Der Augensammler
Ein Killer verschleppt Kinder. Der Vater hat 45 Stunden Zeit für die Suche, danach wird das Kind getötet. Allen Leichen gemeinsam ist, dass ihnen das linke Auge fehlt. Nach kurzer Zeit meldet sich bei der Polizei eine mysteriöse Zeugin, die...
Ein Killer verschleppt Kinder. Der Vater hat 45 Stunden Zeit für die Suche, danach wird das Kind getötet. Allen Leichen gemeinsam ist, dass ihnen das linke Auge fehlt. Nach kurzer Zeit meldet sich bei der Polizei eine mysteriöse Zeugin, die den sogenannten ''Augensammler'' angeblich kennt.
Er spielt es mit deinen Kindern.
Er gibt dir 45 Stunden, sie zu finden.
Doch deine Suche wird ewig dauern.
Erst tötet er die Mutter, dann verschleppt er das Kind und gibt dem Vater 45 Stunden Zeit für die Suche. Das ist seine Methode. Nach Ablauf der Frist stirbt das Opfer in seinem Versteck. Doch damit ist das Grauen nicht vorbei: Den aufgefundenen Kinderleichen fehlt jeweils das linke Auge.
Bislang hat der Augensammler keine brauchbare Spur hinterlassen. Da meldet sich eine mysteriöse Zeugin: Alina Gregoriev, eine blinde Physiotherapeutin, die behauptet, durch bloße Körperberührungen in die Vergangenheit ihrer Patienten sehen zu können. Und gestern habe sie womöglich den Augensammler behandelt
Er spielt es mit deinen Kindern.
Er gibt dir 45 Stunden, sie zu finden.
Doch deine Suche wird ewig dauern.
Erst tötet er die Mutter, dann verschleppt er das Kind und gibt dem Vater 45 Stunden Zeit für die Suche. Das ist seine Methode. Nach Ablauf der Frist stirbt das Opfer in seinem Versteck. Doch damit ist das Grauen nicht vorbei: Den aufgefundenen Kinderleichen fehlt jeweils das linke Auge.
Bislang hat der "Augensammler" keine brauchbare Spur hinterlassen. Da meldet sich eine mysteriöse Zeugin: Alina Gregoriev, eine blinde Physiotherapeutin, die behauptet, durch bloße Körperberührungen in die Vergangenheit ihrer Patienten sehen zu können. Und gestern habe sie womöglich den Augensammler behandelt ...
Der Augensammler von Sebastian Fitzek
Epilog
Alexander Zorbach (Ich)
Es gibt Geschichten, die sind wie tödliche Spiralen und graben sich mit rostigen Widerhaken tiefer und tiefer in das Bewusstsein dessen, der sie sich anhören muss. Ich nenne sie Perpetuum morbile. Geschichten, die niemals begonnen haben und auch niemals enden werden, denn sie handeln vom ewigen Sterben. Manchmal werden sie einem von einer gewissenlosen Person erzählt, die sich an dem Entsetzen in den Augen ihres Zuhörers ergötzt und an den Alpträumen, die sie mit Sicherheit auslösen werden – nachts, wenn man alleine im Bett liegt und die Decke anstarrt, weil man nicht schlafen kann.
Hin und wieder findet man solch ein Perpetuum morbile zwischen zwei Buchdeckeln, so dass man ihm entfliehen kann, indem man das Buch zuschlägt. Ein Ratschlag, den ich Ihnen jetzt schon geben möchte: Lesen Sie nicht weiter!
Ich weiß nicht, wie Sie an diese Zeilen geraten sind. Ich weiß nur, dass sie nicht für Sie bestimmt sind. Das Protokoll des Grauens sollte niemandem in die Hände fallen. Nicht einmal Ihrem größten Feind. Glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung. Ich konnte die Augen nicht
Letztes Kapitel. Das Ende
»Schlaf, Kindlein, schlaf. Der Vater hüt’ die Schaf …«
»Sagen Sie ihr, sie muss damit aufhören«, brüllte die Stimme des Einsatzleiters in mein rechtes Ohr. »Die Mutter schüttelt’s Bäumelein. Da fällt herab ein Träumelein …«
»Sie soll sofort aufhören, dieses verdammte Lied zu singen.«
»Ja, ja. Ist mir klar. Ich weiß schon, was ich zu tun habe«, antwortete ich über das winzige Funkmikrophon, das der Techniker des mobilen Einsatzkommandos mir vor wenigen Minuten an mein Hemd gepappt hatte und über das ich nun mit dem Einsatzleiter die Verbindung hielt. »Wenn Sie mich weiter so anschreien, reiße ich mir den verdammten Knopf aus dem Ohr, verstanden?«
Ich näherte mich der Mitte der Brücke, die über die A100 führte. Die Stadtautobahn, elf Meter unter uns, war mittlerweile in beiden Richtungen gesperrt – mehr, um die Autofahrer zu schützen als die verwirrte Frau, die eine Omnibuslänge von mir entfernt stand.
»Angelique?«, rief ich laut ihren Namen. Dank des kurzen Briefings, das ich in der provisorischen Kommandozentrale erhalten hatte, wusste ich, dass sie siebenunddreißig Jahre alt war, zwei Vorstrafen wegen versuchter Kindesentführung hatte und von den letzten zehn Jahren mindestens sieben in einer geschlossenen Anstalt hatte verbringen müssen. Leider hatte ein verständnisvoller Psychologe vor vier Wochen ein Gutachten erstellt, das ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft empfahl. Schönen Dank, Herr Kollege. Jetzt haben wir den Salat!
»Ich komme etwas näher, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte ich und hob die Hände. Keine Reaktion. Sie lehnte an dem verrosteten Geländer, die Arme vor dem Oberkörper zu einer Wiege verschränkt. Hin und wieder schwankte sie leicht nach vorne, so dass ihre Ellbogen über die Brüstung
ragten. Ich zitterte ebenso vor Anspannung wie vor Kälte. Zwar lagen die Temperaturen für den Monat Dezember noch erstaunlich weit über dem Gefrierpunkt, doch die gefühlte Temperatur konnte mühelos mit der von Jakutsk mithalten. Drei Minuten hier draußen im Wind, und mir fielen fast die Ohren ab. »Hallo, Angelique?« Schotter knirschte unter meinen schweren Stiefeln, und sie drehte zum ersten Mal den Kopf zu mir; ganz langsam, wie in Zeitlupe. »Mein Name ist Alexander Zorbach, und ich würde gerne mit Ihnen sprechen.« Denn das ist mein Job. Ich bin heute der Verhandlungsführer.
»Ist es nicht wunderschön?«, fragte sie im gleichen Singsang, in dem sie eben noch das Kinderlied intoniert hatte. Schlaf, Kindlein, schlaf …
»Ist mein Baby nicht wunder-, wunderschön?«
Ich bestätigte es ihr, obwohl ich aus der Entfernung kaum erkennen konnte, was sie da an ihren schmächtigen Oberkörper presste. Es hätte ebenso eine Kissenrolle sein können, ein zusammengefaltetes Laken oder eine Stoffpuppe. Doch so viel Glück war uns nicht beschieden. Die Wärmebildkamera hatte es bestätigt. In ihren Armen lag etwas Lebendiges, etwas Warmes. Noch konnte ich es nicht sehen, dafür aber hören. Das sechs Monate alte Baby schrie. Etwas entkräftet, aber immerhin schrie es noch. Das war bis jetzt die beste Nachricht des Tages. Die schlechte war, dass der Säugling nur noch wenige Minuten zu leben hatte. Und zwar selbst dann, wenn die geistig verwirrte Frau ihn nicht von der Brücke werfen würde.
Verdammt, Angelique. Du hast dir diesmal in jeglicher Hinsicht das falsche Baby ausgesucht.
»Wie heißt denn der süße Fratz?«, versuchte ich erneut ein Gespräch mit ihr in Gang zu bringen. Wegen einer verpfuschten Abtreibung konnte die Frau keine Kinder bekommen. Eine Tatsache, über der sie den Verstand verloren hatte. Nun hatte sie bereits zum dritten Mal ein fremdes Baby entführt, um es als ihr eigenes auszugeben. Und zum dritten Mal war sie von Passanten in der Nähe des Krankenhauses entdeckt worden. Heute hatte es nur eine halbe Stunde gedauert, bis einem Fahrradkurier die barfüßige Frau mit dem weinenden Baby auf der Brücke aufgefallen war. »Es hat noch keinen Namen«, sagte Angelique. Ihr Verdrängungsprozess war so weit fortgeschritten, dass sie in diesem Augenblick fest davon ausging, das Kind in ihren Armen wäre tatsächlich ihr eigen Fleisch und Blut. Ich wusste, es war sinnlos, sie vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Was sieben Jahre Intensivtherapie nicht erreicht hatten, würde mir in sieben Minuten ganz sicher nicht gelingen – aber das war auch gar nicht meine Absicht.
»Was halten Sie von ›Hans‹?«, schlug ich vor. Mein Abstand zu ihr betrug jetzt höchstens noch zehn Meter. »Hans?« Sie löste einen Arm von dem Bündel und öffnete die Wickeldecke. Erleichtert hörte ich, wie das Baby anfing zu plärren. »Hans klingt schön«, sagte Angelique selbstvergessen. Sie trat einen kleinen Schritt zurück und stand nun nicht mehr so nah an dem Geländer. »Wie ›Hans im Glück‹.« »Ja«, pflichtete ich ihr bei und setzte vorsichtig einen weiteren Schritt nach vorne.
Neun Meter.
»Oder wie der Hans aus dem anderen Märchen.« Sie drehte sich zu mir und sah mich fragend an. »Welches andere Märchen?«
»Na das von der Nymphe Undine.«
Um genau zu sein, war das eher eine germanische Sage als ein Märchen, aber das war im Augenblick irrelevant. »Undine?« Sie zog die Mundwinkel herab. »Kenn ich wunderschön wie keine Zweite. Sie verliebte sich unsterblich in den Ritter Hans.« fuhr ich fort. »Darüber war Undines Vater, der Meeresgott Poseidon, so erzürnt, dass er Hans verfluchte.«
»Ein Fluch?« Angelique hielt in ihrer Wiegebewegung inne. »Ja. Fortan konnte Hans nicht mehr unbewusst von alleine atmen. Er musste sich darauf konzentrieren.« Ich sog geräuschvoll die kalte Luft in meine Lungen und stieß sie beim Sprechen stoßweise wieder aus. »Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.« Mein Brustkorb hob und senkte sich demonstrativ. »Würde Hans nur ein einziges Mal nicht daran denken zu atmen, müsste er sterben.«
Sechs Meter.
»Wie endet das Märchen?«, fragte Angelique misstrauisch, als ich mich bis auf eine Autolänge vorgetastet hatte. Dabei schien ihr jedoch weniger meine Nähe als die Wendung zu missfallen, die das Märchen genommen hatte. »Hans tut alles, um nicht einzuschlafen. Er kämpft gegen
die Müdigkeit an, aber am Ende fallen ihm doch die Augen zu.«
»Er stirbt?«, fragte sie tonlos. Jede Freude war aus dem ausgezehrten Gesicht gewichen. »Ja. Denn im Schlaf wird er unweigerlich vergessen zu atmen. Und das bedeutet seinen Tod.« In meinem Ohr knackte es, doch dieses eine Mal hielt der Einsatzleiter den Mund. Hier draußen war nun nichts zu hören außer dem entfernten Rauschen des Stadtverkehrs. Ein Schwarm schwarzer Vögel zog hoch über unseren Köpfen Richtung Osten. »Das ist aber kein schönes Märchen.« Angelique wankte
etwas nach vorne, wiegte jetzt mit dem gesamten Körper das eng an sie gepresste Baby. »Nicht schön.« Ich streckte ihr die Hand entgegen und kam noch näher. »Nein, ist es nicht. Und eigentlich ist es auch gar kein Märchen!«
»Sondern?« Ich machte eine Pause, wartete wieder darauf, dass ich irgendein Lebenszeichen des Kleinen hörte. Doch da war nichts mehr. Nur Stille. Mein Mund war wie ausgedörrt, ich jetzt sagen wollte. »Angelique, hören Sie mir bitte zu. Das Baby in Ihren Händen leidet am Undine-Syndrom, einer Krankheit, benannt nach dem Märchen, das ich Ihnen eben erzählt habe.«
»Nein!« Doch.
Die Tragik war, dass ich ihr keine taktische Lüge auftischte. Das Undine-Syndrom ist eine seltene Störung des zentralen Nervensystems, bei der die betroffenen Kinder ersticken, wenn sie sich nicht willentlich auf ihre Atmung konzentrieren. Eine schwere, lebensgefährliche Krankheit. Bei Tim (so hieß der Säugling wirklich) reichte die Atemaktivität in seinen Wachphasen noch aus, um den kleinen Körper mit genügend Sauerstoff zu versorgen. Nur wenn er schlief, musste er beatmet werden. »Es ist mein Kind«, protestierte Angelique wieder mit ihrer Schlafliedstimme.
Schlaf, Kindlein, schlaf … »Sehen Sie nur, wie friedlich es in meinen Armen schlummert.« O Gott, nein. Sie hatte recht. Das Baby gab keinen Ton mehr von sich. Der Vater hüt’ die Schaf. »Ja, es ist Ihr Baby, Angelique«, sagte ich eindringlich und näherte mich einen weiteren Meter. »Das bestreitet niemand. Aber es darf nicht einschlafen, hören Sie? Sonst stirbt es, so wie der Hans im Märchen.«
»Nein, nein, nein!« Sie schüttelte trotzig den Kopf. »Mein Baby ist nicht böse gewesen. Es wurde nicht verflucht.«
»Nein, das wurde es ganz sicher nicht. Aber es ist krank. Geben Sie ihn mir bitte, damit die Ärzte Ihren Jungen wieder gesund machen können.« Duft ihrer ungewaschenen Haare roch. Den Geruch der geistigen und körperlichen Verwahrlosung, der jede Faser ihres billigen Jogginganzugs durchtränkte. Sie drehte sich zu mir, und zum ersten Mal konnte ich einen Blick auf das Baby werfen. Auf sein leicht gerötetes, auf sein winziges … auf sein schlafendes Gesicht. Erschrocken sah ich zu Angelique. Und da setzte es bei mir aus.
Copyright © 2010 by Droemer Verlag
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Ein Projekt der AVA International GmbH Autoren- und Verlagsagentur
www.ava-international.de
Alle Rechte vorberhalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Regine Weisbrod
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagabbildung: FinePic®, München
Satz: Adobe InDesign im Verlag
Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
Printed in Germany
ISBN 978-3-426-19851-3
Fitzek: Kommt drauf an, was ich vorher gemacht habe. Wenn ich gerade einen spannenden Thriller gesehen oder gelesen habe, dann sind dunkle Keller nicht gerade mein bevorzugter Aufenthaltsort. Allerdings habe ich (unter anderem) die Macke, dass ich nur bei kompletter Dunkelheit einschlafen kann - selbst ein Standbylämpchen des Fernsehers kann mich da schon stören.
Da Sie Ihren Lesern quasi Alpträume auf dem literarischen Silbertablett servieren - verraten Sie uns, ob Sie selber einen Alptraum haben, der Sie nachts einholt?
Fitzek: Ja - und den habe ich natürlich gleich verbraten, damals schon in meinem Erstling "Die Therapie". Ich fahre nachts mit meiner Freundin im Auto und wir können die Küste nicht finden, zu der wir eigentlich wollen. Die Straße ist sehr eng und führt durch einen dunklen, dichten Wald. Ich denke mir: "Mensch, wir müssten doch schon längst am Meer sein, so lange, wie wir schon unterwegs sind", da lichtet sich auf einmal der Wald und ich erkenne, dass wir die gesamte Zeit nicht auf einer Straße sondern auf einem Steg gefahren sind. Der Steg führt weit über das offene Meer und hört plötzlich auf - ich sehe das Ende und kann nicht bremsen.
Sobald das Auto abhebt und in den tosenden Wellen zu versinken droht, wache ich auf. Das ist so in etwa der Alptraum, der Viktor Larenz auf Parkum heimsucht.
Im "Augensammler" geht es um einen mörderischen Wettlauf gegen einen Mann, der ritualisierte Morde an Frauen und Kindern vollzieht. Auf den ersten Blick wirkt das ausschließlich grausam, auf den zweiten zeigt sich ein krankhaftes, aber logisches System. Wie kommen Sie zu so einem Motiv - legen Sie diese Plots an reale Fälle an oder fallen Sie Ihnen einfach ein?
Fitzek: In diesem Fall entspringt das Szenario meiner
Ebenso beeindruckend wie beklemmend ist Ihr medizinisches Wissen, zum Beispiel in der Szene mit der eingeschweißten Frau. Wie recherchieren Sie diese Details?
Fitzek: Zuerst einmal habe ich eine bestimme Szene in meinem Kopf. Ich weiß genau, wie es in diesem Keller aussieht und was mit der eingeschweißten Frau geschieht. Dann versuche ich dieses Bild in meinem Kopf zu "zeichnen", indem ich es anfangs ohne Recherche herunter schreibe. Ich gestehe, das Schreiben hat auch den Effekt, dass ich das schreckliche Bild (für eine kurze Zeit) aus meinem Kopf bekomme.
Dann erst beginne ich in Büchern und im Internet zu recherchieren, ob ein solcher oder ähnlicher Zustand zuvor schon einmal dokumentiert wurde. Ich gebe das Kapitel dann Ärzten zu lesen und nehme am Ende die notwendigen Korrekturen vor.
Viele gehen sicher andersherum vor - aber ich persönlich mag keine Bücher und Filme, denen man anmerkt, dass sich da jemand durch gerichtsmedizinische Literatur gewälzt hat, auf der Suche nach möglichst grausamen Todesarten. Das kennt man zum Beispiel von den späteren SAW-Folgen (die erste hat mir noch sehr gefallen).
Wenn ich explizite Gewalt schildere, (meist seelische), dann ergibt die an dieser Stelle einen übergeordneten Sinn im Gesamtgefüge. Ich baue meine Geschichten nicht um derartige Stellen herum, sondern sie entwickeln sich während des Schreibens von alleine. Deswegen steht bei mir in der Regel erst die Phantasie und dann die Recherche. Aber das ist keine starre Regel. Selbstverständlich stoße ich auch während meiner Recherche auf interessante Fakten, die mich dann wieder inspirieren - meist für ein neues Buch ;)
Die Seitennummerierung des Buches verläuft entgegengesetzt. Stand das von Anfang an fest oder haben Sie das "unterwegs" entschieden?
Fitzek: Das stand von Anfang an fest, nachdem ich den Prolog schrieb und dachte, dass könnte ebenso gut ein Epilog sein. Nicht nur die Seitenzahlen laufen daher rückwärts, auch die Kapitelnummerierungen.
Sie schreiben über seelische Abgründe, perfide Verbrechen und strauchelnde Menschen - wie schreibt man so etwas, ohne sich selbst darin zu verlieren? Abgedunkelte Schreibhöhle oder lichtdurchflutetes Arbeitszimmer?
Fitzek: Gute Frage! Erst kürzlich habe ich darüber nachgedacht, dass es schon paradox ist: Aber je grausamer eine Geschichte ist, desto schöner muss der Ausblick sein, den ich beim Schreiben habe. Aus diesem Grund habe ich meinen Schreibtisch in den Wintergarten gewuchtet. Der ist zwar viel zu groß für den kleinen Raum und sieht auch nicht besonders aus, aber von hier aus habe ich einen herrlichen Blick in den bewaldeten Garten und auf einen Mini-Teich. Ich glaube, das stellt den Ausgleich her, wenn ich ein verliebtes Entenehepaar beobachte, während der Held meines Buches gerade am Ersticken ist.
Im Augensammler schaffen Sie das Kunststück, trotz der grausamen Faszination des Mörders und seiner Taten die eigentliche Spannung in die Figur des Ermittlers zu legen. Wer war zuerst da, der Gute oder der Böse?
Fitzek: Die Blinde! Ich hatte von Anfang an Alina Gregoriev, die blinde Physiotherapeutin vor Augen, die behauptet, sie könne bei bestimmten Menschen durch bloße Berührungen in deren Vergangenheit sehen. Und zuletzt habe sie den Augensammler behandelt und seine Morde "gesehen". Für mich ist Alina die heimliche Hauptfigur, nicht zuletzt weil ich mich ein Jahr lang intensiv mit der Welt der Blinden und Sehbehinderten beschäftigt habe. Ich stand mit über zwanzig Blinden in direktem Austausch, habe sie interviewt, mich mit ihnen getroffen und die wesentlichen Kapitel vorab zum Lesen gegeben. Die Einblicke, die mir gewährt wurden, waren so faszinierend (nehmen Sie nur mal die Frage, wie blind Geborene träumen), dass ich das alles gar nicht in einem Buch unterbekommen habe.
Was fällt Ihnen leicht zu schreiben, was finden Sie besonders schwer?
Fitzek: Das kann ich so allgemein nicht beantworten. Schreiben ist für mich wie Sport. Man muss sich jeden Tag aufs Neue motivieren und den inneren Schweinehund überwinden, der immer schönere Tätigkeiten findet, wenn man das Glück hat, sich seinen Tag selbst einzuteilen. Am Anfang ist es dann manchmal beschwerlich, aber wenn man dann mittendrin ist (und zu schwitzen beginnt;) macht es auf einmal plötzlich Spaß und alles scheint wie von selbst zu laufen. Am Schönsten aber ist es, wenn man das Ende erreicht hat und mit einem guten Gefühl unter der Dusche steht - oder vor dem Kühlschrank. Passt auch beides auf Sport und Schreiben.
Wie geht Ihnen nach dem Ende eines Buches? Leben die Hauptfiguren weiter oder sind sie mit dem Schlusspunkt dann auch ruhig?
Fitzek: Die leben weiter. Zumindest die, die mir ans Herz gewachsen sind, und das können sogar die Bösen sein. Daher tauchen bestimmte Figuren auch in anderen Büchern wieder auf, allerdings nur am Rande. Obwohl - beim Augensammler denke ich tatsächlich über eine Trilogie nach.
Und wer liest als Erstes gegen?
Fitzek: Meine Freundin Sandra. Da kann sie sich gar nicht gegen wehren ;)
Angesichts der menschlichen Abgründe und Nöte, die Sie zeigen - was sind Sie selbst für ein Typ? Halb volles oder halb leeres Glas Wasser?
Fitzek: Sie denken, da ist Wasser drin? Dann nehmen Sie mal einen Schluck. Nur zu. Aber sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt!
Und wo wir schon bei den Flüssigkeiten sind - gibt es bestimmte Getränke, Rituale, Musik, die für Sie beim Schreiben wichtig sind?
Fitzek: Nee, eigentlich nicht. Ich hab es mal mit Musik versucht. Ausgewählte Filmmusiken, die mich vielleicht motivieren und inspirieren. Das war toll, ich hatte wirklich tausende von Bildern im Kopf. Aber ich war so abgelenkt, ich konnte nichts davon zu Papier bringen.
Ich brauche wirklich nur einen Laptop und Strom. Na ja, und meinen Schreibtisch im Wintergarten, da geht's am besten.
Aggression, Frustration und Verletzungen - wie reagieren Sie selbst sich ab? Sie sind Sie ein Mensch, der explodiert oder implodiert?
Fitzek: Da fragen Sie mal besser meine Freundin. Die würde sagen, dass ich sehr aufbrausend bin. Vor allen Dingen, wenn ich müde und hungrig bin und Sandra meine Geschichte kritisiert - die schlimmste Kombination in der Sie mich antreffen können. Sie hält - kein Witz - für den Fall der Fälle immer ein Snickers bereit.
Ich selbst weise das aufs Heftigste zurück und halte mich (Sternzeichen Waage!) für den ausgeglichensten Menschen der Welt ;)
Lieber Herr Fitzek, wenn Sie als Buchhändler einem Kunden das Buch empfehlen würden - mit welchen drei Schlagworten würden Sie es beschreiben?
Fitzek: Auf. Eigene. Gefahr.
- Autor: Sebastian Fitzek
- 2010, 442 Seiten, 52 Abbildungen, Maße: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426198517
- ISBN-13: 9783426198513
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 39Schreiben Sie einen Kommentar zu "Der Augensammler".
Kommentar verfassen