Jane Rizzoli Band 1: Die Chirurgin
In Boston dringt ein Unbekannter nachts in die Wohnungen von allein stehenden Frauen ein, unterzieht sie einem gynäkologischen Eingriff und tötet sie. Die einzige Spur führt Detective Thomas Moore und Inspector Jane Rizzoli zu der jungen Chirurgin...
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In Boston dringt ein Unbekannter nachts in die Wohnungen von allein stehenden Frauen ein, unterzieht sie einem gynäkologischen Eingriff und tötet sie. Die einzige Spur führt Detective Thomas Moore und Inspector Jane Rizzoli zu der jungen Chirurgin Catherine Cordell, die drei Jahre zuvor nach ähnlichem Muster überfallen wurde, den Täter aber in Notwehr erschoss. Und bald wird klar, dass Catherine erneut zur Zielscheibe eines psychopathischen Mörders geworden ist.
''Ein spannender Medizin-Thriller - für Mimosen ungeeignet.''
Der Spiegel
"Ein Muss für Fans fesselnder Literatur, vor allem aber für Liebhaber atemberaubender Krimis." -- Märkische Oderzeitung
"Ich verspreche Ihnen, dass Sie selten zuvor einen derart bis auf die letzte Seite spannenden Medizin-Thriller gelesen haben." -- Hessisches Fernsehen
Die Chirurgin von TessGerritsen
LESEPROBE
Detective Thomas Moore hasste denGeruch von Latex. Während er sich die Handschuhe überstreifte und dabei einWölkchen von Talkumpuder aufwirbelte, verspürte er den gewohnten Anflug vonÜbelkeit angesichts dessen, was ihm bevorstand. Dieser Gummigeruch war mit denunerfreulichsten Aspekten seines Jobs verknüpft, und wie ein Pawlowscher Hund,der aufs Stichwort Speichel absondert, hatte er gelernt, den Geruch mit Blutund Körperflüssigkeiten in Verbindung zu bringen. Ein olfaktorischesAlarmsignal.
Und so war er bereits gewappnet,als er vor der Tür des Autopsiesaales stand. Er war direkt aus der prallenHitze hereingekommen, und schon fühlte sich der Schweiß auf seiner Haut kühlan. Es war der zwölfte Juli, ein schwülwarmer, dunstiger Freitagnachmittag. In ganzBoston arbeiteten die Klimaanlagen auf Hochtouren, und die Nerven der Menschenlagen blank. Auf der Tobin Bridge würde sich schon ein Stau gebildet haben,weil alles sich nach Norden in die kühlen Wälder von Maine flüchtete. AberMoore würde nicht zu den Flüchtenden gehören. Er war aus dem Urlaubzurückgerufen worden, um sich einem entsetzlichen Anblick zu stellen, den ersich gerne erspart hätte.
Er trug bereits die OP-Kleidung,die er sich vom Wäschewagen des Leichenschauhauses genommen hatte. Jetzt setzteer sich noch eine Papierhaube auf, die verirrte Haare auffangen sollte, und zogÜberschuhe aus Papier an, denn er hatte gesehen, was manchmal von den Tischenauf den Boden tropfte und klatschte. Blut, Gewebefetzen. Er war alles andereals ein Sauberkeitsfanatiker, aber er legte keinen Wert darauf, irgendwelcheSouvenirs aus dem Autopsiesaal an seinen Schuhen nach Hause zu tragen. Vor derTür hielt er noch ein paar Sekunden inne und holte tief Luft. Dann betrat erden Raum, bereit, die Tortur über sich ergehen zu lassen.
Die verhüllte Leiche lag auf demSeziertisch - der Figur nach zu urteilen eine Frau. Moore vermied es, das Opferallzu eingehend zu betrachten, und konzentrierte sich stattdessen auf dielebenden Menschen im Saal. Dr. Ashford Tierney, der amtliche Leichenbeschauer,und ein Mitarbeiter des Leichenschauhauses waren damit beschäftigt, dieInstrumente auf einem Tablettwagen zu arrangieren. Auf der anderen Seite desTisches stand Jane Rizzoli, die wie er bei der Bostoner Mordkommission arbeitete.Rizzoli war dreiunddreißig Jahre alt, eine kleine Frau mit scharf geschnittenenZügen. Ihre widerspenstigen Locken waren von der Papierkappe verdeckt, und ohneden mildernden Effekt ihrer schwarzen Haare schien ihr Gesicht nur aus hartenKanten zu bestehen. Der Blick ihrer dunklen Augen war forschend und intensiv.Sie war vor sechs Monaten vom Rauschgift- und Sittendezernat in dieMordkommission versetzt worden. Dort war sie die einzige Frau, und trotz derKürze der Zeit hatte es bereits Probleme zwischen ihr und einem anderenDetective gegeben, Vorwürfe wegen sexueller Belästigung, die durchGegenvorwürfe wegen unausgesetzter Gehässigkeit gekontert wurden. Moore warsich nicht sicher, ob er Rizzoli mochte oder sie ihn. Bisher hatte sich ihrUmgang miteinander strikt auf die dienstliche Ebene beschränkt, und er hatteden Eindruck, dass ihr das ganz recht war.
Neben Rizzoli stand ihr PartnerBarry Frost, ein Polizist mit einem unerschütterlich heiteren Gemüt, dessennichts sagendes, bartloses Gesicht ihn wesentlich jünger wirken ließ als seinedreißig Jahre. Frost arbeitete nun schon seit zwei Monaten mit Rizzolizusammen, ohne dass es irgendwelche Beschwerden gegeben hätte; er war dereinzige Mann im ganzen Dezernat, der ihre üblen Launen mit Gelassenheitertragen konnte.
Als Moore auf den Tisch zutrat,sagte Rizzoli: »Wir haben uns schon gefragt, wann Sie auftauchen würden.«
»Ich war schon auf dem MaineTurnpike nach Norden unterwegs, als Sie mich angepiepst haben.«
»Wir warten hier schon seit fünf.«
»Und ich wollte gerade mit derinneren Besichtigung beginnen«, warf Dr. Tierney ein. »Ich würde daher sagen,dass Detective Moore gerade rechtzeitig eingetroffen ist.« Ein Mann sprang fürden anderen in die Bresche. Dr. Tierney schlug die Tür des Metallschranks miteinem Knall zu, der im Saal widerhallte. Es kam nicht oft vor, dass er seinenUnmut so offen erkennen ließ. Er stammte aus Georgia; ein vornehmerSüdstaaten-Gentleman, der davon überzeugt war, dass Damen sich wie Damen zubenehmen hatten. Es bereitete ihm kein Vergnügen, mit der kratzbürstigen JaneRizzoli zusammenzuarbeiten.
Der Assistent rollte denTablettwagen mit den Instrumenten an den Tisch heran. Für einen Moment trafensich seine und Moores Blicke; er schien sagen zu wollen: Was für eineSchreckschraube!
»Tut mir Leid wegen IhrerAngeltour«, sagte Tierney zu Moore. »Sieht so aus, als wäre Ihr Urlaubgestrichen.«
»Sind Sie sicher, dass es wiederunser Freund ist?«
Anstelle einer Antwort schlugTierney das Tuch zurück, mit dem die Leiche zugedeckt war. »Ihr Name ist ElenaOrtiz.«
Moore war auf den Anblick gefasstgewesen, doch als er jetzt das Opfer zum ersten Mal erblickte, traf es ihn wieein Schlag in die Magengrube. Die schwarzen Haare der Frau waren mit Blutverklebt und standen wie Stacheln von ihrem Kopf ab; das Gesicht hatte dieFarbe blau geäderten Marmors. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, wie mitten ineinem Wort erstarrt. Das Blut war bereits vom Körper abgewaschen worden, undihre Wunden klafften als violette Risse in der grauen Leinwand der Haut. Es gabzwei sichtbare Wunden. Die eine war ein tiefer Einschnitt im Hals, der dielinke Halsschlagader durchtrennt und den Knorpel des Kehlkopfs freigelegthatte. Der Gnadenstoß. Der zweite Schnitt war im Unterbauchbereich. DieseVerletzung war ihr nicht mit der Absicht zugefügt worden, sie zu töten. Siehatte einem ganz anderen Zweck gedient.
Moore schluckte krampfhaft. »Jetztverstehe ich, weshalb Sie mich aus dem Urlaub zurückgeholt haben.«
»Ich leite die Ermittlungen indiesem Fall«, sagte Rizzoli.
Er hörte den warnenden Untertonaus ihrer Bemerkung heraus: Sie verteidigte ihr Territorium. Er begriff, wasdie Ursache war - die Spötteleien und skeptischen Kommentare, denen weiblicheKriminalbeamte unentwegt ausgesetzt waren, konnten sie mit der Zeit sehrdünnhäutig werden lassen. In Wirklichkeit hatte er gar nicht die Absicht, mitihr in Konkurrenz zu treten. Sie würden gemeinsam an diesem Fall arbeitenmüssen, und es war noch viel zu früh für irgendwelche Positionskämpfe.
Er achtete sorgfältig darauf,nicht zu respektlos zu klingen. »Würden Sie mich bitte über die Umstände derTat ins Bild setzen?«
Rizzoli nickte knapp. »Das Opferwurde heute Morgen um neun Uhr in ihrer Wohnung in der Worcester Streetgefunden. Das ist im South End. Sie fängt gewöhnlich gegen sechs Uhr morgensmit der Arbeit an, in einem Blumenladen ganz in der Nähe ihrer Wohnung. Erheißt Celebration Florists. Es ist ein Familienbetrieb, gehört ihren Eltern.Als sie nicht auftauchte, begannen sie sich Sorgen zu machen. Ihr Bruder gingnach ihr sehen und fand sie im Schlafzimmer. Dr. Tierney schätzt, dass der Todzwischen Mitternacht und vier Uhr früh eingetreten ist. Nach Aussage der Elternhatte sie zur Zeit keinen festen Freund, und in ihrem Wohnblock kann sichniemand erinnern, je Herrenbesuch bei ihr gesehen zu haben. Sie ist bloß einbraves, fleißiges katholisches Mädchen.«
Moore betrachtete die Handgelenkedes Opfers. »Sie war gefesselt.«
»Ja. Klebeband an Hand- undFußgelenken. Sie wurde nackt aufgefunden. Sie trug nur einige Schmuckstücke.«
»Welche?«
»Eine Halskette. Einen Ring.Ohrstecker. Die Schmuckschatulle in ihrem Schlafzimmer war unberührt. Raub warnicht das Motiv.«
Moores Blick fiel auf denBluterguss, der sich als horizontaler Streifen über den Hüftbereich des Opferszog. »Sie war auch am Rumpf gefesselt.«
»Klebeband über Hüften undOberschenkel. Und über den Mund.«
Moore atmete tief aus. »MeinGott.« Er starrte Elena Ortiz an, und plötzlich blitzte das verstörende Bildeiner anderen jungen Frau vor seinem inneren Auge auf. Eine andere Leiche -eine Blondine mit fleischigroten Schnittwunden an Hals und Unterleib.
»Diana Sterling«, murmelte er.
»Ich habe SterlingsAutopsiebericht schon raussuchen lassen«, sagte Tierney. »Falls Sie noch maleinen Blick darauf werfen wollen.«
Aber das war nicht nötig. Der FallSterling, bei dem Moore die Ermittlungen geleitet hatte, war ihm noch immersehr präsent.
Vor einem Jahr war Diana Sterling,eine Angestellte des Reisebüros Kendall and Lord, nackt und mit Klebeband anihr Bett gefesselt aufgefunden worden. Man hatte ihr die Kehle und denUnterleib aufgeschlitzt. Der Mord war nie aufgeklärt worden.
Dr. Tierney richtete dieUntersuchungsleuchte auf Elena Ortiz Abdomen. Das Blut hatte man zuvor bereitsabgespült, und die Wundränder waren blassrosa.
»Irgendwelche verwertbarenSpuren?«
»Wir haben ein paar Fasernsichergestellt. Und am Rand der Schnittwunde klebte ein Haar.«
Moore sah auf, plötzlichinteressiert. »Vom Opfer?«
»Viel kürzer. Und hellbraun.«
Elena Ortiz hatte schwarzes Haar.
Rizzoli sagte: »Wir haben bereitsHaarproben von allen Personen angefordert, die mit der Leiche in Berührunggekommen sind.«
Tierney lenkte ihre Aufmerksamkeitauf die Wunde. »Was wir hier sehen, ist ein Transversalschnitt. Die Chirurgensprechen von einer Maylard-Inzision. Die Bauchdecke wurde Schicht für Schichtdurchschnitten. Zuerst die Haut, dann die Oberflächenfaszie, dann der Muskelund schließlich das Bauchfell.«
»Wie bei Sterling«, sagte Moore.
»Ja. Wie bei Sterling. Aber esgibt Unterschiede.«
»Welche Unterschiede?«
»Bei Diana Sterling wies derEinschnitt einige Zacken auf, die auf ein Zögern oder Unsicherheit hindeuteten.Davon ist hier nichts zu erkennen. Sehen Sie, wie sauber die Haut hierdurchschnitten worden ist? Es gibt keinerlei Zacken. Er wusste genau, was er zutun hatte.« Tierney sah Moore direkt in die Augen. »Unser unbekannter Täter hatdazugelernt. Er hat seine Technik verbessert.«
»Falls es sich um denselbenunbekannten Täter handelt«, bemerkte Rizzoli.
»Es gibt noch weitereÜbereinstimmungen. Sehen Sie die rechtwinklige Form des Wundrands an diesemEnde? Das ist ein Hinweis darauf, dass er von rechts nach links geschnittenhat. Wie bei Sterling. Die Klinge, mit der ihr diese Wunde beigebracht wurde,ist einschneidig und glatt. Wie die bei Sterling verwendete.«
»Ein Skalpell?«
»Die Details passen auf einSkalpell. Der saubere Schnitt verrät mir, dass die Klinge sich in der Wundenicht gedreht hat. Das Opfer war entweder bewusstlos oder so fest angebunden,dass es sich nicht rühren oder Widerstand leisten konnte. Es war ihr nichtmöglich, die Klinge von ihrer geraden Schnittlinie abzubringen.«
Barry Frost sah aus, als wolle ersich jeden Moment übergeben. »O Mann, sagen Sie mir bitte, dass sie schon totwar, als er das getan hat.«
»Ich fürchte, dass dies keinepostmortale Verletzung ist.« Nur Tierneys grüne Augen waren über seinerOP-Maske zu sehen, und sie blickten zornig.
»Gab es prämortale Blutungen?«,fragte Moore.
»In der Beckenhöhle hatte sichBlut angesammelt. Das bedeutet, dass ihr Herz noch gearbeitet hat. Sie war nocham Leben, als diese Operation durchgeführt wurde.«
Moore betrachtete die Handgelenkemit den ringförmigen Blutergüssen. Ähnliche Male fanden sich um beideFußgelenke herum, und ein Streifen von Petechien - punktförmigen Hautblutungen- zog sich über ihre Hüften. Elena Ortiz hatte sich gegen ihre Fesselngesträubt.
»Es gibt noch weitere Anzeichendafür, dass sie am Leben war, während ihr der Schnitt beigebracht wurde«, sagteTierney. »Legen Sie Ihre Hand in die Wunde, Thomas. Ich glaube, Sie wissenschon, was Sie da finden werden.« (...)
© in der Verlagsgruppe RandomHouse
Übersetzung: Andreas Jäger
Interview mit Tess Gerritsen
Nach Ihrer Tätigkeit alsÄrztin haben Sie zuerst "romantische" Thriller geschrieben. Erstspäter begannen Sie - mit umwerfendem Erfolg -, medizinische Thriller wie"Die Chirurgin" zu verfassen. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Ich wechselte von romantischen zu medizinischen Thrillern,weil ich die Idee für eine völlig andere Art von Buch hatte - ein Buch, von demich wusste, dass ich es schreiben MUSS. Diese Idee kam mir bei einem Abendessenmit einem Bekannten, einem pensionierten Detektiv der Mordkommission, der sehrausgiebige Reisen nach Russland unternommen hatte. Er erzählte mir, dass ersich während eines Besuches in Moskau einmal mit Polizisten unterhalten hatte.Diese Polizisten hatten ihm davon berichtet, dass Kinder einfach so von derStraße verschwanden. Sie waren überzeugt, dass die Kinder ins Ausland gebrachtund dort als Organspender missbraucht wurden. Diese Vorstellung schockiertemich dermaßen, dass ich selbst Wochen nach diesem Gespräch nicht aufhörenkonnte, immer wieder an diese entführten Kinder zu denken. So wurde mir langsamklar, dass dies mein neuer Roman werden würde. Ich wollte die Geschichte ausder Sicht eines jungen Mediziners schildern, indem ich meine eigenenErfahrungen als Ärztin verarbeitete. Ich wollte meinen Lesern die Spannungbeschreiben, die in einem Operationssaal herrscht, mit allen Einzelheiten, dienur ein Arzt kennen kann. "Kalte Herzen" unterschied sich deutlichvon meinen vorhergehenden Romanen. Der Erfolg zeigte mir, dass es tatsächlicheine Menge Leute gibt, die sich für Geschichten mit anschaulichen undrealistischen medizinischen Beschreibungen interessieren.
Ja,ich identifiziere mich häufig mit meinen Heldinnen. Fast jede von ihnenverkörpert einen Aspekt meinen eigenen Persönlichkeit - vielleicht sinddeswegen so viele von ihnen Ärztin. Die Protagonistin Catherine Cordell ist tief in ihrer Seele verletzt. Es schien, alswürde sie versuchen, mich auf Abstand zu halten. Sie ließ mich ihreSchutzmauern nicht durchdringen. Als Autorin war es für mich harte Arbeit, anCatherine heranzukommen, sie dazu zu zwingen, mit mir zu kommunizieren und mirzu sagen, was sie fühlt. Sie trug so viel Schmerz in sich, dass es auch fürmich selbst nur schwer zu ertragen war, wenn ich zu tief in sie hinein hörte.Vielleicht habe ich aus diesem Grund dann Jane Rizzolierschaffen. Sie ist eine Frau, die viel unkomplizierter und sogar lustig ist.Aus ihrer Sicht zu schreiben war fast eine Erleichterung!
"DieChirurgin" wird aus der Perspektive von vier Personen erzählt: derbedrohten Ärztin, der beiden mit dem Fall betrauten Polizisten sowie desMörders. Wie komponieren Sie einen solchen Plot? Versetzen Sie sich abwechselndin die Rollen von Opfer und Täter?
Ein guter Schriftsteller muss, wie einSchauspieler, in der Lage sein, einerseits in die Rolle einer bestimmten Personhineinzuschlüpfen, andererseits aber auch deren Gedankenwelt wieder zuverlassen. Man muss die individuellen Gedanken der Charaktere hören, wissen,was diese Person wahrscheinlich sagen würde. Einige sind leicht zu ergründen,andere hingegen nur schwer. Seltsamerweise fiel es mir am leichtesten, aus derPerspektive des Mörders zu schreiben. Möglicherweise, weil er so intellektuell,ja fast wissenschaftlich über sein Vorhaben denkt. Er ist kein Verrückter. Erist lediglich ein Jäger, der erkennt, dass er von einem ungewöhnlichenVerlangen getrieben wird. Und das versucht er, auf sehr logische Art und Weisezu befriedigen. Da ich selbst aus dem wissenschaftlichen Bereich komme und michals einen sehr logisch denkenden Menschen bezeichnen würde, finde ich es beinahenatürlich, mit seiner Stimme zu sprechen und zu wissen, wie er das Verbrechenbegehen würde.
Ihre Bücher sind bekanntfür ausgefeilte Plots und sehr differenzierte Charaktere, jedoch auch fürbesonders grausame und detailgenaue Szenen. Welche Funktion erfüllen dieseSzenen? Und konstruieren Sie diese, oder "fließen" sie einfach aufsPapier?
Ichhabe als Ärztin einige ganz grauenhafte Dinge gesehen. Ich habe gesehen, wieMenschen auf dem Operationstisch verblutet sind. Ich habe das Blut imLeichenschauhaus und in der Notaufnahme gesehen. Das sind einfach Einblicke,mit denen man als Arzt schon während der Ausbildung konfrontiert wird und dieman irgendwann als Teil des Jobs betrachtet. Wenn ich also die Szene imLeichenschauhaus bis in alle Einzelheiten beschreibe, dann schildere ich demLeser nur das, was er dort auch wirklich sehen würde. Ich bin nichtdetailverliebt, ich komme nur meiner Aufgabe als Schriftstellerin nach: demLeser das zu zeigen, was ich selbst erlebt habe. Da ich die Geschichten aus derSicht eines Mediziners oder eines Detektivs schildere, gewinne ich einen großenAbstand zu dem eigentlichen Horror, der dieser Situation innewohnt. Der Arzt,der zum Ort des Verbrechens gerufen wird, fährt dorthin, um seinen Job zumachen. Diese Verantwortung macht es erforderlich, dass man einen kühlen Kopfbewahrt und sich darauf konzentriert zu tun, was getan werden muss.
Worum geht es Ihnen inIhren Büchern? Ist es Ihr oberstes Ziel, spannend und perfekt zu unterhalten,oder versuchen Sie, das Böse im Menschen zu erforschen?
Ichschreibe, weil mich viele Dinge, die es auf unserer Welt gibt, neugierigmachen. Das Böse beispielsweise - ich verstehe nicht, warum es existiert oderwoher es kommt. Das ist auch einer der Gründe dafür, warum ich "Die Chirurgin"geschrieben habe. Ich wollte verstehen, wie die Psyche eines Mördersfunktioniert, und warum es ihm vielleicht sogar Freude bereitet, derartschreckliche Verbrechen zu begehen. (In meinem Buch entwickle ich die Theorie,dass es unter uns Menschen eine kleine Gruppe gibt, die als Jäger geborenwerden und alle anderen Menschen lediglich als Beute betrachten.) Schreiben istmein Weg, die vielen ungelösten Geheimnisse unseres Lebens zu erforschen.
Die Fragen stellte RolandGroße Holtforth, literaturtest.de.
- Autor: Tess Gerritsen
- 2004, 413 Seiten, Maße: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Jäger, Andreas
- Übersetzer: Andreas Jäger
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442360676
- ISBN-13: 9783442360673
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