Die Tochter des Buchdruckers
Das Leben der Nachkommen der Kaufleute Gutta und Bertram wird vom Dreißigjährigen Krieg überschattet. Die Männer sind in der Schlacht und die Frauen der Dynastie müssen allein um Hab und Gut und Leben kämpfen. Doch Lila...
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Das Leben der Nachkommen der Kaufleute Gutta und Bertram wird vom Dreißigjährigen Krieg überschattet. Die Männer sind in der Schlacht und die Frauen der Dynastie müssen allein um Hab und Gut und Leben kämpfen. Doch Lila zerbricht fast daran, von ihrem Mann getrennt zu sein.
Frankfurt, Anno Domini 1621
In der Nacht war der Wind durch die Straßen der Stadt getobt, hatte gegen die Fensterläden geschlagen, Äste von Bäumen gebrochen und Abfall durch die Gassen gepeitscht. Der Regen hatte Wege aufgeschwemmt, Fensterbeete zerstört und das Wasser im Main bis über die Ufer steigen lassen. Jetzt, am Morgen, glitzerten einzelne Wassertropfen wie Edelsteine in der Sonne. Die Vögel sangen Lieder, von den Blumen und Bäumen stiegen betörende Düfte auf und vermischten sich mit dem Gestank der Stadt. Die erste Magd trat auf die Gasse, einen Eimer in jeder Hand. Auf der Schwelle blieb sie stehen, stellte ihre Last ab und wandte ihr Gesicht der Morgensonne zu. Dann lächelte sie und drehte den Kopf nach der Nachbarstür, die sich quietschend aufschwang. »Guten Morgen, Trude!« »Agathe, sei mir gegrüßt.« Die Mägde gingen nebeneinander zum Brunnen. Als sie an der Seilerei vorüberkamen, öffnete der Meister gerade die Fensterläden seines Geschäftes. Ein Bäckerlehrling mit einem Leinensäckchen voller Brötchen schlitterte mit seinen Holzpantinen über das noch nasse Pflaster. Bellend umsprang ein Hund seine nackten Beine. Entlang der Gasse klappten nach und nach die Holzläden in den oberen Stockwerken auf. Auf den Fenstersimsen landeten dicke Federbetten und Kissen. Die Hausfrauen stemmten ihre Ellbogen darauf und riefen den Nachbarinnen Grüße zu. »Das war ein toller Sturm in der Nacht.« »Und ob, meine Liebe«, klang es von rechts. »Ich habe kein Auge zugetan.« »Mir war, als heulte der Teufel im Kamin«, kam die Antwort von links.
bevor er so recht hatte beginnen können. Die schwarze Frau holte tief Luft, so tief, dass sich ihr
Busen vorwölbte. Kurz hielt sie inne, dann öffnete sie den Mund und stieß ein grässliches Geheul aus, dass den Weibern das Blut in den Adern gerann und die Männer die Köpfe zwischen die Schultern duckten. »Gero Geisenheimer ist tooooot!«, schrie sie mit schrillem Seufzen. »Gero Geisenheimer ist gestorben.« Aus der Haustür des Handelsunternehmens Gebrüder Geisenheimer traten sechs Männer und trugen einen Sarg auf ihren Schultern. Die Frauen in der Straße bekreuzigten sich und murmelten Gebete, die Männer rissen Mützen und Hüte vom Kopf. »Gero Geisenheimer ist tooot!«
In das Geschrei läutete die Totenglocke und rief zur Beerdigung. Gemessen schritten die Sargträger den Berg hinan zur Liebfrauenkirche. Ihnen folgte die Familie. Direkt hinter dem Sarg gingen Lila und Arno Geisenheimer. Arno war der Enkel des Patriarchen. Desgleichen Andreas Geisenheimer, der mit seiner Frau Rieke folgte und am anderen Arm seine Mutter, Amalia Geisenheimer, hielt. Die Männer ähnelten sich. So sehr, dass die Nachbarn ihnen die Erbschaft zu gleichen Teilen gönnten. In der Familie aber war es anders. So ähnlich sich die Brüder waren, so unterschiedlich waren ihre Frauen.
Lila ging hoch aufgerichtet und mit besorgtem Gesicht. Ihre Blicke wechselten zwischen dem Sarg und ihrem Mann, doch Arno bewahrte die Fassung. Rieke schluchzte laut, tupfte sich die Augen und taumelte am Arm ihres Mannes. Sie stellte eine unermessliche Trauer vor, die sie sich nicht einmal selbst glaubte. Schweigend und mit geradem Rücken verfolgte Amalia Geisenheimer die Trauerfeier. Nur ab und zu warf sie ihrer Schwiegertochter einen Blick zu und seufzte. Den fünfen folgte Judith Geisenheimer, die angeheiratete Großnichte Geros. Sie hielt ihre Tochter Julia fest an der Hand und warf immer wieder Blicke die Hausmauern hinauf, als fürchte sie, den Inhalt eines Nachttopfes auf den Kopf zu bekommen. Einmal stolperte sie über den Saum ihres Kleides. Ein anderes Mal geriet sie aus dem Takt und stieß gegen eine Magd, die den Trauerzug beglotzte. Julia nahm ihre Mutter schließlich fest am Arm. Hinter den beiden schritten Marga und Robert. Sie waren erst gestern aus Leipzig gekommen, jedoch weniger, um an der Beerdigung teilzunehmen. Lebend hatten sie Gero Geisenheimer treffen wollen. Er sollte ihnen Geld leihen, tausend Rheinische Gulden in etwa, um der maroden Druckerei wieder auf die Beine zu helfen und die Gläubiger in die Flucht zu jagen, doch sie waren einige Stunden zu spät gekommen. »Müssen wir hier mitlaufen?«, knurrte Robert. »Pscht! Natürlich müssen wir. Wir sind doch Verwandte. Gero Geisenheimer war der Bruder meines Großvaters. Mein Großonkel also.« »Na und, vererbt hat er dir sicher nichts. Seine habgierigen Enkel werden die Hand schon auf die Beute gelegt haben.« Marga sah Robert von der Seite her an, kniff die Augen dabei zusammen. »Ich habe gehört, dass der Advokat gleich nach dem Leichenschmaus das Testament verlesen will.« Diese Nachricht malte ein Lächeln um Roberts Mund. »Das ist gut«, murmelte er. »Das ist sogar sehr gut.«
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Autoren-Porträt von Ines Thorn
„Die meisten Frauen in meiner Familie hatten rot gefärbte Haare und die meisten Männer schrieben Bücher.“, verrät die 1964 geborene Ines Thorn. „Als Kind dachte ich deshalb, erwachsen ist man, wenn man rot gefärbte Haare hat und Bücher schreibt.“ Wenn es denn tatsächlich danach ginge, wäre Thorn spätestens im Jahr 2000 mit Erscheinen ihres ersten Romans „Die Spiegeltänzerin“ erwachsen gewesen. Davor jedoch lag schon jede Menge Leben: „glückliche sozialistische Kindheit in Leipzig“, wie sie selbst sagt, Ausbildung zur „Volksbuchhändlerin“, Heirat, Mutterschaft und Scheidung, Übersiedlung nach Frankfurt am Main, dort (abgebrochenes) Germanistik- und Slawistikstudium, zweite Eheschließung, Arbeit als Werbetexterin, Bibliothekarin und Korrektorin.
2002 erschien „Der Maler Gottes“, eine Romanbiographie über Matthias Grünwald – damit eroberte sie zum ersten Mal die Bestsellerlisten. Seit 2003 kann Ines Thorn vom Schreiben leben, die Gesamtauflage ihrer Bücher liegt bei rund 300.000 Exemplaren. Ihre Liebe gilt dabei dem historischen Genre, im Mittelpunkt stehen häufig mutige und starke Frauen. Thorns Haare sind zwar mittlerweile wieder schwarz, ihre Leidenschaft fürs Schreiben und Recherchieren aber ist geblieben – sehr zur Freude ihrer Leserinnen und Leser.
Interview mit Ines Thorn
In Ihrem Roman „Die Kaufmannstochter“ ist neben der Titelheldin Gutta ihr Ehemann Bertram eine wichtige Figur. Wer aber ist der Gegenspieler der beiden?
Er heißt Ludovik Stetten und verkörpert den typischen Patriziersohn, dem mehr an Prestige als an Arbeit gelegen ist. Im Grunde ist er ein Zerrissener zwischen den Anforderungen seines Vaters und seines Standes und den – nur vage benennbaren – eigenen Bedürfnissen. Im Gegensatz zu dem Bertrams ist sein Ehrgeiz ohne konkretes Ziel. Sein Scheitern ist unausweichlich, bildet aber gleichzeitig die Grundlage für Bertrams Erfolg.
„Die Kaufmannstochter“ ist der erste Band einer „großen Saga um eine Frankfurter Kaufmannsfamilie“. Wie geht sie weiter?
Im zweiten Band, „Die Tochter des Buchdruckers“, stehen die Frauen der Geisenheimers im Mittelpunkt. Der Dreißigjährige Krieg tobt; die Männer der Familie sind zum Teil in die Kriegsgeschehnisse verwickelt. Nun sind es die Frauen, die für ihre Familien sorgen müssen. Dabei spielt ein großes Geheimnis eine wichtige Rolle. Es gibt Rivalitäten unter den Frauen, Ehebruch, eine späte Liebe, einen falschen Erben und – so hoffe ich – jede Menge Spannung. Im dritten Teil geht es dagegen um einen Ausbruch aus Traditionen und Rollenmustern.
Die Titel Ihrer Romane wie „Die Pelzhändlerin“ oder „Die Silberschmiedin“ verraten schon, dass sich die Geschichten um Frauengestalten herum entwickeln. Warum?
Schreiben Sie hauptsächlich für eine weibliche Leserschaft?
Nein, ich trenne nicht zwischen einer weiblichen und einer männlichen Leserschaft. Ich freue mich ganz einfach über jeden Leser. Und jede Lesermeinung ist für mich interessant, beflügelt mich oder hinterfragt mich. Ich habe schon tolle Anregungen von Männern bekommen, aber selbstverständlich auch von Frauen. Natürlich kann ich nicht abstreiten, dass meine Bücher mehr von Frauen als von Männern gelesen werden. Vielleicht liegt das daran, dass meine Themen Frauen mehr ansprechen als Männer. Ein Buch sozusagen von Frau zu Frau.
Bei der Arbeit an der Romanbiografie über Matthias Grünewald, „Maler Gottes“, wurde Ihnen klar, dass das historische Genre Ihr Metier und Ihre Liebe ist. Was fasziniert Sie besonders, wenn Sie beim Recherchieren und Schreiben ins Mittelalter abtauchen?
Mich fasziniert der Alltag im Mittelalter. Ich möchte wissen, was und wie die Menschen damals gelebt, geliebt, gelitten haben. Was wurde gegessen in einer Zeit, in der es weder Nudeln noch Reis noch Kartoffeln gab? Wie wurde getanzt, gefeiert? Wie getrauert und gelitten? Was galt damals, das noch heute gilt? Was können wir aus der Vergangenheit lernen? Was hat sich grundlegend verändert? Diesen Fragen möchte ich gern in meinen Büchern nachgehen.
Sie haben nach eigenen Worten eine „glückliche sozialistische Kindheit“ in Leipzig verbracht und leben nun schon einige Jahre in Frankfurt/Main. Wie kam es zu dem Umzug?
Aus Liebe. Ich habe 1990 in der „ersten deutsch-deutschen Werbeagentur“ gearbeitet, ein Joint Venture aus Frankfurtern und Leipzigern. Dort habe ich mich in meinen Kollegen und Chef verliebt und bin mit ihm zusammen nach Frankfurt gezogen. Es hat lange gedauert, bis ich mich in Frankfurt heimisch gefühlt habe, aber jetzt liebe ich insbesondere den Stadtteil Bornheim und die Berger Straße aus vollem Herzen.
Wie sehr fühlen Sie sich noch mit Leipzig verbunden?
Leipzig ist für mich nach wie vor die schönste Stadt der Welt, auch wenn ihr mittlerweile Frankfurt dicht auf den Fersen folgt. Meine Eltern und meine Großmutter leben dort, außerdem einige Freunde. Es kommt immer mal wieder vor, dass ich Sehnsucht nach Leipzig habe, richtiges Heimweh. Schließlich habe ich dort Kindheit und Jugend verbracht.
Sie erzählten einmal, dass in Ihrer Familie die meisten Männer Bücher schreiben. Sind Sie also in einem literarisch geprägten Umfeld aufgewachsen, ist Ihre Leidenschaft, Bücher zu schreiben, quasi schon angelegt gewesen?
Oh, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass mir sowohl meine Eltern und auch meine Großeltern stundenlang vorgelesen haben, als ich noch ein kleines Kind war. Außerdem hörte und höre ich noch heute wahnsinnig gern Geschichten. Dabei ist es mir sogar gleichgültig, ob sie wahr oder erfunden sind. Nicht die Leidenschaft für Bücher liegt mir im Blut, glaube ich, sondern eher die Leidenschaft für Geschichten.
Sie selbst nennen Ihre Lust am Schreiben „Besessenheit“ und wollen durch intensives Studium anderer Schriftsteller immer noch dazu lernen. Wer sind Ihre Lieblingsautoren, wer hat Sie am nachhaltigsten beeinflusst?
Ich bin ein großer Fan von Christoph Hein, von Christa Wolf und – neuerdings – von Uwe Tellkamp. Sehr gern lese ich auch die französischen Gegenwartsautoren. Von Josef Winkler habe ich Detailbeschreibungen gelernt, von amerikanischen Fernsehserien ein wenig Dramaturgie abgeschaut. Eigentlich lerne ich bei jedem Buch etwas. Manchmal ist da ein Wort, ein anderes Mal eine Satzstellung, die mir gut gefällt. Lesen und Schreiben sind für mich mehr als ein Beruf, sie sind einfach mein Leben.
Auch die „Galgentochter“ bekommt eine Fortsetzung mit dem Titel „Höllenknecht“. Arbeiten Sie zeitgleich an mehreren Büchern?
Leider bin ich nur sehr begrenzt fähig zum Multitasking. Ich schreibe meine Bücher fein säuberlich nacheinander. Und nicht nur das: Ich schreibe auch meine Bücher ganz ordentlich von Seite 1 bis Seite 400. Vor- und zurückspringen, wie zahlreiche Kollegen es beherrschen, kann ich leider nicht.
Die Fragen stellte Roland Große Holtforth, Literaturtest.
- Autor: Ines Thorn
- 2008, 1, 384 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868000380
- ISBN-13: 9783868000382
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