Harry Potter und der Feuerkelch (Band 4)
Harry erlebt sein viertes Jahr als "Zauberlehrling". Im Mittelpunkt stehen der spannende Quidditch-Weltcup und das Trimagische Turnier in Hogwarts, an dem Harry teilnehmen soll. Doch beide Ereignisse werden von mysteriösen Vorfällen...
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Harry erlebt sein viertes Jahr als "Zauberlehrling". Im Mittelpunkt stehen der spannende Quidditch-Weltcup und das Trimagische Turnier in Hogwarts, an dem Harry teilnehmen soll. Doch beide Ereignisse werden von mysteriösen Vorfällen überschattet. Ist Voldemort wieder auf dem Weg an die Macht?
Joanne K. Rowling: Ihre Geschichte klingt wie ein modernes Märchen: 31 Jahre jung, mittellos, alleinerziehende Mutter - so steht die arbeitslose Lehrerin J.K. Rowling am Anfang da. Nur ein paar Jahre später ist sie eine erfolgreiche Kinderbuchautorin, deren Romane sogar die Bestseller-Listen der "Erwachsenen" stürmen!
1999 "Autorin des Jahres" Buchmarkt
2000 "Autorin des Jahres" British Book Award
"Mindestens so spannend, erzähltechnisch smart und stilistisch brillant wie die ersten drei Bände.''
Der Spiegel
Dies ist der vierte Band der international erfolgreichen Harry-Potter-Serie, die Generationen geprägt hat.
Alle Bände der Serie:
Harry Potter und der Stein der Weisen
Harry Potter und die Kammer des Schreckens
Harry Potter und der Gefangene von Askaban
Harry Potter und der Feuerkelch
Harry Potter und der Orden des Phönix
Harry Potter und der Halbblutprinz
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes
Die Harry-Potter-Serie ist abgeschlossen.
Harry Potter und der Feuerkelch von Joanne K. Rowling
LESEPROBEDas Haus der Riddles
In LittleHangleton nannten sie es immer noch das »Riddle- Haus«, obwohl die FamilieRiddle schon seit vielen Jahren nicht mehr dort wohnte. Das Haus stand aufeinem Hügel mit Blick über das Dorf, einige Fenster waren mit Bretternvernagelt, das Dach war löchrig, und der Efeu rankte sich ungezügelt an denMauern entlang. Das einst schöne Anwesen der Riddles, das mit Abstandgroßzügigste und beeindruckendste Haus im ganzen Umkreis, war nun feucht,heruntergekommen und menschenleer.
In LittleHangleton waren sich alle einig: das Haus war ihnen »nicht geheuer«. Ein halbesJahrhundert zuvor war hier etwas Merkwürdiges, etwas Entsetzliches geschehen,über das die Älteren im Dorf immer noch zu munkeln pflegten, wenn es sonstwenig zu klatschen und zu tratschen gab. Sie hatten die Geschichte so oftaufgewärmt und an so vielen Stellen weitergestrickt, dass keiner mehr so rechtwusste, was nun in Wahrheit geschehen war. Doch wer auch immer die Geschichteerzählte, sie begann unweigerlich am selben Ort: Vor fünfzig Jahren - damalsführten die Riddles noch einen stattlichen Haushalt - war ein Hausmädchen bei Anbrucheines schönen Sommermorgens in den Salon getreten und hatte alle drei Riddlestot vorgefunden.
Schreiendwar das Mädchen den Hügel hinab ins Dorf gestürzt und hatte die halbeEinwohnerschaft aus dem Schlaf gerissen.
»Da obenliegen sie mit offenen Augen! Eiskalt! Und haben noch ihre Abendgarderobe an!«
Die Polizeiwurde gerufen und in ganz Little Hangleton breitete sich eine Mischung ausängstlicher Neugier und kaum verhohlener Erregung aus. Niemand gab sichsonderliche Mühe so zu tun, als wäre er besonders traurig über den Tod derRiddles, denn sie waren ausgesprochen unbeliebt gewesen. Mr und Mrs Riddle, dieälteren Herrschaften, galten als reich, hochnäsig und grob, und ihr erwachsenerSohn Tom hatte sie darin noch übertroffen. Die Menschen im Dorf wollten einzigund allein wissen, wer der Mörder war - denn natürlich fielen drei offenbargesunde Menschen nicht eines Abends einfach tot um. I
m GehängtenMann, dem Dorfpub, ging es an diesem Abend hoch her; alles, was Beinehatte, war gekommen, um über die Morde zu spekulieren. Und es hatte sichgelohnt, die heimischen Kaminfeuer zu verlassen, denn plötzlich tauchte dieKöchin der Riddles in ihrer Mitte auf und verkündete dem schlagartigverstummten Publikum mit dramatischer Geste, ein Mann namens Frank Bryce seigerade verhaftet worden. »Frank!«, riefen einige Gäste. »Unmöglich!«
Frank Brycewar der Gärtner der Riddles. Er war mit einem stocksteifen Bein und einergroßen Abscheu vor Menschenansammlungen und Lärm aus dem Krieg zurückgekehrtund hatte seither immer für die Riddles gearbeitet. An der Theke gab es jetztGedrängel, denn man wollte die Köchin nicht auf dem Trockenen sitzen lassen undGenaueres von ihr hören.
»Mir ist er immer schräg vorgekommen«,verkündete sie nach dem vierten Glas Sherry den begierig lauschenden Dörflern.»Irgendwie unfreundlich. Ich hab ihm mal ne Tasse Tee angeboten, aber das hatmir gereicht. Der wollte nichts mit anderen zu tun haben, das hat man gleichgemerkt. «
»Nun ja«,sagte eine Frau an der Bar, »der Krieg war ne harte Zeit für Frank, er mageben gern seine Ruhe. Das ist noch lange kein Grund -«
»Wer sonsthatte denn einen Schlüssel für die Hintertür?«, fauchte die Köchin zurück. »Inder Gärtnerhütte hing immer ein Zweitschlüssel, das hab ich selbst gesehen!Gestern Nacht hat jedenfalls keiner die Tür aufgebrochen! Und die Fensterwurden auch nicht eingeschlagen! Frank musste bloß ins Herrenhaus schleichen,während wir alle schliefen !«
Die Dörflerwechselten viel sagende Blicke.
»Ich habmir immer schon gedacht, der hat den bösen Blick, sag ich euch«, brummte einMann an der Bar.
»Der Krieghat nen komischen Kauz aus ihm gemacht«, sagte der Wirt.
»Hab dochimmer gesagt, ich will Frank lieber nicht in die Quere kommen, stimmts, Dot?«,sagte eine aufgeregte Frau in der Ecke.
»ÜblesTemperament«, erwiderte Dot und nickte eifrig. »Ich hab ihn schon als Kindgekannt «
Am nächstenMorgen zweifelte kaum noch jemand in Little Hangleton daran, dass Frank Brycedie Riddles ermordet hatte. Doch drüben im benachbarten Städtchen GreatHangleton, im dunklen und schäbigen Polizeirevier, behauptete Frank hartnäckig,er sei unschuldig. Der einzige Mensch, den er an jenem Tag, als die Riddlesgetötet wurden, in der Nähe ihres Hauses gesehen hatte, war ein Junge imTeenageralter, ein Fremder mit dunklen Haaren und blassem Gesicht. Im Dorfjedoch hatte kein Mensch diesen Jungen gesehen, und die Polizisten waren sichziemlich sicher, dass Frank ihn erfunden hatte.
Schließlich,als es für Frank schon bitterernst aussah, traf der Untersuchungsbericht überdie Leichen der Riddles ein, und mit einem Schlag änderte sich alles.
DiePolizisten hatten noch nie einen so merkwürdigen Befund gelesen. Ein Ärzteteamhatte die Leichen untersucht und war zu dem Schluss gekommen, dass keiner derRiddles vergiftet, erstochen, erschossen, erwürgt, erstickt oder (soweit siedies sagen konnten) überhaupt verletzt worden war. Tatsächlich, so hieß es indem Bericht mit deutlicher Verblüffung weiter, schienen die Riddles alle beibester Gesundheit zu sein - abgesehen von der Tatsache, dass sie alle totwaren. Allerdings vermerkten die Ärzte, dass allen Toten das Entsetzen insGesicht geschrieben stand - doch einer der ratlosen Polizisten bemerkte dazunur: Wer hat je von drei Menschen gehört, die zu Tode geängstigt wurden?
Da ein Mordan den Riddles nicht zu beweisen war, musste die Polizei Frank laufen lassen.Die Riddles wurden auf dem Friedhof von Little Hangleton bestattet und nocheine ganze Zeit lang wurden die Gräber immer wieder von Neugierigen besucht. DassFrank Bryce in sein Haus auf dem Anwesen der Riddles zurückkehrte, überraschtedann alle, und es gab viel Gemunkel.
»Wenn ihrmich fragt, dann hat er sie umgebracht, ist mir doch egal, was die Polizeisagt«, verkündete Dot im Gehängten Mann. »Und wenn nur ein FunkenAnstand in ihm steckte, dann würde er hier abhauen, wo ihm doch klar ist, dasser uns nichts vormachen kann.«
Doch Frankzog nicht weg. Er blieb, um den Garten für die nächste Familie, die insRiddle-Haus einzog, zu besorgen, und dann auch für die übernächste - denn keineFamilie blieb lange dort wohnen. Vielleicht hatte es etwas mit Frank zu tun,dass jeder neue Besitzer behauptete, dieses Haus verbreite eine düstereStimmung. Und als keiner mehr dort wohnte, begann das Haus zu verfallen.
Der reicheMann, dem das Riddle-Haus inzwischen gehörte, lebte nicht hier und nutzte esauch nicht; im Dorf hieß es, er würde es aus »steuerlichen Gründen«unterhalten, doch keiner wusste so recht, was das heißen sollte. Der reicheBesitzer entlohnte Frank jedoch regelmäßig für seine Arbeit im Garten. Frankwar jetzt fast siebenundsiebzig, er war auf einem Ohr taub und sein schlimmesBein war noch steifer geworden, doch bei schönem Wetter konnte man ihn in denBlumenbeeten harken und schnippeln sehen, auch wenn ihm das Unkraut allmählichdie Beine hochkroch.
DochUnkraut war nicht das Einzige, womit Frank sich herumärgern musste. Jungs ausdem Dorf kamen öfter herauf und warfen Steine durch die Fenster desRiddle-Hauses. Sie fuhren mit ihren Fahrrädern über den Rasen, den Frank somühsam hegte und pflegte. Und wenn sie übermütig wurden, brachen sie auch schonmal ins Haus ein. Sie wussten, dass der alte Frank sich mit Leib und Seele demganzen Anwesen verschrieben hatte, und sie lachten ihn aus, wenn er durch denGarten humpelte, mit seinem Stock fuchtelte und sie krächzend beschimpfte.Frank wiederum glaubte, die Jungen würden ihn belästigen, weil sie ihn, wieihre Eltern und Großeltern, für einen Mörder hielten. So dachte sich Franknichts weiter, als er in einer Augustnacht erwachte und oben am alten Hausetwas recht Merkwürdiges sah. Die Jungs, so glaubte Frank, waren eben nocheinen Schritt weiter gegangen, um ihn zu zermürben.
Geweckthatte ihn sein schlimmes Bein; mit dem Alter waren die Schmerzen noch stärkergeworden. Er stand auf und humpelte nach unten in die Küche, um seineWärmflasche aufzufüllen, mit der er seinem steifen Knie ein wenig Linderungverschaffen konnte. Er stand am Waschbecken und füllte den Kessel, als seinBlick zum Herrenhaus hochwanderte. In den oberen Fenstern glommen Lichter.Frank war nicht sonderlich überrascht. Die Jungs waren wieder mal ins Hauseingebrochen, und nach dem flackernden Licht zu schließen hatten sie ein Feuerentfacht.
Frank hattekein Telefon, und der Polizei vertraute er ohnehin nicht mehr, seit sie ihnnach dem Tod der Riddles zum Verhör mitgenommen hatten. Er ließ den Kesselstehen, hastete, so rasch sein schlimmes Bein es ihm erlaubte, nach oben undbrauchte nicht lange, um sich anzuziehen und in die Küche zurückzukehren. Ergriff nach einem rostigen alten Schlüssel am Türhaken, packte seinen Stock undmachte sich auf in die Nacht.
Die Tür desRiddle-Hauses war offenbar nicht aufgebrochen worden und auch dieFensterscheiben waren noch ganz. Frank humpelte um das Haus herum zu einemEingang, der fast völlig von Efeu verborgen war, zog den alten Schlüssel ausder Tasche, steckte ihn ins Schloss und öffnete lautlos die Tür.
Sie führteihn in eine große, gewölbeartige Küche. Frank hatte sie seit Jahren nicht mehr betreten;zwar war es stockdunkel, doch er wusste noch, wo die Tür zum Flur lag. Ertastete sich an der Wand lang, modriger Geruch stieg ihm in die Nase, und erspitzte die Ohren, um ja keine Schritte oder Stimmen von oben zu überhören. Ergelangte in den Flur, wo es dank der großen Sprossenfenster zu beiden Seitender Haustür ein wenig heller war, und betrat die Treppe. Er konnte von Glückreden, denn die dicke Staubschicht auf den Steinstufen erstickte die Geräuscheseiner Schritte und seines Stocks.
Oben aufdem Treppenabsatz wandte sich Frank nach rechts und sah sofort, wo dieEindringlinge steckten: ganz am Ende des Ganges stand eine Tür offen, einflackerndes Licht fiel durch den Spalt und warf einen langen goldenen Streifenauf den schwarzen Fußboden. Frank umklammerte mit aller Kraft seinen Stock undschlich näher heran. Kurz vor der Tür konnte er ein schmales Stück von demZimmer dahinter einsehen. Jetzt erkannte er, dass das Feuer im Kamin entfachtworden war. Das überraschte ihn. Er blieb stehen und lauschte angestrengt, denndrinnen begann ein Mann zu sprechen; seine Stimme klang schüchtern undängstlich.
»Es istnoch ein Rest in der Flasche, Herr, wenn Ihr noch hungrig seid.«
»Später«,sagte eine zweite Stimme. Auch sie war die eines Mannes - doch klang siemerkwürdig hoch und kalt wie ein jäher eisiger Windstoß. Etwas an dieser Stimmeließ die spärlichen Haare auf Franks Nacken zu Berge stehen.
»Rück michnäher ans Feuer, Wurmschwanz.«
Frankwandte sein rechtes Ohr zur Tür hin, um mehr zu verstehen. Er hörte das Klirreneiner Flasche, die auf etwas Hartem abgestellt wurde, und dann das dumpfeKratzen eines schweren Stuhls, der über den Boden gezogen wurde. Frankerhaschte einen kurzen Blick auf einen kleinen Mann, der mit dem Rücken zu ihmden Stuhl zum Kamin schob. Er trug einen langen schwarzen Umhang und hatteeinen kahlen Fleck am Hinterkopf. Dann war er nicht mehr zu sehen.
»Wo istNagini?«, sagte die kalte Stimme.
»Ich - ichweiß nicht, Herr«, sagte die erste Stimme nervös. »Ich glaube, sie erkundet dasHaus «
»Du wirstsie melken, bevor wir uns zurückziehen, Wurmschwanz«, sagte die zweite Stimme.»Ich brauche heute Abend Nahrung. Die Reise hat mich sehr erschöpft.«
Mitgerunzelter Stirn neigte Frank sein gutes Ohr noch ein wenig näher Richtung Türund lauschte gebannt. Ein kurzes Schweigen trat ein und dann sprach erneut derMann namens Wurmschwanz.
»Herr, darfich fragen, wie lange wir hier bleiben werden? «
»EineWoche«, sagte die kalte Stimme. »Vielleicht länger. Hier lässt es sich einigermaßenaushalten und mit dem Plan können wir noch nicht fortfahren. Es wäre eineDummheit, wenn wir loslegten, bevor die Quidditch-Weltmeisterschaft zu Endeist.«
Franksteckte sich einen knochigen Finger ins Ohr und fing an zu quirlen. Er hattedas Wort »Quidditch« gehört, zweifellos, weil sich so viel Ohrenschmalzangesammelt hatte, denn »Quidditch« war überhaupt kein Wort.
»Die dieQuidditch-Weltmeisterschaft, Herr?«, fragte Wurmschwanz. (Frank bohrte denFinger noch energischer ins Ohr.) »Verzeiht mir, aber - ich verstehe nicht -warum sollten wir warten, bis die Quidditch-Weltmeisterschaft vorbei ist?«
»Weil zuebendieser Stunde Zauberer aus aller Herren Länder ins Land strömen, duDummkopf, und alle Kleinkrämer aus dem Zaubereiministerium ausgeschwärmt sind,um nach ungewöhnlichen Vorkommnissen Ausschau zu halten und jeden doppelt unddreifach zu überprüfen. Die haben nur noch eins im Kopf, nämlich sicherzugehen,dass die Muggel von allem nichts mitkriegen. Deshalb warten wir ab.«
Frank gabes auf, sein Ohr zu putzen. Er hatte klar und deutlich die Wörter»Zaubereiministerium«, »Zauberer« und »Muggel« gehört. Natürlich bedeuteten alldiese Ausdrücke etwas Geheimes, und Frank fielen nur zwei Sorten von Leutenein, die eine Geheimsprache gebrauchten - Spione und Verbrecher. Frankumklammerte seinen Stock noch fester und spitzte die Ohren.
»EureLordschaft ist also immer noch entschlossen?«, sagte Wurmschwanz leise.
»Natürlichbin ich entschlossen, Wurmschwanz.« In der kalten Stimme war jetzt eine leiseDrohung zu spüren. Eine kurze Stille trat ein - und dann sprach Wurmschwanz.Die Worte stolperten ihm hastig aus dem Mund, als ob er sich zwingen müsste,sie auszusprechen, bevor ihn der Mut verließ.
»Es könnteauch ohne Harry Potter gehen, Herr.«
Wieder tratSchweigen ein, es hielt ein wenig länger an, und dann -
»Ohne HarryPotter?«, hauchte die zweite Stimme kaum vernehmlich. »Ich verstehe «
»Herr, ichsage dies nicht aus Sorge um den Jungen!«, sagte Wurmschwanz mit hoher,quiekender Stimme. »Der Junge bedeutet mir nichts, überhaupt nichts! Nur, wennwir einen anderen Zauberer oder eine Hexe nehmen - irgendjemanden -, könntenwir die Sache sehr viel schneller erledigen! Wenn Ihr mir erlauben würdet, Euchfür kurze Zeit zu verlassen - Ihr wisst, dass ich mich ganz wirksam tarnen kann-, dann könnte ich in zwei Tagen mit einer geeigneten Person zurück sein -«
»Ich könnteeinen anderen Zauberer nehmen«, sagte die zweite Stimme leise, »das ist wahr «
»Es wäredas Beste, Herr«, sagte Wurmschwanz und klang dabei ausgesprochen erleichtert.»Harry Potter in die Hände zu bekommen wäre so schwierig, er ist sehr gutgeschützt -«
»Unddeshalb meldest du dich freiwillig und willst mir einen Ersatz besorgen?Merkwürdig vielleicht ist dir die Aufgabe, mich zu pflegen, lästig geworden,Wurmschwanz? Kann dieser Vorschlag, den Plan aufzugeben, denn etwas anderessein als der Versuch, mich im Stich zu lassen?«
»Herr! Ich ich habe nicht den Wunsch, Euch zu verlassen, keineswegs -«
»Belüg michnicht!«, zischte die zweite Stimme. »Mir entgeht nichts, Wurmschwanz! Dubereust, dass du überhaupt zu mir zurückgekommen bist. Bei mir wird dir übel.Ich sehe dich zusammenzucken, wenn du mich ansiehst, ich spüre, wie es dichschaudert, wenn du mich berührst «
»Nein!Meine Hingabe für Eure Lordschaft -«
»DeineHingabe ist nichts weiter als Feigheit. Du wärst nicht hier, wenn du eineandere Zuflucht hättest. Wie soll ich ohne dich überleben, wenn du mich allepaar Stunden füttern musst? Wer soll Nagini melken?« »Aber Ihr scheint mir deutlichkräftiger geworden, Herr -«
»Lügner«,keuchte die zweite Stimme. »Ich bin nicht kräftiger geworden, und ein paar Tageauf mich allein gestellt würden reichen, um mich des wenigen an Kraft zuberauben, die ich unter deiner tölpelhaften Pflege gewonnen habe. Schweig!«
Wurmschwanz,der zusammenhanglose Worte hervorgesprudelt hatte, verstummte sofort. Ein paarSekunden lang konnte Frank nichts weiter als das Knistern des Feuers hören.Dann sprach der zweite Mann erneut, mit einem Flüstern, das fast ein Zischenwar.
»Ich habemeine Gründe, den Jungen zu verwenden, wie ich dir schon erklärt habe, und ichwerde keinen anderen nehmen. Dreizehn Jahre habe ich gewartet. Ein paar Monatemehr schaden da auch nicht. Was den Schutz angeht, mit dem der Junge umgebenist, so glaube ich, dass mein Plan funktionieren wird. Alles, was ich brauche,ist ein wenig Mut deinerseits, Wurmschwanz - und diesen Mut wirst duaufbringen, wenn du nicht das ganze Ausmaß von Lord Voldemorts Zorn spürenwillst -«
»Herr, hörtmich an!«, sagte Wurmschwanz, und Panik lag jetzt in seiner Stimme. »Währendunserer Reise bin ich den Plan immer wieder durchgegangen - Bertha JorkinsVerschwinden wird nicht lange unbemerkt bleiben, Herr, und wenn wir fortfahren,falls ich also tatsächlich den Fluch -«
»Falls?«,flüsterte die zweite Stimme. »Falls du den Plan befolgst, Wurmschwanz, brauchtdas Ministerium nie zu erfahren, dass noch jemand verschwunden ist. Du wirst esin aller Stille und ohne Aufsehen erledigen; ich wünschte nur, ich könnte esselbst tun, doch in meinem jetzigen Zustand komm schon, Wurmschwanz, einHindernis musst du noch beseitigen, und unser Weg zu Harry Potter ist frei. Ichverlange ja nicht, dass du es alleine machst. Bis dahin wird mein treuer Dienerwieder zu uns gestoßen sein -«
»Ich binEuer treuer Diener«, sagte Wurmschwanz, mit kaum vernehmlichem Trotz in derStimme.
»Wurmschwanz,ich brauche jemanden mit Verstand, jemanden, der immer unerschütterlich zu mirgestanden hat, und du erfüllst diese Forderungen leider nicht.«
»Ich habeEuch gefunden«, sagte Wurmschwanz, und nun war die Widerspenstigkeit in seinerStimme deutlich zu hören. »Ich war es, der Euch gefunden hat. Ich habe Euch zuBertha Jorkins gebracht.«
»Dasstimmt.« Der zweite Mann klang belustigt. »Ein brillanter Zug, den ich von dirnie erwartet hätte, Wurmschwanz - allerdings, um der Wahrheit die Ehre zugeben, du wusstest doch nicht, wie nützlich sie sein würde, als du sie gefangenhast, nicht wahr?«
»Ich ichdachte, sie könnte nützlich sein, Herr -«
»Lügner«,sagte die zweite Stimme nun mit unverhohlen grausamer Häme. »Allerdingsbestreite ich nicht, dass ihr Wissen unschätzbar war. Ohne es hätte ich nieunseren Plan auf die Beine stellen können und dafür wirst du belohnt werden,Wurmschwanz. Ich werde dir erlauben, eine wichtige Aufgabe für mich zuerledigen, für die viele meiner Anhänger die rechte Hand geben würden «
»W-wirklich,Herr? Was -?« Wieder schwang Angst in Wurmschwanz Stimme mit.
»Aah,Wurmschwanz, du willst doch nicht, dass ich dir die Überraschung verderbe? DeinAuftritt kommt ganz am Schluss aber ich verspreche dir, du wirst die Ehrehaben, genauso nützlich zu sein wie Bertha Jorkins.«
»Ihr Ihr« Wurmschwanz klang plötzlich heiser, als wäre sein Mund völlig ausgetrocknet.»Ihr werdet auch mich töten?«
»Wurmschwanz,Wurmschwanz«, sagte die kalte Stimme schmeichlerisch, »warum sollte ich dichtöten? Ich habe Bertha getötet, weil ich musste. Nachdem ich sie ausgehorchthatte, taugte sie zu nichts mehr, sie war überflüssig. Jedenfalls wärenpeinliche Fragen gestellt worden, wenn sie zurück ins Ministerium gegangen wäreund verkündet hätte, sie hätte im Urlaub dich getroffen. Zauberer, dieangeblich tot sind, tun gut daran, unterwegs nicht in irgendwelchen SpelunkenHexen aus dem Zaubereiministerium zu treffen «
Wurmschwanzmurmelte etwas, so leise, dass Frank es nicht verstand, doch der zweite Mannfing an zu lachen - ein gänzlich freudloses Lachen, kalt wie seine Stimme.
»Wir hättenihr Gedächtnis ummodeln können? Ein mächtiger Zauberer kann einenGedächtniszauber brechen, wie ich ja selbst bei ihrem Verhör bewiesen habe.Wenn wir das Wissen nicht nutzten, das ich ihr abgepresst habe, würden wir dochihr Gedächtnis beleidigen, Wurmschwanz. «
Draußen imKorridor fiel Frank plötzlich auf, dass seine Hand, mit der er den Stockumklammerte, schweißnass und glitschig war. Der Mann mit der kalten Stimmehatte eine Frau getötet. Er sprach darüber ohne jede Reue - es belustigte ihn.Er war gefährlich - ein Wahnsinniger. Und er plante noch mehr Morde - dieserJunge, Harry Potter, wer immer er war - er war in Gefahr -
Frankwusste, was er zu tun hatte. Jetzt oder nie, es war höchste Zeit die Polizei zurufen. Er würde aus dem Haus schleichen und sich schnurstracks auf den Weg zurTelefonzelle im Dorf machen doch die kalte Stimme sprach erneut, und Frankblieb, wo er war, starr wie ein Eiszapfen, und lauschte mit aller Kraft.
»Ein Fluchnoch mein treuer Diener in Hogwarts Harry Potter ist so gut wie mein,Wurmschwanz. Es ist beschlossen. Kein Streit mehr. Doch still ich glaube, ichhöre Nagini «
Und dieStimme des zweiten Mannes veränderte sich. Er gab nun Laute von sich, wie Franksie noch nie gehört hatte; er zischte und fauchte ohne Luft zu holen. Er musseine Art Krampf oder Anfall haben, dachte Frank.
Und dannhörte er, wie sich hinter ihm im dunklen Korridor etwas bewegte. Er drehte sichum und erstarrte vor Schreck.
Über dendunklen Boden des Korridors glitt etwas auf ihn zu, und als es sich demLichtstreifen des Feuers näherte, erkannte er mit einem Schauder desEntsetzens, dass es eine gigantische, gut vier Meter lange Schlange war.Versteinert vor Angst starrte Frank auf das Tier, das sich in weit ausladendenWellenlinien durch den dicken Staub auf dem Boden bewegte und immer näher kam -was sollte er tun? Flüchten konnte er nur in das Zimmer, wo die beiden Männersaßen und einen Mord ausheckten, doch wenn er stehen blieb, würde ihn dieSchlange gewiss töten -
Doch bevorer sich entschieden hatte, war die Schlange gleichauf, und dann, unglaublichesWunder, glitt sie an ihm vorbei; sie folgte den fauchenden und zischendenLauten jener kalten Stimme hinter der Tür, und in Sekundenschnelle war dieSpitze ihres rautengemusterten Schwanzes durch den Türspalt verschwunden.
Auf FranksStirn standen Schweißperlen und seine Hand am Stock zitterte. Drinnen im Zimmerzischte die kalte Stimme weiter, und Frank kam ein merkwürdiger Gedanke in denSinn, ein unmöglicher Gedanke Dieser Mann kann mit Schlangen sprechen.
Frankbegriff nicht, was geschah. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als mit seinerheißen Wärmflasche behaglich im Bett zu liegen. Das Problem war nur, dass seineBeine keine Anstalten machten, sich zu bewegen. Am ganzen Körper zitternd stander da und versuchte seine Glieder zu beherrschen, als die kalte Stimmeplötzlich wieder Englisch sprach.
»Nagini hatinteressante Neuigkeiten, Wurmschwanz«, sagte sie.
»T-tatsächlich,Herr?«, sagte Wurmschwanz.
»In derTat, ja«, sagte die Stimme. »Nagini zufolge steht draußen gleich vor der Türein alter Muggel und hört jedes Wort mit, das wir sprechen.«
Frank hattekeine Chance, sich zu verstecken. Er hörte Schritte, dann wurde die Tür zumZimmer weit aufgestoßen. Ein kleiner Mann mit schütterem grauem Haar, spitzerNase und wässrigen Augen stellte sich vor Frank auf, mit einer Mischung ausAngst und Misstrauen in den Augen.
»Bitte ihndoch herein, Wurmschwanz. Wo bleiben deine Manieren?«
Die kalteStimme kam von dem alten Lehnstuhl am Feuer her, doch Frank konnte nicht sehen,wer da sprach. Die Schlange hingegen hatte sich, wie die grausige Karikatureines Schoßhündchens, auf dem verrotteten Kaminvorleger eingekringelt.
Wurmschwanzwinkte Frank mit einer kleinen Verbeugung ins Zimmer. Frank steckte die Angstzwar immer noch in den Knochen, doch er umklammerte erneut seinen Stock undhumpelte über die Schwelle.
Das Feuerwar die einzige Lichtquelle im Zimmer; es warf lange, spinnengleiche Schattenan die Wände. Frank starrte auf den Rücken des Lehnstuhls; der Mann daraufschien noch kleiner zu sein als sein Diener, denn Frank konnte nicht einmalseinen Hinterkopf sehen.
»Du hastalso alles mitgehört, Muggel?«, sagte die kalte Stimme.
»Warumnennen Sie mich so?«, sagte Frank widerspenstig, denn nun, da er in diesemZimmer war, nun, da es an der Zeit war zu handeln, fühlte er sich mutiger;schon im Krieg war es so gewesen.
»Ich nennedich einen Muggel«, sagte die Stimme kühl. »Das bedeutet, dass du kein Zaubererbist.«
»Ich weißnicht, was Sie mit Zauberer meinen«, sagte Frank mit allmählich festerer Stimme.»Alles, was ich weiß, ist, dass ich heute Nacht was gehört hab, das sicher diePolizei interessieren wird. Sie haben einen Mord begangen und planen noch mehrMorde! Und ich sag Ihnen noch was«, fügte er in einer plötzlichen Eingebunghinzu, »meine Frau weiß, dass ich hier oben bin, und wenn ich nicht zurückkomme-«
»Du hastkeine Frau«, sagte die kalte Stimme völlig ungerührt. »Keiner weiß, dass duhier bist. Du hast niemandem etwas gesagt. Belüge Lord Voldemort nicht, Muggel,denn er weiß er weiß immer «
»Stimmtdas?«, sagte Frank barsch. »Lord, tatsächlich? Nun, ich halte nicht viel vonIhren Manieren, Sie Lord, Sie. Warum drehen Sie sich nicht um und schauen mirins Gesicht wie ein Mann?«
»Ich binkein Mann, Muggel«, sagte die kalte Stimme, die sich kaum über das Knistern desFeuers erhob. »Ich bin viel, viel mehr als ein Mann. Allerdings warum nicht?Ich werde dir ins Gesicht sehen Wurmschwanz, komm her und drehe meinen Stuhlum.«
Vom Dienerher kam ein Wimmern.
»Du hastmich gehört, Wurmschwanz.«
Langsam,mit einer schrecklichen Grimasse, als wäre ihm nichts mehr zuwider als sichseinem Herrn und der vor dem Kamin zusammengerollten Schlange zu nähern, gingder kleine Mann auf den Stuhl zu und begann ihn zu drehen. Die Stuhlbeinestreiften leicht den Kaminvorleger und die Schlange hob ihren hässlichendreieckigen Kopf und zischte leise.
Und dannwar der Stuhl auf Frank gerichtet, und er sah, was dort saß. Sein Stock fielklappernd zu Boden. Er öffnete den Mund und stieß einen Schrei aus. Er schrieso laut, dass er die Worte, die das Etwas auf dem Stuhl sprach, als es seinenZauberstab erhob, nicht hören konnte. Ein grüner Lichtblitz, ein Brausen, undFrank Bryce brach zusammen. Noch bevor er aufschlug, war er tot.
DreihundertKilometer entfernt fuhr der Junge namens Harry Potter erschrocken aus demSchlaf.
© CarlsenVerlag
Übersetzung:Klaus Fritz
Joanne K. Rowling studierte zunächst Französisch und arbeitete u.a. für Amnesty International in London. Nach einem längeren Portugal-Aufenthalt kehrte sie zusammen mit ihrer Tochter nach England zurück. Als 31-jährige arbeitslose, allein erziehende Mutter schrieb sie den ersten Band der Harry-Potter-Geschichten. Bis der internationale Durchbruch kam, dauerte es noch ein paar Jahre. Der Rest ist Geschichte, in doppelter Hinsicht. Zum einen stieg das "Potter-Fieber" weltweit von Band zu Band, zum anderen hat Rowling mit dem siebten Buch "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" endgültig ihrem Helden und seiner Zauberwelt Lebewohl gesagt. Sie schließt aber nicht aus,
Zudem erscheint mit "The Tales of Beedle the Bard" ein Erzählband mit fünf Geschichten. Sie lesen sich als Nachtrag zu Harry Potters letztem Auftrag, der Zerstörung von Voldemorts Horkruxen, und sind gestaltet als Berichte von Albus Dumbledore an Hermine. Derweil lebt Rowling mit ihrem Mann und inzwischen drei Kindern in Schottland und sammelt weiter Auszeichnungen und Verkaufsrekorde: Rowling wurde u.a. in Deutschland und England zur Autorin des Jahres gewählt, bekam den Nestlé Smarties Book Prize, den Kinderbuchpreis der Jury der Jungen Leser, gehörte zu den 10 Bremer Besten und bekam zwei Mal hintereinander den British Book Award for Children’s Books. Der Name Joanne K. Rowling steht für eine Erfolgsgeschichte, die so wohl selbst die Autorin nicht hätte erfinden können.
- Autor: J.K. Rowling
- Altersempfehlung: 10 - 99 Jahre
- 2010, Nachdr., 768 Seiten, Maße: 14,3 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Fritz, Klaus
- Übersetzer: Klaus Fritz
- Verlag: Carlsen
- ISBN-10: 3551551936
- ISBN-13: 9783551551931
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