Die Fährte / Harry Hole Bd.4
Da wird eine von Harrys...
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Da wird eine von Harrys Ex-Geliebten tot aufgefunden. Und die hat ausgerechnet er als Letzter lebendig gesehen.
Die Fährtevon Jo Nesbø
LESEPROBE
Kapitel 1
Der Plan
Ich musssterben. Aber das macht keinen Sinn. So war das doch nicht geplant, jedenfallsnicht von mir. Kann sein, dass ich schon die ganze Zeit auf diesem Weg war -ohne es zu wissen. Aber mein Plan war das nicht. Mein Plan war besser. MeinPlan hatte einen Sinn. Ich starre in die Mündung der Waffe und weiß, dass ervon dort kommen wird. Der Bote des Todes. Der Fährmann. Zeit für ein letztesLachen. Wenn du Licht am Ende des Tunnels siehst, kann das durchaus auch eineStichflamme sein. Zeit für eine letzte Träne. Wir hätten etwas aus diesem Lebenmachen können, du und ich. Wenn wir uns an den Plan gehalten hätten. Ein letzterGedanke. Alle fragen, was der Sinn des Lebens ist, aber niemand schert sich umden Sinn des Todes.
Kapitel 2
DerAstronaut
Der alteMann ließ Harry an einen Astronauten denken. Die komischen kurzen Schritte, diesteifen Bewegungen, der schwarze, tote Blick und die unablässig über dasParkett schleifenden Schuhsohlen. Als habe er Angst, den Bodenkontakt zuverlieren und zu entschweben, in die Weite des Weltraums. Harry warf einenBlick auf die Uhr an der weißen Wand über der Ausgangstür. 15.16 Uhr. Vor demFenster, auf dem Bogstadvei, hasteten die Menschen in ihrer Freitagshektikvorbei. Die tief stehende Oktobersonne wurde vom Außenspiegel eines Autosreflektiert, das sich in der Schlange der Autos vorwärts bewegte.
Harryhatte sich auf den alten Mann konzentriert. Hut und grauer, eleganter Mantel,der allerdings mal wieder gereinigt werden könnte. Darunter eine Tweedjacke,Schlips und abgetragene, graue Hosen mit messerscharfer Bügelfalte. Blankgewienerte Schuhe mit abgelaufenen Sohlen. Einer dieser Rentner, von denen derStadtteil Majorstua anscheinend so dicht bevölkert war. Das war keineVermutung. Harry wusste, dass August Schultz 81 Jahre alt war, früher in einerHerrenkonfektion gearbeitet hatte und sein ganzes Leben in Majorstua gelebthatte, außer im Krieg, den er in einer Baracke in Auschwitz überlebt hatte. Diesteifen Knie rührten von einem Sturz auf der Fußgängerüberführung über dieRingstraße, die er bei seinen täglichen Besuchen bei seiner Tochter überqueren musste.Der Eindruck einer mechanischen Puppe wurde durch die Haltung der Armeverstärkt. Er hielt sie angewinkelt und die Unterarme ragten waagerecht nachvorn. Über dem rechten Unterarm hing ein brauner Spazierstock, und die linkeHand umklammerte einen Überweisungsvordruck, den er bereits dem jungen,kurzhaarigen Angestellten hinter dem Schalter 2 entgegenstreckte. Harry konntedas Gesicht des Bankangestellten nicht sehen, wusste aber, dass er den alten Mannmit einer Mischung aus Mitleid und Verärgerung anstarrte.
Es war15.17 Uhr, als August Schultz endlich an der Reihe war. Harry seufzte. AnSchalter 1 saß Stine Grette und zählte 730 Kronen für einen Jungen mitZipfelmütze ab, der ihr soeben eine Zahlungsanweisung gegeben hatte. DerDiamant an ihrem linken Ringfinger blitzte mit jedem Schein, den sie auf denTisch legte. Obgleich sie nicht in seinem Blickfeld war, wusste Harry, dasssich rechts neben dem Jungen vor Schalter 3 eine Frau mit einem Kinderwagenbefand, den sie, vermutlich in Gedanken, hin und her bewegte, denn das Kindschlief. Die Frau wartete darauf, von Frau Brænne bedient zu werden, dieihrerseits mit lauter Stimme einem Mann am Telefon erklärte, dass er nicht perBankeinzug bezahlen könne, ohne dass der Empfänger das bestätigt habe, und dassschließlich sie es sei, die in der Bank arbeite und nicht er, und sie deshalbvielleicht jetzt endlich diese Diskussion beenden könnten? Im gleichenAugenblick ging die Tür der Bankfiliale auf und zwei Männer, ein großer und einkleiner, bekleidet mit identischen, dunklen Overalls, betraten rasch den Raum.Stine Grette blickte auf. Harry sah auf seine Uhr und begann zu zählen. DieMänner hasteten zu dem Schalter, an dem Stine Grette saß. Der Große bewegtesich so, als steige er über Pfüt zen, während der Kleine den schaukelnden Gangeines Mannes hatte, der sich mehr Muskeln antrainiert hatte, als sein Körpertragen konnte. Der Junge mit der blauen Zipfelmütze drehte sich langsam um undging auf den Ausgang zu. Er war so beschäftigt damit, sein Geld zu zählen, dasser die zwei gar nicht bemerkte.
»Hallo«,sagte der Große an Stine gerichtet, trat vor und knallte einen schwarzen Koffervor ihr auf den Tresen. Der Kleine schob sich seine verspiegelte Sonnenbrilleauf der Nase zurecht, ging vor und stellte einen identischen Koffer daneben. »Geld!«,piepste er mit hoher Stimme. »Mach die Tür auf!« Es war, als hätte jemand aufeinen Pausenknopf gedrückt: Alle Bewegungen in der Bankfiliale erstarrten.Einzig der Verkehr draußen vor der Tür verriet, dass die Zeit nicht stillstand.Und der Sekundenzeiger auf Harrys Uhr, der jetzt anzeigte, dass zehn Sekundenvergangen waren. Stine drückte auf einen Knopf unter ihrem Schalter. Einelektronisches Summen ertönte und der Kleine schob die niedrige Schwingtür ganzam Rand der Filiale mit dem Knie auf. »Wer hat die Schlüssel?«, fragte er.»Schnell, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!« »Helge!«, rief Stine über ihreSchulter. »Was?« Die Stimme drang aus dem einzigen Büroraum der Filiale, dessenTür offen stand. »Wir haben Besuch, Helge!« Ein Mann mit Fliege und Lesebrillekam zum Vorschein. »Du sollst den Geldautomaten öffnen, Helge!«, sagte Stine. HelgeKlementsen starrte dumpf auf die beiden Männer mit den Overalls, die jetztbeide auf der Innenseite der Schalter waren. Der Große sah nervös zurEingangstür, während der Kleine den Filialleiter anstarrte. »Ja, ja,natürlich«, stammelte Klementsen, als erinnere er sich plötzlich an eine alteAbmachung, und brach in lautes, hektisches Lachen aus.
Harryrührte sich nicht, nur seine Augen sogen jedes Detail von Bewegung und Mimikein. Fünfundzwanzig Sekunden. Er blickte noch immer auf die Uhr über der Tür,doch aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie der Filialleiter denGeldautomaten von innen öffnete, zwei längliche Metallkassetten mitGeldscheinen herauszog und sie den zwei Männern übergab. Das Ganze lief schnellund leise ab. Fünfzig Sekunden. »Die sind für dich, Vater!« Der Kleine hattezwei identische Metallkassetten aus dem Koffer gezogen, die er Helge Klementsenentgegenstreckte. Der Filialleiter schluckte, nickte und schob sie in denGeldautomaten. »Ein schönes Wochenende!«, sagte der Kleine, richtete sich aufund ergriff den Koffer. Anderthalb Minuten. »Nicht so schnell«, sagte Helge. DerKleine erstarrte. Harry sog die Wangen ein und versuchte, sich zukonzentrieren. »Die Quittung «, sagte Helge. Einen langen Augenblick starrtendie beiden Männer auf den kleinen, grauhaarigen Filialleiter. Dann begann derKleine zu lachen. Ein hohes, dünnes Lachen mit schrillem, hysterischem Oberton,als wäre er auf Speed. »Du glaubst doch nicht, dass wir ohne Unterschriftgegangen wären? Wer gibt schon zwei Millionen ab, ohne sich das bestätigen zulassen!« »Nun«, sagte Helge Klementsen. »Einer von euch hätte das letzte Wochefast vergessen.« »Es sind zurzeit so viele Frischlinge auf den Geldtransportern«, sagte der Kleine, während er und Klementsen unterschrieben und gelbe undrosa Formulare austauschten. Harry wartete, bis sich die Tür hinter ihnengeschlossen hatte, ehe er wieder auf die Uhr blickte. Zwei Minuten und zehnSekunden.
Durch dasGlas in der Tür konnte er den weißen Kastenwagen mit dem Emblem der Nordea-Bankwegfahren sehen. In der Bank wurden die Gespräche wieder aufgenommen. Harrybrauchte nicht zu zählen, tat es aber dennoch. Sieben. Drei hinter denSchaltern und drei davor, wobei er das Baby und den Typ in den Zimmermannshosenmitgerechnet hatte, der soeben in die Bank gekommen und an den Tisch in der Mitteder Bank getreten war, um seine Kontonummer auf einen Einzahlungsschein zuschreiben, der, wie Harry erkannt hatte, von der Firma Saga Sonnenreisenstammte. »Wiedersehen«, sagte August Schultz und begann seine Füße in RichtungAusgangstür zu schieben. Es war jetzt genau 15.21 Uhr und zehn Sekunden, underst jetzt fing alles richtig an.
Als sichdie Tür öffnete, sah Harry Stine Grettes Kopf kurz nach oben wippen, ehe siesich wieder auf die Papiere vor sich konzentrierte. Dann hob sie ihren Kopfwieder, dieses Mal langsamer. Harry blickte zur Eingangstür. Der Mann, der in dieBank gekommen war, hatte bereits den Reißverschluss seines Overalls geöffnetund ein schwarz-olivgrünes G3-Gewehr gezückt. Eine marineblaue Sturmhaubeverdeckte mit Ausnahme der Augen sein ganzes Gesicht. Harry begann erneut vonNull zu zählen.
© Ullstein
Übersetzung:Günther Frauenlob
- Autor: Jo Nesbø
- 2004, Maße: 13,5 x 21 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Frauenlob, Günther
- Übersetzer: Günther Frauenlob
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548259588
- ISBN-13: 9783548259581
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