und wir hatten Glück.
Wir haben damals alles verlassen müssen, was für mich und mein Familie Heimat bedeutete. Die Flucht war schwierig. Stellen Sie sich vor: Es war November, und wir hatten keine Schuhe. Aber wir wollten die Freiheit, wir wollten unser Leben retten. Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht. Diese Erfahrung prägt mich bis heute. Ich habe keine Angst, wenn etwas Neues auf mich zukommt. Meine Großmutter hat mir gezeigt: Wer Mut hat, wer etwas aktiv angeht, wer sich herausfordern und rufen lässt, der kann auch gestalten. Wer das nicht riskiert, über den wird entschieden.
CH. FLORIN: Kann man es lernen, aufzubrechen?
R. ZOLLITSCH: Das ist schwer zu sagen, aber die Erfahrung kann einem selbst helfen und ich kann damit auch anderen helfen. Wer so etwas erlebt hat, kann Menschen Mut machen. Man kann glaubwürdig sagen: Das Neue ist das, in dem die Verheißung liegt. Das heißt natürlich nicht, dass alles Neue auch immer gut ist und dass man den Mut zu Neuem nur lernen kann, wenn man schon mal um sein Leben gefürchtet hat. Es muss nicht immer die Angst im Hintergrund stehen - ich will natürlich nicht mein Leben lang vor etwas fliehen.
CH. FLORIN: Hat Ihre Entscheidung, Priester zu werden, mit dieser Flucht aus dem Lager zu tun?
R. ZOLLITSCH: Ja, sie hat auch mit dieser Erfahrung zu tun. Ich möchte Menschen etwas mitgeben, ihnen sagen, wofür es sich zu leben lohnt. Ich habe erfahren und gespürt, dass Gott bei mir war und mich geführt hat. Und mehr und mehr wurde mir gewiss: Ich kann mich auf ihn verlassen, ich kann mich von ihm führen lassen. Wenn ich aufbreche, habe ich zwar eine...
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012
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Autoren-Porträt von Alois Glück, Robert Zollitsch
Alois Glück, geboren am 24. Januar 1940 in Hörzing, ist CSU-Politiker und Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Er ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.Dr. Robert Zollitsch, Erzbischof von Freiburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.Christiane Florin, geb. 1968, Leiterin des Kulturressorts der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur" und Lehrbeauftragte für Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Mit dem Ernst-Robert-Curtius-Förderpreis für Essayistik ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Alois Glück , Robert Zollitsch
- 2012, 156 Seiten, 2 Abbildungen, Maße: 12,6 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Mitarbeit: Florin, Christiane
- Herausgegeben: Christiane Florin
- Verlag: Herder, Freiburg
- ISBN-10: 3451324725
- ISBN-13: 9783451324727
Kommentar zu "Vitamin K"
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