Sookie Stackhouse, Band 1-3
"Vorübergehend tot", "Untot in Dallas" und "Club Dead"
- Vorübergehend tot, Band 1: Sookie Stackhouse jobbt in einer Kleinstadt in Louisiana als Kellnerin. Sie ist still, introvertiert und geht selten aus. Nicht, daß sie nicht hübsch wäre. Im Gegenteil. Sookie...
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Produktinformationen zu „Sookie Stackhouse, Band 1-3 “
- Vorübergehend tot, Band 1: Sookie Stackhouse jobbt in einer Kleinstadt in Louisiana als Kellnerin. Sie ist still, introvertiert und geht selten aus. Nicht, daß sie nicht hübsch wäre. Im Gegenteil. Sookie hat nur, na ja, eben diese "Behinderung". Sie kann Gedanken lesen. Das macht sie nicht gerade begehrenswert. Doch dann taucht Bill auf. Er ist groß, düster, gutaussehend - und Sookie hört kein Wort von dem, was er denkt. Er ist genau die Art Mann, auf den sie schon ihr ganzes Leben lang wartet. Doch auch Bill hat eine Behinderung: Er ist ein Vampir. Außerdem hat er einen schlechten Ruf. Er hängt mit einer verdammt unheimlichen Clique herum, deren Mitglieder alle - Überraschung! - Mordverdächtige sind. Als dann noch eine Kollegin Sookies ermordet wird, befürchtet sie, sie könnte die nächste sein.
- Untot in Dallas, Band 2: Die Kellnerin Sookie Stackhouse hat eine Pechsträhne. Zuerst wird einer ihrer Kollegen ermordet, und es gibt keinerlei Hinweise auf den Täter. Kurz darauf steht sie einer Bestie gegenüber, die ihr mit giftigen Krallen schmerzhafte Wunden zufügt. Dann: Auftritt der Vampire, die ihr nicht ganz uneigennützig das Gift aus den Adern saugen - und das ist erst der Anfang. Im zweiten Band um die charmante und etwas schräge Sookie Stackhouse und ihren Geliebten, den Vampir Bill, liefert Charlaine Harris erneut Horror und Humor aus der Perspektive des ländlichen Amerika.
- Club Dead, Band 3:
Sookie Stackhouse hat nur mit einem Vampir freiwillig Umgang, und das ist ihr Geliebter Bill. Aber er ist in letzter Zeit so distanziert - und außerdem in einem anderen Staat. Sein finsterer, attraktiver Chef Eric hat eine Idee, wo er sein könnte. Ehe sich Sookie versieht, ist sie in Jackson, Mississippi, um sich in der Unter-Unterwelt des Club Dead umzusehen. Das ist ein gefährlicher kleiner Laden, in dem sich die elitäre Vampirgesellschaft trifft, um auszuspannen und sich einen Schluck Null Rhesus Negativ zu gönnen. Aber als Sookie Bill endlich findet - und ihn bei einem schlimmen Verrat erwischt - ist sie nicht sicher, ob sie ihn retten oder ein paar Pflöcke anspitzen soll.
BOOKLIST
"Abgedreht und gruselig!"
Lea
"Eine herrliche Mischung aus Spannung und Fantasy, garniert mit Romantik und Humor."
Library Journal
"New York Times"-Bestseller!
Lese-Probe zu „Sookie Stackhouse, Band 1-3 “
Vorübergehend Tot von Charlaine HarrisKapitel 1
Als der Vampir das Lokal betrat, hatte ich schon jahrelang
auf ihn gewartet.
Seit Vampire vor vier Jahren ganz offi ziell hatten aus
ihren Särgen kriechen dürfen (wie sie selbst es scherzhaft
zu beschreiben pflegten), hatte ich immer gehoff t, einer
von ihnen würde auch nach Bon Temps kommen. Alle
anderen Minderheiten waren schließlich in unserer Stadt
vertreten, warum sollte dann diese eine, die neueste, fehlen,
die der rechtlich anerkannten Untoten? Aber anscheinend
war der ländliche Norden Louisianas für Vampire
nicht attraktiv genug. New Orleans dagegen hatte
sich rasch zu einem richtigen Vampirzentrum gemausert:
Anne Rice und all diese Geschichten, Sie wissen schon.
Von Bon Temps bis New Orleans ist es nicht weit, und
alle Besucher unserer Kneipe wussten zu erzählen, dort
träfe man, wenn man an einer Straßenecke einen Stein
aufhob und warf, unter Garantie einen Vampir - auch
wenn man das ja lieber sein lassen sollte.
Ich jedoch wartete auf meinen eigenen Vampir.
Sie werden wohl schon bemerkt haben, dass ich nicht
oft ausgehe und nicht viel herumkomme. Das liegt nicht
daran, dass ich nicht hübsch bin. Ich bin nämlich hübsch:
blondes Haar, blaue Augen, 25. Meine Beine sind straff ,
mein Busen macht einiges her, und ich verfüge über eine
Wespentaille. Die Kellnerinnentracht, die Sam uns für
den Sommer verordnet hat, kleidet mich ausgezeichnet:
schwarze Shorts, ein weißes T-Shirt, schwarze Turnschuhe
der Marke Nike.
Aber ich habe eine Behinderung - ich jedenfalls versuche,
das so zu sehen.
Bei den Gästen gelte ich lediglich als verrückt.
... mehr
Egal, wie man die Sache nennt, sie hat zur Folge, dass
sich so gut wie nie jemand mit mir verabreden will. Daher
spielen die kleinen Freuden des Lebens für mich eine
große Rolle.
Noch dazu saß er an einem meiner Tische - der Vampir.
Ich wusste sofort, was er war, und es wunderte mich
sehr, dass niemand sonst sich umwandte, um ihn anzustarren.
Sie hatten es alle nicht mitbekommen! Ich schon -
mir war nicht entgangen, dass seine Haut sanft schimmerte,
und ich wusste es einfach!
Vor Freude hätte ich tanzen mögen, und ich tat auch
wirklich einen kleinen Freudensprung, während ich noch
am Tresen stand und zu ihm hinübersah. Sam Merlotte,
mein Chef, blickte von dem Cocktail auf, den er gerade
mixte, und warf mir ein kleines Lächeln zu. Ich schnappte
mir Tablett und Block und ging hinüber zum Tisch, an
dem der Vampir saß, wobei ich hoffte, mein Lippenstift
wäre noch nicht verschmiert und mein Pferdeschwanz
säße ordentlich. Ich bin ein wenig schüchtern und spürte
genau, wie meine Mundwinkel nach oben gezogen wurden,
weil ich so angestrengt lächelte.
Der Vampir saß tief in Gedanken versunken da, und
so hatte ich Gelegenheit, ihn mir genau anzusehen, eher
er mich überhaupt bemerkte. Ich schätzte ihn auf etwa
1,90 m; er hatte dichtes braunes Haar, das er glatt nach
hinten gekämmt trug und das ihm bis auf den Hemdkragen
fiel. Seine langen Koteletten wirkten altmodisch. Er
war blass. Natürlich war er blass: Wollte man den alten
Geschichten Glauben schenken, dann war er schließlich
tot. Die politisch korrekte, von den Vampiren selbst in der
Öffentlichkeit vertretene These zu dem Thema lautete, der
Mann da vor mir sei einem Virus zum Opfer gefallen. Was
zur Folge gehabt habe, dass er ein paar Tage lang für tot
gehalten worden sei und nun unter einer Allergie gegen
Sonnenlicht, Silber und Knoblauch litte. Mit welchen Details
man diese These ergänzte, hing von der Tageszeitung
ab, die man abonniert hatte. Dieser Tage waren alle Zeitungen
voller Informationen über Vampire.
Wie dem auch sein mochte: Die Lippen meines Vampirs
waren wunderschön, scharf geschnitten und geschwungen.
Auch seine Augenbrauen waren schön geschwungen,
und dort, wo sie sich trafen, entsprang unmittelbar seine
Nase, wie bei einem Prinzen auf einem byzantinischen
Mosaik. Nun sah er endlich auf, und ich bemerkte, dass
seine Augen noch dunkler waren als sein Haar und das
Weiß in ihnen einfach unglaublich weiß.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich, und vor lauter
Glück versagte mir fast die Stimme.
Er hob beide Brauen. »Führen Sie synthetisches Blut in
Flaschen?«, erkundigte er sich.
»Leider nicht. Oh, das tut mir so leid! Sam hat welches
bestellt, aber es soll erst nächste Woche geliefert werden.«
»In diesem Fall hätte ich gern einen Rotwein«, sagte er,
und seine Stimme klang kalt und klar wie ein Fluss, der
über glatte Steine rinnt. Ich lachte laut auf. Es war einfach
alles zu perfekt!
»Kümmern Sie sich nicht um Sookie, Mister, sie ist verrückt
«, erklang aus einer der Nischen, die sich an der
Wand entlangerstreckten, eine allzu vertraute Stimme.
Sofort war mein Glücksgefühl verfl ogen - auch wenn ich
immer noch das Lächeln spürte, das meine Mundwinkel
hochzog. Der Vampir, der mich die ganze Zeit prüfend ansah,
konnte dabei zusehen, wie alles Leben aus meinem
Gesicht wich.
»Ihr Wein kommt sofort«, sagte ich und stolzierte davon,
ohne einen einzigen Blick auf Mack Rattrays selbstzufriedenes
Gesicht zu werfen. Mack kam fast jeden
Abend, zusammen mit seiner Frau Denise. Das Rattenpärchen
- so nannte ich die beiden im Stillen. Seit sie den
Wohnwagen auf dem Stellplatz bei Four Tracks Corner gemietet
hatten, hatten die beiden ihr Bestes getan, mir das
Leben zur Hölle zu machen, und ich hoffte sehr, der Wind
möge sie ebenso schnell wieder aus Bon Temps herauswehen,
wie er sie hereingeweht hatte.
Als sie zum ersten Mal ins Merlottes gekommen waren,
war ich so unhöflich gewesen, ihren Gedanken zu lauschen
- ich weiß, das ist ziemlich daneben. Aber ich langweile
mich eben manchmal, wie andere Leute auch. Meist
gelingt es mir ja, die Gedanken anderer rauszufi ltern,
wenn sie versuchen, sich in meinen Kopf zu stehlen. Aber
ganz selten einmal gebe ich nach und höre zu. Also wusste
ich ein paar Dinge über die Rattrays, die vielleicht niemand
sonst wusste. Ich wusste, dass sie im Gefängnis gesessen
hatten - wenn auch nicht weswegen -, und ich
hatte die hässlichen Gedanken gehört, die Mack Rattray
über mich in seinem Hirn bewegte. Den Gedanken De nise'
hatte ich entnehmen können, dass sie vor zwei Jahren ein
Baby ausgesetzt hatte, dessen Vater nicht Mack gewesen
war.
Zudem gab keiner von beiden je Trinkgeld.
Sam schenkte ein Glas von unserem offenen Roten ein,
und während er es auf meinem Tablett zurechtrückte,
warf er einen Blick zum Tisch hinüber, an dem der Vampir
hockte.
Dann sah Sam mich an, und ich wusste, dass auch er
mitbekommen hatte, dass unser neuer Gast zu den Untoten
zählte. Sam hat Augen, so blau wie die Paul Newmans.
Nicht wie meine, die eher verwaschen graublau sind. Sam
ist blond wie ich, aber mit drahtigem, dickem Haar, das
schimmert wie rötliches Gold. Sein Gesicht ist von der
Sonne immer leicht gerötet, und bekleidet wirkt er eher
zierlich. Ich sah ihn aber schon mit nacktem Oberkörper
einen Lastwagen abladen und weiß, wie muskulös er ist.
Sams Gedanken höre ich mir nie an. Er ist mein Chef. Ich
musste schon mehrere Arbeitsstellen verlassen, weil ich
Sachen über die jeweiligen Chefs herausgefunden hatte,
die ich gar nicht hatte wissen wollen.
Aber Sam sagte nichts, er reichte mir lediglich das Tablett
mit dem Weinglas. Ich prüfte noch einmal, ob es
auch wirklich ganz sauber war und glänzte, und machte
mich dann auf den Weg zum Tisch des Vampirs.
»Ihr Wein, Sir«, sagte ich formvollendet und stellte das
Glas vorsichtig direkt vor ihm auf dem Tisch ab. Erneut
sah er zu mir auf, und ich nahm die Gelegenheit wahr, in
seine wunderschönen Augen zu blicken. »Zum Wohl!«,
sagte ich stolz. Hinter mir schrie Mack Rattray: »He, Sookie,
wir brauchen noch einen Krug Bier!« Seufzend
wandte ich mich um und schnappte mir den leeren Bier-
krug vom Tisch der Ratten. Wie ich feststellen konnte,
war Denise an diesem Abend in Hochform. Sie trug ein
bauchfreies Oberteil und ultrakurze Hosen; perfekt auf
die neueste Mode abgestimmt, ergossen sich ihre braunen
Locken wie ein Wasserfall auf ihre Schultern. Denise war
nicht hübsch, aber sie war so strahlend und selbstsicher,
dass es eine Weile dauerte, ehe man das mitbekam.
Wenig später musste ich zu meinem Kummer feststellen,
dass sich die Rattrays zu dem Vampir an den Tisch gesetzt
hatten. Beide redeten auf ihn ein. Ob er sich am Gespräch
beteiligte, konnte ich nicht sehen. Aber er ging
auch nicht.
»Guck dir das an!«, sagte ich angewidert zu Arlene,
meiner Kollegin. Arlene ist ein Rotschopf mit Sommersprossen,
zehn Jahre älter als ich und war schon viermal
verheiratet. Sie hat zwei Kinder, und ich glaube, von Zeit
zu Zeit denkt sie, ich sei ihr drittes.
»Neuer Typ?«, fragte sie, klang aber nicht besonders
interessiert. Arlene geht im Moment mit Rene Lenier aus,
und auch wenn ich nicht verstehe, was sie an ihm fi ndet,
scheint sie ziemlich zufrieden mit ihm. Ich glaube, Rene
war ihr zweiter Ehemann.
»Er ist ein Vampir!«, sagte ich, denn ich musste meine
Freude einfach mit jemandem teilen.
»Wirklich? Hier? Wer hätte das gedacht«, sagte Arlene
und lächelte ein wenig, um mir zu zeigen, dass sie
sich für mich freute. »Besonders schlau kann er aber
nicht sein, meine Süße, wenn er mit den Ratten zusammenhockt.
Andererseits bietet Denise ihm auch reichlich
Einblicke.«
Das war mir noch gar nicht aufgefallen, ich bekam es
erst jetzt mit, wo Arlene mich darauf hingewiesen hatte.
Meine Kollegin ist immer schneller als ich bei der Hand,
wenn es darum geht einzuschätzen, ob es sexuell knistert
oder nicht. Das liegt daran, dass sie so viel Erfahrung hat
und ich so wenig.
Der Vampir hatte Hunger. Ich hatte schon oft sagen hören,
das synthetische Blut, das die Japaner entwickelt hatten,
decke zwar den Nährstoffbedarf von Vampiren, sei
aber nicht in der Lage, ihren Hunger zu stillen. So kam es
von Zeit zu Zeit zu »unglücklichen Zwischenfällen« (so
umschrieben die Vampire in offi ziellen Verlautbarungen
das blutige Hinschlachten eines Menschen), und da saß
Denise Rattray, streichelte sich die Kehle und wandte den
Hals von einer Seite zur anderen - was für ein schamlos
aufdringliches Weibsbild!
Dann kam mein Bruder Jason in die Bar und trottete herbei,
um mich pflichtschuldig in den Arm zu nehmen. Er
weiß, dass Frauen Männer mögen, die nett zu ihren Familien
und freundlich zu Behinderten sind, also dient es seinem
Ruf in doppelter Weise, wenn er mich in den Arm
nimmt. Wobei Jason eigentlich gar keine zusätzlichen Pluspunkte
sammeln müsste, was Frauen betrifft. Er kommt
auch so zurecht. Jason ist attraktiv. Er kann weiß Gott auch
ziemlich fies sein, aber die meisten Frauen scheinen gewillt,
darüber hinwegzusehen.
»Hallo, Schwesterherz, wie geht's der Oma?«
»Ganz gut, so wie immer eigentlich. Komm doch vorbei
und frag sie selbst.«
»Das werde ich auch tun. Wer ist denn so hier heute
Abend?«
»Guck dich doch um.« Jason sah sich um, und ich be-
merkte allüberall weibliche Hände, die hochfl atterten, um
Haare, Blusen, Lippen zu überprüfen.
»Aber hallo, da ist ja DeeAnne. Ist sie allein hier?«
»Sie kam mit einem Lkw-Fahrer aus Hammond. Er ist
auf dem Klo. Nimm dich in Acht.«
Jason grinste mir zu, und ich fragte mich resigniert
zum wiederholten Male, warum andere Frauen die Selbstgefälligkeit
in seinem Lächeln nicht sahen. Selbst Arlene
zog ihr T-Shirt zurecht, wenn Jason die Bar betrat, und die
hätte doch eigentlich nach vier Ehemännern ein wenig
mehr darüber wissen müssen, wie man Männer einschätzt.
Dawn, die andere Kellnerin, mit der ich zusammenarbeitete,
warf ihr Haar zurück und richtete sich auf,
damit ihr Busen besser zur Geltung kam. Jason winkte ihr
freundlich zu. Sie tat, als würde sie das gar nicht interessieren.
Sie hat sich mit Jason überworfen, aber sie will
trotzdem immer noch, dass er sie zur Kenntnis nimmt.
Dann hatte ich viel zu tun - Samstagabend kommen alle
wenigstens für ein paar Stunden ins Merlottes -, also bekam
ich eine Weile nicht mit, was mein Vampir tat. Als ich
wieder Zeit hatte, nach ihm Ausschau zu halten, unterhielt
er sich gerade mit Denise. Mack sah den beiden mit
einem derart gierigen Ausdruck im Gesicht zu, dass ich
sofort anfing, mir Sorgen zu machen.
Ich trat näher an den Tisch heran, an dem die drei saßen,
und starrte Mack an. Dann ließ ich meine Wachsamkeit
fahren und hörte ihm zu.
Mack und Denise hatten im Gefängnis gesessen, weil
sie einen Vampir ausgeblutet hatten!
Zutiefst erschrocken trug ich trotzdem erst einmal völlig
mechanisch einen Krug Bier und ein paar Gläser zu einem
Tisch mit vier Personen, an dem es schon ziemlich lebhaft
zuging. Man schrieb allgemein Vampirblut die Fähigkeit
zu, bestimmte Krankheitssymptome vorübergehend zu
lindern und die sexuelle Potenz zu steigern - eine Mischung
aus Viagra und Prednison in etwa. Es gab einen riesigen
Schwarzmarkt für echtes, unverdünntes Vampirblut,
und wo es einen Markt gibt, da finden sich auch Leute, die
diesen bedienen. In unserem Fall waren das, wie ich gerade
hatte erfahren müssen, die beiden Ratten. Sie hatten
früher schon Vampire in die Falle gelockt, zur Ader gelassen
und pro Ampulle Vampirblut 200 Dollar kassiert. Vampirblut
war seit zwei Jahren die große Modedroge. Auch
wenn manche Käufer nach dem Genuss des unverdünnten
Blutes wahnsinnig geworden waren, hinderte das den
Markt nicht, weiterhin zu wachsen und zu gedeihen.
In der Regel überlebten zur Ader gelassene Vampire
nicht lange. Die Täter ließen sie entweder einfach gepfählt
am Tatort zurück oder luden sie irgendwo in freier Wildbahn
ab. Wenn dann die Sonne aufging, blieben keine Spuren.
Manchmal fand sich in der Zeitung ein Hinweis darauf,
der Spieß sei umgedreht worden, da es den Vampiren
gelungen war freizukommen - dann gab es tote Aderlasser.
Nun war mein Vampir aufgestanden und schickte sich
an, mit den Ratten zusammen die Bar zu verlassen. Mack
fing meinen Blick auf und zuckte sichtlich zusammen, als
er feststellen musste, wie finster ich ihn anblickte. Dann
aber drehte er sich um und tat mich mit einem Achselzucken
ab. Wie alle anderen auch.
Da wurde ich richtig wütend.
Was sollte ich tun? Ich hatte die Frage noch nicht geklärt,
da waren die drei auch schon zur Tür hinaus. Ob der
Vampir mir glauben würde, wenn ich ihm nachliefe und
ihm erzählte, was ich gehört hatte? Alle anderen glaubten
mir nicht, und wenn sie es per Zufall dann doch einmal
taten, hassten und fürchteten sie mich dafür, dass ich Gedanken
lesen konnte, die in den Köpfen anderer Menschen
verborgen waren. Einmal hatte Arlene mich gebeten,
den Gedanken ihres vierten Mannes zu lauschen, als
der sie eines Abends abholen kam. Sie war sich ziemlich
sicher gewesen, dass er plante, sie und die Kinder zu verlassen.
Ich hatte mich geweigert; ich wollte die einzige
Freundin behalten, die ich überhaupt besaß, und selbst
Arlene war damals nicht in der Lage gewesen, mich direkt
um diesen Gefallen zu bitten, denn das hätte bedeutet,
sich einzugestehen, dass ich wirklich über diese Gabe -
diesen Fluch - verfügte. Die Leute wollten es nicht wahrhaben.
Also dachten sie lieber, ich sei verrückt, und
manchmal war ich ja auch fast schon verrückt.
Also zögerte ich. Ich war verwirrt, verängstigt und
sehr wütend, und dann wusste ich, ich musste ganz einfach
irgendetwas unternehmen. Letztlich bewog mich der
Blick, den Mack mir zugeworfen hatte, zum Handeln -
dieser Blick, der besagt hatte, mich könne man getrost
vergessen.
Ich glitt am Tresen entlang zu Jason hinüber, der gerade
damit beschäftigt war, DeeAnne zu bezaubern. Viel
zu zaubern brauchte man bei ihr nicht, wenn man den Gerüchten
Glauben schenken wollte. Finster dreinblickend
hockte der Lastwagenfahrer aus Hammond auf der anderen
Seite von DeeAnne auf seinem Barhocker.
»Jason«, sagte ich drängend. Er wandte sich um und
warf mir einen warnenden Blick zu. »Jason, hör mal, liegt
diese Motorradkette immer noch hinten auf deinem Pick-
up?«
»Ohne diese Kette verlasse ich das Haus nicht«, erwiderte
mein Bruder lässig und ließ seinen Blick rasch über
mein Gesicht streifen, um zu sehen, ob es irgendwelchen
Ärger gab. »Willst du handgreiflich werden, Sookie?«
Ich strahlte ihn an, so sehr ans Lächeln gewöhnt, dass
es mir überhaupt keine Mühe machte. »Das will ich nicht
hoffen«, zwitscherte ich vergnügt.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte er, denn immerhin war er ja
mein Bruder.
»Nein, danke«, sagte ich und versuchte, überzeugend
zu klingen. Ich glitt hinüber zu Arlene. »Hör mal, ich
muss ein bisschen früher gehen. Meine Tische sind nicht
mehr so dicht besetzt, kannst du für mich einspringen?«
Ich glaube, ich hatte Arlene noch nie zuvor um einen
solchen Gefallen gebeten, auch wenn ich umgekehrt oft
genug für sie eingesprungen war. Wie Jason bot mir auch
Arlene Hilfe an, aber ich lehnte ab. »Es wird auch so gehen
«, erklärte ich. »Wenn es geht, komme ich auch noch
einmal zurück. Wenn du dich so lange um meine Tische
kümmerst, putze ich dir deinen Wohnwagen!«
Begeistert schüttelte Arlene die rote Mähne.
Ich wies auf den Angestellteneingang, dann auf mich
selbst und deutete mit den Fingern Gehbewegungen an,
damit Sam wusste, was ich vorhatte.
Sam nickte. Glücklich wirkte er dabei nicht.
Also ging ich zur Hintertür hinaus und bemühte mich,
auf dem Kies der Einfahrt dort möglichst wenig Lärm zu
machen. Der Parkplatz für Angestellte befindet sich an
der Rückseite des Merlottes, und man gelangt dorthin
durch eine Tür, die erst einmal in einen Lagerraum führt.
Der Koch hatte dort hinten seinen Wagen geparkt, Arlene,
Dawn und ich auch. Im östlichen Teil der Anlage, vor seinem
Wohnwagen, hatte Sam seinen Pick-up abgestellt.
Der Parkplatz der Angestellten war mit Kies ausgestreut.
Ich verließ ihn und trat auf den weitaus größeren,
asphaltierten Kundenparkplatz. Das Merlottes befand
sich auf einer Waldlichtung, weswegen der Parkplatz mit
Bäumen umstanden war. Bei den Bäumen am Rande des
Parkplatzes hörte der Asphalt auf, und es lag wieder Kies
auf dem Boden. Sam beleuchtete den Kundenparkplatz
gut, und im surrealistischen Glanz der hohen Laternen
wirkte alles sehr verfremdet.
Ich erkannte den roten, zerbeulten Sportwagen des
Rattenpärchens und wusste so, dass die beiden noch in
der Nähe waren.
Dann entdeckte ich endlich auch Jasons Pick-up. Er war
pechschwarz, an den Seiten verziert mit riesigen aquamarinblauen
und rosa Flammen. Jason fiel nun einmal gern
immer und überall auf. Hastig zog ich mich an der hinteren
Wagenklappe hoch und taste auf der Ladefl äche nach
Jasons Motorradkette, einer langen, dicken Kette, die er
für den Fall, dass er in eine Schlägerei geraten sollte, immer
bei sich führte. Ich wickelte mir einen Teil der Kette
um die Hand und trug den Rest so nah am Körper, dass er
beim Gehen nicht klirrte und mich womöglich verriet.
Dann dachte ich kurz nach. Der einzige Ort, der halbwegs
Zurückgezogenheit bot und an den die Rattrays meinen
Vampir folglich gelockt haben könnten, befand sich
am hinteren Ende des Parkplatzes, dort, wo bereits Äste
der umstehenden Bäume über die geparkten Autos rag-
ten. Also schlich ich so rasch, aber auch so geräuschlos es
irgend ging in diese Richtung.
Alle paar Sekunden blieb ich stehen, um zu lauschen.
Bald schon konnte ich Stöhnen und leise Stimmen hören.
Ich schlängelte mich zwischen den geparkten Autos hindurch
und entdeckte die drei genau dort, wo ich sie auch
erwartet hatte. Der Vampir lag mit schmerzverzerrtem Gesicht
rücklings auf dem Boden, und eine glitzernde Kette
floss ihm im Zickzack von den Handgelenken bis zu den
Knöcheln. Silber! Neben Denise' Füßen lagen bereits zwei
kleine Ampullen voll Blut, und vor meinen Augen befestigte
sie eine weitere leere Vakuumröhre an der Nadel, die
unterhalb der Aderpresse, die über dem Ellbogen des Vampirs
schmerzhaft in dessen Arm schnitt, in der Haut steckte.
Die Ratten standen mit dem Rücken zu mir, und der
Vampir hatte mich noch nicht gesehen. Ich wickelte die
Kette von meiner Hand, bis ein guter Meter dicker Kettenglieder
frei schwang, wobei ich mich fragte, wen ich mir
als Ersten vorknöpfen sollte. Beide Ratten waren recht
klein, und beide waren hinterhältig.
Ich erinnerte mich an die verächtliche Art, in der Mack
mich als unwichtig abgetan hatte, und daran, dass er mir
nicht ein einziges Mal ein Trinkgeld hatte zukommen lassen.
Zuerst also Mack!
Bis zu diesem Abend hatte ich nie an einer Schlägerei
teilgenommen, und irgendwie freute ich mich richtig darauf.
Mit einem Satz sprang ich hinter einem Pick-up hervor,
holte aus, und die Kette traf Mack, der neben seinem Opfer
am Boden kniete, mit voller Wucht in den Rücken. Mit
einem Aufschrei sprang er auf. Denise blickte nur einmal
kurz auf und beschäftigte sich dann weiterhin mit ihrer
dritten Vakuumröhre. Macks Hand fuhr hinunter zu seinem
Stiefel und kam glitzernd wieder hoch. Ich schluckte.
Der Typ hielt ein Messer in der Hand.
»Aber nicht doch!«, sagte ich und grinste ihn an.
»Du durchgeknallte Kuh!«, brüllte er daraufhin und
hörte sich ganz so an, als freue er sich darauf, sein Messer
auch zum Einsatz zu bringen. Ich war zu beschäftigt, um
meine geistigen Schutzmechanismen aufrechterhalten zu
können, und bekam eine klare Vorstellung dessen, was
Mack mir anzutun gedachte. Das brachte mich zur Raserei.
Fest entschlossen, ihm so viel Schmerzen zuzufügen
wie irgend möglich, warf ich mich auf ihn. Aber er war
auf meinen Angriff vorbereitet gewesen und sprang vor,
das Messer in der ausgestreckten Hand, während ich erneut
mit der Kette ausholte. Er zielte auf meinen Arm, traf
aber knapp daneben. Die Kette dagegen wickelte sich, von
ihrem eigenen Schwung beflügelt, mit ungeheurer Geschwindigkeit
um seinen mageren Hals wie die Arme einer
begeisterten Liebhaberin. Das Triumphgeheul, mit dem
Mack das Messer gegen mich gerichtet hatte, wandelte
sich in ein Gurgeln. Er ließ das Messer fallen, riss mit beiden
Händen verzweifelt an der Kette und sank japsend auf
dem rauen Pflaster in die Knie, wobei sein Kniefall mir
mein Ende der Kette aus der Hand riss.
Da ging sie also hin, Jasons geliebte Motorradkette.
Rasch bückte ich mich, schnappte mir Macks Messer und
hielt es so, als wüsste ich, wie man damit umgeht. Denise
hatte nämlich Anstalten gemacht, sich auf mich zu werfen,
wobei sie in den Lichtern und Schatten der Sicherheitslampen
aussah wie eine hinterwäldlerische Hexe.
Als sie sah, dass ich Macks Messer in der Hand hielt,
blieb sie wie angewurzelt stehen, fluchte, wütete und
sagte schreckliche Dinge. Ich wartete, bis ihr nichts mehr
einfiel. »Hau ab«, sagte ich dann. »Auf der Stelle.«
Denise starrte hasserfüllte Löcher in meinen Kopf. Dann
versuchte sie, die Blutampullen an sich zu reißen, aber ich
zischte ihr zu, sie solle sie lieber lassen, wo sie seien. Also
zog sie stattdessen wütend Mack hoch, der immer noch
halb erstickt gurgelnde Geräusche von sich gab, während
er an der Kette zerrte. Sie zog ihn mehr oder weniger hinter
sich her zum Wagen und schob ihn dort durch die Beifahrertür.
Dann fi schte sie mit einem Ruck ein Schlüsselbund
aus ihrer Hosentasche und ließ sich selbst auf den
Fahrersitz fallen.
Als ich den Motor des Wagens aufheulen hörte, wurde
mir mit einem Mal klar, dass die Ratten nun eine andere
Waffe hatten. Schneller als ich je in meinem Leben gerannt
war, eilte ich zu meinem Vampir, stellte mich neben
seinen Kopf und keuchte: »Schieben Sie mit Ihren Füßen!
« Ich griff ihm unter die Arme und zog mit aller Kraft,
und er begriff, worum es ging, stemmte seine Füße gegen
den Boden und schob. Wir hatten die Baumlinie gerade
erreicht, als der rote Wagen auch schon auf uns zuschoss.
Denise verpasste uns um einen knappen halben Meter,
weil sie das Steuer herumreißen musste, um nicht mit einer
Kiefer zu kollidieren. Erleichtert hörte ich den schweren
Motor des Rattenfahrzeugs in der Ferne verhallen.
»Mein Gott!«, stöhnte ich und kniete neben dem Vampir
nieder, weil meine Beine mich nicht mehr tragen wollten.
Gut eine Minute lang tat ich nichts anderes, als heftig
ein- und auszuatmen und mich wieder zu beruhigen.
Dann bewegte sich der Vampir ein wenig, weswegen ich
einen Blick auf ihn warf, wobei ich zu meinem großen
Entsetzen sehen musste, dass dort, wo das Silber seine
Haut berührte, kleine Rauchwölkchen von seinen Handgelenken
aufstiegen.
»Oh, Sie Ärmster!«, rief ich aus und war wütend auf
mich, weil ich mich nicht sofort um ihn gekümmert hatte.
Immer noch schwer atmend, machte ich mich daran, die
schmalen Silberbänder zu lösen, die alle Teil einer einzigen
langen Kette zu sein schienen. »Armes Kind!«, fl üsterte ich
entsetzt, und mir war gar nicht klar, wie widersinnig diese
Worte waren. Ich bin geschickt, und so waren die Handgelenke
des Vampirs schnell befreit. Ich versuchte, mir
vorzustellen, womit ihn die Rattrays wohl abgelenkt haben
mochten, um ihn in die Position zu manövrieren, in
der er sich jetzt befand und in der sie ihm hatten die Ketten
anlegen können, und spürte, wie ich rot wurde, als ich mir
die entsprechende Szene ausmalte.
Während ich mich an dem Silber zu schaff en machte,
das um seine Beine gewickelt war, drückte der Vampir
schützend die Arme an seine Brust. Seinen Knöcheln ging
es besser, denn die Aderlasser hatten sich nicht die Mühe
gemacht, seine Hosenbeine hochzuziehen und die Kette
auf der nackten Haut zu platzieren.
»Es tut mir so leid, dass ich nicht schneller hier war!«,
sagte ich entschuldigend. »Aber es wird Ihnen bald wieder
besser gehen, nicht? Soll ich Sie lieber allein lassen?«
»Nein.«
Das zu hören machte mir Freude, bis er hinzufügte:
»Die beiden könnten zurückkommen, und ich bin noch
nicht in der Lage zu kämpfen.« Seine kühle Stimme klang
ein wenig unsicher, aber ich hätte nicht sagen können,
dass er sich atemlos anhörte.
So warf ich ihm einen ungehaltenen Blick zu und traf
dann, während er sich erholte, ein paar wohlüberlegte
Vorkehrungen. Ich setzte mich so, dass mein Rücken ihm
zugewandt war - vielleicht wollte er ja ein wenig allein
sein, bis es ihm besser ging. Ich weiß, wie unangenehm es
ist, wenn man leidet und jemand starrt einen dabei neugierig
an. Ich hockte mich also mit dem Rücken zu meinem
Vampir auf den Asphalt und behielt den Parkplatz im
Auge. Verschiedene Wagen fuhren fort, andere kamen
hinzu, aber hierher zu uns unter die Bäume kam niemand.
Als sich hinter mir die Luft leicht bewegte, wusste ich,
dass sich der Vampir aufgesetzt hatte.
Da er nicht gleich etwas sagte, wandte ich den Kopf
nach links, um ihn anzusehen. Er saß dichter bei mir, als
ich eigentlich gedacht hatte, und seine großen, dunklen
Augen blickten direkt in die meinen. Seine Fangzähne hatten
sich zurückgezogen, was mich ein wenig enttäuschte.
»Vielen Dank«, sagte er schließlich steif.
Offenbar war er nicht begeistert darüber, dass eine Frau
ihn gerettet hatte. Typisch Mann.
Ich dachte, da er sich so undankbar zeigte, könnte ich
auch etwas unhöflich sein. Also ließ ich mein Visier fahren
und öff nete meine Gedanken für die seinen, um ihm
ein wenig zuzuhören.
Ich hörte ... nichts.
»Oh!«, sagte ich ganz erschrocken und achtete nicht
wirklich auf meine Worte. »Ich kann Sie nicht hören!«
»Vielen Dank!«, wiederholte der Vampir, übertrieben
laut und deutlich.
»Nein, nein ... was Sie sagen, kann ich schon hören,
aber ...«, und in meiner Aufregung tat ich etwas, was ich
normalerweise nie täte, weil das aufdringlich wäre und zu
persönlich und weil es zeigen würde, dass ich behindert
bin. Ich drehte mich so, dass ich ihm direkt gegenübersaß,
legte beide Hände seitlich an sein weißes Gesicht und
sah ihm eindringlich in die Augen. Dabei konzentrierte
ich mich mit aller Kraft. Nichts! Als hätte man die ganze
Zeit Radio hören müssen, und zwar Sender, die man nicht
selbst hat aussuchen dürfen, und auf einmal hätte sich das
Radio auf einen Sender eingestellt, den es gar nicht empfangen
konnte.
Es war einfach himmlisch.
Die Augen des Vampirs wurden immer größer und
dunkler, aber er hielt völlig still.
»Entschuldigen Sie bitte!«, sagte ich dann mit einem
leisen, erschrockenen Aufschrei, riss meine Hände los und
starrte wieder auf den Parkplatz. Mir war die Sache so
peinlich, dass ich einfach vor mich hin plapperte, irgendwelche
Dinge über Mack und Denise; dabei konnte ich die
ganze Zeit an nichts anderes denken als daran, wie wunderbar
es wäre, einen Gefährten zu haben, dem ich nicht
würde zuhören können, es sei denn, er selbst entschied
sich, laut mit mir zu reden. Wie schön sein Schweigen war.
»... und so dachte ich mir: Sieh doch lieber mal nach,
ob da draußen auch alles in Ordnung ist«, beendete ich
meinen Redeschwall und hätte nicht mehr sagen können,
was ich dem Vampir alles erzählt hatte.
»Sie kamen also hier heraus, um mich zu retten. Das
war sehr tapfer von Ihnen«, sagte der Vampir mit einer
Stimme, die so verführerisch klang, dass DeeAnne bei ih-
rem Klang auf der Stelle die roten Höschen abgeschüttelt
hätte.
»Das können Sie aber mal gleich lassen!«, sagte ich
barsch und landete mit einem lauten Plumps auf dem Boden
der Tatsachen.
Einen winzigen Augenblick lang schien er verwirrt.
Dann war sein Gesicht wieder weiß und glatt wie gewohnt.
»Fürchten Sie sich gar nicht? So ganz allein mit einem
hungrigen Vampir?«, fragte er mit einem koketten und
doch auch irgendwie gefährlichen Unterton.
»Nein.«
»Denken Sie, Sie seien sicher vor mir, weil Sie zu meiner
Rettung herbeigeeilt sind? Denken Sie, ich spüre nach all
den Jahren noch einen Hauch Sentimentalität in mir? Vampire
wenden sich oft gegen Menschen, die ihnen trauen.
Sie müssen wissen, dass die moralischen Werte der Menschen
von uns nicht geteilt werden.«
»Es gibt auch eine Menge Menschen, die sich gegen die
wenden, die ihnen trauen«, merkte ich an. Wenn ich will,
kann ich sehr pragmatisch sein. »Eine völlige Närrin bin
ich nicht.« Damit streckte ich ihm den Arm hin und
wandte den Kopf ab. Während er sich erholt hatte, hatte
ich mir nämlich die Silberkette der Ratten um Hals und
Arme geschlungen.
Der Vampir erschauderte sichtlich.
»Aber da ist noch eine schöne, saftige Arterie in Ihrer
Leistengegend!«, sagte er dann, als er sich von seinem
Schock erholt hatte, und jetzt klang seine Stimme so
schlüpfrig wie eine Schlange auf der Rutsche in der Badeanstalt.
»Reden Sie bloß nicht so unflätig daher«, sagte ich. »So
etwas höre ich mir gar nicht an.«
Wieder sahen wir einander schweigend an. Ich hatte
Angst, ich würde ihn nie wiedersehen; sein erster Besuch
im Merlottes ließ sich ja nicht gerade als großer Erfolg bezeichnen.
Also versuchte ich, mir jede Einzelheit seiner
Erscheinung einzuprägen. Von dieser Begegnung würde
ich noch lange zehren müssen - da wollte ich mir alles
ganz genau immer wieder vor Augen halten können. Sie
war kostbar, diese Begegnung, ein wahrer Schatz. Gern
hätte ich noch einmal seine Haut berührt. Ich wusste
schon gar nicht mehr, wie sie sich anfühlte. Aber das
würde einerseits die Grenzen des Anstands verletzen und
andererseits unter Umständen dazu führen, dass er noch
einmal seine Verführernummer abzog.
»Möchten Sie das Blut trinken, das die beiden mir abgenommen
haben?«, fragte der Vampir nun ganz und gar
unerwartet. »Es wäre eine Möglichkeit für mich, Ihnen
meine Dankbarkeit zu erweisen.« Er wies auf die verschlossenen
Ampullen, die immer noch auf der schwarzen
Asphaltdecke lagen. »Mein Blut soll ja angeblich Ihr Sexualleben
und Ihre Gesundheit auf Trab bringen.«
»Ich bin gesund wie ein Pferd«, erklärte ich, was nichts
als die reine Wahrheit war. »Mein Sexualleben ist nicht
der Rede wert. Mit dem Blut können Sie machen, was Sie
wollen.«
»Vielleicht wollen Sie es ja verkaufen?«, schlug er vor,
aber ich glaube, das tat er nur, weil er sehen wollte, wie
ich darauf reagierte.
»Ich würde es nicht anrühren«, erwiderte ich abgestoßen,
denn seine Worte hatten mich verletzt.
»Sie sind anders als andere«, meinte er nachdenklich.
»Was sind Sie?« So wie er mich ansah, schien ihm eine
Reihe Möglichkeiten durch den Kopf zu gehen, und zu
meinem großen Vergnügen konnte ich nicht eine einzige
davon hören.
»Ich heiße Sookie Stackhouse und bin Kellnerin«, teilte
ich ihm mit. »Wie heißen Sie?« Das würde ich ihn doch
noch fragen dürfen, ohne aufdringlich zu wirken.
»Ich heiße Bill«, erwiderte er.
Ehe ich es verhindern konnte, lag ich auch schon laut
lachend auf dem Po. »Ein Vampir mit Namen Bill!«, kicherte
ich. »Ich dachte, Sie würden Antoine heißen oder
Basil oder Langford - aber ausgerechnet Bill?« So herzlich
hatte ich lange nicht mehr gelacht. »Na, bis bald mal, Bill,
ich muss wieder an die Arbeit.« Sofort spürte ich, wie
allein beim Gedanken an das Merlottes das altvertraute,
verkrampfte Lächeln in mein Gesicht zurückkehrte. Ich
legte Bill die Hand auf die Schulter, stützte mich auf ihr ab
und stand auf. Seine Schulter war hart wie Stein, und ich
gelangte so rasch wieder auf die Beine, dass ich um ein
Haar gestolpert wäre. Nach einem raschen Blick auf meine
Socken - um sicherzugehen, dass deren Aufschläge exakt
auf derselben Höhe saßen - überprüfte ich alle Einzelteile
meiner Uniform auf Spuren meines Kampfes mit den Ratten.
Dann klopfte ich mir den Dreck vom Po - immerhin
hatte ich auf dem dreckigen Asphalt gesessen - und
schlenderte über den Parkplatz zurück zum Merlottes,
wobei ich Bill über die Schulter zum Abschied zuwinkte.
Es war ein anregender Abend gewesen, und er hatte
mir einiges beschert, über das ich würde nachdenken
können. Beim Gedanken daran war mir fast so fröhlich zu-
mute, wie ich es meinem Lächeln zufolge auch hätte sein
müssen.
Aber Jason würde sich seiner Kette wegen schrecklich
aufregen.
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Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
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Copyright der Originalausgabe © 2001 by Charlaine Harris
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Übersetzung: Dorothee Danzmann
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Umschlagmotiv: © Veronika Vasilyuk
Gesamtherstellung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-8289-9725-7
2014 2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.
Egal, wie man die Sache nennt, sie hat zur Folge, dass
sich so gut wie nie jemand mit mir verabreden will. Daher
spielen die kleinen Freuden des Lebens für mich eine
große Rolle.
Noch dazu saß er an einem meiner Tische - der Vampir.
Ich wusste sofort, was er war, und es wunderte mich
sehr, dass niemand sonst sich umwandte, um ihn anzustarren.
Sie hatten es alle nicht mitbekommen! Ich schon -
mir war nicht entgangen, dass seine Haut sanft schimmerte,
und ich wusste es einfach!
Vor Freude hätte ich tanzen mögen, und ich tat auch
wirklich einen kleinen Freudensprung, während ich noch
am Tresen stand und zu ihm hinübersah. Sam Merlotte,
mein Chef, blickte von dem Cocktail auf, den er gerade
mixte, und warf mir ein kleines Lächeln zu. Ich schnappte
mir Tablett und Block und ging hinüber zum Tisch, an
dem der Vampir saß, wobei ich hoffte, mein Lippenstift
wäre noch nicht verschmiert und mein Pferdeschwanz
säße ordentlich. Ich bin ein wenig schüchtern und spürte
genau, wie meine Mundwinkel nach oben gezogen wurden,
weil ich so angestrengt lächelte.
Der Vampir saß tief in Gedanken versunken da, und
so hatte ich Gelegenheit, ihn mir genau anzusehen, eher
er mich überhaupt bemerkte. Ich schätzte ihn auf etwa
1,90 m; er hatte dichtes braunes Haar, das er glatt nach
hinten gekämmt trug und das ihm bis auf den Hemdkragen
fiel. Seine langen Koteletten wirkten altmodisch. Er
war blass. Natürlich war er blass: Wollte man den alten
Geschichten Glauben schenken, dann war er schließlich
tot. Die politisch korrekte, von den Vampiren selbst in der
Öffentlichkeit vertretene These zu dem Thema lautete, der
Mann da vor mir sei einem Virus zum Opfer gefallen. Was
zur Folge gehabt habe, dass er ein paar Tage lang für tot
gehalten worden sei und nun unter einer Allergie gegen
Sonnenlicht, Silber und Knoblauch litte. Mit welchen Details
man diese These ergänzte, hing von der Tageszeitung
ab, die man abonniert hatte. Dieser Tage waren alle Zeitungen
voller Informationen über Vampire.
Wie dem auch sein mochte: Die Lippen meines Vampirs
waren wunderschön, scharf geschnitten und geschwungen.
Auch seine Augenbrauen waren schön geschwungen,
und dort, wo sie sich trafen, entsprang unmittelbar seine
Nase, wie bei einem Prinzen auf einem byzantinischen
Mosaik. Nun sah er endlich auf, und ich bemerkte, dass
seine Augen noch dunkler waren als sein Haar und das
Weiß in ihnen einfach unglaublich weiß.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich, und vor lauter
Glück versagte mir fast die Stimme.
Er hob beide Brauen. »Führen Sie synthetisches Blut in
Flaschen?«, erkundigte er sich.
»Leider nicht. Oh, das tut mir so leid! Sam hat welches
bestellt, aber es soll erst nächste Woche geliefert werden.«
»In diesem Fall hätte ich gern einen Rotwein«, sagte er,
und seine Stimme klang kalt und klar wie ein Fluss, der
über glatte Steine rinnt. Ich lachte laut auf. Es war einfach
alles zu perfekt!
»Kümmern Sie sich nicht um Sookie, Mister, sie ist verrückt
«, erklang aus einer der Nischen, die sich an der
Wand entlangerstreckten, eine allzu vertraute Stimme.
Sofort war mein Glücksgefühl verfl ogen - auch wenn ich
immer noch das Lächeln spürte, das meine Mundwinkel
hochzog. Der Vampir, der mich die ganze Zeit prüfend ansah,
konnte dabei zusehen, wie alles Leben aus meinem
Gesicht wich.
»Ihr Wein kommt sofort«, sagte ich und stolzierte davon,
ohne einen einzigen Blick auf Mack Rattrays selbstzufriedenes
Gesicht zu werfen. Mack kam fast jeden
Abend, zusammen mit seiner Frau Denise. Das Rattenpärchen
- so nannte ich die beiden im Stillen. Seit sie den
Wohnwagen auf dem Stellplatz bei Four Tracks Corner gemietet
hatten, hatten die beiden ihr Bestes getan, mir das
Leben zur Hölle zu machen, und ich hoffte sehr, der Wind
möge sie ebenso schnell wieder aus Bon Temps herauswehen,
wie er sie hereingeweht hatte.
Als sie zum ersten Mal ins Merlottes gekommen waren,
war ich so unhöflich gewesen, ihren Gedanken zu lauschen
- ich weiß, das ist ziemlich daneben. Aber ich langweile
mich eben manchmal, wie andere Leute auch. Meist
gelingt es mir ja, die Gedanken anderer rauszufi ltern,
wenn sie versuchen, sich in meinen Kopf zu stehlen. Aber
ganz selten einmal gebe ich nach und höre zu. Also wusste
ich ein paar Dinge über die Rattrays, die vielleicht niemand
sonst wusste. Ich wusste, dass sie im Gefängnis gesessen
hatten - wenn auch nicht weswegen -, und ich
hatte die hässlichen Gedanken gehört, die Mack Rattray
über mich in seinem Hirn bewegte. Den Gedanken De nise'
hatte ich entnehmen können, dass sie vor zwei Jahren ein
Baby ausgesetzt hatte, dessen Vater nicht Mack gewesen
war.
Zudem gab keiner von beiden je Trinkgeld.
Sam schenkte ein Glas von unserem offenen Roten ein,
und während er es auf meinem Tablett zurechtrückte,
warf er einen Blick zum Tisch hinüber, an dem der Vampir
hockte.
Dann sah Sam mich an, und ich wusste, dass auch er
mitbekommen hatte, dass unser neuer Gast zu den Untoten
zählte. Sam hat Augen, so blau wie die Paul Newmans.
Nicht wie meine, die eher verwaschen graublau sind. Sam
ist blond wie ich, aber mit drahtigem, dickem Haar, das
schimmert wie rötliches Gold. Sein Gesicht ist von der
Sonne immer leicht gerötet, und bekleidet wirkt er eher
zierlich. Ich sah ihn aber schon mit nacktem Oberkörper
einen Lastwagen abladen und weiß, wie muskulös er ist.
Sams Gedanken höre ich mir nie an. Er ist mein Chef. Ich
musste schon mehrere Arbeitsstellen verlassen, weil ich
Sachen über die jeweiligen Chefs herausgefunden hatte,
die ich gar nicht hatte wissen wollen.
Aber Sam sagte nichts, er reichte mir lediglich das Tablett
mit dem Weinglas. Ich prüfte noch einmal, ob es
auch wirklich ganz sauber war und glänzte, und machte
mich dann auf den Weg zum Tisch des Vampirs.
»Ihr Wein, Sir«, sagte ich formvollendet und stellte das
Glas vorsichtig direkt vor ihm auf dem Tisch ab. Erneut
sah er zu mir auf, und ich nahm die Gelegenheit wahr, in
seine wunderschönen Augen zu blicken. »Zum Wohl!«,
sagte ich stolz. Hinter mir schrie Mack Rattray: »He, Sookie,
wir brauchen noch einen Krug Bier!« Seufzend
wandte ich mich um und schnappte mir den leeren Bier-
krug vom Tisch der Ratten. Wie ich feststellen konnte,
war Denise an diesem Abend in Hochform. Sie trug ein
bauchfreies Oberteil und ultrakurze Hosen; perfekt auf
die neueste Mode abgestimmt, ergossen sich ihre braunen
Locken wie ein Wasserfall auf ihre Schultern. Denise war
nicht hübsch, aber sie war so strahlend und selbstsicher,
dass es eine Weile dauerte, ehe man das mitbekam.
Wenig später musste ich zu meinem Kummer feststellen,
dass sich die Rattrays zu dem Vampir an den Tisch gesetzt
hatten. Beide redeten auf ihn ein. Ob er sich am Gespräch
beteiligte, konnte ich nicht sehen. Aber er ging
auch nicht.
»Guck dir das an!«, sagte ich angewidert zu Arlene,
meiner Kollegin. Arlene ist ein Rotschopf mit Sommersprossen,
zehn Jahre älter als ich und war schon viermal
verheiratet. Sie hat zwei Kinder, und ich glaube, von Zeit
zu Zeit denkt sie, ich sei ihr drittes.
»Neuer Typ?«, fragte sie, klang aber nicht besonders
interessiert. Arlene geht im Moment mit Rene Lenier aus,
und auch wenn ich nicht verstehe, was sie an ihm fi ndet,
scheint sie ziemlich zufrieden mit ihm. Ich glaube, Rene
war ihr zweiter Ehemann.
»Er ist ein Vampir!«, sagte ich, denn ich musste meine
Freude einfach mit jemandem teilen.
»Wirklich? Hier? Wer hätte das gedacht«, sagte Arlene
und lächelte ein wenig, um mir zu zeigen, dass sie
sich für mich freute. »Besonders schlau kann er aber
nicht sein, meine Süße, wenn er mit den Ratten zusammenhockt.
Andererseits bietet Denise ihm auch reichlich
Einblicke.«
Das war mir noch gar nicht aufgefallen, ich bekam es
erst jetzt mit, wo Arlene mich darauf hingewiesen hatte.
Meine Kollegin ist immer schneller als ich bei der Hand,
wenn es darum geht einzuschätzen, ob es sexuell knistert
oder nicht. Das liegt daran, dass sie so viel Erfahrung hat
und ich so wenig.
Der Vampir hatte Hunger. Ich hatte schon oft sagen hören,
das synthetische Blut, das die Japaner entwickelt hatten,
decke zwar den Nährstoffbedarf von Vampiren, sei
aber nicht in der Lage, ihren Hunger zu stillen. So kam es
von Zeit zu Zeit zu »unglücklichen Zwischenfällen« (so
umschrieben die Vampire in offi ziellen Verlautbarungen
das blutige Hinschlachten eines Menschen), und da saß
Denise Rattray, streichelte sich die Kehle und wandte den
Hals von einer Seite zur anderen - was für ein schamlos
aufdringliches Weibsbild!
Dann kam mein Bruder Jason in die Bar und trottete herbei,
um mich pflichtschuldig in den Arm zu nehmen. Er
weiß, dass Frauen Männer mögen, die nett zu ihren Familien
und freundlich zu Behinderten sind, also dient es seinem
Ruf in doppelter Weise, wenn er mich in den Arm
nimmt. Wobei Jason eigentlich gar keine zusätzlichen Pluspunkte
sammeln müsste, was Frauen betrifft. Er kommt
auch so zurecht. Jason ist attraktiv. Er kann weiß Gott auch
ziemlich fies sein, aber die meisten Frauen scheinen gewillt,
darüber hinwegzusehen.
»Hallo, Schwesterherz, wie geht's der Oma?«
»Ganz gut, so wie immer eigentlich. Komm doch vorbei
und frag sie selbst.«
»Das werde ich auch tun. Wer ist denn so hier heute
Abend?«
»Guck dich doch um.« Jason sah sich um, und ich be-
merkte allüberall weibliche Hände, die hochfl atterten, um
Haare, Blusen, Lippen zu überprüfen.
»Aber hallo, da ist ja DeeAnne. Ist sie allein hier?«
»Sie kam mit einem Lkw-Fahrer aus Hammond. Er ist
auf dem Klo. Nimm dich in Acht.«
Jason grinste mir zu, und ich fragte mich resigniert
zum wiederholten Male, warum andere Frauen die Selbstgefälligkeit
in seinem Lächeln nicht sahen. Selbst Arlene
zog ihr T-Shirt zurecht, wenn Jason die Bar betrat, und die
hätte doch eigentlich nach vier Ehemännern ein wenig
mehr darüber wissen müssen, wie man Männer einschätzt.
Dawn, die andere Kellnerin, mit der ich zusammenarbeitete,
warf ihr Haar zurück und richtete sich auf,
damit ihr Busen besser zur Geltung kam. Jason winkte ihr
freundlich zu. Sie tat, als würde sie das gar nicht interessieren.
Sie hat sich mit Jason überworfen, aber sie will
trotzdem immer noch, dass er sie zur Kenntnis nimmt.
Dann hatte ich viel zu tun - Samstagabend kommen alle
wenigstens für ein paar Stunden ins Merlottes -, also bekam
ich eine Weile nicht mit, was mein Vampir tat. Als ich
wieder Zeit hatte, nach ihm Ausschau zu halten, unterhielt
er sich gerade mit Denise. Mack sah den beiden mit
einem derart gierigen Ausdruck im Gesicht zu, dass ich
sofort anfing, mir Sorgen zu machen.
Ich trat näher an den Tisch heran, an dem die drei saßen,
und starrte Mack an. Dann ließ ich meine Wachsamkeit
fahren und hörte ihm zu.
Mack und Denise hatten im Gefängnis gesessen, weil
sie einen Vampir ausgeblutet hatten!
Zutiefst erschrocken trug ich trotzdem erst einmal völlig
mechanisch einen Krug Bier und ein paar Gläser zu einem
Tisch mit vier Personen, an dem es schon ziemlich lebhaft
zuging. Man schrieb allgemein Vampirblut die Fähigkeit
zu, bestimmte Krankheitssymptome vorübergehend zu
lindern und die sexuelle Potenz zu steigern - eine Mischung
aus Viagra und Prednison in etwa. Es gab einen riesigen
Schwarzmarkt für echtes, unverdünntes Vampirblut,
und wo es einen Markt gibt, da finden sich auch Leute, die
diesen bedienen. In unserem Fall waren das, wie ich gerade
hatte erfahren müssen, die beiden Ratten. Sie hatten
früher schon Vampire in die Falle gelockt, zur Ader gelassen
und pro Ampulle Vampirblut 200 Dollar kassiert. Vampirblut
war seit zwei Jahren die große Modedroge. Auch
wenn manche Käufer nach dem Genuss des unverdünnten
Blutes wahnsinnig geworden waren, hinderte das den
Markt nicht, weiterhin zu wachsen und zu gedeihen.
In der Regel überlebten zur Ader gelassene Vampire
nicht lange. Die Täter ließen sie entweder einfach gepfählt
am Tatort zurück oder luden sie irgendwo in freier Wildbahn
ab. Wenn dann die Sonne aufging, blieben keine Spuren.
Manchmal fand sich in der Zeitung ein Hinweis darauf,
der Spieß sei umgedreht worden, da es den Vampiren
gelungen war freizukommen - dann gab es tote Aderlasser.
Nun war mein Vampir aufgestanden und schickte sich
an, mit den Ratten zusammen die Bar zu verlassen. Mack
fing meinen Blick auf und zuckte sichtlich zusammen, als
er feststellen musste, wie finster ich ihn anblickte. Dann
aber drehte er sich um und tat mich mit einem Achselzucken
ab. Wie alle anderen auch.
Da wurde ich richtig wütend.
Was sollte ich tun? Ich hatte die Frage noch nicht geklärt,
da waren die drei auch schon zur Tür hinaus. Ob der
Vampir mir glauben würde, wenn ich ihm nachliefe und
ihm erzählte, was ich gehört hatte? Alle anderen glaubten
mir nicht, und wenn sie es per Zufall dann doch einmal
taten, hassten und fürchteten sie mich dafür, dass ich Gedanken
lesen konnte, die in den Köpfen anderer Menschen
verborgen waren. Einmal hatte Arlene mich gebeten,
den Gedanken ihres vierten Mannes zu lauschen, als
der sie eines Abends abholen kam. Sie war sich ziemlich
sicher gewesen, dass er plante, sie und die Kinder zu verlassen.
Ich hatte mich geweigert; ich wollte die einzige
Freundin behalten, die ich überhaupt besaß, und selbst
Arlene war damals nicht in der Lage gewesen, mich direkt
um diesen Gefallen zu bitten, denn das hätte bedeutet,
sich einzugestehen, dass ich wirklich über diese Gabe -
diesen Fluch - verfügte. Die Leute wollten es nicht wahrhaben.
Also dachten sie lieber, ich sei verrückt, und
manchmal war ich ja auch fast schon verrückt.
Also zögerte ich. Ich war verwirrt, verängstigt und
sehr wütend, und dann wusste ich, ich musste ganz einfach
irgendetwas unternehmen. Letztlich bewog mich der
Blick, den Mack mir zugeworfen hatte, zum Handeln -
dieser Blick, der besagt hatte, mich könne man getrost
vergessen.
Ich glitt am Tresen entlang zu Jason hinüber, der gerade
damit beschäftigt war, DeeAnne zu bezaubern. Viel
zu zaubern brauchte man bei ihr nicht, wenn man den Gerüchten
Glauben schenken wollte. Finster dreinblickend
hockte der Lastwagenfahrer aus Hammond auf der anderen
Seite von DeeAnne auf seinem Barhocker.
»Jason«, sagte ich drängend. Er wandte sich um und
warf mir einen warnenden Blick zu. »Jason, hör mal, liegt
diese Motorradkette immer noch hinten auf deinem Pick-
up?«
»Ohne diese Kette verlasse ich das Haus nicht«, erwiderte
mein Bruder lässig und ließ seinen Blick rasch über
mein Gesicht streifen, um zu sehen, ob es irgendwelchen
Ärger gab. »Willst du handgreiflich werden, Sookie?«
Ich strahlte ihn an, so sehr ans Lächeln gewöhnt, dass
es mir überhaupt keine Mühe machte. »Das will ich nicht
hoffen«, zwitscherte ich vergnügt.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte er, denn immerhin war er ja
mein Bruder.
»Nein, danke«, sagte ich und versuchte, überzeugend
zu klingen. Ich glitt hinüber zu Arlene. »Hör mal, ich
muss ein bisschen früher gehen. Meine Tische sind nicht
mehr so dicht besetzt, kannst du für mich einspringen?«
Ich glaube, ich hatte Arlene noch nie zuvor um einen
solchen Gefallen gebeten, auch wenn ich umgekehrt oft
genug für sie eingesprungen war. Wie Jason bot mir auch
Arlene Hilfe an, aber ich lehnte ab. »Es wird auch so gehen
«, erklärte ich. »Wenn es geht, komme ich auch noch
einmal zurück. Wenn du dich so lange um meine Tische
kümmerst, putze ich dir deinen Wohnwagen!«
Begeistert schüttelte Arlene die rote Mähne.
Ich wies auf den Angestellteneingang, dann auf mich
selbst und deutete mit den Fingern Gehbewegungen an,
damit Sam wusste, was ich vorhatte.
Sam nickte. Glücklich wirkte er dabei nicht.
Also ging ich zur Hintertür hinaus und bemühte mich,
auf dem Kies der Einfahrt dort möglichst wenig Lärm zu
machen. Der Parkplatz für Angestellte befindet sich an
der Rückseite des Merlottes, und man gelangt dorthin
durch eine Tür, die erst einmal in einen Lagerraum führt.
Der Koch hatte dort hinten seinen Wagen geparkt, Arlene,
Dawn und ich auch. Im östlichen Teil der Anlage, vor seinem
Wohnwagen, hatte Sam seinen Pick-up abgestellt.
Der Parkplatz der Angestellten war mit Kies ausgestreut.
Ich verließ ihn und trat auf den weitaus größeren,
asphaltierten Kundenparkplatz. Das Merlottes befand
sich auf einer Waldlichtung, weswegen der Parkplatz mit
Bäumen umstanden war. Bei den Bäumen am Rande des
Parkplatzes hörte der Asphalt auf, und es lag wieder Kies
auf dem Boden. Sam beleuchtete den Kundenparkplatz
gut, und im surrealistischen Glanz der hohen Laternen
wirkte alles sehr verfremdet.
Ich erkannte den roten, zerbeulten Sportwagen des
Rattenpärchens und wusste so, dass die beiden noch in
der Nähe waren.
Dann entdeckte ich endlich auch Jasons Pick-up. Er war
pechschwarz, an den Seiten verziert mit riesigen aquamarinblauen
und rosa Flammen. Jason fiel nun einmal gern
immer und überall auf. Hastig zog ich mich an der hinteren
Wagenklappe hoch und taste auf der Ladefl äche nach
Jasons Motorradkette, einer langen, dicken Kette, die er
für den Fall, dass er in eine Schlägerei geraten sollte, immer
bei sich führte. Ich wickelte mir einen Teil der Kette
um die Hand und trug den Rest so nah am Körper, dass er
beim Gehen nicht klirrte und mich womöglich verriet.
Dann dachte ich kurz nach. Der einzige Ort, der halbwegs
Zurückgezogenheit bot und an den die Rattrays meinen
Vampir folglich gelockt haben könnten, befand sich
am hinteren Ende des Parkplatzes, dort, wo bereits Äste
der umstehenden Bäume über die geparkten Autos rag-
ten. Also schlich ich so rasch, aber auch so geräuschlos es
irgend ging in diese Richtung.
Alle paar Sekunden blieb ich stehen, um zu lauschen.
Bald schon konnte ich Stöhnen und leise Stimmen hören.
Ich schlängelte mich zwischen den geparkten Autos hindurch
und entdeckte die drei genau dort, wo ich sie auch
erwartet hatte. Der Vampir lag mit schmerzverzerrtem Gesicht
rücklings auf dem Boden, und eine glitzernde Kette
floss ihm im Zickzack von den Handgelenken bis zu den
Knöcheln. Silber! Neben Denise' Füßen lagen bereits zwei
kleine Ampullen voll Blut, und vor meinen Augen befestigte
sie eine weitere leere Vakuumröhre an der Nadel, die
unterhalb der Aderpresse, die über dem Ellbogen des Vampirs
schmerzhaft in dessen Arm schnitt, in der Haut steckte.
Die Ratten standen mit dem Rücken zu mir, und der
Vampir hatte mich noch nicht gesehen. Ich wickelte die
Kette von meiner Hand, bis ein guter Meter dicker Kettenglieder
frei schwang, wobei ich mich fragte, wen ich mir
als Ersten vorknöpfen sollte. Beide Ratten waren recht
klein, und beide waren hinterhältig.
Ich erinnerte mich an die verächtliche Art, in der Mack
mich als unwichtig abgetan hatte, und daran, dass er mir
nicht ein einziges Mal ein Trinkgeld hatte zukommen lassen.
Zuerst also Mack!
Bis zu diesem Abend hatte ich nie an einer Schlägerei
teilgenommen, und irgendwie freute ich mich richtig darauf.
Mit einem Satz sprang ich hinter einem Pick-up hervor,
holte aus, und die Kette traf Mack, der neben seinem Opfer
am Boden kniete, mit voller Wucht in den Rücken. Mit
einem Aufschrei sprang er auf. Denise blickte nur einmal
kurz auf und beschäftigte sich dann weiterhin mit ihrer
dritten Vakuumröhre. Macks Hand fuhr hinunter zu seinem
Stiefel und kam glitzernd wieder hoch. Ich schluckte.
Der Typ hielt ein Messer in der Hand.
»Aber nicht doch!«, sagte ich und grinste ihn an.
»Du durchgeknallte Kuh!«, brüllte er daraufhin und
hörte sich ganz so an, als freue er sich darauf, sein Messer
auch zum Einsatz zu bringen. Ich war zu beschäftigt, um
meine geistigen Schutzmechanismen aufrechterhalten zu
können, und bekam eine klare Vorstellung dessen, was
Mack mir anzutun gedachte. Das brachte mich zur Raserei.
Fest entschlossen, ihm so viel Schmerzen zuzufügen
wie irgend möglich, warf ich mich auf ihn. Aber er war
auf meinen Angriff vorbereitet gewesen und sprang vor,
das Messer in der ausgestreckten Hand, während ich erneut
mit der Kette ausholte. Er zielte auf meinen Arm, traf
aber knapp daneben. Die Kette dagegen wickelte sich, von
ihrem eigenen Schwung beflügelt, mit ungeheurer Geschwindigkeit
um seinen mageren Hals wie die Arme einer
begeisterten Liebhaberin. Das Triumphgeheul, mit dem
Mack das Messer gegen mich gerichtet hatte, wandelte
sich in ein Gurgeln. Er ließ das Messer fallen, riss mit beiden
Händen verzweifelt an der Kette und sank japsend auf
dem rauen Pflaster in die Knie, wobei sein Kniefall mir
mein Ende der Kette aus der Hand riss.
Da ging sie also hin, Jasons geliebte Motorradkette.
Rasch bückte ich mich, schnappte mir Macks Messer und
hielt es so, als wüsste ich, wie man damit umgeht. Denise
hatte nämlich Anstalten gemacht, sich auf mich zu werfen,
wobei sie in den Lichtern und Schatten der Sicherheitslampen
aussah wie eine hinterwäldlerische Hexe.
Als sie sah, dass ich Macks Messer in der Hand hielt,
blieb sie wie angewurzelt stehen, fluchte, wütete und
sagte schreckliche Dinge. Ich wartete, bis ihr nichts mehr
einfiel. »Hau ab«, sagte ich dann. »Auf der Stelle.«
Denise starrte hasserfüllte Löcher in meinen Kopf. Dann
versuchte sie, die Blutampullen an sich zu reißen, aber ich
zischte ihr zu, sie solle sie lieber lassen, wo sie seien. Also
zog sie stattdessen wütend Mack hoch, der immer noch
halb erstickt gurgelnde Geräusche von sich gab, während
er an der Kette zerrte. Sie zog ihn mehr oder weniger hinter
sich her zum Wagen und schob ihn dort durch die Beifahrertür.
Dann fi schte sie mit einem Ruck ein Schlüsselbund
aus ihrer Hosentasche und ließ sich selbst auf den
Fahrersitz fallen.
Als ich den Motor des Wagens aufheulen hörte, wurde
mir mit einem Mal klar, dass die Ratten nun eine andere
Waffe hatten. Schneller als ich je in meinem Leben gerannt
war, eilte ich zu meinem Vampir, stellte mich neben
seinen Kopf und keuchte: »Schieben Sie mit Ihren Füßen!
« Ich griff ihm unter die Arme und zog mit aller Kraft,
und er begriff, worum es ging, stemmte seine Füße gegen
den Boden und schob. Wir hatten die Baumlinie gerade
erreicht, als der rote Wagen auch schon auf uns zuschoss.
Denise verpasste uns um einen knappen halben Meter,
weil sie das Steuer herumreißen musste, um nicht mit einer
Kiefer zu kollidieren. Erleichtert hörte ich den schweren
Motor des Rattenfahrzeugs in der Ferne verhallen.
»Mein Gott!«, stöhnte ich und kniete neben dem Vampir
nieder, weil meine Beine mich nicht mehr tragen wollten.
Gut eine Minute lang tat ich nichts anderes, als heftig
ein- und auszuatmen und mich wieder zu beruhigen.
Dann bewegte sich der Vampir ein wenig, weswegen ich
einen Blick auf ihn warf, wobei ich zu meinem großen
Entsetzen sehen musste, dass dort, wo das Silber seine
Haut berührte, kleine Rauchwölkchen von seinen Handgelenken
aufstiegen.
»Oh, Sie Ärmster!«, rief ich aus und war wütend auf
mich, weil ich mich nicht sofort um ihn gekümmert hatte.
Immer noch schwer atmend, machte ich mich daran, die
schmalen Silberbänder zu lösen, die alle Teil einer einzigen
langen Kette zu sein schienen. »Armes Kind!«, fl üsterte ich
entsetzt, und mir war gar nicht klar, wie widersinnig diese
Worte waren. Ich bin geschickt, und so waren die Handgelenke
des Vampirs schnell befreit. Ich versuchte, mir
vorzustellen, womit ihn die Rattrays wohl abgelenkt haben
mochten, um ihn in die Position zu manövrieren, in
der er sich jetzt befand und in der sie ihm hatten die Ketten
anlegen können, und spürte, wie ich rot wurde, als ich mir
die entsprechende Szene ausmalte.
Während ich mich an dem Silber zu schaff en machte,
das um seine Beine gewickelt war, drückte der Vampir
schützend die Arme an seine Brust. Seinen Knöcheln ging
es besser, denn die Aderlasser hatten sich nicht die Mühe
gemacht, seine Hosenbeine hochzuziehen und die Kette
auf der nackten Haut zu platzieren.
»Es tut mir so leid, dass ich nicht schneller hier war!«,
sagte ich entschuldigend. »Aber es wird Ihnen bald wieder
besser gehen, nicht? Soll ich Sie lieber allein lassen?«
»Nein.«
Das zu hören machte mir Freude, bis er hinzufügte:
»Die beiden könnten zurückkommen, und ich bin noch
nicht in der Lage zu kämpfen.« Seine kühle Stimme klang
ein wenig unsicher, aber ich hätte nicht sagen können,
dass er sich atemlos anhörte.
So warf ich ihm einen ungehaltenen Blick zu und traf
dann, während er sich erholte, ein paar wohlüberlegte
Vorkehrungen. Ich setzte mich so, dass mein Rücken ihm
zugewandt war - vielleicht wollte er ja ein wenig allein
sein, bis es ihm besser ging. Ich weiß, wie unangenehm es
ist, wenn man leidet und jemand starrt einen dabei neugierig
an. Ich hockte mich also mit dem Rücken zu meinem
Vampir auf den Asphalt und behielt den Parkplatz im
Auge. Verschiedene Wagen fuhren fort, andere kamen
hinzu, aber hierher zu uns unter die Bäume kam niemand.
Als sich hinter mir die Luft leicht bewegte, wusste ich,
dass sich der Vampir aufgesetzt hatte.
Da er nicht gleich etwas sagte, wandte ich den Kopf
nach links, um ihn anzusehen. Er saß dichter bei mir, als
ich eigentlich gedacht hatte, und seine großen, dunklen
Augen blickten direkt in die meinen. Seine Fangzähne hatten
sich zurückgezogen, was mich ein wenig enttäuschte.
»Vielen Dank«, sagte er schließlich steif.
Offenbar war er nicht begeistert darüber, dass eine Frau
ihn gerettet hatte. Typisch Mann.
Ich dachte, da er sich so undankbar zeigte, könnte ich
auch etwas unhöflich sein. Also ließ ich mein Visier fahren
und öff nete meine Gedanken für die seinen, um ihm
ein wenig zuzuhören.
Ich hörte ... nichts.
»Oh!«, sagte ich ganz erschrocken und achtete nicht
wirklich auf meine Worte. »Ich kann Sie nicht hören!«
»Vielen Dank!«, wiederholte der Vampir, übertrieben
laut und deutlich.
»Nein, nein ... was Sie sagen, kann ich schon hören,
aber ...«, und in meiner Aufregung tat ich etwas, was ich
normalerweise nie täte, weil das aufdringlich wäre und zu
persönlich und weil es zeigen würde, dass ich behindert
bin. Ich drehte mich so, dass ich ihm direkt gegenübersaß,
legte beide Hände seitlich an sein weißes Gesicht und
sah ihm eindringlich in die Augen. Dabei konzentrierte
ich mich mit aller Kraft. Nichts! Als hätte man die ganze
Zeit Radio hören müssen, und zwar Sender, die man nicht
selbst hat aussuchen dürfen, und auf einmal hätte sich das
Radio auf einen Sender eingestellt, den es gar nicht empfangen
konnte.
Es war einfach himmlisch.
Die Augen des Vampirs wurden immer größer und
dunkler, aber er hielt völlig still.
»Entschuldigen Sie bitte!«, sagte ich dann mit einem
leisen, erschrockenen Aufschrei, riss meine Hände los und
starrte wieder auf den Parkplatz. Mir war die Sache so
peinlich, dass ich einfach vor mich hin plapperte, irgendwelche
Dinge über Mack und Denise; dabei konnte ich die
ganze Zeit an nichts anderes denken als daran, wie wunderbar
es wäre, einen Gefährten zu haben, dem ich nicht
würde zuhören können, es sei denn, er selbst entschied
sich, laut mit mir zu reden. Wie schön sein Schweigen war.
»... und so dachte ich mir: Sieh doch lieber mal nach,
ob da draußen auch alles in Ordnung ist«, beendete ich
meinen Redeschwall und hätte nicht mehr sagen können,
was ich dem Vampir alles erzählt hatte.
»Sie kamen also hier heraus, um mich zu retten. Das
war sehr tapfer von Ihnen«, sagte der Vampir mit einer
Stimme, die so verführerisch klang, dass DeeAnne bei ih-
rem Klang auf der Stelle die roten Höschen abgeschüttelt
hätte.
»Das können Sie aber mal gleich lassen!«, sagte ich
barsch und landete mit einem lauten Plumps auf dem Boden
der Tatsachen.
Einen winzigen Augenblick lang schien er verwirrt.
Dann war sein Gesicht wieder weiß und glatt wie gewohnt.
»Fürchten Sie sich gar nicht? So ganz allein mit einem
hungrigen Vampir?«, fragte er mit einem koketten und
doch auch irgendwie gefährlichen Unterton.
»Nein.«
»Denken Sie, Sie seien sicher vor mir, weil Sie zu meiner
Rettung herbeigeeilt sind? Denken Sie, ich spüre nach all
den Jahren noch einen Hauch Sentimentalität in mir? Vampire
wenden sich oft gegen Menschen, die ihnen trauen.
Sie müssen wissen, dass die moralischen Werte der Menschen
von uns nicht geteilt werden.«
»Es gibt auch eine Menge Menschen, die sich gegen die
wenden, die ihnen trauen«, merkte ich an. Wenn ich will,
kann ich sehr pragmatisch sein. »Eine völlige Närrin bin
ich nicht.« Damit streckte ich ihm den Arm hin und
wandte den Kopf ab. Während er sich erholt hatte, hatte
ich mir nämlich die Silberkette der Ratten um Hals und
Arme geschlungen.
Der Vampir erschauderte sichtlich.
»Aber da ist noch eine schöne, saftige Arterie in Ihrer
Leistengegend!«, sagte er dann, als er sich von seinem
Schock erholt hatte, und jetzt klang seine Stimme so
schlüpfrig wie eine Schlange auf der Rutsche in der Badeanstalt.
»Reden Sie bloß nicht so unflätig daher«, sagte ich. »So
etwas höre ich mir gar nicht an.«
Wieder sahen wir einander schweigend an. Ich hatte
Angst, ich würde ihn nie wiedersehen; sein erster Besuch
im Merlottes ließ sich ja nicht gerade als großer Erfolg bezeichnen.
Also versuchte ich, mir jede Einzelheit seiner
Erscheinung einzuprägen. Von dieser Begegnung würde
ich noch lange zehren müssen - da wollte ich mir alles
ganz genau immer wieder vor Augen halten können. Sie
war kostbar, diese Begegnung, ein wahrer Schatz. Gern
hätte ich noch einmal seine Haut berührt. Ich wusste
schon gar nicht mehr, wie sie sich anfühlte. Aber das
würde einerseits die Grenzen des Anstands verletzen und
andererseits unter Umständen dazu führen, dass er noch
einmal seine Verführernummer abzog.
»Möchten Sie das Blut trinken, das die beiden mir abgenommen
haben?«, fragte der Vampir nun ganz und gar
unerwartet. »Es wäre eine Möglichkeit für mich, Ihnen
meine Dankbarkeit zu erweisen.« Er wies auf die verschlossenen
Ampullen, die immer noch auf der schwarzen
Asphaltdecke lagen. »Mein Blut soll ja angeblich Ihr Sexualleben
und Ihre Gesundheit auf Trab bringen.«
»Ich bin gesund wie ein Pferd«, erklärte ich, was nichts
als die reine Wahrheit war. »Mein Sexualleben ist nicht
der Rede wert. Mit dem Blut können Sie machen, was Sie
wollen.«
»Vielleicht wollen Sie es ja verkaufen?«, schlug er vor,
aber ich glaube, das tat er nur, weil er sehen wollte, wie
ich darauf reagierte.
»Ich würde es nicht anrühren«, erwiderte ich abgestoßen,
denn seine Worte hatten mich verletzt.
»Sie sind anders als andere«, meinte er nachdenklich.
»Was sind Sie?« So wie er mich ansah, schien ihm eine
Reihe Möglichkeiten durch den Kopf zu gehen, und zu
meinem großen Vergnügen konnte ich nicht eine einzige
davon hören.
»Ich heiße Sookie Stackhouse und bin Kellnerin«, teilte
ich ihm mit. »Wie heißen Sie?« Das würde ich ihn doch
noch fragen dürfen, ohne aufdringlich zu wirken.
»Ich heiße Bill«, erwiderte er.
Ehe ich es verhindern konnte, lag ich auch schon laut
lachend auf dem Po. »Ein Vampir mit Namen Bill!«, kicherte
ich. »Ich dachte, Sie würden Antoine heißen oder
Basil oder Langford - aber ausgerechnet Bill?« So herzlich
hatte ich lange nicht mehr gelacht. »Na, bis bald mal, Bill,
ich muss wieder an die Arbeit.« Sofort spürte ich, wie
allein beim Gedanken an das Merlottes das altvertraute,
verkrampfte Lächeln in mein Gesicht zurückkehrte. Ich
legte Bill die Hand auf die Schulter, stützte mich auf ihr ab
und stand auf. Seine Schulter war hart wie Stein, und ich
gelangte so rasch wieder auf die Beine, dass ich um ein
Haar gestolpert wäre. Nach einem raschen Blick auf meine
Socken - um sicherzugehen, dass deren Aufschläge exakt
auf derselben Höhe saßen - überprüfte ich alle Einzelteile
meiner Uniform auf Spuren meines Kampfes mit den Ratten.
Dann klopfte ich mir den Dreck vom Po - immerhin
hatte ich auf dem dreckigen Asphalt gesessen - und
schlenderte über den Parkplatz zurück zum Merlottes,
wobei ich Bill über die Schulter zum Abschied zuwinkte.
Es war ein anregender Abend gewesen, und er hatte
mir einiges beschert, über das ich würde nachdenken
können. Beim Gedanken daran war mir fast so fröhlich zu-
mute, wie ich es meinem Lächeln zufolge auch hätte sein
müssen.
Aber Jason würde sich seiner Kette wegen schrecklich
aufregen.
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Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
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Copyright der Originalausgabe © 2001 by Charlaine Harris
Copyright der deutschen Übersetzung
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Übersetzung: Dorothee Danzmann
Umschlaggestaltung: Johannes Frick, Augsburg
Umschlagmotiv: © Veronika Vasilyuk
Gesamtherstellung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-8289-9725-7
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Autoren-Porträt von Charlaine Harris
Charlaine Harris lebt in Arkansas mit ihrem Mann, ihren drei Kindern, zwei Hunden, zwei Frettchen und einer Ente. Sie ist eine unersättliche Leserin, gemäßigte Cineastin und gelegentliche Gewichtheberin. Ihre Romane wurden u. a. mit dem begehrten Anthony Award und dem Grand Prix Les Romantiques für die beste Heldin ausgezeichnet sowie für den Agatha Award und den Compton Crook Award nominiert.
Bibliographische Angaben
- Autor: Charlaine Harris
- 1294 Seiten, Maße: 13,1 x 19,2 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828997252
- ISBN-13: 9783828997257
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