Der Stein der Könige, Band 1-3
Der Quell der Finsternis, Der junge Ritter, Die Pforten der Dunkelheit
Zauberkräfte, Romantik und Intrigen in einer magischen Welt, die von Menschen, Elfen, Zwergen und Orks bevölkert wird.
Der Quell der Finsternis
Prinz Dagnarus ist ein verwöhnter Hitzkopf, besessen von unbändigem...
Der Quell der Finsternis
Prinz Dagnarus ist ein verwöhnter Hitzkopf, besessen von unbändigem...
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Produktinformationen zu „Der Stein der Könige, Band 1-3 “
Zauberkräfte, Romantik und Intrigen in einer magischen Welt, die von Menschen, Elfen, Zwergen und Orks bevölkert wird.
Der Quell der Finsternis
Prinz Dagnarus ist ein verwöhnter Hitzkopf, besessen von unbändigem Machthunger - der junge Gareth ist sein Prügelknabe. Dennoch entwickelt sich zwischen den beiden ungleichen Heranwachsenden allmählich so etwas wie Freundschaft. Und als Gareth sein Talent zur Magie entdeckt, setzt er alles daran, Dagnarus den Weg zum Thron zu ebnen ...
Der junge Ritter
Zweihundert Jahre sind seit dem Fall von Alt-Vinnengael vergangen - jetzt bereitet sich Dagnarus, der Herr der untoten Vrykyl, mit einer gewaltigen Armee aus Echsenmenschen auf einen neuen Eroberungsfeldzug vor. Alle Hoffnung ruht auf dem jungen Krieger Jessan, der zusammen mit seinem Freund Bashae der Elfin Damra ein mächtiges Juwel überbringen soll: Unwissentlich trägt er den Stein der Könige, den die Götter einst den Menschen anvertrauten.
Die Pforten der Dunkelheit
Dagnarus, der Lord der Leere, und seine dämonischen Armeen stehen vor den Toren von Neu-Vinnengael. Die Verbündeten im Kampf gegen die untoten Vrykyl sehen sich unberechenbaren Gefahren ausgesetzt. Doch unbeirrbar verfolgen sie ihr Ziel, die über alle Länder verteilten Fragmente des Steins der Könige zum Portal der Götter zu bringen und dort wieder miteinander zu vereinen. Denn darin liegt ihre einzige Chance, den finsteren Herrscher und seine Horden abzuwehren ...
Zauberkräfte, Romantik und Intrigen in einer magischen Welt, die von Menschen, Elfen, Zwergen und Orks bevölkert wird. Das große Fantasy-Abenteuer in der Tradition von J. R. R. Tolkien.
Der Quell der Finsternis
Prinz Dagnarus ist ein verwöhnter Hitzkopf, besessen von unbändigem Machthunger - der junge Gareth ist sein Prügelknabe. Dennoch entwickelt sich zwischen den beiden ungleichen Heranwachsenden allmählich so etwas wie Freundschaft. Und als Gareth sein Talent zur Magie entdeckt, setzt er alles daran, Dagnarus den Weg zum Thron zu ebnen ...
Der junge Ritter
Zweihundert Jahre sind seit dem Fall von Alt-Vinnengael vergangen - jetzt bereitet sich Dagnarus, der Herr der untoten Vrykyl, mit einer gewaltigen Armee aus Echsenmenschen auf einen neuen Eroberungsfeldzug vor. Alle Hoffnung ruht auf dem jungen Krieger Jessan, der zusammen mit seinem Freund Bashae der Elfin Damra ein mächtiges Juwel überbringen soll: Unwissentlich trägt er den Stein der Könige, den die Götter einst den Menschen anvertrauten.
Die Pforten der Dunkelheit
Dagnarus, der Lord der Leere, und seine dämonischen Armeen stehen vor den Toren von Neu-Vinnengael. Die Verbündeten im Kampf gegen die untoten Vrykyl sehen sich unberechenbaren Gefahren ausgesetzt. Doch unbeirrbar verfolgen sie ihr Ziel, die über alle Länder verteilten Fragmente des Steins der Könige zum Portal der Götter zu bringen und dort wieder miteinander zu vereinen. Denn darin liegt ihre einzige Chance, den finsteren Herrscher und seine Horden abzuwehren ...
Zauberkräfte, Romantik und Intrigen in einer magischen Welt, die von Menschen, Elfen, Zwergen und Orks bevölkert wird. Das große Fantasy-Abenteuer in der Tradition von J. R. R. Tolkien.
Lese-Probe zu „Der Stein der Könige, Band 1-3 “
Der Quell der Finsternis von Margaret Weis und Tracy HickmanDer Prügelknabe
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Der Junge schaute hinauf zum Schloss. Die schimmernden Marmormauern waren feucht vom Sprühwasser der sieben Wasserfälle, die zu beiden Seiten der Anlage niederstürzten, vier im Norden und drei im Süden, und sie glitzerten in der frühmorgendlichen Sonne. Regenbögen tanzten über die Schlossmauern. Auf dem Land glaubten die Leute, dass Regenbögen feines, von Feen gesponnenes Tuch waren, und mehr als ein alberner Bursche hatte bei dem Versuch, sich dieses Tuch zu holen, in den herabstürzenden Wassermassen den Tod gefunden.
Der Junge wusste es besser. Er wusste, dass Regenbögen keine Substanz hatten und nur aus Sonnenlicht auf Wasser bestanden. Nur das, was sowohl im Dunkeln als auch im Licht existiert, ist wirklich und greifbar.
Der Junge betrachtete das Schloss ohne besondere Gefühle, nur mit einer Art gleichmütiger Schicksalsergebenheit, wie man sie häufig bei getretenen Hunden findet. Nicht, dass man ihn bisher viel getreten hätte - er war schlicht ignoriert worden. Er stand kurz davor, seine Eltern und sein Zuhause zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen, und eigentlich hätte er traurig sein sollen, verängstigt, zögerlich und voller Heimweh. Er empfand nichts dergleichen, er war nur müde von dem langen Weg, und seine neuen Wollstrümpfe waren unangenehm warm und kratzig.
Er und sein Vater standen vor dein Tor in der hohen Außenmauer. Hinter dem Tor befand sich ein Hof, und hinter dem Hof führten Tausende von Stufen hinauf zum eigentlichen Schloss, das mit der Rückfront zu einem Steilhang errichtet worden war. Das Gebäude war nach Westen ausgerichtet, die meisten Fenster gingen auf den Ildurel-See hinaus, und die Rückfront der Anlage drängte sich gegen die Felsen im Osten. Die obersten Türme erreichten gerade eben die Höhe des Hammerklauenflusses, der von Osten nach Westen strömte und dessen Fluten, die über den Steilhang talwärts stürzten, die Regenbögen erzeugten.
Die Schlossmauern bestanden aus weißem Marmor - der Junge hatte einmal bei einem Festessen eine Abbildung ebendieses Schlosses aus Zuckerwürfeln gesehen -, und sie waren mehrere Stockwerke hoch. Wie viele, hätte der Junge nicht sagen können, denn der Gebäudekomplex zog sich an der gesamten Steilwand entlang. So viele Türme ragten überall hervor, so viele Zinnen und Wehrgänge führten in alle möglichen Richtungen, und so viele kleine bleiverglaste Fenster blitzten im Sonnenlicht, dass es ihn ganz wirr im Kopf machte. Er hatte mit dem Zuckerwürfelschloss spielen wollen, und seine Mutter hatte ihm gesagt, das wäre vielleicht möglich, aber am nächsten Morgen hatten es die Mäuse schon gefressen.
Der Junge starrte nun ehrfürchtig dieses Schloss an, das nicht aus Zucker bestand und wahrscheinlich nicht von Mäusen - nicht einmal von Drachen - gefressen werden würde. Ein Flügel erregte seine besondere Aufmerksamkeit. Er lag nach Osten, ging auf die Vier Wasserfälle hinaus. Aus diesem Gebäudeflügel ragte ein Turm hervor, der höher war als die anderen und einen Balkon hatte, der ganz um den Turm herumging. Das war der Königsweg, erklärte der Vater des Jungen, und König Tamaros, die Götter mochten ihn segnen, war der Einzige, der diesen Balkon betreten durfte.
Von dort aus kann der König doch sicher die ganze Welt sehen, dachte der Junge. Oder wenn schon nicht die ganze Welt, so zumindest die gesamte riesige Stadt Vinnengael. Die sah der Junge nun schon beinahe selbst, und das, obwohl er nur auf der Palasttreppe stand.
Vinnengael war auf drei Ebenen errichtet worden. Die unterste davon befand sich auf gleicher Höhe mit dem See, der sich bis zum Horizont erstreckte und dessen anderes Ufer vom Turm des Königs aus wohl noch gerade eben zu erkennen war. Die zweite Ebene der Stadt lag auf einem Hochplateau, das sich über dem Ufer erhob, und von dort aus ragte ein weiterer Steilhang empor, der von der dritten Ebene gekrönt wurde. Der Palast befand sich auf dieser dritten Ebene. Gegenüber vom Palast, hinter dem Jungen und auf der anderen Seite eines riesigen, marmorgepflasterten Platzes, stand der Tempel der Magier.
Tempel und Palast, Herz und Kopf des Königreichs, waren die beiden größten Gebäudekomplexe auf der dritten Ebene. Im Norden gab es Kasernen, die an den Palast angebaut waren. Im Süden, auf einem Felsvorsprung, standen die eleganten Häuser der Botschafter fremder Länder.
Die Bewaffneten am Außentor warfen dem Vater des Jungen nur einen gelangweilten Blick zu, als der Mann und das Kind das Tor passierten. Der Junge reckte den Hals nach dem riesigen Fallgitter mit seinen Reihen grimmiger Zähne. Er wäre gerne stehen geblieben und hoffte, Blutspuren zu entdecken, denn er kannte die Geschichte von Nathan von Neyshabur gut, diesem Helden von Vinnengael, der befohlen hatte, das Fallgitter herunterzulassen, obwohl er selbst noch darunter stand, gegen die Feinde des Königreiches kämpfte und sich weigerte zurückzuweichen, auch wenn diese bösartigen Stahlstacheln auf ihn zuschossen. Nathan von Neyshabur hatte vor mehreren Hundert Jahren gelebt, als Stadt und Schloss noch jung gewesen waren, aber nicht die Regenbögen. Es war daher unwahrscheinlich, dass sein Blut noch vom Fallgitter tröpfelte, aber der Junge war dennoch enttäuscht.
Der Vater des Jungen riss am Umhang seines Sohnes und fragte ihn barsch, wieso er glotzte wie ein Ork bei einem Fest, und dann scheuchte er den Jungen weiter.
Sie überquerten den riesigen Hof und betraten das eigentliche Schloss, wo sich der Junge sofort verirrt hätte. Sein Vater kannte den Weg allerdings gut, denn er gehörte zum Gefolge des Königs, und nun führte er den Knaben Marmortreppen hinauf, Marmorflure entlang, bis sie ein Vorzimmer erreichten, wo der Vater den Sohn auf einen geschnitzten Stuhl drückte und einen Diener auf einen Botengang schickte.
Die kurze Wartezeit verbrachte der Junge damit, an die hohe Decke zu schauen, die von den Feuern in den offenen Kaminen Rußflecken hatte, und sich an der gegenüberliegenden Wand einen Wandteppich anzusehen, der Hunde mit lang gezogenen Körpern, lang gezogenen Schnauzen und langen Ohren darstellte, die keiner Hunderasse ähnelten, die er je gesehen hatte, und Menschen, die sich alle seitwärts gedreht hatten und einen Hirsch jagten, der - seiner Miene nach zu schließen - das alles gewaltig genoss, obwohl sechs Pfeile in ihm steckten.
Der Mann betrat das Vorzimmer - ein eher jüngerer, misslaunig und grimmig dreinschauender Mann mit einem Überrock, der vorne geknöpft war, ein üppiges Muster aufwies, einen hohen Kragen und lange, fließende Ärmel hatte. Die von der Wade abwärts zu sehenden Beine dieses Mannes waren dick und kräftig, seine Knöchel beinahe so breit wie die Füße. Seine Strumpfhose war zweifarbig, ein Bein rot, das andere blau, passend zu dem rotblauen Überrock. Sein mattbraunes Haar war, der derzeitigen Mode bei den Menschen entsprechend, zurückgekämmt und im Nacken lockig; er war glatt rasiert.
Der Vater des Jungen trug ähnliche Kleidung, ergänzt von einem Mantel, und seine Farben waren Grün und Blau. Der Junge war ähnlich gekleidet wie sein Vater, aber sein Umhang und die Kapuze bedeckten die bunten Farben weitgehend, denn es war schon Spätherbst und ziemlich kühl. Der Mann sprach kurz mit dem Vater des Jungen, dann wandte er sich dem Kind zu.
»Wie, sagtet Ihr, war sein Name?«
»Gareth, Lord Kämmerer.«
Der Kämmerer schnaubte. »Ich weiß nicht, ob ich je ein hässlicheres Kind gesehen habe.«
»Im Vergleich mit Seiner Hoheit würde jedes Kind hässlich wirken«, erwiderte der Vater.
»Das stimmt, Herr«, bestätigte der Kämmerer. »Aber dieser hier scheint sich besonders angestrengt zu haben.«
»Seine Hoheit und mein Sohn sind auf den Tag genau gleich alt, sie kamen in derselben Nacht zur Welt. Seine Majestät wünschte ...«
»Ja, ja, die Wünsche Seiner Majestät sind mir vertraut«, sagte der Kämmerer, verdrehte die Augen und schob die Daumen unter seinen breiten Ledergürtel, um anzudeuten, dass er die Wünsche Seiner Majestät für baren Unsinn hielt. Missbilligend betrachtete er den Jungen. »Nun, dagegen kann man wohl nichts tun. Als ob ich nicht schon genug Ärger hätte! Wo sind seine anderen Kleider? Ihr erwartet doch nicht von uns, dass wir ihn einkleiden?«
»Mein Diener bringt sie zum Hintereingang«, erklärte der Vater des Jungen mit einer gewissen Kühle. »Ihr erwartet doch nicht, dass wir sie auf einer Karre hier hereinschieben?«
Die beiden Männer bedachten einander mit eisigen Blicken, dann stellte der Kämmerer einen spitzen Schuh vor den anderen und verbeugte sich aus der Taille. »Euer ergebenster Diener.«
Auch der Vater des Jungen vollzog diese Geste, raffte aber dabei seinen Umhang, damit der Stoff den Boden nicht berührte und schmutzig wurde. »Euer ergebenster Diener.«
Der Junge trug immer noch Umhang und Kapuze, ihm war warm, es juckte ihn überall, und er starrte den Hirsch mit den sechs Pfeilen in der Seite an, wie er dazu ansetzte, durchs Unterholz zu springen, und dabei sehr vergnügt dreinschaute.
»Dann komm mit mir, Gareth«, sagte der Kämmerer in ergebenem Tonfall. »Verabschiede dich von deinem Vater«, fügte er vage hinzu.
Gareth verbeugte sich höflich vor seinem Vater, wie man es ihm beigebracht hatte. Der Vater erteilte dem Sohn eilig seinen Segen und machte sich rasch auf, um Seiner Majestät seine Aufwartung zu machen. Weder Vater noch Sohn waren über diesen Abschied bedrückt. Es war ohnehin sechs Monate her, seit der Junge seinen Vater zum letzten Mal gesehen hatte. Die Tatsache, dass er nun zum Hof gehörte, würde bedeuten, dass er seine adligen Eltern vermutlich häufiger sehen würde als je zuvor.
Der Kämmerer legte dem Jungen eine schwere Hand auf die Schulter und schob ihn durch mehrere Palasträume.
»Dies hier sind die Privatgemächer der Königlichen Familie«, erklärte er mit wohlklingender Stimme. »Von nun an werden sie auch dein Zuhause sein. Als Prügelknabe des Prinzen auserwählt zu werden ist eine hohe Ehre. Ich hoffe, du bist dir dessen bewusst.«
Gareth war sich im Augenblick nicht sehr vieler Dinge bewusst, nur der schweren Hand des Mannes, die ihn auf den Marmorboden zu drücken schien und ihm an der Schulter wehtat.
»Diese Stellung war sehr begehrt«, fuhr der Kämmerer fort, und seine Worte senkten sich mit ebenso viel Gewicht auf den Jungen nieder wie seine Hand. »Viele gute Jungen wurden als Bewerber vorgeschlagen, Jungen von sechzehn und sogar älter. Eine äußerst begehrte Stellung«, wiederholte er.
Gareth wusste, dass dies der Wahrheit entsprach. Sein Vater und seine Mutter und sogar die Kinderfrau hatten es ihm wieder und wieder eingetrichtert, bis es zu einem Teil von ihm geworden war wie die Holzkohle, die sich in die Hände eines Schmieds rieb. Der Prügelknabe des Prinzen wurde an Stelle des Prinzen bestraft, denn der von den Göttern bevorzugte Königssohn durfte niemals im Zorn von Menschenhänden berührt werden. Der Prügelknabe diente auch als Gesellschafter des Prinzen und wurde mit ihm zusammen erzogen. Da die beiden Jungen miteinander aufwuchsen, würden der Prügelknabe und seine Familie selbstverständlich von einer solchen Regelung profitieren.
Gareth war sich wohl bewusst, dass er diese Ehre nicht verdient hatte. Sein Vater war ein Adliger, aber kein sehr wichtiger, seine Mutter eine der Hofdamen der Königin. Für ihn sprach nur das Zusammentreffen seines Geburtstags mit dem des jungen Prinzen.
Ihre Majestät, die Königin, stammte aus Dunkarga, einem Reich im Westen, wo die Menschen offenbar daran glaubten, dass die Sterne ihr Leben beeinflussten. Gareth wusste, dass das Unsinn war; das hatte sein Vater ihm gesagt. Wie sollten weit entfernte, kalt glitzernde Gegenstände, die nicht größer waren als Staubkörner, eine Auswirkung auf die Menschen haben? Doch wohl kaum mehr als tatsächlicher Staub! Aber Gareths Eltern hatten rasch versucht, einen Vorteil aus der Tatsache zu erwirtschaften, dass Königin Emillia glaubte, die Sterne interessierten sich für sie.
Als Gareths Mutter gehört hatte, dass man einen Prügelknaben suchte, hatte sie der Königin gegenüber angedeutet, dass nur ein Junge, der unter denselben Sternen geboren war wie der Prinz, würdig wäre, dessen Schicksal zu teilen. Von diesem Gedanken beeindruckt, hatte die Königin nach dem Hofastrologen gerufen, den sie aus Dunkarga mitgebracht hatte. Dieser wiederum, die Hand noch an der von Gareths Vater wohl gefüllten Börse, hatte feierlich bestätigt, dass tatsächlich ein in derselben Nacht geborenes Kind der geeignete Prügelknabe wäre. Und da Gareth das einzige Adelskind war, das in dieser Nacht zur Welt gekommen war (sein Vater hatte sich zuvor davon überzeugt), hatte man ihn erwählt.
Nun, mit neun Jahren, sollte Gareth seine neuen Pflichten übernehmen, die darin bestanden, für die Verstöße des Prinzen bestraft zu werden. Während sie durch den Palast gingen, erinnerte sich Gareth an eine Geschichte, die seine Mutter oft erzählt hatte: Als die Königin kurz vor ihrer Niederkunft hörte, dass eine ihrer Hofdamen ebenfalls kurz davor stand, ein Kind zur Welt zu bringen, hatte sie befohlen, dass die Beine dieser Frau zusammengebunden wurden, damit kein anderes Kind ihrem Sohn zuvorkam. Zum Glück hatten die Wehen von Gareths Mutter wieder nachgelassen - wahrscheinlich wegen ihrer Angst -, sonst wäre Gareth nun wohl nicht hier im Palast gewesen. Die Wehen hatten nach der Geburt des Prinzen wieder begonnen, und Gareth war drei Stunden nach ihm zur Welt gekommen. Seine ersten Schreie waren im Lärm des Feuerwerks untergegangen, mit dem der Hof die Geburt des Prinzen feierte.
Gareths Mutter hatte ihn noch in der Nacht seiner Geburt einer Amme übergeben, so dass sie nach einer kurzen Wochenbettpause zu ihren Pflichten als Hofdame zurückkehren konnte. Gareth war auf dem Landsitz seines Vaters aufgezogen worden, überwiegend von Dienern, die den Jungen je nach Laune entweder verwöhnt oder vernachlässigt hatten.
Daher waren die Eltern, als sie in Gareths viertem Jahr zu einem ihrer seltenen Besuche auf dem Landsitz erschienen, entsetzt gewesen, ein verwöhntes Gör vorzufinden, einen kleinen Tunichtgut, so schmutzig und ungezogen wie ein Bauernkind. Gareths Vater hatte seine eigene ehemalige Kinderfrau geschickt, die Jahre zuvor in den Ruhestand gegangen war, um ihrem Mann, einem Tuchmacher, bei der Arbeit zu helfen. Nun war sie verwitwet und froh, das Geschäft ihren erwachsenen Söhnen übergeben und noch einmal in den Dienst eines adligen Haushalts treten zu können.
Sie nahm Gareths Erziehung in die Hand und brachte ihm Lesen und Schreiben und die Manieren bei, die er brauchen würde, wenn er erst alt genug war, seine Stellung bei Hofe anzutreten. Gareth vermisste seine Kinderfrau nun viel mehr, als er je seinen Vater oder seine Mutter vermisst hatte. Nachdem die Arbeit der alten Frau getan war, hatte man sie zu ihrer Familie zurückgeschickt.
»Sprichst du regelmäßig deine Gebete, junger Gareth?«, fragte der Kämmerer plötzlich.
»Ja, Herr«, erwiderte Gareth leise - die ersten Worte, die er gesprochen hatte.
»Dann sprich sie nun, junger Mann. Bete zu den Göttern, dass Seine Hoheit dich mögen wird, denn wenn das nicht der Fall ist, wird Ihre Majestät dich rasch wieder wegschicken, Sterne oder nicht.«
Gareth spähte unter seiner Kapuze hervor, abermals zu einer rußfleckigen Decke hinauf. Die Götter waren irgendwo da droben, hinter all dem Ruß und dem Marmor. So wie die Regenbögen, konnte man auch sie nicht berühren. Gareth glaubte nicht, dass sie sonderlich an ihm interessiert waren. Außerdem hätte er in diesem Augenblick eher darum gebetet, wieder nach Hause zurückkehren zu dürfen, was seine Eltern ausgesprochen zornig gemacht hätte, also nahm er an, es wäre besser, überhaupt nicht zu beten.
Der Palast verwirrte Gareth zutiefst. Es kam ihm inzwischen so vor, als sei er den größten Teil seines Lebens hier unterwegs gewesen, obwohl kaum eine Stunde vergangen war, seit er das Haupttor durchquert hatte. Er würde es lernen, diesen Palast zu lieben, seine Kühle, die gelassene Schönheit, die geheimnisvollen Nischen und Geheimgänge, aber das würde erst viel später geschehen, nachdem er sich von seinem Heimweh und der Angst davor, an einem fremden Ort zu schlafen, erholt und gelernt hatte, sich zurechtzufinden, was ihn beinahe ein Jahr kosten sollte. Im Augenblick kam ihm der Palast immens vor, voller kalter und leerer Flure, die zu riesigen, kalten Räumen führten, die mit massiven, schweren Möbeln vollgestellt waren. Über allem hing der Geruch von Holzrauch.
»Seine Hoheit weilen im Spielzimmer«, erklärte der Kämmerer.
Zwei Wachen - die königlichen Leibwächter - flankierten eine große Holztür. Gareth hatte die Königliche Wache nur an Paradetagen gesehen, und dann ausschließlich aus der Ferne. In ihren schimmernden Rüstungen und Kettenhemden kamen sie ihm riesenhaft vor, gefährliche Geschöpfe, die ihn nun ausführlich von Kopf bis Fuß nach Waffen durchsuchten, ihre Hände unter seine Samtweste schoben und sogar in seine kleinen Schuhe spähten.
Gareth hielt still und ergab sich dieser Demütigung. Irgendwann in der Vergangenheit hatte einmal ein Häuptling seinen kleinen Sohn geschickt, mit einem Dolch be-
waffnet, um den königlichen Erben zu erstechen.
»Er ist sauber«, sagte der Leibwächter und öffnete die Tür.
Der Kämmerer nickte, packte Gareth abermals an der Schulter und schob ihn ins Spielzimmer. Als sie über die Schwelle traten, beugte sich der Kämmerer vor und flüsterte barsch: »Du darfst die Spielsachen Seiner Hoheit keinesfalls berühren. Lass die Finger von Seiner Hoheit Büchern. Zupfe nicht unruhig an deiner Kleidung herum, glotze nicht,
lasse keinen Wind und starre nicht aus dem Fenster. Sprich
nicht, wenn man dich nicht dazu auffordert. Setz dich nicht in Gegenwart des Prinzen hin und wende ihm niemals
den Rücken zu, denn das ist eine schreckliche Beleidigung. Wenn du die Latrinen aufsuchen musst, bitte Seine Hoheit, dich zu entschuldigen. Wenn du ausgepeitscht wirst, schrei laut und weine viel, um Seiner Hoheit deutlich zu machen, wie sehr die Prügel ihn schmerzen.«
Das taube Gefühl, das Gareth bis hierher geholfen hatte, wich der Verzweiflung. Wären die Götter zu diesem Zeitpunkt irgendwie erreichbar gewesen, dann hätte Gareth gebetet: nicht darum, den Palast verlassen zu dürfen, denn er hatte nicht die Hoffnung, je den Weg nach draußen finden zu können, sondern einfach darum, auf der Stelle zu sterben.
Er konnte sich keines der Wunder ansehen, die ihn umgaben - wunderbare Spielsachen, die aus allen Teilen Loerems hergebracht worden waren. Er hatte kein Interesse an den Regalen voller Bücher, obwohl er gerne las und sämtliche zwei Bücher seines Vaters immer wieder gelesen hatte - diese Bücher waren seinem Vater geschenkt worden, der sie aber nie in die Hand genommen hatte. Gareth bemerkte Seine Hoheit nicht einmal, denn in seinen Augen standen Tränen, und er konnte nur neben dem Kämmerer herstolpern und versuchen, nicht über das Durcheinander auf dem Boden zu fallen.
Die Hand des Kämmerers drückte ihn nieder.
»Seine Königliche Hoheit Dagnarus, Prinz von Vinnengael.«
Gareth erinnerte sich rechtzeitig genug an die Belehrungen seines Vaters, um auf die Knie zu sinken. Er bemerkte vage, dass jemand auf ihn zukam, um ihn anzusehen, wie man ein Schwein auf einem Markt in Augenschein nimmt.
»Lass uns allein«, sagte eine Stimme, schon zu der Zeit herrisch.
Gareth nahm selbstverständlich an, dass der Prinz ihn angesprochen hatte. Er war nur zu froh, gehorchen zu können. Er sprang auf die Beine und wollte sich davonmachen. Eine Hand - seine Hand, die des Prinzen - packte ihn jedoch am Ärmel und hielt ihn fest.
»Ich sagte, lass uns allein«, wiederholte der Prinz, und Gareth begriff, dass er mit dem Kämmerer gesprochen hatte.
»Aber Euer Hoheit, Ihr wisst nichts über diesen Jungen -«
»Willst du mich dazu zwingen, dir einen Befehl dreimal zu geben?«, fragte der Prinz mit einer Schärfe, die Gareth beben ließ.
»Wie Euer Hoheit befehlen«, antwortete der Kämmerer, verbeugte sich sehr tief und verließ das Zimmer rückwärts gehend - keine einfache Sache, wenn man bedachte, dass der Boden mit Schaukelpferden und Spielzeugschiffen und kleinen Kampfwagen und Speeren und Schilden in Kindergröße übersät war.
Er schloss die Tür, und Gareth war allein mit seinem Prinzen.
Er blinzelte die Tränen weg, er sah ihn, und von diesem Augenblick an fürchtete er ihn.
Die beiden Jungen waren damals gleich groß, obwohl Dagnarus als Erwachsener größer sein sollte. Er war grobknochig, Gareth schlanker, und daher kam der Prinz dem Prügelknaben größer vor. Das rötlich braune Haar des Prinzen - von der Farbe des Zuckerahorns im Herbst - war dicht und schwer und nach der Mode der Zeit kurz geschnitten. Seine Haut war blass, und ein paar Sommersprossen auf dem Nasenrücken stellten den einzigen Makel auf einem ansonsten makellosen Teint dar.
Er hatte grüne Augen mit goldenen Flecken darin, große, schimmernde Augen, gerahmt von rötlichen Wimpern, die aussahen wie vergoldet. Seine Hose und Weste waren grün, was das Rot seines Haars und das Grün seiner Augen noch betonte. Er war gut und kräftig gebaut und hatte - für ein Kind - erstaunlich kräftige Hände.
Diese grünen Augen erforschten nun Zoll für Zoll den Prügelknaben, inspizierten ihn viel sorgfältiger als die Wachen draußen. Gareth erinnerte sich an alles, was er jetzt nicht tun durfte, aber niemand hatte ihm gesagt, wie er sich eigentlich verhalten sollte. Er war unglücklich, unsicher, krank vor Heimweh, überwältigt und gedemütigt, und er duckte sich vor diesem ruhigen, von sich überzeugten, hübschen Jungen, und als er seine Mängel in diesen grünen Augen reflektiert sah, wünschte er sich abermals zu sterben.
»Wie heißt du, Junge?«, fragte Dagnarus, und obwohl die Stimme immer noch etwas Herrisches hatte, war sie doch nicht unfreundlich.
Gareth hatten die Tränen die Kehle zugeschnürt.
»Bist du taub oder stumm, Junge?«, fragte der Prinz. Er war nicht ungeduldig oder sarkastisch, sondern wollte nur etwas wissen.
Gareth schüttelte den Kopf, und es gelang ihm, seinen Namen herauszuquetschen. Er nahm seinen ganzen verbliebenen Mut zusammen, hob den Kopf und sah den Prinzen misstrauisch an.
Dagnarus streckte die Hand aus, berührte Gareths Gesicht und rieb ihm über die Wange. Dann zog er die Hand zurück, betrachtete seine Finger und sah den Prügelknaben wieder an.
»Es geht nicht ab«, stellte der Prinz fest.
»Nein, Euer ... Euer Hoheit«, stotterte Gareth. »Ich bin damit zur Welt gekommen. Ein Fluch.«
Andere Kinder hatten Gareth deshalb entweder geneckt oder waren vor ihm weggerannt. Dagnarus tat nichts davon. Er würde nie vor etwas davonlaufen. Und er würde der Wahrheit immer ins Gesicht sehen, ganz gleich, wie hässlich sie sein mochte.
»Ein Fluch?«, wiederholte er.
Die grünen Augen blitzten. Der Prinz zog Gareth zu zwei Stühlen in Kindergröße, die neben einem kindergroßen Tisch standen. Mehrere Bücher waren vom Tisch geschoben
worden, um Platz für ein Miniaturkatapult zu schaffen, mittels dessen der Prinz Erbsen über eine Mauer aus Bausteinen geschleudert hatte. Gareth bedachte die Bücher mit einem gierigen Blick. Dagnarus schaute stolz das Katapult an.
Damit waren die beiden bereits erkannt und beschrieben. Dagnarus setzte sich hin. Gareth erinnerte sich an seine Anweisungen und blieb stehen.
»Erzähl mir von diesem Fluch«, befahl Dagnarus. Er bat nie um etwas, er erteilte Befehle.
Schüchtern begann Gareth: »Jawohl, Euer Hoheit. Offensichtlich war meine Mutter ...«
»Warum setzt du dich nicht?«, unterbrach ihn der Prinz.
»Man hat mir gesagt, ich dürfte das nicht, Euer Hoheit -«, antwortete Gareth und spürte, wie sein gezeichnetes Gesicht brannte.
»Wer hat dir das gesagt? Dieser Idiot von einem Kämmerer?« Der Prinz tat das mit einem Schnauben ab. »Vergiss ihn. Ich ignoriere ihn immer. Setz dich auf diesen Stuhl da.«
»Jawohl, Euer Hoheit.« Furchtsam ließ Gareth sich nieder. »Offensichtlich war meine Mutter ...«
»Und hör auf, mich dauernd mit ›Euer Hoheit‹ anzureden«, befahl der Prinz.
Gareth sah ihn hilflos an.
»Nenne mich Dagnarus«, forderte der Prinz. Er legte seine Hand auf die von Gareth und fügte hinzu: »Du wirst mein Freund sein.«
In diesem Augenblick liebte Gareth ihn, wie er niemals zuvor einen Menschen geliebt hatte.
»Und jetzt« - Dagnarus lehnte sich zurück und verschränkte die Arme - »erzählst du mir von diesem Fluch.«
»Es geschah, als meine Mutter mich noch im Bauch trug«, begann Gareth. Diese Geschichte gehörte zu seinen frühesten Erinnerungen, und er kannte sie auswendig. Zu Anfang sprach er noch schüchtern und zögernd, aber da er sich einem interessierten Zuhörer gegenübersah, gewann er
schließlich mehr Selbstvertrauen und erwies sich am Ende als recht wortgewandt. »Sie war auf dem Markt, im Auftrag der Königin, Eurer Mutter, und in einer Ecke saß eine Bettlerin. Sie bat meine Mutter um ein wenig Geld für Essen.
Meine Mutter hatte kein eigenes Geld dabei; alles, was sie hatte, gehörte der Königin. Das sagte meine Mutter auch, und sie ging weiter, als die Bettlerin, die angeblich verrückt war, sie verfluchte. Ich trat in diesem Augenblick sehr fest um mich, und da wusste meine Mutter, dass die Bettlerin eine Hexe war und dass der Fluch mich tatsächlich getroffen hatte.
Sie rief die Stadtwachen, und die Wachen verhafteten die Hexe. Man fesselte sie an Händen und Füßen und warf sie in den Fluss, wo sie lange auf dem Wasser trieb, was, wie
meine Mutter sagt, bewies, dass sie eine Hexe war. Die Leute warfen Steine nach ihr, und endlich sank sie. Die Hebamme empfahl meiner Mutter, Hagebuttentee zu trinken, um den Fluch damit wegzuwaschen, aber es funktionierte nicht. Also kam ich mit diesem Fleck zur Welt.«
Der große purpurrote Fleck umgab Gareths linkes Auge, kroch von dort über seine Stirn und zog sich über die linke Wange. Sein unauffällig braunes Haar war in Fransen geschnitten, um den Teil des Flecks, der sich auf der Stirn befand, zu verbergen, aber der Teil um das Auge und auf der Wange konnte nicht versteckt werden.
Gareth konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie viele Tränke und Salben und Cremes die Diener auf Anweisung seiner Mutter ausprobiert hatten, um sein Gesicht von diesem Fluch zu befreien. Und obwohl einige der Mittel bewirkten, dass seine Haut schuppte und sich pellte, hatten sie nicht geholfen, den Fleck zu entfernen. Eine unternehmungslustige Dienerin hatte einmal versucht, ihn abzuschleifen. Zum Glück hatte die Kinderfrau Gareths Schreie gehört und ihn gerettet.
»Verspotten dich die Leute deshalb?«, fragte Dagnarus und starrte den Fleck an.
Normalerweise mochte es Gareth nicht, wenn jemand ihn anstarrte, aber immerhin höhnte und kicherte der Prinz nicht. Dagnarus war einfach nur neugierig.
»Manchmal, Euer Hoheit«, gab er zu.
»Das wird nicht mehr passieren«, erklärte Dagnarus mit großer Endgültigkeit. »Ich werde ihnen befehlen, es nicht zu tun. Sollte es dennoch geschehen, musst du es mir sofort mitteilen. Ich werde denjenigen hinrichten lassen.«
Das war Prahlerei. Gareth war nicht vollkommen unbeleckt, was das Hofleben anging, und selbst er wusste, dass ein neunjähriger Prinz keine Macht über Leben und Tod anderer hatte. Aber er war gerührt und erfreut, wenn schon nicht über die Geste selbst, so über die Tatsache, dass er nun endlich für jemanden zählte.
»Danke, Euer Hoheit, aber es ist nicht wichtig, und ich möchte nicht, dass jemand geköpft wird, nur weil ...«
»Ja, ja«, winkte Dagnarus ab.
Er konnte sich nie lange auf etwas konzentrieren, und obwohl er ein guter Zuhörer sein konnte, wenn ihn etwas interessierte, schnitt er ungeduldig jedes Gespräch ab, das ihn langweilte.
»Der Name Gareth gefällt mir nicht«, verkündete er nun. »Es tut mir Leid, Euer Ho-«
Der Prinz schob das Kinn vor und starrte ihn an.
»Dag ... narus«, verbesserte sich Gareth. Er machte zwischen den Silben eine Pause, denn er befürchtete wirklich, dass der Prinz seine Ansicht ändern und ihm befehlen würde, zu der alten Anrede zurückzukehren.
Dagnarus lächelte. Das Lächeln ließ die goldenen Flecken in seinen Augen deutlicher werden und die Augen glitzern wie Topase und Smaragde.
»Ich werde dich Fleck nennen«, erklärte er.
Gareth senkte den Kopf. Der Augenblick war so feierlich wie eine Taufe.
»Verstehst du, worin deine Pflichten bestehen, Fleck? Sie werden dich auspeitschen, wenn sie mich bestrafen wollen.« Der Prinz wandte sich seinem Spielzeug zu und ließ den Arm des Katapults auf und ab zucken, indem er mit dem Finger darauf drückte.
»Das weißt du doch, nicht wahr, Fleck?«, wiederholte er. »Das haben sie dir doch gesagt, oder?«
»Ja, Dagnarus«, erwiderte Gareth, der sich ein wenig unbehaglich fühlte wegen seines neuen Namens.
»Sie werden dich schlagen, weil kein gewöhnlicher Sterblicher es wagt, Hand an seinen König zu legen. Alle denken, wenn sie dich schlagen, wird mir das leidtun, und ich werde nicht mehr ungehorsam sein. Das glauben sie.«
Er runzelte die Stirn, und die grünen Augen verdunkelten sich. Das goldene Glitzern verschwand, als sänken Edelsteine unter die Wasseroberfläche. Er bewegte das Katapult, schob es auf seinen kleinen Holzrädern hin und her.
»Es wird nicht funktionieren«, erklärte er mit fester Stimme. »Das sage ich dir gleich, Fleck. Es wird mir leidtun zu sehen, dass sie dich schlagen, aber es gibt Dinge, die sie von mir verlangen, die ich nicht tun werde.«
Er richtete den Blick dieser grünen Augen finster auf Gareth. »Auch nicht, wenn sie dich dafür umbringen, Fleck.«
Diese Aussage unterschied sich von der vorherigen Prahlerei. Sie wurde mit einer seltsam unkindlichen Stimme geäußert, einer Stimme ohne Unschuld, der Stimme eines Menschen, der wusste, was er sagte.
»Du kannst gehen, wenn du willst, Fleck«, fügte Dagnarus hinzu. »Du wirst keinen Ärger bekommen. Ich werde der Königin, meiner Mutter« - das letzte Wort sprach er mit einem leichten, höhnischen Verziehen seiner Lippen aus - »sagen, dass ich dich nicht will. Ich brauche keine Gesellschaft.«
Gareth sah sich im Zimmer um, und er bemerkte nicht die wunderbaren Spielsachen oder die Bücher und auch nicht die Wachen in der offenen Tür, die aufpassten, dass der Prügelknabe Seine Hoheit nicht erwürgte, er sah auch die Diener nicht, die sich im Hintergrund hielten und nur darauf warteten, auch die geringsten Wünsche Seiner Hoheit zu befriedigen. Gareth erkannte die Einsamkeit des Prinzen, deutlich und nackt wie ein Knochen. Er sah den Hirsch, der mit Pfeilen in der Flanke fröhlich weitersprang.
»Wenn sie mich auspeitschen wollen, Dagnarus«, sagte Gareth schüchtern, »müssen sie mich erst mal erwischen.«
Die goldenen Edelsteine funkelten, die grünen Augen glitzerten, und der Prinz lachte laut. So lebhaft war sein Lachen, dass der Kämmerer, der im Flur gewartet hatte, weil er hoffte, dass ein Streit ausbrach und er Ihrer Majestät sagen konnte, dass er, der Kämmerer, ja schon von Anfang an gegen diese Sache gewesen sei, jetzt den Kopf zur Tür hereinstreckte.
»Haben wir dich gerufen? Verschwinde hier, alter Knacker!«, rief Dagnarus und warf einen Bauklotz nach ihm. Ermutigt warf Gareth ebenfalls einen Klotz nach dem Kämmerer. Der Wurf war viel zu kurz, weil er schlecht gezielt und nur halbherzig geworfen hatte. Dagnarus' Klotz war mit viel größerer Genauigkeit und Fähigkeit geschleudert worden und verfehlte den Kämmerer nur, weil der Mann vernünftig genug war, schnell die Tür zu schließen.
Dagnarus schlug eines der Bücher auf, einen großen, ledergebundenen Band mit Blattgold auf dem Umschlag. Die Seiten waren aus Kalbspergament und hatten einen Goldrand. Furchtsam bewunderte Gareth das Buch. Er betrachtete voller Staunen und Ehrfurcht eine der Illustrationen - ein Ritter in wunderbarer Rüstung kämpfte gegen einen Drachen, der direkt aus den Gute-Nacht-Geschichten von Gareths Kinderfrau hätte stammen können. Er hatte ein Buch vor sich, in dem die Magier die großen Taten von Helden der alten Zeit aufgezeichnet und sie zu Belehrungen verwendet hatten.
»Wollt Ihr diese Geschichte lesen?«, fragte Gareth begierig.
»Nein«, schnaubte Dagnarus abfällig. Er klappte das Buch ungeduldig zu und legte ein weiteres darauf. »Das hier wird unsere Festung sein.« Er stellte das Katapult davor auf und bereitete sich auf den Abschuss einer Erbse vor. »Wir spielen jetzt Krieg.«
Übersetzung: Regina Winter
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
© 2001 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Der Junge schaute hinauf zum Schloss. Die schimmernden Marmormauern waren feucht vom Sprühwasser der sieben Wasserfälle, die zu beiden Seiten der Anlage niederstürzten, vier im Norden und drei im Süden, und sie glitzerten in der frühmorgendlichen Sonne. Regenbögen tanzten über die Schlossmauern. Auf dem Land glaubten die Leute, dass Regenbögen feines, von Feen gesponnenes Tuch waren, und mehr als ein alberner Bursche hatte bei dem Versuch, sich dieses Tuch zu holen, in den herabstürzenden Wassermassen den Tod gefunden.
Der Junge wusste es besser. Er wusste, dass Regenbögen keine Substanz hatten und nur aus Sonnenlicht auf Wasser bestanden. Nur das, was sowohl im Dunkeln als auch im Licht existiert, ist wirklich und greifbar.
Der Junge betrachtete das Schloss ohne besondere Gefühle, nur mit einer Art gleichmütiger Schicksalsergebenheit, wie man sie häufig bei getretenen Hunden findet. Nicht, dass man ihn bisher viel getreten hätte - er war schlicht ignoriert worden. Er stand kurz davor, seine Eltern und sein Zuhause zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen, und eigentlich hätte er traurig sein sollen, verängstigt, zögerlich und voller Heimweh. Er empfand nichts dergleichen, er war nur müde von dem langen Weg, und seine neuen Wollstrümpfe waren unangenehm warm und kratzig.
Er und sein Vater standen vor dein Tor in der hohen Außenmauer. Hinter dem Tor befand sich ein Hof, und hinter dem Hof führten Tausende von Stufen hinauf zum eigentlichen Schloss, das mit der Rückfront zu einem Steilhang errichtet worden war. Das Gebäude war nach Westen ausgerichtet, die meisten Fenster gingen auf den Ildurel-See hinaus, und die Rückfront der Anlage drängte sich gegen die Felsen im Osten. Die obersten Türme erreichten gerade eben die Höhe des Hammerklauenflusses, der von Osten nach Westen strömte und dessen Fluten, die über den Steilhang talwärts stürzten, die Regenbögen erzeugten.
Die Schlossmauern bestanden aus weißem Marmor - der Junge hatte einmal bei einem Festessen eine Abbildung ebendieses Schlosses aus Zuckerwürfeln gesehen -, und sie waren mehrere Stockwerke hoch. Wie viele, hätte der Junge nicht sagen können, denn der Gebäudekomplex zog sich an der gesamten Steilwand entlang. So viele Türme ragten überall hervor, so viele Zinnen und Wehrgänge führten in alle möglichen Richtungen, und so viele kleine bleiverglaste Fenster blitzten im Sonnenlicht, dass es ihn ganz wirr im Kopf machte. Er hatte mit dem Zuckerwürfelschloss spielen wollen, und seine Mutter hatte ihm gesagt, das wäre vielleicht möglich, aber am nächsten Morgen hatten es die Mäuse schon gefressen.
Der Junge starrte nun ehrfürchtig dieses Schloss an, das nicht aus Zucker bestand und wahrscheinlich nicht von Mäusen - nicht einmal von Drachen - gefressen werden würde. Ein Flügel erregte seine besondere Aufmerksamkeit. Er lag nach Osten, ging auf die Vier Wasserfälle hinaus. Aus diesem Gebäudeflügel ragte ein Turm hervor, der höher war als die anderen und einen Balkon hatte, der ganz um den Turm herumging. Das war der Königsweg, erklärte der Vater des Jungen, und König Tamaros, die Götter mochten ihn segnen, war der Einzige, der diesen Balkon betreten durfte.
Von dort aus kann der König doch sicher die ganze Welt sehen, dachte der Junge. Oder wenn schon nicht die ganze Welt, so zumindest die gesamte riesige Stadt Vinnengael. Die sah der Junge nun schon beinahe selbst, und das, obwohl er nur auf der Palasttreppe stand.
Vinnengael war auf drei Ebenen errichtet worden. Die unterste davon befand sich auf gleicher Höhe mit dem See, der sich bis zum Horizont erstreckte und dessen anderes Ufer vom Turm des Königs aus wohl noch gerade eben zu erkennen war. Die zweite Ebene der Stadt lag auf einem Hochplateau, das sich über dem Ufer erhob, und von dort aus ragte ein weiterer Steilhang empor, der von der dritten Ebene gekrönt wurde. Der Palast befand sich auf dieser dritten Ebene. Gegenüber vom Palast, hinter dem Jungen und auf der anderen Seite eines riesigen, marmorgepflasterten Platzes, stand der Tempel der Magier.
Tempel und Palast, Herz und Kopf des Königreichs, waren die beiden größten Gebäudekomplexe auf der dritten Ebene. Im Norden gab es Kasernen, die an den Palast angebaut waren. Im Süden, auf einem Felsvorsprung, standen die eleganten Häuser der Botschafter fremder Länder.
Die Bewaffneten am Außentor warfen dem Vater des Jungen nur einen gelangweilten Blick zu, als der Mann und das Kind das Tor passierten. Der Junge reckte den Hals nach dem riesigen Fallgitter mit seinen Reihen grimmiger Zähne. Er wäre gerne stehen geblieben und hoffte, Blutspuren zu entdecken, denn er kannte die Geschichte von Nathan von Neyshabur gut, diesem Helden von Vinnengael, der befohlen hatte, das Fallgitter herunterzulassen, obwohl er selbst noch darunter stand, gegen die Feinde des Königreiches kämpfte und sich weigerte zurückzuweichen, auch wenn diese bösartigen Stahlstacheln auf ihn zuschossen. Nathan von Neyshabur hatte vor mehreren Hundert Jahren gelebt, als Stadt und Schloss noch jung gewesen waren, aber nicht die Regenbögen. Es war daher unwahrscheinlich, dass sein Blut noch vom Fallgitter tröpfelte, aber der Junge war dennoch enttäuscht.
Der Vater des Jungen riss am Umhang seines Sohnes und fragte ihn barsch, wieso er glotzte wie ein Ork bei einem Fest, und dann scheuchte er den Jungen weiter.
Sie überquerten den riesigen Hof und betraten das eigentliche Schloss, wo sich der Junge sofort verirrt hätte. Sein Vater kannte den Weg allerdings gut, denn er gehörte zum Gefolge des Königs, und nun führte er den Knaben Marmortreppen hinauf, Marmorflure entlang, bis sie ein Vorzimmer erreichten, wo der Vater den Sohn auf einen geschnitzten Stuhl drückte und einen Diener auf einen Botengang schickte.
Die kurze Wartezeit verbrachte der Junge damit, an die hohe Decke zu schauen, die von den Feuern in den offenen Kaminen Rußflecken hatte, und sich an der gegenüberliegenden Wand einen Wandteppich anzusehen, der Hunde mit lang gezogenen Körpern, lang gezogenen Schnauzen und langen Ohren darstellte, die keiner Hunderasse ähnelten, die er je gesehen hatte, und Menschen, die sich alle seitwärts gedreht hatten und einen Hirsch jagten, der - seiner Miene nach zu schließen - das alles gewaltig genoss, obwohl sechs Pfeile in ihm steckten.
Der Mann betrat das Vorzimmer - ein eher jüngerer, misslaunig und grimmig dreinschauender Mann mit einem Überrock, der vorne geknöpft war, ein üppiges Muster aufwies, einen hohen Kragen und lange, fließende Ärmel hatte. Die von der Wade abwärts zu sehenden Beine dieses Mannes waren dick und kräftig, seine Knöchel beinahe so breit wie die Füße. Seine Strumpfhose war zweifarbig, ein Bein rot, das andere blau, passend zu dem rotblauen Überrock. Sein mattbraunes Haar war, der derzeitigen Mode bei den Menschen entsprechend, zurückgekämmt und im Nacken lockig; er war glatt rasiert.
Der Vater des Jungen trug ähnliche Kleidung, ergänzt von einem Mantel, und seine Farben waren Grün und Blau. Der Junge war ähnlich gekleidet wie sein Vater, aber sein Umhang und die Kapuze bedeckten die bunten Farben weitgehend, denn es war schon Spätherbst und ziemlich kühl. Der Mann sprach kurz mit dem Vater des Jungen, dann wandte er sich dem Kind zu.
»Wie, sagtet Ihr, war sein Name?«
»Gareth, Lord Kämmerer.«
Der Kämmerer schnaubte. »Ich weiß nicht, ob ich je ein hässlicheres Kind gesehen habe.«
»Im Vergleich mit Seiner Hoheit würde jedes Kind hässlich wirken«, erwiderte der Vater.
»Das stimmt, Herr«, bestätigte der Kämmerer. »Aber dieser hier scheint sich besonders angestrengt zu haben.«
»Seine Hoheit und mein Sohn sind auf den Tag genau gleich alt, sie kamen in derselben Nacht zur Welt. Seine Majestät wünschte ...«
»Ja, ja, die Wünsche Seiner Majestät sind mir vertraut«, sagte der Kämmerer, verdrehte die Augen und schob die Daumen unter seinen breiten Ledergürtel, um anzudeuten, dass er die Wünsche Seiner Majestät für baren Unsinn hielt. Missbilligend betrachtete er den Jungen. »Nun, dagegen kann man wohl nichts tun. Als ob ich nicht schon genug Ärger hätte! Wo sind seine anderen Kleider? Ihr erwartet doch nicht von uns, dass wir ihn einkleiden?«
»Mein Diener bringt sie zum Hintereingang«, erklärte der Vater des Jungen mit einer gewissen Kühle. »Ihr erwartet doch nicht, dass wir sie auf einer Karre hier hereinschieben?«
Die beiden Männer bedachten einander mit eisigen Blicken, dann stellte der Kämmerer einen spitzen Schuh vor den anderen und verbeugte sich aus der Taille. »Euer ergebenster Diener.«
Auch der Vater des Jungen vollzog diese Geste, raffte aber dabei seinen Umhang, damit der Stoff den Boden nicht berührte und schmutzig wurde. »Euer ergebenster Diener.«
Der Junge trug immer noch Umhang und Kapuze, ihm war warm, es juckte ihn überall, und er starrte den Hirsch mit den sechs Pfeilen in der Seite an, wie er dazu ansetzte, durchs Unterholz zu springen, und dabei sehr vergnügt dreinschaute.
»Dann komm mit mir, Gareth«, sagte der Kämmerer in ergebenem Tonfall. »Verabschiede dich von deinem Vater«, fügte er vage hinzu.
Gareth verbeugte sich höflich vor seinem Vater, wie man es ihm beigebracht hatte. Der Vater erteilte dem Sohn eilig seinen Segen und machte sich rasch auf, um Seiner Majestät seine Aufwartung zu machen. Weder Vater noch Sohn waren über diesen Abschied bedrückt. Es war ohnehin sechs Monate her, seit der Junge seinen Vater zum letzten Mal gesehen hatte. Die Tatsache, dass er nun zum Hof gehörte, würde bedeuten, dass er seine adligen Eltern vermutlich häufiger sehen würde als je zuvor.
Der Kämmerer legte dem Jungen eine schwere Hand auf die Schulter und schob ihn durch mehrere Palasträume.
»Dies hier sind die Privatgemächer der Königlichen Familie«, erklärte er mit wohlklingender Stimme. »Von nun an werden sie auch dein Zuhause sein. Als Prügelknabe des Prinzen auserwählt zu werden ist eine hohe Ehre. Ich hoffe, du bist dir dessen bewusst.«
Gareth war sich im Augenblick nicht sehr vieler Dinge bewusst, nur der schweren Hand des Mannes, die ihn auf den Marmorboden zu drücken schien und ihm an der Schulter wehtat.
»Diese Stellung war sehr begehrt«, fuhr der Kämmerer fort, und seine Worte senkten sich mit ebenso viel Gewicht auf den Jungen nieder wie seine Hand. »Viele gute Jungen wurden als Bewerber vorgeschlagen, Jungen von sechzehn und sogar älter. Eine äußerst begehrte Stellung«, wiederholte er.
Gareth wusste, dass dies der Wahrheit entsprach. Sein Vater und seine Mutter und sogar die Kinderfrau hatten es ihm wieder und wieder eingetrichtert, bis es zu einem Teil von ihm geworden war wie die Holzkohle, die sich in die Hände eines Schmieds rieb. Der Prügelknabe des Prinzen wurde an Stelle des Prinzen bestraft, denn der von den Göttern bevorzugte Königssohn durfte niemals im Zorn von Menschenhänden berührt werden. Der Prügelknabe diente auch als Gesellschafter des Prinzen und wurde mit ihm zusammen erzogen. Da die beiden Jungen miteinander aufwuchsen, würden der Prügelknabe und seine Familie selbstverständlich von einer solchen Regelung profitieren.
Gareth war sich wohl bewusst, dass er diese Ehre nicht verdient hatte. Sein Vater war ein Adliger, aber kein sehr wichtiger, seine Mutter eine der Hofdamen der Königin. Für ihn sprach nur das Zusammentreffen seines Geburtstags mit dem des jungen Prinzen.
Ihre Majestät, die Königin, stammte aus Dunkarga, einem Reich im Westen, wo die Menschen offenbar daran glaubten, dass die Sterne ihr Leben beeinflussten. Gareth wusste, dass das Unsinn war; das hatte sein Vater ihm gesagt. Wie sollten weit entfernte, kalt glitzernde Gegenstände, die nicht größer waren als Staubkörner, eine Auswirkung auf die Menschen haben? Doch wohl kaum mehr als tatsächlicher Staub! Aber Gareths Eltern hatten rasch versucht, einen Vorteil aus der Tatsache zu erwirtschaften, dass Königin Emillia glaubte, die Sterne interessierten sich für sie.
Als Gareths Mutter gehört hatte, dass man einen Prügelknaben suchte, hatte sie der Königin gegenüber angedeutet, dass nur ein Junge, der unter denselben Sternen geboren war wie der Prinz, würdig wäre, dessen Schicksal zu teilen. Von diesem Gedanken beeindruckt, hatte die Königin nach dem Hofastrologen gerufen, den sie aus Dunkarga mitgebracht hatte. Dieser wiederum, die Hand noch an der von Gareths Vater wohl gefüllten Börse, hatte feierlich bestätigt, dass tatsächlich ein in derselben Nacht geborenes Kind der geeignete Prügelknabe wäre. Und da Gareth das einzige Adelskind war, das in dieser Nacht zur Welt gekommen war (sein Vater hatte sich zuvor davon überzeugt), hatte man ihn erwählt.
Nun, mit neun Jahren, sollte Gareth seine neuen Pflichten übernehmen, die darin bestanden, für die Verstöße des Prinzen bestraft zu werden. Während sie durch den Palast gingen, erinnerte sich Gareth an eine Geschichte, die seine Mutter oft erzählt hatte: Als die Königin kurz vor ihrer Niederkunft hörte, dass eine ihrer Hofdamen ebenfalls kurz davor stand, ein Kind zur Welt zu bringen, hatte sie befohlen, dass die Beine dieser Frau zusammengebunden wurden, damit kein anderes Kind ihrem Sohn zuvorkam. Zum Glück hatten die Wehen von Gareths Mutter wieder nachgelassen - wahrscheinlich wegen ihrer Angst -, sonst wäre Gareth nun wohl nicht hier im Palast gewesen. Die Wehen hatten nach der Geburt des Prinzen wieder begonnen, und Gareth war drei Stunden nach ihm zur Welt gekommen. Seine ersten Schreie waren im Lärm des Feuerwerks untergegangen, mit dem der Hof die Geburt des Prinzen feierte.
Gareths Mutter hatte ihn noch in der Nacht seiner Geburt einer Amme übergeben, so dass sie nach einer kurzen Wochenbettpause zu ihren Pflichten als Hofdame zurückkehren konnte. Gareth war auf dem Landsitz seines Vaters aufgezogen worden, überwiegend von Dienern, die den Jungen je nach Laune entweder verwöhnt oder vernachlässigt hatten.
Daher waren die Eltern, als sie in Gareths viertem Jahr zu einem ihrer seltenen Besuche auf dem Landsitz erschienen, entsetzt gewesen, ein verwöhntes Gör vorzufinden, einen kleinen Tunichtgut, so schmutzig und ungezogen wie ein Bauernkind. Gareths Vater hatte seine eigene ehemalige Kinderfrau geschickt, die Jahre zuvor in den Ruhestand gegangen war, um ihrem Mann, einem Tuchmacher, bei der Arbeit zu helfen. Nun war sie verwitwet und froh, das Geschäft ihren erwachsenen Söhnen übergeben und noch einmal in den Dienst eines adligen Haushalts treten zu können.
Sie nahm Gareths Erziehung in die Hand und brachte ihm Lesen und Schreiben und die Manieren bei, die er brauchen würde, wenn er erst alt genug war, seine Stellung bei Hofe anzutreten. Gareth vermisste seine Kinderfrau nun viel mehr, als er je seinen Vater oder seine Mutter vermisst hatte. Nachdem die Arbeit der alten Frau getan war, hatte man sie zu ihrer Familie zurückgeschickt.
»Sprichst du regelmäßig deine Gebete, junger Gareth?«, fragte der Kämmerer plötzlich.
»Ja, Herr«, erwiderte Gareth leise - die ersten Worte, die er gesprochen hatte.
»Dann sprich sie nun, junger Mann. Bete zu den Göttern, dass Seine Hoheit dich mögen wird, denn wenn das nicht der Fall ist, wird Ihre Majestät dich rasch wieder wegschicken, Sterne oder nicht.«
Gareth spähte unter seiner Kapuze hervor, abermals zu einer rußfleckigen Decke hinauf. Die Götter waren irgendwo da droben, hinter all dem Ruß und dem Marmor. So wie die Regenbögen, konnte man auch sie nicht berühren. Gareth glaubte nicht, dass sie sonderlich an ihm interessiert waren. Außerdem hätte er in diesem Augenblick eher darum gebetet, wieder nach Hause zurückkehren zu dürfen, was seine Eltern ausgesprochen zornig gemacht hätte, also nahm er an, es wäre besser, überhaupt nicht zu beten.
Der Palast verwirrte Gareth zutiefst. Es kam ihm inzwischen so vor, als sei er den größten Teil seines Lebens hier unterwegs gewesen, obwohl kaum eine Stunde vergangen war, seit er das Haupttor durchquert hatte. Er würde es lernen, diesen Palast zu lieben, seine Kühle, die gelassene Schönheit, die geheimnisvollen Nischen und Geheimgänge, aber das würde erst viel später geschehen, nachdem er sich von seinem Heimweh und der Angst davor, an einem fremden Ort zu schlafen, erholt und gelernt hatte, sich zurechtzufinden, was ihn beinahe ein Jahr kosten sollte. Im Augenblick kam ihm der Palast immens vor, voller kalter und leerer Flure, die zu riesigen, kalten Räumen führten, die mit massiven, schweren Möbeln vollgestellt waren. Über allem hing der Geruch von Holzrauch.
»Seine Hoheit weilen im Spielzimmer«, erklärte der Kämmerer.
Zwei Wachen - die königlichen Leibwächter - flankierten eine große Holztür. Gareth hatte die Königliche Wache nur an Paradetagen gesehen, und dann ausschließlich aus der Ferne. In ihren schimmernden Rüstungen und Kettenhemden kamen sie ihm riesenhaft vor, gefährliche Geschöpfe, die ihn nun ausführlich von Kopf bis Fuß nach Waffen durchsuchten, ihre Hände unter seine Samtweste schoben und sogar in seine kleinen Schuhe spähten.
Gareth hielt still und ergab sich dieser Demütigung. Irgendwann in der Vergangenheit hatte einmal ein Häuptling seinen kleinen Sohn geschickt, mit einem Dolch be-
waffnet, um den königlichen Erben zu erstechen.
»Er ist sauber«, sagte der Leibwächter und öffnete die Tür.
Der Kämmerer nickte, packte Gareth abermals an der Schulter und schob ihn ins Spielzimmer. Als sie über die Schwelle traten, beugte sich der Kämmerer vor und flüsterte barsch: »Du darfst die Spielsachen Seiner Hoheit keinesfalls berühren. Lass die Finger von Seiner Hoheit Büchern. Zupfe nicht unruhig an deiner Kleidung herum, glotze nicht,
lasse keinen Wind und starre nicht aus dem Fenster. Sprich
nicht, wenn man dich nicht dazu auffordert. Setz dich nicht in Gegenwart des Prinzen hin und wende ihm niemals
den Rücken zu, denn das ist eine schreckliche Beleidigung. Wenn du die Latrinen aufsuchen musst, bitte Seine Hoheit, dich zu entschuldigen. Wenn du ausgepeitscht wirst, schrei laut und weine viel, um Seiner Hoheit deutlich zu machen, wie sehr die Prügel ihn schmerzen.«
Das taube Gefühl, das Gareth bis hierher geholfen hatte, wich der Verzweiflung. Wären die Götter zu diesem Zeitpunkt irgendwie erreichbar gewesen, dann hätte Gareth gebetet: nicht darum, den Palast verlassen zu dürfen, denn er hatte nicht die Hoffnung, je den Weg nach draußen finden zu können, sondern einfach darum, auf der Stelle zu sterben.
Er konnte sich keines der Wunder ansehen, die ihn umgaben - wunderbare Spielsachen, die aus allen Teilen Loerems hergebracht worden waren. Er hatte kein Interesse an den Regalen voller Bücher, obwohl er gerne las und sämtliche zwei Bücher seines Vaters immer wieder gelesen hatte - diese Bücher waren seinem Vater geschenkt worden, der sie aber nie in die Hand genommen hatte. Gareth bemerkte Seine Hoheit nicht einmal, denn in seinen Augen standen Tränen, und er konnte nur neben dem Kämmerer herstolpern und versuchen, nicht über das Durcheinander auf dem Boden zu fallen.
Die Hand des Kämmerers drückte ihn nieder.
»Seine Königliche Hoheit Dagnarus, Prinz von Vinnengael.«
Gareth erinnerte sich rechtzeitig genug an die Belehrungen seines Vaters, um auf die Knie zu sinken. Er bemerkte vage, dass jemand auf ihn zukam, um ihn anzusehen, wie man ein Schwein auf einem Markt in Augenschein nimmt.
»Lass uns allein«, sagte eine Stimme, schon zu der Zeit herrisch.
Gareth nahm selbstverständlich an, dass der Prinz ihn angesprochen hatte. Er war nur zu froh, gehorchen zu können. Er sprang auf die Beine und wollte sich davonmachen. Eine Hand - seine Hand, die des Prinzen - packte ihn jedoch am Ärmel und hielt ihn fest.
»Ich sagte, lass uns allein«, wiederholte der Prinz, und Gareth begriff, dass er mit dem Kämmerer gesprochen hatte.
»Aber Euer Hoheit, Ihr wisst nichts über diesen Jungen -«
»Willst du mich dazu zwingen, dir einen Befehl dreimal zu geben?«, fragte der Prinz mit einer Schärfe, die Gareth beben ließ.
»Wie Euer Hoheit befehlen«, antwortete der Kämmerer, verbeugte sich sehr tief und verließ das Zimmer rückwärts gehend - keine einfache Sache, wenn man bedachte, dass der Boden mit Schaukelpferden und Spielzeugschiffen und kleinen Kampfwagen und Speeren und Schilden in Kindergröße übersät war.
Er schloss die Tür, und Gareth war allein mit seinem Prinzen.
Er blinzelte die Tränen weg, er sah ihn, und von diesem Augenblick an fürchtete er ihn.
Die beiden Jungen waren damals gleich groß, obwohl Dagnarus als Erwachsener größer sein sollte. Er war grobknochig, Gareth schlanker, und daher kam der Prinz dem Prügelknaben größer vor. Das rötlich braune Haar des Prinzen - von der Farbe des Zuckerahorns im Herbst - war dicht und schwer und nach der Mode der Zeit kurz geschnitten. Seine Haut war blass, und ein paar Sommersprossen auf dem Nasenrücken stellten den einzigen Makel auf einem ansonsten makellosen Teint dar.
Er hatte grüne Augen mit goldenen Flecken darin, große, schimmernde Augen, gerahmt von rötlichen Wimpern, die aussahen wie vergoldet. Seine Hose und Weste waren grün, was das Rot seines Haars und das Grün seiner Augen noch betonte. Er war gut und kräftig gebaut und hatte - für ein Kind - erstaunlich kräftige Hände.
Diese grünen Augen erforschten nun Zoll für Zoll den Prügelknaben, inspizierten ihn viel sorgfältiger als die Wachen draußen. Gareth erinnerte sich an alles, was er jetzt nicht tun durfte, aber niemand hatte ihm gesagt, wie er sich eigentlich verhalten sollte. Er war unglücklich, unsicher, krank vor Heimweh, überwältigt und gedemütigt, und er duckte sich vor diesem ruhigen, von sich überzeugten, hübschen Jungen, und als er seine Mängel in diesen grünen Augen reflektiert sah, wünschte er sich abermals zu sterben.
»Wie heißt du, Junge?«, fragte Dagnarus, und obwohl die Stimme immer noch etwas Herrisches hatte, war sie doch nicht unfreundlich.
Gareth hatten die Tränen die Kehle zugeschnürt.
»Bist du taub oder stumm, Junge?«, fragte der Prinz. Er war nicht ungeduldig oder sarkastisch, sondern wollte nur etwas wissen.
Gareth schüttelte den Kopf, und es gelang ihm, seinen Namen herauszuquetschen. Er nahm seinen ganzen verbliebenen Mut zusammen, hob den Kopf und sah den Prinzen misstrauisch an.
Dagnarus streckte die Hand aus, berührte Gareths Gesicht und rieb ihm über die Wange. Dann zog er die Hand zurück, betrachtete seine Finger und sah den Prügelknaben wieder an.
»Es geht nicht ab«, stellte der Prinz fest.
»Nein, Euer ... Euer Hoheit«, stotterte Gareth. »Ich bin damit zur Welt gekommen. Ein Fluch.«
Andere Kinder hatten Gareth deshalb entweder geneckt oder waren vor ihm weggerannt. Dagnarus tat nichts davon. Er würde nie vor etwas davonlaufen. Und er würde der Wahrheit immer ins Gesicht sehen, ganz gleich, wie hässlich sie sein mochte.
»Ein Fluch?«, wiederholte er.
Die grünen Augen blitzten. Der Prinz zog Gareth zu zwei Stühlen in Kindergröße, die neben einem kindergroßen Tisch standen. Mehrere Bücher waren vom Tisch geschoben
worden, um Platz für ein Miniaturkatapult zu schaffen, mittels dessen der Prinz Erbsen über eine Mauer aus Bausteinen geschleudert hatte. Gareth bedachte die Bücher mit einem gierigen Blick. Dagnarus schaute stolz das Katapult an.
Damit waren die beiden bereits erkannt und beschrieben. Dagnarus setzte sich hin. Gareth erinnerte sich an seine Anweisungen und blieb stehen.
»Erzähl mir von diesem Fluch«, befahl Dagnarus. Er bat nie um etwas, er erteilte Befehle.
Schüchtern begann Gareth: »Jawohl, Euer Hoheit. Offensichtlich war meine Mutter ...«
»Warum setzt du dich nicht?«, unterbrach ihn der Prinz.
»Man hat mir gesagt, ich dürfte das nicht, Euer Hoheit -«, antwortete Gareth und spürte, wie sein gezeichnetes Gesicht brannte.
»Wer hat dir das gesagt? Dieser Idiot von einem Kämmerer?« Der Prinz tat das mit einem Schnauben ab. »Vergiss ihn. Ich ignoriere ihn immer. Setz dich auf diesen Stuhl da.«
»Jawohl, Euer Hoheit.« Furchtsam ließ Gareth sich nieder. »Offensichtlich war meine Mutter ...«
»Und hör auf, mich dauernd mit ›Euer Hoheit‹ anzureden«, befahl der Prinz.
Gareth sah ihn hilflos an.
»Nenne mich Dagnarus«, forderte der Prinz. Er legte seine Hand auf die von Gareth und fügte hinzu: »Du wirst mein Freund sein.«
In diesem Augenblick liebte Gareth ihn, wie er niemals zuvor einen Menschen geliebt hatte.
»Und jetzt« - Dagnarus lehnte sich zurück und verschränkte die Arme - »erzählst du mir von diesem Fluch.«
»Es geschah, als meine Mutter mich noch im Bauch trug«, begann Gareth. Diese Geschichte gehörte zu seinen frühesten Erinnerungen, und er kannte sie auswendig. Zu Anfang sprach er noch schüchtern und zögernd, aber da er sich einem interessierten Zuhörer gegenübersah, gewann er
schließlich mehr Selbstvertrauen und erwies sich am Ende als recht wortgewandt. »Sie war auf dem Markt, im Auftrag der Königin, Eurer Mutter, und in einer Ecke saß eine Bettlerin. Sie bat meine Mutter um ein wenig Geld für Essen.
Meine Mutter hatte kein eigenes Geld dabei; alles, was sie hatte, gehörte der Königin. Das sagte meine Mutter auch, und sie ging weiter, als die Bettlerin, die angeblich verrückt war, sie verfluchte. Ich trat in diesem Augenblick sehr fest um mich, und da wusste meine Mutter, dass die Bettlerin eine Hexe war und dass der Fluch mich tatsächlich getroffen hatte.
Sie rief die Stadtwachen, und die Wachen verhafteten die Hexe. Man fesselte sie an Händen und Füßen und warf sie in den Fluss, wo sie lange auf dem Wasser trieb, was, wie
meine Mutter sagt, bewies, dass sie eine Hexe war. Die Leute warfen Steine nach ihr, und endlich sank sie. Die Hebamme empfahl meiner Mutter, Hagebuttentee zu trinken, um den Fluch damit wegzuwaschen, aber es funktionierte nicht. Also kam ich mit diesem Fleck zur Welt.«
Der große purpurrote Fleck umgab Gareths linkes Auge, kroch von dort über seine Stirn und zog sich über die linke Wange. Sein unauffällig braunes Haar war in Fransen geschnitten, um den Teil des Flecks, der sich auf der Stirn befand, zu verbergen, aber der Teil um das Auge und auf der Wange konnte nicht versteckt werden.
Gareth konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie viele Tränke und Salben und Cremes die Diener auf Anweisung seiner Mutter ausprobiert hatten, um sein Gesicht von diesem Fluch zu befreien. Und obwohl einige der Mittel bewirkten, dass seine Haut schuppte und sich pellte, hatten sie nicht geholfen, den Fleck zu entfernen. Eine unternehmungslustige Dienerin hatte einmal versucht, ihn abzuschleifen. Zum Glück hatte die Kinderfrau Gareths Schreie gehört und ihn gerettet.
»Verspotten dich die Leute deshalb?«, fragte Dagnarus und starrte den Fleck an.
Normalerweise mochte es Gareth nicht, wenn jemand ihn anstarrte, aber immerhin höhnte und kicherte der Prinz nicht. Dagnarus war einfach nur neugierig.
»Manchmal, Euer Hoheit«, gab er zu.
»Das wird nicht mehr passieren«, erklärte Dagnarus mit großer Endgültigkeit. »Ich werde ihnen befehlen, es nicht zu tun. Sollte es dennoch geschehen, musst du es mir sofort mitteilen. Ich werde denjenigen hinrichten lassen.«
Das war Prahlerei. Gareth war nicht vollkommen unbeleckt, was das Hofleben anging, und selbst er wusste, dass ein neunjähriger Prinz keine Macht über Leben und Tod anderer hatte. Aber er war gerührt und erfreut, wenn schon nicht über die Geste selbst, so über die Tatsache, dass er nun endlich für jemanden zählte.
»Danke, Euer Hoheit, aber es ist nicht wichtig, und ich möchte nicht, dass jemand geköpft wird, nur weil ...«
»Ja, ja«, winkte Dagnarus ab.
Er konnte sich nie lange auf etwas konzentrieren, und obwohl er ein guter Zuhörer sein konnte, wenn ihn etwas interessierte, schnitt er ungeduldig jedes Gespräch ab, das ihn langweilte.
»Der Name Gareth gefällt mir nicht«, verkündete er nun. »Es tut mir Leid, Euer Ho-«
Der Prinz schob das Kinn vor und starrte ihn an.
»Dag ... narus«, verbesserte sich Gareth. Er machte zwischen den Silben eine Pause, denn er befürchtete wirklich, dass der Prinz seine Ansicht ändern und ihm befehlen würde, zu der alten Anrede zurückzukehren.
Dagnarus lächelte. Das Lächeln ließ die goldenen Flecken in seinen Augen deutlicher werden und die Augen glitzern wie Topase und Smaragde.
»Ich werde dich Fleck nennen«, erklärte er.
Gareth senkte den Kopf. Der Augenblick war so feierlich wie eine Taufe.
»Verstehst du, worin deine Pflichten bestehen, Fleck? Sie werden dich auspeitschen, wenn sie mich bestrafen wollen.« Der Prinz wandte sich seinem Spielzeug zu und ließ den Arm des Katapults auf und ab zucken, indem er mit dem Finger darauf drückte.
»Das weißt du doch, nicht wahr, Fleck?«, wiederholte er. »Das haben sie dir doch gesagt, oder?«
»Ja, Dagnarus«, erwiderte Gareth, der sich ein wenig unbehaglich fühlte wegen seines neuen Namens.
»Sie werden dich schlagen, weil kein gewöhnlicher Sterblicher es wagt, Hand an seinen König zu legen. Alle denken, wenn sie dich schlagen, wird mir das leidtun, und ich werde nicht mehr ungehorsam sein. Das glauben sie.«
Er runzelte die Stirn, und die grünen Augen verdunkelten sich. Das goldene Glitzern verschwand, als sänken Edelsteine unter die Wasseroberfläche. Er bewegte das Katapult, schob es auf seinen kleinen Holzrädern hin und her.
»Es wird nicht funktionieren«, erklärte er mit fester Stimme. »Das sage ich dir gleich, Fleck. Es wird mir leidtun zu sehen, dass sie dich schlagen, aber es gibt Dinge, die sie von mir verlangen, die ich nicht tun werde.«
Er richtete den Blick dieser grünen Augen finster auf Gareth. »Auch nicht, wenn sie dich dafür umbringen, Fleck.«
Diese Aussage unterschied sich von der vorherigen Prahlerei. Sie wurde mit einer seltsam unkindlichen Stimme geäußert, einer Stimme ohne Unschuld, der Stimme eines Menschen, der wusste, was er sagte.
»Du kannst gehen, wenn du willst, Fleck«, fügte Dagnarus hinzu. »Du wirst keinen Ärger bekommen. Ich werde der Königin, meiner Mutter« - das letzte Wort sprach er mit einem leichten, höhnischen Verziehen seiner Lippen aus - »sagen, dass ich dich nicht will. Ich brauche keine Gesellschaft.«
Gareth sah sich im Zimmer um, und er bemerkte nicht die wunderbaren Spielsachen oder die Bücher und auch nicht die Wachen in der offenen Tür, die aufpassten, dass der Prügelknabe Seine Hoheit nicht erwürgte, er sah auch die Diener nicht, die sich im Hintergrund hielten und nur darauf warteten, auch die geringsten Wünsche Seiner Hoheit zu befriedigen. Gareth erkannte die Einsamkeit des Prinzen, deutlich und nackt wie ein Knochen. Er sah den Hirsch, der mit Pfeilen in der Flanke fröhlich weitersprang.
»Wenn sie mich auspeitschen wollen, Dagnarus«, sagte Gareth schüchtern, »müssen sie mich erst mal erwischen.«
Die goldenen Edelsteine funkelten, die grünen Augen glitzerten, und der Prinz lachte laut. So lebhaft war sein Lachen, dass der Kämmerer, der im Flur gewartet hatte, weil er hoffte, dass ein Streit ausbrach und er Ihrer Majestät sagen konnte, dass er, der Kämmerer, ja schon von Anfang an gegen diese Sache gewesen sei, jetzt den Kopf zur Tür hereinstreckte.
»Haben wir dich gerufen? Verschwinde hier, alter Knacker!«, rief Dagnarus und warf einen Bauklotz nach ihm. Ermutigt warf Gareth ebenfalls einen Klotz nach dem Kämmerer. Der Wurf war viel zu kurz, weil er schlecht gezielt und nur halbherzig geworfen hatte. Dagnarus' Klotz war mit viel größerer Genauigkeit und Fähigkeit geschleudert worden und verfehlte den Kämmerer nur, weil der Mann vernünftig genug war, schnell die Tür zu schließen.
Dagnarus schlug eines der Bücher auf, einen großen, ledergebundenen Band mit Blattgold auf dem Umschlag. Die Seiten waren aus Kalbspergament und hatten einen Goldrand. Furchtsam bewunderte Gareth das Buch. Er betrachtete voller Staunen und Ehrfurcht eine der Illustrationen - ein Ritter in wunderbarer Rüstung kämpfte gegen einen Drachen, der direkt aus den Gute-Nacht-Geschichten von Gareths Kinderfrau hätte stammen können. Er hatte ein Buch vor sich, in dem die Magier die großen Taten von Helden der alten Zeit aufgezeichnet und sie zu Belehrungen verwendet hatten.
»Wollt Ihr diese Geschichte lesen?«, fragte Gareth begierig.
»Nein«, schnaubte Dagnarus abfällig. Er klappte das Buch ungeduldig zu und legte ein weiteres darauf. »Das hier wird unsere Festung sein.« Er stellte das Katapult davor auf und bereitete sich auf den Abschuss einer Erbse vor. »Wir spielen jetzt Krieg.«
Übersetzung: Regina Winter
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
© 2001 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Tracy Hickman, Margaret Weis
Margaret Weis und Tracy Hickman gehören zu den beliebtesten und meistgelesenen Fantasy-Autoren der Welt, seit sie Mitter der 80er Jahre den Grundstein der weit verzweigten Drachenlanze-Saga gelegt haben.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Tracy Hickman , Margaret Weis
- 2144 Seiten, Maße: 13,2 x 19,1 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863655184
- ISBN-13: 9783863655181
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