Die Kammer der toten Kinder / Lucie Henebelle Bd.1
Ein übermütiges Autorennen auf einem nachtdunklen Windradfeld endet grausig: Vigo und Sylvain überfahren einen Mann. Neben dem Toten finden sie einen Koffer mit zwei Millionen Euro. Kurz entschlossen, versenken sie die Leiche im Moor und verstecken das...
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Ein übermütiges Autorennen auf einem nachtdunklen Windradfeld endet grausig: Vigo und Sylvain überfahren einen Mann. Neben dem Toten finden sie einen Koffer mit zwei Millionen Euro. Kurz entschlossen, versenken sie die Leiche im Moor und verstecken das Geld. Was sie nicht ahnen: Das Opfer war ein Vater, der seine entführte Tochter freikaufen wollte. Ein psychopathischer Serienmörder hat es auf Kinder abgesehe.
Ein Thriller, der an Thomas Harris und Tess Gerritsen erinnert.
Die Kammer der toten Kinder von Franck Thilliez
LESEPROBE
»Gib mirnoch ne Spraydose!«
Vorsichtigzog Vigo die Dose aus seiner Sporttasche. »Das istdie letzte. Beeil dich! Ich frier mich zu Tode!« Sylvain ging um den Westflügel von VignysIndustries. Krankhaftes Vergnügen und gärender Hass tobten in seinem Körper. Indieser dunklen Nacht schlug endlich die Stunde der Rache!
Seinsteifer Daumen drückte auf das Ventil. Fast wie von selbst entstanden die Schimpftiradenan der Wand. Kurz darauf trat Vigo neben ihn.
»Und? Bistdu fertig?«
»Ja. DieseDreckskerle haben erst mal genug zu tun, um das hier wieder sauberzumachen.Böse Sprüche und Gewerkschaftsparolen, wie du gesagt hast.«
»Wunderbar!Wenn man bedenkt, dass es drinnen nur so wimmelt vor Alarmanlagen, und dannmuss man nur eine erbärmliche Absperrung überwinden, um das Firmenimage im Markzu treffen!«
»Sie sollenes büßen! Von wegen Wir werden uns um Ihre berufliche Wiedereingliederungkümmern. Schweinehunde! Seit sechs Monaten sind wir jetzt arbeitslos!«
Im Scheinseiner Taschenlampe bewunderte Vigo ein letztes Malihr Werk. Die Geschäftsräume eines Stahlwerks vollgesprühtwie ein Bushäuschen. Ein moralischer Angriff auf die leicht ergrauten Herrenmit ihren manikürten Fingernägeln und densechsstelligen Gehältern. Sein Atem stockte, als der Lichtkegel den Notausgang streifte.
»Boidin, du bist ein toter Mann! Sylvain! Da hättest du genauso gut unterschreiben können!Du machst den IT-Direktor persönlich verantwortlich.Damit lenkst du den Verdacht direkt auf uns!«
»Hör auf,wir wohnen neunzig Kilometer von Dunkerque entfernt!Bei all den Entlassungen werden sie «
»Mach dasweg, und zwar schnell!«
»Du bistecht paranoid! Ich hab keine Farbe mehr!«
»Geh weg da!«
Die Restein den Spraydosen reichten, um die kompromittierenden Worte auszulöschen.
»In Ordnung!«, keuchte Vigo. »Bist du sowütend, dass du dich nicht zurückhalten kannst?«
»Ich hasseden Typen! Am liebsten würde ich ihm die Krawatte ins Maul stopfen! Ich hab dieSchnauze voll von den Bewerbungsgesprächen. Jedes Mal stürzen sich zwanzig Haieauf eine einzige Stelle! Das klappt doch nie!«
»Wir werdenauch wieder bessere Tage erleben, aber bis dahin müssen wir durchhalten. Los!Hauen wir ab!«
Mit einemSatz hatten sie das Eingangstor überwunden. Als sie in ihrem Peugeot 306 saßen,öffnete Vigo zwei Bierflaschen.
»Traurig,wie weit es mit uns gekommen ist! Aber was solls, stoßen wir an auf diesenbescheidenen Sieg «
TiefesSchweigen, das bittere Erinnerungen in ihnen wachrief. Aus wirtschaftlichenGründen entlassen, mit einer minimalen Abfindung. Den Raubtieren ausgeliefert,in einer Welt, die jegliche Farbe verloren hatte. Ein trübes Weihnachtsfeststand ihnen dieses Jahr bevor, mit nachgemachtem Schmuck und billigen Zigarren.In der Not frisst der Teufel
Nachdem ertief durchgeatmet hatte, schlug Vigo vor:
»Hör mal!Was hältst du davon, wenn wir uns drüben bei den Windrädern ein letztes Malaustoben? Einfach nur so, damit wir den Kopf wieder freikriegen und um derguten alten Zeiten willen?«
»Finde ichnicht so toll Hab ich noch nie gern gemacht «
»Los!Beweisen wir uns, dass wir mit siebenundzwanzig noch nicht tot sind! Lass michans Steuer! Ich will zuerst!«
Unter derKuppel der Nacht breitete das Industriegebiet von Dunkerqueseine leuchtenden Tentakel aus, so weit das Auge reichte. Entlang derverlassenen Wege streckten die Raffinerieschornsteine ihre schwärzlichen Mäulerin die winterliche Dunkelheit.
»Siehtbeinah aus wie der Todesstern in Krieg der Sterne «, stellte Sylvain beklommen fest. »Nichteine Menschenseele auf all diesen Kilometern aus Blech und Beton.
Und diesesständige Dröhnen. Selbst nach so vielen Jahren macht mir dieses metalleneMonster noch Angst.«
»Dunkerque in seiner ganzen Pracht, Friedhof der festgeschraubtenBolzen und verschweißten Platten. Da sind wir «
DasFahrzeug bog ab in Richtung der Fabrik von Air Liquide und fuhr dann in eineSackgasse, die am Boden von grünen und gelben Nachtlichtern gesäumt war. Vigo schaltete die Scheinwerfer aus. Ringsum standen Dutzenderiesiger Rotoren, die unter den Attacken des Windes heulten
»UnsereRennstrecke! Zum Teufel mit der Geschwindigkeitsbegrenzung! Weg mit unserenformatierten, vorgefertigten Leben! Ich pfeif auf die Gesetze und Regeln dieserWelt! Wie viel? Sagst du mir an der letzten Lampe wie viel?«
»Mirgefällt das alles nicht! Mach die Scheinwerfer an!«
»AlleLichter aus für einen höllischen Nervenkitzel! Ich wette mit dir aufhundertsechzig! Verdammte hundertsechzig! Meinst du, dein Herz macht das mit?Halt dich fest!«
Der Motorheulte auf. Bald wurden die Reihen der Nachtlichter von der Geschwindigkeit geschlucktund verschwammen zu zwei Linien. Es gab nur noch das Gefühl zu fliegen, denKick des Adrenalins. Die Wucht des Zusammenpralls war ungeheuerlich
2 Bei den Papuas gibt es Papuas undNicht- Papuas. Bei den Papuas gibt es Papua-Papas und Papuas, die keine Papassind
Mélodiemurmelte ihren Lieblingsreim immer wieder vor sich hin. Wenn sie sang,vertrieben die heiteren Töne ihre schlimmen Gedanken. Auch ihr Bauch schiennicht mehr so wehzutun. Wenn sie nicht mehr weinte, so hatte das Monster ihr versprochen,dann käme sie zurück zu Papa und Mama, und zu Claquette,ihrer stets gut gelaunten Hündin. Sie presste ihre Puppe an ihr kleines Herz,während sie weitersummte.
Denknicht an das Knurren Es ist nicht da Mir ist kalt Ich habe Hunger Der stechende Schmerz in ihrem Halswollte nicht weggehen. Ein seltsames Kratzen brachte sie zum Husten und reiztesie so, dass sie sich am liebsten den Gaumen aufgerissen hätte. Sie konnte nochso viel trinken und ausspucken, es kamen nur Feuerwalzen hervor.
Seit sie inder feuchten Höhle angekommen waren, raste das Monster vor Wut. An der Art, wiees mit den Füßen aufstampfte, erkannte Mélodie seineBoshaftigkeit. Gelegentlich schlich die Bestie um sie herum, und der warme Atemstreifte in ekelhaften Schüben ihr kleines Gesicht. Sie hatte dennoch gehorcht.Reglos hatte sie alles mit sich machen lassen. Wieso kam ihr Papa trotzdemnicht? Warum hielt das Monster sein Versprechen nicht?
WeilMonster böse sind. Monster sagen nie die Wahrheit.
Das völligverfrorene Mädchen fühlte die Spannung in der dicken Luft, als ob ein Gewitterheraufzöge. Mehr als andere Kinder besaß sie ein besonderes Gespür für Menschen,sie konnte ihnen ins Herz zu schauen, ihre warme Aura spüren oder ihr rasendesTemperament. Und was sie in der Seele des Monsters erblickte, ließ sie erzittern.Sie unterdrückte ein Schluchzen und wischte schnell eine Träne von ihrer Wange,während sie die Beine an die Brust zog. Zu spät. Eine Ohrfeige warf sie um.
»Hör aufrumzujammern! Und mach deine Puppe nicht kaputt! Mach sie bloß nicht kaputt!«
Einbeißender Schmerz durchfuhr sie, sie schmeckte kupferrotesBlut auf ihren Lippen, und ihr Atem ging nur noch stoßweise.
Der Reim,der sie eben noch beruhigt hatte, fand nicht mehr den Weg zu ihr. Mélodie kniff die Augen zusammen, suchte in ihrem Innernnach warmen Düften, lautem Gelächter, dem fröhlichen Wiehern von Pastille, ihremkleinen Pony. Nichts. In ihrem Kopf herrschte ewige Nacht, die sie baldvollständig umhüllen würde. Für immer.
Wenn sieerst im Arm ihres Papas lag, würde sie ihm alles erzählen. Ihm sagen, dass dasMonster ihr an den Händen wehgetan und ihr ein Pflaster auf den Mund geklebthatte, damit sie nicht schrie. Es hatte sie gezwungen zu lächeln und reglos indiesem Ledergestank zu verharren, während es ihr das Haar bürstete. So kräftigund so lange, dass sie das Gefühl hatte, ihr Kopf blute. Ja, sie würde ihmalles sagen, kein Detail vergessen.
Diesenwiderlichen Geruch, das unmenschliche Gebrüll, die weichen, knirschenden Teile,die zu Hunderten, zu Tausenden aufgehäuft auf dem Boden lagen.
Jetzt fuhrder ranzige Atem des Raubtiers über ihren Nacken. Eine warme, durchdringendeWoge, der Geruch der Savanne. So nah! Die klappernden Schritte - Hufe,musste Mélodie denken - waren nun nicht mehr zuhören. Es musste also direkt über ihr sein, sie sorgfältig mustern. Wie es wohlaussah? Bestimmt hatte es spitze Zähne, Haarbüschel auf der Schnauze undriesige Augen.
SeineGestalt hatte sie nicht sehen können, auch die der anderen nicht, die nochseltsamer waren. Wie sollte sie das Monster also präzise beschreiben? Sie würdeihren Klassenkameraden auf der Sonderschule ihre Geschichte erzählen, dochniemand würde ihr zuhören. Obwohl sie noch so klein war, wusste sie bereits,dass die meisten Menschen nur glaubten, was sie sahen. Doch diese Art derWahrnehmung machte für sie keinen Sinn.
Aus derWärme ihres Körpers zog Mélodie die Kraft, nicht zuschreien. Ihre Finger, ihre Arme und Beine waren vor Kälte ganz steif. IhreZähne klapperten, ihr Körper war erstarrt. Warum hatte die Bestie ihr die Jackeaus- gezogen? Sie befahl ihren Stimmbändern zu schwingen und um eine Decke zubitten, ein Nest aus Federn, in das sie sich verkriechen konnte. Doch auch inihr drin machte sich Verwirrung breit. Ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr.
Sie hörteein leises Klicken neben ihrem Ohr und spürte dann, wie ein eisiger Hauch überihre Wange strich. Das Monster wetzte seine Klauen aus Stahl.
Da wusstesie, dass bald alles zu Ende sein würde. Plötzlich hörte man draußen Reifenquietschen. Die Bestie sprang auf und presste die Stirn gegen eineFensterscheibe, die unter der Wucht der Berührung erbebte.
Draußen herrschteAufregung. Vielleicht war ihr Papa endlich gekommen
© UllsteinBuchverlage
Übersetzung:Ingrid Kalbhen
- Autor: Franck Thilliez
- 2007, 2. Aufl., 329 Seiten, Maße: 11,4 x 17,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Französ. v. Ingrid Kalbhen
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548266673
- ISBN-13: 9783548266671
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