Samtpfoten im Schnee
Drei herzerwärmende Katzen-Geschichten:
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Samtpfoten im Schnee “
Drei herzerwärmende Katzen-Geschichten:
- Die junge Stephanie muss nach dem Tod ihres Vaters für sich selbst sorgen.
- Die kleine Joy spricht nicht mehr, seitdem ihre Mutter gestorben ist.
- Und Grace kann nur staunen, als der attraktive Alexander sie plötzlich als seine Verlobte ausgibt.
Lese-Probe zu „Samtpfoten im Schnee “
Samtpfoten im Schnee von Cathleen Clare, Wilma Counts und Debbie Raleigh1. Kapitel
... mehr
In Gedanken versunken streichelte Stephanie Fluffys weiches, glattes Fell und betrachtete dabei
die trostlose Dezember-Szenerie, die langsam am Fenster der Kutsche vorüberglitt. Die Reise von Kent nach Yorkshire war lang und unbequem gewesen, aber jetzt neigte sich die Fahrt ihrem Ende zu. Nach den Worten des Wirtes, bei dem sie zur Mittagsrast eingekehrt waren, würden sie in ungefähr einer Stunde und noch vor Einbruch der Dunkelheit ihr Ziel erreicht haben. Ihr Ziel war das Horse and Hound, das Gasthaus, das Stephanies Tante und deren Mann gehörte. Stephanie vermisste ihr Zuhause schon jetzt. In Kent sah man selbst im grauen Winter noch Grün. Doch hier, in der tristen Moorlandschaft Yorkshires, gab es scheinbar nichts, was das Auge erfreuen konnte. Was an Grün erspäht werden konnte, wurde sogleich von einem trüben Nebelschleier wieder verschluckt. Doch Stephanie kannte keine Schwermut und war daher entschlossen, aus der misslichen Situation das Beste zu machen.
Nach dem Tod ihres Vaters war das Familiengut einem entfernten Neffen zugefallen, einem ungehobelten Mann mit der Neigung zur Skrupellosigkeit. Dessen einziges Ansinnen war es gewesen, seine Verwandten aus seiner Sphäre zu entfernen, die aus endlosen Gesellschaften bestand, die er mit seinesgleichen veranstaltete. Stephanies Mutter waren nur das Witwenhaus und eine vierteljährliche Zuwendung geblieben. Lady Blythe und ihre Tochter erkannten recht schnell, dass es ihnen ganz und gar nicht zusagen würde, in dem verderbten Klima zu bleiben. Die ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel gestatteten ihnen jedoch bei weitem nicht, sich an einem anderen Ort einen eigenen Hausstand einzurichten. Von den vielen Briefen, die Lady Blythe an ihre zahlreichen Verwandten geschrieben hatte, war nur der an ihre jüngere Schwester von Erfolg gewesen. Und deshalb hatten Stephanie und ihre Mutter die Einladung angenommen, auf unbestimmte Zeit im Horse and Hound zu wohnen. Nichtsdestotrotz hatte Lady Blythe ungezählte Tränen über die Tatsache vergossen, dass sie an einem solchen Ort würden leben müssen. Aber selbst dies erschien besser, als im Umfeld von Blythe Manor auszuharren.
Stephanie wandte den Kopf und schaute ihre Mutter verstohlen von der Seite an. Lady Blythe, klein und dünn von Gestalt, hielt die schmalen Lippen fest zusammengepresst. Der Ärmsten musste das alles noch mehr zu schaffen machen als ihr selbst. Stephanie war eine hübsche, junge Frau, die mit ihren wohl geformten Rundungen mit dem harten Sitz und der herrschenden Kälte viel besser zurechtkam als die ältere Dame. Ihr Herz flog ihrer Mutter zu. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, sie hätten bis zum Frühjahr mit der Reise gewartet, doch Lady Blythe war entschlossen gewesen, ihre Tochter aus »der unglückseligen Sphäre dieses verabscheuungswürdigen Lebemannes« fortzubringen.
Als spüre sie deren besorgt-prüfenden Blick, sah Lady Blythe ihre Tochter an. »Sei nicht besorgt meinetwegen, Stephanie. Es geht mir gut - wenn ich auch zugeben muss, dass meine Füße beginnen, sich wie aus Eis anzufühlen. Der Fußwärmer ist schon seit langem kalt.«
»Vielleicht hat meiner die Wärme länger gespeichert.« Stephanie beugte sich hinunter, um den großen Speckstein zu ihrer Mutter hinüberzuschieben.
Lady Blythe lehnte das Angebot ab. »Den behältst du, mein Liebes. Ich bestehe darauf. Mir geht es gut.«
»Aber ...«
»Nein. Wir müssen doch darauf achten, dass deine hübschen Füße in der Verfassung bleiben, tanzen zu können.« Sie strich sich resigniert über die Stirn. »Obwohl ich nicht weiß, wozu. Wie könntest du in dieser Einöde einen passenden jungen Mann finden? O Stephanie, das ist es, was ich an dieser misslichen Lage am meisten verabscheue. Du solltest die Saison in London mitmachen - elegante Abendgesellschaften, Bälle und Opernbesuche. Und was erwartet uns stattdessen? Ein grässliches Gasthaus am Ende der Welt! Dein Vater war nicht ganz bei Verstand, als er dieses Testament verfasst hat. O nein, ganz gewiss war er das nicht!«
Stephanie zog es vor, dieses Thema zu vermeiden. Sie hob die Katze hoch und setzte sie ihrer Mutter auf den Schoß. »Fluffy ist schön warm. Wir könnten sie vielleicht dazu bewegen, sich auf deine Füße zu legen.«
»Du liebe Güte, nein! Sie würde dort unten erfrieren.« Lady Blythe lächelte schuldbewusst. »Wir verwöhnen dieses Tier ganz schrecklich, nicht wahr?«
»Ja, das tun wir, aber sie ist ja auch einzigartig.«
Lady Blythe streichelte die Katze, die laut zu schnurren begann. »Das ist sie wirklich, und außerdem ist sie in anderen Umständen.«
»Was?«
»Was ich dir sage. Wir werden bald Kätzchen haben.«
»Nein, Mama. Sie ist vom Nichtstun einfach ein bisschen dick geworden.«
Ihre Mutter lachte und strich sanft über Fluffys Bauch. »Aber nicht an dieser besonderen Stelle.«
»Oje.« Stephanie runzelte die Stirn. »Tante Caroline und Onkel George darum zu bitten, Fluffy aufzunehmen, ist schon sehr viel verlangt - aber jetzt auch noch Junge?«
»Solche Dinge geschehen nun einmal.« Lady Blythes Augen funkelten amüsiert. »O, das wird eine Überraschung werden für diesen ... Gastwirt!«
Stephanie schaute Rose an, die Zofe ihrer Mutter, die ihnen gegenübersaß. »Was meinst du?«
Das Mädchen lächelte. »Ich glaube, Lady Blythe hat Recht.«
Stephanie seufzte. »Was sollen wir tun, Mama? Wie sollen wir ein Heim für die Kätzchen finden?«
»Ich bin überzeugt, Caroline kennt viele Leute, die ihnen ein gutes Zuhause geben werden. Außerdem sind kleine Katzen geradezu anbetungswürdig.« Lady Blythe umarmte Fluffy. »Wir werden es Caroline und diesem Gastwirt zunächst noch nicht sagen ... Wir werden ihnen Zeit lassen zu sehen, wie reizend Fluffy ist. Ich freue mich auf die Katzenbabys - fast so sehr, wie ich mich über ein Enkelkind freuen würde! Nun ja, mit dieser Freude werde ich wohl nie gesegnet sein.«
Stephanie errötete. »Also wirklich, Mutter. Müssen wir dieses Thema wieder aufgreifen?«
»Es ist doch wahr! Gewiss, es gibt Mitglieder des Adels, die in Yorkshire Landgüter besitzen, aber ich bezweifle, dass wir sie je zu Gesicht bekommen werden. Und deshalb ...«, sie tupfte sich mit dem parfümierten Taschentuch graziös die Nase, »... und deshalb müssen wir uns der Realität stellen. Deine Tante Caroline hat die Grenzen des Erlaubten überschritten und sich gleichsam weggeworfen, als sie diesen Gastwirt geheiratet hat. Und die Folge davon ist, dass keine Person von Stand von uns Notiz nehmen wird.«
»Ihr Ehemann hat einen Namen«, murmelte Stephanie.
»Pah! Wen kümmert das?«
»Er ist mein Onkel und dein Schwager.«
Lady Blythe verdrehte die Augen. »Erinnere mich nicht daran. Es war der traurigste Tag der Welt, als Caroline mit diesem Mann davongelaufen ist. Niemand von uns konnte sich erklären, wo sie ihm begegnet ist. Andererseits hat es Caroline immer gefallen, allein auszureiten. Sie hat sich einen Spaß daraus gemacht, den Stallburschen abzuhängen. Vermutlich hat sie ihn so kennen gelernt.«
»Ich frage mich, warum Onkel George damals nach Kent gekommen ist.«
»Ohne Zweifel, um Ausschau nach jungen Damen zu halten und sie zu entführen.«
»O Mama, bitte sprich nicht so schlecht von unseren Verwandten«, bat Stephanie. »Sie haben uns ein Heim angeboten. Wir müssen ihnen mit größter Freundlichkeit und Höflichkeit begegnen.«
»Diesem Mann?«, schnaubte ihre Mutter. »Merk dir meine Worte - ich werde ihm meine Meinung sagen, noch ehe wir vierundzwanzig Stunden dort gewesen sein werden!«
»Das darfst du nicht!«
Lady Blythe lächelte. »Wahrscheinlich wartet er nur darauf.«
»Dann überrasche ihn. Tue es nicht. Du bist eine Dame. Zeige ihm, wie eine Dame sich benimmt.«
Ihre Mutter schaute schweigend aus dem Fenster, lächelte vor sich hin und streichelte die Katze.
Stephanie verzichtete auf weiteres Bitten und betrachtete die gleichförmige Landschaft. Eine Schneeflocke fiel vom Himmel, bald folgten ihr weitere. Obwohl Stephanie den Schnee liebte, hoffte sie doch, dass er nicht stärker fallen würde, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Wenn die Straße unter einer Schneedecke verschwand, würde man sich sehr leicht auf dem Moor verirren können. Sie zog ihren Umhang fester um die Schultern.
»Ah, die Zivilisation«, verkündete Lady Blythe.
Stephanie schaute nach vorn. Sie sah ein Bauernhaus und dessen Nebengebäude auftauchen, dem bald andere Gehöfte folgten. Ein Dorf lag vor ihnen. »Ich hoffe, das ist das Ziel unserer Reise.«
Ihre Mutter sah ziemlich grimmig aus. »Ich fürchte, das ist es. O Liebes, jetzt werde ich nicht mehr die Dame der guten Gesellschaft sein, die geachtet und respektiert wird!«
»Unsinn!«, rief ihre Tochter. »Du bist Lady Blythe, die Witwe eines Baronets und die Tochter eines Earls! Die Leute werden dich immer respektieren.«
»Nicht dieser Mann.«
Stephanie biss die Zähne zusammen und sagte nichts mehr, während die Kutsche in die Straße mit dem Kopfsteinpflaster einbog. Am Ende des kleinen Ortes prangte das auffällige Schild des Horse and Hound am Straßenrand. Die Funken stoben von den Hufeisen auf, als der Kutscher das Gefährt durch das Tor lenkte. Sofort kam ein Stallknecht herbeigelaufen, um in die Zügel des Leitpferdes zu greifen. Ihm dicht auf den Fersen folgten Tante Caroline und Onkel George, die den Ankömmlingen fröhlich zuwinkten.
Stephanie betrachtete das Paar. Tante Caroline war von rundlicher Gestalt und wirkte mütterlich. Ihre Gesichtszüge waren denen ihrer Schwester sehr ähnlich, und sie hatte die gleichen schönen blauen Augen und das silbrig glänzende Haar wie diese. Onkel George war groß und kräftig gebaut, trug einen Vollbart und hatte freundlich blickende braune Augen. Keiner von ihnen war nach dem letzten Schrei der Mode gekleidet, aber in dieser Umgebung schien das auch ohne Bedeutung zu sein. Instinktiv mochte Stephanie die beiden. Alles würde gut werden - es sei denn, ihre Mutter verursachte Probleme.
Onkel George klappte den Tritt der Kutsche herunter, öffnete den Schlag und reichte Lady Blythe die Hand. »Willkommen, Dotty! Und da ist ja auch die kleine Stephanie ... nun, so klein ist sie ja nicht mehr, nicht wahr?« Als er Rose zunickte, runzelte er kaum merklich die Stirn. »Seid uns auch willkommen, Miss.«
»Sie ist keine >Miss‹«, korrigierte Lady Blythe ihn gereizt und reichte ihrer Tochter die Katze. »Sie ist meine Zofe Rose. Und ich bin Lady Blythe.«
»Jawohl, Ma'am.« Er zwinkerte ihr zu und half ihr beim Aussteigen. Kaum hatte sie die Kutsche verlassen, wurde sie von ihrer Schwester in die Arme geschlossen.
»Miss Stephanie.« Er half Stephanie heraus und umarmte sie so herzlich, dass er Fluffy dabei fast zerquetschte. »Oder vielleicht >Steffy‹ - als Abkürzung? Mein Junge hieß Stephen, ich hab ihn Steffy genannt. Unser einziges Kind. Es ist gestorben, als er drei war.«
»Das tut mir Leid«, sagte Stephanie mitfühlend, »aber Ihr könnt mich nennen, wie Ihr wollt.«
»Dann also Steffy! Du hast eine Katze dabei, wie ich sehe.«
»Ja, Sir. Ich hoffe, sie darf hier bleiben. Sie weiß sich zu benehmen.«
»Von mir aus, auf eine Katze mehr oder weniger kommt's nicht an.« Er lachte.
Sie befürchtete plötzlich, Fluffy würde im Stall leben müssen. »Sie ist eine Hauskatze, Sir. Sie hat eine besondere Kiste, in der sie ... oh ... wo sie ihre Bedürfnisse erledigt. Ich halte die Kiste sehr sauber. Ihr werdet nichts merken ... ich meine, irgendeinen ... hm ... Geruch.«
Er zuckte die Schultern. »Mach mit ihr, was du willst. Und Schluss mit diesem Sir-Gerede! Ich bin dein Onkel George.«
»Danke, Onkel George.«
Er winkte ab und wandte sich dann zu Rose, um ihr zu helfen. »Nun, Miss Rose, werdet Ihr auch eine Weile bei uns bleiben?«
Rose sandte einen Hilfe suchenden Blick zu Stephanie. »Rose ist Mutters Zofe, Onkel George. Mama kommt ohne sie nicht zurecht.«
»Verstehe.« Er klopfte Rose auf die Schulter. »Seid Ihr bereit, die Pflichten eines Schankmädchens zu übernehmen? Jeder im Horse and Hound arbeitet.«
Lady Blythe schnappte diese Bemerkung auf. »Was genau meinst du damit, George?«
»Ich meine damit, was ich sage, Dotty. Wir sind nicht reich. Wir arbeiten, und wir arbeiten hart. Das ist der Grund, warum das Horse and Hound das beste Gasthaus weit und breit ist.«
»Nun, ich werde nicht den Gastwirt spielen!«, teilte Ihre Ladyschaft herablassend mit.
»Nein.« Er grinste fröhlich. »Der Titel steht nur mir zu.« »Und ich werde auch nicht das Schankmädchen für dich spielen!«
Tante Caroline ergriff ihre Schwester rasch am Arm und zog sie mit sich. »Das ist doch jetzt ganz nebensächlich! Lass uns hineingehen. Es ist zu kalt, um sich hier draußen zu unterhalten.«
»Ich bin eine Dame, kein Arbeitstier!«, hörte Stephanie ihre Mutter unmissverständlich verkünden, während sie die Gaststube betraten.
Oje! Es war Stephanie gar nicht in den Sinn gekommen, dass ihre Tante und ihr Onkel von ihnen erwarteten mitzuarbeiten. Andererseits schien es nur vernünftig zu sein. Onkel George und Tante Caroline waren Geschäftsleute, die offensichtlich hart arbeiteten. Und schließlich waren sie, ihre Mutter, Rose und Fluffy hier nicht auf Besuch. Sie würden ständige Bewohner sein. Also mussten sie sich auch in die Pflichten und Erforderlichkeiten schicken.
Stephanie biss sich auf die Lippen. Es machte ihr nichts aus zu arbeiten. Sie hatte einen gesunden, starken Rücken! Fluffy war ein guter Mäusejäger. Rose könnte gewiss die Betten machen und die Zimmer reinigen. Aber ihre Mutter? Was könnte ihre Mutter tun, oder besser gefragt, was würde sie tun? Stephanie blieb nur zu hoffen, dass sie ihren Teil der Arbeit tun und den ihrer Mutter zusätzlich übernehmen könnte. Damit wäre Onkel George sicher einverstanden! Denn die Arbeit würde gemacht werden. Es war egal, wer sie erledigte.
Die Gaststube des Horse and Hound war warm und anheimelnd. Das alte Eichenholz glänzte vom vielen Polieren mit Wachs, der Rauch des Kamins und vieler Tabakspfeifen hatte es dunkel gefärbt. Kerzenhalter aus schimmerndem Kupfer hingen über den runden, mit Schnitzwerk geschmückten Eichentischen, an denen einige Gäste saßen. Im riesigen Kamin brannten große Holzscheite.
Als Tante Caroline sie durch den großen Gastraum führte, begrüßten bewundernde Pfiffe den Eintritt der Gäste.
»Seid still!«, rief Onkel George. »Dies hier ist die Familie meiner Frau!«
»Was für ein abscheuliches Benehmen!« Lady Blythe rümpfte die Nase, als nähme sie einen besonders üblen Geruch wahr.
»Nun, sie meinen es nicht böse«, erklärte George.
»Keine von uns wird diesen Raum wieder betreten«, verkündete sie.
»Du wirst es müssen, es sei denn, du willst die Hintertür benutzen«, konterte er.
»Lasst uns rasch weitergehen«, flehte Tante Caroline.
Der Salon, in den sie geführt wurden, unterschied sich ganz und gar vom dunklen Tudorstil der Schankstube. Die oberen zwei Drittel der Wände waren mit Stofftapeten bespannt, die in Blau und Creme gehalten waren. Der Teil unterhalb der Stuhlleiste zeigte ein tiefdunkles Blau. Dazu passende bodenlange Vorhänge aus Voile schmückten die Fenster. Die Möbel waren aus Walnussholz, die Polsterungen aus einem mattgolden glänzenden Gewebe. Ein AubussonTeppich in Blau und Gold bedeckte den Boden.
»Es ist wunderschön!«, rief Stephanie spontan.
Lady Blythe ließ sich zu einem Lob herab. »Recht hübsch, Caroline.«
»Das hat alles meine Frau gemacht«, erklärte Onkel George voller Stolz. »Ich wüsste bei solchen Dingen gar nicht, wo ich anfangen sollte.«
»Natürlich nicht«, bemerkte Lady Blythe süffisant.
Tante Caroline errötete. »Es ist nicht alles mein Werk.
Meine Güte, George, ich habe nur die Vorhänge und die Kissen gemacht.«
»Nun, aber du hast dir das alles ausgedacht! Du hast den Handwerkern gesagt, wie sie es machen sollen.«
»Ja, das schon«, bestätigte sie verlegen.
»Wird dies mein Wohn- und Esszimmer sein?«, fragte Lady Blythe unvermittelt. »Wenn ja, bin ich ganz damit einverstanden.«
»Dieses Zimmer vermieten wir zu einem sehr hohen Preis - nur wenn die Aussichten darauf trübe aussehen, so wie heute Abend, senken wir den Preis ein wenig«, erklärte George. »Wenn es nicht vermietet wird, darfst du es benutzen.«
»Du knickriger, Geld hortender alter Brummbär!«, fauchte Lady Blythe. »Ich bin es nicht gewohnt, auf so eine gemeine Art behandelt zu werden. Wo ist Carolines und dein Wohnzimmer?«
»Hier entlang.« Er verbeugte sich und führte sie zur Tür. »Warte, George«, mischte sich Tante Caroline ein. »Ich dachte, wir würden heute in diesem hübschen Zimmer zu Abend essen, um die Ankunft unserer Verwandten zu feiern.«
»Nichts da! Das ist kein Grund, ihn schmutzig zu machen.« Er grinste viel sagend. »Es sei denn, Dotty will ihn morgen Früh putzen.«
Lady Blythe straffte die Schultern und zog ihren Hals zurück wie eine erboste Gans.
»Oje, Stephanie«, stöhnte Tante Caroline. »Ich fürchte, die beiden werden nie aufhören, die Klingen miteinander zu kreuzen.«
Stephanie sah die arrogant-herausfordernde Miene ihrer Mutter und die funkelnden Augen ihres Onkels. »Ich schwöre und bin fest davon überzeugt, dass sie Gefallen daran finden, die Klingen miteinander zu kreuzen.« Sie lachte.
Lady Blythe verzog den Mund, und Onkel George grinste breit.
»Sie ist wirklich eine ganz passable Kontrahentin«, bestätigte er und führte seine Schwägerin in das Wohnzimmer der Familie.
Bis hierhin hatte das Dekorationstalent der armen Tante Caroline allerdings nicht gereicht. Der Salon war sauber, aber sehr einfach. Die Risse in den Spitzenvorhängen waren nur allzu offensichtlich, ebenso wie die auffälligen Dellen in den gepolsterten Sitzmöbeln.
»Irgendwann werden wir alle Räume im Gasthaus neu machen«, erklärte Tante Caroline. »Aber die Gäste stehen an erster Stelle.«
»Wir werden hier essen«, verkündete Onkel George und betätigte den Glockenzug. »Ich fühle mich hier ohnehin wohler.«
»Warum überrascht mich das nicht?«, warf Lady Blythe ein. »So ein Esel! Vermutlich ist dies hier noch besser als das, womit du groß geworden bist.«
»Das ist es in der Tat.« Onkel George ließ sich in seinem Lieblingssessel nieder und steckte seine Pfeife an.
Lady Blythe hüstelte.
Um nicht Zeuge des unvermeidlichen Schlagabtausches zu werden, ging Stephanie zum Fenster hinüber, das an der Rückseite des Zimmers lag. Es war inzwischen so dunkel, dass sie nicht sehen konnte, ob Tante Caroline einen Garten hatte. Ganz vage konnte sie die Dächer zahlreicher Nebengebäude erahnen. Vermutlich waren das die Ställe und Remisen.
Tante Caroline gesellte sich zu ihr. »Wegen der Arbeit, von der George gesprochen hat ...«
Stephanie wandte sich zu ihr. »Mach dir darüber keine Gedanken. Ich kann meinen Teil beitragen, ebenso wie Rose, aber Mama ...«
»Ja, ich weiß.«
»Ich bin bereit, auch ihren Teil zu übernehmen«, sagte Stephanie entschlossen.
»Ich habe George gesagt, dass Dorothy aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt ist. Ich habe mich gefragt, ob es zu weit unter ihrer Würde wäre, das Nähen zu übernehmen.«
Stephanies Lebensgeister hoben sich. »Gewiss nicht. Sie ist zwar nur an feine Handarbeiten gewöhnt, aber ich denke, ich kann sie davon überzeugen, diese Pflicht zu übernehmen. Sie wird sich natürlich darüber beklagen, mit Dingen umgehen zu müssen, die Fremde benutzt haben, aber letztlich hoffe ich mich durchzusetzen.«
»Die Sachen sind alle gewaschen, ehe sie sie überhaupt zu Gesicht bekommen wird!«, rief Caroline. »Ich bestehe auf Sauberkeit im Horse and Hound. In diesem Haus wird es niemals auch nur eine Laus oder einen Floh geben!«
»Dessen bin ich sicher.« Stephanie lächelte. »Fluffy wird auch helfen. Sie ist eine ausgezeichnete Mäusejägerin.«
»Vielleicht kann sie unserem alten Sarum noch ein paar neue Tricks beibringen«, lachte Tante Caroline.
»Ihr habt eine Katze?«
»Aber ja. Jedes Gasthaus braucht eine Katze, genau genommen sogar mehr als eine! Sarum wird allmählich alt und verbringt die meiste Zeit damit, sich vor dem Feuer auszuruhen.« Sie lächelte. »Aber von Zeit zu Zeit, wenn er seine alten Knochen wieder durchgewärmt hat, begibt er sich auf die Jagd. Wir könnten schon seit längerem eine neue Katze brauchen, haben uns bis jetzt aber noch nicht darum kümmern können.«
Stephanie fühlte sich erleichtert. »Fluffy wird auf jede mögliche Weise helfen!«
Zwei Mägde betraten das Zimmer, um den Tisch einzudecken und das Abendessen aufzutragen. Sie nahmen Rose mit sich hinaus in die Küche, als sie gingen. Onkel George aß in völligem Schweigen. Fluffy streifte durch das Zimmer und beschnupperte die Spalten und Ritzen in den Holzverkleidungen, während Stephanie sorgsam darauf achtete, dass die Katze nicht in die Nähe des Tisches kam.
Unglücklicherweise brachte Tante Caroline das Thema Arbeit zur Sprache. »Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du das Nähen übernehmen könntest, Dorothy. Deine Stickereien waren immer hervorragend.«
Lady Blythe nickte freundlich. »Stickereien, feine Nadelarbeiten ... das würde mir gefallen.«
»Ich meine das Nähen von Laken und Kopfkissen.«
»Aber darum kümmern sich doch die Näherinnen. Sind sie zurück in ihrer Arbeit?«
Tante Caroline lächelte verlegen. »Ich habe keine Näherinnen. Das mache ich alles. Manchmal, wenn es zu viel wird, bitte ich eines der Mädchen um Hilfe, aber sie stellen sich nicht sehr geschickt an. Dorothy, du könntest mir unendlich helfen, wenn du diese Aufgabe übernehmen würdest.«
Unter dem Tischtuch kreuzte Stephanie die Finger. »Es geht nur um kleine Ausbesserungen, und die Wäsche ist sauber, Mama.«
»Nein, kein ...«
»Es ist auch körperlich nicht so anstrengend wie das Bettenmachen«, redete sie ihrer Mutter gut zu.
Onkel George hielt beim Essen inne und ließ ein ungeduldiges Schnauben vernehmen.
»Mama, wir müssen unseren Teil beitragen«, drängte Stephanie. »Das ist nur gerecht.«
Lady Blythes Augen füllten sich mit Tränen. »Ich befürchte, das müssen wir. Oh, warum hat dein Vater uns in einer so schrecklichen Situation zurückgelassen? Almosen annehmen zu müssen, nichts anderes ist das. Und das von dir, George! Mein Leben als Lady ist für immer vorbei, es sei denn, dass Stephanie ... es sei denn, es gibt einen reichen adligen Junggesellen in der Nachbarschaft ...« Sie schaute Caroline hoffnungsvoll an.
Ihre Schwester schüttelte den Kopf. »Es tut mir Leid, Dorothy. Einen solchen gibt es hier nicht. Aber es gäbe da einige Bauernsöhne, die nach hiesigen Maßstäben eines Tages als recht wohlhabend gelten werden und in Frage kämen.«
»Nicht einmal ein verwitweter Squire?«
»Der hier ansässige Squire ist ein junger Mann mit einer Ehefrau und kleinen Kindern.«
Lady Blythe brach in Tränen aus.
»Komm, ich werde dir dein Zimmer zeigen«, versuchte Tante Caroline ihre Schwester zu beruhigen und half ihr auf. »Stephanie ...«, jammerte Lady Blythe.
»Gestatte ihr, das Abendessen zu beenden«, unterbrach Tante Caroline sie. »Ihr wird schon nichts geschehen.« »Solange George nicht vulgär wird.«
»Um Himmels willen!« Energisch führte Caroline ihre Schwester aus dem Zimmer.
Stephanie aß in bedrücktem Schweigen weiter, bis Onkel George sich zu einem Kommentar veranlasst sah. »Ohne Zweifel ist es ein Abstieg. Die große Dame, die in einem Herrenhaus wohnt, und das alles. Auch für dich ist es hart. Dienstboten, edle Speisen, schöne Kleider. Ihr habt ja nie etwas anderes gekannt. Es war schwer für Caroline, ich weiß, aber wir ... wir haben uns geliebt.« Er errötete heftig und wiegte den Kopf. »Da hat sich nichts geändert, was das betrifft.«
»Das ist wunderbar«, sagte Stephanie leise. »Danke, dass du es mir erzählt hast.«
»Arme alte Dorothy, vielleicht wird sie sich nie an all dies hier gewöhnen. Schätze, ich war zu grob zu ihr.«
»Mach dir keine Gedanken über Mutters Anteil an der Arbeit«, erklärte Stephanie ernst. »Ich bin stark, und ich bin bereit mitzuarbeiten. Ich denke, dass es faszinierend sein muss, ein Gasthaus zu führen.«
Onkel George sah sie ungläubig an.
»Ja, wirklich!«, bekräftigte sie. »Von überall her kommen die Menschen in dieses Haus, und jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte. Es muss dich sehr stolz machen, es deinen Gästen so behaglich zu machen, dass sie sich hier wohl fühlen.«
»Das bin ich, Steffy.« Er lächelte breit. »Es ist nicht einfach, jeden zufrieden zu stellen.«
»Ich freue mich wirklich sehr darauf, zu lernen und mit anzupacken.«
»Vielleicht gefällt es dir ja so gut, dass du das Gasthaus einmal führen wirst, wenn Caroline und ich zu alt dafür sein werden.« Er schmunzelte. »Es sei denn, du entscheidest dich für das Leben auf einem Bauernhof!«
Obwohl sie es ihn, ihre Tante und ganz bestimmt ihre Mutter niemals merken lassen würde, fühlte Stephanie, wie ihr bei dieser Vorstellung der Mut sank. Sie wollte eines Tages einen Ehemann haben, aber einen Bauernsohn? Dabei musste sie an eine von Schweiß triefende Stirn und an schmutzige Fingernägel denken. O nein! Einen solchen Mann würde es in ihrer Zukunft ganz gewiss nicht geben.
Der Mann, von dem sie träumte, musste zwar kein Adliger sein, aber das, was die Gesellschaft als einen Gentleman ansah. Er musste nicht reich sein, obwohl sie durchaus angenehm fände, wenn er wohlhabend wäre. Und er musste sie lieben - das vor allem.
Es schien nicht sehr wahrscheinlich, einen solchen Mann in dieser Gegend zu finden. Und wenn nicht ... nun, dann würde sie vermutlich nie heiraten. Dann würde sie die beste Gastwirtin des ganzen Landes werden.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, begann Onkel George davon zu sprechen, durch welche Schule sie würde gehen müssen. »Da ist zuallererst die Küche. Das Essen ist sehr wichtig, und deine Tante kocht unvergleichlich gut.«
»Dieses Essen schmeckt in der Tat köstlich«, bestätigte Stephanie.
»Das tut es. Komm, wir werden mit einem Krug Ale auf gutes Gelingen anstoßen!«
»Ich habe noch nie Ale getrunken«, gestand sie.
»Dann ist es Zeit, das nachzuholen. Wie willst du sonst wissen, ob deine Händler dich betrügen, wenn du nichts über das Produkt weißt?«
Stephanie nickt. »Das ist wahr.«
Onkel George ging in die Schankstube und kehrte mit zwei schaumgekrönten Krügen zurück. Sie schoben die Stühle vor den Kamin und tranken das bittere Gebräu. Stephanie konnte ihm nicht allzu viel abgewinnen, ihr Onkel jedoch begann, von dessen Vollmundigkeit und guter Qualität zu schwärmen. Sie dachte, dass er Recht damit habe, ihr alles darüber beibringen zu wollen. Aber wenn ihre Mutter sie jetzt sähe ... oje, der Schlag würde sie treffen!
...
Übersetzung: Susanne Kregeloh
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
In Gedanken versunken streichelte Stephanie Fluffys weiches, glattes Fell und betrachtete dabei
die trostlose Dezember-Szenerie, die langsam am Fenster der Kutsche vorüberglitt. Die Reise von Kent nach Yorkshire war lang und unbequem gewesen, aber jetzt neigte sich die Fahrt ihrem Ende zu. Nach den Worten des Wirtes, bei dem sie zur Mittagsrast eingekehrt waren, würden sie in ungefähr einer Stunde und noch vor Einbruch der Dunkelheit ihr Ziel erreicht haben. Ihr Ziel war das Horse and Hound, das Gasthaus, das Stephanies Tante und deren Mann gehörte. Stephanie vermisste ihr Zuhause schon jetzt. In Kent sah man selbst im grauen Winter noch Grün. Doch hier, in der tristen Moorlandschaft Yorkshires, gab es scheinbar nichts, was das Auge erfreuen konnte. Was an Grün erspäht werden konnte, wurde sogleich von einem trüben Nebelschleier wieder verschluckt. Doch Stephanie kannte keine Schwermut und war daher entschlossen, aus der misslichen Situation das Beste zu machen.
Nach dem Tod ihres Vaters war das Familiengut einem entfernten Neffen zugefallen, einem ungehobelten Mann mit der Neigung zur Skrupellosigkeit. Dessen einziges Ansinnen war es gewesen, seine Verwandten aus seiner Sphäre zu entfernen, die aus endlosen Gesellschaften bestand, die er mit seinesgleichen veranstaltete. Stephanies Mutter waren nur das Witwenhaus und eine vierteljährliche Zuwendung geblieben. Lady Blythe und ihre Tochter erkannten recht schnell, dass es ihnen ganz und gar nicht zusagen würde, in dem verderbten Klima zu bleiben. Die ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel gestatteten ihnen jedoch bei weitem nicht, sich an einem anderen Ort einen eigenen Hausstand einzurichten. Von den vielen Briefen, die Lady Blythe an ihre zahlreichen Verwandten geschrieben hatte, war nur der an ihre jüngere Schwester von Erfolg gewesen. Und deshalb hatten Stephanie und ihre Mutter die Einladung angenommen, auf unbestimmte Zeit im Horse and Hound zu wohnen. Nichtsdestotrotz hatte Lady Blythe ungezählte Tränen über die Tatsache vergossen, dass sie an einem solchen Ort würden leben müssen. Aber selbst dies erschien besser, als im Umfeld von Blythe Manor auszuharren.
Stephanie wandte den Kopf und schaute ihre Mutter verstohlen von der Seite an. Lady Blythe, klein und dünn von Gestalt, hielt die schmalen Lippen fest zusammengepresst. Der Ärmsten musste das alles noch mehr zu schaffen machen als ihr selbst. Stephanie war eine hübsche, junge Frau, die mit ihren wohl geformten Rundungen mit dem harten Sitz und der herrschenden Kälte viel besser zurechtkam als die ältere Dame. Ihr Herz flog ihrer Mutter zu. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, sie hätten bis zum Frühjahr mit der Reise gewartet, doch Lady Blythe war entschlossen gewesen, ihre Tochter aus »der unglückseligen Sphäre dieses verabscheuungswürdigen Lebemannes« fortzubringen.
Als spüre sie deren besorgt-prüfenden Blick, sah Lady Blythe ihre Tochter an. »Sei nicht besorgt meinetwegen, Stephanie. Es geht mir gut - wenn ich auch zugeben muss, dass meine Füße beginnen, sich wie aus Eis anzufühlen. Der Fußwärmer ist schon seit langem kalt.«
»Vielleicht hat meiner die Wärme länger gespeichert.« Stephanie beugte sich hinunter, um den großen Speckstein zu ihrer Mutter hinüberzuschieben.
Lady Blythe lehnte das Angebot ab. »Den behältst du, mein Liebes. Ich bestehe darauf. Mir geht es gut.«
»Aber ...«
»Nein. Wir müssen doch darauf achten, dass deine hübschen Füße in der Verfassung bleiben, tanzen zu können.« Sie strich sich resigniert über die Stirn. »Obwohl ich nicht weiß, wozu. Wie könntest du in dieser Einöde einen passenden jungen Mann finden? O Stephanie, das ist es, was ich an dieser misslichen Lage am meisten verabscheue. Du solltest die Saison in London mitmachen - elegante Abendgesellschaften, Bälle und Opernbesuche. Und was erwartet uns stattdessen? Ein grässliches Gasthaus am Ende der Welt! Dein Vater war nicht ganz bei Verstand, als er dieses Testament verfasst hat. O nein, ganz gewiss war er das nicht!«
Stephanie zog es vor, dieses Thema zu vermeiden. Sie hob die Katze hoch und setzte sie ihrer Mutter auf den Schoß. »Fluffy ist schön warm. Wir könnten sie vielleicht dazu bewegen, sich auf deine Füße zu legen.«
»Du liebe Güte, nein! Sie würde dort unten erfrieren.« Lady Blythe lächelte schuldbewusst. »Wir verwöhnen dieses Tier ganz schrecklich, nicht wahr?«
»Ja, das tun wir, aber sie ist ja auch einzigartig.«
Lady Blythe streichelte die Katze, die laut zu schnurren begann. »Das ist sie wirklich, und außerdem ist sie in anderen Umständen.«
»Was?«
»Was ich dir sage. Wir werden bald Kätzchen haben.«
»Nein, Mama. Sie ist vom Nichtstun einfach ein bisschen dick geworden.«
Ihre Mutter lachte und strich sanft über Fluffys Bauch. »Aber nicht an dieser besonderen Stelle.«
»Oje.« Stephanie runzelte die Stirn. »Tante Caroline und Onkel George darum zu bitten, Fluffy aufzunehmen, ist schon sehr viel verlangt - aber jetzt auch noch Junge?«
»Solche Dinge geschehen nun einmal.« Lady Blythes Augen funkelten amüsiert. »O, das wird eine Überraschung werden für diesen ... Gastwirt!«
Stephanie schaute Rose an, die Zofe ihrer Mutter, die ihnen gegenübersaß. »Was meinst du?«
Das Mädchen lächelte. »Ich glaube, Lady Blythe hat Recht.«
Stephanie seufzte. »Was sollen wir tun, Mama? Wie sollen wir ein Heim für die Kätzchen finden?«
»Ich bin überzeugt, Caroline kennt viele Leute, die ihnen ein gutes Zuhause geben werden. Außerdem sind kleine Katzen geradezu anbetungswürdig.« Lady Blythe umarmte Fluffy. »Wir werden es Caroline und diesem Gastwirt zunächst noch nicht sagen ... Wir werden ihnen Zeit lassen zu sehen, wie reizend Fluffy ist. Ich freue mich auf die Katzenbabys - fast so sehr, wie ich mich über ein Enkelkind freuen würde! Nun ja, mit dieser Freude werde ich wohl nie gesegnet sein.«
Stephanie errötete. »Also wirklich, Mutter. Müssen wir dieses Thema wieder aufgreifen?«
»Es ist doch wahr! Gewiss, es gibt Mitglieder des Adels, die in Yorkshire Landgüter besitzen, aber ich bezweifle, dass wir sie je zu Gesicht bekommen werden. Und deshalb ...«, sie tupfte sich mit dem parfümierten Taschentuch graziös die Nase, »... und deshalb müssen wir uns der Realität stellen. Deine Tante Caroline hat die Grenzen des Erlaubten überschritten und sich gleichsam weggeworfen, als sie diesen Gastwirt geheiratet hat. Und die Folge davon ist, dass keine Person von Stand von uns Notiz nehmen wird.«
»Ihr Ehemann hat einen Namen«, murmelte Stephanie.
»Pah! Wen kümmert das?«
»Er ist mein Onkel und dein Schwager.«
Lady Blythe verdrehte die Augen. »Erinnere mich nicht daran. Es war der traurigste Tag der Welt, als Caroline mit diesem Mann davongelaufen ist. Niemand von uns konnte sich erklären, wo sie ihm begegnet ist. Andererseits hat es Caroline immer gefallen, allein auszureiten. Sie hat sich einen Spaß daraus gemacht, den Stallburschen abzuhängen. Vermutlich hat sie ihn so kennen gelernt.«
»Ich frage mich, warum Onkel George damals nach Kent gekommen ist.«
»Ohne Zweifel, um Ausschau nach jungen Damen zu halten und sie zu entführen.«
»O Mama, bitte sprich nicht so schlecht von unseren Verwandten«, bat Stephanie. »Sie haben uns ein Heim angeboten. Wir müssen ihnen mit größter Freundlichkeit und Höflichkeit begegnen.«
»Diesem Mann?«, schnaubte ihre Mutter. »Merk dir meine Worte - ich werde ihm meine Meinung sagen, noch ehe wir vierundzwanzig Stunden dort gewesen sein werden!«
»Das darfst du nicht!«
Lady Blythe lächelte. »Wahrscheinlich wartet er nur darauf.«
»Dann überrasche ihn. Tue es nicht. Du bist eine Dame. Zeige ihm, wie eine Dame sich benimmt.«
Ihre Mutter schaute schweigend aus dem Fenster, lächelte vor sich hin und streichelte die Katze.
Stephanie verzichtete auf weiteres Bitten und betrachtete die gleichförmige Landschaft. Eine Schneeflocke fiel vom Himmel, bald folgten ihr weitere. Obwohl Stephanie den Schnee liebte, hoffte sie doch, dass er nicht stärker fallen würde, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Wenn die Straße unter einer Schneedecke verschwand, würde man sich sehr leicht auf dem Moor verirren können. Sie zog ihren Umhang fester um die Schultern.
»Ah, die Zivilisation«, verkündete Lady Blythe.
Stephanie schaute nach vorn. Sie sah ein Bauernhaus und dessen Nebengebäude auftauchen, dem bald andere Gehöfte folgten. Ein Dorf lag vor ihnen. »Ich hoffe, das ist das Ziel unserer Reise.«
Ihre Mutter sah ziemlich grimmig aus. »Ich fürchte, das ist es. O Liebes, jetzt werde ich nicht mehr die Dame der guten Gesellschaft sein, die geachtet und respektiert wird!«
»Unsinn!«, rief ihre Tochter. »Du bist Lady Blythe, die Witwe eines Baronets und die Tochter eines Earls! Die Leute werden dich immer respektieren.«
»Nicht dieser Mann.«
Stephanie biss die Zähne zusammen und sagte nichts mehr, während die Kutsche in die Straße mit dem Kopfsteinpflaster einbog. Am Ende des kleinen Ortes prangte das auffällige Schild des Horse and Hound am Straßenrand. Die Funken stoben von den Hufeisen auf, als der Kutscher das Gefährt durch das Tor lenkte. Sofort kam ein Stallknecht herbeigelaufen, um in die Zügel des Leitpferdes zu greifen. Ihm dicht auf den Fersen folgten Tante Caroline und Onkel George, die den Ankömmlingen fröhlich zuwinkten.
Stephanie betrachtete das Paar. Tante Caroline war von rundlicher Gestalt und wirkte mütterlich. Ihre Gesichtszüge waren denen ihrer Schwester sehr ähnlich, und sie hatte die gleichen schönen blauen Augen und das silbrig glänzende Haar wie diese. Onkel George war groß und kräftig gebaut, trug einen Vollbart und hatte freundlich blickende braune Augen. Keiner von ihnen war nach dem letzten Schrei der Mode gekleidet, aber in dieser Umgebung schien das auch ohne Bedeutung zu sein. Instinktiv mochte Stephanie die beiden. Alles würde gut werden - es sei denn, ihre Mutter verursachte Probleme.
Onkel George klappte den Tritt der Kutsche herunter, öffnete den Schlag und reichte Lady Blythe die Hand. »Willkommen, Dotty! Und da ist ja auch die kleine Stephanie ... nun, so klein ist sie ja nicht mehr, nicht wahr?« Als er Rose zunickte, runzelte er kaum merklich die Stirn. »Seid uns auch willkommen, Miss.«
»Sie ist keine >Miss‹«, korrigierte Lady Blythe ihn gereizt und reichte ihrer Tochter die Katze. »Sie ist meine Zofe Rose. Und ich bin Lady Blythe.«
»Jawohl, Ma'am.« Er zwinkerte ihr zu und half ihr beim Aussteigen. Kaum hatte sie die Kutsche verlassen, wurde sie von ihrer Schwester in die Arme geschlossen.
»Miss Stephanie.« Er half Stephanie heraus und umarmte sie so herzlich, dass er Fluffy dabei fast zerquetschte. »Oder vielleicht >Steffy‹ - als Abkürzung? Mein Junge hieß Stephen, ich hab ihn Steffy genannt. Unser einziges Kind. Es ist gestorben, als er drei war.«
»Das tut mir Leid«, sagte Stephanie mitfühlend, »aber Ihr könnt mich nennen, wie Ihr wollt.«
»Dann also Steffy! Du hast eine Katze dabei, wie ich sehe.«
»Ja, Sir. Ich hoffe, sie darf hier bleiben. Sie weiß sich zu benehmen.«
»Von mir aus, auf eine Katze mehr oder weniger kommt's nicht an.« Er lachte.
Sie befürchtete plötzlich, Fluffy würde im Stall leben müssen. »Sie ist eine Hauskatze, Sir. Sie hat eine besondere Kiste, in der sie ... oh ... wo sie ihre Bedürfnisse erledigt. Ich halte die Kiste sehr sauber. Ihr werdet nichts merken ... ich meine, irgendeinen ... hm ... Geruch.«
Er zuckte die Schultern. »Mach mit ihr, was du willst. Und Schluss mit diesem Sir-Gerede! Ich bin dein Onkel George.«
»Danke, Onkel George.«
Er winkte ab und wandte sich dann zu Rose, um ihr zu helfen. »Nun, Miss Rose, werdet Ihr auch eine Weile bei uns bleiben?«
Rose sandte einen Hilfe suchenden Blick zu Stephanie. »Rose ist Mutters Zofe, Onkel George. Mama kommt ohne sie nicht zurecht.«
»Verstehe.« Er klopfte Rose auf die Schulter. »Seid Ihr bereit, die Pflichten eines Schankmädchens zu übernehmen? Jeder im Horse and Hound arbeitet.«
Lady Blythe schnappte diese Bemerkung auf. »Was genau meinst du damit, George?«
»Ich meine damit, was ich sage, Dotty. Wir sind nicht reich. Wir arbeiten, und wir arbeiten hart. Das ist der Grund, warum das Horse and Hound das beste Gasthaus weit und breit ist.«
»Nun, ich werde nicht den Gastwirt spielen!«, teilte Ihre Ladyschaft herablassend mit.
»Nein.« Er grinste fröhlich. »Der Titel steht nur mir zu.« »Und ich werde auch nicht das Schankmädchen für dich spielen!«
Tante Caroline ergriff ihre Schwester rasch am Arm und zog sie mit sich. »Das ist doch jetzt ganz nebensächlich! Lass uns hineingehen. Es ist zu kalt, um sich hier draußen zu unterhalten.«
»Ich bin eine Dame, kein Arbeitstier!«, hörte Stephanie ihre Mutter unmissverständlich verkünden, während sie die Gaststube betraten.
Oje! Es war Stephanie gar nicht in den Sinn gekommen, dass ihre Tante und ihr Onkel von ihnen erwarteten mitzuarbeiten. Andererseits schien es nur vernünftig zu sein. Onkel George und Tante Caroline waren Geschäftsleute, die offensichtlich hart arbeiteten. Und schließlich waren sie, ihre Mutter, Rose und Fluffy hier nicht auf Besuch. Sie würden ständige Bewohner sein. Also mussten sie sich auch in die Pflichten und Erforderlichkeiten schicken.
Stephanie biss sich auf die Lippen. Es machte ihr nichts aus zu arbeiten. Sie hatte einen gesunden, starken Rücken! Fluffy war ein guter Mäusejäger. Rose könnte gewiss die Betten machen und die Zimmer reinigen. Aber ihre Mutter? Was könnte ihre Mutter tun, oder besser gefragt, was würde sie tun? Stephanie blieb nur zu hoffen, dass sie ihren Teil der Arbeit tun und den ihrer Mutter zusätzlich übernehmen könnte. Damit wäre Onkel George sicher einverstanden! Denn die Arbeit würde gemacht werden. Es war egal, wer sie erledigte.
Die Gaststube des Horse and Hound war warm und anheimelnd. Das alte Eichenholz glänzte vom vielen Polieren mit Wachs, der Rauch des Kamins und vieler Tabakspfeifen hatte es dunkel gefärbt. Kerzenhalter aus schimmerndem Kupfer hingen über den runden, mit Schnitzwerk geschmückten Eichentischen, an denen einige Gäste saßen. Im riesigen Kamin brannten große Holzscheite.
Als Tante Caroline sie durch den großen Gastraum führte, begrüßten bewundernde Pfiffe den Eintritt der Gäste.
»Seid still!«, rief Onkel George. »Dies hier ist die Familie meiner Frau!«
»Was für ein abscheuliches Benehmen!« Lady Blythe rümpfte die Nase, als nähme sie einen besonders üblen Geruch wahr.
»Nun, sie meinen es nicht böse«, erklärte George.
»Keine von uns wird diesen Raum wieder betreten«, verkündete sie.
»Du wirst es müssen, es sei denn, du willst die Hintertür benutzen«, konterte er.
»Lasst uns rasch weitergehen«, flehte Tante Caroline.
Der Salon, in den sie geführt wurden, unterschied sich ganz und gar vom dunklen Tudorstil der Schankstube. Die oberen zwei Drittel der Wände waren mit Stofftapeten bespannt, die in Blau und Creme gehalten waren. Der Teil unterhalb der Stuhlleiste zeigte ein tiefdunkles Blau. Dazu passende bodenlange Vorhänge aus Voile schmückten die Fenster. Die Möbel waren aus Walnussholz, die Polsterungen aus einem mattgolden glänzenden Gewebe. Ein AubussonTeppich in Blau und Gold bedeckte den Boden.
»Es ist wunderschön!«, rief Stephanie spontan.
Lady Blythe ließ sich zu einem Lob herab. »Recht hübsch, Caroline.«
»Das hat alles meine Frau gemacht«, erklärte Onkel George voller Stolz. »Ich wüsste bei solchen Dingen gar nicht, wo ich anfangen sollte.«
»Natürlich nicht«, bemerkte Lady Blythe süffisant.
Tante Caroline errötete. »Es ist nicht alles mein Werk.
Meine Güte, George, ich habe nur die Vorhänge und die Kissen gemacht.«
»Nun, aber du hast dir das alles ausgedacht! Du hast den Handwerkern gesagt, wie sie es machen sollen.«
»Ja, das schon«, bestätigte sie verlegen.
»Wird dies mein Wohn- und Esszimmer sein?«, fragte Lady Blythe unvermittelt. »Wenn ja, bin ich ganz damit einverstanden.«
»Dieses Zimmer vermieten wir zu einem sehr hohen Preis - nur wenn die Aussichten darauf trübe aussehen, so wie heute Abend, senken wir den Preis ein wenig«, erklärte George. »Wenn es nicht vermietet wird, darfst du es benutzen.«
»Du knickriger, Geld hortender alter Brummbär!«, fauchte Lady Blythe. »Ich bin es nicht gewohnt, auf so eine gemeine Art behandelt zu werden. Wo ist Carolines und dein Wohnzimmer?«
»Hier entlang.« Er verbeugte sich und führte sie zur Tür. »Warte, George«, mischte sich Tante Caroline ein. »Ich dachte, wir würden heute in diesem hübschen Zimmer zu Abend essen, um die Ankunft unserer Verwandten zu feiern.«
»Nichts da! Das ist kein Grund, ihn schmutzig zu machen.« Er grinste viel sagend. »Es sei denn, Dotty will ihn morgen Früh putzen.«
Lady Blythe straffte die Schultern und zog ihren Hals zurück wie eine erboste Gans.
»Oje, Stephanie«, stöhnte Tante Caroline. »Ich fürchte, die beiden werden nie aufhören, die Klingen miteinander zu kreuzen.«
Stephanie sah die arrogant-herausfordernde Miene ihrer Mutter und die funkelnden Augen ihres Onkels. »Ich schwöre und bin fest davon überzeugt, dass sie Gefallen daran finden, die Klingen miteinander zu kreuzen.« Sie lachte.
Lady Blythe verzog den Mund, und Onkel George grinste breit.
»Sie ist wirklich eine ganz passable Kontrahentin«, bestätigte er und führte seine Schwägerin in das Wohnzimmer der Familie.
Bis hierhin hatte das Dekorationstalent der armen Tante Caroline allerdings nicht gereicht. Der Salon war sauber, aber sehr einfach. Die Risse in den Spitzenvorhängen waren nur allzu offensichtlich, ebenso wie die auffälligen Dellen in den gepolsterten Sitzmöbeln.
»Irgendwann werden wir alle Räume im Gasthaus neu machen«, erklärte Tante Caroline. »Aber die Gäste stehen an erster Stelle.«
»Wir werden hier essen«, verkündete Onkel George und betätigte den Glockenzug. »Ich fühle mich hier ohnehin wohler.«
»Warum überrascht mich das nicht?«, warf Lady Blythe ein. »So ein Esel! Vermutlich ist dies hier noch besser als das, womit du groß geworden bist.«
»Das ist es in der Tat.« Onkel George ließ sich in seinem Lieblingssessel nieder und steckte seine Pfeife an.
Lady Blythe hüstelte.
Um nicht Zeuge des unvermeidlichen Schlagabtausches zu werden, ging Stephanie zum Fenster hinüber, das an der Rückseite des Zimmers lag. Es war inzwischen so dunkel, dass sie nicht sehen konnte, ob Tante Caroline einen Garten hatte. Ganz vage konnte sie die Dächer zahlreicher Nebengebäude erahnen. Vermutlich waren das die Ställe und Remisen.
Tante Caroline gesellte sich zu ihr. »Wegen der Arbeit, von der George gesprochen hat ...«
Stephanie wandte sich zu ihr. »Mach dir darüber keine Gedanken. Ich kann meinen Teil beitragen, ebenso wie Rose, aber Mama ...«
»Ja, ich weiß.«
»Ich bin bereit, auch ihren Teil zu übernehmen«, sagte Stephanie entschlossen.
»Ich habe George gesagt, dass Dorothy aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt ist. Ich habe mich gefragt, ob es zu weit unter ihrer Würde wäre, das Nähen zu übernehmen.«
Stephanies Lebensgeister hoben sich. »Gewiss nicht. Sie ist zwar nur an feine Handarbeiten gewöhnt, aber ich denke, ich kann sie davon überzeugen, diese Pflicht zu übernehmen. Sie wird sich natürlich darüber beklagen, mit Dingen umgehen zu müssen, die Fremde benutzt haben, aber letztlich hoffe ich mich durchzusetzen.«
»Die Sachen sind alle gewaschen, ehe sie sie überhaupt zu Gesicht bekommen wird!«, rief Caroline. »Ich bestehe auf Sauberkeit im Horse and Hound. In diesem Haus wird es niemals auch nur eine Laus oder einen Floh geben!«
»Dessen bin ich sicher.« Stephanie lächelte. »Fluffy wird auch helfen. Sie ist eine ausgezeichnete Mäusejägerin.«
»Vielleicht kann sie unserem alten Sarum noch ein paar neue Tricks beibringen«, lachte Tante Caroline.
»Ihr habt eine Katze?«
»Aber ja. Jedes Gasthaus braucht eine Katze, genau genommen sogar mehr als eine! Sarum wird allmählich alt und verbringt die meiste Zeit damit, sich vor dem Feuer auszuruhen.« Sie lächelte. »Aber von Zeit zu Zeit, wenn er seine alten Knochen wieder durchgewärmt hat, begibt er sich auf die Jagd. Wir könnten schon seit längerem eine neue Katze brauchen, haben uns bis jetzt aber noch nicht darum kümmern können.«
Stephanie fühlte sich erleichtert. »Fluffy wird auf jede mögliche Weise helfen!«
Zwei Mägde betraten das Zimmer, um den Tisch einzudecken und das Abendessen aufzutragen. Sie nahmen Rose mit sich hinaus in die Küche, als sie gingen. Onkel George aß in völligem Schweigen. Fluffy streifte durch das Zimmer und beschnupperte die Spalten und Ritzen in den Holzverkleidungen, während Stephanie sorgsam darauf achtete, dass die Katze nicht in die Nähe des Tisches kam.
Unglücklicherweise brachte Tante Caroline das Thema Arbeit zur Sprache. »Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du das Nähen übernehmen könntest, Dorothy. Deine Stickereien waren immer hervorragend.«
Lady Blythe nickte freundlich. »Stickereien, feine Nadelarbeiten ... das würde mir gefallen.«
»Ich meine das Nähen von Laken und Kopfkissen.«
»Aber darum kümmern sich doch die Näherinnen. Sind sie zurück in ihrer Arbeit?«
Tante Caroline lächelte verlegen. »Ich habe keine Näherinnen. Das mache ich alles. Manchmal, wenn es zu viel wird, bitte ich eines der Mädchen um Hilfe, aber sie stellen sich nicht sehr geschickt an. Dorothy, du könntest mir unendlich helfen, wenn du diese Aufgabe übernehmen würdest.«
Unter dem Tischtuch kreuzte Stephanie die Finger. »Es geht nur um kleine Ausbesserungen, und die Wäsche ist sauber, Mama.«
»Nein, kein ...«
»Es ist auch körperlich nicht so anstrengend wie das Bettenmachen«, redete sie ihrer Mutter gut zu.
Onkel George hielt beim Essen inne und ließ ein ungeduldiges Schnauben vernehmen.
»Mama, wir müssen unseren Teil beitragen«, drängte Stephanie. »Das ist nur gerecht.«
Lady Blythes Augen füllten sich mit Tränen. »Ich befürchte, das müssen wir. Oh, warum hat dein Vater uns in einer so schrecklichen Situation zurückgelassen? Almosen annehmen zu müssen, nichts anderes ist das. Und das von dir, George! Mein Leben als Lady ist für immer vorbei, es sei denn, dass Stephanie ... es sei denn, es gibt einen reichen adligen Junggesellen in der Nachbarschaft ...« Sie schaute Caroline hoffnungsvoll an.
Ihre Schwester schüttelte den Kopf. »Es tut mir Leid, Dorothy. Einen solchen gibt es hier nicht. Aber es gäbe da einige Bauernsöhne, die nach hiesigen Maßstäben eines Tages als recht wohlhabend gelten werden und in Frage kämen.«
»Nicht einmal ein verwitweter Squire?«
»Der hier ansässige Squire ist ein junger Mann mit einer Ehefrau und kleinen Kindern.«
Lady Blythe brach in Tränen aus.
»Komm, ich werde dir dein Zimmer zeigen«, versuchte Tante Caroline ihre Schwester zu beruhigen und half ihr auf. »Stephanie ...«, jammerte Lady Blythe.
»Gestatte ihr, das Abendessen zu beenden«, unterbrach Tante Caroline sie. »Ihr wird schon nichts geschehen.« »Solange George nicht vulgär wird.«
»Um Himmels willen!« Energisch führte Caroline ihre Schwester aus dem Zimmer.
Stephanie aß in bedrücktem Schweigen weiter, bis Onkel George sich zu einem Kommentar veranlasst sah. »Ohne Zweifel ist es ein Abstieg. Die große Dame, die in einem Herrenhaus wohnt, und das alles. Auch für dich ist es hart. Dienstboten, edle Speisen, schöne Kleider. Ihr habt ja nie etwas anderes gekannt. Es war schwer für Caroline, ich weiß, aber wir ... wir haben uns geliebt.« Er errötete heftig und wiegte den Kopf. »Da hat sich nichts geändert, was das betrifft.«
»Das ist wunderbar«, sagte Stephanie leise. »Danke, dass du es mir erzählt hast.«
»Arme alte Dorothy, vielleicht wird sie sich nie an all dies hier gewöhnen. Schätze, ich war zu grob zu ihr.«
»Mach dir keine Gedanken über Mutters Anteil an der Arbeit«, erklärte Stephanie ernst. »Ich bin stark, und ich bin bereit mitzuarbeiten. Ich denke, dass es faszinierend sein muss, ein Gasthaus zu führen.«
Onkel George sah sie ungläubig an.
»Ja, wirklich!«, bekräftigte sie. »Von überall her kommen die Menschen in dieses Haus, und jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte. Es muss dich sehr stolz machen, es deinen Gästen so behaglich zu machen, dass sie sich hier wohl fühlen.«
»Das bin ich, Steffy.« Er lächelte breit. »Es ist nicht einfach, jeden zufrieden zu stellen.«
»Ich freue mich wirklich sehr darauf, zu lernen und mit anzupacken.«
»Vielleicht gefällt es dir ja so gut, dass du das Gasthaus einmal führen wirst, wenn Caroline und ich zu alt dafür sein werden.« Er schmunzelte. »Es sei denn, du entscheidest dich für das Leben auf einem Bauernhof!«
Obwohl sie es ihn, ihre Tante und ganz bestimmt ihre Mutter niemals merken lassen würde, fühlte Stephanie, wie ihr bei dieser Vorstellung der Mut sank. Sie wollte eines Tages einen Ehemann haben, aber einen Bauernsohn? Dabei musste sie an eine von Schweiß triefende Stirn und an schmutzige Fingernägel denken. O nein! Einen solchen Mann würde es in ihrer Zukunft ganz gewiss nicht geben.
Der Mann, von dem sie träumte, musste zwar kein Adliger sein, aber das, was die Gesellschaft als einen Gentleman ansah. Er musste nicht reich sein, obwohl sie durchaus angenehm fände, wenn er wohlhabend wäre. Und er musste sie lieben - das vor allem.
Es schien nicht sehr wahrscheinlich, einen solchen Mann in dieser Gegend zu finden. Und wenn nicht ... nun, dann würde sie vermutlich nie heiraten. Dann würde sie die beste Gastwirtin des ganzen Landes werden.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, begann Onkel George davon zu sprechen, durch welche Schule sie würde gehen müssen. »Da ist zuallererst die Küche. Das Essen ist sehr wichtig, und deine Tante kocht unvergleichlich gut.«
»Dieses Essen schmeckt in der Tat köstlich«, bestätigte Stephanie.
»Das tut es. Komm, wir werden mit einem Krug Ale auf gutes Gelingen anstoßen!«
»Ich habe noch nie Ale getrunken«, gestand sie.
»Dann ist es Zeit, das nachzuholen. Wie willst du sonst wissen, ob deine Händler dich betrügen, wenn du nichts über das Produkt weißt?«
Stephanie nickt. »Das ist wahr.«
Onkel George ging in die Schankstube und kehrte mit zwei schaumgekrönten Krügen zurück. Sie schoben die Stühle vor den Kamin und tranken das bittere Gebräu. Stephanie konnte ihm nicht allzu viel abgewinnen, ihr Onkel jedoch begann, von dessen Vollmundigkeit und guter Qualität zu schwärmen. Sie dachte, dass er Recht damit habe, ihr alles darüber beibringen zu wollen. Aber wenn ihre Mutter sie jetzt sähe ... oje, der Schlag würde sie treffen!
...
Übersetzung: Susanne Kregeloh
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autoren: Cathleen Clare , Debbie Raleigh , Wilma Counts
- 363 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 386800369X
- ISBN-13: 9783868003697
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