Winterschwestern
"Eine spannende Geschichte über Hoffnung und Liebe."
AMICA
15 Jahre ist es her, dass Ellie Winters verschwunden ist. Die Polizei glaubt, dass sie entführt und ermordet wurde. Ellies Schwester Madeline teilt die Meinung der...
AMICA
15 Jahre ist es her, dass Ellie Winters verschwunden ist. Die Polizei glaubt, dass sie entführt und ermordet wurde. Ellies Schwester Madeline teilt die Meinung der...
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Weltbild Ausgabe
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Produktinformationen zu „Winterschwestern “
"Eine spannende Geschichte über Hoffnung und Liebe."
AMICA
15 Jahre ist es her, dass Ellie Winters verschwunden ist. Die Polizei glaubt, dass sie entführt und ermordet wurde. Ellies Schwester Madeline teilt die Meinung der Behörden. Doch Ellies ältere Schwester Caroline und ihre Mutter haben die Hoffnung nie aufgegeben, sie glauben, Ellie irgendwann wiederzusehen. Als die Mutter Ellie in einem Zeitungsartikel zu erkennen glaubt, macht sich Caroline schweren Herznes und voller Hoffnung auf die Suche. Sie ahnt nicht, dass die Spuren in ihre eigene Familie führen.
AMICA
15 Jahre ist es her, dass Ellie Winters verschwunden ist. Die Polizei glaubt, dass sie entführt und ermordet wurde. Ellies Schwester Madeline teilt die Meinung der Behörden. Doch Ellies ältere Schwester Caroline und ihre Mutter haben die Hoffnung nie aufgegeben, sie glauben, Ellie irgendwann wiederzusehen. Als die Mutter Ellie in einem Zeitungsartikel zu erkennen glaubt, macht sich Caroline schweren Herznes und voller Hoffnung auf die Suche. Sie ahnt nicht, dass die Spuren in ihre eigene Familie führen.
Lese-Probe zu „Winterschwestern “
Winterschwestern von Amanda Eyre Ward1
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Am Nachmittag zuvor malte ich mir aus, wie ich es ihr sagen würde. Ich würde bei meinem Alter und meiner Reife beginnen, auf einen neuen Liebhaber anspielen und mit einem Strauß von Versprechungen schließen: Enkel, handgeschriebene Briefe, Pakete von Tiffany, die rechtzeitig vor dem großen Ansturm geschickt würden. Ich saß in meinem Apartment, trank Scotch und legte mir meine Worte zurecht. »Mom«, sagte ich zu Georgette, der Katze. »Mom, ich habe dir etwas Wichtiges mitzuteilen.«
Georgette räkelte sich faul auf dem Balkon. Auf der Straße heulte eine Ambulanz. Ein Mann mit Einkaufswagen stand unter meinem Fenster, aß Chickenwings und pfiff vor sich hin. Die Hitze hatte sich gelegt, aber der Geruch von New Orleans schien stärker zu werden: fauliges Fleisch, Schweiß und Bier.
»Mom«, sagte ich zu der Katze, »bitte hör mir zu.« Georgette ignorierte mich zwar weiterhin, doch der Mann mit dem Einkaufswagen schaute auf, und das nahm ich als gutes Omen.
Ich musste an dem Abend arbeiten, deshalb stellte ich mich nach dem Scotch und einem kleinen Nickerchen vor den Spiegel und trug Wimperntusche auf. Ich wollte auf europäische Art erotisch aussehen, also zwirbelte ich meine Haare mit den Fingern und steckte den Knoten mit Haarklammern fest. War das ein Chignon? Wie sprach man Chignon aus? Auf jeden Fall fiel mir das Haar nicht ins Gesicht, was der Gesundheitsbehörde gefallen würde. Ich wusch mir die Hände mit der Rosenseife, die meine Schwester mir geschickt hatte, und schlüpfte in hochhackige Schuhe. Als abschließende Geste malte ich mir einen Leberfleck in meinen linken Mundwinkel.
Im Highball hatte man uns gebeten, uns ein »glamouröseres Image zuzulegen«. Das ist ein wörtliches Zitat. Jimbo, der ältliche Besitzer des Clubs, hatte angefangen, sich um Käufer für sein »kleines Stück Geschichte von New Orleans« zu bemühen. The Highball war die Cocktailbar auf der Spitze des World Trade Center von New Orleans. Sie drehte sich. Wenn man eine volle Stunde lang dasaß und teure, angeblich typische New-Orleans-Cocktails trank, konnte man die ganze Stadt sehen, vom trägen Mississippi über die verfallende Innenstadt bis zum French Quarter und wieder zurück zum gewaltigen Old Man River.
Jimbo hatte uns also angefleht, glamourös zu wirken. Ich glaube, er dachte, dass er, wenn wir uns aufdonnerten, trotz der alten, plüschigen Einrichtung und trotz unseres fortgeschrittenen Alters (ich war zweiunddreißig, und das in einer Stadt, wo viele Cocktailkellnerinnen minderjährige Ausreißerinnen sind) irgendeinen Yankee davon überzeugen konnte, dass der Highball ein exklusiver Club war und nicht eine sich drehende Touristenfalle. Na gut, warum nicht? Mein vorheriger Look (nervös und übermüdet) hatte mir nicht allzu viele Verabredungen eingebracht. Also fuhr ich zusammen mit Winnie zu Payless Shoes und kaufte mir einige Paar Stöckelschuhe. Außerdem besorgten wir uns Netzstrümpfe und Parfüm. Und dann gingen wir in Bobby's Bar und tranken Bier aus riesigen Dosen, bis wir keine Vierteldollars mehr für die Musikbox hatten.
Mit hochgekurbelten Fenstern und voll aufgedrehter Klimaanlage fuhr ich langsam zum Highball. Es war ein herrlicher Abend. Die Leute saßen auf den Stufen vor ihrer Tür, tranken aus Papiertüten und schauten den Kindern beim Fußballspielen zu. Ich war eine der wenigen Weißen in meinem Viertel und eine der zahlreichen Kampftrinkerinnen. Ich winkte Lady B zu, meiner Vermieterin, die auf ihrer Verandaschaukel saß und ihrer Tochter Lela die Haare flocht. Lady B erwiderte meinen Gruß mit einem Zwinkern.
Obwohl es nicht nötig war, fuhr ich die Canal Street entlang, vorbei an Harrah's. Drei Studenten, mit Halsketten behängt, saßen auf dem Gehweg vor dem Kasino. Ihre Augen waren glasig, und sie tranken nicht von ihren Riesen-Daiquiris. Sie starrten einfach auf die Straße, völlig erledigt. Sie waren typisch für diejenigen, die irgendwann aufstehen und den Fahrstuhl zum Highball besteigen würden. Mehr als einer meiner Gäste war schon auf seinem Samtsessel eingeschlafen.
Oben im Highball ging es ruhig her. Winnie lehnte an der Bar. Ihr enges Kleid ließ keinen Spielraum für auch nur einen Zentimeter Fantasie. Hinter dem Tresen mixte Peggy, die Yoga-Königin, einen Martini wie Tom Cruise, indem sie wild mit den Hüften wackelte. Ein paar Gäste sahen aus dem Fenster. Ein Pärchen knutschte wie besessen. Das Gute an einer sich drehenden Bar ist, dass eklige Gäste schnell aus dem Blickfeld verschwinden.
»Guck mal einer an!«, sagte Winnie, zeigte mit roten Fingernägeln auf mich und lachte heiser.
»Na und?«, fragte ich. »Das ist ein Chignon.«
Winnie und Peggy schauten sich an. Bisweilen überraschte ich sie.
Es war eine lange Nacht, und alle wollten Bourbon. Als meine Schicht zu Ende war, wollte sogar ich Bourbon anstelle meines üblichen Scotch. Peggy schenkte mir einen steifen Drink ein. »Ich habe Schiss vor morgen«, sagte ich zu ihr.
»Wieso?«
»Ich muss meiner Mutter sagen, dass ich über Weihnachten nicht nach Hause komme. Sie wird ausflippen.«
Peggy setzte sich auf den Hocker. Sie hatte ihre Augenbrauen vollkommen ausrasiert und dünne Striche gezogen. »Warum nicht?«, fragte sie.
»Was?«
»Warum fährst du nicht nach Hause?«, fragte Peggy. Sie goss sich selbst auch ein Glas Bourbon ein.
»Ach, das ist eine lange Geschichte«, sagte ich. »Erstens bin ich erwachsen und kann nicht zu jedem Feiertag nach New York fliegen, als ob ich noch im College wäre.«
»Ich war nie auf dem College«, sagte Peggy verträumt.
»Und meine Familie... na ja, die ist ein bisschen verkorkst, musst du wissen«, sagte ich.
»Wie das wohl wäre«, sagte Peggy.
»Was?«
Peggy nippte an ihrem Drink und guckte durch die riesigen Fenster auf die funkelnde Stadt unter uns. »Wer ich wohl geworden wäre«, sagte sie, »wenn ich aufs College gegangen wäre.«
»Ich bin aufs College gegangen«, sagte ich, »und ich bin auch hier.«
Peggy nickte. »Aber du bist du«, sagte sie.
Auf der Heimfahrt malte ich mir mein Weihnachten ganz für mich allein aus. Ich würde einen kleinen Baum für meine Wohnung kaufen und ihn mit Lichtern schmücken. Den Tag könnte ich im Kino verbringen oder im Napoleon House, wo ich ein Sandwich mit Salami, Käse und Olivensalat - das berühmte Muffaletta - essen und mich gemächlich durch eine Flasche roten Hauswein trinken würde. Winnie hatte mich bereits zum Truthahnessen eingeladen, und ich würde zuschauen, wie ihre Kinder die Geschenke aufmachten. Oder ich könnte Weihnachten arbeiten und einen Batzen Geld verdienen. Jimbo bezahlte doppelt an Feiertagen.
Ich würde mir meine Schwester Madeline und ihren Mann Ron, der Investmentbanker ist, nicht antun müssen. Und die Weihnachtsparty. Meine Mutter bestand darauf, die Weihnachtspartytradition aufrechtzuerhalten, indem sie uns Taftkleider tragen ließ und den Barkeeper aus dem Liquor Barn anheuerte. Sie machte immer dieselben Fleischbällchen, ein bisschen zu süß, und den Käseigel. Es muss eine Zeit gegeben haben, in der eine ungeheure Masse von orangefarbigem und rosa Käse, gespickt mit Nüssen und Petersilie, in Mode war, und meine Mutter hat sich über diese Zeit nicht hinausbewegt. Meine Mutter, die in den Sechzigern Model war, die Fondue liebte, die Käseigel machte und so strahlend lachte, dass ich am liebsten geweint hätte.
Im letzten Jahr trug ich die Kostümierung und wich Fragen über meine Karriere aus. (»Erzähl ihnen einfach, dass du noch rumprobierst«, hatte meine Mutter gesagt, »ich bitte dich.«) Ich trank zu viel Wein, lauschte den Investmentratschlägen meines Schwagers und stritt mich nicht mit Madeline.
Ich ging schlafen, ehe es zu einer Szene kam, aber mitten in der Nacht wachte ich auf. Die Gäste waren weg, und die Wohnung war still. Neben mir atmete meine Schwester langsam. An ihren geröteten Wangen klebten Haarsträhnen, und sie roch nach Gesichtscreme. Ich schaute sie an, die Krümmung ihrer Nase, ihre dünnen Lippen. Ihre Wimpern, von Mascara gesäubert, waren blass, und ihre Haut zierten spärliche Sommersprossen. In mancher Hinsicht war sie eine Fremde für mich, eine Upper-EastsideEhefrau, nervös und leicht beleidigt. Und dennoch, im Schein der Straßenlaterne vor dem Fenster war sie dasselbe Mädchen, das einst Du und ich sind unsere Familie zu mir gesagt und mich dabei mit ihrem Blick um ein Versprechen gebeten hatte. Ich berührte ihre Wange mit den Fingern, und sie bewegte sich, runzelte die Stirn, wachte jedoch nicht auf.
Unser Zimmer lag im zweiten Stock der Eigentumswohnung meiner Mutter, und ich ging nach unten, vorbei am Schlafzimmer meiner Mutter und am Arbeitszimmer, wo Ron auf der Ausziehcouch schlief. (Im ersten Jahr ihrer Ehe hatte Madeline zu Weihnachten zusammen mit ihm auf der unbequemen Couch geschlafen, aber seitdem schlief sie oben bei mir.) Ich hatte gehofft, einige übrig gebliebene Fleischbällchen zu finden oder mir aus dem Ahornrauchschinken der Harringtons und den kleinen Scheiben Roggenbrot ein Sandwich machen zu können. Also bahnte ich mir meinen Weg in Richtung Küche, doch während ich behutsam auftrat, um Ron nicht zu wecken, hörte ich etwas.
Ich wandte mich dem Geräusch zu und schloss die Augen. Es klang wie eine Art gedämpftes Atmen. Einen Moment lang überschwemmte mich eine Woge der Angst, denn ich dachte, es könnte ein Einbrecher sein, ein Räuber, Mörder oder Vergewaltiger, aber dann fiel mir ein, dass ich in einem Vorort von New York war und nicht in New Orleans, und dass die Wohnanlage meiner Mutter bewacht wurde. Ich trug Wollsocken und mein Weihnachtsnachthemd.
Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. In der Küche, neben der gläsernen Schiebetür, die auf die Terrasse führt, sah ich eine Gestalt: meine Mutter. »Mom?«, sagte ich.
Sie schaute auf, und ich erkannte, dass sie weinte. »Mom? Was ist los?«
»Nichts«, erwiderte sie. Sie blinzelte rasch und fuhr sich mit dem Ärmel ihres Bademantels über die Augen. Als ich bei ihr war - ein paar Sekunden später -, hatte sie sich gefasst. »Ich habe bloß über Weihnachten nachgedacht«, sagte sie mit einem falschen Unterton von Fröhlichkeit in der Stimme. Sie umklammerte das Bild in ihren Händen. Das verschwommene, aufgenommen vor Ewigkeiten an einem Herbstmorgen, als wir Ellie mit Blättern zugedeckt hatten.
»Oh Mom«, sagte ich.
»Nein«, sagte sie.
»Ich will nicht...«
»Caroline«, sagte meine Mutter ernst, »wir sprechen über Weihnachten und nur über Weihnachten.«
»Mom, es ist doch okay, wenn du sie vermisst.« »Hoffentlich kriege ich einen Kaschmirpullover«, sagte meine Mutter.
»Mom, wir müssen darüber reden«, sagte ich. »Sie ist weg. Es ist nicht deine Schuld.«
»Und vielleicht welche von diesen süßen Pelzfäustlingen.«
Vom Schoß meiner Mutter, wo sie in einem Schwarzweißfoto gefangen war, schaute meine verschollene Schwester lachend zu uns auf.
Genehmigte Lizenzausgabe für die Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2004 by MacAdam/Cage, San Francisco
Übersetzung: Almuth Carsten
Am Nachmittag zuvor malte ich mir aus, wie ich es ihr sagen würde. Ich würde bei meinem Alter und meiner Reife beginnen, auf einen neuen Liebhaber anspielen und mit einem Strauß von Versprechungen schließen: Enkel, handgeschriebene Briefe, Pakete von Tiffany, die rechtzeitig vor dem großen Ansturm geschickt würden. Ich saß in meinem Apartment, trank Scotch und legte mir meine Worte zurecht. »Mom«, sagte ich zu Georgette, der Katze. »Mom, ich habe dir etwas Wichtiges mitzuteilen.«
Georgette räkelte sich faul auf dem Balkon. Auf der Straße heulte eine Ambulanz. Ein Mann mit Einkaufswagen stand unter meinem Fenster, aß Chickenwings und pfiff vor sich hin. Die Hitze hatte sich gelegt, aber der Geruch von New Orleans schien stärker zu werden: fauliges Fleisch, Schweiß und Bier.
»Mom«, sagte ich zu der Katze, »bitte hör mir zu.« Georgette ignorierte mich zwar weiterhin, doch der Mann mit dem Einkaufswagen schaute auf, und das nahm ich als gutes Omen.
Ich musste an dem Abend arbeiten, deshalb stellte ich mich nach dem Scotch und einem kleinen Nickerchen vor den Spiegel und trug Wimperntusche auf. Ich wollte auf europäische Art erotisch aussehen, also zwirbelte ich meine Haare mit den Fingern und steckte den Knoten mit Haarklammern fest. War das ein Chignon? Wie sprach man Chignon aus? Auf jeden Fall fiel mir das Haar nicht ins Gesicht, was der Gesundheitsbehörde gefallen würde. Ich wusch mir die Hände mit der Rosenseife, die meine Schwester mir geschickt hatte, und schlüpfte in hochhackige Schuhe. Als abschließende Geste malte ich mir einen Leberfleck in meinen linken Mundwinkel.
Im Highball hatte man uns gebeten, uns ein »glamouröseres Image zuzulegen«. Das ist ein wörtliches Zitat. Jimbo, der ältliche Besitzer des Clubs, hatte angefangen, sich um Käufer für sein »kleines Stück Geschichte von New Orleans« zu bemühen. The Highball war die Cocktailbar auf der Spitze des World Trade Center von New Orleans. Sie drehte sich. Wenn man eine volle Stunde lang dasaß und teure, angeblich typische New-Orleans-Cocktails trank, konnte man die ganze Stadt sehen, vom trägen Mississippi über die verfallende Innenstadt bis zum French Quarter und wieder zurück zum gewaltigen Old Man River.
Jimbo hatte uns also angefleht, glamourös zu wirken. Ich glaube, er dachte, dass er, wenn wir uns aufdonnerten, trotz der alten, plüschigen Einrichtung und trotz unseres fortgeschrittenen Alters (ich war zweiunddreißig, und das in einer Stadt, wo viele Cocktailkellnerinnen minderjährige Ausreißerinnen sind) irgendeinen Yankee davon überzeugen konnte, dass der Highball ein exklusiver Club war und nicht eine sich drehende Touristenfalle. Na gut, warum nicht? Mein vorheriger Look (nervös und übermüdet) hatte mir nicht allzu viele Verabredungen eingebracht. Also fuhr ich zusammen mit Winnie zu Payless Shoes und kaufte mir einige Paar Stöckelschuhe. Außerdem besorgten wir uns Netzstrümpfe und Parfüm. Und dann gingen wir in Bobby's Bar und tranken Bier aus riesigen Dosen, bis wir keine Vierteldollars mehr für die Musikbox hatten.
Mit hochgekurbelten Fenstern und voll aufgedrehter Klimaanlage fuhr ich langsam zum Highball. Es war ein herrlicher Abend. Die Leute saßen auf den Stufen vor ihrer Tür, tranken aus Papiertüten und schauten den Kindern beim Fußballspielen zu. Ich war eine der wenigen Weißen in meinem Viertel und eine der zahlreichen Kampftrinkerinnen. Ich winkte Lady B zu, meiner Vermieterin, die auf ihrer Verandaschaukel saß und ihrer Tochter Lela die Haare flocht. Lady B erwiderte meinen Gruß mit einem Zwinkern.
Obwohl es nicht nötig war, fuhr ich die Canal Street entlang, vorbei an Harrah's. Drei Studenten, mit Halsketten behängt, saßen auf dem Gehweg vor dem Kasino. Ihre Augen waren glasig, und sie tranken nicht von ihren Riesen-Daiquiris. Sie starrten einfach auf die Straße, völlig erledigt. Sie waren typisch für diejenigen, die irgendwann aufstehen und den Fahrstuhl zum Highball besteigen würden. Mehr als einer meiner Gäste war schon auf seinem Samtsessel eingeschlafen.
Oben im Highball ging es ruhig her. Winnie lehnte an der Bar. Ihr enges Kleid ließ keinen Spielraum für auch nur einen Zentimeter Fantasie. Hinter dem Tresen mixte Peggy, die Yoga-Königin, einen Martini wie Tom Cruise, indem sie wild mit den Hüften wackelte. Ein paar Gäste sahen aus dem Fenster. Ein Pärchen knutschte wie besessen. Das Gute an einer sich drehenden Bar ist, dass eklige Gäste schnell aus dem Blickfeld verschwinden.
»Guck mal einer an!«, sagte Winnie, zeigte mit roten Fingernägeln auf mich und lachte heiser.
»Na und?«, fragte ich. »Das ist ein Chignon.«
Winnie und Peggy schauten sich an. Bisweilen überraschte ich sie.
Es war eine lange Nacht, und alle wollten Bourbon. Als meine Schicht zu Ende war, wollte sogar ich Bourbon anstelle meines üblichen Scotch. Peggy schenkte mir einen steifen Drink ein. »Ich habe Schiss vor morgen«, sagte ich zu ihr.
»Wieso?«
»Ich muss meiner Mutter sagen, dass ich über Weihnachten nicht nach Hause komme. Sie wird ausflippen.«
Peggy setzte sich auf den Hocker. Sie hatte ihre Augenbrauen vollkommen ausrasiert und dünne Striche gezogen. »Warum nicht?«, fragte sie.
»Was?«
»Warum fährst du nicht nach Hause?«, fragte Peggy. Sie goss sich selbst auch ein Glas Bourbon ein.
»Ach, das ist eine lange Geschichte«, sagte ich. »Erstens bin ich erwachsen und kann nicht zu jedem Feiertag nach New York fliegen, als ob ich noch im College wäre.«
»Ich war nie auf dem College«, sagte Peggy verträumt.
»Und meine Familie... na ja, die ist ein bisschen verkorkst, musst du wissen«, sagte ich.
»Wie das wohl wäre«, sagte Peggy.
»Was?«
Peggy nippte an ihrem Drink und guckte durch die riesigen Fenster auf die funkelnde Stadt unter uns. »Wer ich wohl geworden wäre«, sagte sie, »wenn ich aufs College gegangen wäre.«
»Ich bin aufs College gegangen«, sagte ich, »und ich bin auch hier.«
Peggy nickte. »Aber du bist du«, sagte sie.
Auf der Heimfahrt malte ich mir mein Weihnachten ganz für mich allein aus. Ich würde einen kleinen Baum für meine Wohnung kaufen und ihn mit Lichtern schmücken. Den Tag könnte ich im Kino verbringen oder im Napoleon House, wo ich ein Sandwich mit Salami, Käse und Olivensalat - das berühmte Muffaletta - essen und mich gemächlich durch eine Flasche roten Hauswein trinken würde. Winnie hatte mich bereits zum Truthahnessen eingeladen, und ich würde zuschauen, wie ihre Kinder die Geschenke aufmachten. Oder ich könnte Weihnachten arbeiten und einen Batzen Geld verdienen. Jimbo bezahlte doppelt an Feiertagen.
Ich würde mir meine Schwester Madeline und ihren Mann Ron, der Investmentbanker ist, nicht antun müssen. Und die Weihnachtsparty. Meine Mutter bestand darauf, die Weihnachtspartytradition aufrechtzuerhalten, indem sie uns Taftkleider tragen ließ und den Barkeeper aus dem Liquor Barn anheuerte. Sie machte immer dieselben Fleischbällchen, ein bisschen zu süß, und den Käseigel. Es muss eine Zeit gegeben haben, in der eine ungeheure Masse von orangefarbigem und rosa Käse, gespickt mit Nüssen und Petersilie, in Mode war, und meine Mutter hat sich über diese Zeit nicht hinausbewegt. Meine Mutter, die in den Sechzigern Model war, die Fondue liebte, die Käseigel machte und so strahlend lachte, dass ich am liebsten geweint hätte.
Im letzten Jahr trug ich die Kostümierung und wich Fragen über meine Karriere aus. (»Erzähl ihnen einfach, dass du noch rumprobierst«, hatte meine Mutter gesagt, »ich bitte dich.«) Ich trank zu viel Wein, lauschte den Investmentratschlägen meines Schwagers und stritt mich nicht mit Madeline.
Ich ging schlafen, ehe es zu einer Szene kam, aber mitten in der Nacht wachte ich auf. Die Gäste waren weg, und die Wohnung war still. Neben mir atmete meine Schwester langsam. An ihren geröteten Wangen klebten Haarsträhnen, und sie roch nach Gesichtscreme. Ich schaute sie an, die Krümmung ihrer Nase, ihre dünnen Lippen. Ihre Wimpern, von Mascara gesäubert, waren blass, und ihre Haut zierten spärliche Sommersprossen. In mancher Hinsicht war sie eine Fremde für mich, eine Upper-EastsideEhefrau, nervös und leicht beleidigt. Und dennoch, im Schein der Straßenlaterne vor dem Fenster war sie dasselbe Mädchen, das einst Du und ich sind unsere Familie zu mir gesagt und mich dabei mit ihrem Blick um ein Versprechen gebeten hatte. Ich berührte ihre Wange mit den Fingern, und sie bewegte sich, runzelte die Stirn, wachte jedoch nicht auf.
Unser Zimmer lag im zweiten Stock der Eigentumswohnung meiner Mutter, und ich ging nach unten, vorbei am Schlafzimmer meiner Mutter und am Arbeitszimmer, wo Ron auf der Ausziehcouch schlief. (Im ersten Jahr ihrer Ehe hatte Madeline zu Weihnachten zusammen mit ihm auf der unbequemen Couch geschlafen, aber seitdem schlief sie oben bei mir.) Ich hatte gehofft, einige übrig gebliebene Fleischbällchen zu finden oder mir aus dem Ahornrauchschinken der Harringtons und den kleinen Scheiben Roggenbrot ein Sandwich machen zu können. Also bahnte ich mir meinen Weg in Richtung Küche, doch während ich behutsam auftrat, um Ron nicht zu wecken, hörte ich etwas.
Ich wandte mich dem Geräusch zu und schloss die Augen. Es klang wie eine Art gedämpftes Atmen. Einen Moment lang überschwemmte mich eine Woge der Angst, denn ich dachte, es könnte ein Einbrecher sein, ein Räuber, Mörder oder Vergewaltiger, aber dann fiel mir ein, dass ich in einem Vorort von New York war und nicht in New Orleans, und dass die Wohnanlage meiner Mutter bewacht wurde. Ich trug Wollsocken und mein Weihnachtsnachthemd.
Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. In der Küche, neben der gläsernen Schiebetür, die auf die Terrasse führt, sah ich eine Gestalt: meine Mutter. »Mom?«, sagte ich.
Sie schaute auf, und ich erkannte, dass sie weinte. »Mom? Was ist los?«
»Nichts«, erwiderte sie. Sie blinzelte rasch und fuhr sich mit dem Ärmel ihres Bademantels über die Augen. Als ich bei ihr war - ein paar Sekunden später -, hatte sie sich gefasst. »Ich habe bloß über Weihnachten nachgedacht«, sagte sie mit einem falschen Unterton von Fröhlichkeit in der Stimme. Sie umklammerte das Bild in ihren Händen. Das verschwommene, aufgenommen vor Ewigkeiten an einem Herbstmorgen, als wir Ellie mit Blättern zugedeckt hatten.
»Oh Mom«, sagte ich.
»Nein«, sagte sie.
»Ich will nicht...«
»Caroline«, sagte meine Mutter ernst, »wir sprechen über Weihnachten und nur über Weihnachten.«
»Mom, es ist doch okay, wenn du sie vermisst.« »Hoffentlich kriege ich einen Kaschmirpullover«, sagte meine Mutter.
»Mom, wir müssen darüber reden«, sagte ich. »Sie ist weg. Es ist nicht deine Schuld.«
»Und vielleicht welche von diesen süßen Pelzfäustlingen.«
Vom Schoß meiner Mutter, wo sie in einem Schwarzweißfoto gefangen war, schaute meine verschollene Schwester lachend zu uns auf.
Genehmigte Lizenzausgabe für die Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2004 by MacAdam/Cage, San Francisco
Übersetzung: Almuth Carsten
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Bibliographische Angaben
- Autor: Amanda Eyre Ward
- 2010, 299 Seiten, Maße: 13,2 x 20,9 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868004033
- ISBN-13: 9783868004038
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