Wer sich in Gefahr begibt / Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross Bd.1
Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross
England, 1864. Als Lizzie Martin mit dem Zug nach London kommt, um eine neue Stelle anzutreten, ahnt sie nicht, welche Abenteuer hier auf sie warten. Doch schon der erste Eindruck, den sie von der Stadt bekommt, ist bedrückend. Bereits vor dem Bahnhof...
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Produktinformationen zu „Wer sich in Gefahr begibt / Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross Bd.1 “
England, 1864. Als Lizzie Martin mit dem Zug nach London kommt, um eine neue Stelle anzutreten, ahnt sie nicht, welche Abenteuer hier auf sie warten. Doch schon der erste Eindruck, den sie von der Stadt bekommt, ist bedrückend. Bereits vor dem Bahnhof begegnet sie einem Leichenwagen, der eine tote Frau abtransportiert. Und in ihrem neuen Heim angekommen, erfährt sie, dass ihre Vorgängerin unter mysteriösen Umständen von einem Tag auf den anderen spurlos verschwunden ist. Lizzies Neugier ist geweckt. Zusammen mit ihrem alten Bekannten Inspector Benjamin Ross beginnt sie nachzuforschen.
Klappentext zu „Wer sich in Gefahr begibt / Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross Bd.1 “
England, 1864. Als Lizzie Martin mit dem Zug nach London kommt, um eine neue Stelle anzutreten, ahnt sie nicht, welche Abenteuer hier auf sie warten. Doch schon der erste Eindruck, den sie von der Stadt bekommt, ist bedrückend. Bereits vor dem Bahnhof begegnet sie einem Leichenwagen, der eine tote Frau abtransportiert. Und in ihrem neuen Heim angekommen, erfährt sie, dass ihre Vorgängerin unter mysteriösen Umständen von einem Tag auf den anderen spurlos verschwunden ist. Lizzies Neugier ist geweckt. Zusammen mit ihrem alten Bekannten Inspector Benjamin Ross beginnt sie nachzuforschen ...
England, 1864. Als Lizzie Martin mit dem Zug nach London kommt, um eine neue Stelle anzutreten, ahnt sie nicht, welche Abenteuer hier auf sie warten. Doch schon der erste Eindruck, den sie von der Stadt bekommt, ist bedrückend. Bereits vor dem Bahnhof begegnet sie einem Leichenwagen, der eine tote Frau abtransportiert. Und in ihrem neuen Heim angekommen, erfährt sie, dass ihre Vorgängerin unter mysteriösen Umständen von einem Tag auf den anderen spurlos verschwunden ist. Lizzies Neugier ist geweckt. Zusammen mit ihrem alten Bekannten Inspector Benjamin Ross beginnt sie nachzuforschen ...
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Wer sich in Gefahr begibt von Ann GrangerKapitel Eins
Elizabeth Martin
Die Maschine stieß einen langgezogenen Seufzer aus wie eine ältere Lady, die ihr Korsett löste, und hüllte alles und jeden in eine Wolke aus schwefeligem Rauch und Dampf. Er wirbelte den Bahnsteig entlang und in die Höhe, wo er sich unter dem Dach des Bahnhofs fing. Der Geruch erinnerte mich an Mary Newlings Küche, wo ich als kleines Mädchen die Aufgabe gehabt hatte, hart gekochte Eier zu schälen.
In unerwarteten Abständen teilte sich der Rauch, und eine Gestalt erschien kurz darin, nur um gleich wieder zu verschwinden und von einer anderen ersetzt zu werden wie in einer flimmernden Laterna- magica-Vorstellung. Hier eine Frau mit einer großen Tasche in der einen und einem Jungen in einem Matrosenanzug an der anderen Hand. Als sie verschwanden, tauchte an einer anderen Stelle ein Mann in Jacke und Hose aus grellem Karomuster mit einem verwegen auf dem Kopf sitzenden Hut auf. Ich muss so unerwartet für ihn in Sicht gekommen sein wie er für mich. Er bedachte mich mit einem scharfen Raubtierblick, und ich fand gerade genügend Zeit zu sehen, wie er einen abfälligen Blick aufsetzte, bevor der Rauchvorhang sich wieder über ihm schloss.
»Nun aber, Lizzie Martin!«, schalt ich mich forsch. »Du bist weder hübsch genug noch gut genug gekleidet, als dass du dich sorgen müsstest, belästigt zu werden.«
Trotzdem verletzte es meine Eitelkeit, so schnell abgetan zu werden.
Der Rauch wurde rasch dünner, und die nächste Gestalt, die vor mir erschien, trug zu meiner großen Erleichterung die Uniform eines Kofferträgers. Ein kleiner, drahtiger Mann unbestimmbaren Alters, der mich angrinste und sich in einer Geste an die Mütze tippte, die seinen Respekt signalisieren sollte, doch unglücklicherweise stark an das konspirative
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An-die-Stirn-tippen erinnerte, welches die Einfältigkeit einer anderen Person signalisierte.
»Darf ich Ihren Koffer nehmen, Miss?«
»Ich habe nur diesen einen«, sagte ich entschuldigend. »Und eine Hutschachtel.«
Doch er griff bereits nach beidem, und ehe ich mich versah, stapfte ich munteren Schrittes hinter ihm her in Richtung Bahnsteigsperre. Mein Fahrschein wurde von dem wichtig aussehenden Beamten dort beiseitegewischt, und ich betrat die Haupthalle. »Werden Sie abgeholt, Miss? Oder brauchen Sie eine Droschke?«
Der Kofferträger schaute erwartungsvoll zu mir hinauf.
»Oh, ja, eine Droschke, aber …«
Zu spät. »Dann folgen Sie mir bitte, Miss. Ich bringe Sie zum Stand.«
Mrs Parry hatte mir ausführlich geschrieben und bedauert, dass es nicht möglich sei, mich von irgendjemandem abholen zu lassen, und mir gleichzeitig ausführliche Anweisungen gegeben, wie ich mich bei meiner Ankunft in der Hauptstadt verhalten sollte. Ich sollte meine Habseligkeiten nur einem Kofferträger anvertrauen, der (die nächsten Worte waren dick unterstrichen) ein Angestellter der Eisenbahngesellschaft war, und niemand anderem! Wenn ich jemand anderem meine Koffer gäbe, sollte ich nicht überrascht sein, falls ich sie niemals wiedersähe. Wenigstens diese Anweisung hatte ich befolgt.
Ich war auf dem besten Weg, auch der zweiten Folge zu leisten: eine Droschke zu nehmen – und zwar eine, die von einem Pferd in gutem Zustand gezogen wurde – und mich zuerst beim Kutscher nach dem Fahrpreis zu erkundigen. Ich sollte mich von ihm auf dem kürzesten Weg zu Mrs Parrys Adresse fahren lassen. Droschkenfahrer seien zuzeiten höchst impertinent, hatte sie geschrieben, wenn sie mit allein reisenden Damen zu tun hätten, und ich dürfte sie unter keinen Umständen zu diesem Verhalten ermutigen.
Eine kleine Bande abgerissener Kinder tauchte wie aus dem Nichts auf und rannte neben mir her, um mich hartnäckig um Pennys anzubetteln.
»Los, machtdasserwegkommt, Lumpenpack!«, donnerte mein Kofferträger sie mit unerwarteter Heftigkeit an. Während sich die Bande unter Spottrufen an seine Adresse zerstreute, fügte er an mich gewandt hinzu: »Passen Sie bloß gut auf diese Gören auf, Miss! Und nehmen Sie niemals vor ihren Augen Ihre Geldbörse hervor.« »Nein, gewiss nicht!«, stimmte ich ihm atemlos zu. Ich war neu in der Stadt, und ich kam eindeutig aus der Provinz, doch ich war nicht dumm, und dort, wo ich herkam, gab es ebenfalls Banden kindlicher Diebe.
Ein neuer Geruch gesellte sich zu dem des Qualms, der Asche und der ungewaschenen Menschen: der Geruch nach Pferden. Wir hatten einen Stand mit vierrädrigen Gespannen von der Sorte erreicht, die ›Growler‹ genannt werden wegen des Lärms, den ihre Räder machen.
»Das ist angemessener für eine allein reisende Lady«, vertraute mir mein Träger an. »Sie würden sicher keine zweirädrige Kutsche mieten wollen. Wo wollen Sie überhaupt hin, Miss?« Und bevor ich antworten konnte, rief er: »Aufgepasst, Wally! Hier ist eine Lady, die eine Kutsche benötigt!«
Der fragliche Droschkenlenker hatte gegen sein Pferd gelehnt gestanden und sich gemächlich ein Stück Kuchen genehmigt. Nun schob er sich den Rest des krümelnden Gebäcks in den Mund und richtete sich aufmerksam auf. Das machte ihn bei weitem nicht vertrauenerweckender. Er war stämmig und kräftig, und seine Gesichtszüge waren so zerschlagen, dass es den Eindruck erweckte, er sei irgendwann einmal im Leben mit einem massiven Gegenstand kollidiert. Allein auf mich gestellt, hätte ich sicherlich gezögert, mich diesem Fahrer zu nähern, geschweige denn ihn anzusprechen. Er bemerkte meinen verblüfften Gesichtsausdruck und sagte: »Angst wegen meiner verbeulten Visage, Miss?« Mit einem dicken kurzen Finger deutete er auf seine schiefe Nase. »Das kommt von meiner glänzenden Karriere im Boxring, jaja. Glänzend, aber kurz, wenn ich das sagen darf. Es war eine Frau, die mich dazu bewogen hat, damit aufzuhören. ›Wally Slater!‹, hat sie geschimpft. ›Entweder der Boxring oder ich!‹, und weil ich damals jung und dumm war«, fügte er in vertraulichem Ton hinzu, »habe ich sie genommen, und heute ist sie meine liebende Ehefrau, und ich fahre diese Droschke, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen!« Er kicherte ausdauernd und schlug sich auf den Schenkel. Das Pferd stieß ein boshaftes Schnauben aus.
»Das interessiert die Lady nicht«, tadelte mein Kofferträger den Fahrer. Wie das Pferd, so hatte auch er diese Geschichte wohl schon unzählige Male gehört. Er wandte sich an mich. »Wohin möchten Sie, Miss?«
Ich nannte die Adresse, Dorset Square, und fügte hinzu: »Das ist in Marylebone.«
»Und eine sehr hübsche Gegend außerdem«, bemerkte der Droschkenfahrer und nahm meinem Kofferträger das Gepäck ab. »Wie viel macht das?«, beeilte ich mich, Mrs Parrys Instruktionen zu gehorchen.
Der Mann blinzelte mich an, was ihn noch furchteinflößender aussehen ließ, und nannte seinen Fahrpreis. Ich bemerkte den Blick des Trägers, und er nickte mir ermutigend zu, was ich in dem Sinne auffasste, dass der Preis angemessen sei. Oder vielleicht steckte er auch nur mit dem Droschkenfahrer unter einer Decke. Sie waren offensichtlich alte Bekannte. Die nächsten Worte des Fahrers schürten mein Misstrauen nur umso mehr.
»Es könnten noch Sixpence zusätzlich werden, Miss – für den Fall, dass wir außen herum fahren müssen wegen all der Baukarren.«
»Ich möchte, dass Sie den kürzesten Weg fahren«, sagte ich in strengem Ton.
»Hören Sie, Miss, Sie haben das wohl falsch verstanden«, erklärte Mr Slater ernst. »Sie machen Platz für den neuen Bahnhof, sehen Sie, reißen Häuser ein und fahren den ganzen Abraum weg. Die Straßen ringsum sind völlig verstopft, und wir Droschkenfahrer müssen es ausbaden und haben ohne Ende Scherereien. Stimmt’s etwa nicht?«, fragte er an meinen Träger gewandt.
Der Kopf des Letzteren tanzte auf und ab wie bei einem Nick- Automaten. »Das ist richtig, Miss. Die Midland Railway baut ihren eigenen Bahnhof, verstehen Sie, anstatt mit anderen zu teilen. St. Pancras soll er heißen, wenn er fertig ist. Die Eisenbahngesellschaft hat sämtliche Häuser gekauft und die Leute vertrieben, die dort gewohnt haben, und jetzt wird alles abgerissen und hübsch plattgemacht. Stellen Sie sich vor, selbst die Kirche muss weichen.«
»Sie wird an irgendeiner anderen Stelle wieder aufgebaut – jedenfalls habe ich das so gehört«, sagte der Droschkenfahrer.
»Bauen sie auch die Häuser für die Menschen irgendwo anders wieder auf? Das würde mich nämlich mehr interessieren«, konterte der Träger.
»Es ist der Friedhof«, vertraute uns der Droschkenfahrer traurig an. »Sie schätzen, dass der ihnen Probleme machen wird. Sie haben versucht, drunter zu graben, als Hexperiement quasi, aber sie finden ständig irgendwelche menschlichen Skeldette, wie ich gehört habe.«
Beide richteten ihre erwartungsvollen Blicke auf mich, wie um sicherzustellen, dass ich diese gruslige Tatsache angemessen zu würdigen wusste. Es war, wie ich durchaus erkannte, ein Versuch, mich von meinen Einwänden abzubringen.
© Verlagsgruppe Lübbe
Übersetzung: Axel Merz
»Darf ich Ihren Koffer nehmen, Miss?«
»Ich habe nur diesen einen«, sagte ich entschuldigend. »Und eine Hutschachtel.«
Doch er griff bereits nach beidem, und ehe ich mich versah, stapfte ich munteren Schrittes hinter ihm her in Richtung Bahnsteigsperre. Mein Fahrschein wurde von dem wichtig aussehenden Beamten dort beiseitegewischt, und ich betrat die Haupthalle. »Werden Sie abgeholt, Miss? Oder brauchen Sie eine Droschke?«
Der Kofferträger schaute erwartungsvoll zu mir hinauf.
»Oh, ja, eine Droschke, aber …«
Zu spät. »Dann folgen Sie mir bitte, Miss. Ich bringe Sie zum Stand.«
Mrs Parry hatte mir ausführlich geschrieben und bedauert, dass es nicht möglich sei, mich von irgendjemandem abholen zu lassen, und mir gleichzeitig ausführliche Anweisungen gegeben, wie ich mich bei meiner Ankunft in der Hauptstadt verhalten sollte. Ich sollte meine Habseligkeiten nur einem Kofferträger anvertrauen, der (die nächsten Worte waren dick unterstrichen) ein Angestellter der Eisenbahngesellschaft war, und niemand anderem! Wenn ich jemand anderem meine Koffer gäbe, sollte ich nicht überrascht sein, falls ich sie niemals wiedersähe. Wenigstens diese Anweisung hatte ich befolgt.
Ich war auf dem besten Weg, auch der zweiten Folge zu leisten: eine Droschke zu nehmen – und zwar eine, die von einem Pferd in gutem Zustand gezogen wurde – und mich zuerst beim Kutscher nach dem Fahrpreis zu erkundigen. Ich sollte mich von ihm auf dem kürzesten Weg zu Mrs Parrys Adresse fahren lassen. Droschkenfahrer seien zuzeiten höchst impertinent, hatte sie geschrieben, wenn sie mit allein reisenden Damen zu tun hätten, und ich dürfte sie unter keinen Umständen zu diesem Verhalten ermutigen.
Eine kleine Bande abgerissener Kinder tauchte wie aus dem Nichts auf und rannte neben mir her, um mich hartnäckig um Pennys anzubetteln.
»Los, machtdasserwegkommt, Lumpenpack!«, donnerte mein Kofferträger sie mit unerwarteter Heftigkeit an. Während sich die Bande unter Spottrufen an seine Adresse zerstreute, fügte er an mich gewandt hinzu: »Passen Sie bloß gut auf diese Gören auf, Miss! Und nehmen Sie niemals vor ihren Augen Ihre Geldbörse hervor.« »Nein, gewiss nicht!«, stimmte ich ihm atemlos zu. Ich war neu in der Stadt, und ich kam eindeutig aus der Provinz, doch ich war nicht dumm, und dort, wo ich herkam, gab es ebenfalls Banden kindlicher Diebe.
Ein neuer Geruch gesellte sich zu dem des Qualms, der Asche und der ungewaschenen Menschen: der Geruch nach Pferden. Wir hatten einen Stand mit vierrädrigen Gespannen von der Sorte erreicht, die ›Growler‹ genannt werden wegen des Lärms, den ihre Räder machen.
»Das ist angemessener für eine allein reisende Lady«, vertraute mir mein Träger an. »Sie würden sicher keine zweirädrige Kutsche mieten wollen. Wo wollen Sie überhaupt hin, Miss?« Und bevor ich antworten konnte, rief er: »Aufgepasst, Wally! Hier ist eine Lady, die eine Kutsche benötigt!«
Der fragliche Droschkenlenker hatte gegen sein Pferd gelehnt gestanden und sich gemächlich ein Stück Kuchen genehmigt. Nun schob er sich den Rest des krümelnden Gebäcks in den Mund und richtete sich aufmerksam auf. Das machte ihn bei weitem nicht vertrauenerweckender. Er war stämmig und kräftig, und seine Gesichtszüge waren so zerschlagen, dass es den Eindruck erweckte, er sei irgendwann einmal im Leben mit einem massiven Gegenstand kollidiert. Allein auf mich gestellt, hätte ich sicherlich gezögert, mich diesem Fahrer zu nähern, geschweige denn ihn anzusprechen. Er bemerkte meinen verblüfften Gesichtsausdruck und sagte: »Angst wegen meiner verbeulten Visage, Miss?« Mit einem dicken kurzen Finger deutete er auf seine schiefe Nase. »Das kommt von meiner glänzenden Karriere im Boxring, jaja. Glänzend, aber kurz, wenn ich das sagen darf. Es war eine Frau, die mich dazu bewogen hat, damit aufzuhören. ›Wally Slater!‹, hat sie geschimpft. ›Entweder der Boxring oder ich!‹, und weil ich damals jung und dumm war«, fügte er in vertraulichem Ton hinzu, »habe ich sie genommen, und heute ist sie meine liebende Ehefrau, und ich fahre diese Droschke, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen!« Er kicherte ausdauernd und schlug sich auf den Schenkel. Das Pferd stieß ein boshaftes Schnauben aus.
»Das interessiert die Lady nicht«, tadelte mein Kofferträger den Fahrer. Wie das Pferd, so hatte auch er diese Geschichte wohl schon unzählige Male gehört. Er wandte sich an mich. »Wohin möchten Sie, Miss?«
Ich nannte die Adresse, Dorset Square, und fügte hinzu: »Das ist in Marylebone.«
»Und eine sehr hübsche Gegend außerdem«, bemerkte der Droschkenfahrer und nahm meinem Kofferträger das Gepäck ab. »Wie viel macht das?«, beeilte ich mich, Mrs Parrys Instruktionen zu gehorchen.
Der Mann blinzelte mich an, was ihn noch furchteinflößender aussehen ließ, und nannte seinen Fahrpreis. Ich bemerkte den Blick des Trägers, und er nickte mir ermutigend zu, was ich in dem Sinne auffasste, dass der Preis angemessen sei. Oder vielleicht steckte er auch nur mit dem Droschkenfahrer unter einer Decke. Sie waren offensichtlich alte Bekannte. Die nächsten Worte des Fahrers schürten mein Misstrauen nur umso mehr.
»Es könnten noch Sixpence zusätzlich werden, Miss – für den Fall, dass wir außen herum fahren müssen wegen all der Baukarren.«
»Ich möchte, dass Sie den kürzesten Weg fahren«, sagte ich in strengem Ton.
»Hören Sie, Miss, Sie haben das wohl falsch verstanden«, erklärte Mr Slater ernst. »Sie machen Platz für den neuen Bahnhof, sehen Sie, reißen Häuser ein und fahren den ganzen Abraum weg. Die Straßen ringsum sind völlig verstopft, und wir Droschkenfahrer müssen es ausbaden und haben ohne Ende Scherereien. Stimmt’s etwa nicht?«, fragte er an meinen Träger gewandt.
Der Kopf des Letzteren tanzte auf und ab wie bei einem Nick- Automaten. »Das ist richtig, Miss. Die Midland Railway baut ihren eigenen Bahnhof, verstehen Sie, anstatt mit anderen zu teilen. St. Pancras soll er heißen, wenn er fertig ist. Die Eisenbahngesellschaft hat sämtliche Häuser gekauft und die Leute vertrieben, die dort gewohnt haben, und jetzt wird alles abgerissen und hübsch plattgemacht. Stellen Sie sich vor, selbst die Kirche muss weichen.«
»Sie wird an irgendeiner anderen Stelle wieder aufgebaut – jedenfalls habe ich das so gehört«, sagte der Droschkenfahrer.
»Bauen sie auch die Häuser für die Menschen irgendwo anders wieder auf? Das würde mich nämlich mehr interessieren«, konterte der Träger.
»Es ist der Friedhof«, vertraute uns der Droschkenfahrer traurig an. »Sie schätzen, dass der ihnen Probleme machen wird. Sie haben versucht, drunter zu graben, als Hexperiement quasi, aber sie finden ständig irgendwelche menschlichen Skeldette, wie ich gehört habe.«
Beide richteten ihre erwartungsvollen Blicke auf mich, wie um sicherzustellen, dass ich diese gruslige Tatsache angemessen zu würdigen wusste. Es war, wie ich durchaus erkannte, ein Versuch, mich von meinen Einwänden abzubringen.
© Verlagsgruppe Lübbe
Übersetzung: Axel Merz
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Autoren-Porträt von Ann Granger
Ann Granger war früher im diplomatischen Dienst tätig. Sie hat zwei Söhne und lebt heute mit ihrem Mann in der Nähe von Oxford. Bestsellerruhm erlangte sie mit der Mitchell-und-Markby-Reihe und den Fran-Varady-Krimis.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ann Granger
- 2009, 2. Aufl., 368 Seiten, Maße: 12,5 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Axel Merz
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404159454
- ISBN-13: 9783404159451
- Erscheinungsdatum: 26.11.2008
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