Mondspiel
Deutsche Erstausgabe
Jessie hat einen neuen Job. Sie soll auf die Kinder des Rockstars Dillon aufpassen. Als Jessie Dillon das erste Mal sieht, ist sie sofort entbrannt für den geheimnisvollen Musiker und die beiden lassen sich auf eine leidenschaftliche Affäre ein....
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Produktinformationen zu „Mondspiel “
Jessie hat einen neuen Job. Sie soll auf die Kinder des Rockstars Dillon aufpassen. Als Jessie Dillon das erste Mal sieht, ist sie sofort entbrannt für den geheimnisvollen Musiker und die beiden lassen sich auf eine leidenschaftliche Affäre ein. Doch in Dillons altem Haus scheint es zu spuken.
Klappentext zu „Mondspiel “
Knisternde Lesemomente für zwischendurchAls Jessie in das Haus des Rockstars Dillon kommt, um auf dessen Kinder aufzupassen, ist sie sofort von dem geheimnisvollen Musiker gebannt. Zwischen den beiden entspinnt sich eine leidenschaftliche Affäre. Doch in dem düsteren Gemäuer spukt es
Lese-Probe zu „Mondspiel “
Mondspiel von Christine Feehan1
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Jessica Fitzpatrick erwachte schreiend, und ihr Herz stampfte im Rhythmus des Entsetzens. In der Dunkelheit ihres Zimmers war die Furcht ein atmendes Lebewesen, dessen Gewicht sie unter sich begrub. Sie lag hilfl os da und konnte sich nicht von der Stelle rühren. Sie schmeckte die Angst in ihrem Mund und fühlte, wie sie durch ihre Adern strömte. Um sie herum schien die Luft so dick zu sein, dass ihre Lunge brannte und sich nach Sauerstoff verzehrte. Sie wusste, dass sich tief in den Eingeweiden der Erde etwas Ungeheuerliches regte. Im ersten Moment lag sie erstarrt da und lauschte angestrengt dem Murmeln von Stimmen, die sich hoben und senkten und Worte in einer uralten Sprache summten, die niemals gesprochen werden sollte. Glühende rote Augen sahen sich suchend im Dunkeln um und forderten sie auf, näher zu treten. Jessica fühlte die Macht dieser Blicke, als sie sich auf sie richteten und noch dichter an sie herankamen. Sie riss ihre eigenen Augen auf, denn der Drang zu fliehen war stärker als alles andere.
Der Raum um sie herum schwankte, und sie wurde aus der schmalen Koje auf den Boden geschleudert. Die kalte Luft riss sie augenblicklich aus ihrem Alptraum heraus, und sie erkannte, dass sie nicht alle geborgen zu Hause in ihren Betten lagen, sondern sich inmitten eines heftigen Unwetters in der Kajüte eines wüst schaukelnden Bootes befanden. Das Boot wurde von einer gewaltigen Welle zur nächsten geschleudert und bekam einiges ab.
Jessica kam unbeholfen auf die Füße und klammerte sich an den Rand der Koje, als sie sich mühsam zu Tara und Trevor Wentworth schleppte, den beiden Kindern, die einander mit blassen, verängstigten Gesichtern eng umschlungen hielten. Tara schrie, und ihr entsetzter Blick hatte sich auf Jessica geheftet. Auf halbem Weg zu den Zwillingen wurde Jessica vom nächsten wütenden Aufbäumen des Bootes wieder zu Boden geworfen.
»Trevor, zieh deine Schwimmweste sofort wieder an!« Auf allen vieren kriechend erreichte sie die beiden Kinder und nahm sie in die Arme. »Fürchtet euch nicht, es wird schon alles gutgehen.«
Das Boot wurde von einer Welle hochgehoben, schwankte auf dem Wellenkamm und glitt auf der anderen Seite schnell hinab, wobei die drei in alle Richtungen geschleudert wurden. Salzwasser strömte auf das Deck, raste die Stufen hinunter in die Kajüte und überzog den Boden mit einer Schicht eiskalter Nässe. Tara schrie laut auf, klammerte sich an den Arm ihres Bruders und versuchte verzweifelt, ihm beim Schließen seiner Schwimmweste zu helfen. »Das ist er. Er ist schuld. Er will uns umbringen.«
Jessica schnappte entsetzt nach Luft. »Tara! Niemand kann das Wetter kontrollieren. Es ist ein Sturm. Nichts weiter als ein ganz gewöhnliches Unwetter. Captain Long wird uns unbeschadet zur Insel bringen.«
»Er ist böse. Ein Ungeheuer. Ich will nicht hingehen.« Tara schlug sich die Hände vor das Gesicht und schluchzte. »Ich will nach Hause. Bitte, Jessie, bring mich nach Hause.«
Jessica überprüfte Trevors Schwimmweste, um sich zu vergewissern, dass ihm nichts passieren konnte. »Sag so etwas nicht, Tara. Trev, bleib hier bei Tara. Ich sehe nach, was ich tun kann, um zu helfen.« Damit die Kinder ihre Worte hörten, musste sie die Stimme erheben, um sich gegen das Heulen des Windes und das Tosen des Meeres durchzusetzen.
Tara warf sich in Jessicas Arme. »Geh nicht weg - wir werden sterben. Ich weiß es genau - wir werden alle sterben. Es wird uns so ergehen wie Mama Rita.«
Trevor schlang die Arme um seine Zwillingsschwester. »Nein, wir werden nicht sterben, Schwesterchen, weine nicht. Captain Long hat schon viele schlimme Stürme überstanden«, beteuerte er ihr. Er blickte mit seinen stechenden blauen Augen zu Jessica auf. »Stimmt's, Jessie?«
»Stimmt genau, Trevor«, bestätigte sie. Jessica hielt sich am Treppengeländer fest und machte sich an den Aufstieg zum Deck.
Der Regen fiel in Strömen und schwarze Wolken brodelten am Himmel. Der Wind erhob sich zu einem gespenstischen Pfeifen. Jessica hielt den Atem an und beobachtete, wie Long sich damit abmühte, das Boot durch die Wogen zu steuern und sie näher an die Insel heranzubringen. Es schien der uralte Kampf zwischen Mensch und Natur zu sein. Langsam zeichneten sich die kompakten Umrisse der Insel durch den strömenden Regen ab. Salzwasser sprühte auf, und die Gischt wurde von den Felsen zurückgeworfen, doch als sie sich dem Ufer näherten, wurde das Meer ruhiger. Sie wusste, dass es dem Kapitän nur aufgrund seiner großen Erfahrung und seiner Ortskenntnis überhaupt möglich war, das Boot in diesem schrecklichen Unwetter zum Anlegesteg zu steuern.
Es schüttete wie aus Eimern. Die Wolken über ihren Köpfen waren so schwarz und schwer, dass die Dunkelheit der Nacht erbarmungslos wirkte. Dennoch erhaschte Jessica ab und zu einen Blick auf den Mond, der einen gespenstischen Anblick bot, wenn das vorbeiziehende Schwarz der Wolken sein Licht verschleierte.
»Los jetzt, Jessie«, rief Captain Long. »Bring die Kinder und euer Gepäck hinauf. Ich will euch keine Minute länger auf diesem Boot haben.« Die Worte gingen in der Heftigkeit des Sturms fast unter, aber es war deutlich zu erkennen, wie eilig er es mit seiner Aufforderung hatte.
Sie eilte nach unten und warf Trevor mehrere Bündel und Rucksäcke zu, während sie Tara auf den Stufen und dem glitschigen Deck stützte. Captain Long hob Tara auf den Anlegesteg, bevor er Trevor ans Ufer half. Er packte Jessicas Arm mit festem Griff und zog sie eng an sich, damit sie ihn hören konnte. »Das gefällt mir nicht ... Jess, ich hoffe, er erwartet euch. Wenn ich weg bin, sitzt ihr hier fest. Du weißt, dass er nicht gerade der umgänglichste Mensch ist.«
»Mach dir keine Sorgen.« Sie tätschelte seinen Arm, obwohl ihr Magen rumorte. »Ich rufe dich an, falls wir dich brauchen. Willst du wirklich nicht über Nacht bleiben?«
»Ich fühle mich dort draußen sicherer.« Er wies auf das Wasser.
Jessica winkte ihm zum Abschied, wandte sich dann der Insel zu, und wartete, bis sich ihre Beine wieder an den festen Boden gewöhnt hatten. Vor sieben Jahren war sie das letzte Mal hier gewesen. Ihre Erinnerungen daran waren der Stoff für Alpträume. Als sie jetzt zu dem Bergrücken aufblickte, rechnete sie fast damit, ein flammendes Inferno zu sehen, aus dem rote und orange Flammen turmhoch in den Himmel aufragten, doch sie sah nur die schwarze Nacht und den Regen. Das Haus, das früher einmal hoch oben auf der Klippe mit Blick auf das Meer gestanden hatte, gab es schon lange nicht mehr. Nur ein Haufen Asche war geblieben.
Im Dunkeln war die Vegetation erschreckend, ein unheilverkündender Anblick. Der wolkenverhangene Mond sandte sein schwaches Licht auf den Boden, wo es ein eigenartiges, unnatürliches Muster erschuf. Die Insel war dicht bewaldet und mit undurchdringlichem Gestrüpp bewachsen; der Wind ließ Bäume und Sträucher einen makaberen Tanz vollführen. Kahle Äste bogen sich und schabten geräuschvoll aneinander. Kräftige Tannen schwankten wie verrückt und ließen einen Schauer spitzer Nadeln durch die Luft regnen.
Jessica holte tief Atem, hob resolut ihren Rucksack hoch und reichte Trevor eine Taschenlampe, damit er vorangehen und ihnen den Weg weisen konnte. »Kommt schon, Kinder, lasst uns zu eurem Vater gehen.«
Der Regen prasselte auf sie herunter und durchnässte sie; die Tropfen bohrten sich wie spitze Eiszapfen direkt durch die Kleidung in ihre Haut. Mit gesenkten Köpfen schleppten sie sich die steilen Steinstufen hinauf, die vom Ufer zum Inneren der Insel führten, wo sich Dillon Wentworth vor der Welt verbarg.
Die Rückkehr auf die Insel ließ eine Flut von Erinnerungen an die guten Zeiten über Jessica hereinbrechen - als Rita Fitzpatrick, ihre Mutter, den Job als Haushälterin und Kindermädchen bei dem berühmten Dillon Wentworth an Land gezogen hatte. Jessica war hellauf begeistert gewesen. Sie war damals knapp dreizehn Jahre gewesen, alt genug, um den künftigen Star zu würdigen, einen Musiker, der seinen Platz unter den größten Musiklegenden einnehmen würde. Dillon hatte viel Zeit außer Haus verbracht, auf Tour oder im Aufnahmestudio, aber wenn er zu Hause gewesen war, war er meistens mit seinen Kindern zusammen gewesen oder er hatte es sich in der Küche mit Rita und Jessica gemütlich gemacht. Sie hatte Dillon in den guten Zeiten gekannt, während dieser fünf Jahre, die von unglaublicher Magie erfüllt gewesen waren.
»Jessie?« Trevors junge Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Weiß er, dass wir kommen?«
Der Junge sah ihr fest in die Augen. Mit seinen dreizehn Jahren musste Trevor durchaus klar sein, dass sie nicht ganz allein mitten in der Nacht durch ein Unwetter laufen würden, wenn sie erwartet worden wären. Sie wären mit einem Wagen auf der Straße am Bootshaus abgeholt worden.
»Er ist euer Vater, Trevor, und Weihnachten steht vor der Tür. Er verbringt zu viel Zeit allein.« Jessica strich sich das regennasse Haar aus dem Gesicht und straffte ihre Schultern. »Das tut ihm nicht gut.« Und Dillon Wentworth war verantwortlich für seine Kinder. Er musste sich um sie kümmern und sie beschützen.
Die Zwillinge hatten ihren Vater nicht so in Erinnerung wie sie. Er war so lebendig gewesen. So attraktiv. Und vieles mehr. Sein Leben war märchenhaft gewesen. Dillon mit seinem guten Aussehen, seinem Talent, seinem ansteckenden Lachen und seinen berühmten blauen Augen - alle hatten sich um ihn gerissen. Dillon hatte sein Leben im Scheinwerferlicht verbracht, im grellen Licht der Regenbogenpresse und des Fernsehens, der Clubs und der gefüllten Stadien. Es war erstaunlich, geradezu unbeschreiblich, wie viel Energie und Kraft Dillon Wentworth bei seinen Auftritten ausstrahlte. Auf der Bühne glühte er hell und heiß, ein Mann mit dem Herzen eines Poeten und dem Talent eines Teufels, wenn er Gitarre spielte und mit seiner rauen, rauchigen Stimme sang.
Aber zu Hause ... Jessica erinnerte sich auch an Vivian Wentworth mit ihrem spröden Lachen und den Fingern mit den roten Krallen an den Spitzen. An ihre glasigen Augen, wenn sie von Drogen benebelt war, unter dem Einfl uss von Alkohol taumelte oder bei einem ihrer Wutausbrüche Gläser zerschmetterte und Fotos aus Bilderrahmen riss. Der langsame, grauenhafte Abstieg in den Wahnsinn des Rauschgifts und des Okkulten. Niemals würde Jessica Vivians Freunde vergessen, die zu Besuch kamen, wenn Dillon nicht da war. Die Kerzen, die Orgien, der Singsang, immer dieser Singsang. Und Männer. Unmengen von Männern im Wentworth'schen Bett.
Plötzlich schrie Tara laut auf, drehte sich zu Jessica um und warf sich ihr so stürmisch in die Arme, dass sie beinahe von den Stufen gestoßen worden wäre. Jessica packte sie mit festem Griff und drückte sie eng an sich. Beide froren so sehr, dass sie unkontrolliert zitterten. »Was ist los, Schätzchen?«, flüsterte Jessica dem Kind ins Ohr. Dort auf der steilen Treppe beschwichtigte sie das Mädchen und wiegte es in ihren Armen, während der Wind sie beide fortzublasen drohte.
»Ich habe etwas gesehen, glühende Augen, die uns angestarrt haben. Es waren rote Augen, Jess. Rot, wie die Augen eines Ungeheuers ... oder eines Teufels.« Das Mädchen erschauerte und klammerte sich fester an Jessica.
»Wo, Tara?« Jessicas Stimme klang ruhig, obwohl sich ihr Magen vor Anspannung verknotet hatte. Rote Augen. Sie selbst hatte diese Augen gesehen.
»Da.« Tara deutete in die Richtung, ohne hinzusehen. An Jessica geschmiegt, verbarg sie ihr Gesicht. »Etwas hat uns durch die Bäume angestarrt.«
»Es gibt Tiere auf der Insel, Schätzchen«, sagte Jessica beschwichtigend, doch sie strengte sich an, im Dunkeln zu sehen. Trevor unternahm den löblichen Versuch, den kleinen Lichtkreis der Taschenlampe auf die Stelle zu richten, auf die seine Zwillingsschwester gedeutet hatte, doch der Lichtstrahl konnte den strömenden Regen nicht durchdringen.
»Das war kein Hund, ganz bestimmt nicht, Jessie, das war eine Art Dämon. Bitte, bring mich nach Hause, ich will nicht hier sein. Ich habe solche Angst vor ihm. Er sieht so schrecklich aus.«
Jessica holte tief Luft und atmete langsam aus. Sie hoffte, dadurch ruhig zu bleiben, denn plötzlich wollte sie selbst kehrtmachen und weglaufen. Hier gab es zu viele Erinnerungen, die sie bedrängten und mit gierigen Klauen nach ihr griffen. »Er hat sich bei einem Brand fürchterliche Narben zugezogen, Tara, das weißt du doch.« Es kostete sie Mühe, mit fester Stimme zu sprechen.
»Ich weiß, dass er uns hasst. Er hasst uns so sehr, dass er uns nie wieder sehen will. Und ich will ihn auch nicht sehen. Er hat Leute ermordet.« Tara schleuderte Jessica diese bittere Anklage ins Gesicht. Der heulende Wind griff die Worte auf und trug sie über die Insel.
Jessica hielt Tara noch fester und schüttelte sie ungehalten. »Ich will nie wieder hören, dass du so etwas Furchtbares sagst. Niemals, hast du mich verstanden? Weißt du, warum dein Vater in jener Nacht in das Haus gelaufen ist? Tara, du bist zu intelligent, um auf dummes Geschwätz und anonyme Anrufer zu hören.«
»Ich habe die Zeitungen gelesen. Es stand alles in den Zeitungen!«, jammerte Tara.
Jessie war wütend. Fuchsteufelswild. Weshalb sollte jemand nach sieben Jahren plötzlich alte Zeitungen und Klatschblätter an die Zwillinge schicken? Tara hatte das Päckchen, das in schlichtes braunes Papier eingeschlagen war, in aller Unschuld geöffnet. Die Boulevardpresse war brutal gewesen, voller Anschuldigungen, die sich um Drogen, Eifersucht und Okkultismus drehten. Die Spekulationen, Dillon hätte seine Frau mit einem anderen Mann im Bett erwischt und es sei zu einer Orgie von Sex, Drogen, Teufelsanbetung und Mord gekommen, waren viel zu prickelnd gewesen, um nicht ausführlich von den Skandalblättern ausgeschlachtet zu werden - lange, bevor die tatsächlichen Ereignisse ans Licht kommen konnten. Jessica hatte Tara jämmerlich schluchzend in ihrem Zimmer vorgefunden. Wer auch immer es für angebracht gehalten hatte, die Zwillinge über die Vergangenheit ihres Vaters in Kenntnis zu setzen, hatte mehrfach angerufen, Trevor und Tara abscheuliche Dinge ins Ohr gefl üstert und darauf beharrt, ihr Vater hätte mehrere Menschen ermordet, darunter auch ihre Mutter.
»Euer Vater ist in das brennende Haus gelaufen, um euch Kinder zu retten. Er dachte, ihr wärt beide drinnen. Jeder, der heil herausgekommen war, hat versucht ihn aufzuhalten, aber er hat sich gewehrt, ist ihnen entwischt und hat sich euretwegen in ein fl ammendes Inferno gestürzt. Das ist kein Hass, Tara. Das ist Liebe. Ich erinnere mich noch an jenen Tag, bis in alle Einzelheiten.« Sie presste die Finger auf ihre pochenden Schläfen. »Ich kann es niemals vergessen, ganz gleich, wie sehr ich mich anstrenge.«
Und angestrengt hatte sie sich wirklich. Verzweifelt hatte sie versucht, die Klänge des Singsangs zu übertönen, den Anblick der schwarzen Kerzen auszublenden und den Geruch der Räucherstäbchen zu verdrängen. Sie erinnerte sich an das Geschrei, die erhobenen Stimmen, das Geräusch der Schüsse. Und an die Flammen, die schrecklichen, gierigen Flammen. An die Rauchschwaden, die so dicht gewesen waren, dass man nichts hatte sehen können. Auch die Gerüche vergingen nicht. Selbst jetzt hatte sie beim Aufwachen manchmal noch den Gestank von brennendem Fleisch in der Nase.
Trevor legte einen Arm um sie. »Weine nicht, Jessica. Nun sind wir schon mal hier und frieren alle, also lasst uns einfach weiterlaufen. Lasst uns Weihnachten mit Dad feiern, einen Neubeginn machen und versuchen, diesmal mit ihm klarzukommen.«
Jessica lächelte ihn durch den Regen und die Tränen an. Trevor. Er war seinem Vater so ähnlich und wusste es nicht einmal. »Wir werden ein wunderbares Weihnachtsfest verbringen, Tara. Warte ab, du wirst es sehen.«
Sie stiegen die restlichen Stufen hinauf, bis der Boden sich ebnete und Jessica den vertrauten Pfad fand, der sich durch die dichten Wälder zum Anwesen wand. Die kleine Insel im Meer zwischen Washington und Kanada war relativ abgelegen. Hier verkehrte nicht einmal eine Fähre vom Festland. So hatte Dillon es sich gewünscht, denn er wollte, dass seine Familie auf seiner eigenen Insel ungestört war. Früher hatte es Wachpersonal und Hunde gegeben. Jetzt gab es hier nur noch Schatten und quälende Erinnerungen, die ihr in der Seele wehtaten.
In den alten Zeiten hatte es auf der Insel vor Menschen gewimmelt, und es hatte reges Treiben geherrscht; jetzt war es still und nur ein Hausmeister lebte in einem der kleineren Häuser irgendwo auf der Insel. Jessicas Mutter hatte ihr erzählt, Dillon dulde auf Dauer nur einen einzigen älteren Mann hier. Selbst bei Regen und Wind war nicht zu übersehen, dass das Bootshaus schlecht instand gehalten wurde und die Straße, die in einem Bogen zum Haus hinaufführte, überwuchert war und kaum benutzt wurde. Am Landungssteg, wo immer etliche Boote gelegen hatten, war zwar jetzt keines in Sicht, doch im Bootshaus musste Dillon immer noch ein Boot liegen haben.
Der Pfad führte durch den dichten Wald. Der Wind peitschte die Äste so kräftig, dass der Baldachin, den die Bäume über ihren Köpfen bildeten, bedrohlich schwankte. Der Regen konnte die Wipfel nur mit Mühe durchdringen, doch einzelne Tropfen trafen laut platschend auf den Weg. Kleingetier verschwand raschelnd im Gebüsch, wenn sie vorüberkamen.
»Ich glaube nicht, dass wir noch in Kansas sind«, scherzte Trevor mit einem unsicheren Lächeln.
Jessica drückte ihn an sich. »Löwen und Tiger und Bären, meine Güte«, zitierte sie aus Der Zauberer von Oz und freute sich über das breite Grinsen auf seinem Gesicht.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass er hier lebt«, schniefte Tara.
»Tagsüber ist es wunderschön«, beharrte Jessica. »Warte ab, es ist ein herrlicher Ort. Die Insel ist klein, aber hier gibt es alles.«
Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Jessica Fitzpatrick erwachte schreiend, und ihr Herz stampfte im Rhythmus des Entsetzens. In der Dunkelheit ihres Zimmers war die Furcht ein atmendes Lebewesen, dessen Gewicht sie unter sich begrub. Sie lag hilfl os da und konnte sich nicht von der Stelle rühren. Sie schmeckte die Angst in ihrem Mund und fühlte, wie sie durch ihre Adern strömte. Um sie herum schien die Luft so dick zu sein, dass ihre Lunge brannte und sich nach Sauerstoff verzehrte. Sie wusste, dass sich tief in den Eingeweiden der Erde etwas Ungeheuerliches regte. Im ersten Moment lag sie erstarrt da und lauschte angestrengt dem Murmeln von Stimmen, die sich hoben und senkten und Worte in einer uralten Sprache summten, die niemals gesprochen werden sollte. Glühende rote Augen sahen sich suchend im Dunkeln um und forderten sie auf, näher zu treten. Jessica fühlte die Macht dieser Blicke, als sie sich auf sie richteten und noch dichter an sie herankamen. Sie riss ihre eigenen Augen auf, denn der Drang zu fliehen war stärker als alles andere.
Der Raum um sie herum schwankte, und sie wurde aus der schmalen Koje auf den Boden geschleudert. Die kalte Luft riss sie augenblicklich aus ihrem Alptraum heraus, und sie erkannte, dass sie nicht alle geborgen zu Hause in ihren Betten lagen, sondern sich inmitten eines heftigen Unwetters in der Kajüte eines wüst schaukelnden Bootes befanden. Das Boot wurde von einer gewaltigen Welle zur nächsten geschleudert und bekam einiges ab.
Jessica kam unbeholfen auf die Füße und klammerte sich an den Rand der Koje, als sie sich mühsam zu Tara und Trevor Wentworth schleppte, den beiden Kindern, die einander mit blassen, verängstigten Gesichtern eng umschlungen hielten. Tara schrie, und ihr entsetzter Blick hatte sich auf Jessica geheftet. Auf halbem Weg zu den Zwillingen wurde Jessica vom nächsten wütenden Aufbäumen des Bootes wieder zu Boden geworfen.
»Trevor, zieh deine Schwimmweste sofort wieder an!« Auf allen vieren kriechend erreichte sie die beiden Kinder und nahm sie in die Arme. »Fürchtet euch nicht, es wird schon alles gutgehen.«
Das Boot wurde von einer Welle hochgehoben, schwankte auf dem Wellenkamm und glitt auf der anderen Seite schnell hinab, wobei die drei in alle Richtungen geschleudert wurden. Salzwasser strömte auf das Deck, raste die Stufen hinunter in die Kajüte und überzog den Boden mit einer Schicht eiskalter Nässe. Tara schrie laut auf, klammerte sich an den Arm ihres Bruders und versuchte verzweifelt, ihm beim Schließen seiner Schwimmweste zu helfen. »Das ist er. Er ist schuld. Er will uns umbringen.«
Jessica schnappte entsetzt nach Luft. »Tara! Niemand kann das Wetter kontrollieren. Es ist ein Sturm. Nichts weiter als ein ganz gewöhnliches Unwetter. Captain Long wird uns unbeschadet zur Insel bringen.«
»Er ist böse. Ein Ungeheuer. Ich will nicht hingehen.« Tara schlug sich die Hände vor das Gesicht und schluchzte. »Ich will nach Hause. Bitte, Jessie, bring mich nach Hause.«
Jessica überprüfte Trevors Schwimmweste, um sich zu vergewissern, dass ihm nichts passieren konnte. »Sag so etwas nicht, Tara. Trev, bleib hier bei Tara. Ich sehe nach, was ich tun kann, um zu helfen.« Damit die Kinder ihre Worte hörten, musste sie die Stimme erheben, um sich gegen das Heulen des Windes und das Tosen des Meeres durchzusetzen.
Tara warf sich in Jessicas Arme. »Geh nicht weg - wir werden sterben. Ich weiß es genau - wir werden alle sterben. Es wird uns so ergehen wie Mama Rita.«
Trevor schlang die Arme um seine Zwillingsschwester. »Nein, wir werden nicht sterben, Schwesterchen, weine nicht. Captain Long hat schon viele schlimme Stürme überstanden«, beteuerte er ihr. Er blickte mit seinen stechenden blauen Augen zu Jessica auf. »Stimmt's, Jessie?«
»Stimmt genau, Trevor«, bestätigte sie. Jessica hielt sich am Treppengeländer fest und machte sich an den Aufstieg zum Deck.
Der Regen fiel in Strömen und schwarze Wolken brodelten am Himmel. Der Wind erhob sich zu einem gespenstischen Pfeifen. Jessica hielt den Atem an und beobachtete, wie Long sich damit abmühte, das Boot durch die Wogen zu steuern und sie näher an die Insel heranzubringen. Es schien der uralte Kampf zwischen Mensch und Natur zu sein. Langsam zeichneten sich die kompakten Umrisse der Insel durch den strömenden Regen ab. Salzwasser sprühte auf, und die Gischt wurde von den Felsen zurückgeworfen, doch als sie sich dem Ufer näherten, wurde das Meer ruhiger. Sie wusste, dass es dem Kapitän nur aufgrund seiner großen Erfahrung und seiner Ortskenntnis überhaupt möglich war, das Boot in diesem schrecklichen Unwetter zum Anlegesteg zu steuern.
Es schüttete wie aus Eimern. Die Wolken über ihren Köpfen waren so schwarz und schwer, dass die Dunkelheit der Nacht erbarmungslos wirkte. Dennoch erhaschte Jessica ab und zu einen Blick auf den Mond, der einen gespenstischen Anblick bot, wenn das vorbeiziehende Schwarz der Wolken sein Licht verschleierte.
»Los jetzt, Jessie«, rief Captain Long. »Bring die Kinder und euer Gepäck hinauf. Ich will euch keine Minute länger auf diesem Boot haben.« Die Worte gingen in der Heftigkeit des Sturms fast unter, aber es war deutlich zu erkennen, wie eilig er es mit seiner Aufforderung hatte.
Sie eilte nach unten und warf Trevor mehrere Bündel und Rucksäcke zu, während sie Tara auf den Stufen und dem glitschigen Deck stützte. Captain Long hob Tara auf den Anlegesteg, bevor er Trevor ans Ufer half. Er packte Jessicas Arm mit festem Griff und zog sie eng an sich, damit sie ihn hören konnte. »Das gefällt mir nicht ... Jess, ich hoffe, er erwartet euch. Wenn ich weg bin, sitzt ihr hier fest. Du weißt, dass er nicht gerade der umgänglichste Mensch ist.«
»Mach dir keine Sorgen.« Sie tätschelte seinen Arm, obwohl ihr Magen rumorte. »Ich rufe dich an, falls wir dich brauchen. Willst du wirklich nicht über Nacht bleiben?«
»Ich fühle mich dort draußen sicherer.« Er wies auf das Wasser.
Jessica winkte ihm zum Abschied, wandte sich dann der Insel zu, und wartete, bis sich ihre Beine wieder an den festen Boden gewöhnt hatten. Vor sieben Jahren war sie das letzte Mal hier gewesen. Ihre Erinnerungen daran waren der Stoff für Alpträume. Als sie jetzt zu dem Bergrücken aufblickte, rechnete sie fast damit, ein flammendes Inferno zu sehen, aus dem rote und orange Flammen turmhoch in den Himmel aufragten, doch sie sah nur die schwarze Nacht und den Regen. Das Haus, das früher einmal hoch oben auf der Klippe mit Blick auf das Meer gestanden hatte, gab es schon lange nicht mehr. Nur ein Haufen Asche war geblieben.
Im Dunkeln war die Vegetation erschreckend, ein unheilverkündender Anblick. Der wolkenverhangene Mond sandte sein schwaches Licht auf den Boden, wo es ein eigenartiges, unnatürliches Muster erschuf. Die Insel war dicht bewaldet und mit undurchdringlichem Gestrüpp bewachsen; der Wind ließ Bäume und Sträucher einen makaberen Tanz vollführen. Kahle Äste bogen sich und schabten geräuschvoll aneinander. Kräftige Tannen schwankten wie verrückt und ließen einen Schauer spitzer Nadeln durch die Luft regnen.
Jessica holte tief Atem, hob resolut ihren Rucksack hoch und reichte Trevor eine Taschenlampe, damit er vorangehen und ihnen den Weg weisen konnte. »Kommt schon, Kinder, lasst uns zu eurem Vater gehen.«
Der Regen prasselte auf sie herunter und durchnässte sie; die Tropfen bohrten sich wie spitze Eiszapfen direkt durch die Kleidung in ihre Haut. Mit gesenkten Köpfen schleppten sie sich die steilen Steinstufen hinauf, die vom Ufer zum Inneren der Insel führten, wo sich Dillon Wentworth vor der Welt verbarg.
Die Rückkehr auf die Insel ließ eine Flut von Erinnerungen an die guten Zeiten über Jessica hereinbrechen - als Rita Fitzpatrick, ihre Mutter, den Job als Haushälterin und Kindermädchen bei dem berühmten Dillon Wentworth an Land gezogen hatte. Jessica war hellauf begeistert gewesen. Sie war damals knapp dreizehn Jahre gewesen, alt genug, um den künftigen Star zu würdigen, einen Musiker, der seinen Platz unter den größten Musiklegenden einnehmen würde. Dillon hatte viel Zeit außer Haus verbracht, auf Tour oder im Aufnahmestudio, aber wenn er zu Hause gewesen war, war er meistens mit seinen Kindern zusammen gewesen oder er hatte es sich in der Küche mit Rita und Jessica gemütlich gemacht. Sie hatte Dillon in den guten Zeiten gekannt, während dieser fünf Jahre, die von unglaublicher Magie erfüllt gewesen waren.
»Jessie?« Trevors junge Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Weiß er, dass wir kommen?«
Der Junge sah ihr fest in die Augen. Mit seinen dreizehn Jahren musste Trevor durchaus klar sein, dass sie nicht ganz allein mitten in der Nacht durch ein Unwetter laufen würden, wenn sie erwartet worden wären. Sie wären mit einem Wagen auf der Straße am Bootshaus abgeholt worden.
»Er ist euer Vater, Trevor, und Weihnachten steht vor der Tür. Er verbringt zu viel Zeit allein.« Jessica strich sich das regennasse Haar aus dem Gesicht und straffte ihre Schultern. »Das tut ihm nicht gut.« Und Dillon Wentworth war verantwortlich für seine Kinder. Er musste sich um sie kümmern und sie beschützen.
Die Zwillinge hatten ihren Vater nicht so in Erinnerung wie sie. Er war so lebendig gewesen. So attraktiv. Und vieles mehr. Sein Leben war märchenhaft gewesen. Dillon mit seinem guten Aussehen, seinem Talent, seinem ansteckenden Lachen und seinen berühmten blauen Augen - alle hatten sich um ihn gerissen. Dillon hatte sein Leben im Scheinwerferlicht verbracht, im grellen Licht der Regenbogenpresse und des Fernsehens, der Clubs und der gefüllten Stadien. Es war erstaunlich, geradezu unbeschreiblich, wie viel Energie und Kraft Dillon Wentworth bei seinen Auftritten ausstrahlte. Auf der Bühne glühte er hell und heiß, ein Mann mit dem Herzen eines Poeten und dem Talent eines Teufels, wenn er Gitarre spielte und mit seiner rauen, rauchigen Stimme sang.
Aber zu Hause ... Jessica erinnerte sich auch an Vivian Wentworth mit ihrem spröden Lachen und den Fingern mit den roten Krallen an den Spitzen. An ihre glasigen Augen, wenn sie von Drogen benebelt war, unter dem Einfl uss von Alkohol taumelte oder bei einem ihrer Wutausbrüche Gläser zerschmetterte und Fotos aus Bilderrahmen riss. Der langsame, grauenhafte Abstieg in den Wahnsinn des Rauschgifts und des Okkulten. Niemals würde Jessica Vivians Freunde vergessen, die zu Besuch kamen, wenn Dillon nicht da war. Die Kerzen, die Orgien, der Singsang, immer dieser Singsang. Und Männer. Unmengen von Männern im Wentworth'schen Bett.
Plötzlich schrie Tara laut auf, drehte sich zu Jessica um und warf sich ihr so stürmisch in die Arme, dass sie beinahe von den Stufen gestoßen worden wäre. Jessica packte sie mit festem Griff und drückte sie eng an sich. Beide froren so sehr, dass sie unkontrolliert zitterten. »Was ist los, Schätzchen?«, flüsterte Jessica dem Kind ins Ohr. Dort auf der steilen Treppe beschwichtigte sie das Mädchen und wiegte es in ihren Armen, während der Wind sie beide fortzublasen drohte.
»Ich habe etwas gesehen, glühende Augen, die uns angestarrt haben. Es waren rote Augen, Jess. Rot, wie die Augen eines Ungeheuers ... oder eines Teufels.« Das Mädchen erschauerte und klammerte sich fester an Jessica.
»Wo, Tara?« Jessicas Stimme klang ruhig, obwohl sich ihr Magen vor Anspannung verknotet hatte. Rote Augen. Sie selbst hatte diese Augen gesehen.
»Da.« Tara deutete in die Richtung, ohne hinzusehen. An Jessica geschmiegt, verbarg sie ihr Gesicht. »Etwas hat uns durch die Bäume angestarrt.«
»Es gibt Tiere auf der Insel, Schätzchen«, sagte Jessica beschwichtigend, doch sie strengte sich an, im Dunkeln zu sehen. Trevor unternahm den löblichen Versuch, den kleinen Lichtkreis der Taschenlampe auf die Stelle zu richten, auf die seine Zwillingsschwester gedeutet hatte, doch der Lichtstrahl konnte den strömenden Regen nicht durchdringen.
»Das war kein Hund, ganz bestimmt nicht, Jessie, das war eine Art Dämon. Bitte, bring mich nach Hause, ich will nicht hier sein. Ich habe solche Angst vor ihm. Er sieht so schrecklich aus.«
Jessica holte tief Luft und atmete langsam aus. Sie hoffte, dadurch ruhig zu bleiben, denn plötzlich wollte sie selbst kehrtmachen und weglaufen. Hier gab es zu viele Erinnerungen, die sie bedrängten und mit gierigen Klauen nach ihr griffen. »Er hat sich bei einem Brand fürchterliche Narben zugezogen, Tara, das weißt du doch.« Es kostete sie Mühe, mit fester Stimme zu sprechen.
»Ich weiß, dass er uns hasst. Er hasst uns so sehr, dass er uns nie wieder sehen will. Und ich will ihn auch nicht sehen. Er hat Leute ermordet.« Tara schleuderte Jessica diese bittere Anklage ins Gesicht. Der heulende Wind griff die Worte auf und trug sie über die Insel.
Jessica hielt Tara noch fester und schüttelte sie ungehalten. »Ich will nie wieder hören, dass du so etwas Furchtbares sagst. Niemals, hast du mich verstanden? Weißt du, warum dein Vater in jener Nacht in das Haus gelaufen ist? Tara, du bist zu intelligent, um auf dummes Geschwätz und anonyme Anrufer zu hören.«
»Ich habe die Zeitungen gelesen. Es stand alles in den Zeitungen!«, jammerte Tara.
Jessie war wütend. Fuchsteufelswild. Weshalb sollte jemand nach sieben Jahren plötzlich alte Zeitungen und Klatschblätter an die Zwillinge schicken? Tara hatte das Päckchen, das in schlichtes braunes Papier eingeschlagen war, in aller Unschuld geöffnet. Die Boulevardpresse war brutal gewesen, voller Anschuldigungen, die sich um Drogen, Eifersucht und Okkultismus drehten. Die Spekulationen, Dillon hätte seine Frau mit einem anderen Mann im Bett erwischt und es sei zu einer Orgie von Sex, Drogen, Teufelsanbetung und Mord gekommen, waren viel zu prickelnd gewesen, um nicht ausführlich von den Skandalblättern ausgeschlachtet zu werden - lange, bevor die tatsächlichen Ereignisse ans Licht kommen konnten. Jessica hatte Tara jämmerlich schluchzend in ihrem Zimmer vorgefunden. Wer auch immer es für angebracht gehalten hatte, die Zwillinge über die Vergangenheit ihres Vaters in Kenntnis zu setzen, hatte mehrfach angerufen, Trevor und Tara abscheuliche Dinge ins Ohr gefl üstert und darauf beharrt, ihr Vater hätte mehrere Menschen ermordet, darunter auch ihre Mutter.
»Euer Vater ist in das brennende Haus gelaufen, um euch Kinder zu retten. Er dachte, ihr wärt beide drinnen. Jeder, der heil herausgekommen war, hat versucht ihn aufzuhalten, aber er hat sich gewehrt, ist ihnen entwischt und hat sich euretwegen in ein fl ammendes Inferno gestürzt. Das ist kein Hass, Tara. Das ist Liebe. Ich erinnere mich noch an jenen Tag, bis in alle Einzelheiten.« Sie presste die Finger auf ihre pochenden Schläfen. »Ich kann es niemals vergessen, ganz gleich, wie sehr ich mich anstrenge.«
Und angestrengt hatte sie sich wirklich. Verzweifelt hatte sie versucht, die Klänge des Singsangs zu übertönen, den Anblick der schwarzen Kerzen auszublenden und den Geruch der Räucherstäbchen zu verdrängen. Sie erinnerte sich an das Geschrei, die erhobenen Stimmen, das Geräusch der Schüsse. Und an die Flammen, die schrecklichen, gierigen Flammen. An die Rauchschwaden, die so dicht gewesen waren, dass man nichts hatte sehen können. Auch die Gerüche vergingen nicht. Selbst jetzt hatte sie beim Aufwachen manchmal noch den Gestank von brennendem Fleisch in der Nase.
Trevor legte einen Arm um sie. »Weine nicht, Jessica. Nun sind wir schon mal hier und frieren alle, also lasst uns einfach weiterlaufen. Lasst uns Weihnachten mit Dad feiern, einen Neubeginn machen und versuchen, diesmal mit ihm klarzukommen.«
Jessica lächelte ihn durch den Regen und die Tränen an. Trevor. Er war seinem Vater so ähnlich und wusste es nicht einmal. »Wir werden ein wunderbares Weihnachtsfest verbringen, Tara. Warte ab, du wirst es sehen.«
Sie stiegen die restlichen Stufen hinauf, bis der Boden sich ebnete und Jessica den vertrauten Pfad fand, der sich durch die dichten Wälder zum Anwesen wand. Die kleine Insel im Meer zwischen Washington und Kanada war relativ abgelegen. Hier verkehrte nicht einmal eine Fähre vom Festland. So hatte Dillon es sich gewünscht, denn er wollte, dass seine Familie auf seiner eigenen Insel ungestört war. Früher hatte es Wachpersonal und Hunde gegeben. Jetzt gab es hier nur noch Schatten und quälende Erinnerungen, die ihr in der Seele wehtaten.
In den alten Zeiten hatte es auf der Insel vor Menschen gewimmelt, und es hatte reges Treiben geherrscht; jetzt war es still und nur ein Hausmeister lebte in einem der kleineren Häuser irgendwo auf der Insel. Jessicas Mutter hatte ihr erzählt, Dillon dulde auf Dauer nur einen einzigen älteren Mann hier. Selbst bei Regen und Wind war nicht zu übersehen, dass das Bootshaus schlecht instand gehalten wurde und die Straße, die in einem Bogen zum Haus hinaufführte, überwuchert war und kaum benutzt wurde. Am Landungssteg, wo immer etliche Boote gelegen hatten, war zwar jetzt keines in Sicht, doch im Bootshaus musste Dillon immer noch ein Boot liegen haben.
Der Pfad führte durch den dichten Wald. Der Wind peitschte die Äste so kräftig, dass der Baldachin, den die Bäume über ihren Köpfen bildeten, bedrohlich schwankte. Der Regen konnte die Wipfel nur mit Mühe durchdringen, doch einzelne Tropfen trafen laut platschend auf den Weg. Kleingetier verschwand raschelnd im Gebüsch, wenn sie vorüberkamen.
»Ich glaube nicht, dass wir noch in Kansas sind«, scherzte Trevor mit einem unsicheren Lächeln.
Jessica drückte ihn an sich. »Löwen und Tiger und Bären, meine Güte«, zitierte sie aus Der Zauberer von Oz und freute sich über das breite Grinsen auf seinem Gesicht.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass er hier lebt«, schniefte Tara.
»Tagsüber ist es wunderschön«, beharrte Jessica. »Warte ab, es ist ein herrlicher Ort. Die Insel ist klein, aber hier gibt es alles.«
Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Christine Feehan
Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren elf Kindern lebt. Sie begann bereits als Kind zu schreiben und hat seit 1999 mehr als dreißig Romane veröffentlicht, die in den USA mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden und regelmäßig auf den Bestsellerlisten landen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Christine Feehan
- 2011, 288 Seiten, Maße: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Gnade, Ursula
- Übersetzer: Ursula Gnade
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453527909
- ISBN-13: 9783453527904
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