Denn sie betrügt man nicht
Da Inspector Lynley auf Hochzeitsreise ist, ermittelt Barbara Havers auf eigene Faust.
Sie deckt einen Familienkrieg auf, in den auch ihr Nachbar verwickelt zu sein scheint.
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Da Inspector Lynley auf Hochzeitsreise ist, ermittelt Barbara Havers auf eigene Faust.
Sie deckt einen Familienkrieg auf, in den auch ihr Nachbar verwickelt zu sein scheint.
Denn sie betrügt man nicht von Elizabeth George
LESEPROBE
Der Abstiegin Ian Armstrongs Leben hatte an dem Tag begonnen, an dem er seinenArbeitsplatz verlor. Schon als man ihm die Stellung zugesagt hatte, war ihmklar gewesen, daß es nur eine Arbeit auf Zeit war. Die Annonce, auf die er sichgemeldet hatte, hatte nichts anderes vorgegeben, und man hatte ihm nie einenfesten Vertrag angeboten. Doch nachdem zwei Jahre vergangen waren, ohne daß jedas Wörtchen Entlassung gefallen wäre, hatte Ian unklugerweise zu hoffengewagt. Das war dumm gewesen.
Ians vorletzte Pflegemutter hätte die Nachricht vom Verlust seinerArbeitsstelle mit den Worten aufgenommen: »Tja, mein Junge, wie der Wind weht,kann man nicht ändern. Wenn er über Kuhmist weht, hält sich ein kluger Menschdie Nase zu.« Sie hätte sich dabei lauwarmen Tee in ein Glas gegossen - siebenutzte niemals Teetassen - und hinuntergekippt. Dann hätte sie gesagt:»Nimm's, wie's kommt, mein Junge« und sich wieder der neuesten Ausgabe vonHello zugewandt, um die Bilder der Reichen und Schönen zu bewundern, die inschicken Londoner Wohnungen und auf eleganten Landsitzen ein luxuriöses Lebenführten.
Das wäre ihre Art gewesen, Ian zu raten, sich mit seinem Schicksal abzufinden,ihr wenig taktvoller Hinweis darauf, daß einer wie er für ein Leben im Luxuseben nicht geschaffen sei. Aber Ian hatte ein solches Leben nie angestrebt. Erhatte nie mehr gewollt, als anerkannt und akzeptiert zu werden, und diesebeiden Ziele verfolgte er mit der Inbrunst eines verlassenen Kindes, das es niegeschafft hatte, adoptiert zu werden. Er hatte schlichte Wünsche: eine Frau,eine Familie und die Gewißheit, daß seine Zukunft rosiger ausfallen würde alsseine harte Vergangenheit.
Diese Ziele waren einst erreichbar erschienen. Er machte seine Arbeit gut. Erwar jeden Morgen überpünktlich ins Büro gekommen. Er hatte Überstunden ohneBezahlung geleistet. Er hatte sich die Namen seiner Mitarbeiter eingeprägt. Erwar sogar so weit gegangen, sich die Namen ihrer Ehepartner und Kinder zu merken,und das war keine Kleinigkeit. Und zum Dank für all seine Anstrengungen hatteman ihm im Büro eine Abschiedsfeier mit Fertigbowle ausgerichtet und ihm eineSchachtel Taschentücher aus einem Billigkaufhaus geschenkt.
Ian hatte versucht, dem Unvermeidlichen zuvorzukommen, es vielleicht sogarabzuwenden. Er hatte auf seine Leistungen hingewiesen, auf die vielenfreiwilligen Überstunden, die er gemacht hatte, auf das Opfer, das er gebrachthatte, indem er sich nicht nach einer anderen Anstellung umgesehen hatte,solange er den Posten auf Zeit innegehabt hatte. In dem Bemühen um einenKompromiß hatte er angeboten, sich mit einem niedrigeren Gehaltzufriedenzugeben, und zum Schluß hatte er darum gebettelt, seinen Job behaltenzu dürfen.
Es hatte Ian nichts ausgemacht, sich vor seinem Arbeitgeber zu erniedrigen.Hauptsache, er behielt seine Arbeit. Denn nur wenn er Arbeit hatte, konnte erweiterhin sein neues Haus abzahlen. Und dann konnten Anita und er in ihrengemeinsamen Bemühungen fortfahren, Mikey ein kleines Geschwisterchen zubescheren, dann brauchte Ian seine Frau nicht zur Arbeit zu schicken. Vor allemaber wäre ihm Anitas verächtlicher Blick angesichts seiner erneutenArbeitslosigkeit erspart geblieben.
»Es ist diese gemeine Rezession, Schatz«, hatte er zu ihr gesagt. »Die nimmteinfach kein Ende. Die Bewährungsprobe unserer Eltern war der Zweite Weltkrieg.Unsere ist diese Wirtschaftskrise.«
Ihr geringschätziger Blick hatte gesagt: »Komm mir nicht mit Philosophie. Duhast deine Eltern ja nicht mal gekannt, Ian Armstrong.« Tatsächlich jedochsagte sie mit ganz unangemessener und daher unheilverkündender Freundlichkeit:»Na, da lande ich wohl wieder in der Bibliothek. Obwohl ich mir nichtvorstellen kann, was groß übrigbleiben soll, wenn ich jemanden bezahlen muß,der auf Mikey aufpaßt, solange ich weg bin. Oder hattest du vielleicht vor, ihnselbst zu hüten, anstatt auf Arbeitssuche zu gehen?« Sie lächelte mitverkniffener Unaufrichtigkeit.
»Ich hab' noch gar nicht darüber nachgedacht -«
»Das ist ja das Schlimme an dir, Ian. Du denkst nie nach. Nie hast du einenPlan. Wir schlittern vom Problem in die Krise und weiter an den Rand derKatastrophe. Wir haben ein neues Haus, das wir nicht bezahlen können, und einKind, das wir ernähren müssen, und trotzdem fällt dir nicht ein, malnachzudenken. Wenn du vorausgeplant hättest, wenn du dich bei der Firmaunentbehrlich gemacht und gedroht hättest zu gehen, als der Betrieb voranderthalb Jahren umgestellt werden mußte und du der einzige in Essex warst,der das hätte durchziehen können -«
»Das stimmt doch gar nicht, Anita.«
»Na bitte! Da hast du's!«
»Was?«
»Du bist viel zu bescheiden. Du machst nichts aus dir. Sonst hättest dubestimmt längst einen Vertrag. Wenn du nur einmal planen würdest, hättest dudamals, als sie dich am dringendsten gebraucht haben, auf einen festen Vertragbestanden.«
Es war sinnlos, Anita erklären zu wollen, wie es im Geschäftsleben zuging, wennsie so aufgebracht war. Und Ian konnte es seiner Frau im Grund nicht verübeln,daß sie aufgebracht war. In den sechs Jahren ihrer Ehe hatte er dreimal dieStellung verloren. In den ersten zwei Perioden der Arbeitslosigkeit hatte sieihn unterstützt, aber damals hatten sie auch noch bei ihren Eltern gelebt undnicht die Geldsorgen gehabt, die sie jetzt niederdrückten. Ach, wenn doch allesanders sein könnte, dachte Ian. Wenn sein Arbeitsplatz doch nur sicher gewesenwäre. Aber sich in die unsichere Welt von »wenn doch nur« zu flüchten, warkeine Lösung.
Anita begann also wieder zu arbeiten. Sie bekam eine erbärmliche undschlechtbezahlte Stellung bei der Stadtbibliothek, wo sie Bücher ordnete undRentnern half, ihre Zeitschriften zu suchen. Und Ian begab sich wieder einmalauf den demütigenden Weg der Arbeitssuche, und das in einem Teil des Landes,der schon lange tief in der wirtschaftlichen Krise steckte.
Er begann jeden Tag damit, daß er sich sorgfältig kleidete und das Haus vorseiner Frau verließ. Er hatte sein Glück im Norden bis nach Ipswich versucht,im Westen bis nach Colchester. Er hatte sich in Clacton im Süden bemüht und warsogar bis nach Southend-on-Sea vorgestoßen. Er hatte sein Bestes getan, abererreicht hatte er nichts. Und jeden Abend sah er sich Anitas schweigender, aberwachsender Verachtung gegenüber. An den Wochenenden floh er.
Er floh in lange Wanderungen. Im Lauf der vergangenen Wochen hatte er die ganzeHalbinsel Tendring kennengelernt wie seine Westentasche. SeinLieblingsspaziergang begann nicht weit vom Ort, wo hinter der Brick Barn Farmeine Seitenstraße zu dem Fußpfad über den Wade führte. Am Ende des Sträßchenspflegte er den Morris stehenzulassen, und wenn Ebbe war, stieg er in seineGummistiefel und stapfte über den morastigen Damm zu dem Buckel Land, derHorsey Island hieß. Hier beobachtete er die Wasservögel und ging auf Muschelsuche.In der Natur fand er den Frieden, den sein Alltag ihm verwehrte. Und an denfrühen Wochenendmorgen zeigte sich ihm die Natur von ihrer schönsten Seite.
An diesem besonderen Samstagmorgen war Flut, darum wählte Ian den Nez für seineWanderung. Der Nez war ein beeindruckendes, von Ginster überwuchertes Kap, dassich knapp fünfzig Meter über der Nordsee erhob und sie von den Salzwieseneines Wattgebiets trennte, die man die Saltings nannte. Wie die Siedlungen ander Küste führte auch der Nez einen immerwährenden Kampf gegen die See. Doch imGegensatz zu den Dörfern und Städten schützten ihn keine Molen; seine Hängewaren nicht mit Beton befestigt, der verhindert hätte, daß der unsichere Bodenaus Lehm, Kiesel und Erdreich bröckelte und brach und zum untenliegenden Strandabrutschte.
©Verlagsgruppe Random House
Autoren-Porträt von Elizabeth George
DieAmerikanerin Elizabeth George hatte von Jugend an ein ausgeprägtes Faible fürdie britische Krimitradition. Bereits in ihrem ersten Roman kombinierte siepsychologische Raffinesse mit einem unfehlbaren Sinn für Spannung und Dramatik:Gott schütze dieses Haus (dt. 1989) wurde mit mehreren namhaften Auszeichnungengewürdigt. Elizabeth George lebt in Huntington Beach, Kalifornien.
- Autor: Elizabeth George
- 1999, 1, 703 Seiten, Maße: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Dtsch. v. Mechtild Sandberg-Ciletti
- Übersetzer: Mechtild Sandberg-Ciletti
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442444020
- ISBN-13: 9783442444021
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
3 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Denn sie betrügt man nicht".
Kommentar verfassen