Die Vagabundin
Historischer Roman
Für Freiheit und Glück riskiert sie alles, sogar ihr Leben.
Die wahre Geschichte der Eva Barbierin. Ein erschütterndes Frauenschicksal, erzählt nach einem wahren historischen Fall.
Passau, 1561: Nach dem Tod ihrer...
Die wahre Geschichte der Eva Barbierin. Ein erschütterndes Frauenschicksal, erzählt nach einem wahren historischen Fall.
Passau, 1561: Nach dem Tod ihrer...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Vagabundin “
Für Freiheit und Glück riskiert sie alles, sogar ihr Leben.
Die wahre Geschichte der Eva Barbierin. Ein erschütterndes Frauenschicksal, erzählt nach einem wahren historischen Fall.
Passau, 1561: Nach dem Tod ihrer Mutter wächst Eva beim Stiefvater auf. Als der sie mit einem Trunkenbold verkuppeln will und sich anschließend selbst an sie heranmacht, flieht Eva aus der Stadt. So beginnt ein abenteuerreiches Wanderleben. Schnell wird Eva jedoch klar, dass sie den Männern auf der Straße schutzlos ausgeliefert ist. Sie verkleidet sich als Schneiderknecht und zieht fortan mit gefälschten Papieren durch die Lande. Doch bald droht ihr Geheimnis aufgedeckt zu werden: Es begegnet ihr die erste große Liebe.
Astrid Fritz ist die Großmeisterin des historischen Romans. Einfühlsam und spannend bis zur letzten Seite erzählt sie hier die wahre Geschichte einer mutigen Frau.
Die wahre Geschichte der Eva Barbierin. Ein erschütterndes Frauenschicksal, erzählt nach einem wahren historischen Fall.
Passau, 1561: Nach dem Tod ihrer Mutter wächst Eva beim Stiefvater auf. Als der sie mit einem Trunkenbold verkuppeln will und sich anschließend selbst an sie heranmacht, flieht Eva aus der Stadt. So beginnt ein abenteuerreiches Wanderleben. Schnell wird Eva jedoch klar, dass sie den Männern auf der Straße schutzlos ausgeliefert ist. Sie verkleidet sich als Schneiderknecht und zieht fortan mit gefälschten Papieren durch die Lande. Doch bald droht ihr Geheimnis aufgedeckt zu werden: Es begegnet ihr die erste große Liebe.
Astrid Fritz ist die Großmeisterin des historischen Romans. Einfühlsam und spannend bis zur letzten Seite erzählt sie hier die wahre Geschichte einer mutigen Frau.
Klappentext zu „Die Vagabundin “
Die wahre Geschichte der Eva BarbiererinPassau, 1561: Nach dem Tod ihrer Mutter wächst die junge Eva bei ihrem brutalen Stiefvater auf. Als er sich an Eva heranmacht und sie mit einem alten Trunkenbold verkuppeln will, flieht sie aus der Stadt und beginnt ein abenteuerreiches Wanderleben. Schnell merkt Eva, dass sie als Frau den Männern schutzlos ausgeliefert ist. So verkleidet sie sich als Schneiderknecht und zieht von nun an mit gefälschten Papieren durch die Lande. Doch ihr Geheimnis droht ständig aufgedeckt zu werden. Vor allem, als ihr unterwegs ein Mann begegnet und mit ihm die erste große Liebe....
Die wahre Geschichte der Eva Barbiererin
Passau, 1561: Nach dem Tod ihrer Mutter wächst die junge Eva bei ihrem brutalen Stiefvater auf. Als er sich an Eva heranmacht und sie mit einem alten Trunkenbold verkuppeln will, flieht sie aus der Stadt und beginnt ein abenteuerreiches Wanderleben. Schnell merkt Eva, dass sie als Frau den Männern schutzlos ausgeliefert ist. So verkleidet sie sich als Schneiderknecht und zieht von nun an mit gefälschten Papieren durch die Lande. Doch ihr Geheimnis droht ständig aufgedeckt zu werden. Vor allem, als ihr unterwegs ein Mann begegnet und mit ihm die erste große Liebe....
Passau, 1561: Nach dem Tod ihrer Mutter wächst die junge Eva bei ihrem brutalen Stiefvater auf. Als er sich an Eva heranmacht und sie mit einem alten Trunkenbold verkuppeln will, flieht sie aus der Stadt und beginnt ein abenteuerreiches Wanderleben. Schnell merkt Eva, dass sie als Frau den Männern schutzlos ausgeliefert ist. So verkleidet sie sich als Schneiderknecht und zieht von nun an mit gefälschten Papieren durch die Lande. Doch ihr Geheimnis droht ständig aufgedeckt zu werden. Vor allem, als ihr unterwegs ein Mann begegnet und mit ihm die erste große Liebe....
Lese-Probe zu „Die Vagabundin “
Die Vagabundin von Astrid Fritz
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Wenn Eva an ihre Kindheit zurückdachte, hatte sie vor allem zwei Bilder vor Augen: zum einen die immer kränkelnde Mutter, wie sie mit geschlossenen Augen im Elternbett lag, bleich wie die Wachsglieder, die in der 14-Nothelfer-Kapelle von der Decke hingen, und zum anderen die wundersame Wiedererweckung ihres toten Schwesterchens. Das war am Ende ihrer Glatzer Zeit gewesen, an einem Sonntag auf Johannis den Täufer. Nach einer qualvoll langen Geburt war der kleine Wurm endlich zur Welt gekommen, nur um sie wenige Atemzüge später wieder zu verlassen. Starr vor Schreck waren sie um das Wochenbett gestanden, ihre Geschwister, ihr Stiefvater, die Familie ihrer Mutter, Dutzende neugieriger Nachbarn: Wussten sie doch alle, dass ein Mensch erst mit dem Sakrament der Taufe vor möglicher Verdammnis geschützt war. Da hatte die alte Wehmutter das reglose Kind genommen, in ein Tuch gepackt und mit durchdringender Stimme erst die Mutter Gottes, dann den heiligen Christophorus, Josef von Nazareth, Johannes den Täufer, den heiligen Nikolaus und wen noch alles angerufen, bis schließlich alle Umstehenden eingestimmt hatten in ihr Flehen und Jammern und Beten. Immer wieder hatte die Alte dem Kind über Augen und Stirn gestrichen, bis es doch wahrhaftig wieder die Augen öffnete, die kleine Brust hob und jeder in der Kammer das Wimmern vernehmen konnte. Rasch war die Taufkerze entzündet und die Nottaufe verrichtet, dann durfte das Kind endlich in Frieden sterben. Von da an suchten Frauen und junge Mädchen scharenweise die Grabstelle der kleinen Maria auf, ob ihrer wundersamen Wiedererweckung, was sich erst verlor, als die Hebamme in der Umgebung weitere Totgeborene scheinbar ins Leben zurückrief und schließlich wegen Betrug und Kindstötung auf dem Scheiterhaufen landete.
Ihre Mutter hatte diese schwere Geburt und den Verlust ihrer Jüngsten wohl nie verwunden. Hatten sonst allein ihr Wille und die Liebe zu ihren vier Kindern sie nach jedem Schwächeanfall wieder auf die Beine gebracht, so schien ihr Vorrat an Kraft hiermit endgültig erschöpft: Für den Rest des Jahres blieb sie liegen, um am Weihnachtstag endgültig die Augen zu schließen. Da war Eva gerade elf Jahre alt geworden und ihre Kindheit zu Ende.
Eine Zeitlang hatten sie noch von Mutters kleinem Erbe, das sie als Tochter einer angesehenen Handwerkerfamilie eisern zusammengehalten hatte, leben können, ihr Stiefvater, sie und ihre Geschwister Adam, Josefina und der kleine Niklas, das ein- zige leibliche Kind von Evas zweitem Vater. Dessen Badstube hatte nie viel abgeworfen, schon immer war das meiste für seine Spiel- und Wettschulden draufgegangen. Ohnehin hatten die Glatzer Bürger nie verstanden, warum Evas Mutter nach ein- jähriger Witwenschaft diesen Tunichtgut und obendrein viel zu alten Gallus Barbierer geheiratet hatte, für den Eva, seit sie denken konnte, einen unbestimmten Ekel empfand und dessen Namen sie nun tragen musste. An ihren leiblichen Vater konnte sie sich nicht mehr erinnern. Drei oder vier Jahre war sie bei seinem Tod gewesen, doch in ihrer Vorstellung sah sie ihn als stolzen, aufrechten Mann in spitzenbesetzten Gewändern. Schneidermeister war Hans Portner gewesen und so geschickt in seinem Handwerk, dass man ihn am Ende sogar an den Grafenhof berufen hatte.
«Was hätt ich denn tun sollen mit drei kleinen Kindern?», hatte Eva ihre Mutter oft seufzen hören, wenn wieder eine Nachbarin über ihren Stiefvater vom Leder zog und prophezeite, dass er noch den ganzen Hausstand zugrunde richten würde. Tatsächlich war es noch schlimmer gekommen: Gerade mal ein gutes Jahr nach Mutters Tod war Gallus Barbierer vor den Rat der Stadt zitiert worden, und bald ging es durch die Gassen wie ein Lauffeuer: Dieser Schandbube habe in seiner Badstube ein heimliches Hurenhaus betrieben! So ganz verstanden hatte Eva die Aufregung damals nicht, schließlich hatte sie mit eigenen Augen die vielen erlauchten Herren in schwarzer Schaube und Silberbehang, einige Geistliche sogar, mit leuchtendem Blick und geröteten Wangen dort ein und aus gehen sehen, und sie hatte bei sich gedacht, dass es um ihr Ansehen wieder besser Münde bei so viel vornehmer Kundschaft in ihrem kleinen Bad- haus.
Stattdessen war Gallus Barbierer auf eine Woche bei Wasser und Brot in den Turm gesperrt worden, um anschließend samt seinen Kindern aus der Stadt gejagt zu werden.
Dies alles lag nun schon über ein Jahr zurück. Monatelang waren sie damals durch die Lande geirrt, fast immer zu Fuß, der kleine Nadas auf den Schultern des starken, großen Adam, Eva selbst festgeklammert an der Hand der ein Jahr älteren Schwester, ihr Vater schließlich mit dem Handkarren, der das Wenige beförderte, was man ihnen gelassen hatte. Nur selten hatten mitleidige Fuhrleute sie aufsteigen lassen. Trotz Blasen an den Füßen ging es immer weiter über mal staubtrockene, mal tief verschlammte Landstraßen, und Eva lernte erstmals brennenden Durst und quälenden Hunger kennen. Schon immer hatten die Geschwister zusammengehalten gegen den Stiefvater, diese endlosen Wochen indes machten sie zu einer verschworenen Gemeinschaft. Einmal des Nachts, als sie zitternd um ein Lagerfeuer kauerten und ihr Vater unterwegs war, um in einer Schäferhütte nach Essensresten zu suchen, hatten sie sich feierlich gelobt, einander nie zu verlassen.
Schließlich waren sie über Ölmütz und Brünn, wo Wegelagerer ihren Karren geraubt hatten, nach Wien gekommen. Die Habsburgerstadt hatte ihr Ziel sein sollen, doch man verwehrte ihnen den Einlass. «Scheißkerle!», hatte der Stiefvater gebrüllt, «verdammtes Schelmenpack!», und dreimal gegen das Torhaus gespuckt. «Dann eben nach Passau, zu meinem Vetter.»
Sein Einfall war es auch gewesen, sich bei Einbruch der Dunkelheit auf einen Zug aus vier langgestreckten Frachtbooten zu schleichen, die am Donauufer vertäut lagen. Allerdings dauerte ihre Schiffsreise nur einen Tag, denn schon am nächsten Abend wurden sie entdeckt, und der Bootsführer warf sie in Ufernähe der Reihe nach über Bord. Nur mit Mühe erreichten Eva und Josefina das Ufer, wo ihr Stiefvater bereits mit eisiger Miene wartete, und wäre Adam nicht gewesen – der kleine Niklas wäre jämmerlich ersoffen.
«Was bist du nur für ein Mensch!» Voller Verachtung hatte Adam die Augen zusammengekniffen. «Deinen einzigen leiblichen Sohn hättst ertrinken lassen!»
«Halt dein dreckiges Maul und lass mich in Ruh!»
Da hatte Adam die Hand gegen den Älteren erhoben und ihm ins Gesicht geschlagen. Und der hatte sich nicht einmal gewehrt, ihn nur mit blödem Ausdruck angestiert. Nie würde Eva diesen Anblick vergessen!
Im Spätherbst endlich waren sie hier, im altehrwürdigen Fürstbistum Passau, gelandet. Womit keiner der Geschwister gerechnet hatte: Gallus Barbierer fand umgehend eine Anstellung. Durch die Vermittlung seines Vetters, eines dickwanstigen alten Nachtwächters, hatte er schon bald seine Dienste als städtischer Büttel antreten dürfen. Eva wusste, als Häscher, als Blutscherge stand ihr Stiefvater nun nahezu auf einer Stufe mit Henker und Abdecker, und auch an seinen Kindern würde min auf immer der Makel der Unehrlichkeit haften. Was aber weitaus schmerzhafter war: Kaum hatten sie sich einigermaßen in Passau eingerichtet, hatte Adam ihnen verkündet, dass er fortmüsse. Nach Straßburg wolle er, wo selbst Burschen wie er, ohne Vermögen und Rang, an Burse und Fakultät unterkämen. Heimlich und unter Tränen hatte er sich verabschiedet, und Eva war vor Wut und Enttäuschung mit den Fäusten auf ihn los- gegangen. Ihr geliebter Bruder, den sie so bewundert hatte, der so stark und klug war, dass er es sogar geschafft hatte, ihr das Lesen und Schreiben beizubringen – ihr Adam brach den Eid und ließ sie alle schmählich im Stich. Dieser Schmerz brannte fast schlimmer als damals der Tod ihrer Mutter, denn das hier war nicht nur endgültiger Abschied, sondern auch Verrat.
«Wenn du gewinnst, trag ich dich huckepack nach Haus!»
Eva stieß ihren kleinen Bruder in die Seite, dann rannten sie beide gleichzeitig los. Immer wieder fiel Niklas auf diesen Trick herein, wenn er den weiten Weg von den Uferwiesen nach I lause nicht laufen wollte. Und wie immer ließ sie ihn, kurz vor dem Severinstor, gewinnen. Von dort trug sie ihn dann das restliche Stück durch die Gassen der Innstadt auf dem Rücken, wie versprochen.
Vor dem Haus des Torwächters rannten sie mitten in einen Menschenauflauf. Ohne zu überlegen, nutzte Eva die Gunst der Stunde und prallte mit voller Wucht gegen einen dickleibigen Herrn, einen Trödler augenscheinlich, der seine Geldkatze allzu offenherzig am Gürtel trug. Der Dicke taumelte, Eva hielt
in einen Moment lang fest und sah ihn dabei entschuldigend an.
«Verzeiht vielmals, werter Herr, aber mein kleiner Bruder ist mir auf und davon. – Saubazi! Bleibst du wohl stehen!»
© Kindler Verlag
Ihre Mutter hatte diese schwere Geburt und den Verlust ihrer Jüngsten wohl nie verwunden. Hatten sonst allein ihr Wille und die Liebe zu ihren vier Kindern sie nach jedem Schwächeanfall wieder auf die Beine gebracht, so schien ihr Vorrat an Kraft hiermit endgültig erschöpft: Für den Rest des Jahres blieb sie liegen, um am Weihnachtstag endgültig die Augen zu schließen. Da war Eva gerade elf Jahre alt geworden und ihre Kindheit zu Ende.
Eine Zeitlang hatten sie noch von Mutters kleinem Erbe, das sie als Tochter einer angesehenen Handwerkerfamilie eisern zusammengehalten hatte, leben können, ihr Stiefvater, sie und ihre Geschwister Adam, Josefina und der kleine Niklas, das ein- zige leibliche Kind von Evas zweitem Vater. Dessen Badstube hatte nie viel abgeworfen, schon immer war das meiste für seine Spiel- und Wettschulden draufgegangen. Ohnehin hatten die Glatzer Bürger nie verstanden, warum Evas Mutter nach ein- jähriger Witwenschaft diesen Tunichtgut und obendrein viel zu alten Gallus Barbierer geheiratet hatte, für den Eva, seit sie denken konnte, einen unbestimmten Ekel empfand und dessen Namen sie nun tragen musste. An ihren leiblichen Vater konnte sie sich nicht mehr erinnern. Drei oder vier Jahre war sie bei seinem Tod gewesen, doch in ihrer Vorstellung sah sie ihn als stolzen, aufrechten Mann in spitzenbesetzten Gewändern. Schneidermeister war Hans Portner gewesen und so geschickt in seinem Handwerk, dass man ihn am Ende sogar an den Grafenhof berufen hatte.
«Was hätt ich denn tun sollen mit drei kleinen Kindern?», hatte Eva ihre Mutter oft seufzen hören, wenn wieder eine Nachbarin über ihren Stiefvater vom Leder zog und prophezeite, dass er noch den ganzen Hausstand zugrunde richten würde. Tatsächlich war es noch schlimmer gekommen: Gerade mal ein gutes Jahr nach Mutters Tod war Gallus Barbierer vor den Rat der Stadt zitiert worden, und bald ging es durch die Gassen wie ein Lauffeuer: Dieser Schandbube habe in seiner Badstube ein heimliches Hurenhaus betrieben! So ganz verstanden hatte Eva die Aufregung damals nicht, schließlich hatte sie mit eigenen Augen die vielen erlauchten Herren in schwarzer Schaube und Silberbehang, einige Geistliche sogar, mit leuchtendem Blick und geröteten Wangen dort ein und aus gehen sehen, und sie hatte bei sich gedacht, dass es um ihr Ansehen wieder besser Münde bei so viel vornehmer Kundschaft in ihrem kleinen Bad- haus.
Stattdessen war Gallus Barbierer auf eine Woche bei Wasser und Brot in den Turm gesperrt worden, um anschließend samt seinen Kindern aus der Stadt gejagt zu werden.
Dies alles lag nun schon über ein Jahr zurück. Monatelang waren sie damals durch die Lande geirrt, fast immer zu Fuß, der kleine Nadas auf den Schultern des starken, großen Adam, Eva selbst festgeklammert an der Hand der ein Jahr älteren Schwester, ihr Vater schließlich mit dem Handkarren, der das Wenige beförderte, was man ihnen gelassen hatte. Nur selten hatten mitleidige Fuhrleute sie aufsteigen lassen. Trotz Blasen an den Füßen ging es immer weiter über mal staubtrockene, mal tief verschlammte Landstraßen, und Eva lernte erstmals brennenden Durst und quälenden Hunger kennen. Schon immer hatten die Geschwister zusammengehalten gegen den Stiefvater, diese endlosen Wochen indes machten sie zu einer verschworenen Gemeinschaft. Einmal des Nachts, als sie zitternd um ein Lagerfeuer kauerten und ihr Vater unterwegs war, um in einer Schäferhütte nach Essensresten zu suchen, hatten sie sich feierlich gelobt, einander nie zu verlassen.
Schließlich waren sie über Ölmütz und Brünn, wo Wegelagerer ihren Karren geraubt hatten, nach Wien gekommen. Die Habsburgerstadt hatte ihr Ziel sein sollen, doch man verwehrte ihnen den Einlass. «Scheißkerle!», hatte der Stiefvater gebrüllt, «verdammtes Schelmenpack!», und dreimal gegen das Torhaus gespuckt. «Dann eben nach Passau, zu meinem Vetter.»
Sein Einfall war es auch gewesen, sich bei Einbruch der Dunkelheit auf einen Zug aus vier langgestreckten Frachtbooten zu schleichen, die am Donauufer vertäut lagen. Allerdings dauerte ihre Schiffsreise nur einen Tag, denn schon am nächsten Abend wurden sie entdeckt, und der Bootsführer warf sie in Ufernähe der Reihe nach über Bord. Nur mit Mühe erreichten Eva und Josefina das Ufer, wo ihr Stiefvater bereits mit eisiger Miene wartete, und wäre Adam nicht gewesen – der kleine Niklas wäre jämmerlich ersoffen.
«Was bist du nur für ein Mensch!» Voller Verachtung hatte Adam die Augen zusammengekniffen. «Deinen einzigen leiblichen Sohn hättst ertrinken lassen!»
«Halt dein dreckiges Maul und lass mich in Ruh!»
Da hatte Adam die Hand gegen den Älteren erhoben und ihm ins Gesicht geschlagen. Und der hatte sich nicht einmal gewehrt, ihn nur mit blödem Ausdruck angestiert. Nie würde Eva diesen Anblick vergessen!
Im Spätherbst endlich waren sie hier, im altehrwürdigen Fürstbistum Passau, gelandet. Womit keiner der Geschwister gerechnet hatte: Gallus Barbierer fand umgehend eine Anstellung. Durch die Vermittlung seines Vetters, eines dickwanstigen alten Nachtwächters, hatte er schon bald seine Dienste als städtischer Büttel antreten dürfen. Eva wusste, als Häscher, als Blutscherge stand ihr Stiefvater nun nahezu auf einer Stufe mit Henker und Abdecker, und auch an seinen Kindern würde min auf immer der Makel der Unehrlichkeit haften. Was aber weitaus schmerzhafter war: Kaum hatten sie sich einigermaßen in Passau eingerichtet, hatte Adam ihnen verkündet, dass er fortmüsse. Nach Straßburg wolle er, wo selbst Burschen wie er, ohne Vermögen und Rang, an Burse und Fakultät unterkämen. Heimlich und unter Tränen hatte er sich verabschiedet, und Eva war vor Wut und Enttäuschung mit den Fäusten auf ihn los- gegangen. Ihr geliebter Bruder, den sie so bewundert hatte, der so stark und klug war, dass er es sogar geschafft hatte, ihr das Lesen und Schreiben beizubringen – ihr Adam brach den Eid und ließ sie alle schmählich im Stich. Dieser Schmerz brannte fast schlimmer als damals der Tod ihrer Mutter, denn das hier war nicht nur endgültiger Abschied, sondern auch Verrat.
«Wenn du gewinnst, trag ich dich huckepack nach Haus!»
Eva stieß ihren kleinen Bruder in die Seite, dann rannten sie beide gleichzeitig los. Immer wieder fiel Niklas auf diesen Trick herein, wenn er den weiten Weg von den Uferwiesen nach I lause nicht laufen wollte. Und wie immer ließ sie ihn, kurz vor dem Severinstor, gewinnen. Von dort trug sie ihn dann das restliche Stück durch die Gassen der Innstadt auf dem Rücken, wie versprochen.
Vor dem Haus des Torwächters rannten sie mitten in einen Menschenauflauf. Ohne zu überlegen, nutzte Eva die Gunst der Stunde und prallte mit voller Wucht gegen einen dickleibigen Herrn, einen Trödler augenscheinlich, der seine Geldkatze allzu offenherzig am Gürtel trug. Der Dicke taumelte, Eva hielt
in einen Moment lang fest und sah ihn dabei entschuldigend an.
«Verzeiht vielmals, werter Herr, aber mein kleiner Bruder ist mir auf und davon. – Saubazi! Bleibst du wohl stehen!»
© Kindler Verlag
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Autoren-Porträt von Astrid Fritz
Astrid Fritz studierte Germanistik und Romanistik in München, Avignon und Freiburg. Als Fachredakteurin arbeitete sie anschließend in Darmstadt und Freiburg und verbrachte mit ihrer Familie drei Jahre in Santiago de Chile. Zu ihren großen Erfolgen zählen «Die Hexe von Freiburg», «Die Tochter der Hexe», «Turm aus Licht», «Der dunkle Himmel». Astrid Fritz lebt in der Nähe von Stuttgart.
Autoren-Interview mit Astrid Fritz
Interview mit Astrid FritzIhr erstes Buch entstand in einer Zeit, als Sie mit Ihrer Familie in Chile wohnten. Welche Rolle spielte dieser Abstand zum Deutschland der Gegenwart für Ihr Schreiben? Und wie gehen Sie heute „auf Distanz“, um in die Historie eintauchen zu können?
Nun, die enorme Distanz zwischen Chile und Deutschland hatte es mir sicherlich, im psychologischen Sinne, erleichtert, ein so großes Unterfangen wie einen Roman überhaupt zu beginnen. Die Idee zu der „Hexe von Freiburg“ hatte ich ja schon vor Chile, und so hatte ich mir viel Material mitgenommen. Da das ländliche Leben in Chile noch sehr archaisch ist oder zumindest vor 14 Jahren noch war, hatte dies meine Fantasie zusätzlich angeregt. Wenn ich heute in alte Zeiten abtauchen will, dann schließe ich oft die Augen und sehe die ärmlichen Hütten der chilenischen Bauern mit ihrem festgestampften Lehmboden vor mir, wo in einem Raum Mensch und Vieh zusammenleben. Oder ich schaue mir in meinem Bücherbestand alte Bilder und Stiche an und fantasiere mich in diese Zeiten hinein.
Hat das Arbeiten „in der Vergangenheit“ Sie verändert? Was an der Gegenwart betrachten Sie mit völlig anderen Augen, als Sie es, sagen wir, zu Zeiten Ihrer Tätigkeit für ein Freiburger Softwarehaus getan haben?
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In meinem Alltag hat das Abtauchen in die Vergangenheit mich sicher nicht grundlegend verändert, aber ich sehe einiges tatsächlich mit anderen Augen. Zum Beispiel, dass das, was uns Frauen heute ein Stück weit selbstverständlich ist, erst über Generationen mühsam erkämpft werden musste. Oder auch der Blick auf muslimische Frauen, die sich ihren Riten und Traditionen unterwerfen – der ist ja von uns „westlichen“ Frauen nicht selten von einer gewissen Arroganz geprägt. Wie schnell vergessen wir, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass wir Frauen nicht wählen durften, nicht studieren, kein eigenes Konto führen, keine Arbeit ohne Erlaubnis des Ehemannes aufnehmen durften etc. Und dann kommt so etwas wie Dankbarkeit in mir auf, dass ich diese Früchte heute, als Frau des 20./21. Jahrhunderts in Mitteleuropa, genießen darf. Denn eine Heldin, die für all das kämpft, wäre ich sicherlich nicht gewesen.
Wer sich, wie Sie, in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurückversetzen und das Leben der Menschen damals nachvollziehen möchte, muss sehr gut recherchieren. Wie gehen Sie dabei vor? Und wie groß ist der Anteil der Recherche im Verhältnis zur gesamten Arbeit an einem Romanprojekt?
Schätzungsweise ein gutes Drittel meiner Arbeit ist Recherche: Eine zwei- bis dreimonatige Basisrecherche vorweg (zum Thema, zur Epoche, zur Alltagskultur, zu einzelnen Figuren), und dann während des Schreibens immer wieder Detail-Recherche. Grundlage sind für mich noch immer Sach- und Fachbücher von Historikern, vorzugsweise zur Alltagsgeschichte, und die Recherche vor Ort, der Gang zu historischen Schauplätzen und/oder Heimatmuseen. In den letzten Jahren hat allerdings meine Internet-Recherche an Umfang enorm zugenommen, nur muss man da bei den Funden weitaus vorsichtiger sein – das Internet ist ein wunderbarer Gemischtwarenladen, aber eben auch mit viel Ramsch.
„Die Vagabundin“ widmet sich dem Schicksal der Eva Barbierin. Wie stießen Sie auf diese Figur? Was an ihr hat Sie so fasziniert?
Bei meiner Arbeit an der „Gauklerin“ hatte ich über die Schlacht von Nördlingen während des Dreißigjährigen Kriegs recherchiert und war dazu im Nördlinger Stadtmuseum. Dort hing eine Deckenfahne mit einer kurzen Info über jenen Schneidergesellen, der sich als Frau entpuppte und deshalb vor Gericht kam – mitsamt einer historischen Zeichnung. Das hat mich natürlich sofort interessiert. Als ich dann über das Stadtarchiv auf die Prozessunterlagen gestoßen bin, die 1950 von einem Stadtarchivar aufgearbeitet worden waren, wurde mir klar: Das ist der Stoff für einen Roman. Fasziniert hat mich dabei, wie gewitzt und voller Energie sich diese junge Frau durchs Leben geschlagen hat.
Der Durchbruch als Autorin gelang Ihnen mit „Die Hexe von Freiburg“. Wenn Sie dieses Buch mit „Die Vagabundin“ vergleichen: Was ist ganz anders, was vielleicht ähnlich?
Ähnlich ist sicherlich, dass es sich beide Male um ein historisch belegtes Frauenschicksal handelt, das auf ein verhängnisvolles Ende zuläuft, und ich beide Male die zahlreichen Fakten aus den Gerichtsprozessen mit Leben, sprich: meiner Fantasie füllen konnte. Unterschiedlich sind die beiden Charaktere: Beide waren sicherlich starke Frauen, nur war Catharina Stadellmenin aus Freiburg weitaus mehr ein Opfer ihrer Zeit, mehr die Erleidende, ausgeliefert diesem Hexenwahn, während meine Vagabundin ein ganzes Stück frecher und wagemutiger war, fast schon eine Art weiblicher Till Eulenspiegel, mit ihrer Schlauheit und ihrem Schauspieltalent.
Auf der Flucht vor ihrem sie bedrängenden Stiefvater begibt sich Ihre Heldin auf eine Odyssee durch den Süden Deutschlands. Wenn Sie drei Merkmale definieren sollten: Was bestimmte das Leben der Menschen in dieser Region zu dieser Zeit?
Ich denke, wie überall kämpften die Menschen in erster Linie um ihre Existenz, denn zum allergrößten Teil waren sie Bauern, einfache Handwerker und Tagelöhner, Knechte und (Dienst-)Mägde.
Zum Zweiten, glaube ich, ließen die allgegenwärtigen Glaubenskämpfe gerade in Süddeutschland, wo die Territorien völlig zersplittert waren, die Menschen im täglichen Glauben zweifeln. Der Glaube (und auch der Aberglaube) hatte ja einen viel höheren Stellenwert als heute. Nun war gerade der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit für die Menschen eine Zeit sozialer Spannungen und wirtschaftlicher Nöte, eine Zeit der Glaubensspaltung, der Werteumbrüche und der totalen Verunsicherung. Die Menschen reagierten mit Ängsten, Aberglauben und Endzeitstimmung. Die Neuzeit war also nur vordergründig fortschrittlich, trotz Kopernikus, Galilei und Kepler, trotz Reformation oder Humanismus.
Zum Dritten bestimmte sicherlich die Sorge um Kinder und Angehörige den Alltag, denn das Leben war um einiges „unberechenbarer“ damals, und den Tod hatte man ständig vor Augen. Die These, dass man seine Kinder nicht liebte, ist zum Glück in der Mottenkiste überholter historischer Theorien verschwunden.
Was nun die Frauen betrifft: Sie spürten sehr wohl, dass ihnen einstmals zugestandene Rechte sukzessive wieder genommen wurden, sie aus dem Berufsleben als unliebsame Konkurrentinnen verdrängt wurden. Zudem dämonisierte die Kirche sie mit Auftauchen der Syphilis und der damit einhergehenden Sexualfeindlichkeit als triebhaft und gefährlich. Zu Hause, unter der Aufsicht des Mannes, sollte fortan ihr angestammter Platz sein. Gegenüber dem Mittelalter war die Frühe Neuzeit ganz klar eine Zeit der Ausgrenzung der Frau.
Eva hat einen Traum: Sie möchte eine eigene Schneiderwerkstatt eröffnen. Wie charakteristisch für diese Zeit ist der Wunsch einer Frau nach Erfolg in einem damals männlichen Beruf?
Sicherlich ist das nicht allgemeingültig. Aber, wie eben gesagt, man wusste sehr wohl, dass es vor nicht allzu langer Zeit Handwerkerinnen und Frauenzünfte gab (und sie in einigen Ländern auch noch existierten, wie in Frankreich). Bis zum Ende des Mittelalters führten viele Frauen als Meisters- oder Kaufmannswitwe den Betrieb weiter oder arbeiteten im Bereich Versorgung, Nahrung und in heilkundigen Berufen. Auch der Beruf des Schneiders war erst seit Kurzem ein rein männlicher Beruf. Ich denke, vielen Frauen war das noch im Bewusstsein, und manche rebellierten eben dagegen. Ich bin bei meinen Recherchen zur „Vagabundin“ sogar auf Frauen gestoßen, die als Soldaten verkleidet gingen oder zur See fuhren, wie die berühmte Piratin Mary Read.
Und gibt es schon Pläne für weitere Romanprojekte?
O ja, das neue Buch ist schon in Arbeit und wird wohl nächstes Frühjahr erscheinen. Auch darin geht es um eine historische Frauenfigur, die Tochter einer schwäbischen Landstreicherin, die ins Waisenhaus gebracht wird und der dasselbe Schicksal droht wie ihrer Mutter – bis alles eine überraschende Wendung nimmt. Diesmal allerdings spielt das Ganze im Vormärz, also im 19. Jahrhundert, das mit der einsetzenden industriellen Revolution ebenfalls eine Zeit des Umbruchs ist.
Die Fragen stellte Roland Große Holtforth, Literaturtest.
Wer sich, wie Sie, in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurückversetzen und das Leben der Menschen damals nachvollziehen möchte, muss sehr gut recherchieren. Wie gehen Sie dabei vor? Und wie groß ist der Anteil der Recherche im Verhältnis zur gesamten Arbeit an einem Romanprojekt?
Schätzungsweise ein gutes Drittel meiner Arbeit ist Recherche: Eine zwei- bis dreimonatige Basisrecherche vorweg (zum Thema, zur Epoche, zur Alltagskultur, zu einzelnen Figuren), und dann während des Schreibens immer wieder Detail-Recherche. Grundlage sind für mich noch immer Sach- und Fachbücher von Historikern, vorzugsweise zur Alltagsgeschichte, und die Recherche vor Ort, der Gang zu historischen Schauplätzen und/oder Heimatmuseen. In den letzten Jahren hat allerdings meine Internet-Recherche an Umfang enorm zugenommen, nur muss man da bei den Funden weitaus vorsichtiger sein – das Internet ist ein wunderbarer Gemischtwarenladen, aber eben auch mit viel Ramsch.
„Die Vagabundin“ widmet sich dem Schicksal der Eva Barbierin. Wie stießen Sie auf diese Figur? Was an ihr hat Sie so fasziniert?
Bei meiner Arbeit an der „Gauklerin“ hatte ich über die Schlacht von Nördlingen während des Dreißigjährigen Kriegs recherchiert und war dazu im Nördlinger Stadtmuseum. Dort hing eine Deckenfahne mit einer kurzen Info über jenen Schneidergesellen, der sich als Frau entpuppte und deshalb vor Gericht kam – mitsamt einer historischen Zeichnung. Das hat mich natürlich sofort interessiert. Als ich dann über das Stadtarchiv auf die Prozessunterlagen gestoßen bin, die 1950 von einem Stadtarchivar aufgearbeitet worden waren, wurde mir klar: Das ist der Stoff für einen Roman. Fasziniert hat mich dabei, wie gewitzt und voller Energie sich diese junge Frau durchs Leben geschlagen hat.
Der Durchbruch als Autorin gelang Ihnen mit „Die Hexe von Freiburg“. Wenn Sie dieses Buch mit „Die Vagabundin“ vergleichen: Was ist ganz anders, was vielleicht ähnlich?
Ähnlich ist sicherlich, dass es sich beide Male um ein historisch belegtes Frauenschicksal handelt, das auf ein verhängnisvolles Ende zuläuft, und ich beide Male die zahlreichen Fakten aus den Gerichtsprozessen mit Leben, sprich: meiner Fantasie füllen konnte. Unterschiedlich sind die beiden Charaktere: Beide waren sicherlich starke Frauen, nur war Catharina Stadellmenin aus Freiburg weitaus mehr ein Opfer ihrer Zeit, mehr die Erleidende, ausgeliefert diesem Hexenwahn, während meine Vagabundin ein ganzes Stück frecher und wagemutiger war, fast schon eine Art weiblicher Till Eulenspiegel, mit ihrer Schlauheit und ihrem Schauspieltalent.
Auf der Flucht vor ihrem sie bedrängenden Stiefvater begibt sich Ihre Heldin auf eine Odyssee durch den Süden Deutschlands. Wenn Sie drei Merkmale definieren sollten: Was bestimmte das Leben der Menschen in dieser Region zu dieser Zeit?
Ich denke, wie überall kämpften die Menschen in erster Linie um ihre Existenz, denn zum allergrößten Teil waren sie Bauern, einfache Handwerker und Tagelöhner, Knechte und (Dienst-)Mägde.
Zum Zweiten, glaube ich, ließen die allgegenwärtigen Glaubenskämpfe gerade in Süddeutschland, wo die Territorien völlig zersplittert waren, die Menschen im täglichen Glauben zweifeln. Der Glaube (und auch der Aberglaube) hatte ja einen viel höheren Stellenwert als heute. Nun war gerade der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit für die Menschen eine Zeit sozialer Spannungen und wirtschaftlicher Nöte, eine Zeit der Glaubensspaltung, der Werteumbrüche und der totalen Verunsicherung. Die Menschen reagierten mit Ängsten, Aberglauben und Endzeitstimmung. Die Neuzeit war also nur vordergründig fortschrittlich, trotz Kopernikus, Galilei und Kepler, trotz Reformation oder Humanismus.
Zum Dritten bestimmte sicherlich die Sorge um Kinder und Angehörige den Alltag, denn das Leben war um einiges „unberechenbarer“ damals, und den Tod hatte man ständig vor Augen. Die These, dass man seine Kinder nicht liebte, ist zum Glück in der Mottenkiste überholter historischer Theorien verschwunden.
Was nun die Frauen betrifft: Sie spürten sehr wohl, dass ihnen einstmals zugestandene Rechte sukzessive wieder genommen wurden, sie aus dem Berufsleben als unliebsame Konkurrentinnen verdrängt wurden. Zudem dämonisierte die Kirche sie mit Auftauchen der Syphilis und der damit einhergehenden Sexualfeindlichkeit als triebhaft und gefährlich. Zu Hause, unter der Aufsicht des Mannes, sollte fortan ihr angestammter Platz sein. Gegenüber dem Mittelalter war die Frühe Neuzeit ganz klar eine Zeit der Ausgrenzung der Frau.
Eva hat einen Traum: Sie möchte eine eigene Schneiderwerkstatt eröffnen. Wie charakteristisch für diese Zeit ist der Wunsch einer Frau nach Erfolg in einem damals männlichen Beruf?
Sicherlich ist das nicht allgemeingültig. Aber, wie eben gesagt, man wusste sehr wohl, dass es vor nicht allzu langer Zeit Handwerkerinnen und Frauenzünfte gab (und sie in einigen Ländern auch noch existierten, wie in Frankreich). Bis zum Ende des Mittelalters führten viele Frauen als Meisters- oder Kaufmannswitwe den Betrieb weiter oder arbeiteten im Bereich Versorgung, Nahrung und in heilkundigen Berufen. Auch der Beruf des Schneiders war erst seit Kurzem ein rein männlicher Beruf. Ich denke, vielen Frauen war das noch im Bewusstsein, und manche rebellierten eben dagegen. Ich bin bei meinen Recherchen zur „Vagabundin“ sogar auf Frauen gestoßen, die als Soldaten verkleidet gingen oder zur See fuhren, wie die berühmte Piratin Mary Read.
Und gibt es schon Pläne für weitere Romanprojekte?
O ja, das neue Buch ist schon in Arbeit und wird wohl nächstes Frühjahr erscheinen. Auch darin geht es um eine historische Frauenfigur, die Tochter einer schwäbischen Landstreicherin, die ins Waisenhaus gebracht wird und der dasselbe Schicksal droht wie ihrer Mutter – bis alles eine überraschende Wendung nimmt. Diesmal allerdings spielt das Ganze im Vormärz, also im 19. Jahrhundert, das mit der einsetzenden industriellen Revolution ebenfalls eine Zeit des Umbruchs ist.
Die Fragen stellte Roland Große Holtforth, Literaturtest.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Astrid Fritz
- 2009, 1. Auflage., 512 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kindler
- ISBN-10: 3463405075
- ISBN-13: 9783463405070
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