Dinge geregelt kriegen - ohne einen Funken Selbstdisziplin
Wie man es schafft, sein Leben so zu organisieren, dass man es nicht ständig organisieren muss: ''Abwarten, Nerven bewahren - denn zu frühes Handeln ist oft genauso schädlich, wie zu spätes.''
Unbeantwortete Briefe,...
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Produktinformationen zu „Dinge geregelt kriegen - ohne einen Funken Selbstdisziplin “
Wie man es schafft, sein Leben so zu organisieren, dass man es nicht ständig organisieren muss: ''Abwarten, Nerven bewahren - denn zu frühes Handeln ist oft genauso schädlich, wie zu spätes.''
Unbeantwortete Briefe, ungeschriebene To-do-Listen, ungenutzte Fitness-Club-Vorteile - Futter für das schlechte Gewissen. Fast jeder Zweite neigt dazu, Aufgaben vor sich her zu schieben. Sie gehören auch dazu? Entziehen Sie sich doch einfach dem Druck der Verpflichtungen. Sie werden trotzdem alles in den Griff bekommen.
Wie? Das zeigt diese Hommage an die Disziplinlosigkeit.
Mit dem ''Lexikon des Unwissens'' landete Kathrin Passig einen Bestseller. Zusammen mit Sascha Lobo ist ihr mit ''Dinge geregelt kriegen...'' ein weiterer Erfolg gelungen.
Lese-Probe zu „Dinge geregelt kriegen - ohne einen Funken Selbstdisziplin “
Dinge geregelt kriegen von Kathrin Passig und Sascha LoboÜbernächster Mittwoch ist auch noch ein Tag
Wissenswertes über Prokrastination
«Ein anderes Wort, das gerade erst dabei ist, in die deutsche Sprache einzudringen und seinen bislang noch geringen Bekanntheitsgrad binnen weniger Jahre erheblich steigern
wird, ist die Prokrastination. Der Begriff bezeichnet ein nicht zeitmangelbedingtes, aber umso qualvolleres Aufschieben dringlicher Arbeiten in Verbindung mit manischer Selbstablenkung, und zwar unter Inkaufnahme absehbarer und gewichtiger Nachteile.»
(Max Goldt: «Prekariat und Prokrastination»)
Jedem Anfang wohnt ein Zaudern inne. Ein großer Teil der Menschen auf der Straße und ein noch größerer Teil der Menschen, denen man nicht auf der Straße begegnet, weil sie Besseres zu tun haben, schiebt alle möglichen anstehenden Aufgaben auf. Sie tragen den Müll nicht hinunter, sie tapezieren seit Monaten den Flur nicht, sie öffnen die Post selten, sie bringen dieses und jenes Projekt nicht zu Ende, sie rufen nicht zurück und hätten längst die Tabellenkalkulation für das dritte Quartal fertig machen müssen. Trotzdem sind sie nicht unbedingt faul, nicht alle dumm, nicht sämtlich bösartig, obwohl das die häufigsten Unterstellungen sind, mit denen sie zu kämpfen haben. Sie prokrastinieren, ein angenehmeres Wort für Aufschieben. «Cras» (morgen) ist die Wurzel des lateinischen Wortes crastinus (dem morgigen Tag zugehörig). «Prokrastinieren» (im Englischen erstmals 1588 erwähnt) bedeutet also wörtlich übersetzt: für morgen lassen. Und bis morgen kann es noch sehr lange hin sein. Wir haben diese Menschen weitgehend ohne Hintergedanken LOBOs getauft. Das steht für Lifestyle Of Bad Organisation beziehungsweise dessen Anhänger.
Prokrastination ist
... mehr
nicht auf spezielle Tätigkeiten oder Aufgaben begrenzt. Im Prinzip lässt sich alles Machbare aufschieben, sogar vollkommen Unumgängliches kann man bequem unterlassen. Die Konsequenzen sind breit gefächert. Oft passiert nichts. In schlimmeren Fällen steht der LOBO vor seiner Wohnungstür und kann sie nicht aufschließen, weil jemand, der seine Berechtigung aus der kalten Wut des missachteten Apparates herleitet, ein anderes Schloss eingebaut hat. Oder Kollegen und Freunde ziehen Konsequenzen und wenden sich ab. Oder Strom, Gas, Wasser, Telefon oder Internet sind plötzlich abgestellt.
Diese Folgen sind dem Prokrastinierer nicht unbekannt und in der Regel für ihn ebenso unbequem wie für die meisten anderen Menschen. Er weiß auch, dass man den Schaden vermutlich abwenden könnte, wenn man den Stapel Briefe im Flur einfach doch öffnen würde. Dennoch hält ihn eine Macht davon ab. Oft wird angenommen, es handle sich dabei um Angst. Das mag manchmal stimmen, scheint aber nicht die Regel zu sein. Der wahre Grund, etwas scheinbar Notwendiges nicht zu tun, liegt in der Natur des Menschen. Tief im Innern weiß er, dass Notwendigkeiten stets eine Einengung darstellen, die das Wohlbefinden einschränkt. Das Streben nach Glück bringt ein Streben nach weitestgehender Reduktion von Zwängen mit sich, also werden selbst vorgebliche Notwendigkeiten in Frage gestellt und praktisch überprüft. Das Ergebnis ist eine unbewusst ablaufende Abwägung: Soll man jetzt einen Moment der sicheren Unannehmlichkeit verbringen - oder später einen weniger wahrscheinlichen, dafür eventuell deutlich problematischeren Moment?
Mit der Frage, warum diese Abwägung so oft zugunsten des Aufschiebens ausgeht, befassen sich Forscher aus unterschiedlichen Fachbereichen erst seit etwa dreißig Jahren. Woran es liegt, dass dieses Thema bis dahin trotz seiner Allgegenwart nicht erforscht wurde, und warum die Wissenschaft die Prokrastination dann doch noch entdeckte, ist eine interessante Frage, die dringend von anderen Menschen als uns untersucht werden sollte. Es könnte damit zu tun haben, dass moralische Urteile allgemein nicht der Weg zu schnellen Forschungsfortschritten sind: Die Medizin- und Psychologiegeschichte ist nicht arm an Beispielen für Erkenntnisbehinderung durch die Idee, die Betroffenen müssten sich einfach nur mal ein bisschen zusammenreißen - Depressionen, Phobien, sexuelle Abweichungen, Magersucht, sogar Schizophrenie und Autismus galten noch vor nicht allzu langer Zeit als solche Fälle. Vielleicht musste Prokrastination erst als Phänomen erkannt werden, hinter dem mehr und Interessanteres steckt als nur schlechte Manieren. In den letzten dreißig Jahren sind jedenfalls um die 700 wissenschaftliche Veröffentlichungen zur Prokrastination entstanden. Insbesondere seit Ende der neunziger Jahre wurde endlich auch experimentell und mit Hilfe von Umfragen erforscht, wie sich der Aufschiebetrieb bei Studenten bemerkbar macht. Untersuchungen an halbwegs repräsentativen Bevölkerungsstichproben sind selten, weil mühsamer durchzuführen, aber auch hier liegen erste Ergebnisse vor.
Einigkeit herrscht darüber, dass zumindest in den bisher untersuchten westlichen Ländern große Arbeitsberge herumgeschoben werden: 75 bis 95 Prozent aller Studenten geben in Umfragen an, wenigstens hin und wieder zu prokrastinieren, fast 5o Prozent verschieben regelmäßig Aufgaben. Bei Studenten nehmen Prokrastinationstätigkeiten etwa ein Drittel der wachen Tageszeit ein. Nach dem Studium bessert sich die Lage, aber um die 20 bis 25 Prozent der Gesamtbevölkerung gelten immer noch als harte Prokrastinierer. Zumindest zwischen den USA, Großbritannien, Australien, Spanien, Peru und Venezuela lassen sich dabei keine Unterschiede feststellen, für andere Länder fehlen die Vergleichsdaten. Die häufig vorgebrachte These «Wenn man erst mal Kinder hat, kann man es sich gar nicht mehr leisten, irgendwas vor sich herzuschieben» wird von den vorhandenen Untersuchungen nicht gestützt; die An- oder Abwesenheit eigener Kinder spielt offenbar keine Rolle.
«Dass die Sache mit Kindern nicht besser wird, kann ich bestätigen. Kinder sind der beste Grund zum Aufschieben und sind als Rechtfertigung für Aufschieben oder Bleibenlassen auch sozial anerkannt: Was ich trotzdem hin kriege, wird meist umso freudiger begrüßt. Das nutzt sich nach und nach etwas ab und ist auch ungerecht, weil ich im Hinblick auf meine Berufstätigkeit Fremdbetreuung für die Kinder ganz gut organisiert habe. Ich kann jetzt noch 13 Jahre aufschieben, bis auch das letzte Kind aus dem Haus ist. » (Angela Leinen)
Frauen prokrastinieren genauso viel wie Männer, Verheiratete so viel wie Unverheiratete, Akademiker auch nicht mehr als andere Menschen. In Firmen wird mehr aufgeschoben als unter Selbständigen. Ob die Prokrastination insgesamt auf dem Vormarsch ist, lässt sich nicht feststellen, denn erstens fehlt es an historischen Daten, und zweitens wäre selbst bei besserer Datenlage kaum zu entscheiden, ob wirklich immer mehr prokrastiniert wird oder
ob sich die Einstellung zur Prokrastination geändert hat. Denkbar wäre zum Beispiel, dass es heute leichter fällt als früher, Aufschiebeprobleme einzugestehen.
Ein Hang zur Prokrastination kommt und geht nicht wie Schnupfen, sondern scheint ein recht stabiles Persönlichkeitsmerkmal zu sein. Testpersonen, die man zweimal denselben Prokrastinationstest ausfüllen lässt, erzielen ähnliche Ergebnisse, auch wenn zwischen den beiden Tests Jahre liegen. Aus einer im Jahr 2003 veröffentlichten Zwillingsstudie geht hervor, dass wohl eine genetische Komponente im Spiel ist, denn eineiige Zwillinge ähneln sich in ihren Aufschiebegewohnheiten deutlich stärker als zweieiige. Unter ungünstigen Bedingungen (nämlich vor allem während des Studiums) wird mehr prokrastiniert, aber im Laufe des Lebens ändert sich am Aufschiebeverhalten nicht viel. Im besten Fall entwickelt man gewisse Kompensationsfähigkeiten.
Über die Ursachen der Prokrastination haben sich die Forscher bisher nicht geeinigt. Bis auf weiteres kann sich daher jeder ein maßgeschneidertes Ursachenportfolio aus den verschiedenen Erklärungsmodellen zusammenstellen. Etwas Besseres als «Prokrastination ist Faulheit» finden wir überall! Aber erwarten Sie sich vom folgenden Überblick nicht zu viel. Die Ursachen für die eigenen Aufschiebegewohnheiten erkennen oder sie zu erkennen glauben nutzt so gut wie gar nichts.
Prokrastination ist eine schlechte Angewohnheit.
Für Behavioristen läuft bei der Prokrastination eine «operante Konditionierung» ab: Man verschleppt zwei-, dreimal eine Aufgabe, stellt fest, dass nichts Schlimmes passiert, und verwandelt sich auf der Stelle in einen unverbesserlichen Prokrastinierer. Dass dieser Mechanismus im Prinzip funktionieren könnte, liegt auf der Hand. Ob Prokrastinierer aber tatsächlich auf diese Art gemacht werden, ist nicht überprüft. Dass Prokrastination sich als stabiles Persönlichkeitsmerkmal zeigt, spricht eher gegen die Theorie.
Wer prokrastiniert, hat Angst vor dem Versagen. Oder vor dem Erfolg.
Wer prokrastiniert, so lautet die Theorie, der tut das, weil die anstehende Aufgabe Stress und Angst erzeugt. Der Psychologe und Studentenberater Henri Schouwenburg merkt allerdings an, dass Versagensangst gern als Ausrede für Prokrastination angeführt wird. Er vermutet, dass Studenten, die unter Versagensangst leiden, besonders häufig Hilfe bei Studentenberatern und Psychotherapeuten suchen und deshalb in der Fachliteratur überrepräsentiert sind. Auch die entgegengesetzte Hypothese, Prokrastinierer hätten «Angst vor dem Erfolg», beruht auf Einzelbeobachtungen von Therapeuten. Dagegen spricht, dass es deutlich weniger mühsam wäre, sich erst gar keine großen Aufgaben vorzunehmen, wenn man einfach nur dem Erfolg aus dem Weg gehen will. Einige Forscher argumentieren außerdem genau umgekehrt: Wer von ängstlicher Natur ist, wird anstehende Aufgaben besonders zügig erledigen, um nicht den Zorn von Behörden und Vorgesetzten auf sich zu ziehen.
Prokrastinierer sind dümmer als andere. Oder schlauer.
Studenten, die sehr viel prokrastinieren, sind manchen Theorien zufolge unbegabter als ihre Mitstudenten und drücken sich daher vor Aufgaben, mit denen sie überfordert wären. Anderen Theorien nach sind sie überdurchschnittlich begabt und haben herausgefunden, dass sie es
sich leisten können, erst in letzter Sekunde mit der Arbeit zu beginnen. Belegt ist bisher keine der beiden Varianten.
Wer prokrastiniert, ist depressiv.
Oder ein Optimist.
In manchen Studien zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Depressionen und Prokrastinationsverhalten . Diesen Studien lässt sich nicht entnehmen, ob das viele Prokrastinieren unglücklich macht oder ob die Depression dazu führt, dass man alles schleifenlässt. Der Wirtschaftspsychologe und Prokrastinationsforscher Piers Steel erklärt: «Der Depressions-Zusammenhang hat offenbar vor allem mit fehlender Energie zu tun, wodurch viele Aufgaben unangenehmer werden.» Andererseits kann übergroßer Optimismus dazu führen, dass man seine Fähigkeit überschätzt, langes Herumtrödeln kurz vor der Deadline wieder auszugleichen.
Prokrastinierer sind Perfektionisten.
Die überraschend beliebte Perfektionismuserklärung lautet in ihrer Kurzfassung: Weil wir den Gedanken nicht ertragen können, unvollkommene Arbeit abzuliefern, tun wir lieber gar nichts. Diese Theorie ist nach neueren Erkenntnissen falsch, Perfektionisten neigen sogar etwas weniger als andere Menschen zum Aufschieben.
Prokrastinierer langweilen sich leicht.
In vielen Studien zeigt sich, dass langweilige oder unangenehme Aufgaben häufiger aufgeschoben werden. Menschen, die zum Aufschieben neigen, langweilen sich überdurchschnittlich schnell, lassen sich leicht ablenken, sind impulsiver und ungeduldiger.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe O 2008 by
Rowohlt - Berlin Verlag GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: Atelier Seidel, Verlagsgrafik, Teising
Gesamtherstellung: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in the EU
ISBN 978-3-8289-3012-4
Diese Folgen sind dem Prokrastinierer nicht unbekannt und in der Regel für ihn ebenso unbequem wie für die meisten anderen Menschen. Er weiß auch, dass man den Schaden vermutlich abwenden könnte, wenn man den Stapel Briefe im Flur einfach doch öffnen würde. Dennoch hält ihn eine Macht davon ab. Oft wird angenommen, es handle sich dabei um Angst. Das mag manchmal stimmen, scheint aber nicht die Regel zu sein. Der wahre Grund, etwas scheinbar Notwendiges nicht zu tun, liegt in der Natur des Menschen. Tief im Innern weiß er, dass Notwendigkeiten stets eine Einengung darstellen, die das Wohlbefinden einschränkt. Das Streben nach Glück bringt ein Streben nach weitestgehender Reduktion von Zwängen mit sich, also werden selbst vorgebliche Notwendigkeiten in Frage gestellt und praktisch überprüft. Das Ergebnis ist eine unbewusst ablaufende Abwägung: Soll man jetzt einen Moment der sicheren Unannehmlichkeit verbringen - oder später einen weniger wahrscheinlichen, dafür eventuell deutlich problematischeren Moment?
Mit der Frage, warum diese Abwägung so oft zugunsten des Aufschiebens ausgeht, befassen sich Forscher aus unterschiedlichen Fachbereichen erst seit etwa dreißig Jahren. Woran es liegt, dass dieses Thema bis dahin trotz seiner Allgegenwart nicht erforscht wurde, und warum die Wissenschaft die Prokrastination dann doch noch entdeckte, ist eine interessante Frage, die dringend von anderen Menschen als uns untersucht werden sollte. Es könnte damit zu tun haben, dass moralische Urteile allgemein nicht der Weg zu schnellen Forschungsfortschritten sind: Die Medizin- und Psychologiegeschichte ist nicht arm an Beispielen für Erkenntnisbehinderung durch die Idee, die Betroffenen müssten sich einfach nur mal ein bisschen zusammenreißen - Depressionen, Phobien, sexuelle Abweichungen, Magersucht, sogar Schizophrenie und Autismus galten noch vor nicht allzu langer Zeit als solche Fälle. Vielleicht musste Prokrastination erst als Phänomen erkannt werden, hinter dem mehr und Interessanteres steckt als nur schlechte Manieren. In den letzten dreißig Jahren sind jedenfalls um die 700 wissenschaftliche Veröffentlichungen zur Prokrastination entstanden. Insbesondere seit Ende der neunziger Jahre wurde endlich auch experimentell und mit Hilfe von Umfragen erforscht, wie sich der Aufschiebetrieb bei Studenten bemerkbar macht. Untersuchungen an halbwegs repräsentativen Bevölkerungsstichproben sind selten, weil mühsamer durchzuführen, aber auch hier liegen erste Ergebnisse vor.
Einigkeit herrscht darüber, dass zumindest in den bisher untersuchten westlichen Ländern große Arbeitsberge herumgeschoben werden: 75 bis 95 Prozent aller Studenten geben in Umfragen an, wenigstens hin und wieder zu prokrastinieren, fast 5o Prozent verschieben regelmäßig Aufgaben. Bei Studenten nehmen Prokrastinationstätigkeiten etwa ein Drittel der wachen Tageszeit ein. Nach dem Studium bessert sich die Lage, aber um die 20 bis 25 Prozent der Gesamtbevölkerung gelten immer noch als harte Prokrastinierer. Zumindest zwischen den USA, Großbritannien, Australien, Spanien, Peru und Venezuela lassen sich dabei keine Unterschiede feststellen, für andere Länder fehlen die Vergleichsdaten. Die häufig vorgebrachte These «Wenn man erst mal Kinder hat, kann man es sich gar nicht mehr leisten, irgendwas vor sich herzuschieben» wird von den vorhandenen Untersuchungen nicht gestützt; die An- oder Abwesenheit eigener Kinder spielt offenbar keine Rolle.
«Dass die Sache mit Kindern nicht besser wird, kann ich bestätigen. Kinder sind der beste Grund zum Aufschieben und sind als Rechtfertigung für Aufschieben oder Bleibenlassen auch sozial anerkannt: Was ich trotzdem hin kriege, wird meist umso freudiger begrüßt. Das nutzt sich nach und nach etwas ab und ist auch ungerecht, weil ich im Hinblick auf meine Berufstätigkeit Fremdbetreuung für die Kinder ganz gut organisiert habe. Ich kann jetzt noch 13 Jahre aufschieben, bis auch das letzte Kind aus dem Haus ist. » (Angela Leinen)
Frauen prokrastinieren genauso viel wie Männer, Verheiratete so viel wie Unverheiratete, Akademiker auch nicht mehr als andere Menschen. In Firmen wird mehr aufgeschoben als unter Selbständigen. Ob die Prokrastination insgesamt auf dem Vormarsch ist, lässt sich nicht feststellen, denn erstens fehlt es an historischen Daten, und zweitens wäre selbst bei besserer Datenlage kaum zu entscheiden, ob wirklich immer mehr prokrastiniert wird oder
ob sich die Einstellung zur Prokrastination geändert hat. Denkbar wäre zum Beispiel, dass es heute leichter fällt als früher, Aufschiebeprobleme einzugestehen.
Ein Hang zur Prokrastination kommt und geht nicht wie Schnupfen, sondern scheint ein recht stabiles Persönlichkeitsmerkmal zu sein. Testpersonen, die man zweimal denselben Prokrastinationstest ausfüllen lässt, erzielen ähnliche Ergebnisse, auch wenn zwischen den beiden Tests Jahre liegen. Aus einer im Jahr 2003 veröffentlichten Zwillingsstudie geht hervor, dass wohl eine genetische Komponente im Spiel ist, denn eineiige Zwillinge ähneln sich in ihren Aufschiebegewohnheiten deutlich stärker als zweieiige. Unter ungünstigen Bedingungen (nämlich vor allem während des Studiums) wird mehr prokrastiniert, aber im Laufe des Lebens ändert sich am Aufschiebeverhalten nicht viel. Im besten Fall entwickelt man gewisse Kompensationsfähigkeiten.
Über die Ursachen der Prokrastination haben sich die Forscher bisher nicht geeinigt. Bis auf weiteres kann sich daher jeder ein maßgeschneidertes Ursachenportfolio aus den verschiedenen Erklärungsmodellen zusammenstellen. Etwas Besseres als «Prokrastination ist Faulheit» finden wir überall! Aber erwarten Sie sich vom folgenden Überblick nicht zu viel. Die Ursachen für die eigenen Aufschiebegewohnheiten erkennen oder sie zu erkennen glauben nutzt so gut wie gar nichts.
Prokrastination ist eine schlechte Angewohnheit.
Für Behavioristen läuft bei der Prokrastination eine «operante Konditionierung» ab: Man verschleppt zwei-, dreimal eine Aufgabe, stellt fest, dass nichts Schlimmes passiert, und verwandelt sich auf der Stelle in einen unverbesserlichen Prokrastinierer. Dass dieser Mechanismus im Prinzip funktionieren könnte, liegt auf der Hand. Ob Prokrastinierer aber tatsächlich auf diese Art gemacht werden, ist nicht überprüft. Dass Prokrastination sich als stabiles Persönlichkeitsmerkmal zeigt, spricht eher gegen die Theorie.
Wer prokrastiniert, hat Angst vor dem Versagen. Oder vor dem Erfolg.
Wer prokrastiniert, so lautet die Theorie, der tut das, weil die anstehende Aufgabe Stress und Angst erzeugt. Der Psychologe und Studentenberater Henri Schouwenburg merkt allerdings an, dass Versagensangst gern als Ausrede für Prokrastination angeführt wird. Er vermutet, dass Studenten, die unter Versagensangst leiden, besonders häufig Hilfe bei Studentenberatern und Psychotherapeuten suchen und deshalb in der Fachliteratur überrepräsentiert sind. Auch die entgegengesetzte Hypothese, Prokrastinierer hätten «Angst vor dem Erfolg», beruht auf Einzelbeobachtungen von Therapeuten. Dagegen spricht, dass es deutlich weniger mühsam wäre, sich erst gar keine großen Aufgaben vorzunehmen, wenn man einfach nur dem Erfolg aus dem Weg gehen will. Einige Forscher argumentieren außerdem genau umgekehrt: Wer von ängstlicher Natur ist, wird anstehende Aufgaben besonders zügig erledigen, um nicht den Zorn von Behörden und Vorgesetzten auf sich zu ziehen.
Prokrastinierer sind dümmer als andere. Oder schlauer.
Studenten, die sehr viel prokrastinieren, sind manchen Theorien zufolge unbegabter als ihre Mitstudenten und drücken sich daher vor Aufgaben, mit denen sie überfordert wären. Anderen Theorien nach sind sie überdurchschnittlich begabt und haben herausgefunden, dass sie es
sich leisten können, erst in letzter Sekunde mit der Arbeit zu beginnen. Belegt ist bisher keine der beiden Varianten.
Wer prokrastiniert, ist depressiv.
Oder ein Optimist.
In manchen Studien zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Depressionen und Prokrastinationsverhalten . Diesen Studien lässt sich nicht entnehmen, ob das viele Prokrastinieren unglücklich macht oder ob die Depression dazu führt, dass man alles schleifenlässt. Der Wirtschaftspsychologe und Prokrastinationsforscher Piers Steel erklärt: «Der Depressions-Zusammenhang hat offenbar vor allem mit fehlender Energie zu tun, wodurch viele Aufgaben unangenehmer werden.» Andererseits kann übergroßer Optimismus dazu führen, dass man seine Fähigkeit überschätzt, langes Herumtrödeln kurz vor der Deadline wieder auszugleichen.
Prokrastinierer sind Perfektionisten.
Die überraschend beliebte Perfektionismuserklärung lautet in ihrer Kurzfassung: Weil wir den Gedanken nicht ertragen können, unvollkommene Arbeit abzuliefern, tun wir lieber gar nichts. Diese Theorie ist nach neueren Erkenntnissen falsch, Perfektionisten neigen sogar etwas weniger als andere Menschen zum Aufschieben.
Prokrastinierer langweilen sich leicht.
In vielen Studien zeigt sich, dass langweilige oder unangenehme Aufgaben häufiger aufgeschoben werden. Menschen, die zum Aufschieben neigen, langweilen sich überdurchschnittlich schnell, lassen sich leicht ablenken, sind impulsiver und ungeduldiger.
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Rowohlt - Berlin Verlag GmbH, Berlin
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Gesamtherstellung: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in the EU
ISBN 978-3-8289-3012-4
... weniger
Autoren-Porträt von Kathrin Passig, Sascha Lobo
Kathrin Passig, geboren 1970, ist Journalistin, Übersetzerin, Programmiererin und im Internet aufgewachsen. Sie betreibt gemeinsam mit Kollegen das Weblog »riesenmaschine.de« und die virtuelle Firma Zentrale Intelligenz Agentur. 2006 erhielt sie den Bachmannpreis und den Publikumspreis bei den dreißigsten Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
- 2009, 304 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828930123
- ISBN-13: 9783828930124
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