Die Tore der Welt / Kingsbridge Bd.2
Die Kathedrale wirft erneut ihren Schatten auf Liebe und Hass, Lügen und Intrigen und Stolz und Gier!
Wir schreiben das Jahr 1327: In England suchen vier junge Menschen den Weg zum Glück. Merthin ist der Nachfahre des...
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Die Kathedrale wirft erneut ihren Schatten auf Liebe und Hass, Lügen und Intrigen und Stolz und Gier!
Wir schreiben das Jahr 1327: In England suchen vier junge Menschen den Weg zum Glück. Merthin ist der Nachfahre des großen Baumeisters Jack und will in dessen Fußstapfen treten. Sein grausamer Bruder Ralph tut alles, um in den Ritterstand erhoben zu werden. Das Mädchen Caris sehnt sich einfach nur nach der Freiheit und Gwenda, die Tochter eines einfachen Tagelöhners, kämpft um ihre Liebe. Und schließlich droht noch von einer weiteren Seite Unheil: Der Mönch Godwyn will Prior der Abtei von Knightsbrigde werden - und dafür sind ihm alle Mittel recht...
Und da ist noch Godwyn, ein aufstrebender Mönch, der nur ein Ziel vor Augen hat. Er will Prior der Abtei von Kingsbridge werden. Um jeden Preis.
Die lang ersehnte Fortsetzung des Weltbestsellers Die Säulen der Erde
Auch als Hörbuch bei Lübbe Audio
Kapitel 1
Gwenda war acht Jahre alt, aber sie fürchtete sich nicht vor der Dunkelheit.
Darum hatte sie auch keine Angst, als sie die Augen öffnete und ringsum alles finster war. Gwenda wusste, wo sie sich befand: in der Priorei von Kingsbridge, in dem langen Steingebäude, das alle »Hospital« nannten. Sie lag auf dem Boden, auf einem Lager aus Stroh. Neben ihr lag ihre Mutter; an dem warmen, milchigen Geruch erkannte Gwenda, dass sie gerade den Säugling stillte, der noch keinen Namen hatte. Neben Ma lag Pa, und neben dem wiederum lag Gwendas älterer Bruder, der zwölfjährige Philemon. In Wahrheit hieß er Holger, doch im Alter von zehn Jahren hatte er beschlossen, Mönch zu werden, und überall verkündet, er habe seinen Namen in Philemon geändert, weil das frommer klänge. Tatsächlich redeten die meisten Leute ihn nun mit Philemon an; nur Ma und Pa sagten immer noch Holger zu ihm.
Das Hospital war überfüllt, und obwohl Gwenda die anderen Familien nicht sehen konnte, die auf dem Boden lagen, dicht an dicht wie Schafe in einem Pferch, so roch sie doch den ranzigen Gestank ihrer warmen Leiber. Wenn der Tag anbrach, war Allerheiligen, ein Sonntag dieses Jahr und daher ein ganz besonderer Feiertag. Umso schrecklicher war die Nacht davor: Samhain, eine gefährliche Zeit, in der böse Geister ungehindert um die Häuser zogen. Deshalb waren Hunderte von Menschen aus den umliegenden Dörfern nach Kingsbridge gekommen – so wie Gwendas Familie –, um Samhain auf dem heiligen Boden der Priorei zu verbringen und bei Sonnenaufgang am Hochamt zu Allerheiligen teilzunehmen.
Gwenda war wachsam, denn wie jeder vernünftige Mensch hatte sie Angst vor bösen Geistern, doch mehr noch als böse Geister fürchtete sie, was sie während des Hochamts würde tun müssen.
Und
Gwenda sah nichts, hörte jedoch umso mehr: Schnarchen und Husten und das Rascheln des Strohs, sobald jemand sich im Schlaf bewegte. Ein Kind schrie, als wäre es aus einem bösen Traum erwacht, verstummte jedoch nach ein paar raschen gemurmelten Koseworten.
Dann und wann sprach jemand – unverständliche Halbworte, wie man sie im Schlaf von sich gibt. Von irgendwo kamen die Geräusche zweier Menschen, die das taten, was auch Gwendas Eltern taten, worüber sie aber nie redeten – das, was Gwenda »Grunzen « nannte, denn sie kannte kein anderes Wort dafür.
Viel zu schnell für Gwenda wurde es hell, doch es war bloß ein Mönch, der am Ostende des langen Raums, hinter dem Altar, mit einer Kerze in der Hand aus einer Tür kam. Er stellte die Kerze auf den Altar, zündete einen Wachsstock daran an und ging damit herum, um die Wandlampen zu entzünden. Dabei flackerte sein langer Schatten jedes Mal die Wand hinauf, und der Wachsstock traf sich mit einem Schattenwachsstock am Docht der Lampe. Das zunehmende Licht fiel auf zusammengekauerte Gestalten auf dem Boden, in graubraune Mäntel gewickelt oder auf der Suche nach Wärme an ihre Nachbarn gedrängt. Kranke lagerten am Altar, weil sie dort am meisten von der Heiligkeit des Ortes profitieren konnten. Am gegenüber liegenden Ende führte eine Treppe in den oberen Stock hinauf, wo sich die Kammern für adelige Besucher befanden, in denen zurzeit der Graf von Shiring mit einem Teil seiner Familie wohnte.
Der Mönch beugte sich über Gwenda, um die Lampe über ihrem Kopf zu entzünden. Dabei schaute er ihr in die Augen und lächelte. Gwenda musterte sein Gesicht im flackernden Schein der Flamme und erkannte ihn als Bruder Godwyn. Er war jung und gut aussehend, und am vergangenen Abend hatte er freundlich mit Philemon gesprochen.
Neben Gwenda war eine andere Familie aus ihrem Dorf: Samuel, ein wohlhabender Bauer mit großem Landbesitz, sowie seine Frau und seine beiden Söhne. Der jüngere, Wulfric, war ein sechsjähriger Lausebengel, der es für das Lustigste auf der Welt hielt, mit Eicheln nach Mädchen zu werfen und dann schnell wegzurennen. Gwendas Familie war arm. Ihr Vater besaß kein Land; er verdingte sich bei jedem als Arbeiter, der ihn bezahlen wollte. Im Sommer gab es immer Arbeit, doch nach der Ernte, wenn die kalte Jahreszeit begann, litt die Familie oft Hunger.
Deshalb musste Gwenda stehlen.
Sie stellte sich vor, wie es wäre, geschnappt zu werden: eine grobe Männerhand, die sie am Arm packte und unbarmherzig festhielt, während sie sich hilflos wand; eine tiefe, grausame Stimme, die sagte:
»Sieh an, eine kleine Diebin«; dann die Pein und die Demütigung der Auspeitschung und schließlich, am allerschlimmsten, der Schmerz und das Entsetzen, wenn man ihr die Hand abhackte.
Gwendas Vater hatte diese Strafe bereits erdulden müssen. Sein linker Arm endete in einem hässlichen, verschrumpelten Stumpf.
Zwar kam er mit einer Hand recht gut zurecht; er konnte mit der Schaufel arbeiten, ein Pferd satteln und sogar ein Netz knüpfen, um Vögel zu fangen. Trotzdem wurde er im Frühling stets als letzter Tagelöhner eingestellt und im Herbst als erster wieder entlassen.
Und das Dorf verlassen und sich anderswo Arbeit suchen, das konnte er nicht, denn die fehlende Hand brandmarkte ihn als Dieb, sodass ihn niemand in Lohn und Brot nehmen würde. Wenn er unterwegs war, band er sich einen ausgestopften Handschuh an den Stumpf, damit ihm nicht gleich jeder Fremde aus dem Weg ging; doch die Menschen ließen sich nie lange von diesem Schwindel täuschen.
Gwenda hatte die Bestrafung ihres Vaters nicht mit eigenen Augen gesehen – da war sie noch nicht auf der Welt gewesen –, aber sie hatte es sich oft vorgestellt, und nun konnte sie nicht anders, als sich immer wieder auszumalen, wie ihr das gleiche Schicksal widerfuhr. Vor ihrem geistigen Auge sah sie bereits die Axt auf ihr Handgelenk niedersausen, sah, wie sie Fleisch und Knochen durchdrang und ihr die Hand vom Arm trennte, sodass sie nie wieder angenäht werden konnte. Sie musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut zu schreien.
Die Leute standen auf, streckten sich, gähnten und rieben sich die Gesichter. Auch Gwenda erhob sich und schüttelte ihre Kleider aus. Alles, was sie am Leibe trug, hatte zuvor ihrem älteren Bruder gehört: das wollene Hemd, das ihr bis zu den Knien reichte, und der Kittel, der an der Hüfte mit einem Hanfseil zusammengebunden war. Ihre Schuhe hatten einst Schnürsenkel gehabt, doch die Löcher waren gerissen, die Senkel verschwunden, und so band Gwenda sich die Schuhe mit geflochtenem Stroh fest. Als sie schließlich ihr Haar unter eine Kappe aus Eichhörnchenschwänzen geschoben hatte, war sie fertig angezogen.
Gwenda schaute zu ihrem Vater; dieser deutete unauffällig zu einer Familie auf der anderen Seite, einem Paar mittleren Alters mit zwei Söhnen, nur wenig älter als Gwenda. Der Mann war klein und schmächtig, mit lockigem rotem Bart. Er schnallte sich ein Schwert um, was erkennen ließ, dass er Soldat oder Ritter war, denn gewöhnlichen Leuten war es nicht gestattet, Schwerter zu tragen. Sein Weib war eine dünne Frau, schroff und herrisch und mit mürrischem Gesicht.
Während Gwenda sie musterte, nickte Bruder Godwyn respektvoll und sagte: »Guten Morgen, Sir Gerald, Lady Maud.«
Nun sah Gwenda auch, was die Aufmerksamkeit ihres Vaters erregt hatte. Sir Gerald trug am Gürtel eine Börse, die an einem Lederriemen hing. Die Börse war prall gefüllt. Sie sah aus, als enthielte sie mehrere Hundert kleine, dünne Silberpennys, Halfpennys und Farthings, die Währung in England. Das war so viel Geld, wie Gwendas Pa in einem Jahr verdiente – falls er denn Arbeit fand. In jedem Fall wäre das mehr als genug, um die Familie bis zur Aussaat im Frühling zu ernähren. Vielleicht enthielt die Börse sogar Goldmünzen aus fremden Ländern, Florine aus Florenz zum Beispiel oder Dukaten aus Venedig.
Gwenda trug ein kleines Messer in einer Holzscheide an einer Kordel um ihren Hals. Die scharfe Klinge würde das Lederband rasch durchtrennen, sodass die Börse in ihre kleine Hand fallen konnte … es sei denn, Sir Gerald spürte etwas und packte sie, bevor sie die Beute in Sicherheit bringen konnte.
Godwyn hob die Stimme, um sich über das Gemurmel im Hospital hinweg verständlich zu machen. »Um der Liebe Christi willen, der uns Mildtätigkeit lehrt, wird nach dem Hochamt an Allerheiligen ein Frühstück ausgegeben«, verkündete er. »Bis dahin gibt es klares Trinkwasser aus dem Brunnen im Hof. Und vergesst nicht, die Latrinen draußen zu benutzen. Hier drinnen wird nicht gepisst!«
Die Mönche und Nonnen waren sehr streng, was Reinlichkeit betraf. Vergangene Nacht hatte Bruder Godwyn einen sechsjährigen Jungen dabei erwischt, wie er in eine Ecke gepinkelt hatte, und daraufhin die gesamte Familie vor die Tür gesetzt. Weil sie keinen Penny gehabt hatten, um in einem Gasthaus unterzukommen, hatten sie die kalte Oktobernacht zitternd auf dem Steinboden im nördlichen Vorbau der Kathedrale verbringen müssen. Auch Tiere waren verboten. Hop, Gwendas dreibeiniger Hund, war ebenfalls vor die Tür gesetzt worden. Sie fragte sich, wo er wohl genächtigt hatte.
Als alle Lampen entzündet waren, öffnete Godwyn die große Holztür nach draußen. Die Nachtluft brannte in Gwendas Ohren und auf ihrer Nasenspitze. Die Gäste, die über Nacht geblieben waren, zogen die Mäntel um die Schultern und schlurften hinaus. Als Sir Gerald und seine Familie sich in Bewegung setzten, reihten Ma und Pa sich hinter ihnen ein, und Gwenda und Philemon folgten ihnen auf dem Fuß.
Bis jetzt hatte zumeist Philemon das Stehlen übernommen, doch gestern war er auf dem Markt von Kingsbridge beinahe gefasst worden. Er hatte einen kleinen Krug mit kostbarem Öl vom Stand eines italienischen Händlers stibitzt, das gute Stück jedoch zu Boden fallen lassen, sodass jeder ihn gesehen hatte. Zum Glück war der Krug nicht zerbrochen, doch Philemon hatte so tun müssen, als hätte er ihn aus Versehen von dem Stand heruntergestoßen.
Und noch etwas setzte Philemons Diebeskarriere ein Ende: Bis vor Kurzem war er klein und unscheinbar gewesen, wie Gwenda, doch im letzten Jahr war er mehrere Zoll gewachsen; seine Stimme war tief geworden und seine Bewegungen unbeholfen, als könne er sich nicht an seinen neuen, größeren Körper gewöhnen. Vergangenen Abend, nach dem Vorfall mit dem Ölkrug, hatte Papa verkündet, Philemon sei nun zu groß für ernsthafte Diebereien; daher fiele diese Aufgabe fortan Gwenda zu.
Das war auch der Grund, weshalb sie fast die ganze Nacht wach gelegen hatte.
Nun gingen sie durch die Tür und sahen zwei Reihen zitternder Nonnen, die Fackeln in die Höhe hielten, um den Weg vom Hospital zum großen Westportal der Kathedrale von Kingsbridge zu erleuchten. Schatten flackerten am Rande des Fackelscheins. Es sah aus, als tollten die Geister und Kobolde der Nacht dicht außerhalb des Sichtfeldes umher und nur die Frömmigkeit der Nonnen hielte sie vom Näherkommen ab.
Gwenda rechnete damit, dass Hop draußen auf sie wartete, doch der Hund war nirgends zu sehen. Vielleicht hatte er ja einen warmen Schlafplatz gefunden. Während sie zur Kirche gingen, achtete Pa sorgsam darauf, dass sie stets ganz in der Nähe von Sir Gerald blieben. Gwenda quiekte, als jemand von hinten schmerzhaft an ihrem Haar zerrte. Wenn das nicht so ein vermaledeiter Kobold gewesen war! Doch als sie sich umdrehte, sah sie Wulfric, den sechsjährigen Plagegeist aus der Nachbarschaft. Lachend sprang er aus ihrer Reichweite – geradewegs in die Arme seines Vaters. Der knurrte: »Benimm dich!«, und gab ihm eine Kopfnuss, worauf Wulfric in Tränen ausbrach.
Die Kathedrale war ein gestaltloser Koloss, der düster und gewaltig über der dicht gedrängten Menschenmenge aufragte und von dem sich nur die unteren Teile deutlich erkennen ließen: Bögen und Mittelpfosten wurden durch das unstete Fackellicht in Orange und Rot getaucht. Die Prozession wurde langsamer, als sie sich dem Eingang des Gotteshauses näherte, und Gwenda konnte eine Gruppe von Stadtbewohnern ausmachen, die aus der anderen Richtung kam; es waren Hunderte, vielleicht sogar Tausende, schätzte Gwenda … obwohl sie nicht sicher war, denn sie konnte gerade mal bis zehn zählen.
Die Menschenmenge schob sich durch die Vorhalle. Das unstete Fackellicht fiel auf die Statuen an den Gewänden und ließ sie einen zuckenden Tanz aufführen. In den unteren Zonen gab es finstere Dämonen und schreckliche Untiere. Gwenda sah Drachen und Greife, einen Bären mit Menschenkopf und sogar einen Hund mit zwei Leibern, jedoch nur einer Schnauze. Sie riss die Augen auf und schluckte, so schrecklich war das alles anzuschauen. Da gab es Bestien, die mit Menschen kämpften; sogar einen Teufel, der einem Mann eine Schlinge um den Hals legte; daneben waren ein fuchsartiges Untier, das eine Frau an den Haaren zog, und ein Adler, der mit den Klauen einen nackten Mann aufspießte. Über diesen gottlosen Kreaturen standen die Heiligen unter schützenden Baldachinen. Darüber wiederum thronten die Apostel. Dann, in dem Bogenfeld gleich über der Tür, stand der heilige Petrus mit seinem Schlüssel, und der heilige Paulus mit einer Schriftrolle in der Hand schaute betend zu Jesus hinauf.
Gwenda wusste, dass Jesus die Menschen lehrte, nicht zu sündigen, und dass Sünder von Dämonen gepeinigt wurden, doch Menschen machten ihr mehr Angst als Dämonen. Wenn es ihr nicht gelang, Sir Geralds Börse zu stehlen, würde Pa sie verprügeln. Und schlimmer noch: Dann hätte ihre Familie nichts zu essen außer Suppe mit Eicheln. Gwenda und Philemon müssten wochenlang hungern. Mas Brüste würden austrocknen, und das neue Baby würde genauso sterben wie die beiden davor. Pa würde tagelang verschwinden, und wenn er zurückkam, hätte er nicht mehr dabei als einen dürren Reiher oder ein paar Eichhörnchen. Hungrig zu sein war schlimmer, als verprügelt zu werden. Es tat länger weh.
Übersetzung: Rainer Schumacher und Dietmar Schmidt
Copyright © 2008 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG,
Bergisch Gladbach
Ken Follett, der Autor von mehr als einem Dutzend Bestsellern, wird oft als der „geborene” Erzähler gefeiert. Betrachtet man jedoch seine Jugend, so ist es zutreffender zu sagen, er wurde zum Erzähler „erzogen”.
Ken wurde am 5. Juni 1949 in Cardiff, Wales, als erstes von drei Kindern des Ehepaares Martin und Veenie Follett geboren. Im Großbritannien der Nachkriegsjahre waren nicht nur Spielsachen Mangelware, sondern die zutiefst religiösen Folletts erlaubten ihren Kindern weder Fernsehen, noch Kinobesuche und verboten ihnen sogar, Radio zu hören. So blieben dem jungen Ken zur Unterhaltung nur die unzähligen Geschichten, die ihm seine Mutter erzählte – und die Geschichten und Abenteuer, die er sich in seiner eigenen Vorstellungswelt schuf. Schon früh lernte er lesen; Bücher bereiteten ihm viel Freude und die öffentliche Bibliothek wurde zu seinem Lieblingsort.
„Ich hatte nicht viele eigene Bücher und ich war immer dankbar für die Existenz der öffentlichen Bücherei. Ohne frei zugängliche Bücher wäre ich nie zum eifrigen Leser geworden, und wenn man kein Leser ist, ist man auch kein Schriftsteller.“
„Es besteht eine reale Verbindung zwischen der Philosophie und der Belletristik. In der Philosophie beschäftigt man sich mit Fragen, wie zum Beispiel: ‚Wir sitzen an diesem Tisch, aber ist der Tisch auch wirklich?’ Eine blöde Frage, aber beim Studium der Philosophie muss man solche Dinge ernst nehmen und eine über das Gewöhnliche hinausgehende Vorstellungsgabe besitzen. Und dies braucht man auch beim Schreiben von Romanen.”
In einem Hörsaal danach zu fragen, was wirklich ist, war eine Sache für Ken – etwas anderes, Ehemann und Vater zu werden. Als seine Freundin Mary schwanger wurde, heiratete das junge Paar am Ende von Kens erstem Semesters an der Universität. Im Juli 1968 kam ihr Sohn Emanuele zur Welt.
„Das ist nicht das, was man plant, wenn man 18 Jahre alt ist, aber sobald es einmal geschehen war, wurde die Sache recht spannend. Ich fühlte mich doppelt bereichert: Ich verbrachte eine herrliche Zeit an der Universität und zugleich war es auch äußerst aufregend, ein Baby zu haben und sich darum zu kümmern. Wir liebten ihn und er war auch reizend. Er ist es noch immer.”
Es war auch an der Universität, in der hitzigen Atmosphäre der späten Sechzigerjahre, während der Vietnam-Krieg noch geführt wurde, als Ken begann, seine Leidenschaft für Politik zu entdecken.
„Es wurde die ganze Zeit über Politik diskutiert. Es hatte den Anschein, als ob Studentenproteste zu einem weltweiten Phänomen geworden seien. Obwohl wir jung und voller jugendlicher Arroganz waren, so glaube ich trotzdem, dass wir im Großen und Ganzen richtig lagen, wenn man die Kernfragen, für die wir kämpften, betrachtet.”
Im September 1970, gleich nach der Universität, besuchte er einen dreimonatigen Journalistenkurs – der ihn auf die Laufbahn des Schriftstellers brachte. Sein erster Job war der des Reporter für die Zeitung South Wales Echo in Cardiff. Nach der Geburt seiner Tochter Marie-Claire 1973 arbeitete er dann als Kolumnist für die Evening News in London.
Als er es nicht zum „forschen Enthüllungs-Journalisten” brachte, wie er gerne einer gewesen wäre, begann Ken, an den Abenden und Wochenenden Romane zu schreiben. 1974 verließ er die Zeitungswelt und nahm bei einem kleinen Londoner Verlag, Everest Books, eine Stellung an.
Seine Feierabend-Schriftstellerei führte zwar zur Veröffentlichung einiger Bücher, aber keines verkaufte sich gut. Schon in dieser Zeit wurde er vom amerikanischen Literaturagenten Al Zuckerman ermutigt und beraten. Dann kam die Zeit, als sie beide wussten, dass Ken einen potentiellen Chartbreaker verfasst hatte, und Zuckerman sagte: „Dieser Roman wird große Wellen schlagen - und du wirst Steuerprobleme bekommen.”
Es war der Roman Die Nadel (Eye of the Needle), der 1978 veröffentlicht wurde und Ken zum Bestseller-Autor machte. Dieses Buch gewann den Edgar Preis und verkaufte sich mehr als 10 Millionen Mal. Der Erfolg dieses Buches ermöglichte es Ken, seinen bisherigen Beruf aufzugeben, sich eine Villa im Süden Frankreichs zu mieten und sich völlig seinem nächsten Roman Dreifach (Triple) zu widmen.
„Ich machte mir große Sorgen, dass ich es vielleicht nicht nochmals schaffen würde. Das passiert vielen Schriftstellern. Sie schreiben ein hervorragendes Buch und das nächste ist nicht mehr ganz so gut und verkauft sich auch nicht mehr so oft. Auch das dritte Buch ist dann nicht sonderlich gut, sodass sie niemals mehr ein viertes schreiben. Ich war mir voll bewusst, dass mir das auch passieren könnte. Deswegen arbeitete ich sehr hart an dem Roman Triple, um ihn ebenso spannend wie Eye of the Needle zu machen.”
Die Folletts gingen drei Jahre später nach England zurück, denn Ken vermisste die Filme und das Theater sowie die Anregungen, die London zu bieten hatte. Auch wollte er wieder von seinem Wahlrecht Gebrauch machen können. Sie ließen sich in Surrey nieder, wo Ken sich bei der Beschaffung von Geldern und der Wahlkampagne der Labour Party engagierte. Und da geschah es auch, dass er Barbara Broer, die Sekretärin des lokalen Parteibüros, traf, sich in sie verliebte und sie 1985 nach seiner Scheidung heiratete.
Das Ehepaar lebt jetzt in Hertfordshire in einem alten Pfarrhaus, das auch Kens Kinder aus erster Ehe sowie Barbaras Sohn und ihren beiden Töchter sowie deren Partnern und Kindern ein Zuhause bietet.
Barbara ist Parlamentsabgeordnete von Stevenage – ihren Sitz hat sie 1997 erstmals errungen und wurde 2001 und 2005 wiedergewählt. Heute amtiert sie als Gleichstellungsministerin in der Regierung Gordon Browns. Ken unterstützt sie beim Wahlkampf und anderen Aktivitäten der Partei. Obwohl Ken sich politisch engagiert, lässt er sich durch die Politik niemals vom Schreiben abhalten. Er beginnt nach dem Frühstück zu schreiben und arbeitet bis etwa sechzehn Uhr: „Ich bin ein Morgenmensch. Sobald ich aufgestanden bin, möchte ich an den Schreibtisch. Am Abend entspanne ich mich gern, möchte essen und trinken und Dinge tun, die mich nur wenig belasten.“
In den letzten 25 Jahren hat Ken 19 Romane verfasst: die ersten fünf Bestseller waren Spionageromane: Die Nadel (1978), Dreifach (1979), Der Schlüssel zu Rebekka (The Key to Rebecca – 1980), Der Mann aus St. Petersburg (The Man from St. Petersburg – 1982) und Die Löwen (Lie Down with Lions – 1986). Auf den Schwingen des Adlers (On Wings of Eagles – 1983) ist die wahre Geschichte von zwei Angestellten der Firma Ross Perots, die während der Revolution in 1979 aus dem Iran gerettet wurden.
Und dann überraschte er seine Leser, indem er sein Metier radikal änderte, mit dem Buch Die Säulen der Erde (The Pillars of the Earth – 1989). Es ist ein Roman über den Bau einer fiktiven Kathedrale im Mittelalter. Dieses Buch erhielt begeisterte Kritiken und hielt sich 18 Wochen lang auf der Bestsellerliste der New York Times. Es stand auch an der Spitze der Bestsellerlisten von Kanada, Großbritannien und Italien. In Deutschland führte es sechs Jahre lang die deutschen Bestsellerlisten an.
Die folgenden drei Romane, Nacht über den Wassern (Night Over Water – 1991), Die Pfeiler der Macht (A Dangerous Fortune – 1993), und Die Brücken der Freiheit (A Place Called Freedom – 1995) waren mehr Unterhaltungsromane als Thriller. Mit dem Roman Der dritte Zwilling (The Third Twin – 1996) kehrte er jedoch wieder zum Thriller-Genre zurück. 1997 stand dieser Roman in der jährlichen Übersicht der internationalen Belletristik-Bestseller in Publishing Trends gleich hinter John Grisham’s Roman The Partner an zweiter Stelle.
Sein nächstes Werk, Die Kinder von Eden (The Hammer of Eden – 1998) war wieder ein fiktiver Unterhaltungsroman, gefolgt von Das zweite Gedächtnis (Code to Zero – 2000, Dt.), einem Thriller, der zur Zeit des kalten Krieges spielt.
Für die beiden anschließenden Romane wählte Ken den zweiten Weltkrieg als Hintergrund: Die Leopardin (Jackdaws – 2001), die Geschichte einer Gruppe von Frauen, die am Fallschirm über dem besetzten Frankreich abspringen, um eine strategisch wichtige Telefonzentrale zu zerstören (der Roman gewann im Jahre 2003 den begehrten Corine Preis) und Mitternachtsfalken (Hornet Flight -2002), in dem es um ein junges dänisches Paar geht, das tollkühn versucht, mit einem restaurierten Doppeldecker, einer Hornet Moth aus dem besetzten Dänemark nach England zu flüchten. Mit im Gepäck haben sie wichtige Informationen über ein neues deutsches Radarsystem.
Eisfieber (Whiteout - 2005) ist ein Thriller, der in der Gegenwart spielt und vom Diebstahl eines tödlichen Virus aus einem Forschungslabor handelt. Schauplatz ist das schottische Hochland während einer stürmischen, verschneiten Weihnacht voller Eifersucht, Misstrauen, sexueller Anziehung, Rivalitäten, arglistigen Verrätern und unvermuteten Helden.
Sein neuester Roman, Die Tore der Welt (World Without End 2007), ist die lang erwartete Fortsetzung zum immens beliebten Die Säulen der Erde. Im neuen Buch kehrt er zweihundert Jahre später nach Kingsbridge zurück und berichtet von den Nachkommen der Figuren in Die Säulen der Erde. Breit angelegt und von gewaltigem Umfang, konzentriert es sich auf eine Handvoll Menschen, deren Leben vom Schwarzen Tod verheert wird, der Pestepidemie, die in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts über Europa hinweg zog.
Eye of the Needle (Die Nadel) wurde mit Donald Sutherland in der Hauptrolle verfilmt. Vier weitere Follett-Romane dienten als Vorlage für Mini-Serien für das Fernsehen: The Key to Rebecca (Der Schlüssel zu Rebekka), Lie Down with the Lions (Die Löwen), On Wings of Eagles (Auf den Schwingen des Adlers) und The Third Twin (Der dritte Zwilling). Die TV-Rechte des letzteren wurden für die Rekordsumme von $ 1.400.000 an die CBS verkauft.
Die großen Freuden in Kens Leben, abgesehen von den ihm nahestehenden Menschen, sind gutes Essen und Wein, Dramen aus der Zeit Shakespeares und, sogar noch wichtiger, Musik.
In seinem Leben hat Musik immer eine bedeutende Rolle gespielt – beide Eltern spielen Klavier. In der Band mit Namen „Damn right I’ve got the Blues” spielt Ken Bassgitarre und hat mit ihr ein Album namens „Don’t Quit Your Day Job” („Gib deinen eigentlichen Beruf nicht auf”) aufgenommen – ein realistischer Titel für einen Mann, der keine übertriebenen Ansprüche in Bezug auf sein musikalisches Talent erhebt.
„Ich konnte nie gut Gitarre spielen. Ich glaube, es ist ziemlich wichtig, dass man etwas hat, das man schlecht kann, insbesondere wenn man eine äußerst ehrgeizige Person ist. In einer Band zu spielen ist sehr emotional, die Schriftstellerei reine Gehirnarbeit. Meine Romane sind wie so viele andere Romane atmosphärisch sehr dicht, sodass ich ständig über die Struktur der Erzählung nachdenke. Das Spielen in einer Band ist dagegen sehr gefühlsorientiert. Es gibt da eine direkte Verbindung von den Ohren zu den Fingerspitzen, die nicht durch die rationale Gehirnregion geht."
Obwohl Ken ein rühriges Leben führt, in dessen Mittelpunkt Arbeit, Familie und Politik stehen, findet er Zeit, sich in seiner Gemeinde zu engagieren. Er ist Präsident der Dyslexia Action, einer Organisation zur Legasthenikerhilfe, gehört dem Vorstand des National Literacy Trust an, einer Organisation zur Bekämpfung des Analphabetismus, ist Fellow der Royal Society of Arts, Mitglied im Aufsichtsgremium der Grundschule von Roebuck, Schirmherr von Stevenage Home-Start (einer Organisation zur Unterstützung junger Familien in der Krise) und Vorsitzender der Wohlfahrtsstiftung von Stevenage. Er besitzt die Ehrendoktorwürde in Literatur der Universität von Glamorgan in seiner walisischen Heimat.
- Autor: Ken Follett
- 2014, 10. Aufl. 2010, 1310 Seiten, mit Abbildungen, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Rainer Schumacher, Dietmar Schmidt
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 340416380X
- ISBN-13: 9783404163809
- Erscheinungsdatum: 11.01.2010
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