Gucci und Gummistiefel
Izzie und Maddy sind schicke Londonerinnen. Doch jetzt leben sie auf dem Land und müssen den Gucci-Fummel gegen Gummistiefel eintauschen. So einfach ist es für die beiden nicht in der Pampa. Also beschließen sie, sich selbständig zu machen.
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Produktinformationen zu „Gucci und Gummistiefel “
Izzie und Maddy sind schicke Londonerinnen. Doch jetzt leben sie auf dem Land und müssen den Gucci-Fummel gegen Gummistiefel eintauschen. So einfach ist es für die beiden nicht in der Pampa. Also beschließen sie, sich selbständig zu machen.
Lese-Probe zu „Gucci und Gummistiefel “
Gummistiefel und Gucci von Annie Sanders EINS
... mehr
Izzie sah panisch auf die Uhr und verdoppelte ihre Anstrengungen.
»Rein da, du blöde Kuh!«, zischte sie. »Ich hab keine
Zeit für Spielchen!«
Ein Blick in die glänzende Metalltür des Backofens bestätigte
ihre schlimmsten Befürchtungen. Ganz abgesehen davon,
dass sie in der gewölbten Oberfläche aussah wie Barry
Manilows hässliche Schwester, war sie - genau wie ihre Küche
- in katastrophalem Zustand. In knapp einer Stunde
musste sie sich der Öffentlichkeit präsentieren, ohne dass
auch nur eine Spur ihres Kampfes zu sehen sein durfte. Niemand
sollte je erfahren, welch grässliches Schauspiel sich in
Wirklichkeit zugetragen hatte. Wenn jemand Wind davon bekam,
war all die sorgfältige Arbeit für die Katz. Wie war sie
nur in diesen schrecklichen Schlamassel geraten? Ihr lief die
Zeit davon. Sie packte das Brotmesser.
»Ich warne dich! Ich schneide dir die Beine ab. Das ist deine
letzte Chance!«
Barbie lag, von den Drohungen gänzlich unbeeindruckt, in
einem Haufen Kuchenkrümel auf der Arbeitsfläche. Izzie startete
einen letzten Versuch, packte die Puppe und rammte sie,
blind für den vorwurfsvollen Blick aus den blau gemalten Augen,
mitten in den Kuchen hinein. Diesmal versank Barbie bis
zur Hüfte und blieb stehen.
Ein inbrünstiges Dankgebet auf den Lippen, machte Izzie
sich an die Schadensbegrenzung: Kuchenbruch in den Krater
gestopft, dann eine hauchdünne Schicht Buttercreme und da-
rauf den alles verzeihenden, leuchtend rosaroten Zuckerguss.
Noch ein paar strategisch günstig angebrachte Marzipanrosen
und Geleebonbons, und jetzt wollte sie denjenigen sehen,
der von »Prinzessin Barbie in feierlicher Krinoline« nicht
beeindruckt war - auch wenn sie Biskuitteig aus dem Supermarkt
genommen und gnadenlos in Form gepresst hatte,
nachdem ihr eigener kläglicher Versuch in diesem schrecklichen
Ofen zu einem Häuflein Elend zusammengesunken
war. Sollte sie je zu Geld kommen, würde sie als Allererstes
dieses übellaunige Monster von Küchenherd rauswerfen und
durch einen hübschen, handlichen Gasherd ersetzen.
Na also - geschafft! Als Nächstes musste sie dringend etwas
mit ihren Haaren unternehmen - zum Beispiel den Zuckerguss
auswaschen. Nur noch zwanzig Minuten bis zu Sue
»Twinset« Templetons grausiger Mittagseinladung. (»Was
diese Frau nicht über Strickjäckchen weiß, passt auf eine
Streichholzschachtel«, war Marcus' Kommentar gewesen.)
Sue war nicht wirklich Izzies Typ, und das beruhte eindeutig
auf Gegenseitigkeit. Izzie war sich völlig darüber im Klaren,
dass sie nur zum Essen eingeladen worden war, damit sie den
Kuchen auch rechtzeitig lieferte. Sonst gab sich die Grundschulmütter-
Clique mit Sue als Dreh- und Angelpunkt ja auch
nicht mit ihr ab, ungeachtet des mysteriösen Flairs der Ex-
Londonerin, das sie noch immer umwehte - ansatzweise zumindest.
Dies war definitiv das allerletzte Mal, dass sie sich
hatte breitschlagen lassen, für irgendein eingebildetes Privatschulgör
den Geburtstagskuchen zu fabrizieren. Lieber lebte
sie fortan in Verbannung, als sich noch einmal mit Victoria-
Biskuit rumzuschlagen.
Sie raste in den ersten Stock und sprang unter die Dusche.
Ihr gänzlich ungerechtfertigter Ruf der Geburtstagstortenspezialistin
ging auf jene Exemplare zurück, die sie für die Ge-
burtstage ihrer eigenen Kinder fabriziert hatte. Niemand
hatte je gemerkt, dass sie lediglich die Ideen aus dem Schaufenster
von Jane Asher auf der Cale Street klaute, und sie unternahm
nichts, um den Irrtum aufzuklären. Das hatte sie nun
davon! Sue Templetons schauderhaft näselndes Balg wollte
einen Geburtstagskuchen, und wider besseres Wissen hatte
Izzie sich sofort bereit erklärt. Ihre alten Freundinnen in London
durften niemals von dieser Kuchensache erfahren. Was
würden sie von ihr denken, wenn sie wüssten, dass sie sich mit
den Mercedes-Muttis eingelassen hatte?
Wow!, dachte sie und schäumte sich die Haare ein, eine
Einladung in diesen erlauchten Kreis war eindeutig ein gehöriger
Schritt nach oben auf der sozialen Leiter von Ringford,
aber es hatte auch lange genug gedauert. Selbst nach zwei
Jahren war sie sich noch immer nicht sicher, ob sie die komplizierten
Tanzschritte des sozialen Ringelreihens auf dem
Lande tatsächlich kapiert hatte. Nicht, dass sie das Landleben
hasste. Intellektuell betrachtet (obwohl sie derlei Betrachtungen
in letzter Zeit nicht eben oft anstellte), war sie sich all der
Vorteile durchaus bewusst. Das Niveau der Schulen war so
gut, dass man sich die Privatschule sparen konnte; der städtische
Spielplatz war frei von Kondomen und Spritzen; die Luft
war sauber (mal abgesehen von Schädlingsbekämpfung,
Odel auf den Feldern und den Versuchen mit genmanipuliertem
Saatgut natürlich). Sie hatte sogar eine heimliche Zuneigung
zu den witzigen kleinen Läden auf der Ringford High
Street entwickelt - nachdem sie erkannt hatte, dass ein Leben
ohne frische Pasta möglich war und sie die Hoffnung aufgeben
musste, dass Jo Malone hier jemals eine Zweigstelle eröff-
nen würde. Bei ihren seltenen Besuchen in London merkte
sie, dass Freundlichkeit bei den Verkäufern auf der Upper
Street hoffnungslos fehl am Platze war, und inzwischen kehrte
sie mit einem ziemlich übertriebenen Gefühl der Erleichterung
nach Hause zurück. Okay, sie hatte den urbanen Schliff
verloren, aber äußerlich betrachtet war die Lebensqualität
hier besser, auch wenn es nicht ihre Idee gewesen war, aufs
Land zu ziehen.
Der Haken waren allerdings Londons innere Werte: die
Straßenmusikanten an der South Bank, der violett gefärbte
Zuckerguss auf den Minitörtchen von Konditor & Cook oder
die herrlich faulen Sonntagvormittage, an denen man den
Guardian von vorn bis hinten las, während die Kinder sich
austobten.
Mit Wasser in den Augen tastete Izzie blind nach einem
Handtuch. Nein, was sie wirklich keinen Augenblick länger
ertragen konnte - und diese Barbie-Sache hatte ihr das plötzlich
glasklar vor Augen geführt -, war das permanente Ge -
fühl, dass es hier niemanden gab, mit dem sie wenigstens die
Erinnerung an all diese Wonnen hätte teilen können. Sue
Templeton? Unmöglich! Izzie fehlte selbst im Ansatz jeglicher
Zugang zu Frauen wie ihr. Sie war dauernd hin- und hergerissen
zwischen dem Unwillen, sie auch nur zu verstehen, dem
da raus resultierenden Wunsch, sie am liebsten zum Teufel zu
jagen, und der Sehnsucht, dazuzugehören. Kein Wunder,
dass sie so durcheinander war.
Während sie sich die nassen Haare kämmte, dachte sie an
ihre Hoffnungen zurück, die den Umzug aus London damals
begleitet hatten. Die Vernunft hatte geboten, sich zu verkleinern,
und Marcus war so klug gewesen, es auch zu tun. Sie hatten
das Haus in Islington - na gut, in Stoke Newington - aufgegeben
und dafür dieses niedliche viktorianische Cottage in
Hoxley gekauft. Der Immobilienmakler hatte ihnen glaubhaft
versichert, Hoxley sei ein sehr »reizvolles« Dorf (was hieß, dass
es keine Gemeindebauten gab), und sie hatten sich ohne einen
Blick zurück mit ihren Siebensachen auf den Weg gemacht.
Marcus war geradezu begeistert gewesen, den Staub der Großstadt
abzuschütteln, was so weit ging, dass er sogar den Kontakt
zu seinen alten Freunden abgebrochen hatte.
Izzie hatte mit den Verlagen, für die sie freiberuflich als Redakteurin
arbeitete, vereinbart, dass alles beim Alten bliebe.
Bis auf den Umstand, dass sie künftig die Arbeit nicht mehr
wie bisher persönlich würde abholen oder bringen können,
würde sich nichts ändern - null Problemo. Und die Luftpolsterumschläge
mit Korrekturfahnen, freizugebenden Entwürfen
und zu prüfenden Illustrationen landeten fortan fleißig
per Post auf ihrer Fußmatte. Sie konnte im Schlafanzug arbeiten
(ein lang gehegter Wunschtraum), sich dabei jederzeit
um die Kinder kümmern, und alles ging seinen gewohnten Gang.
Sie zerrte ein frisches Höschen aus der überquellenden
Schublade. Die neue Schule hatte sich, off en gesagt, als mittlerer
Kulturschock erwiesen. Bei aller Liberalität war Izzie
doch eine Verfechterin von korrekter Schreibweise und Grammatik
- auch bei Tätowierungen. Statt all der Tobys und Tashas
aus Nordlondon waren die meisten Klassenkameraden
ihrer Kinder hier Waynes und Kellys, deren Freizeitbeschäftigung
sich auf PlayStation 2, Tontaubenschießen und - was
am meisten irritierte - irischen Volkstanz beschränkte.
Also, weshalb hatte sie dann trotzdem zugesagt, als Sue
Templeton, Hausfrau und Mutter ebenso wie Gattin des
BMW-fahrenden Eigentümers einer Schildermacherei, sie gebeten
hatte, einen Prinzessin-Barbie-Kuchen für ihre Rotznase
Abigail zu backen? Sie verwarf die Frage und föhnte sich
die Haare, während sie gleichzeitig, auf einem Bein hüpfend,
versuchte, in ihre tief geschnittene GAP-Combathose zu steigen.
Ob der schwarze Kaschmirpullover endgültig so einge-
laufen war, dass er ein unattraktives Stück bleichen Rückens
entblößte, wenn sie sich vorbeugte, um sich von der Quiche
zu nehmen? Denn es würde Quiche geben. Das stand fest.
Zwanzig Minuten später parkte sie wüst auf dem Stück
Straße zwischen zwei Einfahrten in Millstone Meadow. In dieser
neu erbauten Siedlung mit Einfamilienhäusern in Long
Wellcote befand sich auch chez Templeton. »Stepford Drive«
hatte Marcus die nachgemacht georgianische Geschmacksverirrung
getauft, und Izzie musste zugeben, dass er es wieder
mal auf den Punkt gebracht hatte. Sie sprang über die sich
exakt abwechselnden Büschel blauer und weißer Lobelien,
die wohl als einfallsreiche Bepflanzung gelten sollten, und
warf einen Blick auf das Auto, hinter dem sie geparkt hatte.
Ein überdimensionierter Geländewagen, was auch sonst. Die
Frau auf dem Fahrersitz sah allerdings nicht sehr nach »Stepford
Wife« aus.
Sie war blond, was sonst - das schien irgendwie Voraussetzung
zu sein, um BMW fahren zu dürfen -, aber der Ton
stimmte nicht ganz: irgendwo zwischen Gwyneth und Cate,
aber ohne Gefahr, in Richtung Jerry (oder schlimmer noch,
Geri!) abzurutschen. Eine Zigarette zwischen den Lippen,
paffte die Frau zum Fenster hinaus und hielt mit beiden Händen
das Lenkrad gepackt. Dabei schien sie mit sich selbst zu
sprechen, das Gesicht zu einer missmutigen Grimasse verzogen.
Achselzuckend setzte Izzie das breite Lächeln auf, das sie
für der Situation angemessen hielt, umklammerte die Kuchenplatte
und klingelte.
Labbriges Toastbrot in der Vorratspackung. Pommes frites.
Knusprige Tiefkühl-Pfannkuchen. Putenschlegel. Mutlos betrachtete
Maddy die Einkäufe, die die Frau vor ihr auf das
Band legte. Hatten diese Spießer hier noch nie was von richtigen
Lebensmitteln gehört? Sie warf einen Blick in ihren
eigenen Wagen. Es war nicht einfach gewesen, aber sie hatte
tatsächlich Entenbrust aus Freilandhaltung gefunden, diese
herrlichen, wenn auch seltsam aussehenden kleinen französischen
Schokoladenkekse, die die Kinder so gern mochten,
und sogar Balsamico-Essig, der zumindest so aussah wie das
Zeug, das sie letztes Jahr aus der Toscana mitgebracht hatten.
Gott, wie sie den kleinen Feinkostladen in der Draycott Avenue
vermisste!
Sie warf einen Blick auf die Uhr; in zwanzig Minuten
musste sie Florence im Kindergarten »Little Goslings« abgeholt
haben und bei diesem Mittagessen sein. Wenn die Frau
vor ihr sich nicht endlich ein bisschen damit beeilte, ihre unglaubliche
Sammlung Fastfood zu verstauen, kam sie wieder
mal zu spät und würde von Clare Jenkins, der ziemlich kriecherischen
Leiterin von »Little Goslings«, den nächsten vorwurfsvollen
Blick kassieren. Ein Blick, der gänzlich unangebracht
war, angesichts Maddys großzügigem Angebot, die
Wuchergebühren komplett zu bezahlen, obwohl Florence
dort drei Wochen nach Beginn des Halbjahres angefangen hatte.
Die Erziehung ihrer dreijährigen Tochter hatte sie bereits
jetzt ein halbes Vermögen gekostet. Der überstürzte Umzug in
diese gottverlassene Gegend hatte sie zur Zahlung eines Bußgeldes
in Höhe eines Halbjahresbeitrags an die Londoner Tagesstätte
gezwungen, in der Florence sich so wohl gefühlt
hatte. Für den Platz dort hatten sie sich beinahe schon vor der
Empfängnis auf die Warteliste setzen lassen - dagegen war
die Mitgliedschaft bei »The Hurlingham« ein Kinderspiel gewesen.
»Little Goslings«, kurz vor Ringford gelegen, war genau
genommen ein Abstieg, und die Zusage, ihren neun Mo-
nate alten Sohn Pasco ebenfalls in Kürze anzumelden, war allemal
ein Grund dafür, dass das Personal kein Recht hatte, ihr
gegenüber anmaßend zu werden.
Die Frau an der Kasse durchwühlte inzwischen ihre abartige
Kunstlederhandtasche auf der Suche nach dem Geldbeutel.
Ungeduldig trommelte Maddy mit den Fingernägeln auf
den Griff des Einkaufswagens. Langsam wurde es wirklich
eng. Während sie wartete, nahm sie die Frau selbst in Augenschein.
In ihr waren sämtliche Eigenschaften des Bauernvolks
vereint, das diesen Landstrich bewohnte. Das weiße T-Shirt -
wahrscheinlich das ihres Mannes und zweifellos von Woolworth
- spannte sich straff über ihrem riesigen, nur ungenügend
gestützten Busen und hing lose über einem schreiend
gemusterten, ausgestellten Rock mit Knitterfalten unter dem
Hintern. Und die Schuhe, o Gott, diese Schuhe! Sandalen in
Hellbeige, die heldenhaft den fetten Füßen trotzten, die aus
ihnen hervorquollen.
Maddy wagte einen selbstgefälligen Blick auf ihre samtweichen
blassblauen Wildlederslipper, die sie in einem entzückenden
kleinen Laden in der Walton Street entdeckt hatte.
Sie hatte nicht widerstehen können und noch zwei weitere
Paare in anderen Farben gekauft. Sie seufzte. Der monatliche
Friseurtermin bei John Frieda war eine Sache, aber würde sie
eine Fahrt in die Stadt mit der absoluten Notwendigkeit angemessenen
Schuhwerks rechtfertigen können, oder würde sie,
wenn sie noch ein paar Wochen länger hier lebte, selbst in den
Sumpf der Mittelmäßigkeit abgleiten?
Sie packte im Vorbeigehen einen Strauß leuchtend orangefarbener
Gerbera und bezahlte sie zusammen mit einer
Schachtel Marlboro Lights am Zigarettenkiosk (wo die armseligen
Würstchen in der Lottoschlange ihr Fortkommen weiter
behinderten). Die Tatsache, dass die Blumen dreimal teurer
waren als normal, weil sie völlig außerhalb der Saison lagen,
würde an ihrer Gastgeberin Sue Templesoundso mit Sicherheit
völlig vorübergehen. Sie manövrierte den Einkaufswagen
mit halsbrecherischer Geschwindigkeit über den Parkplatz
und stopfte die Tüten in den Kofferraum. Sie hatten den
Wagen damals gekauft, um den Gefahren des Verkehrs auf
der Fulham Road begegnen zu können - der Bildschirm in den
Kopfstützen war ein Geschenk des Himmels, um die Kinder
ruhig zu halten. Hier, auf dem Land, gab ihr die bloße Höhe
des Wagens ein Gefühl absolut angemessener Überlegenheit
gegenüber den anderen Autofahrern.
Sie verließ Ringford und machte sich über die kleinen
Landstraßen auf den Weg zum Kindergarten und nach Huntingford.
Bei dem Blick über Hecken und Felder und der sich
bietenden Aussicht dahinter entspannte sich ihr Griff um das
Lenkrad. Der Sommer klammerte sich mit aller Macht ans
Leben, und über den Hügeln in der Ferne hing ein Dunstschleier.
Ein Traktor, der aussah wie Kinderspielzeug, pflügte
auf einem weit entfernten Feld den Boden um, vermutlich für
irgendein Getreide, das sie mit Sicherheit nicht erkennen
würde. Ihre Kenntnisse auf dem Gebiet des Ackerbaus waren,
gelinde gesagt, beschränkt, aber der Gesamteindruck der hügeligen
Landschaft war eine Augenweide, fand sie, und erinnerte
sie an all die guten Gründe für einen Umzug aufs Land.
Simons Beschluss, der Stadt den Rücken zu kehren und
eine IT-Firma »irgendwo in einer herrlichen Gegend auf dem
Land« zu kaufen, hatte Maddy förmlich von den Socken gehauen.
Gut, sie hatten andauernd über die unmögliche Parkplatzsituation
in SW 10 gemosert und lamentiert, sie hatten
ab und zu in Träumereien von einem riesigen Garten und dem
Geräusch von Kirchenglocken auf dem Lande geschwelgt,
aber damit war es Maddy nie ernst gewesen. Simon dagegen
hatte offensichtlich sämtliche Argumente, weswegen es für
die Familie das Beste sei, aufs Land zu ziehen, auswendig gelernt.
Eines Abends, vergangenen Mai, hatte er sie dann bei
einem Glas eisgekühltem weißen Burgunder gewissermaßen
vor vollendete Tatsachen gestellt. Er hatte sogar Colette, das
französische Kindermädchen, dazu überredet, ein Wochenende
lang allein auf die Kinder aufzupassen. Er war mit
Maddy über romantische Landstraßen gefahren, hatte sie mit
sorgsam ausgewählten Katalogen diverser Immobilienmakler
verführt: voll von idyllischen Bildern und hochpoetischen Beschreibungen.
Nach dem Abendessen in einem ausnehmend
reizenden Hotel hatte er sie dann noch einmal verführt, als sei
die Liebe auf dem Lande schöner als die in der Stadt.
Huntingford House besaß alles, was sie sich je ersehnt
hatte: Es war im Queen-Anne-Stil aus roten Ziegelsteinen gebaut,
hatte breite Fensterrahmen und ein zweites Stockwerk
mit Dachgaubenfenstern. Es war ein Haus, wie es einem auf
den Titelseiten von Country Life begegnet. Es hatte alles, was
ein Traumhaus auf dem Lande brauchte: eine geschwungene
Auffahrt, alte Rosenstöcke in einem halben Hektar üppigen
Gartens und eine Küche, die größer war als das gesamte Erdgeschoss
ihres Hauses am Milborne Place. Die Ausstattung
dagegen war nicht ganz so berauschend gewesen. Die Fornica-
Einbauschränke, die Zentralheizung aus den fünfziger
Jahren und die Zottelteppiche mussten raus. Aber mit einem
instinktiven Gespür für guten Geschmack ersetzte sie nach
und nach die avocadogrünen Badezimmerfliesen durch welche
von CP Hart und tauschte die William-Morris-Vorhänge
gegen meterweise Zoffany aus. Inzwischen war sie auf dem
besten Wege, das Heim zu erschaff en, das sie sich wünschte,
ein Heim, bei dessen Anblick Londoner Freunde grün vor
Neid würden.
Auch Wills Schule war Bestandteil von Simons Überzeugungsstrategie
gewesen. Er war eines Tages mit einer Ausgabe
des Good School Guide in der Hand nach Hause gekommen,
die betreffende Seite schon gekennzeichnet. Eagles wurden
»sämtliche Vorzüge einer erstklassigen Londoner Privatschule,
nur ohne den Verkehr« bescheinigt. Das hatte Maddy
genügt. Einem unglaublichen Glücksfall war es zu verdanken,
dass sie den Platz eines Kindes ergatterten, dessen Eltern umzogen.
Nach Zahlung einer weiteren saftigen Strafgebühr,
weil Will erst weit nach Schuljahresbeginn anfi ng, waren sie
drin. Der Anblick der anderen Eltern auf dem Parkplatz hatte
Maddy Mut gemacht. Gut, der Anteil an goldenen Schuhen
und bedruckten T-Shirts war alarmierend hoch, aber es war
nicht allzu viel lokaler Dialekt zu hören. Außerdem hatte Mrs.
Turner, die Direktorin, eine große, magersüchtig wirkende
Mittvierzigerin in Viyella-Kostüm und auf hohen Absätzen,
ihnen versichert, die meisten Eltern seien »beruflich in Feldern
wie IT oder Medizin tätig«.
Colette war gerade damit beschäftigt, Pasco die Überreste
seines Mittagessens aus dem Gesicht zu wischen, als Maddy
mit den Einkaufstüten in die Küche stürmte. »Ich komme zu
spät zu dem Tralala von dieser Frau«, japste sie und drückte
ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn. Das zierliche französische
Kindermädchen war Maddys Druckmittel gewesen.
Entweder Colette zog mit um, oder Maddy würde sich nicht
von der Stelle rühren. Obwohl (oder vielleicht gerade weil)
Colette selbst aus der tiefsten französischen Provinz stammte,
stand sie einem Umzug ans Ende der Welt noch skeptischer
gegenüber als Maddy. Deshalb mussten Colettes Zimmer im
Dachgeschoss des neuen Hauses als zusätzlicher Anreiz zuerst
renoviert werden. Nun schwelgte sie dort oben im Luxus,
mit Breitwandfernseher und Malabar-Vorhängen, während
der restliche Haushalt sich mit nackten Fliesen und noch
nackteren Dielenbrettern begnügen musste.
»Oh, Maddy, lassen Sie doch die Einkäufe«, gurrte Colette
mit ihrem zum Sterben erotischen französischen Akzent. »Ich
wechsle Pasco nur schnell die Windel, und dann ist er fertig.
Na komm, kleiner Mann.« Beim Hinausgehen rief sie Maddy
über die Schulter zu: »Der Handwerker will mit Ihnen über
das freie Gästezimmer sprechen.«
»Dann muss er warten.« Schnell packte Maddy Ben & Jerry's
Phish Food in den riesigen Gefrierschrank und knallte zwei
Töpfe mit Koriander und Basilikum auf das Fensterbrett. Sie
bürstete sich die Haare und legte etwas Lippenstift auf, da
kam Pasco auf dem Arm seines Kindermädchens auch schon
wieder zum Vorschein, sauber und wohlduftend.
»Ich bin zurück, wenn ich Will von der Schule abgeholt
habe«, sagte sie und nahm Colette das Kind ab. »Ich weiß jetzt
schon, was für Frauen dort sein werden - ich habe sie ja alle
schon am Schultor getroffen -, sieht nicht gerade nach einem
Treff en aus der Glamourwelt aus. Wie wär's mit Nudeln für
die Kinder heute Abend? Mit Ihrer köstlichen Tomatensauce?
- Ich habe sogar ein Stück frischen Parmesan organisiert.
Es gibt doch einen Gott!«
Verstehen Franzosen diesen Spruch überhaupt?, fragte sie
sich, als sie aus der Auff ahrt fuhr. Himmel, scheinbar ging ihr
langsam die Kontrolle über ihre Muttersprache flöten!
Als sie endlich bei »Little Goslings« vorfuhr, einem stattlichen
viktorianischen Haus, dessen Fenster allesamt mit lustigen
Kinderbildern verziert waren, war es bereits zehn nach
eins, und sie wappnete sich innerlich gegen die missbilligenden
Blicke der Kindergärtnerinnen.
»Florence hatte einen herrlichen Vormittag«, schwärmte
Clare Jenkins. Der Name des Kindergartens prangte quer über
ihrem üppigen Busen. »Nicht wahr, Florrie?« (Sich schlicht zu
weigern, den Namen des Kindes französisch korrekt auszusprechen,
war eine Sache, aber Florrie?!) »Wir haben ein Bild
gemalt, von Mami und dem tollen neuen Haus. Sie hat ein
Stückchen Banane und ein paar Rosinen gegessen«, fügte sie
hinzu und betonte die Worte fast so, als wolle sie Florence vor
der Erkenntnis schützen, dass ihre Mutter nachlässig und unpünktlich
war, »aber ich glaube, sie hat ein bisschen Hunger.
Es ist Zeit fürs Mittagessen, nicht wahr, Florrie, Schätzchen?«
Ach, leck mich doch, dachte Maddy. Das würde ja wohl jedem
so gehen, der seit dem Frühstück nur eine Hand voll Rosinen
und ein Stück Banane bekommen hat!
»Danke, Clare. Bis morgen. Na komm, Florence«, sagte sie
und nahm ihre einigermaßen widerspenstige Tochter bei der
Hand. »Wir sind zu ein paar netten neuen Freunden eingeladen.«
Zwanzig nach eins. Maddy hatte leider überhaupt keine
Ahnung, wie spät man in dieser Gegend zu einer Einladung
für halb eins erscheinen durfte, ohne völlig unverschämt zu
wirken. In der sicheren Annahme, dass chez Templeton, genau,
so war der Name, striktes Rauchverbot herrschte, zündete
sie sich eine Zigarette an.
Früher, in London, hatte man kommen können, wann es
einem passte. Die Mittagessen bei ihren Freundinnen waren
ausgedehnt und fröhlich gewesen, und die Kindermädchen
(meistens aus irgendwelchen ehemaligen Ostblockstaaten)
hatten sich im Garten um die diversen Sprösslinge gekümmert.
Wenn sie dann nach Hause kam, war sie der Fünf-Uhr-
Tee-Bedrohung mit der Entschuldigung entronnen, sich zurechtmachen
zu müssen, weil sie mit Simon verabredet war.
Rasant überholte sie eine Gruppe Reiter und erwiderte deren
enthusiastische Gesten. Kannte sie die? Nein. Irgendwo
ganz tief in ihrem Bewusstsein war ihr klar, dass sie mehr aus
ihrem Leben machen sollte. »Wenn Madeleine ihren schulischen
Leistungen auch nur halb so viel Aufmerksamkeit widmet
wie ihrem gesellschaftlichen Leben, wird sie es weit bringen«,
hatte ihre Klassenlehrerin ihr im Abschlusszeugnis von
Queensgate bescheinigt. Maddy wusste, dass sie Recht hatte,
und obwohl sie sich bemühte, ernsthafte Literatur zu lesen
und stets die Wochenendausgabe des Daily Telegraph zu
durchkämmen, war das Leben einfach viel zu schön. Sie
rechtfertigte ihren Lebensstil, indem sie sich sagte, Simons
Einkommen mache es unnötig, dass sie arbeitete - und was
sollte sie auch groß anfangen mit ein paar guten Abschlussnoten
und dem bisschen Erfahrung darin, für die Reichen,
aber Einfallslosen die Tapeten auszusuchen?
Während der Fahrt nach Long Wellcote ärgerte sie sich darüber,
dass das Einzige, was Ringford in Richtung Kultur zu
bieten hatte, ein Rahmengeschäft mit Drucken von provenzalischen
Lavendelfeldern im Schaufenster war. In London
hatte sie wenigstens die Möglichkeit gehabt, die richtigen
Ausstellungen und Aufführungen zu besuchen und am Puls
der Zeit zu bleiben. Im Rückspiegel warf sie einen Blick auf
ihre bildschönen Kinder: Pasco, dessen dunkler Teint seine
französischen Großeltern verriet, und Florence - den Daumen
im Mund, ihren geliebten Hasen umklammernd -, die
mit ihren blonden Locken Simon so ähnlich sah. Plötzlich
stand Maddy das Bild der Frau vor Augen, die sie zu werden
drohte: eine Landei-Mama, die ihr Leben damit verbrachte,
vom Spielplatz zu öden vormittäglichen Kaffeekränzchen zu
pilgern, danach zur öden Krabbelgruppe und von dort aus zu
öden, langweiligen Mittagessen, um sich über Schnuller,
Windeln und Schulbasare zu unterhalten. Das war einfach
nicht ihr Ding.
Ihr Ding war Gucci, und über ihr hing bedrohlich die Vorstellung
von einem Leben in Abstinenz und, wenn sie schon
dabei war, auch ohne Mittagessen bei Harvey Nicks, ohne
Jimmy Choo und ohne Einkaufsbummel auf der New Bond
Street.
Aufs Allerfeinste entnervt, erreichte sie schließlich am anderen
Dorfende das Haus von Sue Templeton und parkte hinter
einem neuen Peugeot-Familienvan, auf dessen Heck ein
»Lasst das Land am Leben«-Aufkleber prangte. Das Haus, ein
Mischmasch georgianischer Scheußlichkeiten, veredelt mit
einem säulenbestandenen Vorbau, stand an der Ecke einer
Straße mit vielen anderen einfallslosen Schuppen. Selbst die
neu gepflanzte Ligusterhecke konnte Maddy den Blick in den
mit grellbunten Plastikdreirädern übersäten Garten nicht verwehren.
Sie zog die Handbremse an und stellte den Motor ab. Sie
hätte heulen können vor Verzweiflung. »Scheiß auf das blöde
Landleben«, jammerte sie laut. »Soll es doch verrecken!«
ZWEI
Sue Templetons unerbittlich schrille Stimme war schon
durch die Tür zu hören. Ihr Gesicht fi el förmlich zusammen,
als sie sah, wem sie Einlass gewährte. »Ach, Sie sind's«, keifte
sie. »Wir haben uns schon gefragt, ob Sie überhaupt noch
kommen. Na ja - ist das der Kuchen? Abigail wird begeistert sein.«
Natürlich ist das der blöde Kuchen, dämliche Ziege, dachte
Izzie mit einem arglosen Lächeln, während sie frei erfundene
Entschuldigungen für die Verspätung hervorsprudelte. Sue
scheuchte sie durch einen bedrückend engen Flur zur Küche.
»Bringen Sie ihn rein«, befahl sie. »Zum Glück haben wir
noch nicht angefangen zu essen.«
»Oh, Sie hätten doch nicht auf mich warten müssen. Es tut
mir Leid, ich hätte anrufen sollen, um zu sagen, dass ich mich
verspäte ...«
»Wir haben nicht auf Sie gewartet«, fuhr Sue sie an, korrigierte
sich aber, vielleicht erschien ihr dieser Ton selbst Izzie
gegenüber doch ein wenig hart, stattdessen zwinkerte sie verschwörerisch.
»Ich wollte sagen, wir warten auf unseren Ehrengast
- Mrs. Huntingford House!«
»Mrs. Wer? Ich glaube nicht, dass ich sie kenne. Was für ein
ungewöhnlicher Name!«
»Nein, Isabel«, sagte Sue wie zu einem begriffsstutzigen
Kind. »Die neue Besitzerin von Huntingford House. Sie sind
eben erst aus London hergezogen. Ihr Mann hatte in der Stadt
einen fürchterlich wichtigen Posten inne, und jetzt baut er
hier sein Unternehmen auf - ich glaube, er hat mit Computern
zu tun«, tönte sie. »Wie die meisten eben, stimmt's?«
Mit einem Augenrollen machte Sue klar, dass Einzelheiten
nichts zur Sache taten - was zählte, war allein die Größe des
Bankkontos. Sie scheuchte die zögernde Izzie, mit den Händen
wedelnd, vor sich her. »Ihr Kleiner geht mit unseren auf
die Eagles, und ich dachte, vielleicht würde sie uns alle gern
ein wenig besser kennen lernen. Es ist so wichtig, Freunde zu
finden, wenn man irgendwo neu ist!«
Welch edle Gesinnung! Izzie unterdrückte ein zynisches
Grinsen. Sie selbst war nie ein solches Opfer von Sues Gastfreundschaft
geworden. Die aufgekratzte Stimmung in der
überhitzten Küche sagte ihr, dass Mrs. Huntingford House
offensichtlich als gesellschaftlicher Hecht am Haken galt. Das
konnte lustig werden!
Ehe sie die Küche betraten, vernahm Izzie gedämpftes Kichern
und dann ein eiliges »Psst!«. Ihre innere Anspannung
wuchs. Um den Tisch versammelt saßen Linda Meades und
Clare Lorrimer, die Unzertrennlichen. Izzie dachte an sie nur
als Einheit, so wie Dick & Doof oder Rosenkranz & Güldenstern.
Meades & Lorrimer schwebten inmitten einer Wolke
aus seidigen beige Twinsets, seidigen beige Haaren und zu
orange geratenem Teint - alles tadellos aufeinander abgestimmt.
Sogar der Lipgloss passte. Ihnen gegenüber, eingezwängt
zwischen Tisch und Wand, saß Fiona Price. Sie wirkte
altbacken und fehl am Platz - das einzige Zugeständnis an die
Weiblichkeit waren ein Paar goldene Ohrringe in Form von
Steigbügeln. Auf Fionas frisch gebleichtem Damenbart glänzten
Schweißtropfen, und sie hielt die Arme fest vor dem Busen
verschränkt. Sie erinnerte Izzie an einen zu prall gepolsterten
Ohrensessel, obwohl sich jeder Gedanke an Gemütlichkeit im
Grunde verbat. Izzie nannte sie »Frau Schadenfreude« - sie
stand im Dienste der Information. Sie war weitaus effektiver
als Reuters und schien, wie CNN, rund um die Uhr im Einsatz
zu sein. Was Izzie am meisten zu schaff en machte, war Fionas
offensichtliches Vergnügen am Unglück anderer Menschen.
Als dem Mann einer Bekannten wegen Alkohols am Steuer
der Führerschein entzogen wurde, hatte Fiona Izzie vor dem
Drogeriemarkt förmlich an die Wand genagelt, um ihr sämtliche
Einzelheiten unter die Nase zu reiben.
Wie nicht anders zu erwarten, taten die Frauen so, als hätten
sie ihren Namen vergessen, begrüßten sie oberflächlich
lächelnd, sodass ihr die Schmach nicht erspart blieb, sich wie
eine völlig Fremde neu vorzustellen. Von da an ignorierten
sie Izzie vollständig und unterhielten sich über die unglaublichen
Veränderungen, die »Mrs. HH« dem Haus seit ihrem
Einzug hatte angedeihen lassen. Jede wusste ein saftiges kleines
Detail beizusteuern (dem Schreiner aus der Nase gezogen,
dem Postboten, dem Besitzer vom Lebensmittelladen in
Ringford, dem Blumenhändler oder anderen), und alles bezeugte
den verschwenderischen Stil und die mühelose Eleganz
ihres noch immer nicht anwesenden Ehrengastes.
Weil Izzie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte, plapperte
sie schließlich einfach drauflos: »In dem Auto, hinter
dem ich geparkt habe, saß eine Frau. Vielleicht ist sie das ja,
und sie hat die Hausnummer vergessen.«
Sofort lugte Sue durch die gerafften Gardinen. »Ja, das ist
sie! Ich geh sie holen. Isabel, stellen Sie den Kuchen hin, und
könnten Sie wohl ein Glas Wein ...?«
Die Türklingel unterbrach Sues Befehlskette. Sie strich sich
über die Haare, zupfte ein paar Fusseln von dem unvermeidlichen
Strickpullover und ging, tief Luft holend, zur Tür. Mit
geziertem Akzent und schriller Stimme begrüßte sie ihren
Gast. Von ihrem Aussichtspunkt am Küchenfenster beobach-
tete Izzie entgeistert, wie die anderen Frauen sich für die Ankunft
des neuen Juwels herausputzten.
Die Frau, die zur Tür hereinkam - haargenau die, die Izzie
in dem Wagen hatte sitzen sehen -, rangierte eindeutig über
dem Empfangskomitee. Was hier kam, war eine gänzlich andere
Klasse, aber hallo! Großstadtschick, jedoch lässig und
unaufdringlich. Diese Frau besaß Stil, und das lag nicht allein
an der Frisur; alles an ihr schrie: Privilegien, Müßiggang,
Geld - was für eine unwiderstehliche Mischung! Heftig blinzelnd
bemühte Izzie sich um eine Einschätzung ihrer wunderbar
zurückhaltenden Aufmachung. Die Accessoires waren
perfekt, angefangen bei der hochgeschobenen Gucci-Sonnenbrille
über die sanft schimmernde Patek-Philippe an ihrem
Handgelenk bis hinunter zu den hellblauen Wildlederslippern,
die ein kleines Stückchen schlanker, gebräunter Füße
enthüllten. Dazu ein wunderschönes Baby auf der Hüfte und
ein zauberhaftes kleines Mädchen an der Hand. Selbst der
leicht verdrießliche Gesichtsausdruck und die kaum sichtbare
Sorgenfalte zwischen den sorgfältig gezupften Augenbrauen
passten perfekt.
Izzie rühmte sich, einen guten Stall noch hundert Meter gegen
den Wind zu riechen - ein Talent, das ihr im Laufe der
Jahre schon oft zugutegekommen war -, und hier hatte sie es
zweifellos mit einem Prachtexemplar zu tun. Obwohl der Busen
der Neuen ein bisschen größer war als ihr eigener und sie
ein paar Jahre jünger wirkte, schienen sie in etwa die gleiche
Größe zu tragen. Izzie fragte sich flüchtig, ob sie sich mit dieser
Erscheinung so weit würde anfreunden können, um herauszufi-
nden, welchem Secondhandladen sie ihre abgelegten
Sachen zukommen ließ.
»Oh, Verzeihung. Das ist Isabel Stock. Isabel, Madeleine
Hoare. Isabel hat uns für Abigails Geburtstagsfeier diesen net-
ten Kuchen hier gemacht. Ist der nicht wundervoll? Ein wahrer
Kleinmädchentraum! Die perfekte Märchenprinzessin. Und
noch eine kleine Barbie für die Sammlung.«
Izzie zuckte unter dem ungläubigen Blick zusammen, mit
dem Madeleine das rosarote Ungetüm beäugte. Sie musste etwas
sagen. Sie musste sich augenblicklich sowohl von dem
schauderhaften Einfall einer Barbie in Victoria-Biskuit mit
Zuckerguss als auch von den anderen Frauen hier distanzieren.
Ich bin anders als die. Ehrlich! Ich komme auch aus London.
Ich bin interessant, wirklich!
Der Blick der Frau blieb an ihr hängen, sie senkte den Kopf
und fixierte mit hochgezogener Augenbraue den Zuckerguss.
»Himmel! Sieht nach einem Herrenabend für Kleinkinder
aus. Sind das Geleebohnen oder Silikonimplantate?«
Izzie war überrascht. Sie wusste nicht, wie sie reagieren
sollte, und zerrte von irgendwo eine witzige Bemerkung her:
»Einfach das Richtige für Abigails Party«, sagte sie trocken.
Madeleine unterdrückte ein Lachen, und auf einmal schien
sie etwas zu verbinden - kaum spürbar, aber es war da! Madeleines
Blick streifte sie und wanderte zurück zum Kuchen.
»Wie zum Kuckuck haben Sie die dämliche Puppe dazu gebracht,
stehen zu bleiben? Haben Sie das Ding mit roher Gewalt
da reingerammt?«
»Sie hatte keine andere Wahl«, antwortete Izzie. »Sonst
hätte sie ihre Beine verloren.«
In der Küche erhob sich schockiertes Gemurmel, doch in
den Augen der Neuen blitzte der Schalk. »Klingt ein bisschen
nach Boxing Helena«, sagte sie und sah Izzie dabei herausfordernd an.
»Nein«, schoss die zurück, »eher nach Nigella meets Hannibal
Lector.«
Madeleines schallendes Gelächter ging Izzie runter wie Öl,
vor allem angesichts der verständnislosen Blicke aller anderen
im Raum. Izzie hielt, Sues Anweisungen zum Trotz, noch
immer die Torte umklammert, und mit einem Ausdruck strahlender
Freude im Gesicht dämmerte ihr, was soeben passiert
war. Verwirrtes Schweigen hatte sich über die Versammlung
gesenkt, und in Izzies Kopf begannen jubelnd die Engelschöre
zu frohlocken. Zum allerersten Mal seit zwei Jahren schien jemand
- außer Marcus natürlich - tatsächlich mit ihr auf gleicher
Wellenlänge zu sein.
»Ich bin übrigens Maddy«, sagte die Neue, und es klang, als
wäre es nur für Izzies Ohren bestimmt.
»Ich bin Izzie.«
Irritierenderweise fi ng das hübsche kleine Mädchen, das
sich an Maddys Bein klammerte, schüchtern an zu kichern.
Maddy fl üsterte verschwörerisch: »Entschuldigung, Florence
hat Zizi verstanden - Schniedel auf Französisch ...!«
Izzie prustete los. »Das kann nicht sein! Das wusste ich gar
nicht. Ich brauch sofort einen Platz im nächsten Eurostar.«
Sue schritt ein, rot vor Zorn. »Wie auch immer, es ist ein
wunderschöner Kuchen«, zirpte sie und scheuchte Maddy hinüber
ins Spielzimmer, um Florence bei den anderen Kindern
abzuliefern.
Ohne Deckung allein in der Küche zurückgelassen, ließen
die Blicke der Frauen die Freude aus ihr entweichen wie die
Luft aus einem Ballon. Sie klammerte sich verzweifelt an das
schwindende Gefühl von Selbstvertrauen, stellte mit bestimmter
Geste den Kuchen auf die hygienische Corian-Arbeitsfl-
äche und begegnete ihnen mit einem tapfer ins Gesicht
geheftetem Lächeln.
»Möchte jemand einen Schluck Wein?«, fragte sie munter,
packte die Flasche in der kalten Plastikmanschette (»Eispari-
ser« nannte Marcus die Dinger) und schlenderte betont lässig
zum Tisch hinüber. Sie hatte wirklich keine Lust, sich neben die
Schadenfreude zu setzen, aber Linda und Clare bildeten auf
ihrer Seite eine undurchdringliche Mauer, und die Wolke aus
»Opium« und »Mitsouku«, die sie umwaberte, schlug gnadenlos
Feind oder Freund in die Flucht. Sich an das Kopfende zu
setzen wäre anmaßend gewesen, also nahm Izzie den einzigen
freien Stuhl ihnen gegenüber und rutschte so weit weg von
Fiona wie möglich. Drei Paar Augenbrauen schossen simultan
in die Höhe, und bedeutungsvolle Blicke wurden gewechselt.
»Also, Izzie, Sie sehen ziemlich müde aus«, murmelte Clare
mit geheucheltem Mitgefühl. »Sie haben wohl viel zu tun?
Dieses süße kleine Häuschen macht sicher eine Menge Arbeit.
Ich für meinen Teil hab's da lieber modern. Das macht das Leben
so viel leichter!«
Linda schloss sich an. »Wie geht es denn Ihrem schnuckeligen
Mann - Marcus? Ich habe ihn in letzter Zeit gar nicht mehr
im Fitnesscenter gesehen. Nicht, dass er es nötig hätte. Er ist ja
fantastisch in Form! Ich dachte, er hätte in der Sauna mal zu
mir gesagt, dass Sie auch Mitglied wären. Sie sollten unbedingt
ab und zu hingehen. Es ist so gut für die Figur - und für
den Teint erst!«
Figur! Teint! Stück für Stück waren Izzies Schultern bis rauf
zu ihren Ohren gewandert, und sie spürte, wie ihr die Zornesröte
ins Gesicht stieg. Wie konnten diese ignoranten Ziegen es
wagen, sie so zu provozieren! Tja, den Gefallen würde sie
ihnen nicht tun, nicht heute! Sie mobilisierte sämtliche verfügbaren
Reserven der Selbstbeherrschung und versuchte
verzweifelt, sich an die Spitznamen zu erinnern, die Marcus
diesen Weibern gegeben hatte. Linda war bei ihm »die Eidechse
« - von der Sonne geröstet und schuppig, mit rastlosen
Augen und einer Zunge, die ständig rein und raus zuckte.
Clare war bei ihm »Daisy«, und sie hatte tatsächlich etwas
Kuhhaftes an sich mit ihren übertrieben geschminkten Augen
und den wabbeligen, hochgeschnürten Brüsten. Ja, das half,
definitiv. Izzie richtete sich auf und lächelte sie strahlend an.
»Marcus geht es momentan wirklich sehr gut, danke. Wie
klug, sich wenigstens seinen Namen zu merken. Er hat mir erzählt,
dass er euch öfter im Fitnessstudio sieht. Ihr kennt ihn
ja, er erzählt immer von so lustigen Erlebnissen, ich muss
mich immer kringeln vor Lachen. Leider hat er kaum noch
Zeit, hinzugehen, aber ihr habt Recht, er ist wirklich super in
Form. Tja, wir haben Gott sei Dank genügend Gelegenheit,
zusammen im Training zu bleiben. Und unser Haus - was soll
ich sagen? Wir sind so glücklich dort. Wir haben schon immer
davon geträumt, in einem Haus zu leben, das Charakter und
Charme hat. Ich glaube, die Menschen suchen sich immer
Häuser, die zu ihnen passen. Ich bin mir sicher, dass Ihr Haus
wie für Sie gemacht ist, Clare.«
Einhelliges Luftschnappen sagte ihr, dass sie ins Schwarze
getroffen hatte, und Izzie lehnte sich zurück. Sie war erstaunt,
wie einfach es gewesen war. Vor einer Fortsetzung des Verhörs
wurde sie durch die Rückkehr von Sue und Maddy bewahrt,
Erstere noch immer in einen unüberhörbaren Monolog
vertieft.
Als sie am Tisch ankamen, brach der Redefluss abrupt ab,
und als Izzie aufsah, blickte sie in Sues zornige Augen. O Gott!
Was hatte sie jetzt schon wieder getan? Sue rauschte davon,
um einen weiteren Stuhl zu holen, quetschte ihn neben Izzie,
wobei sie absichtlich mit dem Stuhlbein ihren Knöchel anschlug,
und knallte Messer und Gabel auf den Tisch. Izzie
betrachtete verwundert das Besteck (fürchterlich schnörkelig
- nachgemacht georgianisch). Wie konnte Sue nur vergessen,
für Maddy zu decken!
Die Unterhaltung während des Mittagessens wurde von
Sue meisterlich auf Themen gelenkt, von denen Izzie keine
Ahnung hatte - und auch nicht haben wollte. Jemandes
Hündin war läufig geworden, jemandes Wagen ging ab wie
eine Rakete, und jemand anders flog in den Ferien nach Dubai.
Izzie blieb stumm, fühlte sich aber ermutigt von Maddys
ebenfalls spärlichen Beiträgen. Als die Nachspeise auf
den Tisch kam, eine Platte mit besonders klebrigen Erdbeertörtchen,
sah Sue auf einmal theatralisch auf die Uhr. »Oh,
Izzie, sehen Sie nur, wie spät es schon ist. Sie müssen doch
sicher längst auf dem Weg sein, oder?«, sagte sie spitz und
wandte sich verschwörerisch an Maddy. »Sie hat es leider etwas
weiter als wir, um die Kinder von der Schule abzuholen.«
Fassungslos ließ Izzie die Gabel sinken. »Ich muss zwar
bald los, aber ein bisschen Zeit habe ich noch.« Sie lachte unsicher.
»Himmel, ich will Sie auch auf keinen Fall drängen. Aber es
ist nicht fair den armen kleinen Kindern gegenüber, wenn Sie
zu spät kommen. Das kann ich nicht mit meinem Gewissen
vereinbaren! Es war eine sehr nette Überraschung, dass Sie
zum Essen geblieben sind, aber jetzt möchten wir Sie keinesfalls
noch länger aufhalten. Vielen Dank für den Kuchen. Umwerfend.«
Wieder vor der Haustür, schüttelte Izzie perplex den Kopf.
Was war hier eigentlich los? Erst als sie vor dem Schultor von
St. Boniface parkte, gute zwanzig Minuten zu früh, ging ihr
endlich ein Licht auf. Ihr wurde regelrecht schwindlig, als ihr
klar wurde, dass sie nicht zum Essen eingeladen gewesen war.
Die englische Originalausgabe erschien 2004
unter dem Titel Goodbye, Jimmy Choo
bei Orion Publishing Group Ltd., London.
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Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2004 by
Annie Ashworth und Meg Sanders
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2005 by
Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Übersetzung: Sabine Maier-Längsfeld
Umschlaggestaltung: Atelier Seidel - Verlagsgrafik, Teising
Umschlagmotiv: www.shutterstock.com
Gesamtherstellung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-86800-480-9
2014 2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.
Izzie sah panisch auf die Uhr und verdoppelte ihre Anstrengungen.
»Rein da, du blöde Kuh!«, zischte sie. »Ich hab keine
Zeit für Spielchen!«
Ein Blick in die glänzende Metalltür des Backofens bestätigte
ihre schlimmsten Befürchtungen. Ganz abgesehen davon,
dass sie in der gewölbten Oberfläche aussah wie Barry
Manilows hässliche Schwester, war sie - genau wie ihre Küche
- in katastrophalem Zustand. In knapp einer Stunde
musste sie sich der Öffentlichkeit präsentieren, ohne dass
auch nur eine Spur ihres Kampfes zu sehen sein durfte. Niemand
sollte je erfahren, welch grässliches Schauspiel sich in
Wirklichkeit zugetragen hatte. Wenn jemand Wind davon bekam,
war all die sorgfältige Arbeit für die Katz. Wie war sie
nur in diesen schrecklichen Schlamassel geraten? Ihr lief die
Zeit davon. Sie packte das Brotmesser.
»Ich warne dich! Ich schneide dir die Beine ab. Das ist deine
letzte Chance!«
Barbie lag, von den Drohungen gänzlich unbeeindruckt, in
einem Haufen Kuchenkrümel auf der Arbeitsfläche. Izzie startete
einen letzten Versuch, packte die Puppe und rammte sie,
blind für den vorwurfsvollen Blick aus den blau gemalten Augen,
mitten in den Kuchen hinein. Diesmal versank Barbie bis
zur Hüfte und blieb stehen.
Ein inbrünstiges Dankgebet auf den Lippen, machte Izzie
sich an die Schadensbegrenzung: Kuchenbruch in den Krater
gestopft, dann eine hauchdünne Schicht Buttercreme und da-
rauf den alles verzeihenden, leuchtend rosaroten Zuckerguss.
Noch ein paar strategisch günstig angebrachte Marzipanrosen
und Geleebonbons, und jetzt wollte sie denjenigen sehen,
der von »Prinzessin Barbie in feierlicher Krinoline« nicht
beeindruckt war - auch wenn sie Biskuitteig aus dem Supermarkt
genommen und gnadenlos in Form gepresst hatte,
nachdem ihr eigener kläglicher Versuch in diesem schrecklichen
Ofen zu einem Häuflein Elend zusammengesunken
war. Sollte sie je zu Geld kommen, würde sie als Allererstes
dieses übellaunige Monster von Küchenherd rauswerfen und
durch einen hübschen, handlichen Gasherd ersetzen.
Na also - geschafft! Als Nächstes musste sie dringend etwas
mit ihren Haaren unternehmen - zum Beispiel den Zuckerguss
auswaschen. Nur noch zwanzig Minuten bis zu Sue
»Twinset« Templetons grausiger Mittagseinladung. (»Was
diese Frau nicht über Strickjäckchen weiß, passt auf eine
Streichholzschachtel«, war Marcus' Kommentar gewesen.)
Sue war nicht wirklich Izzies Typ, und das beruhte eindeutig
auf Gegenseitigkeit. Izzie war sich völlig darüber im Klaren,
dass sie nur zum Essen eingeladen worden war, damit sie den
Kuchen auch rechtzeitig lieferte. Sonst gab sich die Grundschulmütter-
Clique mit Sue als Dreh- und Angelpunkt ja auch
nicht mit ihr ab, ungeachtet des mysteriösen Flairs der Ex-
Londonerin, das sie noch immer umwehte - ansatzweise zumindest.
Dies war definitiv das allerletzte Mal, dass sie sich
hatte breitschlagen lassen, für irgendein eingebildetes Privatschulgör
den Geburtstagskuchen zu fabrizieren. Lieber lebte
sie fortan in Verbannung, als sich noch einmal mit Victoria-
Biskuit rumzuschlagen.
Sie raste in den ersten Stock und sprang unter die Dusche.
Ihr gänzlich ungerechtfertigter Ruf der Geburtstagstortenspezialistin
ging auf jene Exemplare zurück, die sie für die Ge-
burtstage ihrer eigenen Kinder fabriziert hatte. Niemand
hatte je gemerkt, dass sie lediglich die Ideen aus dem Schaufenster
von Jane Asher auf der Cale Street klaute, und sie unternahm
nichts, um den Irrtum aufzuklären. Das hatte sie nun
davon! Sue Templetons schauderhaft näselndes Balg wollte
einen Geburtstagskuchen, und wider besseres Wissen hatte
Izzie sich sofort bereit erklärt. Ihre alten Freundinnen in London
durften niemals von dieser Kuchensache erfahren. Was
würden sie von ihr denken, wenn sie wüssten, dass sie sich mit
den Mercedes-Muttis eingelassen hatte?
Wow!, dachte sie und schäumte sich die Haare ein, eine
Einladung in diesen erlauchten Kreis war eindeutig ein gehöriger
Schritt nach oben auf der sozialen Leiter von Ringford,
aber es hatte auch lange genug gedauert. Selbst nach zwei
Jahren war sie sich noch immer nicht sicher, ob sie die komplizierten
Tanzschritte des sozialen Ringelreihens auf dem
Lande tatsächlich kapiert hatte. Nicht, dass sie das Landleben
hasste. Intellektuell betrachtet (obwohl sie derlei Betrachtungen
in letzter Zeit nicht eben oft anstellte), war sie sich all der
Vorteile durchaus bewusst. Das Niveau der Schulen war so
gut, dass man sich die Privatschule sparen konnte; der städtische
Spielplatz war frei von Kondomen und Spritzen; die Luft
war sauber (mal abgesehen von Schädlingsbekämpfung,
Odel auf den Feldern und den Versuchen mit genmanipuliertem
Saatgut natürlich). Sie hatte sogar eine heimliche Zuneigung
zu den witzigen kleinen Läden auf der Ringford High
Street entwickelt - nachdem sie erkannt hatte, dass ein Leben
ohne frische Pasta möglich war und sie die Hoffnung aufgeben
musste, dass Jo Malone hier jemals eine Zweigstelle eröff-
nen würde. Bei ihren seltenen Besuchen in London merkte
sie, dass Freundlichkeit bei den Verkäufern auf der Upper
Street hoffnungslos fehl am Platze war, und inzwischen kehrte
sie mit einem ziemlich übertriebenen Gefühl der Erleichterung
nach Hause zurück. Okay, sie hatte den urbanen Schliff
verloren, aber äußerlich betrachtet war die Lebensqualität
hier besser, auch wenn es nicht ihre Idee gewesen war, aufs
Land zu ziehen.
Der Haken waren allerdings Londons innere Werte: die
Straßenmusikanten an der South Bank, der violett gefärbte
Zuckerguss auf den Minitörtchen von Konditor & Cook oder
die herrlich faulen Sonntagvormittage, an denen man den
Guardian von vorn bis hinten las, während die Kinder sich
austobten.
Mit Wasser in den Augen tastete Izzie blind nach einem
Handtuch. Nein, was sie wirklich keinen Augenblick länger
ertragen konnte - und diese Barbie-Sache hatte ihr das plötzlich
glasklar vor Augen geführt -, war das permanente Ge -
fühl, dass es hier niemanden gab, mit dem sie wenigstens die
Erinnerung an all diese Wonnen hätte teilen können. Sue
Templeton? Unmöglich! Izzie fehlte selbst im Ansatz jeglicher
Zugang zu Frauen wie ihr. Sie war dauernd hin- und hergerissen
zwischen dem Unwillen, sie auch nur zu verstehen, dem
da raus resultierenden Wunsch, sie am liebsten zum Teufel zu
jagen, und der Sehnsucht, dazuzugehören. Kein Wunder,
dass sie so durcheinander war.
Während sie sich die nassen Haare kämmte, dachte sie an
ihre Hoffnungen zurück, die den Umzug aus London damals
begleitet hatten. Die Vernunft hatte geboten, sich zu verkleinern,
und Marcus war so klug gewesen, es auch zu tun. Sie hatten
das Haus in Islington - na gut, in Stoke Newington - aufgegeben
und dafür dieses niedliche viktorianische Cottage in
Hoxley gekauft. Der Immobilienmakler hatte ihnen glaubhaft
versichert, Hoxley sei ein sehr »reizvolles« Dorf (was hieß, dass
es keine Gemeindebauten gab), und sie hatten sich ohne einen
Blick zurück mit ihren Siebensachen auf den Weg gemacht.
Marcus war geradezu begeistert gewesen, den Staub der Großstadt
abzuschütteln, was so weit ging, dass er sogar den Kontakt
zu seinen alten Freunden abgebrochen hatte.
Izzie hatte mit den Verlagen, für die sie freiberuflich als Redakteurin
arbeitete, vereinbart, dass alles beim Alten bliebe.
Bis auf den Umstand, dass sie künftig die Arbeit nicht mehr
wie bisher persönlich würde abholen oder bringen können,
würde sich nichts ändern - null Problemo. Und die Luftpolsterumschläge
mit Korrekturfahnen, freizugebenden Entwürfen
und zu prüfenden Illustrationen landeten fortan fleißig
per Post auf ihrer Fußmatte. Sie konnte im Schlafanzug arbeiten
(ein lang gehegter Wunschtraum), sich dabei jederzeit
um die Kinder kümmern, und alles ging seinen gewohnten Gang.
Sie zerrte ein frisches Höschen aus der überquellenden
Schublade. Die neue Schule hatte sich, off en gesagt, als mittlerer
Kulturschock erwiesen. Bei aller Liberalität war Izzie
doch eine Verfechterin von korrekter Schreibweise und Grammatik
- auch bei Tätowierungen. Statt all der Tobys und Tashas
aus Nordlondon waren die meisten Klassenkameraden
ihrer Kinder hier Waynes und Kellys, deren Freizeitbeschäftigung
sich auf PlayStation 2, Tontaubenschießen und - was
am meisten irritierte - irischen Volkstanz beschränkte.
Also, weshalb hatte sie dann trotzdem zugesagt, als Sue
Templeton, Hausfrau und Mutter ebenso wie Gattin des
BMW-fahrenden Eigentümers einer Schildermacherei, sie gebeten
hatte, einen Prinzessin-Barbie-Kuchen für ihre Rotznase
Abigail zu backen? Sie verwarf die Frage und föhnte sich
die Haare, während sie gleichzeitig, auf einem Bein hüpfend,
versuchte, in ihre tief geschnittene GAP-Combathose zu steigen.
Ob der schwarze Kaschmirpullover endgültig so einge-
laufen war, dass er ein unattraktives Stück bleichen Rückens
entblößte, wenn sie sich vorbeugte, um sich von der Quiche
zu nehmen? Denn es würde Quiche geben. Das stand fest.
Zwanzig Minuten später parkte sie wüst auf dem Stück
Straße zwischen zwei Einfahrten in Millstone Meadow. In dieser
neu erbauten Siedlung mit Einfamilienhäusern in Long
Wellcote befand sich auch chez Templeton. »Stepford Drive«
hatte Marcus die nachgemacht georgianische Geschmacksverirrung
getauft, und Izzie musste zugeben, dass er es wieder
mal auf den Punkt gebracht hatte. Sie sprang über die sich
exakt abwechselnden Büschel blauer und weißer Lobelien,
die wohl als einfallsreiche Bepflanzung gelten sollten, und
warf einen Blick auf das Auto, hinter dem sie geparkt hatte.
Ein überdimensionierter Geländewagen, was auch sonst. Die
Frau auf dem Fahrersitz sah allerdings nicht sehr nach »Stepford
Wife« aus.
Sie war blond, was sonst - das schien irgendwie Voraussetzung
zu sein, um BMW fahren zu dürfen -, aber der Ton
stimmte nicht ganz: irgendwo zwischen Gwyneth und Cate,
aber ohne Gefahr, in Richtung Jerry (oder schlimmer noch,
Geri!) abzurutschen. Eine Zigarette zwischen den Lippen,
paffte die Frau zum Fenster hinaus und hielt mit beiden Händen
das Lenkrad gepackt. Dabei schien sie mit sich selbst zu
sprechen, das Gesicht zu einer missmutigen Grimasse verzogen.
Achselzuckend setzte Izzie das breite Lächeln auf, das sie
für der Situation angemessen hielt, umklammerte die Kuchenplatte
und klingelte.
Labbriges Toastbrot in der Vorratspackung. Pommes frites.
Knusprige Tiefkühl-Pfannkuchen. Putenschlegel. Mutlos betrachtete
Maddy die Einkäufe, die die Frau vor ihr auf das
Band legte. Hatten diese Spießer hier noch nie was von richtigen
Lebensmitteln gehört? Sie warf einen Blick in ihren
eigenen Wagen. Es war nicht einfach gewesen, aber sie hatte
tatsächlich Entenbrust aus Freilandhaltung gefunden, diese
herrlichen, wenn auch seltsam aussehenden kleinen französischen
Schokoladenkekse, die die Kinder so gern mochten,
und sogar Balsamico-Essig, der zumindest so aussah wie das
Zeug, das sie letztes Jahr aus der Toscana mitgebracht hatten.
Gott, wie sie den kleinen Feinkostladen in der Draycott Avenue
vermisste!
Sie warf einen Blick auf die Uhr; in zwanzig Minuten
musste sie Florence im Kindergarten »Little Goslings« abgeholt
haben und bei diesem Mittagessen sein. Wenn die Frau
vor ihr sich nicht endlich ein bisschen damit beeilte, ihre unglaubliche
Sammlung Fastfood zu verstauen, kam sie wieder
mal zu spät und würde von Clare Jenkins, der ziemlich kriecherischen
Leiterin von »Little Goslings«, den nächsten vorwurfsvollen
Blick kassieren. Ein Blick, der gänzlich unangebracht
war, angesichts Maddys großzügigem Angebot, die
Wuchergebühren komplett zu bezahlen, obwohl Florence
dort drei Wochen nach Beginn des Halbjahres angefangen hatte.
Die Erziehung ihrer dreijährigen Tochter hatte sie bereits
jetzt ein halbes Vermögen gekostet. Der überstürzte Umzug in
diese gottverlassene Gegend hatte sie zur Zahlung eines Bußgeldes
in Höhe eines Halbjahresbeitrags an die Londoner Tagesstätte
gezwungen, in der Florence sich so wohl gefühlt
hatte. Für den Platz dort hatten sie sich beinahe schon vor der
Empfängnis auf die Warteliste setzen lassen - dagegen war
die Mitgliedschaft bei »The Hurlingham« ein Kinderspiel gewesen.
»Little Goslings«, kurz vor Ringford gelegen, war genau
genommen ein Abstieg, und die Zusage, ihren neun Mo-
nate alten Sohn Pasco ebenfalls in Kürze anzumelden, war allemal
ein Grund dafür, dass das Personal kein Recht hatte, ihr
gegenüber anmaßend zu werden.
Die Frau an der Kasse durchwühlte inzwischen ihre abartige
Kunstlederhandtasche auf der Suche nach dem Geldbeutel.
Ungeduldig trommelte Maddy mit den Fingernägeln auf
den Griff des Einkaufswagens. Langsam wurde es wirklich
eng. Während sie wartete, nahm sie die Frau selbst in Augenschein.
In ihr waren sämtliche Eigenschaften des Bauernvolks
vereint, das diesen Landstrich bewohnte. Das weiße T-Shirt -
wahrscheinlich das ihres Mannes und zweifellos von Woolworth
- spannte sich straff über ihrem riesigen, nur ungenügend
gestützten Busen und hing lose über einem schreiend
gemusterten, ausgestellten Rock mit Knitterfalten unter dem
Hintern. Und die Schuhe, o Gott, diese Schuhe! Sandalen in
Hellbeige, die heldenhaft den fetten Füßen trotzten, die aus
ihnen hervorquollen.
Maddy wagte einen selbstgefälligen Blick auf ihre samtweichen
blassblauen Wildlederslipper, die sie in einem entzückenden
kleinen Laden in der Walton Street entdeckt hatte.
Sie hatte nicht widerstehen können und noch zwei weitere
Paare in anderen Farben gekauft. Sie seufzte. Der monatliche
Friseurtermin bei John Frieda war eine Sache, aber würde sie
eine Fahrt in die Stadt mit der absoluten Notwendigkeit angemessenen
Schuhwerks rechtfertigen können, oder würde sie,
wenn sie noch ein paar Wochen länger hier lebte, selbst in den
Sumpf der Mittelmäßigkeit abgleiten?
Sie packte im Vorbeigehen einen Strauß leuchtend orangefarbener
Gerbera und bezahlte sie zusammen mit einer
Schachtel Marlboro Lights am Zigarettenkiosk (wo die armseligen
Würstchen in der Lottoschlange ihr Fortkommen weiter
behinderten). Die Tatsache, dass die Blumen dreimal teurer
waren als normal, weil sie völlig außerhalb der Saison lagen,
würde an ihrer Gastgeberin Sue Templesoundso mit Sicherheit
völlig vorübergehen. Sie manövrierte den Einkaufswagen
mit halsbrecherischer Geschwindigkeit über den Parkplatz
und stopfte die Tüten in den Kofferraum. Sie hatten den
Wagen damals gekauft, um den Gefahren des Verkehrs auf
der Fulham Road begegnen zu können - der Bildschirm in den
Kopfstützen war ein Geschenk des Himmels, um die Kinder
ruhig zu halten. Hier, auf dem Land, gab ihr die bloße Höhe
des Wagens ein Gefühl absolut angemessener Überlegenheit
gegenüber den anderen Autofahrern.
Sie verließ Ringford und machte sich über die kleinen
Landstraßen auf den Weg zum Kindergarten und nach Huntingford.
Bei dem Blick über Hecken und Felder und der sich
bietenden Aussicht dahinter entspannte sich ihr Griff um das
Lenkrad. Der Sommer klammerte sich mit aller Macht ans
Leben, und über den Hügeln in der Ferne hing ein Dunstschleier.
Ein Traktor, der aussah wie Kinderspielzeug, pflügte
auf einem weit entfernten Feld den Boden um, vermutlich für
irgendein Getreide, das sie mit Sicherheit nicht erkennen
würde. Ihre Kenntnisse auf dem Gebiet des Ackerbaus waren,
gelinde gesagt, beschränkt, aber der Gesamteindruck der hügeligen
Landschaft war eine Augenweide, fand sie, und erinnerte
sie an all die guten Gründe für einen Umzug aufs Land.
Simons Beschluss, der Stadt den Rücken zu kehren und
eine IT-Firma »irgendwo in einer herrlichen Gegend auf dem
Land« zu kaufen, hatte Maddy förmlich von den Socken gehauen.
Gut, sie hatten andauernd über die unmögliche Parkplatzsituation
in SW 10 gemosert und lamentiert, sie hatten
ab und zu in Träumereien von einem riesigen Garten und dem
Geräusch von Kirchenglocken auf dem Lande geschwelgt,
aber damit war es Maddy nie ernst gewesen. Simon dagegen
hatte offensichtlich sämtliche Argumente, weswegen es für
die Familie das Beste sei, aufs Land zu ziehen, auswendig gelernt.
Eines Abends, vergangenen Mai, hatte er sie dann bei
einem Glas eisgekühltem weißen Burgunder gewissermaßen
vor vollendete Tatsachen gestellt. Er hatte sogar Colette, das
französische Kindermädchen, dazu überredet, ein Wochenende
lang allein auf die Kinder aufzupassen. Er war mit
Maddy über romantische Landstraßen gefahren, hatte sie mit
sorgsam ausgewählten Katalogen diverser Immobilienmakler
verführt: voll von idyllischen Bildern und hochpoetischen Beschreibungen.
Nach dem Abendessen in einem ausnehmend
reizenden Hotel hatte er sie dann noch einmal verführt, als sei
die Liebe auf dem Lande schöner als die in der Stadt.
Huntingford House besaß alles, was sie sich je ersehnt
hatte: Es war im Queen-Anne-Stil aus roten Ziegelsteinen gebaut,
hatte breite Fensterrahmen und ein zweites Stockwerk
mit Dachgaubenfenstern. Es war ein Haus, wie es einem auf
den Titelseiten von Country Life begegnet. Es hatte alles, was
ein Traumhaus auf dem Lande brauchte: eine geschwungene
Auffahrt, alte Rosenstöcke in einem halben Hektar üppigen
Gartens und eine Küche, die größer war als das gesamte Erdgeschoss
ihres Hauses am Milborne Place. Die Ausstattung
dagegen war nicht ganz so berauschend gewesen. Die Fornica-
Einbauschränke, die Zentralheizung aus den fünfziger
Jahren und die Zottelteppiche mussten raus. Aber mit einem
instinktiven Gespür für guten Geschmack ersetzte sie nach
und nach die avocadogrünen Badezimmerfliesen durch welche
von CP Hart und tauschte die William-Morris-Vorhänge
gegen meterweise Zoffany aus. Inzwischen war sie auf dem
besten Wege, das Heim zu erschaff en, das sie sich wünschte,
ein Heim, bei dessen Anblick Londoner Freunde grün vor
Neid würden.
Auch Wills Schule war Bestandteil von Simons Überzeugungsstrategie
gewesen. Er war eines Tages mit einer Ausgabe
des Good School Guide in der Hand nach Hause gekommen,
die betreffende Seite schon gekennzeichnet. Eagles wurden
»sämtliche Vorzüge einer erstklassigen Londoner Privatschule,
nur ohne den Verkehr« bescheinigt. Das hatte Maddy
genügt. Einem unglaublichen Glücksfall war es zu verdanken,
dass sie den Platz eines Kindes ergatterten, dessen Eltern umzogen.
Nach Zahlung einer weiteren saftigen Strafgebühr,
weil Will erst weit nach Schuljahresbeginn anfi ng, waren sie
drin. Der Anblick der anderen Eltern auf dem Parkplatz hatte
Maddy Mut gemacht. Gut, der Anteil an goldenen Schuhen
und bedruckten T-Shirts war alarmierend hoch, aber es war
nicht allzu viel lokaler Dialekt zu hören. Außerdem hatte Mrs.
Turner, die Direktorin, eine große, magersüchtig wirkende
Mittvierzigerin in Viyella-Kostüm und auf hohen Absätzen,
ihnen versichert, die meisten Eltern seien »beruflich in Feldern
wie IT oder Medizin tätig«.
Colette war gerade damit beschäftigt, Pasco die Überreste
seines Mittagessens aus dem Gesicht zu wischen, als Maddy
mit den Einkaufstüten in die Küche stürmte. »Ich komme zu
spät zu dem Tralala von dieser Frau«, japste sie und drückte
ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn. Das zierliche französische
Kindermädchen war Maddys Druckmittel gewesen.
Entweder Colette zog mit um, oder Maddy würde sich nicht
von der Stelle rühren. Obwohl (oder vielleicht gerade weil)
Colette selbst aus der tiefsten französischen Provinz stammte,
stand sie einem Umzug ans Ende der Welt noch skeptischer
gegenüber als Maddy. Deshalb mussten Colettes Zimmer im
Dachgeschoss des neuen Hauses als zusätzlicher Anreiz zuerst
renoviert werden. Nun schwelgte sie dort oben im Luxus,
mit Breitwandfernseher und Malabar-Vorhängen, während
der restliche Haushalt sich mit nackten Fliesen und noch
nackteren Dielenbrettern begnügen musste.
»Oh, Maddy, lassen Sie doch die Einkäufe«, gurrte Colette
mit ihrem zum Sterben erotischen französischen Akzent. »Ich
wechsle Pasco nur schnell die Windel, und dann ist er fertig.
Na komm, kleiner Mann.« Beim Hinausgehen rief sie Maddy
über die Schulter zu: »Der Handwerker will mit Ihnen über
das freie Gästezimmer sprechen.«
»Dann muss er warten.« Schnell packte Maddy Ben & Jerry's
Phish Food in den riesigen Gefrierschrank und knallte zwei
Töpfe mit Koriander und Basilikum auf das Fensterbrett. Sie
bürstete sich die Haare und legte etwas Lippenstift auf, da
kam Pasco auf dem Arm seines Kindermädchens auch schon
wieder zum Vorschein, sauber und wohlduftend.
»Ich bin zurück, wenn ich Will von der Schule abgeholt
habe«, sagte sie und nahm Colette das Kind ab. »Ich weiß jetzt
schon, was für Frauen dort sein werden - ich habe sie ja alle
schon am Schultor getroffen -, sieht nicht gerade nach einem
Treff en aus der Glamourwelt aus. Wie wär's mit Nudeln für
die Kinder heute Abend? Mit Ihrer köstlichen Tomatensauce?
- Ich habe sogar ein Stück frischen Parmesan organisiert.
Es gibt doch einen Gott!«
Verstehen Franzosen diesen Spruch überhaupt?, fragte sie
sich, als sie aus der Auff ahrt fuhr. Himmel, scheinbar ging ihr
langsam die Kontrolle über ihre Muttersprache flöten!
Als sie endlich bei »Little Goslings« vorfuhr, einem stattlichen
viktorianischen Haus, dessen Fenster allesamt mit lustigen
Kinderbildern verziert waren, war es bereits zehn nach
eins, und sie wappnete sich innerlich gegen die missbilligenden
Blicke der Kindergärtnerinnen.
»Florence hatte einen herrlichen Vormittag«, schwärmte
Clare Jenkins. Der Name des Kindergartens prangte quer über
ihrem üppigen Busen. »Nicht wahr, Florrie?« (Sich schlicht zu
weigern, den Namen des Kindes französisch korrekt auszusprechen,
war eine Sache, aber Florrie?!) »Wir haben ein Bild
gemalt, von Mami und dem tollen neuen Haus. Sie hat ein
Stückchen Banane und ein paar Rosinen gegessen«, fügte sie
hinzu und betonte die Worte fast so, als wolle sie Florence vor
der Erkenntnis schützen, dass ihre Mutter nachlässig und unpünktlich
war, »aber ich glaube, sie hat ein bisschen Hunger.
Es ist Zeit fürs Mittagessen, nicht wahr, Florrie, Schätzchen?«
Ach, leck mich doch, dachte Maddy. Das würde ja wohl jedem
so gehen, der seit dem Frühstück nur eine Hand voll Rosinen
und ein Stück Banane bekommen hat!
»Danke, Clare. Bis morgen. Na komm, Florence«, sagte sie
und nahm ihre einigermaßen widerspenstige Tochter bei der
Hand. »Wir sind zu ein paar netten neuen Freunden eingeladen.«
Zwanzig nach eins. Maddy hatte leider überhaupt keine
Ahnung, wie spät man in dieser Gegend zu einer Einladung
für halb eins erscheinen durfte, ohne völlig unverschämt zu
wirken. In der sicheren Annahme, dass chez Templeton, genau,
so war der Name, striktes Rauchverbot herrschte, zündete
sie sich eine Zigarette an.
Früher, in London, hatte man kommen können, wann es
einem passte. Die Mittagessen bei ihren Freundinnen waren
ausgedehnt und fröhlich gewesen, und die Kindermädchen
(meistens aus irgendwelchen ehemaligen Ostblockstaaten)
hatten sich im Garten um die diversen Sprösslinge gekümmert.
Wenn sie dann nach Hause kam, war sie der Fünf-Uhr-
Tee-Bedrohung mit der Entschuldigung entronnen, sich zurechtmachen
zu müssen, weil sie mit Simon verabredet war.
Rasant überholte sie eine Gruppe Reiter und erwiderte deren
enthusiastische Gesten. Kannte sie die? Nein. Irgendwo
ganz tief in ihrem Bewusstsein war ihr klar, dass sie mehr aus
ihrem Leben machen sollte. »Wenn Madeleine ihren schulischen
Leistungen auch nur halb so viel Aufmerksamkeit widmet
wie ihrem gesellschaftlichen Leben, wird sie es weit bringen«,
hatte ihre Klassenlehrerin ihr im Abschlusszeugnis von
Queensgate bescheinigt. Maddy wusste, dass sie Recht hatte,
und obwohl sie sich bemühte, ernsthafte Literatur zu lesen
und stets die Wochenendausgabe des Daily Telegraph zu
durchkämmen, war das Leben einfach viel zu schön. Sie
rechtfertigte ihren Lebensstil, indem sie sich sagte, Simons
Einkommen mache es unnötig, dass sie arbeitete - und was
sollte sie auch groß anfangen mit ein paar guten Abschlussnoten
und dem bisschen Erfahrung darin, für die Reichen,
aber Einfallslosen die Tapeten auszusuchen?
Während der Fahrt nach Long Wellcote ärgerte sie sich darüber,
dass das Einzige, was Ringford in Richtung Kultur zu
bieten hatte, ein Rahmengeschäft mit Drucken von provenzalischen
Lavendelfeldern im Schaufenster war. In London
hatte sie wenigstens die Möglichkeit gehabt, die richtigen
Ausstellungen und Aufführungen zu besuchen und am Puls
der Zeit zu bleiben. Im Rückspiegel warf sie einen Blick auf
ihre bildschönen Kinder: Pasco, dessen dunkler Teint seine
französischen Großeltern verriet, und Florence - den Daumen
im Mund, ihren geliebten Hasen umklammernd -, die
mit ihren blonden Locken Simon so ähnlich sah. Plötzlich
stand Maddy das Bild der Frau vor Augen, die sie zu werden
drohte: eine Landei-Mama, die ihr Leben damit verbrachte,
vom Spielplatz zu öden vormittäglichen Kaffeekränzchen zu
pilgern, danach zur öden Krabbelgruppe und von dort aus zu
öden, langweiligen Mittagessen, um sich über Schnuller,
Windeln und Schulbasare zu unterhalten. Das war einfach
nicht ihr Ding.
Ihr Ding war Gucci, und über ihr hing bedrohlich die Vorstellung
von einem Leben in Abstinenz und, wenn sie schon
dabei war, auch ohne Mittagessen bei Harvey Nicks, ohne
Jimmy Choo und ohne Einkaufsbummel auf der New Bond
Street.
Aufs Allerfeinste entnervt, erreichte sie schließlich am anderen
Dorfende das Haus von Sue Templeton und parkte hinter
einem neuen Peugeot-Familienvan, auf dessen Heck ein
»Lasst das Land am Leben«-Aufkleber prangte. Das Haus, ein
Mischmasch georgianischer Scheußlichkeiten, veredelt mit
einem säulenbestandenen Vorbau, stand an der Ecke einer
Straße mit vielen anderen einfallslosen Schuppen. Selbst die
neu gepflanzte Ligusterhecke konnte Maddy den Blick in den
mit grellbunten Plastikdreirädern übersäten Garten nicht verwehren.
Sie zog die Handbremse an und stellte den Motor ab. Sie
hätte heulen können vor Verzweiflung. »Scheiß auf das blöde
Landleben«, jammerte sie laut. »Soll es doch verrecken!«
ZWEI
Sue Templetons unerbittlich schrille Stimme war schon
durch die Tür zu hören. Ihr Gesicht fi el förmlich zusammen,
als sie sah, wem sie Einlass gewährte. »Ach, Sie sind's«, keifte
sie. »Wir haben uns schon gefragt, ob Sie überhaupt noch
kommen. Na ja - ist das der Kuchen? Abigail wird begeistert sein.«
Natürlich ist das der blöde Kuchen, dämliche Ziege, dachte
Izzie mit einem arglosen Lächeln, während sie frei erfundene
Entschuldigungen für die Verspätung hervorsprudelte. Sue
scheuchte sie durch einen bedrückend engen Flur zur Küche.
»Bringen Sie ihn rein«, befahl sie. »Zum Glück haben wir
noch nicht angefangen zu essen.«
»Oh, Sie hätten doch nicht auf mich warten müssen. Es tut
mir Leid, ich hätte anrufen sollen, um zu sagen, dass ich mich
verspäte ...«
»Wir haben nicht auf Sie gewartet«, fuhr Sue sie an, korrigierte
sich aber, vielleicht erschien ihr dieser Ton selbst Izzie
gegenüber doch ein wenig hart, stattdessen zwinkerte sie verschwörerisch.
»Ich wollte sagen, wir warten auf unseren Ehrengast
- Mrs. Huntingford House!«
»Mrs. Wer? Ich glaube nicht, dass ich sie kenne. Was für ein
ungewöhnlicher Name!«
»Nein, Isabel«, sagte Sue wie zu einem begriffsstutzigen
Kind. »Die neue Besitzerin von Huntingford House. Sie sind
eben erst aus London hergezogen. Ihr Mann hatte in der Stadt
einen fürchterlich wichtigen Posten inne, und jetzt baut er
hier sein Unternehmen auf - ich glaube, er hat mit Computern
zu tun«, tönte sie. »Wie die meisten eben, stimmt's?«
Mit einem Augenrollen machte Sue klar, dass Einzelheiten
nichts zur Sache taten - was zählte, war allein die Größe des
Bankkontos. Sie scheuchte die zögernde Izzie, mit den Händen
wedelnd, vor sich her. »Ihr Kleiner geht mit unseren auf
die Eagles, und ich dachte, vielleicht würde sie uns alle gern
ein wenig besser kennen lernen. Es ist so wichtig, Freunde zu
finden, wenn man irgendwo neu ist!«
Welch edle Gesinnung! Izzie unterdrückte ein zynisches
Grinsen. Sie selbst war nie ein solches Opfer von Sues Gastfreundschaft
geworden. Die aufgekratzte Stimmung in der
überhitzten Küche sagte ihr, dass Mrs. Huntingford House
offensichtlich als gesellschaftlicher Hecht am Haken galt. Das
konnte lustig werden!
Ehe sie die Küche betraten, vernahm Izzie gedämpftes Kichern
und dann ein eiliges »Psst!«. Ihre innere Anspannung
wuchs. Um den Tisch versammelt saßen Linda Meades und
Clare Lorrimer, die Unzertrennlichen. Izzie dachte an sie nur
als Einheit, so wie Dick & Doof oder Rosenkranz & Güldenstern.
Meades & Lorrimer schwebten inmitten einer Wolke
aus seidigen beige Twinsets, seidigen beige Haaren und zu
orange geratenem Teint - alles tadellos aufeinander abgestimmt.
Sogar der Lipgloss passte. Ihnen gegenüber, eingezwängt
zwischen Tisch und Wand, saß Fiona Price. Sie wirkte
altbacken und fehl am Platz - das einzige Zugeständnis an die
Weiblichkeit waren ein Paar goldene Ohrringe in Form von
Steigbügeln. Auf Fionas frisch gebleichtem Damenbart glänzten
Schweißtropfen, und sie hielt die Arme fest vor dem Busen
verschränkt. Sie erinnerte Izzie an einen zu prall gepolsterten
Ohrensessel, obwohl sich jeder Gedanke an Gemütlichkeit im
Grunde verbat. Izzie nannte sie »Frau Schadenfreude« - sie
stand im Dienste der Information. Sie war weitaus effektiver
als Reuters und schien, wie CNN, rund um die Uhr im Einsatz
zu sein. Was Izzie am meisten zu schaff en machte, war Fionas
offensichtliches Vergnügen am Unglück anderer Menschen.
Als dem Mann einer Bekannten wegen Alkohols am Steuer
der Führerschein entzogen wurde, hatte Fiona Izzie vor dem
Drogeriemarkt förmlich an die Wand genagelt, um ihr sämtliche
Einzelheiten unter die Nase zu reiben.
Wie nicht anders zu erwarten, taten die Frauen so, als hätten
sie ihren Namen vergessen, begrüßten sie oberflächlich
lächelnd, sodass ihr die Schmach nicht erspart blieb, sich wie
eine völlig Fremde neu vorzustellen. Von da an ignorierten
sie Izzie vollständig und unterhielten sich über die unglaublichen
Veränderungen, die »Mrs. HH« dem Haus seit ihrem
Einzug hatte angedeihen lassen. Jede wusste ein saftiges kleines
Detail beizusteuern (dem Schreiner aus der Nase gezogen,
dem Postboten, dem Besitzer vom Lebensmittelladen in
Ringford, dem Blumenhändler oder anderen), und alles bezeugte
den verschwenderischen Stil und die mühelose Eleganz
ihres noch immer nicht anwesenden Ehrengastes.
Weil Izzie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte, plapperte
sie schließlich einfach drauflos: »In dem Auto, hinter
dem ich geparkt habe, saß eine Frau. Vielleicht ist sie das ja,
und sie hat die Hausnummer vergessen.«
Sofort lugte Sue durch die gerafften Gardinen. »Ja, das ist
sie! Ich geh sie holen. Isabel, stellen Sie den Kuchen hin, und
könnten Sie wohl ein Glas Wein ...?«
Die Türklingel unterbrach Sues Befehlskette. Sie strich sich
über die Haare, zupfte ein paar Fusseln von dem unvermeidlichen
Strickpullover und ging, tief Luft holend, zur Tür. Mit
geziertem Akzent und schriller Stimme begrüßte sie ihren
Gast. Von ihrem Aussichtspunkt am Küchenfenster beobach-
tete Izzie entgeistert, wie die anderen Frauen sich für die Ankunft
des neuen Juwels herausputzten.
Die Frau, die zur Tür hereinkam - haargenau die, die Izzie
in dem Wagen hatte sitzen sehen -, rangierte eindeutig über
dem Empfangskomitee. Was hier kam, war eine gänzlich andere
Klasse, aber hallo! Großstadtschick, jedoch lässig und
unaufdringlich. Diese Frau besaß Stil, und das lag nicht allein
an der Frisur; alles an ihr schrie: Privilegien, Müßiggang,
Geld - was für eine unwiderstehliche Mischung! Heftig blinzelnd
bemühte Izzie sich um eine Einschätzung ihrer wunderbar
zurückhaltenden Aufmachung. Die Accessoires waren
perfekt, angefangen bei der hochgeschobenen Gucci-Sonnenbrille
über die sanft schimmernde Patek-Philippe an ihrem
Handgelenk bis hinunter zu den hellblauen Wildlederslippern,
die ein kleines Stückchen schlanker, gebräunter Füße
enthüllten. Dazu ein wunderschönes Baby auf der Hüfte und
ein zauberhaftes kleines Mädchen an der Hand. Selbst der
leicht verdrießliche Gesichtsausdruck und die kaum sichtbare
Sorgenfalte zwischen den sorgfältig gezupften Augenbrauen
passten perfekt.
Izzie rühmte sich, einen guten Stall noch hundert Meter gegen
den Wind zu riechen - ein Talent, das ihr im Laufe der
Jahre schon oft zugutegekommen war -, und hier hatte sie es
zweifellos mit einem Prachtexemplar zu tun. Obwohl der Busen
der Neuen ein bisschen größer war als ihr eigener und sie
ein paar Jahre jünger wirkte, schienen sie in etwa die gleiche
Größe zu tragen. Izzie fragte sich flüchtig, ob sie sich mit dieser
Erscheinung so weit würde anfreunden können, um herauszufi-
nden, welchem Secondhandladen sie ihre abgelegten
Sachen zukommen ließ.
»Oh, Verzeihung. Das ist Isabel Stock. Isabel, Madeleine
Hoare. Isabel hat uns für Abigails Geburtstagsfeier diesen net-
ten Kuchen hier gemacht. Ist der nicht wundervoll? Ein wahrer
Kleinmädchentraum! Die perfekte Märchenprinzessin. Und
noch eine kleine Barbie für die Sammlung.«
Izzie zuckte unter dem ungläubigen Blick zusammen, mit
dem Madeleine das rosarote Ungetüm beäugte. Sie musste etwas
sagen. Sie musste sich augenblicklich sowohl von dem
schauderhaften Einfall einer Barbie in Victoria-Biskuit mit
Zuckerguss als auch von den anderen Frauen hier distanzieren.
Ich bin anders als die. Ehrlich! Ich komme auch aus London.
Ich bin interessant, wirklich!
Der Blick der Frau blieb an ihr hängen, sie senkte den Kopf
und fixierte mit hochgezogener Augenbraue den Zuckerguss.
»Himmel! Sieht nach einem Herrenabend für Kleinkinder
aus. Sind das Geleebohnen oder Silikonimplantate?«
Izzie war überrascht. Sie wusste nicht, wie sie reagieren
sollte, und zerrte von irgendwo eine witzige Bemerkung her:
»Einfach das Richtige für Abigails Party«, sagte sie trocken.
Madeleine unterdrückte ein Lachen, und auf einmal schien
sie etwas zu verbinden - kaum spürbar, aber es war da! Madeleines
Blick streifte sie und wanderte zurück zum Kuchen.
»Wie zum Kuckuck haben Sie die dämliche Puppe dazu gebracht,
stehen zu bleiben? Haben Sie das Ding mit roher Gewalt
da reingerammt?«
»Sie hatte keine andere Wahl«, antwortete Izzie. »Sonst
hätte sie ihre Beine verloren.«
In der Küche erhob sich schockiertes Gemurmel, doch in
den Augen der Neuen blitzte der Schalk. »Klingt ein bisschen
nach Boxing Helena«, sagte sie und sah Izzie dabei herausfordernd an.
»Nein«, schoss die zurück, »eher nach Nigella meets Hannibal
Lector.«
Madeleines schallendes Gelächter ging Izzie runter wie Öl,
vor allem angesichts der verständnislosen Blicke aller anderen
im Raum. Izzie hielt, Sues Anweisungen zum Trotz, noch
immer die Torte umklammert, und mit einem Ausdruck strahlender
Freude im Gesicht dämmerte ihr, was soeben passiert
war. Verwirrtes Schweigen hatte sich über die Versammlung
gesenkt, und in Izzies Kopf begannen jubelnd die Engelschöre
zu frohlocken. Zum allerersten Mal seit zwei Jahren schien jemand
- außer Marcus natürlich - tatsächlich mit ihr auf gleicher
Wellenlänge zu sein.
»Ich bin übrigens Maddy«, sagte die Neue, und es klang, als
wäre es nur für Izzies Ohren bestimmt.
»Ich bin Izzie.«
Irritierenderweise fi ng das hübsche kleine Mädchen, das
sich an Maddys Bein klammerte, schüchtern an zu kichern.
Maddy fl üsterte verschwörerisch: »Entschuldigung, Florence
hat Zizi verstanden - Schniedel auf Französisch ...!«
Izzie prustete los. »Das kann nicht sein! Das wusste ich gar
nicht. Ich brauch sofort einen Platz im nächsten Eurostar.«
Sue schritt ein, rot vor Zorn. »Wie auch immer, es ist ein
wunderschöner Kuchen«, zirpte sie und scheuchte Maddy hinüber
ins Spielzimmer, um Florence bei den anderen Kindern
abzuliefern.
Ohne Deckung allein in der Küche zurückgelassen, ließen
die Blicke der Frauen die Freude aus ihr entweichen wie die
Luft aus einem Ballon. Sie klammerte sich verzweifelt an das
schwindende Gefühl von Selbstvertrauen, stellte mit bestimmter
Geste den Kuchen auf die hygienische Corian-Arbeitsfl-
äche und begegnete ihnen mit einem tapfer ins Gesicht
geheftetem Lächeln.
»Möchte jemand einen Schluck Wein?«, fragte sie munter,
packte die Flasche in der kalten Plastikmanschette (»Eispari-
ser« nannte Marcus die Dinger) und schlenderte betont lässig
zum Tisch hinüber. Sie hatte wirklich keine Lust, sich neben die
Schadenfreude zu setzen, aber Linda und Clare bildeten auf
ihrer Seite eine undurchdringliche Mauer, und die Wolke aus
»Opium« und »Mitsouku«, die sie umwaberte, schlug gnadenlos
Feind oder Freund in die Flucht. Sich an das Kopfende zu
setzen wäre anmaßend gewesen, also nahm Izzie den einzigen
freien Stuhl ihnen gegenüber und rutschte so weit weg von
Fiona wie möglich. Drei Paar Augenbrauen schossen simultan
in die Höhe, und bedeutungsvolle Blicke wurden gewechselt.
»Also, Izzie, Sie sehen ziemlich müde aus«, murmelte Clare
mit geheucheltem Mitgefühl. »Sie haben wohl viel zu tun?
Dieses süße kleine Häuschen macht sicher eine Menge Arbeit.
Ich für meinen Teil hab's da lieber modern. Das macht das Leben
so viel leichter!«
Linda schloss sich an. »Wie geht es denn Ihrem schnuckeligen
Mann - Marcus? Ich habe ihn in letzter Zeit gar nicht mehr
im Fitnesscenter gesehen. Nicht, dass er es nötig hätte. Er ist ja
fantastisch in Form! Ich dachte, er hätte in der Sauna mal zu
mir gesagt, dass Sie auch Mitglied wären. Sie sollten unbedingt
ab und zu hingehen. Es ist so gut für die Figur - und für
den Teint erst!«
Figur! Teint! Stück für Stück waren Izzies Schultern bis rauf
zu ihren Ohren gewandert, und sie spürte, wie ihr die Zornesröte
ins Gesicht stieg. Wie konnten diese ignoranten Ziegen es
wagen, sie so zu provozieren! Tja, den Gefallen würde sie
ihnen nicht tun, nicht heute! Sie mobilisierte sämtliche verfügbaren
Reserven der Selbstbeherrschung und versuchte
verzweifelt, sich an die Spitznamen zu erinnern, die Marcus
diesen Weibern gegeben hatte. Linda war bei ihm »die Eidechse
« - von der Sonne geröstet und schuppig, mit rastlosen
Augen und einer Zunge, die ständig rein und raus zuckte.
Clare war bei ihm »Daisy«, und sie hatte tatsächlich etwas
Kuhhaftes an sich mit ihren übertrieben geschminkten Augen
und den wabbeligen, hochgeschnürten Brüsten. Ja, das half,
definitiv. Izzie richtete sich auf und lächelte sie strahlend an.
»Marcus geht es momentan wirklich sehr gut, danke. Wie
klug, sich wenigstens seinen Namen zu merken. Er hat mir erzählt,
dass er euch öfter im Fitnessstudio sieht. Ihr kennt ihn
ja, er erzählt immer von so lustigen Erlebnissen, ich muss
mich immer kringeln vor Lachen. Leider hat er kaum noch
Zeit, hinzugehen, aber ihr habt Recht, er ist wirklich super in
Form. Tja, wir haben Gott sei Dank genügend Gelegenheit,
zusammen im Training zu bleiben. Und unser Haus - was soll
ich sagen? Wir sind so glücklich dort. Wir haben schon immer
davon geträumt, in einem Haus zu leben, das Charakter und
Charme hat. Ich glaube, die Menschen suchen sich immer
Häuser, die zu ihnen passen. Ich bin mir sicher, dass Ihr Haus
wie für Sie gemacht ist, Clare.«
Einhelliges Luftschnappen sagte ihr, dass sie ins Schwarze
getroffen hatte, und Izzie lehnte sich zurück. Sie war erstaunt,
wie einfach es gewesen war. Vor einer Fortsetzung des Verhörs
wurde sie durch die Rückkehr von Sue und Maddy bewahrt,
Erstere noch immer in einen unüberhörbaren Monolog
vertieft.
Als sie am Tisch ankamen, brach der Redefluss abrupt ab,
und als Izzie aufsah, blickte sie in Sues zornige Augen. O Gott!
Was hatte sie jetzt schon wieder getan? Sue rauschte davon,
um einen weiteren Stuhl zu holen, quetschte ihn neben Izzie,
wobei sie absichtlich mit dem Stuhlbein ihren Knöchel anschlug,
und knallte Messer und Gabel auf den Tisch. Izzie
betrachtete verwundert das Besteck (fürchterlich schnörkelig
- nachgemacht georgianisch). Wie konnte Sue nur vergessen,
für Maddy zu decken!
Die Unterhaltung während des Mittagessens wurde von
Sue meisterlich auf Themen gelenkt, von denen Izzie keine
Ahnung hatte - und auch nicht haben wollte. Jemandes
Hündin war läufig geworden, jemandes Wagen ging ab wie
eine Rakete, und jemand anders flog in den Ferien nach Dubai.
Izzie blieb stumm, fühlte sich aber ermutigt von Maddys
ebenfalls spärlichen Beiträgen. Als die Nachspeise auf
den Tisch kam, eine Platte mit besonders klebrigen Erdbeertörtchen,
sah Sue auf einmal theatralisch auf die Uhr. »Oh,
Izzie, sehen Sie nur, wie spät es schon ist. Sie müssen doch
sicher längst auf dem Weg sein, oder?«, sagte sie spitz und
wandte sich verschwörerisch an Maddy. »Sie hat es leider etwas
weiter als wir, um die Kinder von der Schule abzuholen.«
Fassungslos ließ Izzie die Gabel sinken. »Ich muss zwar
bald los, aber ein bisschen Zeit habe ich noch.« Sie lachte unsicher.
»Himmel, ich will Sie auch auf keinen Fall drängen. Aber es
ist nicht fair den armen kleinen Kindern gegenüber, wenn Sie
zu spät kommen. Das kann ich nicht mit meinem Gewissen
vereinbaren! Es war eine sehr nette Überraschung, dass Sie
zum Essen geblieben sind, aber jetzt möchten wir Sie keinesfalls
noch länger aufhalten. Vielen Dank für den Kuchen. Umwerfend.«
Wieder vor der Haustür, schüttelte Izzie perplex den Kopf.
Was war hier eigentlich los? Erst als sie vor dem Schultor von
St. Boniface parkte, gute zwanzig Minuten zu früh, ging ihr
endlich ein Licht auf. Ihr wurde regelrecht schwindlig, als ihr
klar wurde, dass sie nicht zum Essen eingeladen gewesen war.
Die englische Originalausgabe erschien 2004
unter dem Titel Goodbye, Jimmy Choo
bei Orion Publishing Group Ltd., London.
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Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2004 by
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Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2005 by
Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Übersetzung: Sabine Maier-Längsfeld
Umschlaggestaltung: Atelier Seidel - Verlagsgrafik, Teising
Umschlagmotiv: www.shutterstock.com
Gesamtherstellung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-86800-480-9
2014 2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Annie Sanders
- 495 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868004807
- ISBN-13: 9783868004809
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