Die Tochter des Webers
Holland im Jahre 1580: Eine junge Frau kämpft um ein selbstbestimmtes Leben und um das große Glück.
Ein wunderbarer Schmöker für alle Historyfans.
Anna ist schockiert: Ihr Vater will sie mit einem alten,...
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Holland im Jahre 1580: Eine junge Frau kämpft um ein selbstbestimmtes Leben und um das große Glück.
Ein wunderbarer Schmöker für alle Historyfans.
Anna ist schockiert: Ihr Vater will sie mit einem alten, aber reichen Witwer verheiraten. Dabei ist Anna doch in Jan, einen mittellosen Gärtner, verliebt. Den beiden bleibt nur die Flucht. Doch auf dem Weg nach England stirbt Jan an der Pest und Anna muss sich alleine durchschlagen. Sie leidet unter ihrer Trauer, dem Hunger und der harten Arbeit. Aber sie lässt sich nicht entmutigen. Und als sie den Engländer Paul kennen lernt, scheint es, als würde das Glück zu ihr zurückkehren. Bis Anna als Hexe denunziert wird. Kann Paul sie vor dem Scheiterhaufen bewahren?
Die Tochter des Webers von Elizabeth Jeffrey
1. KAPITEL
Anna schlich über den Flur zu dem Raum gleich neben dem Hauseingang. Dort spähte sie durch einen Spalt in der Tür. Zwei Männer saßen drinnen am Tisch. Dass das Treffen in der besten Stube des Hauses stattfand, zeigte ihr, wie wichtig es sein musste.
Einer der beiden war ihr Vater, ein hagerer, schwarz gekleideter Mann, der im Stehen andere Männer gewöhnlich überragte. Ins Gespräch vertieft, strich er sich gelegentlich über den ordentlich gestutzten Bart, der grau schimmerte. Wachsam und ernst blickten Cornelis Fromenteels Augen unter den buschigen Brauen. Er betrachtete das Leben genau wie die Religion als ernste Angelegenheit. Anna erinnerte sich kaum, ihren Vater je lächeln gesehen zu haben. Gelacht hatte er noch nie.
Der andere Mann war älter, mit einem geröteten Gesicht und einer Nase, die von seiner Vorliebe für Rotwein kündete. Tatsächlich wurde der Pokal, der vor ihm stand, regelmäßig von seinem Gastgeber aus einem irdenen Krug nachgefüllt. Doch obwohl Cornelis Fromenteel die Pflichten der Gastfreundschaft ernst nahm, trank er selbst kaum etwas. Anna wusste, dass ihr Vater es nicht schätzte, die Kontrolle über seinen eisernen Willen zu verlieren.
Da hielt es Anna nicht länger an ihrem Beobachtungsplatz. Sie raffte die Röcke und lief den Flur entlang, ohne dass ihre weichen Schuhe auf den hübschen Fliesen ein Geräusch machten. Hinaus, nur hinaus in den ersten Sonnenschein des Vorfrühlingstages! Draußen legte der Gärtner gerade letzte Hand an die neuen, kunstvoll verschlungenen Knotenornamente aus Kräutern und Buchsbaum. Doch Anna schenkte ihm keine Beachtung, sondern eilte zu der Hecke, die einen alten, heruntergekommenen Weberschuppen vor den Augen der Hausbewohner verbarg. Hastig schlüpfte Anna in ihr Versteck.
Dieser Schuppen war ihr Zufluchtsort. Niemand sonst kam hierher. Obwohl Annas Vater mitunter davon sprach, den Schuppen abzureißen und an seiner Stelle Gemüse anzubauen, sobald der Knotengarten vollendet war. Und sobald er es sich leisten konnte.
Genau das war der springende Punkt: Cornelis Fromenteel lebte über seine Verhältnisse. Um die Stellung in der Gesellschaft einzunehmen, die er für angemessen hielt, benötigte man ein Vermögen. Aber genau dieses Vermögen nannte er nicht länger sein Eigen. Das große Haus mit den Erkerfenstern, das etwas vor der Stadt lag, war viel zu groß für Cornelis, seine Frau Judith, ihr einziges Kind Anna und die Magd Bettris. Doch es war ein gutes Haus in einer standesgemäßen Lage, und Cornelis wollte es keinesfalls für ein bescheideneres Anwesen aufgeben.
Leider entwickelten sich in diesem Jahr des Herrn 1580 die Geschäfte für den flämischen Tuchhändler nicht vorteilhaft. Billigere, aus England eingeführte Stoffe ließen die Preise sinken. Einen Großteil davon fertigten Weber an, die während der Zeit der größten Glaubensverfolgungen vor
zwanzig Jahren aus Flandern auf die Insel jenseits des Kanals
geflohen waren.
Cornelis, damals ein junger Mann, hatte keine Notwendigkeit gesehen, sein Vaterland zu verlassen. Bei aller Bedeutung seines Glaubens erlaubte er religiösen Angelegenheiten
doch nie, den Geschäften im Weg zu stehen. Er hatte die Entscheidung, in Flandern zu bleiben, niemals bereut.
Nun jedoch hatten sich seine Geschicke zum Schlechteren gewendet: Vor Kurzem erst hatte er, um seinen Geschäften Aufwind zu verschaffen, Anteile an einem Schiff gekauft, das seine Tuche nach Portugal bringen sollte. Doch die Karavelle war im Golf von Biskaya gesunken und hatte nicht nur die gesamte Besatzung, sondern auch den Großteil seines Vermögens mit sich auf den Meeresgrund genommen.
In seiner Bedrängnis kam dem Tuchhändler der einzige Vermögenswert in den Sinn, den er noch besaß: seine achtzehnjährige Tochter. Selbstverständlich hätte er den Vorwurf weit von sich gewiesen, er verkaufe sie wie einen Ballen Stoff. Es ging ihm lediglich darum, Anna gut zu verheiraten - das redete er sich jedenfalls ein.
In dieser Lage traf es sich günstig, dass der reiche Otto de Hane gerade nach einer jungen Ehefrau Ausschau hielt. Anna befand sich im heiratsfähigen Alter. Was hätte also passender sein können, als dass Cornelis Fromenteel sie mit dem Freund - wenn man ihn denn nach so kurzer Bekanntschaft bereits so nennen mochte - und künftigen Geschäftspartner vermählte?
An diesem Nachmittag wurden die letzten Einzelheiten des Ehevertrags besprochen. Die Stube, in der die beiden Männer saßen, verriet nichts über die bedrängten Verhältnisse des Gastgebers. Auf den Tischen aus solidem Eichenholz lagen gemusterte Läufer. Die Bodenfliesen waren sauber geschrubbt, und mit Bibelszenen bemalte Kacheln schmückten die Fußleisten. Mit Bedacht hatte Cornelis die der Tür gegenüberliegende Wand mit goldverzierter Ledertapete bespannen lassen, damit die Eintretenden dieses Zeichen seines Wohlstands sofort sahen. An den anderen drei Wänden hingen Tapisserien. Die silbernen Wand- und Tischleuchter hatte Bettris poliert, bis sie glänzten, und der Wein funkelte rubinrot in den Pokalen. Zufrieden schenkte Cornelis seinem Gast nach. Die Dinge entwickelten sich ganz nach seinen Vorstellungen.
Im Schuppen lehnte sich Anna gegen den alten, verstaubten Webstuhl, die Augen fest geschlossen. Ihr Busen hob und senkte sich - nicht nur, weil sie wegen ihrer hastigen Flucht außer Atem war. In ihrem Innern tobte ein Gefühlsaufruhr. Nach wenigen Augenblicken öffnete sich die Tür mit einem leisen Klicken. Jan trat ein, der Gärtnersbursche, der Mijnheer Fromenteels Garten neu anlegen half. Hier im Weberschuppen trafen Anna und er sich, wann immer er auf dem Grundstück war.
Jan nahm Anna in die Arme, und sie lehnte sich gegen ihn. Tief sog sie den vertrauten Geruch ein: eine Mischung aus Erde, den würzigen Kräutern, die er gerade gepflanzt hatte, und seinem eigenen, sehr männlichen Duft. Doch als Jan mit dem Finger ihr Kinn anhob, um sie zu küssen, fing sie an zu zittern, und Tränen liefen über ihre Wangen.
„Was hast du, Liebste?", fragte er besorgt. „Was ist geschehen?"
„Oh Jan, was soll ich nur tun? Genau das, wovor ich mich am meisten gefürchtet habe, ist eingetreten: Mein Vater handelt gerade den Ehevertrag mit Mijnheer Otto de Hane aus, dem widerwärtigen, reichen Händler, der in dem großen Haus gleich am Marktplatz wohnt."
„Wie bitte?" Entsetzt trat Jan einen Schritt zurück und starrte sie an.
Anna nickte, während sie einen Schluchzer unterdrückte. „Doch, es ist wahr. Genau in diesem Augenblick schenkt mein Vater ihm von seinem besten Wein ein, damit dieser grässliche Kerl sich möglichst großzügig zeigt. Vorhin erst musste ich einen frischen Krug hineinbringen, damit der alte Lüstling sich die Ware noch einmal ausgiebig ansehen konnte. Am liebsten hätte er sie wohl auch schon getestet, aber ich habe mich schnell aus dem Staub gemacht. Auch so hatte er die Hand schon halb unter meinem Rock, bevor ich entkommen konnte." Die Erinnerung ließ sie schaudern, und sie schluchzte verzweifelt auf. „Was soll ich nur tun, Jan? Ich kann diesen alten Mann nicht heiraten - ich kann einfach nicht!"
„Natürlich nicht. Wir heiraten, genau wie wir es abgemacht haben", erwiderte Jan fest und schloss sie erneut in die Arme. „Du weißt, dass ich jeden Groschen spare, den ich entbehren kann. Bald kann ich deinem Vater beweisen, dass ich dir ein standesgemäßes Leben ermöglichen kann ..." Er hielt Anna leicht von sich ab. „Du willst mich doch heiraten, nicht wahr, Anna?"
„Ich wünsche es mir mehr als alles andere auf der Welt, das weißt du. Aber es ist zu spät, Jan. Genau in diesem Augenblick verspricht Vater mich diesem alten Mann." Verzweifelt weinend klammerte sie sich an den Geliebten.
Eine Weile strich er ihr nur stumm übers Haar, in seine eigenen Gedanken versunken. Schließlich sagte er, als sei es die natürlichste Schlussfolgerung der Welt: „Dann muss ich dich eben fortbringen."
Abrupt hob sie den Kopf. „Aber du kannst doch ... Ich meine ... Wo sollten wir denn hingehen? Er wird uns finden, und dann bringt er mich zurück und zwingt mich ..." Sie brachte es nicht über sich, die Worte auszusprechen.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe O 2003 by Elizabeth Jeffrey
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
ü 2009 by Cora Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Sabine Schlimm
Redaktion: Claudia Wuttke
Umschlaggestaltung: zeichenpool, München
Umschlagmotiv: Bridgeman Art Library, Berlin
www.shutterstock.com
Gesamtherstellung: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in the EU
ISBN 978-3-8289-9777-6
2013 2012 2011 2010
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.
- Autor: Elizabeth Jeffrey
- 426 Seiten, Maße: 14,6 x 22 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828997775
- ISBN-13: 9783828997776
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