Sie haben mich verkauft
Eine wahre Geschichte. Deutsche Erstausgabe
Sie wollte eigentlich nur in einem Club jobben, um Geld für den Lebensunterhalt ihrer Kinder zu verdienen. Doch was sie erwartet, ist ein Albtraum. Denn der Club ist ein Bordell und ihre Chefs sind Menschenhändler, die weltweit ihre fiesen...
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Produktinformationen zu „Sie haben mich verkauft “
Sie wollte eigentlich nur in einem Club jobben, um Geld für den Lebensunterhalt ihrer Kinder zu verdienen. Doch was sie erwartet, ist ein Albtraum. Denn der Club ist ein Bordell und ihre Chefs sind Menschenhändler, die weltweit ihre fiesen Geschäfte machen.
Ein schockierender Bericht.
Klappentext zu „Sie haben mich verkauft “
Es sollte ein Job für drei Monate sein, als Kellnerin in einem Club in Rumänien. Sie braucht das Geld für die Zukunft ihrer drei kleinen Kinder. Doch was sie dort in Wirklichkeit erwartet, ist ein wahrer Albtraum, kaum vorstellbar im 21. Jahrhundert: Der Club ist ein Bordell, ihre neuen Arbeitgeber entpuppen sich als europaweit agierende Menschenhändler. Eine schreckliche Zeit voller Angst und Gewalt beginnt, Oxana wird immer wieder verkauft, nach Italien, Deutschland, England verschleppt. Doch ihr gelingt das Unglaubliche, sie gibt niemals die Hoffnung auf und schafft es sich zu befreien. Ein erschütternder Bericht über die dunkelste Seite unserer Gegenwart.
Es sollte ein Job für drei Monate sein, als Kellnerin in einem Club in Rumänien. Sie braucht das Geld für die Zukunft ihrer drei kleinen Kinder. Doch was sie dort in Wirklichkeit erwartet, ist ein wahrer Albtraum, kaum vorstellbar im 21. Jahrhundert: Der Club ist ein Bordell, ihre neuen Arbeitgeber entpuppen sich als europaweit agierende Menschenhändler. Eine schreckliche Zeit voller Angst und Gewalt beginnt, Oxana wird immer wieder verkauft, nach Italien, Deutschland, England verschleppt. Doch ihr gelingt das Unglaubliche, sie gibt niemals die Hoffnung auf und schafft es sich zu befreien. Ein erschütternder Bericht über die dunkelste Seite unserer Gegenwart.
Lese-Probe zu „Sie haben mich verkauft “
Sie haben mich verkauft von Oxana KalemiPROLOG
Einmal ziemlich spät am Abend kam ein junger Mann in den Massagesalon auf der Caledonian Road in Tottenham, London, wo ich arbeitete. Er hatte zwei Freunde dabei. Sie waren alle betrunken, aber er wirkte ruhig. Er war klein, hatte hellbraunes Haar und war stämmig. Er war Anfang zwanzig und Engländer.
Ich saß am Empfang, wie üblich. Die Kunden kommen rein, mustern die Mädchen, die noch nicht mit einem Freier beschäftigt sind, und suchen dann eines aus, mit dem sie mitgehen wollen.
Mit nur mäßigem Interesse betrachtete ich den Jungen. Für mich waren sie alle gleich, diese Männer, die sich hier ein Stück Fleisch zum Ficken aussuchten. Aber die Nacht war bisher ziemlich ruhig gewesen für mich, und wenn ich nicht bald einen Kunden abbekam, würde ich Ärger kriegen. Mein Zuhälter Ardy wartete auf mich, wie er das immer tat. Er würde mir das Geld abnehmen, das ich im Lauf des Abends womöglich verdiente, aber auch um aufzupassen, dass ich nicht abhaute. Wenn ich ihm weglief, würde seine Einkommensquelle mit mir verschwinden, und er hatte in aller Deutlichkeit erklärt, er würde mich jagen und mich umbringen, falls das passierte. So wie die Dinge lagen, konnte aber schon eine ruhige Nacht bedeuten, dass ich bestraft wurde, weil ich es nicht geschafft hatte, Ardys Taschen in angemessener Weise zu füllen.
Der Junge starrte mich an. Er hatte den glasigen Blick eines Betrunkenen, aber er war jung, also würde er sich vielleicht
mit Handentspannung oder Französisch zufriedengeben. Als
sich unsere Blicke trafen, lächelte er mir zu.
»Kommst du?«, fragte er.
»Klar. Wieso nicht?«, antwortete ich.
»Du bist keine Engländerin«, stellte er fest. »Wo kommst du her?«
»Aus der Türkei«, log ich.
... mehr
Die Geschichte erzählte ich jedem. Es war irgendwie einfacher. Wie sollte ich auch einem die Wahrheit sagen über das, was mir passiert war?
Als wir in die kleine Massagekabine gingen, versuchte er, mir an den Hintern zu fassen.
»Lass das«, sagte ich entschieden.
»Ja, klar. Das magst du nicht.«
»Genau.«
Ich schloss die Tür. »Eine halbe Stunde kostet fünfundvierzig Pfund.«
Er schte in seinen Taschen und reichte mir ein paar zerknitterte Geldscheine. Ich nahm sie. »Ich muss das Geld am Empfang abgeben, aber ich bin gleich wieder da.« Ich ging raus, und als ich ein paar Minuten später wiederkam, saß der Junge auf dem Stuhl neben dem Massagetisch. »Also, willst du eine Massage?«, fragte ich ihn.
»Nein. Ich will dich einfach cken.«
Ich musterte ihn. Es war deutlich zu sehen, dass er betrunken war. Ich hatte gelernt, bei solchen Männern vorsichtig zu sein – die waren für so manche Überraschung gut, konnten sich übel benehmen –, aber trotzdem war ich einigermaßen schockiert. Er sah noch so jung aus.
»Willst du nicht lieber eine schöne, sanfte Massage?«, fragte ich gedehnt. Es war besser für mich, damit anzufangen.
»Nein. Zieh dich einfach aus.«
Ich wollte ja tun, was er verlangte, aber ruhig und ernsthaft, um es sachte anzugehen. »Na schön. Willst du dich nicht auch ausziehen?«
»Nein. Zieh du dich zuerst aus.«
Ich knöpfte mein Kleid auf. Als ich es auf den Boden fallen ließ und nur noch in Unterwäsche dastand, bekam ich auf einmal Angst. Er war zu kalt und zu dominierend für meinen Geschmack. Wieso wollte er sich nicht ausziehen? Hatte er etwas in seinen Taschen versteckt? Er nickte zufrieden, als ich halbnackt vor ihm stand.
»Leck mich«, sagte er.
Ich nahm ein Kondom aus der Schachtel neben der Liege.
»Nein. Kein Kondom.«
»Das ist die Regel.«
»Aber ich gebe dir einen Hunderter.«
»Das ist mir egal. Entweder mit Kondom oder gar nicht.«
»Ach, komm schon. Ich bin sauber.«
»Nein. Wenn du nicht willst, dann such dir ein anderes Mädchen.«
Der Junge schwieg, als ich mich vor ihn hinkniete. Ich hatte Mühe, ihm das Kondom überzuziehen, weil er noch nicht so weit war, also versuchte ich, mit der Hand nachzuhelfen.
»Hast du viel getrunken heute?«, fragte ich.
»Nicht so viel. Wieso, wo ist das Problem?«
»Na ja, du wirst nicht richtig steif.«
»Ach Scheiße, du bist doch eine Nutte. Das ist immerhin dein Job.«
Sein Ton geel mir nicht. Instinktiv spürte ich, dass ich ihn ablenken musste, also gab ich mir Mühe, vernünftig zu klingen. »Ich weiß, aber wenn du viel getrunken oder Drogen genommen hast, geht es nicht.«
Er schob mich weg. »Ich weiß schon, wie ich das hinkriege«, nuschelte er. Er streifte sich das Kondom über den
halbsteifen Penis. Dann stand er auf, und ehe ich mich versah, hatte er mich umgedreht, so dass ich mit dem Rücken zu ihm stand. Auf einmal war er ganz energisch und drückte mich nach unten, während ich über dem Massagetisch lehnte und mein Hintern sich ihm entgegenreckte. Mit der einen Hand hielt er mir den Kopf fest, so dass sich meine Wange gegen den billigen Baumwollbezug auf dem Tisch presste. Dann griff er mir in die Haare und packte mit der anderen Hand meine Hüfte. Er presste sich an mich, und ich spürte, dass sich jetzt was bei ihm regte – er hatte einen Ständer. Wieder und wieder stieß er gegen mich, und schließlich gelang es ihm, in mich einzudringen.
Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, mich zu wehren – ich wusste, es wäre sinnlos. Er war stark und entschlossen. Gegen ihn hatte ich keine Chance.
Er fing an, sich hin und her zu bewegen, sein Unterleib klatschte gegen meinen Hintern.
»Sag mir, dass du geckt werden willst«, forderte er plötzlich. »Sag mir, dass du eine Schlampe bist, eine Nutte.«
Ich schwieg. Reichte es nicht, dass ich das hier ertragen musste?
»Sag es.«
»Nein.«
»Doch.«
Er zog mich an den Haaren und ng an, mir auf den Hintern zu schlagen. »Sag es, oder ich mache immer weiter. Na los. Sag es. Du bist ein Dreckstück, eine Schlampe, eine Scheißnutte.«
Das wollte ich nicht sagen, das konnte ich nicht sagen.
»Nein«, üsterte ich, als er fester und immer fester in mich stieß.
»Sag es«, sagte er, und ich spürte einen dumpfen Schmerz im Magen.
»Nein.«
»Du bist eine Nutte.«
Er packte meinen Kopf, als er seinen Penis immer härter in mich hineinrammte.
»Sag es.«
Wut stieg in mir hoch.
»Sag es.«
»Nein.«
»Sag es einfach!«, brüllte er.
Er tat mir so weh. Mit dem Unterleib stieß ich immer wieder gegen die Kante des Massagetischs. Ich wollte nur noch, dass er aufhörte – wollte nur noch, dass das Geschrei aufhörte. Meine Wut verog.
»Ich bin eine Nutte«, sagte ich.
»Noch mal!«, rief er.
»Ich bin eine Schlampe.« Meine Stimme war vollkommen ausdruckslos.
Mit einem Aufstöhnen hörte er auf, sich über mir zu bewegen, und ich griff nach unten, um das Kondom zu nehmen, ihn wegzuschieben und mein Kleid aufzuheben. Der Junge sah mich nicht an, als er unter die Dusche ging. Später, als er rauskam und sich angezogen hatte, drehte er sich zu mir um und hielt mir fünf Pfund hin.
»Tut mir leid«, sagte er und konnte mir dabei nicht in die Augen sehen.
»Geh einfach«, sagte ich. »Ich will dein Geld nicht.«
Der Junge sagte nichts, als er ging. Schnell setzte ich mich; ich spürte, dass meine Beine ganz kraftlos wurden.
»Ich ertrage das nicht«, üsterte ich, den Kopf in die Hände gestützt. »Ich ertrage dieses Leben einfach nicht mehr. Lieber wäre ich tot, als das hier zu ertragen.« In meiner Vorstellung sah ich Blut, tief im Herzen spürte ich Aggressionen, und zum ersten Mal hatte ich Angst, dass ich nicht unter Kontrolle halten könnte, was da aus mir herausbrechen wollte. Ich hatte keine Ahnung, wozu ich fähig wäre, sollte ich den Jungen
wiedersehen. Schweigend saß ich da, starrte die Wand an und versuchte, das Tier wegzuschieben, das da von innen an mir nagte.
Ich wusste, ich würde diesen Kampf gewinnen müssen.Mein Überlebenswille war immer noch stark. Es ging einfach nicht anders. Ich musste nach Hause zu meinen Kindern. Sie waren das Einzige, was mir durch dieses furchtbare Elend und diese ganze Gewalt hindurchhalf. Ich hatte gelitten. Ich hatte ihnen gesagt, Mami würde nach Hause kommen, und ich wusste, ich musste überleben, wenn ich mein Versprechen halten wollte.
KAPITEL 1
Ich glaube, die Geburt ist wie das Leben, man wird entweder mit Glück oder mit Pech geboren, und das folgt einem überallhin. Ich wog gerade mal zwei Pfund, als ich drei Monate zu früh auf die Welt kam, und keiner hielt es für möglich, dass ich am Leben bleiben würde. Aber ich habe gekämpft, habe mich ans Leben geklammert und habe überlebt, so wie später immer wieder.
Ich kam in der Ukraine zur Welt, am 16. Januar 1976, um sechs Uhr abends, als meine Mutter Alexandra auf einer vereisten Straße ausrutschte, weil sie dem Bus hinterhergelaufen war. Die Fruchtblase platzte, und als mein Vater Pantelej im Krankenhaus eintraf, war ich schon auf der Welt. Die Ärzte erklärten meinen Eltern vorsorglich, dass ich keine Überlebenschance hätte, doch mein Vater ließ mich in ein anderes Krankenhaus bringen, in dem ich drei Monate blieb, bis es mir gut genug ging und meine Eltern mich nach Hause holen konnten. Sie nannten mich Oxana.
Wir wohnten in einer Stadt namens Simferopol in der Ukraine, die damals noch Teil der Sowjetunion war, und im Vergleich zu vielen anderen in dem kommunistischen Land waren meine Eltern reich. Mein Vater war Lastwagenfahrer, und meine Mutter arbeitete in einem Kinderhort. Sie hatten sich während der Ausbildung kennengelernt, und meine Mutter war gerade siebzehn geworden, als sie heirateten und mein Bruder Vitalik zur Welt kam. Sechs Jahre später wurde ich dann geboren, und wir wohnten zusammen in ei
nem riesigen Wohnblock mit über sechshundert Wohnungen. Wir hatten Glück, denn wir hatten drei Zimmer und einen großen Balkon und konnten es uns leisten, jeden Tag Fleisch zu essen. Meine Mutter war zierlich und wunderschön, und sie roch nach einem Parfüm namens Rotes Moskau. Sie war eine ausgezeichnete Köchin, und sonntags war es am schönsten, weil wir da Geflügelleber oder Lamm mit heller Soße und Zwiebeln bekamen und hinterher Plätzchen oder Kuchen. Für mich war es der schönste Tag in der Woche, denn wir lachten viel zusammen, und meine Eltern mussten nicht arbeiten.
Aber all das änderte sich, als mein Vater seine Stelle aufgab und eine eigene Autowerkstatt eröffnete. Auf einmal war meine Welt nicht mehr so sorglos. Ich weiß nicht, was zuerst kam – die Eifersucht meines Vaters oder die Nächte, in denen meine Mutter allein ausging –, aber kurz danach begann es jedenfalls mit den Schlägen. Ich lag im Bett, hörte zu und betete, Gott möge mich beschützen. Papa war wie ein wilder Stier, der sich nicht beherrschen konnte, und Mama mochte einfach nicht den Mund halten. Ich horchte auf den furchtbaren Lärm ihrer Streitereien und wünschte, sie würden aufhören, und dabei hatte ich Angst, es sei womöglich meine Schuld, dass sie nicht mehr glücklich waren.
Der Lärm aus unserer Wohnung muss schrecklich gewesen sein, aber es hat sich nie einer in die Streitereien meiner Eltern eingemischt, denn alles, was zwischen einem Mann und seiner Frau ablief, wurde als Privatsache angesehen. Außerdem gab es in unserem Wohnblock etliche Familien wie meine, und wenn eine Frau verheiratet war, ging es keinen etwas an, was der Mann mit ihr machte. Schließlich waren es ja die Frauen, die die Männer provozierten – wenn sie Widerworte gaben, bekamen sie Prügel, wenn sie kurze Röcke trugen, waren sie ein Flittchen, das verdiente, was es bekam.
Eines Tages klingelte ein Polizist und setzte sich mit meinem Vater in die Küche. Als er ging, hatte Papa ein Dokument unterzeichnet, in dem er sich verpichtete, meine Mutter nicht mehr anzurühren, aber was ist schon ein Stück Papier, verglichen mit einer kräftigen Faust? Nichts konnte den Riss zwischen meinen Eltern kitten.
»Er ist ein Mistkerl«, sagte meine Mutter oft zu mir, wenn wir in dem Schlafzimmer lagen, das wir uns teilten. Vitalik hatte das andere Schlafzimmer, während mein Vater im Wohnzimmer schlief. »Ich werde ihn verlassen. Du kannst mit mir kommen, Oxana, wir beide werden zusammen glücklich sein.«
Ich wollte, dass wir glücklich waren, aber ich wollte auch, dass wir alle zusammenblieben. Ich liebte meinen Papa, obwohl er die ganze Zeit so wütend auf meine Mutter war. Außerdem hatte ich Angst vor meiner Mutter, denn sie war auch manchmal betrunken und bekam Wutanfälle, und von einem Moment auf den anderen konnte sie dann auf mich losgehen. Wenn Papa sie verprügelt hatte, schrie sie mich manchmal an, weil sie meinte, ich hätte sie nicht beschützt, und dann schlug sie mich. Einmal drosch sie mit einem Strauß Rosen auf mich ein; ich war voller Kratzer und Schürfwunden und konnte eine ganze Woche lang nicht zur Schule gehen.
Vielleicht hat sich ja deswegen mein Bruder Vitalik so verändert. Als Kinder waren wir immer gute Freunde gewesen, aber als er ins Teenageralter kam, verlor er das Interesse an mir, und bald machte er bei den Streitereien zwischen meinen Eltern mit. Er ng an zu rauchen, schwänzte die Schule und trieb sich mit einigen üblen Leuten herum, was meinem Vater Sorgen machte. Als ich neun war, stahl Vitalik meinen Eltern die Eheringe und eine goldene Kette. Papa war fuchsteufelswild, und zum ersten Mal merkte ich, dass er nicht nur meine Mutter verprügeln konnte.
»Wieso tust du das?«, schrie mein Vater. »Ich arbeite wer weiß wie hart, damit ihr zwei, deine Schwester und du, es einmal besser habt, und dann tust du mir so was an.«
Dann kam eines Tages die Polizei zu uns. Ein Auto war gestohlen worden, und es hatte einen Unfall gegeben. Danach haben meine Eltern mir gesagt, Vitalik wohne jetzt in einem Ort namens Gefängnis. Da war er gerade fünfzehn.
Nachdem mein Bruder fort war, kam ich mir beinahe unsichtbar vor. Ich war ein braves Mädchen und machte meinen Eltern nie Kummer, aber ich war auch sehr empndsam. Jeden Tag schrieb ich in mein Tagebuch, was für böse Sachen meine Mutter und meine Lehrer zu mir gesagt hatten, und es machte mich traurig, dass niemand mich mochte, weil ich die Schlaue in der Klasse war. Und es wurde alles noch schlimmer, als Vitalik ins Gefängnis kam.
»Das ist die Schwester von dem Dieb«, kicherten meine Klassenkameraden, wenn ich vorbeiging.
Leute wandten sich von mir ab, wenn ich auf den Spielplatz kam, und Lehrer gaben mir für meine Hausarbeit eine schlechtere Note. Damals gehörte die Ukraine zu Russland beziehungsweise zur Sowjetunion, wo Vieles – und nicht nur ein Bruder im Gefängnis – nicht akzeptabel war. Dazu gehörte auch die Religion. Lenin war unser Gott, und Leute, die etwas anderes glaubten, konnten in Schwierigkeiten geraten. Ich weiß noch, dass eines Tages ein Mädchen in die Schule kam und ein Kruzix trug, was die Direktorin bemerkte. Ein ganzes Jahr lang haben wir sie dann nicht mehr gesehen. Natürlich gab es Kirchen, und ich bin griechisch-orthodox getauft, aber meine Familie praktizierte ihren Glauben nie offen. Wir begingen christliche Feiertage, aber wir hatten keine Bibel zu Hause und besuchten auch nie einen Gottesdienst.
In der Ukraine misstraute man dem Anderssein. Kinder wurden dazu erzogen, Homosexualität, schwarze Hautfarbe und alles Ausländische zu verabscheuen. Es gab nur einen großen Supermarkt, in dem alle einkauften, und Luxusgüter oder Lebensmittel aus dem Ausland bekam man dort nicht; Dinge wie Tampons oder Wegwerfwindeln waren völlig unbekannt. Stattdessen aßen wir einfaches Fleisch und einfaches Gemüse, Frauen benutzten Wattebäusche, wenn sie ihre Monatsblutung hatten, und Kinder tranken Milch. Als die Coca-Cola in die Ukraine kam, gab es Viele, die meinten, Cola würde sie krank machen, und ich trank erst mit dreizehn meinen ersten Schluck Cola – am selben Tag, als ich ein Kaugummi probierte.
Mein Land war auch in anderer Hinsicht hart – es war ein armes Land, und alle mussten arbeiten. Gerade mal ein Dollar am Tag konnte den Unterschied zwischen Essen und Verhungern ausmachen, und mir war schon früh bewusst, dass es manchen Leuten weitaus schlechter ging als meiner Familie.
Mehr als alles auf der Welt liebte ich Bollywood-Filme. Der Gesang, die Tänze, die Farben, die Kostüme – alles war so wunderschön, und ich war überzeugt, Indien müsse der Himmel auf Erden sein. Mein Lieblingslm hieß Disco Dancer mit Mithun Chakraborty in der Hauptrolle. Er war so groß und so attraktiv, und ich sah den Film dreiundzwanzigmal und konnte nicht aufhören zu weinen, als er schließlich abgesetzt wurde. An den Bollywood-Filmen geel mir besonders, dass es immer ein Happy End voller Liebe gab. Ich war schließlich überzeugt, dass mein Traumprinz mich eines Tages nden würde, und dann würden wir glücklich leben bis ans Ende unserer Tage. Ich musste einfach nur Geduld haben und auf diesen Tag warten.
Dann geschah etwas, das all die Farben in meinen Träumen in Grau verwandelte.
KAPITEL 2
Es war im Jahr 1990. Es war Sommer, ich war vierzehn und war heimlich mit zwei Freundinnen, Natascha und Sweta, an den Strand gefahren. Ich wusste, ich würde Ärger bekommen, wenn Papa das herausfinden sollte, aber Sonnenbaden und mit meinen Freundinnen zu quatschen war so schön gewesen. Jetzt wollten wir uns etwas zu essen kaufen und dann zum Bahnhof gehen; wir hatten eine Stunde Heimfahrt vor uns.
Wir reihten uns ein, um uns Pasteten zu kaufen. Ein attraktiver Junge stand hinter uns. Er sah aus wie achtzehn, und er trug Shorts, aber kein Hemd, und eine teure Sonnenbrille.
»Entschuldigung, kannst du uns vielleicht sagen, wie spät es ist?«, fragte Natascha, die sich zu ihm umgedreht hatte.
Er sah auf die Uhr. »Gleich sechs«, antwortete er.
Da machte ich mir auf einmal Sorgen. Es war viel später, als ich gedacht hatte. »Wir müssen los«, drängte ich. »Sonst verpassen wir den Zug und sind nie im Leben rechtzeitig zu Hause. Ich muss zurück sein, ehe Mama von der Arbeit kommt.«
»Nur keine Sorge, Oxana«, sagte Natascha forsch-fröhlich. »Wir haben noch jede Menge Zeit.«
Sie schien sich überhaupt keine Gedanken zu machen, als sie anng, mit dem älteren Jungen zu reden und zu lachen. Mir geel das nicht – sie schien so frei und offen ihm gegenüber, das war nicht das Benehmen, zu dem man mich erzogen hatte.
»Habt ihr nicht Lust, mitzukommen und meine Freunde kennenzulernen?«, fragte er, als wir unsere Pasteten gekauft hatten.
»Klar«, antwortete Natascha und ging schon mit unserem neuen Freund mit.
»Aber wir müssen doch nach Hause«, warf ich ein und sah Sweta an.
»Jetzt doch noch nicht«, meinte sie, drehte sich um und ging Natascha und dem Jungen hinterher. »Wir können auch noch den nächsten Zug nehmen. Sei doch nicht so ein Angsthase, Oxana.«
Ich blieb stehen. Was sollte ich tun? Ich konnte allein zum Bahnhof gehen oder ausnahmsweise mal das tun, was meine Freundinnen wollten. Allein mochte ich nicht bleiben. Ich schloss mich den anderen an, und der Junge führte uns an den Geschäften vorbei zum Rand eines kleinen Wäldchens.
»Meine Freunde sind da drin«, sagte er und deutete auf die Bäume.
Zweige knackten unter unseren Füßen, als wir in die plötzliche Dunkelheit traten. Ein kleines Stück vor uns sah ich eine Gruppe von etwa sieben Jungs. Sie schienen zwischen sechzehn und achtzehn zu sein und saßen auf Decken, um sich herum Essen und Flaschen mit selbstgemachtem Wein, und rauchten. Wir gingen hin und setzten uns zu ihnen. Natascha nahm die angebotene Flasche sofort, aber ich wurde immer nervöser. Wir würden viel zu spät nach Hause kommen.
Dann hörte ich, wie sich zwei der Jungs hinter mir etwas zuüsterten.
»Wie machen wir es denn am besten?«, fragte einer leise.
Ich hörte aufmerksam hin und schnappte noch ein paar Worte auf.
Angst stieg in mir auf. Irgendwas stimmte hier nicht.
»Los, komm, lass uns gehen«, üsterte ich Sweta zu. Ich drehte mich zu dem Jungen neben mir um, lächelte ihn an und sagte: »Wir müssen mal auf die Toilette.«
»Dahinten.« Er deutete auf ein paar Sträucher. Sweta und ich standen auf und gingen lässig weg.
»Wir müssen unbedingt weg von hier«, sagte ich leise zu ihr.
»Was soll das heißen?«, fragte sie.
»Vertrau mir einfach. Irgendwas stimmt hier nicht. Ich zähle runter von fünf auf null, dann laufen wir los.«
»Na schön«, sagte Sweta, und mein Herz raste, als ich anng, rückwärts zu zählen.
»Fünf, vier, drei, zwei, EINS!«, rief ich und lief den dunklen Waldweg entlang. Ich konnte Sweta nicht hinter mir hören, sie musste wohl in eine andere Richtung gelaufen sein, aber ich wollte nicht stehen bleiben. Ich musste weiterlaufen. Nur darauf kam es an.
Plötzlich spürte ich Hände auf meinem Rücken, ich wurde zu Boden gestoßen und dann grob umgedreht. Ein Junge von etwa siebzehn Jahren mit lockigem blondem Haar, blauen Augen und dicken Lippen sah auf mich herunter.
»Hör gut zu«, fuhr er mich an. »Das läuft jetzt folgendermaßen. Entweder cken dich alle Jungs, oder du machst es freiwillig mit mir.«
»Im Leben nicht!«, schrie ich. »Auf keinen Fall!«
»Na gut«, sagte der Junge und machte Anstalten, aufzustehen. »Ich rufe die anderen.«
Ich spürte, dass er nervös war und nicht genau wusste, was er tun sollte. »Nein, bitte nicht«, bat ich. »Ruf sie nicht. Ich will ja mitgehen.«
»Einverstanden«, sagte er und zog mich hoch. »Dann komm.«
Ich hatte große Angst, als der Junge mich beim Arm nahm und wir uns auf den Weg durch den Wald machten. Was hatte er vor? Wieso ließ er mich nicht los?
»Bitte tu mir nicht weh«, schluchzte ich. »Meine Eltern warten, ich sollte schon längst zu Hause sein.«
»Wenn du brav bist, gebe ich dich sonst keinem, aber wenn nicht, dann habe ich viele Freunde.«
Mein Herz raste. Ich wusste kaum etwas von dem, was zwischen Männern und Frauen vorging, aber ich wusste, ich wollte nicht, dass dieser Junge mich anfasste. Doch es gab keine Möglichkeit zu entkommen. Während ich suchend auf dem Boden nach etwas Ausschau hielt, das ich als Waffe benutzen konnte – einen Ast, einen Stein –, hielt er mich fest umklammert.
»Bitte tu mir nicht weh, nur heute nicht«, ehte ich, als wir zu einem verlassenen Haus kamen und er mich in einen alten Schuppen zerrte. »Kannst du mich nicht wenigstens für heute in Ruhe lassen?«
Je länger er mich in Ruhe ließ, umso besser. Wieder und wieder hatte man mir gesagt, ich müsse Jungfrau bleiben, wenn ich eine gute Ehefrau werden wollte, und mir war klar, das bedeutete, ich durfte mich nicht von Jungs anfassen lassen. Ich durfte nicht zulassen, dass dieser Junge irgendetwas mit mir anstellte, sonst würde mir das Wort »Hure« ewig anhängen.
»Mach dir mal nicht ins Hemd«, antwortete er. »Ich tu dir schon nicht weh. Du brauchst bloß ein Schlückchen Wein zu trinken, dann ist es auch nicht so schlimm.«
Er legte eine Decke auf den Boden und bot mir eine Flasche an, ehe er mich wieder ansah. Die Stille war zum Schneiden dick zwischen uns, als wir uns gegenseitig anstarrten. An seinem Blick erkannte ich, dass er längst entschlossen war, es zu tun.
»Bitte tu mir nicht weh«, üsterte ich, als der Junge mich auf den harten Erdboden drückte.
Ich hatte solche Angst, dass ich mich nicht rühren konnte. In der Schule hatte ich Jungs geschlagen, wenn sie versucht hatten, mich anzufassen, aber das hier war anders. Mein Kör
per versteifte sich. Vielleicht würde er mich ja in Ruhe lassen, wenn er sah, wie verängstigt ich war.
»Ich sage auch keinem was«, schluchzte ich. »Bitte lass mich doch gehen. Ich werde der Polizei nichts sagen und meinen Eltern auch nicht.«
Aber der Junge hörte gar nicht hin und zerrte an meinen Kleidern, während ich die Arme verschränkte.
»Nein«, bat ich, als er mir die dünnen Träger meines rosafarbenen Tops zerriss. »Ich bin noch Jungfrau.«
»Ach, komm schon«, fuhr er mich leise an. »Du hast doch bestimmt schon einen Freund gehabt.«
Tränen liefen mir übers Gesicht, als er an meinen Shorts zerrte, und ich machte die Beine steif, presste sie fest zusammen. Er legte sich auf mich, und ich bekam kaum Luft. Wehren konnte ich mich nicht, er war zu schwer und zu stark, als er mir die Beine auseinanderzwang. Ich versuchte zu schreien, aber er legte mir eine Hand auf den Mund.
Ein stechender Schmerz strömte durch meine Beine. Ich wollte nicht, dass er das tat, und mein Körper wollte es auch nicht. Es tat so weh. Wieder und wieder stieß der Junge gegen mich, bis er in mir war. Ich schrie.
»Halt den Mund!«, rief er. »Entspann dich, dann geht es schon.«
Doch Schmerzen durchzuckten mich, als mir der Junge Millimeter für Millimeter meine Persönlichkeit stahl. Ich spürte seine Schweißtropfen auf mir, seine Zunge, die an mir leckte, und ich nahm den ekelhaften Geruch aus seinen Achseln wahr. Übelkeit stieg in mir hoch.
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis er endlich aufhörte, sich zu bewegen, und sich auf den Rücken rollte.
»Na siehst du, war doch gar nicht so schlimm«, sagte er. »Jetzt bin ich müde. Morgen bringe ich dich zum Bahnhof, dann kannst du nach Hause fahren.«
Er schlief sofort ein, während ich zitternd dalag; ich war zu verängstigt, um mich zu rühren. Endlich schlief ich auch ein, dankbar für das Vergessen.
Früh am nächsten Morgen wachten wir auf. Ich sah getrocknetes Blut an meinen Schenkeln, als ich mir die Shorts anzog. Jede Bewegung tat weh, als ich von einem Bein aufs andere wechselte. Ich war ganz starr vor Kälte; ich fror so sehr, dass ich fast zitterte, und ich fragte mich, was er jetzt wohl tun würde. Zuhause fühlte sich so weit weg an.
Er führte mich aus dem Schuppen, und wir gingen über eine menschenleere Straße mit Bäumen zu beiden Seiten, bis wir an einen einsamen Strand kamen.
»Mach dich sauber«, sagte der Junge und zeigte aufs Meer. »Dann bring ich dich zum Bahnhof.«
Am oberen Ende des Strandes sah ich ein Toilettenhäuschen – eines von diesen niedrigen Gebäuden, wie man sie so oft am Meer ndet, ohne Dach, mit niedrigen Wänden und mit Löchern in der Erde.
»Kann ich da rein?«, fragte ich.
»Ja, aber schließ nicht ab.«
Der Junge wartete draußen, ich betrat die Toilettenkabine und sah zur rückwärtigen Wand. Ich könnte rüberklettern und davonlaufen. Wenn ich nur weg von hier käme, könnte ich vielleicht vergessen, dass das überhaupt passiert war. Keiner würde je davon erfahren.
Einen Moment lang blieb ich reglos stehen und horchte auf den Jungen. Ich hörte nichts von ihm, hörte nur das Rauschen des Meeres, wenn die Wellen sich am Strand brachen. Ich hielt den Atem an und zog mich auf die niedrige Mauer hoch. Als ich mit dem Kopf über dem Rand war, blickte ich hinunter und sah zwei Männer, die auf der anderen Seite warteten.
»Sie will abhauen!«, rief der eine, und ich hörte ein verärgertes Aufstöhnen, als der Junge in die Kabine gelaufen kam.
»Jetzt hast du aber einen schlimmen Fehler gemacht!«, rief er und packte mich. »Und dafür wirst du bezahlen.«
Panik stieg in mir auf, als der Junge mich nach draußen zerrte, wo die beiden Männer warteten. Der eine war Anfang dreißig, hatte blonde Haare und war gut gebaut, der andere war groß, dünner und älter.
»Hallo, kleines Mädchen. Schön, dich kennenzulernen. Na, dann mal los«, sagte der Große, grub mir die Finger in den Arm und zerrte mich zu einem Zelt, das in der Nähe aufgeschlagen war.
Ich schaute mich um und sah, wie der Blonde dem Jungen Geld gab, dann wurde ich ins Zelt geschoben. Das Licht drinnen schimmerte gelblich, und die Luft war heiß, das Atmen el schwer.
»Na, was fangen wir denn jetzt mit dir an?« Der Blonde lächelte, als er hinter uns ins Zelt kroch.
Ohne ein Wort zu sagen, packte er mich bei den Haaren und presste mir den Mund auf die Lippen. Ich spürte, wie sich Zähne in mich gruben, während der Mann mich bei den Schultern hielt und seine Shorts aufmachte. Er kniete sich hin und drückte mich mit dem Kopf gegen seinen nackten Unterleib. Ich verstand nicht. Was wollte er? Ich biss die Zähne zusammen, gab mir Mühe, nicht zu weinen und zu schreien, als der Mann immer näher kam. Plötzlich zogen mir irgendwelche Finger die Mundwinkel auseinander, und ich schmeckte Blut, als meine Haut riss.
»Halt ihr die Nase zu«, sagte einer, und Finger kniffen mir die Nase zu.
Was auch passieren mochte, ich musste den Mund zuhalten, ich durfte diesen Mann nicht in meinen Mund lassen.
Doch als die Welt erst rot und dann schwarz wurde und mein Körper um Luft rang, schob sich der Blonde in mich hinein. Ich biss zu.
»Verdammte Schlampe!«, schrie er.
Eine Faust schlug mir gegen den Mund, ein Knie rammte mir ins Gesicht. Mein Kopf war ein einziger Schmerz. Ich schmeckte Blut und spürte das salzige Beißen von Tränen, die sich mit dem Blut aus meinen Wunden vermischten.
»Hier, warte«, sagte der Große, packte mich beim Hals und zog eine Rolle Kreppband heraus. Einen Streifen davon klebte er mir über den Mund. Blut und Tränen strömten mir in die Kehle, als sie mir die Arme über den Kopf hielten und mich wieder auf den Boden drückten.
Der Blonde zog mir das T-Shirt hoch, und plötzlich lastete sein Gewicht schwer auf mir. Er wollte, was sich gestern der Junge geholt hatte. Es hatte so wehgetan. Ich musste ihn davon abhalten! Wieder machte ich mich ganz steif, als er in mich eindrang.
»Du tust dir nur selber weh«, sagte er.
Es war schlimmer, viel schlimmer als in der Nacht davor, als dieser erwachsene Mann mit einer Gewalt in mich eindrang, von der der Junge noch nicht gewusst hatte, dass sie in ihm steckte. Ich wollte sterben. Einfach ins Meer fallen, vom Himmel, und sterben. Tränen rannen mir das Gesicht herunter, als sich der Mann über mir bewegte. Einen derartigen Schmerz so tief in mir, mitten in mir, hatte ich bisher nicht gekannt.
»Scht«, sagte er und stieß seine Hüften wieder und wieder gegen mich; seine Stimme war auf einmal ganz sanft, die Art Stimme, mit der man zu einem kleinen Mädchen spricht. »Weine nicht. Ist doch gut.«
Aber immer noch bewegte er sich auf mir rauf und runter, bis plötzlich ein schwerer moschusartiger Geruch die Luft
erfüllte. Ich spürte, wie sich Wärme auf meinem Bauch ausbreitete, als er sich von mir runterrollte.
Ohne einen Laut von mir zu geben, setzte ich mich auf und riss mir das Kreppband vom Mund, als sich die Männer eine Zigarette ansteckten. Es fühlte sich an, als sei da ein Tier in mir, das schreien wollte, aber ich konnte es nicht rauslassen.
»War doch schön, oder? Obwohl du so eng warst.« Der Blonde lächelte mit der Zigarette im Mund.
»Kann ich eine haben?«, fragte ich und deutete auf die Zigarette.
»Du rauchst?«
»Ja«, log ich, als er mir eine Zigarette in den blutenden Mund steckte und ein Streichholz daranhielt. Mir wurde schwindlig, als mir die ganze Chemie ins Hirn stieg, und ohne lange nachzudenken, drückte ich mir die brennende Zigarette auf den Handrücken. Ich wollte sehen, ob ich noch lebendig war, spürte aber nichts, als mir die brennende Spitze der Zigarette die Haut versengte. Nur die kleine weiße Narbe, die mir auf der Hand blieb, erinnert mich immer noch daran, dass es diesen Tag tatsächlich gab. Aber das wusste ich damals nicht. Es fühlte sich wie ein Albtraum an. Wann würde ich zu Hause aufwachen?
Ich spürte einen Schlag ins Gesicht.
»Bist du wahnsinnig?«, brüllte der Große.
Ohne etwas zu sagen, sah ich ihn an.
»Sie muss sich waschen«, meinte der Blonde, nahm mich am Arm und zog mich aus dem Zelt.
Ich stand auf und stolperte aufs Meer zu, wo ich mich mit ein wenig Wasser bespritzte. Das Wasser fühlte sich kalt an, und meine Nase und mein Mund brannten, als das salzige Wasser in meine Risswunden stach. In mir drin fühlte ich nichts.
»Alles in Ordnung mit dir?«, hörte ich eine Stimme fragen.
Ich drehte mich um und sah ein Polizeiauto, das am Strand parkte, und einen Polizisten, der neben dem Zelt stand. Ein zweiter Polizist saß im Wagen.
Plötzlich ging ein Licht in mir an. Ich war in Sicherheit. Sie konnten mir helfen.
Aber dann bekam ich Angst. Keiner durfte je herausnden, was passiert war. Mein Vater würde es nie erfahren. Wenn doch, würde die Schande ewig an mir hängen. Ich ng an zu zittern, als mir das Meerwasser über die Füße lief, und ich zog mein nasses T-Shirt herunter. Ich trug keine Unterwäsche. Für was für eine Sorte Mädchen würden sie mich halten?
»Alles in Ordnung«, antwortete ich dem Polizisten.
Er sah mich an.
»Sie ist meine Kusine«, sagte der Blonde.
»Stimmt das?«, fragte der Polizist.
»Ja«, antwortete ich.
Einen Moment lang starrte der Polizist mich an. »Na ja, deine Sachen solltest du trotzdem zusammensuchen. Ich will, dass du mitkommst.«
Ich fuhr mir mit der Hand über den Mund, um mir das Blut wegzuwischen, dann stand ich auf und folgte dem Mann. Ohne ein weiteres Wort setzte ich mich auf den Beifahrersitz, und der Polizist verfrachtete die beiden Männer auf den Rücksitz. Sie schwiegen, genau wie ich. Ich würde es keinem erzählen, beschloss ich, als das Auto abfuhr. Ich würde lügen, wenn es sein musste. Wenn Papa herausfand, dass ich keine Jungfrau mehr war, würde er mich entweder umbringen oder alle würden mich für eine Hure halten – wie auch immer, mein Leben wäre vorbei.
Ich hatte Angst, als wir aufs Polizeirevier kamen. Ich wusste, was für Menschen die Polizisten waren – sie konnten tun und lassen, was sie wollten –, also sagte ich nichts, obwohl
mich ein freundlicher Mann wieder und wieder fragte, was
passiert sei.
»Und wo sind denn nun deine Freundinnen?«, fragte er.
»Weiß ich nicht.«
»Und deine Kleider?«
»Habe ich verloren.«
»Was hast du mit dem Mann gemacht, bei dem wir dich gefunden haben?«
»Bloß geredet.«
Schweigen, während der Polizist über meine Antwort nachdachte. Dann fragte er: »Haben diese Männer irgendwas mit dir gemacht?«
»Nein.«
»Bist du sicher, Oxana?«
»Ja.«
Dann kam eine Ärztin und brachte mich in einen anderen Raum. Ich weinte wieder, als sie mich bat, mich auf einen Untersuchungsstuhl mit Fußstützen zu setzen. Und dann besah sie sich jeden Teil meines Körpers, auch die Teile, die bis zu diesem Tag noch keiner zu Gesicht bekommen hatte. Die Frau schwieg, während sie mich untersuchte, dann drehte sie sich weg, um Notizen zu machen. Später verließ sie den Raum, kam dann mit einem weißen Kittel zurück, und ich wurde in den Raum zurückgeführt, in dem der Beamte saß, der mich befragt hatte.
»Wieso hast du mich angelogen?«, fragte er sanft. »Du bist vergewaltigt worden, ja? Die Frau Doktor sagt, die sind wirklich übel mit dir umgesprungen. Du musst ziemliche Schmerzen gehabt haben. Wieso willst du nicht darüber reden?«
Ich starrte auf die Tischplatte. Würde mein Körper von jetzt an meine Geschichte allen erzählen, die gründlich genug hinsahen? Mir war übel. Würde es später einmal mein Ehemann wissen?
»Ich habe Angst«, schluchzte ich. »Mein Vater darf nicht erfahren, was mir passiert ist.«
»Wieso denn nicht?«
»Der wird mich umbringen. Bitte, bitte, sagen Sie meinen Eltern nichts. Ich tue auch, was Sie wollen, aber bitte sagen Sie ihnen nichts.«
»Na schön, das werde ich nicht«, meinte er.
Daraufhin erzählte ich ihm alles. Er hielt sein Versprechen und rief meine Eltern nicht an. Stattdessen telefonierten wir mit Yula, meiner Kusine zweiten Grades, die mich abholen und nach Hause bringen sollte. Mit ihrem Mann und den zwei Kindern wohnte sie nicht weit weg von uns, und ich besuchte sie oft. Ich vertraute ihr, ich wusste, sie würde mir helfen. Der Polizist sagte ihr, dass man mich allein am Strand gefunden habe und dass ich Kleider brauchte.
Yula kam und brachte etwas zum Anziehen für mich mit, und nach einem Gespräch mit dem Polizisten fuhr sie mich in ihrem Auto nach Hause. Wir waren gerade mal eine Viertelstunde unterwegs, als sie anhielt und zu mir auf den Rücksitz kletterte.
»Was hast du denn allein am Strand gemacht, Oxana?«, fragte sie sanft.
Ich ng an zu schluchzen. »Du darfst es Mama und Papa nie sagen«, üsterte ich.
Da ng auch Yula an zu weinen. Sie wusste, dass mein Vater sehr streng war. »Aber das muss ich«, sagte sie. »Du bist erst vierzehn. Ein kleines Mädchen. Sie müssen es erfahren.«
»Dann bringe ich mich um!«, schrie ich. »Ich weiß, wie das geht, und ich tue es auch.«
»Irgendwas müssen wir aber sagen, Oxana«, beharrte sie. »Du warst fast zwei Tage weg.«
»Denk dir was aus«, drängte ich sie. »Bitte, Yula, du musst mir helfen.«
Wir sprachen kein Wort mehr, als sie mich zu sich nach Hause fuhr und da auf meine Mutter wartete.
Eine Stunde später kam meine Mutter angelaufen. »Wo bist du gewesen?«, schrie sie und ng an, auf mich einzuschlagen. »Dein Vater hatte Herzschmerzen Tag und Nacht. Wegen dir waren wir nicht bei der Arbeit. Du bist ein böses Mädchen. Machst uns so viel Ärger. Wir hatten doch keine Ahnung, was los war.«
»Alexandra«, rief Yula, »du verstehst nicht! Die arme Oxana hat etwas Schreckliches durchgemacht. Ja, sie war unartig – sie ist heimlich mit ihren Freundinnen an den Strand gefahren –, aber sie und die anderen Mädchen sind von Straßenräubern überfallen worden. Sie sind furchtbar geschlagen worden, und man hat ihnen all ihre Sachen gestohlen und sie dann am Ende der Welt ausgesetzt. Sie kann von Glück sagen, dass sie überhaupt noch am Leben ist.«
Die Wut meiner Mutter verrauchte. »Ach, mein armer kleiner Liebling!«, sagte sie mit Tränen in den Augen. Sie nahm mich in die Arme und drückte mich. Ich weiß nicht, wann sie so etwas das letzte Mal getan hatte.
Zu Hause schlüpfte ich in den Schlafanzug und ging direkt ins Bett. Am nächsten Tag erzählte ich Papa die Geschichte, die sich Yula ausgedacht hatte, und er stellte keine Fragen mehr, als ich anng zu weinen. Ich hatte damit gerechnet, dass er mich schlagen würde, aber das tat er nicht. Stattdessen schickten meine Eltern mich für eine Woche zu Verwandten aufs Land, und wir redeten nie wieder über das, was geschehen war.
Von allem, was danach kommen sollte, empfand ich den Tag am Strand beinahe als das Schlimmste. Ich war noch ein Kind gewesen, bis ich mit diesen Jungs durch den dunklen
Wald lief. Doch dann wurde ich mit Gewalt in die schmerzliche Welt der Erwachsenen hineingestoßen. In den Monaten darauf ng ich an, in meinen Träumen den Teufel zu sehen. Ich war fest überzeugt, dass er mich eines Tages töten würde.
Übersetzung: Isabell Lorenz
Als wir in die kleine Massagekabine gingen, versuchte er, mir an den Hintern zu fassen.
»Lass das«, sagte ich entschieden.
»Ja, klar. Das magst du nicht.«
»Genau.«
Ich schloss die Tür. »Eine halbe Stunde kostet fünfundvierzig Pfund.«
Er schte in seinen Taschen und reichte mir ein paar zerknitterte Geldscheine. Ich nahm sie. »Ich muss das Geld am Empfang abgeben, aber ich bin gleich wieder da.« Ich ging raus, und als ich ein paar Minuten später wiederkam, saß der Junge auf dem Stuhl neben dem Massagetisch. »Also, willst du eine Massage?«, fragte ich ihn.
»Nein. Ich will dich einfach cken.«
Ich musterte ihn. Es war deutlich zu sehen, dass er betrunken war. Ich hatte gelernt, bei solchen Männern vorsichtig zu sein – die waren für so manche Überraschung gut, konnten sich übel benehmen –, aber trotzdem war ich einigermaßen schockiert. Er sah noch so jung aus.
»Willst du nicht lieber eine schöne, sanfte Massage?«, fragte ich gedehnt. Es war besser für mich, damit anzufangen.
»Nein. Zieh dich einfach aus.«
Ich wollte ja tun, was er verlangte, aber ruhig und ernsthaft, um es sachte anzugehen. »Na schön. Willst du dich nicht auch ausziehen?«
»Nein. Zieh du dich zuerst aus.«
Ich knöpfte mein Kleid auf. Als ich es auf den Boden fallen ließ und nur noch in Unterwäsche dastand, bekam ich auf einmal Angst. Er war zu kalt und zu dominierend für meinen Geschmack. Wieso wollte er sich nicht ausziehen? Hatte er etwas in seinen Taschen versteckt? Er nickte zufrieden, als ich halbnackt vor ihm stand.
»Leck mich«, sagte er.
Ich nahm ein Kondom aus der Schachtel neben der Liege.
»Nein. Kein Kondom.«
»Das ist die Regel.«
»Aber ich gebe dir einen Hunderter.«
»Das ist mir egal. Entweder mit Kondom oder gar nicht.«
»Ach, komm schon. Ich bin sauber.«
»Nein. Wenn du nicht willst, dann such dir ein anderes Mädchen.«
Der Junge schwieg, als ich mich vor ihn hinkniete. Ich hatte Mühe, ihm das Kondom überzuziehen, weil er noch nicht so weit war, also versuchte ich, mit der Hand nachzuhelfen.
»Hast du viel getrunken heute?«, fragte ich.
»Nicht so viel. Wieso, wo ist das Problem?«
»Na ja, du wirst nicht richtig steif.«
»Ach Scheiße, du bist doch eine Nutte. Das ist immerhin dein Job.«
Sein Ton geel mir nicht. Instinktiv spürte ich, dass ich ihn ablenken musste, also gab ich mir Mühe, vernünftig zu klingen. »Ich weiß, aber wenn du viel getrunken oder Drogen genommen hast, geht es nicht.«
Er schob mich weg. »Ich weiß schon, wie ich das hinkriege«, nuschelte er. Er streifte sich das Kondom über den
halbsteifen Penis. Dann stand er auf, und ehe ich mich versah, hatte er mich umgedreht, so dass ich mit dem Rücken zu ihm stand. Auf einmal war er ganz energisch und drückte mich nach unten, während ich über dem Massagetisch lehnte und mein Hintern sich ihm entgegenreckte. Mit der einen Hand hielt er mir den Kopf fest, so dass sich meine Wange gegen den billigen Baumwollbezug auf dem Tisch presste. Dann griff er mir in die Haare und packte mit der anderen Hand meine Hüfte. Er presste sich an mich, und ich spürte, dass sich jetzt was bei ihm regte – er hatte einen Ständer. Wieder und wieder stieß er gegen mich, und schließlich gelang es ihm, in mich einzudringen.
Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, mich zu wehren – ich wusste, es wäre sinnlos. Er war stark und entschlossen. Gegen ihn hatte ich keine Chance.
Er fing an, sich hin und her zu bewegen, sein Unterleib klatschte gegen meinen Hintern.
»Sag mir, dass du geckt werden willst«, forderte er plötzlich. »Sag mir, dass du eine Schlampe bist, eine Nutte.«
Ich schwieg. Reichte es nicht, dass ich das hier ertragen musste?
»Sag es.«
»Nein.«
»Doch.«
Er zog mich an den Haaren und ng an, mir auf den Hintern zu schlagen. »Sag es, oder ich mache immer weiter. Na los. Sag es. Du bist ein Dreckstück, eine Schlampe, eine Scheißnutte.«
Das wollte ich nicht sagen, das konnte ich nicht sagen.
»Nein«, üsterte ich, als er fester und immer fester in mich stieß.
»Sag es«, sagte er, und ich spürte einen dumpfen Schmerz im Magen.
»Nein.«
»Du bist eine Nutte.«
Er packte meinen Kopf, als er seinen Penis immer härter in mich hineinrammte.
»Sag es.«
Wut stieg in mir hoch.
»Sag es.«
»Nein.«
»Sag es einfach!«, brüllte er.
Er tat mir so weh. Mit dem Unterleib stieß ich immer wieder gegen die Kante des Massagetischs. Ich wollte nur noch, dass er aufhörte – wollte nur noch, dass das Geschrei aufhörte. Meine Wut verog.
»Ich bin eine Nutte«, sagte ich.
»Noch mal!«, rief er.
»Ich bin eine Schlampe.« Meine Stimme war vollkommen ausdruckslos.
Mit einem Aufstöhnen hörte er auf, sich über mir zu bewegen, und ich griff nach unten, um das Kondom zu nehmen, ihn wegzuschieben und mein Kleid aufzuheben. Der Junge sah mich nicht an, als er unter die Dusche ging. Später, als er rauskam und sich angezogen hatte, drehte er sich zu mir um und hielt mir fünf Pfund hin.
»Tut mir leid«, sagte er und konnte mir dabei nicht in die Augen sehen.
»Geh einfach«, sagte ich. »Ich will dein Geld nicht.«
Der Junge sagte nichts, als er ging. Schnell setzte ich mich; ich spürte, dass meine Beine ganz kraftlos wurden.
»Ich ertrage das nicht«, üsterte ich, den Kopf in die Hände gestützt. »Ich ertrage dieses Leben einfach nicht mehr. Lieber wäre ich tot, als das hier zu ertragen.« In meiner Vorstellung sah ich Blut, tief im Herzen spürte ich Aggressionen, und zum ersten Mal hatte ich Angst, dass ich nicht unter Kontrolle halten könnte, was da aus mir herausbrechen wollte. Ich hatte keine Ahnung, wozu ich fähig wäre, sollte ich den Jungen
wiedersehen. Schweigend saß ich da, starrte die Wand an und versuchte, das Tier wegzuschieben, das da von innen an mir nagte.
Ich wusste, ich würde diesen Kampf gewinnen müssen.Mein Überlebenswille war immer noch stark. Es ging einfach nicht anders. Ich musste nach Hause zu meinen Kindern. Sie waren das Einzige, was mir durch dieses furchtbare Elend und diese ganze Gewalt hindurchhalf. Ich hatte gelitten. Ich hatte ihnen gesagt, Mami würde nach Hause kommen, und ich wusste, ich musste überleben, wenn ich mein Versprechen halten wollte.
KAPITEL 1
Ich glaube, die Geburt ist wie das Leben, man wird entweder mit Glück oder mit Pech geboren, und das folgt einem überallhin. Ich wog gerade mal zwei Pfund, als ich drei Monate zu früh auf die Welt kam, und keiner hielt es für möglich, dass ich am Leben bleiben würde. Aber ich habe gekämpft, habe mich ans Leben geklammert und habe überlebt, so wie später immer wieder.
Ich kam in der Ukraine zur Welt, am 16. Januar 1976, um sechs Uhr abends, als meine Mutter Alexandra auf einer vereisten Straße ausrutschte, weil sie dem Bus hinterhergelaufen war. Die Fruchtblase platzte, und als mein Vater Pantelej im Krankenhaus eintraf, war ich schon auf der Welt. Die Ärzte erklärten meinen Eltern vorsorglich, dass ich keine Überlebenschance hätte, doch mein Vater ließ mich in ein anderes Krankenhaus bringen, in dem ich drei Monate blieb, bis es mir gut genug ging und meine Eltern mich nach Hause holen konnten. Sie nannten mich Oxana.
Wir wohnten in einer Stadt namens Simferopol in der Ukraine, die damals noch Teil der Sowjetunion war, und im Vergleich zu vielen anderen in dem kommunistischen Land waren meine Eltern reich. Mein Vater war Lastwagenfahrer, und meine Mutter arbeitete in einem Kinderhort. Sie hatten sich während der Ausbildung kennengelernt, und meine Mutter war gerade siebzehn geworden, als sie heirateten und mein Bruder Vitalik zur Welt kam. Sechs Jahre später wurde ich dann geboren, und wir wohnten zusammen in ei
nem riesigen Wohnblock mit über sechshundert Wohnungen. Wir hatten Glück, denn wir hatten drei Zimmer und einen großen Balkon und konnten es uns leisten, jeden Tag Fleisch zu essen. Meine Mutter war zierlich und wunderschön, und sie roch nach einem Parfüm namens Rotes Moskau. Sie war eine ausgezeichnete Köchin, und sonntags war es am schönsten, weil wir da Geflügelleber oder Lamm mit heller Soße und Zwiebeln bekamen und hinterher Plätzchen oder Kuchen. Für mich war es der schönste Tag in der Woche, denn wir lachten viel zusammen, und meine Eltern mussten nicht arbeiten.
Aber all das änderte sich, als mein Vater seine Stelle aufgab und eine eigene Autowerkstatt eröffnete. Auf einmal war meine Welt nicht mehr so sorglos. Ich weiß nicht, was zuerst kam – die Eifersucht meines Vaters oder die Nächte, in denen meine Mutter allein ausging –, aber kurz danach begann es jedenfalls mit den Schlägen. Ich lag im Bett, hörte zu und betete, Gott möge mich beschützen. Papa war wie ein wilder Stier, der sich nicht beherrschen konnte, und Mama mochte einfach nicht den Mund halten. Ich horchte auf den furchtbaren Lärm ihrer Streitereien und wünschte, sie würden aufhören, und dabei hatte ich Angst, es sei womöglich meine Schuld, dass sie nicht mehr glücklich waren.
Der Lärm aus unserer Wohnung muss schrecklich gewesen sein, aber es hat sich nie einer in die Streitereien meiner Eltern eingemischt, denn alles, was zwischen einem Mann und seiner Frau ablief, wurde als Privatsache angesehen. Außerdem gab es in unserem Wohnblock etliche Familien wie meine, und wenn eine Frau verheiratet war, ging es keinen etwas an, was der Mann mit ihr machte. Schließlich waren es ja die Frauen, die die Männer provozierten – wenn sie Widerworte gaben, bekamen sie Prügel, wenn sie kurze Röcke trugen, waren sie ein Flittchen, das verdiente, was es bekam.
Eines Tages klingelte ein Polizist und setzte sich mit meinem Vater in die Küche. Als er ging, hatte Papa ein Dokument unterzeichnet, in dem er sich verpichtete, meine Mutter nicht mehr anzurühren, aber was ist schon ein Stück Papier, verglichen mit einer kräftigen Faust? Nichts konnte den Riss zwischen meinen Eltern kitten.
»Er ist ein Mistkerl«, sagte meine Mutter oft zu mir, wenn wir in dem Schlafzimmer lagen, das wir uns teilten. Vitalik hatte das andere Schlafzimmer, während mein Vater im Wohnzimmer schlief. »Ich werde ihn verlassen. Du kannst mit mir kommen, Oxana, wir beide werden zusammen glücklich sein.«
Ich wollte, dass wir glücklich waren, aber ich wollte auch, dass wir alle zusammenblieben. Ich liebte meinen Papa, obwohl er die ganze Zeit so wütend auf meine Mutter war. Außerdem hatte ich Angst vor meiner Mutter, denn sie war auch manchmal betrunken und bekam Wutanfälle, und von einem Moment auf den anderen konnte sie dann auf mich losgehen. Wenn Papa sie verprügelt hatte, schrie sie mich manchmal an, weil sie meinte, ich hätte sie nicht beschützt, und dann schlug sie mich. Einmal drosch sie mit einem Strauß Rosen auf mich ein; ich war voller Kratzer und Schürfwunden und konnte eine ganze Woche lang nicht zur Schule gehen.
Vielleicht hat sich ja deswegen mein Bruder Vitalik so verändert. Als Kinder waren wir immer gute Freunde gewesen, aber als er ins Teenageralter kam, verlor er das Interesse an mir, und bald machte er bei den Streitereien zwischen meinen Eltern mit. Er ng an zu rauchen, schwänzte die Schule und trieb sich mit einigen üblen Leuten herum, was meinem Vater Sorgen machte. Als ich neun war, stahl Vitalik meinen Eltern die Eheringe und eine goldene Kette. Papa war fuchsteufelswild, und zum ersten Mal merkte ich, dass er nicht nur meine Mutter verprügeln konnte.
»Wieso tust du das?«, schrie mein Vater. »Ich arbeite wer weiß wie hart, damit ihr zwei, deine Schwester und du, es einmal besser habt, und dann tust du mir so was an.«
Dann kam eines Tages die Polizei zu uns. Ein Auto war gestohlen worden, und es hatte einen Unfall gegeben. Danach haben meine Eltern mir gesagt, Vitalik wohne jetzt in einem Ort namens Gefängnis. Da war er gerade fünfzehn.
Nachdem mein Bruder fort war, kam ich mir beinahe unsichtbar vor. Ich war ein braves Mädchen und machte meinen Eltern nie Kummer, aber ich war auch sehr empndsam. Jeden Tag schrieb ich in mein Tagebuch, was für böse Sachen meine Mutter und meine Lehrer zu mir gesagt hatten, und es machte mich traurig, dass niemand mich mochte, weil ich die Schlaue in der Klasse war. Und es wurde alles noch schlimmer, als Vitalik ins Gefängnis kam.
»Das ist die Schwester von dem Dieb«, kicherten meine Klassenkameraden, wenn ich vorbeiging.
Leute wandten sich von mir ab, wenn ich auf den Spielplatz kam, und Lehrer gaben mir für meine Hausarbeit eine schlechtere Note. Damals gehörte die Ukraine zu Russland beziehungsweise zur Sowjetunion, wo Vieles – und nicht nur ein Bruder im Gefängnis – nicht akzeptabel war. Dazu gehörte auch die Religion. Lenin war unser Gott, und Leute, die etwas anderes glaubten, konnten in Schwierigkeiten geraten. Ich weiß noch, dass eines Tages ein Mädchen in die Schule kam und ein Kruzix trug, was die Direktorin bemerkte. Ein ganzes Jahr lang haben wir sie dann nicht mehr gesehen. Natürlich gab es Kirchen, und ich bin griechisch-orthodox getauft, aber meine Familie praktizierte ihren Glauben nie offen. Wir begingen christliche Feiertage, aber wir hatten keine Bibel zu Hause und besuchten auch nie einen Gottesdienst.
In der Ukraine misstraute man dem Anderssein. Kinder wurden dazu erzogen, Homosexualität, schwarze Hautfarbe und alles Ausländische zu verabscheuen. Es gab nur einen großen Supermarkt, in dem alle einkauften, und Luxusgüter oder Lebensmittel aus dem Ausland bekam man dort nicht; Dinge wie Tampons oder Wegwerfwindeln waren völlig unbekannt. Stattdessen aßen wir einfaches Fleisch und einfaches Gemüse, Frauen benutzten Wattebäusche, wenn sie ihre Monatsblutung hatten, und Kinder tranken Milch. Als die Coca-Cola in die Ukraine kam, gab es Viele, die meinten, Cola würde sie krank machen, und ich trank erst mit dreizehn meinen ersten Schluck Cola – am selben Tag, als ich ein Kaugummi probierte.
Mein Land war auch in anderer Hinsicht hart – es war ein armes Land, und alle mussten arbeiten. Gerade mal ein Dollar am Tag konnte den Unterschied zwischen Essen und Verhungern ausmachen, und mir war schon früh bewusst, dass es manchen Leuten weitaus schlechter ging als meiner Familie.
Mehr als alles auf der Welt liebte ich Bollywood-Filme. Der Gesang, die Tänze, die Farben, die Kostüme – alles war so wunderschön, und ich war überzeugt, Indien müsse der Himmel auf Erden sein. Mein Lieblingslm hieß Disco Dancer mit Mithun Chakraborty in der Hauptrolle. Er war so groß und so attraktiv, und ich sah den Film dreiundzwanzigmal und konnte nicht aufhören zu weinen, als er schließlich abgesetzt wurde. An den Bollywood-Filmen geel mir besonders, dass es immer ein Happy End voller Liebe gab. Ich war schließlich überzeugt, dass mein Traumprinz mich eines Tages nden würde, und dann würden wir glücklich leben bis ans Ende unserer Tage. Ich musste einfach nur Geduld haben und auf diesen Tag warten.
Dann geschah etwas, das all die Farben in meinen Träumen in Grau verwandelte.
KAPITEL 2
Es war im Jahr 1990. Es war Sommer, ich war vierzehn und war heimlich mit zwei Freundinnen, Natascha und Sweta, an den Strand gefahren. Ich wusste, ich würde Ärger bekommen, wenn Papa das herausfinden sollte, aber Sonnenbaden und mit meinen Freundinnen zu quatschen war so schön gewesen. Jetzt wollten wir uns etwas zu essen kaufen und dann zum Bahnhof gehen; wir hatten eine Stunde Heimfahrt vor uns.
Wir reihten uns ein, um uns Pasteten zu kaufen. Ein attraktiver Junge stand hinter uns. Er sah aus wie achtzehn, und er trug Shorts, aber kein Hemd, und eine teure Sonnenbrille.
»Entschuldigung, kannst du uns vielleicht sagen, wie spät es ist?«, fragte Natascha, die sich zu ihm umgedreht hatte.
Er sah auf die Uhr. »Gleich sechs«, antwortete er.
Da machte ich mir auf einmal Sorgen. Es war viel später, als ich gedacht hatte. »Wir müssen los«, drängte ich. »Sonst verpassen wir den Zug und sind nie im Leben rechtzeitig zu Hause. Ich muss zurück sein, ehe Mama von der Arbeit kommt.«
»Nur keine Sorge, Oxana«, sagte Natascha forsch-fröhlich. »Wir haben noch jede Menge Zeit.«
Sie schien sich überhaupt keine Gedanken zu machen, als sie anng, mit dem älteren Jungen zu reden und zu lachen. Mir geel das nicht – sie schien so frei und offen ihm gegenüber, das war nicht das Benehmen, zu dem man mich erzogen hatte.
»Habt ihr nicht Lust, mitzukommen und meine Freunde kennenzulernen?«, fragte er, als wir unsere Pasteten gekauft hatten.
»Klar«, antwortete Natascha und ging schon mit unserem neuen Freund mit.
»Aber wir müssen doch nach Hause«, warf ich ein und sah Sweta an.
»Jetzt doch noch nicht«, meinte sie, drehte sich um und ging Natascha und dem Jungen hinterher. »Wir können auch noch den nächsten Zug nehmen. Sei doch nicht so ein Angsthase, Oxana.«
Ich blieb stehen. Was sollte ich tun? Ich konnte allein zum Bahnhof gehen oder ausnahmsweise mal das tun, was meine Freundinnen wollten. Allein mochte ich nicht bleiben. Ich schloss mich den anderen an, und der Junge führte uns an den Geschäften vorbei zum Rand eines kleinen Wäldchens.
»Meine Freunde sind da drin«, sagte er und deutete auf die Bäume.
Zweige knackten unter unseren Füßen, als wir in die plötzliche Dunkelheit traten. Ein kleines Stück vor uns sah ich eine Gruppe von etwa sieben Jungs. Sie schienen zwischen sechzehn und achtzehn zu sein und saßen auf Decken, um sich herum Essen und Flaschen mit selbstgemachtem Wein, und rauchten. Wir gingen hin und setzten uns zu ihnen. Natascha nahm die angebotene Flasche sofort, aber ich wurde immer nervöser. Wir würden viel zu spät nach Hause kommen.
Dann hörte ich, wie sich zwei der Jungs hinter mir etwas zuüsterten.
»Wie machen wir es denn am besten?«, fragte einer leise.
Ich hörte aufmerksam hin und schnappte noch ein paar Worte auf.
Angst stieg in mir auf. Irgendwas stimmte hier nicht.
»Los, komm, lass uns gehen«, üsterte ich Sweta zu. Ich drehte mich zu dem Jungen neben mir um, lächelte ihn an und sagte: »Wir müssen mal auf die Toilette.«
»Dahinten.« Er deutete auf ein paar Sträucher. Sweta und ich standen auf und gingen lässig weg.
»Wir müssen unbedingt weg von hier«, sagte ich leise zu ihr.
»Was soll das heißen?«, fragte sie.
»Vertrau mir einfach. Irgendwas stimmt hier nicht. Ich zähle runter von fünf auf null, dann laufen wir los.«
»Na schön«, sagte Sweta, und mein Herz raste, als ich anng, rückwärts zu zählen.
»Fünf, vier, drei, zwei, EINS!«, rief ich und lief den dunklen Waldweg entlang. Ich konnte Sweta nicht hinter mir hören, sie musste wohl in eine andere Richtung gelaufen sein, aber ich wollte nicht stehen bleiben. Ich musste weiterlaufen. Nur darauf kam es an.
Plötzlich spürte ich Hände auf meinem Rücken, ich wurde zu Boden gestoßen und dann grob umgedreht. Ein Junge von etwa siebzehn Jahren mit lockigem blondem Haar, blauen Augen und dicken Lippen sah auf mich herunter.
»Hör gut zu«, fuhr er mich an. »Das läuft jetzt folgendermaßen. Entweder cken dich alle Jungs, oder du machst es freiwillig mit mir.«
»Im Leben nicht!«, schrie ich. »Auf keinen Fall!«
»Na gut«, sagte der Junge und machte Anstalten, aufzustehen. »Ich rufe die anderen.«
Ich spürte, dass er nervös war und nicht genau wusste, was er tun sollte. »Nein, bitte nicht«, bat ich. »Ruf sie nicht. Ich will ja mitgehen.«
»Einverstanden«, sagte er und zog mich hoch. »Dann komm.«
Ich hatte große Angst, als der Junge mich beim Arm nahm und wir uns auf den Weg durch den Wald machten. Was hatte er vor? Wieso ließ er mich nicht los?
»Bitte tu mir nicht weh«, schluchzte ich. »Meine Eltern warten, ich sollte schon längst zu Hause sein.«
»Wenn du brav bist, gebe ich dich sonst keinem, aber wenn nicht, dann habe ich viele Freunde.«
Mein Herz raste. Ich wusste kaum etwas von dem, was zwischen Männern und Frauen vorging, aber ich wusste, ich wollte nicht, dass dieser Junge mich anfasste. Doch es gab keine Möglichkeit zu entkommen. Während ich suchend auf dem Boden nach etwas Ausschau hielt, das ich als Waffe benutzen konnte – einen Ast, einen Stein –, hielt er mich fest umklammert.
»Bitte tu mir nicht weh, nur heute nicht«, ehte ich, als wir zu einem verlassenen Haus kamen und er mich in einen alten Schuppen zerrte. »Kannst du mich nicht wenigstens für heute in Ruhe lassen?«
Je länger er mich in Ruhe ließ, umso besser. Wieder und wieder hatte man mir gesagt, ich müsse Jungfrau bleiben, wenn ich eine gute Ehefrau werden wollte, und mir war klar, das bedeutete, ich durfte mich nicht von Jungs anfassen lassen. Ich durfte nicht zulassen, dass dieser Junge irgendetwas mit mir anstellte, sonst würde mir das Wort »Hure« ewig anhängen.
»Mach dir mal nicht ins Hemd«, antwortete er. »Ich tu dir schon nicht weh. Du brauchst bloß ein Schlückchen Wein zu trinken, dann ist es auch nicht so schlimm.«
Er legte eine Decke auf den Boden und bot mir eine Flasche an, ehe er mich wieder ansah. Die Stille war zum Schneiden dick zwischen uns, als wir uns gegenseitig anstarrten. An seinem Blick erkannte ich, dass er längst entschlossen war, es zu tun.
»Bitte tu mir nicht weh«, üsterte ich, als der Junge mich auf den harten Erdboden drückte.
Ich hatte solche Angst, dass ich mich nicht rühren konnte. In der Schule hatte ich Jungs geschlagen, wenn sie versucht hatten, mich anzufassen, aber das hier war anders. Mein Kör
per versteifte sich. Vielleicht würde er mich ja in Ruhe lassen, wenn er sah, wie verängstigt ich war.
»Ich sage auch keinem was«, schluchzte ich. »Bitte lass mich doch gehen. Ich werde der Polizei nichts sagen und meinen Eltern auch nicht.«
Aber der Junge hörte gar nicht hin und zerrte an meinen Kleidern, während ich die Arme verschränkte.
»Nein«, bat ich, als er mir die dünnen Träger meines rosafarbenen Tops zerriss. »Ich bin noch Jungfrau.«
»Ach, komm schon«, fuhr er mich leise an. »Du hast doch bestimmt schon einen Freund gehabt.«
Tränen liefen mir übers Gesicht, als er an meinen Shorts zerrte, und ich machte die Beine steif, presste sie fest zusammen. Er legte sich auf mich, und ich bekam kaum Luft. Wehren konnte ich mich nicht, er war zu schwer und zu stark, als er mir die Beine auseinanderzwang. Ich versuchte zu schreien, aber er legte mir eine Hand auf den Mund.
Ein stechender Schmerz strömte durch meine Beine. Ich wollte nicht, dass er das tat, und mein Körper wollte es auch nicht. Es tat so weh. Wieder und wieder stieß der Junge gegen mich, bis er in mir war. Ich schrie.
»Halt den Mund!«, rief er. »Entspann dich, dann geht es schon.«
Doch Schmerzen durchzuckten mich, als mir der Junge Millimeter für Millimeter meine Persönlichkeit stahl. Ich spürte seine Schweißtropfen auf mir, seine Zunge, die an mir leckte, und ich nahm den ekelhaften Geruch aus seinen Achseln wahr. Übelkeit stieg in mir hoch.
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis er endlich aufhörte, sich zu bewegen, und sich auf den Rücken rollte.
»Na siehst du, war doch gar nicht so schlimm«, sagte er. »Jetzt bin ich müde. Morgen bringe ich dich zum Bahnhof, dann kannst du nach Hause fahren.«
Er schlief sofort ein, während ich zitternd dalag; ich war zu verängstigt, um mich zu rühren. Endlich schlief ich auch ein, dankbar für das Vergessen.
Früh am nächsten Morgen wachten wir auf. Ich sah getrocknetes Blut an meinen Schenkeln, als ich mir die Shorts anzog. Jede Bewegung tat weh, als ich von einem Bein aufs andere wechselte. Ich war ganz starr vor Kälte; ich fror so sehr, dass ich fast zitterte, und ich fragte mich, was er jetzt wohl tun würde. Zuhause fühlte sich so weit weg an.
Er führte mich aus dem Schuppen, und wir gingen über eine menschenleere Straße mit Bäumen zu beiden Seiten, bis wir an einen einsamen Strand kamen.
»Mach dich sauber«, sagte der Junge und zeigte aufs Meer. »Dann bring ich dich zum Bahnhof.«
Am oberen Ende des Strandes sah ich ein Toilettenhäuschen – eines von diesen niedrigen Gebäuden, wie man sie so oft am Meer ndet, ohne Dach, mit niedrigen Wänden und mit Löchern in der Erde.
»Kann ich da rein?«, fragte ich.
»Ja, aber schließ nicht ab.«
Der Junge wartete draußen, ich betrat die Toilettenkabine und sah zur rückwärtigen Wand. Ich könnte rüberklettern und davonlaufen. Wenn ich nur weg von hier käme, könnte ich vielleicht vergessen, dass das überhaupt passiert war. Keiner würde je davon erfahren.
Einen Moment lang blieb ich reglos stehen und horchte auf den Jungen. Ich hörte nichts von ihm, hörte nur das Rauschen des Meeres, wenn die Wellen sich am Strand brachen. Ich hielt den Atem an und zog mich auf die niedrige Mauer hoch. Als ich mit dem Kopf über dem Rand war, blickte ich hinunter und sah zwei Männer, die auf der anderen Seite warteten.
»Sie will abhauen!«, rief der eine, und ich hörte ein verärgertes Aufstöhnen, als der Junge in die Kabine gelaufen kam.
»Jetzt hast du aber einen schlimmen Fehler gemacht!«, rief er und packte mich. »Und dafür wirst du bezahlen.«
Panik stieg in mir auf, als der Junge mich nach draußen zerrte, wo die beiden Männer warteten. Der eine war Anfang dreißig, hatte blonde Haare und war gut gebaut, der andere war groß, dünner und älter.
»Hallo, kleines Mädchen. Schön, dich kennenzulernen. Na, dann mal los«, sagte der Große, grub mir die Finger in den Arm und zerrte mich zu einem Zelt, das in der Nähe aufgeschlagen war.
Ich schaute mich um und sah, wie der Blonde dem Jungen Geld gab, dann wurde ich ins Zelt geschoben. Das Licht drinnen schimmerte gelblich, und die Luft war heiß, das Atmen el schwer.
»Na, was fangen wir denn jetzt mit dir an?« Der Blonde lächelte, als er hinter uns ins Zelt kroch.
Ohne ein Wort zu sagen, packte er mich bei den Haaren und presste mir den Mund auf die Lippen. Ich spürte, wie sich Zähne in mich gruben, während der Mann mich bei den Schultern hielt und seine Shorts aufmachte. Er kniete sich hin und drückte mich mit dem Kopf gegen seinen nackten Unterleib. Ich verstand nicht. Was wollte er? Ich biss die Zähne zusammen, gab mir Mühe, nicht zu weinen und zu schreien, als der Mann immer näher kam. Plötzlich zogen mir irgendwelche Finger die Mundwinkel auseinander, und ich schmeckte Blut, als meine Haut riss.
»Halt ihr die Nase zu«, sagte einer, und Finger kniffen mir die Nase zu.
Was auch passieren mochte, ich musste den Mund zuhalten, ich durfte diesen Mann nicht in meinen Mund lassen.
Doch als die Welt erst rot und dann schwarz wurde und mein Körper um Luft rang, schob sich der Blonde in mich hinein. Ich biss zu.
»Verdammte Schlampe!«, schrie er.
Eine Faust schlug mir gegen den Mund, ein Knie rammte mir ins Gesicht. Mein Kopf war ein einziger Schmerz. Ich schmeckte Blut und spürte das salzige Beißen von Tränen, die sich mit dem Blut aus meinen Wunden vermischten.
»Hier, warte«, sagte der Große, packte mich beim Hals und zog eine Rolle Kreppband heraus. Einen Streifen davon klebte er mir über den Mund. Blut und Tränen strömten mir in die Kehle, als sie mir die Arme über den Kopf hielten und mich wieder auf den Boden drückten.
Der Blonde zog mir das T-Shirt hoch, und plötzlich lastete sein Gewicht schwer auf mir. Er wollte, was sich gestern der Junge geholt hatte. Es hatte so wehgetan. Ich musste ihn davon abhalten! Wieder machte ich mich ganz steif, als er in mich eindrang.
»Du tust dir nur selber weh«, sagte er.
Es war schlimmer, viel schlimmer als in der Nacht davor, als dieser erwachsene Mann mit einer Gewalt in mich eindrang, von der der Junge noch nicht gewusst hatte, dass sie in ihm steckte. Ich wollte sterben. Einfach ins Meer fallen, vom Himmel, und sterben. Tränen rannen mir das Gesicht herunter, als sich der Mann über mir bewegte. Einen derartigen Schmerz so tief in mir, mitten in mir, hatte ich bisher nicht gekannt.
»Scht«, sagte er und stieß seine Hüften wieder und wieder gegen mich; seine Stimme war auf einmal ganz sanft, die Art Stimme, mit der man zu einem kleinen Mädchen spricht. »Weine nicht. Ist doch gut.«
Aber immer noch bewegte er sich auf mir rauf und runter, bis plötzlich ein schwerer moschusartiger Geruch die Luft
erfüllte. Ich spürte, wie sich Wärme auf meinem Bauch ausbreitete, als er sich von mir runterrollte.
Ohne einen Laut von mir zu geben, setzte ich mich auf und riss mir das Kreppband vom Mund, als sich die Männer eine Zigarette ansteckten. Es fühlte sich an, als sei da ein Tier in mir, das schreien wollte, aber ich konnte es nicht rauslassen.
»War doch schön, oder? Obwohl du so eng warst.« Der Blonde lächelte mit der Zigarette im Mund.
»Kann ich eine haben?«, fragte ich und deutete auf die Zigarette.
»Du rauchst?«
»Ja«, log ich, als er mir eine Zigarette in den blutenden Mund steckte und ein Streichholz daranhielt. Mir wurde schwindlig, als mir die ganze Chemie ins Hirn stieg, und ohne lange nachzudenken, drückte ich mir die brennende Zigarette auf den Handrücken. Ich wollte sehen, ob ich noch lebendig war, spürte aber nichts, als mir die brennende Spitze der Zigarette die Haut versengte. Nur die kleine weiße Narbe, die mir auf der Hand blieb, erinnert mich immer noch daran, dass es diesen Tag tatsächlich gab. Aber das wusste ich damals nicht. Es fühlte sich wie ein Albtraum an. Wann würde ich zu Hause aufwachen?
Ich spürte einen Schlag ins Gesicht.
»Bist du wahnsinnig?«, brüllte der Große.
Ohne etwas zu sagen, sah ich ihn an.
»Sie muss sich waschen«, meinte der Blonde, nahm mich am Arm und zog mich aus dem Zelt.
Ich stand auf und stolperte aufs Meer zu, wo ich mich mit ein wenig Wasser bespritzte. Das Wasser fühlte sich kalt an, und meine Nase und mein Mund brannten, als das salzige Wasser in meine Risswunden stach. In mir drin fühlte ich nichts.
»Alles in Ordnung mit dir?«, hörte ich eine Stimme fragen.
Ich drehte mich um und sah ein Polizeiauto, das am Strand parkte, und einen Polizisten, der neben dem Zelt stand. Ein zweiter Polizist saß im Wagen.
Plötzlich ging ein Licht in mir an. Ich war in Sicherheit. Sie konnten mir helfen.
Aber dann bekam ich Angst. Keiner durfte je herausnden, was passiert war. Mein Vater würde es nie erfahren. Wenn doch, würde die Schande ewig an mir hängen. Ich ng an zu zittern, als mir das Meerwasser über die Füße lief, und ich zog mein nasses T-Shirt herunter. Ich trug keine Unterwäsche. Für was für eine Sorte Mädchen würden sie mich halten?
»Alles in Ordnung«, antwortete ich dem Polizisten.
Er sah mich an.
»Sie ist meine Kusine«, sagte der Blonde.
»Stimmt das?«, fragte der Polizist.
»Ja«, antwortete ich.
Einen Moment lang starrte der Polizist mich an. »Na ja, deine Sachen solltest du trotzdem zusammensuchen. Ich will, dass du mitkommst.«
Ich fuhr mir mit der Hand über den Mund, um mir das Blut wegzuwischen, dann stand ich auf und folgte dem Mann. Ohne ein weiteres Wort setzte ich mich auf den Beifahrersitz, und der Polizist verfrachtete die beiden Männer auf den Rücksitz. Sie schwiegen, genau wie ich. Ich würde es keinem erzählen, beschloss ich, als das Auto abfuhr. Ich würde lügen, wenn es sein musste. Wenn Papa herausfand, dass ich keine Jungfrau mehr war, würde er mich entweder umbringen oder alle würden mich für eine Hure halten – wie auch immer, mein Leben wäre vorbei.
Ich hatte Angst, als wir aufs Polizeirevier kamen. Ich wusste, was für Menschen die Polizisten waren – sie konnten tun und lassen, was sie wollten –, also sagte ich nichts, obwohl
mich ein freundlicher Mann wieder und wieder fragte, was
passiert sei.
»Und wo sind denn nun deine Freundinnen?«, fragte er.
»Weiß ich nicht.«
»Und deine Kleider?«
»Habe ich verloren.«
»Was hast du mit dem Mann gemacht, bei dem wir dich gefunden haben?«
»Bloß geredet.«
Schweigen, während der Polizist über meine Antwort nachdachte. Dann fragte er: »Haben diese Männer irgendwas mit dir gemacht?«
»Nein.«
»Bist du sicher, Oxana?«
»Ja.«
Dann kam eine Ärztin und brachte mich in einen anderen Raum. Ich weinte wieder, als sie mich bat, mich auf einen Untersuchungsstuhl mit Fußstützen zu setzen. Und dann besah sie sich jeden Teil meines Körpers, auch die Teile, die bis zu diesem Tag noch keiner zu Gesicht bekommen hatte. Die Frau schwieg, während sie mich untersuchte, dann drehte sie sich weg, um Notizen zu machen. Später verließ sie den Raum, kam dann mit einem weißen Kittel zurück, und ich wurde in den Raum zurückgeführt, in dem der Beamte saß, der mich befragt hatte.
»Wieso hast du mich angelogen?«, fragte er sanft. »Du bist vergewaltigt worden, ja? Die Frau Doktor sagt, die sind wirklich übel mit dir umgesprungen. Du musst ziemliche Schmerzen gehabt haben. Wieso willst du nicht darüber reden?«
Ich starrte auf die Tischplatte. Würde mein Körper von jetzt an meine Geschichte allen erzählen, die gründlich genug hinsahen? Mir war übel. Würde es später einmal mein Ehemann wissen?
»Ich habe Angst«, schluchzte ich. »Mein Vater darf nicht erfahren, was mir passiert ist.«
»Wieso denn nicht?«
»Der wird mich umbringen. Bitte, bitte, sagen Sie meinen Eltern nichts. Ich tue auch, was Sie wollen, aber bitte sagen Sie ihnen nichts.«
»Na schön, das werde ich nicht«, meinte er.
Daraufhin erzählte ich ihm alles. Er hielt sein Versprechen und rief meine Eltern nicht an. Stattdessen telefonierten wir mit Yula, meiner Kusine zweiten Grades, die mich abholen und nach Hause bringen sollte. Mit ihrem Mann und den zwei Kindern wohnte sie nicht weit weg von uns, und ich besuchte sie oft. Ich vertraute ihr, ich wusste, sie würde mir helfen. Der Polizist sagte ihr, dass man mich allein am Strand gefunden habe und dass ich Kleider brauchte.
Yula kam und brachte etwas zum Anziehen für mich mit, und nach einem Gespräch mit dem Polizisten fuhr sie mich in ihrem Auto nach Hause. Wir waren gerade mal eine Viertelstunde unterwegs, als sie anhielt und zu mir auf den Rücksitz kletterte.
»Was hast du denn allein am Strand gemacht, Oxana?«, fragte sie sanft.
Ich ng an zu schluchzen. »Du darfst es Mama und Papa nie sagen«, üsterte ich.
Da ng auch Yula an zu weinen. Sie wusste, dass mein Vater sehr streng war. »Aber das muss ich«, sagte sie. »Du bist erst vierzehn. Ein kleines Mädchen. Sie müssen es erfahren.«
»Dann bringe ich mich um!«, schrie ich. »Ich weiß, wie das geht, und ich tue es auch.«
»Irgendwas müssen wir aber sagen, Oxana«, beharrte sie. »Du warst fast zwei Tage weg.«
»Denk dir was aus«, drängte ich sie. »Bitte, Yula, du musst mir helfen.«
Wir sprachen kein Wort mehr, als sie mich zu sich nach Hause fuhr und da auf meine Mutter wartete.
Eine Stunde später kam meine Mutter angelaufen. »Wo bist du gewesen?«, schrie sie und ng an, auf mich einzuschlagen. »Dein Vater hatte Herzschmerzen Tag und Nacht. Wegen dir waren wir nicht bei der Arbeit. Du bist ein böses Mädchen. Machst uns so viel Ärger. Wir hatten doch keine Ahnung, was los war.«
»Alexandra«, rief Yula, »du verstehst nicht! Die arme Oxana hat etwas Schreckliches durchgemacht. Ja, sie war unartig – sie ist heimlich mit ihren Freundinnen an den Strand gefahren –, aber sie und die anderen Mädchen sind von Straßenräubern überfallen worden. Sie sind furchtbar geschlagen worden, und man hat ihnen all ihre Sachen gestohlen und sie dann am Ende der Welt ausgesetzt. Sie kann von Glück sagen, dass sie überhaupt noch am Leben ist.«
Die Wut meiner Mutter verrauchte. »Ach, mein armer kleiner Liebling!«, sagte sie mit Tränen in den Augen. Sie nahm mich in die Arme und drückte mich. Ich weiß nicht, wann sie so etwas das letzte Mal getan hatte.
Zu Hause schlüpfte ich in den Schlafanzug und ging direkt ins Bett. Am nächsten Tag erzählte ich Papa die Geschichte, die sich Yula ausgedacht hatte, und er stellte keine Fragen mehr, als ich anng zu weinen. Ich hatte damit gerechnet, dass er mich schlagen würde, aber das tat er nicht. Stattdessen schickten meine Eltern mich für eine Woche zu Verwandten aufs Land, und wir redeten nie wieder über das, was geschehen war.
Von allem, was danach kommen sollte, empfand ich den Tag am Strand beinahe als das Schlimmste. Ich war noch ein Kind gewesen, bis ich mit diesen Jungs durch den dunklen
Wald lief. Doch dann wurde ich mit Gewalt in die schmerzliche Welt der Erwachsenen hineingestoßen. In den Monaten darauf ng ich an, in meinen Träumen den Teufel zu sehen. Ich war fest überzeugt, dass er mich eines Tages töten würde.
Übersetzung: Isabell Lorenz
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Bibliographische Angaben
- Autor: Oxana Kalemi
- 2009, 26. Aufl., 349 Seiten, Maße: 12,4 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Isabell Lorenz
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404616545
- ISBN-13: 9783404616541
- Erscheinungsdatum: 06.07.2009
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