Die Braut des Dichters
Die adelige Ann soll in das Gefolge der Königin eintreten. Am Hof lernt sie den Dichter John Donne kennen. Dieser schreibt freizügige Liebeslyrik. Die beiden sind schnell voneinander fasziniert. Anns Vater schickt seine Tochter aus Zorn über ihr Verhalten weit weg.
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Produktinformationen zu „Die Braut des Dichters “
Die adelige Ann soll in das Gefolge der Königin eintreten. Am Hof lernt sie den Dichter John Donne kennen. Dieser schreibt freizügige Liebeslyrik. Die beiden sind schnell voneinander fasziniert. Anns Vater schickt seine Tochter aus Zorn über ihr Verhalten weit weg.
Lese-Probe zu „Die Braut des Dichters “
Die Braut des Dichters von Maeve Haran1
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Es ist deine Schuld, Miss Elizabeth More!« - In dem großen Bett, das wir miteinander teilten, rüttelte ich meine Schwester wach. Verschlafen und zufrieden lächelte sie mich an. »Wegen deiner dummen Hochzeit müssen wir heute das ganze Haus leer räumen, damit alles schön hergerichtet werden kann.« Ich äffte den hochmütigen Tonfall meiner Großmutter nach. »›Ich werde nicht zulassen, dass der Adel der gesamten Umgebung sich die Nase zuhalten muss, wenn man sich auf meinem Abort erleichtert.‹ Deinetwegen, Beth, wird nun das ganze Haus ausgeräumt, und überall auf dem Fußboden werden Kräuter und frische Binsen ausgestreut.«
»Ob Vater mir wohl verziehen hat, dass ich meine Hochzeit hier feiern möchte und nicht in London, wo Queen Elizabeth ihr beiwohnen könnte?« Beth streckte die Hand aus und strich sanft eine Strähne meiner widerspenstigen, kastanienbraunen Locken zurück unter meine Haube, wo sie einfach nie bleiben wollten.
Ich musste lachen. »Oh, er hat sich recht schnell einverstanden erklärt, als sich Großvater erbot, die Kosten für die Hochzeit selbst zu bestreiten.«
Mein Vater ist zwar ziemlich reich, doch er besitzt die Gabe, vorsichtig mit seinem Geld umzugehen.
Ich betrachtete das hübsche Gesicht meiner Schwester, das ich mein Leben lang jeden Morgen nach dem Aufwachen als Erstes gesehen hatte, und mich überkam eine plötzliche Wehmut. Seit wir unsere Mutter verloren haben, als ich noch ein junges Mädchen war, ist sie es, die ich am meisten in mein Herz geschlossen habe.
Dabei sind wir von so unterschiedlichem Temperament wie zwei weit voneinander entfernt liegende Kontinente. Ich bin Feuer und Luft, stets bereit, mich aufzulehnen und zu streiten, auch wenn ich eher demütig sein sollte. Meine heiß geliebte Beth dagegen ist Erde und Wasser. Sie ist still wie eine Kapelle zur Stunde der Andacht, und ihre Augen strahlen so hell wie Sonnenlicht auf dem Meer. Sie ist so gütig! Ich gerate durch die kleinste Lappalie in Zorn - wenn das Brot zu unserer täglichen Suppe zu hart ist, ich mich mit der Nadel in den Finger steche oder meine Großmutter wieder einmal herumzetert -, Beth hingegen ist stets freundlich und lächelt. Wenn Frances, die jüngste unserer Schwestern, mich trotz ihres zarten Alters von zehn Jahren mit ihrer Ordentlichkeit und ihren Moralpredigten mal wieder zur Raserei treibt, ist es Beth, die mich stets darauf hinweist, dass nicht ich, sondern Frances das mustergültige Beispiel einer guten, christlichen Ehefrau sei, ich also lieber schweigen solle.
Ihre Vermählung bereitet Beth keine Angst. Sir John, ihr Verlobter, ist behäbig und hochtrabend, und bei der Wahl seiner Frau kommt es ihm eher auf deren Mitgift und Fügsamkeit an als auf ihre Anmut und ihr Wesen, doch Beth kümmert das nicht. Im Gegensatz zu mir versetzt es sie nicht in Zorn, dass man Töchter verkauft und verschachert wie Kühe auf dem Markplatz und dass sich die erste Frage vor einer jeden Verlobung darum dreht, wie hoch die Mitgift ist und welche Vorteile ein solcher Handel bietet. Meine hochwohlgeborene Großmutter hält all das für selbstverständlich. Nicht selbstverständlich ist dagegen die Liebe.
Meine Großmutter behauptet, Liebe würde erkalten und nichts weiter zurücklassen als einen ausgebrannten Kessel, dessen Reinigung anderen überlassen bleibt. Vielleicht wird Beth ja glücklich mit ihrem Ehemann, dem mehr an Falknerei und Jagd gelegen ist als an den Freuden einer jungen Ehe.
Allmählich rührte sich etwas unten im Haus. Es war Sonntag, also gab es kein Morgengebet, sondern wir gingen in die Kirche. Noch bevor sich alle auf den Weg zur Messe begaben, musste die Dienerschaft die Pritschen verstauen, auf denen sie im Hauptgebäude die Nacht verbracht hatten, und Feuer machen. Bald würde das ganze Haus erfüllt sein von reger Betriebsamkeit. Mit fünfzig Dienern und Mägden, ganz zu schweigen von uns fünfen sowie Gästen, denen man ein Bett zum Schlafen anbieten musste, gab es kein Eckchen und keinen Winkel im Haus meines Großvaters, in dem man allein sein konnte.
Nicht einmal im Bett.
Ich dachte an Beths Hochzeit, und einen Augenblick lang fragte ich mich, wie es wohl wäre, mit einem Mann unter die Decken zu schlüpfen, dessen Augen nicht bei dem Gedanken an die Aussteuer und den abgeschlossenen Handel leuchteten, sondern aus Liebe und Verlangen, und war mit einem Mal ganz aufgewühlt. Über das Kopfkissen hinweg sah Beth mich an.
»Was für ein seltsames Lächeln, Ann. Gerade so, als hättest du von einem saftigen Pfirsich aus dem Gewächshaus unseres Großvaters gekostet und der Saft liefe dir noch über das Kinn.«
Ich lachte verlegen über ihre treffende Beschreibung. »Was soll ich nur anfangen, wenn du fort bist, Beth?«
»Du kannst mich oft in Camois besuchen. Es liegt gar nicht weit entfernt. Nicht mehr als einen halben Tagesritt auf deinem kräftigen irischen Pferd.«
»Einen halben Tagesritt? Das klingt wie eine halbe Ewigkeit!«
Ich zog die Vorhänge unseres Bettes zurück, unserer eigenen Welt. Sonnenlicht durchflutete den großen, kalten Raum. Wir können uns glücklich schätzen, dachte ich, ein Zimmer ganz für uns zu haben. Wenn das Haus voll ist, kommt es vor, dass fünf oder sechs Personen hier untergebracht werden, häufig muss man dann das Bett mit Fremden teilen, während sich die Dienerschaft der Besucher ihr Lager auf den Gängen bereitet oder auf dem Boden neben ihren Herren oder Herrinnen schläft.
Das alte Herrenhaus von Loseley, nahe Guildford in der Grafschaft Surrey, wurde von meinem Urgroßvater erbaut, Sir Christopher More. Mein Großvater hat es geerbt. Vielleicht hätte er dort auch weiterhin gewohnt, denn obwohl es dem Haus ein wenig an Luxus mangelte, war es massiv gebaut. Queen Elizabeth jedoch tadelte ihn. Er brauche ein schönes, neues Haus, behauptete sie, wo er sie während ihrer Aufenthalte im Sommer beherbergen könne.
Queen Elizabeth brauchte ihren Untertanen gegenüber ihre Wünsche nicht zweimal zu äußern. Also errichtete mein Großvater, Sir William More, ein neues Haus aus den Steinen der nahe gelegenen Waverley Abbey, eines alten Zisterzienserklosters, das nach der Abspaltung der anglikanischen von der katholischen Kirche dem Verfall preisgegeben war. Da er ein umsichtiger Mann war, überwachte er die Bauarbeiten selbst, deren Kosten sich auf 1640 Pfund, neunzehn Schilling und sieben Pence beliefen, was mein Großvater noch heute anhand seiner Geschäftsbücher belegen kann. Ich glaube allerdings, er bereute seine Großzügigkeit, als die Königin drei Mal zu Besuch kam - mit ihrem gesamten dreihundertköpfigen Gefolge aus Dienern und Höflingen, über hundert Wagenladungen an Besitztümern sowie ihren eigenen Wandbehängen und Möbeln, für den Fall, dass unsere nicht gut genug wären. Wie ich gehört habe, trieben die Besuche der Königin so manchen Edelmann in den Bankrott, denn der Gastgeber musste für sämtliche Speisen aufkommen, für den edlen Wein, auf dem der Hofstaat bestand, für Maskenspiele, die aufgeführt wurden, und für die Musikanten. Jedes Mal, wenn die Königin zu Besuch kam, verlangte sie von meinem Großvater, dass er uns, seine Familie, an einen anderen Ort schickte und die Straßen mit Stroh auslegen ließ, damit die Königin nicht durch das Holpern der Kutsche belästigt wurde. Er möge die gesamte weibliche Dienerschaft fortschicken, so verlangte sie, denn weinerliche Frauenstimmen seien ihr ein Gräuel. Selbst als mein Großvater vorgab, er sei krank, kümmerte das die Königin nicht, sie zog trotzdem ein und ermahnte ihn, Loseley sauberer zu halten als bei ihrem letzten Besuch.
Das Haus ist sehr lang und breit und hat zahlreiche hohe Rauchabzüge. Für die Fassade wurden zweiundzwanzig Wagenladungen Steine aus dem nahe gelegenen Guildford herausgebrochen und dort in zwei Stücke gehauen, die Säulen wurden aus Felsen von Hascome Hill errichtet. Das Gebäude besteht aus drei Stockwerken, im unteren befinden sich die Haupthalle, der Wohnraum, die Bibliothek meines Großvaters, außerdem mehrere Küchen, Speisekammern und die Spülküche. Darüber befinden sich die Schlafzimmer mit Blick auf das hügelige Weideland, im oberen Stockwerk sind Unterkünfte für Dienstboten oder weniger bedeutende Gäste. Das Haus wirkt schlicht gegen die neueren, aufwendigeren Herrenhäuser, die mehr aus Glas als aus Wänden bestehen und von den Neureichen erbaut werden, die unter der Königin zu Wohlstand gekommen sind. Doch mein Großvater sagt, das Haus habe eine ruhige und erhabene Atmosphäre, ganz so, wie es sich für das Domizil eines Edelmannes gehört.
Immer wieder erinnert unsere Großmutter uns daran, wir seien privilegiert, in einem Haus mit schönem Mobiliar zu wohnen, mit warmer Holzvertäfelung an den Wänden, deren Schnitzereien von den besten Bildhauern stammen, und reich verzierten Wandteppichen, die verhindern, dass der Wind durch Risse im Mauerwerk pfeift.
Loseley ist umgeben von einer grünen Parklandschaft, wo Wild auf den Wiesen grast - wenn es nicht zur Jagdbeute meines Bruders Robert wird. Der Küchengarten hinter dem Haus führt zu einem Burggraben und zu einem Teich, in dem Speisefische gehalten werden. Es soll auch einen Geheimgang geben, über den man in die Kellergewölbe gelangt. Als Kinder haben wir danach gesucht, ihn aber nie gefunden.
Beth und ich kleideten uns eilig an, wir halfen uns gegenseitig, unsere Taillen einzuschnüren und die Ärmel unserer Gewänder glatt zu streichen, froh darüber, dass diese aus feiner englischer Wolle waren. Prudence, unsere Kammerzofe, hatte Brot und ein wenig Bier zu unserer morgendlichen Stärkung bereitgestellt. Nach einem letzten, prüfenden Blick in den Spiegel, der über dem Wäscheschrank hing, ging ich nach unten, um meine Großmutter zu suchen.
Ich wohne seit jeher in diesem Haus. Mein Vater, George More, lebt allerdings nicht hier bei uns, was manchen Leuten seltsam vorkommt. Die Wahrheit ist, dass er sich mit seinem Vater, unserem Großvater, nicht sehr gut versteht, denn was den Unterhalt des Hauses betrifft, hat er seine eigenen Vorstellungen. Mein Großvater jedoch ist immer noch der Meinung, er selbst sei der Herr des Hauses. »Das Dumme an den Mores ist, dass sie so verdammt alt werden«, zischte mein Vater einmal leise.
Nach dem Tod unserer Mutter hat er sehr schnell wieder geheiratet und mit dem Geld seiner neuen Frau ein anderes Herrenhaus in der Nähe von Baynard's gebaut. Unseren Bruder Robert, seinen Erben, nahm er mit, uns fünf Mädchen dagegen ließ er hier auf Loseley bei unseren Großeltern, Sir William und Lady Margaret.
Ich liebe meine Großeltern innig, doch diese Entscheidung hat mich tief verletzt. Ich wusste, es hatte in erster Linie mit Constance, der neuen Frau meines Vaters zu tun, einem zänkischen Weibsbild, das eigene Kinder haben wollte, um die Zuneigung unseres Vaters von uns auf diese zu übertragen. »Denn wer will schon einen Haufen Töchter, die die Haupthalle bevölkern?«, hörten wir sie ihre Gäste bei mehr als einer Gelegenheit fragen. Woraufhin meine älteste Schwester Mary, die noch mehr im Element des Feuers zu Hause ist als ich, entgegnete: »Und wer will schon eine Stiefmutter, die so sanft und liebreizend ist wie eine Wildsau?«
Ich muss gestehen, ich habe vor meinem Bett gekniet und zu Gott, unserem Erlöser, gefleht, er möge meiner Stiefmutter nur weibliche Nachkommen schenken. Zu meiner großen, wenn auch pietätlosen Genugtuung, schickte er ihr überhaupt keine. So bleibt mein Bruder Robert der einzige Erbe.
Möglicherweise zur Beruhigung seines schlechten Gewissens und sehr zu Constances Unmut und Missfallen zweigte mein Vater einen Teil seiner Einnahmen aus verschiedenen Pacht-und Mietverhältnissen ab und überließ sie meinem Großvater, einzig und allein zur Erziehung und Ausbildung meiner selbst und meiner vier Schwestern. Mein Großvater ist ein gebildeter Mann, ebenso vertraut mit den Werken Senecas wie mit denen von Aristoteles, und stets bemüht, sein Wissen an uns weiterzugeben, obwohl wir nur dem schwachen Geschlecht angehören.
Wenn ich daran denke, wie unterschiedlich wir darauf reagierten, muss ich unwillkürlich lächeln. Meine Schwester Mary, die Älteste von uns, war eine gelehrige Schülerin. Schnell erlernte sie die französische und die italienische Sprache, obwohl sie mehr Gefallen an den Liebesgedichten der Troubadours fand als an der Geschichte des Römischen Reiches. Meine Schwester Margaret seufzte nur und erklärte, es gebe überhaupt keinen Grund, aus dem eine Frau eine andere Sprache als ihre eigene erlernen müsse. Ihr selbst sei daher wesentlich mehr an den Kenntnissen meiner Großmutter bezüglich des Kräutergartens oder den Kochkünsten der Köchin gelegen. Meine geliebte Schwester Beth gab sich Mühe zuzuhören, doch immer wieder schweiften ihre Gedanken ab zu Sonnenschein und Vogelgezwitscher im Freien. Meine Schwester Frances war noch zu jung für den Unterricht, also übte sie sich eifrig an Stickmustern, wobei sie sich stets die biedersten aussuchte, die zu finden waren.
So blieb nur noch ich. Ich war nicht wie die anderen, interessierte mich für alles auf der Welt, ich blühte auf wie eine verdörrende Pflanze, die plötzlich mit Wasser und Sonnenlicht versorgt wurde. Ich arbeitete so hart daran, etwas zu lernen, dass meine Großmutter mir Einhalt gebieten musste. Ich würde noch mein Augenlicht verlieren oder gar eine Hirnhautentzündung bekommen, warnte sie mich. Ansonsten eine ergebene Ehefrau, schalt meine Großmutter ihren Mann, er habe ein sonderbares, launisches Wesen geschaffen - eine Frau, die gebildeter war, als es ihr gut tat. »Denn welcher Mann«, fragte sie ihn voller Zorn, »will schon eine Frau, die Philosophen zitieren kann, während ihre Dienerschaft faul herumsteht und ihr das Fleisch auf dem Feuer verkohlt?«
Mein Großvater hörte ihr stumm zu, denn wenn sie in Rage gerät, kann meine Großmutter Furcht einflößend sein. Einmal habe ich gehört, wie ein Diener aus der Großen Halle sagte, ihr Gesicht gleiche dem einer aus Granit gemeißelten Statue und ihr strenger Mund ließe ihn an einen General der Armee denken. Doch hinter all dem steckt eine Güte, die sie mit Macht verbergen will. Jedenfalls war es mir seitdem verboten, nach drei Uhr nachmittags zu lernen.
Ich ging hinunter in die Große Halle, einen schönen weitläufigen Saal mit Fenstern, die von der Decke bis zum Boden reichen und Ausblick auf den Park gewähren. Die Fenster aus buntem Glas sind reicht verziert und tragen das Wappen der Mores, sodass die Nachmittagssonne, wenn sie hereinscheint, ein Muster wie aus Rubinen und Smaragden auf den Holzfußboden zeichnet. Meine Lieblingsfensterscheibe ist gerade einmal vier oder fünf Inches lang und zeigt einen Lord und eine Lady, die in der Großen Halle beim Essen sitzen. Es scheint wie eine kleinere Ausgabe unserer eigenen Welt. Sicher musste der Kunsthandwerker, der die Fenster entwarf, bei dem Gedanken lachen, dass es fortan zwei Gesellschaften gäbe, die sich in diesem Saal an zwei Tischen versammeln würden, die Mores und die winzigen Figürchen, die in den Glasscheiben gefangen sind.
Von den vertäfelten Wänden blicken edle Familienporträts auf uns herab. Der Fußboden ist ebenfalls aus Holz und wird jede Woche drei Mal mit frischen Binsen bestreut. Neben einem Gemälde von King Edward, dem jugendlichen König, prasselt munter ein Feuer, und ein riesiger Kronleuchter, dessen Kerzen bereits zu dieser frühen Stunde flackern, hängt vom dunklen Gebälk herab und wirft ein Licht auf die sorgfältig verputzte Decke.
Der Tumult vor dem großen Eingangsportal kündigte uns an, dass mein Vater eingetroffen war und sich bereits ein hitziges Wortgefecht mit meinem Großvater lieferte. Das rief mir ins Gedächtnis zurück, welch guter Gedanke es doch war, dass die beiden nicht unter einem Dach leben mussten.
»Seid gegrüßt, Vater«, empfing ich ihn. Selbst wenn er in Surrey ausreitet, also fünfundzwanzig Meilen vom Sitz des Parlaments entfernt, achtet mein Vater darauf, sich standesgemäß zu kleiden. Sein Wams aus schwarzem Samt ist verziert mit breiten Streifen aus goldenem Zwirn, die maßgeschneiderten Beinkleider sind von gleicher Machart und über all dem trägt er einen breiten schwarzen Hut, den er - wie bei Edelleuten üblich - nicht einmal beim Essen ablegt. Er würde sich natürlich darauf berufen, dass er seinem Rang als Mitglied des Parlaments und seiner Eigenschaft als betriebsamer örtlicher Amtsträger alle Ehre machen müsse.
»Ann. Guten Morgen.« Die durchdringenden grauen Augen leuchteten in seinem ovalen, fein geschnittenen Gesicht, auf dem sich der Hauch eines Schnurrbarts sowie der blasse Schatten eines rötlichen Backenbarts abzeichneten. Mein Vater neigt dazu, Männer mit vollem Bartwuchs schlechtzumachen. Doch ich weiß, insgeheim beneidet er den Träger eines dichten, scharf konturierten Barts, wie etwa den Earl of Essex, der nach wie vor als Ideal des gesamten Zeitalters gilt, obwohl sein Ansehen bei der Königin so wechselhaft ist wie ein Wetterhahn, je nachdem wie es gerade um die auswärtigen Feldzüge bestellt ist. »Sind deine Schwestern auch schon da?«
»Nein, Vater. Ich dachte, wenn sie Euer Pferd hören, werden sie schon erscheinen.«
»Deine Schwester Mary befindet sich sicher noch im Zwiespalt darüber, mit welchem Geschmeide sie uns heute zu blenden gedenkt«, gab mein Vater barsch zurück. »Dabei besitzt ihr Herr Gemahl nicht einen roten Heller. Dieser junge Bursche hat mich schwer enttäuscht! Mag sein, dass er gute Aussichten hat, doch Aussichten können leer sein wie ein schepperndes Kürbisbanjo, solange sie nicht zu Wohlstand und Ansehen führen. Sämtliche Juwelen, mit denen Mary sich schmückt, sind sicher bereits dreifach beliehen.« Einen Moment lang tat Mary mir leid, denn tatsächlich war sie der Meinung, sie könne uns Landeier mit all ihrem Glanz beeindrucken. Dabei war ihr keineswegs bewusst, dass mein Vater sie derart bloßstellen würde.
Marys Gemahl, Nicholas Throckmorton, entstammt einer guten Familie, doch er hat das Pech, der jüngere Sohn zu sein. Dennoch verfügt er über einflussreiche Verbindungen, denn seine Schwester Bess ist mit Sir Walter Ralegh verheiratet. Da in Zeiten wie diesen jegliches Fortkommen davon abhängt, dass ein mächtiger Mann ein gutes Wort für einen anderen einlegt, sind Verbindungen von unschätzbarem Wert. So hatte Throckmorton es einzig und allein seinen Beziehungen zu verdanken, dass mein Vater schließlich in die Vermählung mit Mary einwilligte. Doch zu Vaters großem Ärger war unserer Familie bislang noch kein Vorteil daraus erwachsen. Und zu allem Überfluss hatte Nicholas auch noch den Fehler begangen, meinen Vater um Geld zu bitten.
Das Bemerkenswerteste an meinem Vater ist seine Körpergröße, besser gesagt, das Fehlen derselben. Wenn er neben meinem Großvater steht, kann man kaum glauben, dass sie Vater und Sohn sind. Mein Vater ist von so niedrigem Wuchs, dass er bei Beerdigungen nie die Rolle eines Sargträgers übernehmen kann, denn der Sarg könnte vorzeitig ins Grab rutschen. Dennoch ist er stets bereit, sich zur Wehr zu setzen, wenn er der Meinung ist, man habe ihn beleidigt. Mein Großvater ist um einiges größer und recht stämmig. Er hat gütige und dabei scharf blickende Augen und trägt einen langen weißen Bart, der ganz nach der derzeitigen Mode in zwei Spitzen ausläuft. Im Gegensatz zu meinem Vater besitzt er die Ruhe des Allmächtigen selbst, was keinesfalls blasphemisch gemeint ist, und verfügt ebenfalls über dessen Geduld, die er im Umgang mit meinem Vater auch häufig nötig hat. Doch mein Großvater war nicht von jeher derart gelassen. Ich habe gehört, in seiner Jugend soll er ein erbitterter Gegner der Papisten gewesen sein. Viele der Befürworter des Papstes fürchteten ihn aus gutem Grund.
Mittlerweile befanden sich die beiden in einer Debatte darüber, ob man die Große Halle für Beths bevorstehende Vermählung mit Girlanden aus Blumen und roten Beeren schmücken solle.
»Nun ja«, beharrte mein Vater, »es braucht etwas Farbe, um diese riesige, düstere Höhle freundlicher zu gestalten. Würden wir in meinem Haus feiern, könnten wir in der Säulenhalle tafeln. Ich kann einfach nicht glauben, Vater, dass du immer noch auf eine Säulenhalle verzichtest und in dieser Halle gemeinsam mit der Dienerschaft deine Mahlzeiten einnimmst«, sagte er kopfschüttelnd. »Hier herrscht keinerlei Privatsphäre, und nirgends kann man eine Rede halten, geschweige denn eine geistreiche Unterhaltung führen. In Baynard's speisen wir längst nicht mehr in der Großen Halle, sondern in einem behaglichen Speisesaal, der von einem Säulengang umgeben ist, wo man umherwandeln und sich von der hereinscheinenden Sonne wärmen lassen kann.«
Ich merkte, dass mein Großvater sich beherrschen musste, um meinem Vater nicht zu sagen, er solle sich doch auf den Weg zurück in sein geliebtes Baynard's machen und Ruhe geben. »Ich sehe keine Notwendigkeit, die Mahlzeiten getrennt von den Bediensteten einzunehmen«, erklärte er. »Meine Knechte und Mägde gehören zur Familie, und daran wird sich auch nichts ändern. Demnächst wirst du mir noch einreden, mein persönlicher Diener dürfe nicht mehr vor meiner Tür schlafen, um meine Privatsphäre nicht zu stören. Solch ein Haushalt lässt sich doch nicht allein durch drei tägliche Gebete führen. Ich bin der Herr im Haus und lege Wert auf Tradition. Darüber solltest du selbst einmal nachdenken.«
Taktlos wie immer gab mein Vater nichts darauf. »Bequemlichkeit ist heutzutage angebracht, Vater. Wir müssen doch nicht wie wilde Tiere oder arme Bauern leben. Sieh dir nur einmal deine riesigen unbequemen Betten an. Du solltest sie allesamt durch Federmatratzen ersetzen.«
»Vergiss deine Federbetten«, erwiderte mein Großvater, bemüht, seinen Zorn zu beherrschen. »Zur Zeit meines Vaters schlief man auf Strohballen, deckte sich mit Fellen zu und legte sich einen dicken, runden Holzklotz unter den Kopf. Kopfkissen waren nur etwas für Frauen im Kindbett. Wenn man sich nach sieben Jahren Ehe überhaupt eine Matratze leisten konnte, durfte man sich glücklich schätzen. Das war etwas anderes als dein weiches Bett, oder, George?« Er hatte einen wunden Punkt angesprochen, denn mein Vater hatte einen Teil von Constances Vermögen für die Ausstattung des Schlafgemachs verwendet. Großvater konnte sich ein durchtriebenes Lächeln nicht verkneifen und sagte: »Wie ich gehört habe, soll dein Bett - gleich dem der Königin - sogar mit einem vergoldeten Krönchen und sieben Reiherfedern verziert sein. Wie gut, dass die Kleiderordnung nicht für die verschwenderische Ausstattung des Schlafgemachs gilt, oder?«
In der Großen Halle herrschte geschäftiges Treiben. Die Bediensteten schleppten Kleiderbündel, silberne Schalen, Tranchierplatten aus Zinn, Kerzenhalter, das Tafelsilber und einen riesigen türkischen Teppich, der auf der großen Tafel für den Hochzeitsschmaus ausgelegt werden sollte.
»Niemals haben alle Gäste hier Platz«, stellte mein Vater mit einem Hauch Genugtuung fest.
»Also, Vater«, wäre es mir beinahe herausgerutscht, »sollten wir die Hochzeitsfeierlichkeiten dann nicht doch lieber auf Baynard's abhalten?«. Aber ich hielt mich zurück. Mein Vater erwartet von seinen Töchtern Respekt und ich wollte ihn nicht herausfordern und meiner Schwester die Feier verderben.
»Vorsorglich lassen wir draußen im Park fünf Zelte aufstellen«, antwortete mein Großvater knapp. »Ein jedes geschmückt mit bemalten Wandbehängen aus Italien, mit denen auch Great Harry, Henry VIII., seine Zelte auf dem Schlachtfeld ausstaffierte. In einem Zelt werden Musiker aufspielen und in einem anderen Maskenspiele aufgeführt.«
Plötzlich ertönte aus der Spülküche Geschrei, das uns allen vor Augen hielt, wie viel noch zu tun war. Nicht nur sollten die Fußböden und Aborte parfümiert werden, meine Großmutter hatte darüber hinaus verfügt, dass an diesem Tag das große Tischtuch gewaschen werden musste, das für das Hochzeitsbankett benötigt wurde, ebenso wie die Servietten, die sich jeder Gast während des Essens über die Schulter oder den Arm legte.
Miriam, eine der Wäscherinnen, stand neben den großen Waschzubern, die aus halben Fässern bestanden. Sie weinte und rieb sich das Gesicht, denn kurz zuvor hatte meine Großmutter ihr einen Klaps auf die Ohren gegeben. »Das dumme Mädchen hat vergessen, die Nachttöpfe in die Lauge auszulehren«, schalt meine Großmutter und wies auf die Bottiche, in denen die Tischwäsche, gestützt von einem Stock, sorgfältig aufgeschichtet war, damit sie überall nass wurde. »Wie sollen wir ohne Urin diese Flecken auswaschen? Dieses dumme Mädchen! Glaubst du etwa, wir heben den Inhalt der Nachttöpfe nur zum Vergnügen auf, um daran zu schnuppern wie an einem Blumenstrauß?«
Miriam hockte in der Ecke. »Geh und bring mir sofort frischen Urin aus einem der Schlafgemächer. Die nächste Wäsche werde ich selbst überwachen, denn du bist offensichtlich nicht in der Lage dazu. Noch solch eine Unachtsamkeit und ich schicke dich zurück zu dem Bauern, von dem du herkommst. Da kannst du dir das Kreuz beim Ausmachen von Rüben verbiegen und deinen dummen Kopf auf einem Misthaufen zur Ruhe betten, anstatt im Haus eines Edelmannes auf einem sauberen Heuballen zu schlafen!«
Mein Vater, gelangweilt von diesem häuslichen Drama, erspähte meine Schwester Beth, die gerade die Treppe heruntergekommen war, um uns zu helfen.
»Ah, da kommt Elizabeth, die künftige Braut.« Er wandte sich zu mir um. »Was für ein Jammer, dass du nicht ebenfalls die Schönheit deiner Mutter geerbt hast, Ann, so wie Elizabeth.«
Selbst nach so vielen Jahren ist die Härte meines Vaters noch immer schmerzhaft wie ein Wespenstich. Ich weiß, ich bin nicht so reizvoll wie meine Schwester, aber sind denn Geist und Seele nicht auch von einer gewissen Schönheit?
Meine Schwester war so fröhlich, dass sie gar nicht merkte, wie scharf die Worte meines Vaters klangen. Sie gab ihm einen Kuss. »Ich danke Euch für den Pelz, Vater. Damit werde ich so prächtig aussehen wie eine der vornehmen Damen am Königshof.«
»Die Mores sind ebenso vornehm wie alle anderen bei Hof, Elizabeth, und ehrenwerter als mancher Emporkömmling.«
Soweit ich wusste, war das nur die halbe Wahrheit. Mein Urgroßvater hatte gemeinsam mit meiner Urgroßmutter das Vermögen der Mores erwirtschaftet. Auch er war am Königshof neu gewesen und nicht von Haus aus adelig, doch im Dienst der Krone begann sein Aufstieg. Mittlerweile hatten wir einen guten Ruf, und wenn mein Vater seinen Weg machte, würde unser Ansehen weiterwachsen.
Meine Großmutter kam aus der Spülküche und wischte sich die Hände ab. »George, ich warte schon auf dich. Wirst du vor der Hochzeit noch nach London reisen? Ich bin äußerst verärgert über den Küchenmeister. Er hat nicht daran gedacht, Zucker für den Gewürzwein in Auftrag zu geben. Wie sollen wir ohne Wein einen Toast zur Vermählung ausbringen? Außerdem fehlen uns Korinthen für die Süßspeisen.«
Mein Vater zuckte die Achseln. Wie ein Hund an seinem Knochen hielt er daran fest, sich weiter über die Ehre der Mores auszulassen. »Ich werde erst nächste Woche in die Stadt reisen, da meine Teilnahme an drei Versammlungen erforderlich ist. Doch ich kenne jemanden in Cheapside, der Zucker und Korinthen schicken wird, vorausgesetzt, der Bote wird bezahlt.«
»Ich danke dir, mein Sohn«, sagte meine Großmutter mit einem Kopfnicken. »Ich werde mich an ihn wenden. Robert, der Küchenmeister, behauptet, die Ratten hätten alles zunichte gemacht, aber das kann ebenso gut eine Ausrede für seine schlechte Vorausplanung sein. Jedenfalls hat er jetzt sämtliche süßen Früchte für das Hochzeitsmahl in einem Korb vier Fuß über dem Boden aufgehängt.«
Wie zu Roberts Bestätigung, hörten wir aus der Küche einen lauten Schrei, und eine Ratte huschte an uns vorbei, gefolgt von einer Schar zeternder Küchenjungen, die allesamt kopflos herumliefen wie eine Schar Jungfrauen beim Anblick einer einmarschierenden Armee.
Hastig griff ich nach der hölzernen Schaufel, die dazu gedacht war, die Wäsche in den Zubern zu wenden, und schlug auf die Ratte ein. Ich weiß nicht, wer von uns beiden erstaunter war, die Ratte oder ich. Ich holte aus wie beim Krocketspiel auf Hampton Court und traf sie genau am Kopf. Die Ratte wirbelte durch die Luft und fiel uns mit einem dumpfen Aufprall tot vor die Füße.
»Also Ann!«, protestierte mein Vater. »Du treibst mich immer wieder in die Verzweiflung! Wirst du jemals lernen, dich wie eine Dame von Stand zu benehmen?«
»Soll ich beim Anblick einer Ratte etwa kreischend auf einen Stuhl klettern und darauf warten, dass irgendein Heiliger Georg mich rettet wie die Jungfrau vor dem Drachen? Benimmt sich so eine Dame von Stand? Wenn Ihr darauf anspielt, Vater, dann habt Ihr recht! Aus mir wird nie eine feine Dame.«
Auf der breiten, gewundenen Auffahrt nach Loseley erklang Hufgeklapper. Meine Schwester Mary ritt uns auf ihrer Fuchsstute entgegen, gertenschlank, in adretter Reiterkleidung und mit einer Feder am Hut. Hinter ihr, kräftiger, als ich sie in Erinnerung hatte, ritt meine Schwester Margaret, das fröhlichste Mädchen, das ich kenne. Margaret hatte einfach an allem Freude: an ihrem Gemahl Thomas Grymes, ihrem Haus in Peckham, ihren neuen Wandbehängen, ihrem kleinen Sohn, sogar ihre Hunde hält sie weit und breit für die besten.
»Beth! Ann!«, rief Mary und stieg anmutig aus dem Sattel.
Übersetzung: Heike Holtsch
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg.
Es ist deine Schuld, Miss Elizabeth More!« - In dem großen Bett, das wir miteinander teilten, rüttelte ich meine Schwester wach. Verschlafen und zufrieden lächelte sie mich an. »Wegen deiner dummen Hochzeit müssen wir heute das ganze Haus leer räumen, damit alles schön hergerichtet werden kann.« Ich äffte den hochmütigen Tonfall meiner Großmutter nach. »›Ich werde nicht zulassen, dass der Adel der gesamten Umgebung sich die Nase zuhalten muss, wenn man sich auf meinem Abort erleichtert.‹ Deinetwegen, Beth, wird nun das ganze Haus ausgeräumt, und überall auf dem Fußboden werden Kräuter und frische Binsen ausgestreut.«
»Ob Vater mir wohl verziehen hat, dass ich meine Hochzeit hier feiern möchte und nicht in London, wo Queen Elizabeth ihr beiwohnen könnte?« Beth streckte die Hand aus und strich sanft eine Strähne meiner widerspenstigen, kastanienbraunen Locken zurück unter meine Haube, wo sie einfach nie bleiben wollten.
Ich musste lachen. »Oh, er hat sich recht schnell einverstanden erklärt, als sich Großvater erbot, die Kosten für die Hochzeit selbst zu bestreiten.«
Mein Vater ist zwar ziemlich reich, doch er besitzt die Gabe, vorsichtig mit seinem Geld umzugehen.
Ich betrachtete das hübsche Gesicht meiner Schwester, das ich mein Leben lang jeden Morgen nach dem Aufwachen als Erstes gesehen hatte, und mich überkam eine plötzliche Wehmut. Seit wir unsere Mutter verloren haben, als ich noch ein junges Mädchen war, ist sie es, die ich am meisten in mein Herz geschlossen habe.
Dabei sind wir von so unterschiedlichem Temperament wie zwei weit voneinander entfernt liegende Kontinente. Ich bin Feuer und Luft, stets bereit, mich aufzulehnen und zu streiten, auch wenn ich eher demütig sein sollte. Meine heiß geliebte Beth dagegen ist Erde und Wasser. Sie ist still wie eine Kapelle zur Stunde der Andacht, und ihre Augen strahlen so hell wie Sonnenlicht auf dem Meer. Sie ist so gütig! Ich gerate durch die kleinste Lappalie in Zorn - wenn das Brot zu unserer täglichen Suppe zu hart ist, ich mich mit der Nadel in den Finger steche oder meine Großmutter wieder einmal herumzetert -, Beth hingegen ist stets freundlich und lächelt. Wenn Frances, die jüngste unserer Schwestern, mich trotz ihres zarten Alters von zehn Jahren mit ihrer Ordentlichkeit und ihren Moralpredigten mal wieder zur Raserei treibt, ist es Beth, die mich stets darauf hinweist, dass nicht ich, sondern Frances das mustergültige Beispiel einer guten, christlichen Ehefrau sei, ich also lieber schweigen solle.
Ihre Vermählung bereitet Beth keine Angst. Sir John, ihr Verlobter, ist behäbig und hochtrabend, und bei der Wahl seiner Frau kommt es ihm eher auf deren Mitgift und Fügsamkeit an als auf ihre Anmut und ihr Wesen, doch Beth kümmert das nicht. Im Gegensatz zu mir versetzt es sie nicht in Zorn, dass man Töchter verkauft und verschachert wie Kühe auf dem Markplatz und dass sich die erste Frage vor einer jeden Verlobung darum dreht, wie hoch die Mitgift ist und welche Vorteile ein solcher Handel bietet. Meine hochwohlgeborene Großmutter hält all das für selbstverständlich. Nicht selbstverständlich ist dagegen die Liebe.
Meine Großmutter behauptet, Liebe würde erkalten und nichts weiter zurücklassen als einen ausgebrannten Kessel, dessen Reinigung anderen überlassen bleibt. Vielleicht wird Beth ja glücklich mit ihrem Ehemann, dem mehr an Falknerei und Jagd gelegen ist als an den Freuden einer jungen Ehe.
Allmählich rührte sich etwas unten im Haus. Es war Sonntag, also gab es kein Morgengebet, sondern wir gingen in die Kirche. Noch bevor sich alle auf den Weg zur Messe begaben, musste die Dienerschaft die Pritschen verstauen, auf denen sie im Hauptgebäude die Nacht verbracht hatten, und Feuer machen. Bald würde das ganze Haus erfüllt sein von reger Betriebsamkeit. Mit fünfzig Dienern und Mägden, ganz zu schweigen von uns fünfen sowie Gästen, denen man ein Bett zum Schlafen anbieten musste, gab es kein Eckchen und keinen Winkel im Haus meines Großvaters, in dem man allein sein konnte.
Nicht einmal im Bett.
Ich dachte an Beths Hochzeit, und einen Augenblick lang fragte ich mich, wie es wohl wäre, mit einem Mann unter die Decken zu schlüpfen, dessen Augen nicht bei dem Gedanken an die Aussteuer und den abgeschlossenen Handel leuchteten, sondern aus Liebe und Verlangen, und war mit einem Mal ganz aufgewühlt. Über das Kopfkissen hinweg sah Beth mich an.
»Was für ein seltsames Lächeln, Ann. Gerade so, als hättest du von einem saftigen Pfirsich aus dem Gewächshaus unseres Großvaters gekostet und der Saft liefe dir noch über das Kinn.«
Ich lachte verlegen über ihre treffende Beschreibung. »Was soll ich nur anfangen, wenn du fort bist, Beth?«
»Du kannst mich oft in Camois besuchen. Es liegt gar nicht weit entfernt. Nicht mehr als einen halben Tagesritt auf deinem kräftigen irischen Pferd.«
»Einen halben Tagesritt? Das klingt wie eine halbe Ewigkeit!«
Ich zog die Vorhänge unseres Bettes zurück, unserer eigenen Welt. Sonnenlicht durchflutete den großen, kalten Raum. Wir können uns glücklich schätzen, dachte ich, ein Zimmer ganz für uns zu haben. Wenn das Haus voll ist, kommt es vor, dass fünf oder sechs Personen hier untergebracht werden, häufig muss man dann das Bett mit Fremden teilen, während sich die Dienerschaft der Besucher ihr Lager auf den Gängen bereitet oder auf dem Boden neben ihren Herren oder Herrinnen schläft.
Das alte Herrenhaus von Loseley, nahe Guildford in der Grafschaft Surrey, wurde von meinem Urgroßvater erbaut, Sir Christopher More. Mein Großvater hat es geerbt. Vielleicht hätte er dort auch weiterhin gewohnt, denn obwohl es dem Haus ein wenig an Luxus mangelte, war es massiv gebaut. Queen Elizabeth jedoch tadelte ihn. Er brauche ein schönes, neues Haus, behauptete sie, wo er sie während ihrer Aufenthalte im Sommer beherbergen könne.
Queen Elizabeth brauchte ihren Untertanen gegenüber ihre Wünsche nicht zweimal zu äußern. Also errichtete mein Großvater, Sir William More, ein neues Haus aus den Steinen der nahe gelegenen Waverley Abbey, eines alten Zisterzienserklosters, das nach der Abspaltung der anglikanischen von der katholischen Kirche dem Verfall preisgegeben war. Da er ein umsichtiger Mann war, überwachte er die Bauarbeiten selbst, deren Kosten sich auf 1640 Pfund, neunzehn Schilling und sieben Pence beliefen, was mein Großvater noch heute anhand seiner Geschäftsbücher belegen kann. Ich glaube allerdings, er bereute seine Großzügigkeit, als die Königin drei Mal zu Besuch kam - mit ihrem gesamten dreihundertköpfigen Gefolge aus Dienern und Höflingen, über hundert Wagenladungen an Besitztümern sowie ihren eigenen Wandbehängen und Möbeln, für den Fall, dass unsere nicht gut genug wären. Wie ich gehört habe, trieben die Besuche der Königin so manchen Edelmann in den Bankrott, denn der Gastgeber musste für sämtliche Speisen aufkommen, für den edlen Wein, auf dem der Hofstaat bestand, für Maskenspiele, die aufgeführt wurden, und für die Musikanten. Jedes Mal, wenn die Königin zu Besuch kam, verlangte sie von meinem Großvater, dass er uns, seine Familie, an einen anderen Ort schickte und die Straßen mit Stroh auslegen ließ, damit die Königin nicht durch das Holpern der Kutsche belästigt wurde. Er möge die gesamte weibliche Dienerschaft fortschicken, so verlangte sie, denn weinerliche Frauenstimmen seien ihr ein Gräuel. Selbst als mein Großvater vorgab, er sei krank, kümmerte das die Königin nicht, sie zog trotzdem ein und ermahnte ihn, Loseley sauberer zu halten als bei ihrem letzten Besuch.
Das Haus ist sehr lang und breit und hat zahlreiche hohe Rauchabzüge. Für die Fassade wurden zweiundzwanzig Wagenladungen Steine aus dem nahe gelegenen Guildford herausgebrochen und dort in zwei Stücke gehauen, die Säulen wurden aus Felsen von Hascome Hill errichtet. Das Gebäude besteht aus drei Stockwerken, im unteren befinden sich die Haupthalle, der Wohnraum, die Bibliothek meines Großvaters, außerdem mehrere Küchen, Speisekammern und die Spülküche. Darüber befinden sich die Schlafzimmer mit Blick auf das hügelige Weideland, im oberen Stockwerk sind Unterkünfte für Dienstboten oder weniger bedeutende Gäste. Das Haus wirkt schlicht gegen die neueren, aufwendigeren Herrenhäuser, die mehr aus Glas als aus Wänden bestehen und von den Neureichen erbaut werden, die unter der Königin zu Wohlstand gekommen sind. Doch mein Großvater sagt, das Haus habe eine ruhige und erhabene Atmosphäre, ganz so, wie es sich für das Domizil eines Edelmannes gehört.
Immer wieder erinnert unsere Großmutter uns daran, wir seien privilegiert, in einem Haus mit schönem Mobiliar zu wohnen, mit warmer Holzvertäfelung an den Wänden, deren Schnitzereien von den besten Bildhauern stammen, und reich verzierten Wandteppichen, die verhindern, dass der Wind durch Risse im Mauerwerk pfeift.
Loseley ist umgeben von einer grünen Parklandschaft, wo Wild auf den Wiesen grast - wenn es nicht zur Jagdbeute meines Bruders Robert wird. Der Küchengarten hinter dem Haus führt zu einem Burggraben und zu einem Teich, in dem Speisefische gehalten werden. Es soll auch einen Geheimgang geben, über den man in die Kellergewölbe gelangt. Als Kinder haben wir danach gesucht, ihn aber nie gefunden.
Beth und ich kleideten uns eilig an, wir halfen uns gegenseitig, unsere Taillen einzuschnüren und die Ärmel unserer Gewänder glatt zu streichen, froh darüber, dass diese aus feiner englischer Wolle waren. Prudence, unsere Kammerzofe, hatte Brot und ein wenig Bier zu unserer morgendlichen Stärkung bereitgestellt. Nach einem letzten, prüfenden Blick in den Spiegel, der über dem Wäscheschrank hing, ging ich nach unten, um meine Großmutter zu suchen.
Ich wohne seit jeher in diesem Haus. Mein Vater, George More, lebt allerdings nicht hier bei uns, was manchen Leuten seltsam vorkommt. Die Wahrheit ist, dass er sich mit seinem Vater, unserem Großvater, nicht sehr gut versteht, denn was den Unterhalt des Hauses betrifft, hat er seine eigenen Vorstellungen. Mein Großvater jedoch ist immer noch der Meinung, er selbst sei der Herr des Hauses. »Das Dumme an den Mores ist, dass sie so verdammt alt werden«, zischte mein Vater einmal leise.
Nach dem Tod unserer Mutter hat er sehr schnell wieder geheiratet und mit dem Geld seiner neuen Frau ein anderes Herrenhaus in der Nähe von Baynard's gebaut. Unseren Bruder Robert, seinen Erben, nahm er mit, uns fünf Mädchen dagegen ließ er hier auf Loseley bei unseren Großeltern, Sir William und Lady Margaret.
Ich liebe meine Großeltern innig, doch diese Entscheidung hat mich tief verletzt. Ich wusste, es hatte in erster Linie mit Constance, der neuen Frau meines Vaters zu tun, einem zänkischen Weibsbild, das eigene Kinder haben wollte, um die Zuneigung unseres Vaters von uns auf diese zu übertragen. »Denn wer will schon einen Haufen Töchter, die die Haupthalle bevölkern?«, hörten wir sie ihre Gäste bei mehr als einer Gelegenheit fragen. Woraufhin meine älteste Schwester Mary, die noch mehr im Element des Feuers zu Hause ist als ich, entgegnete: »Und wer will schon eine Stiefmutter, die so sanft und liebreizend ist wie eine Wildsau?«
Ich muss gestehen, ich habe vor meinem Bett gekniet und zu Gott, unserem Erlöser, gefleht, er möge meiner Stiefmutter nur weibliche Nachkommen schenken. Zu meiner großen, wenn auch pietätlosen Genugtuung, schickte er ihr überhaupt keine. So bleibt mein Bruder Robert der einzige Erbe.
Möglicherweise zur Beruhigung seines schlechten Gewissens und sehr zu Constances Unmut und Missfallen zweigte mein Vater einen Teil seiner Einnahmen aus verschiedenen Pacht-und Mietverhältnissen ab und überließ sie meinem Großvater, einzig und allein zur Erziehung und Ausbildung meiner selbst und meiner vier Schwestern. Mein Großvater ist ein gebildeter Mann, ebenso vertraut mit den Werken Senecas wie mit denen von Aristoteles, und stets bemüht, sein Wissen an uns weiterzugeben, obwohl wir nur dem schwachen Geschlecht angehören.
Wenn ich daran denke, wie unterschiedlich wir darauf reagierten, muss ich unwillkürlich lächeln. Meine Schwester Mary, die Älteste von uns, war eine gelehrige Schülerin. Schnell erlernte sie die französische und die italienische Sprache, obwohl sie mehr Gefallen an den Liebesgedichten der Troubadours fand als an der Geschichte des Römischen Reiches. Meine Schwester Margaret seufzte nur und erklärte, es gebe überhaupt keinen Grund, aus dem eine Frau eine andere Sprache als ihre eigene erlernen müsse. Ihr selbst sei daher wesentlich mehr an den Kenntnissen meiner Großmutter bezüglich des Kräutergartens oder den Kochkünsten der Köchin gelegen. Meine geliebte Schwester Beth gab sich Mühe zuzuhören, doch immer wieder schweiften ihre Gedanken ab zu Sonnenschein und Vogelgezwitscher im Freien. Meine Schwester Frances war noch zu jung für den Unterricht, also übte sie sich eifrig an Stickmustern, wobei sie sich stets die biedersten aussuchte, die zu finden waren.
So blieb nur noch ich. Ich war nicht wie die anderen, interessierte mich für alles auf der Welt, ich blühte auf wie eine verdörrende Pflanze, die plötzlich mit Wasser und Sonnenlicht versorgt wurde. Ich arbeitete so hart daran, etwas zu lernen, dass meine Großmutter mir Einhalt gebieten musste. Ich würde noch mein Augenlicht verlieren oder gar eine Hirnhautentzündung bekommen, warnte sie mich. Ansonsten eine ergebene Ehefrau, schalt meine Großmutter ihren Mann, er habe ein sonderbares, launisches Wesen geschaffen - eine Frau, die gebildeter war, als es ihr gut tat. »Denn welcher Mann«, fragte sie ihn voller Zorn, »will schon eine Frau, die Philosophen zitieren kann, während ihre Dienerschaft faul herumsteht und ihr das Fleisch auf dem Feuer verkohlt?«
Mein Großvater hörte ihr stumm zu, denn wenn sie in Rage gerät, kann meine Großmutter Furcht einflößend sein. Einmal habe ich gehört, wie ein Diener aus der Großen Halle sagte, ihr Gesicht gleiche dem einer aus Granit gemeißelten Statue und ihr strenger Mund ließe ihn an einen General der Armee denken. Doch hinter all dem steckt eine Güte, die sie mit Macht verbergen will. Jedenfalls war es mir seitdem verboten, nach drei Uhr nachmittags zu lernen.
Ich ging hinunter in die Große Halle, einen schönen weitläufigen Saal mit Fenstern, die von der Decke bis zum Boden reichen und Ausblick auf den Park gewähren. Die Fenster aus buntem Glas sind reicht verziert und tragen das Wappen der Mores, sodass die Nachmittagssonne, wenn sie hereinscheint, ein Muster wie aus Rubinen und Smaragden auf den Holzfußboden zeichnet. Meine Lieblingsfensterscheibe ist gerade einmal vier oder fünf Inches lang und zeigt einen Lord und eine Lady, die in der Großen Halle beim Essen sitzen. Es scheint wie eine kleinere Ausgabe unserer eigenen Welt. Sicher musste der Kunsthandwerker, der die Fenster entwarf, bei dem Gedanken lachen, dass es fortan zwei Gesellschaften gäbe, die sich in diesem Saal an zwei Tischen versammeln würden, die Mores und die winzigen Figürchen, die in den Glasscheiben gefangen sind.
Von den vertäfelten Wänden blicken edle Familienporträts auf uns herab. Der Fußboden ist ebenfalls aus Holz und wird jede Woche drei Mal mit frischen Binsen bestreut. Neben einem Gemälde von King Edward, dem jugendlichen König, prasselt munter ein Feuer, und ein riesiger Kronleuchter, dessen Kerzen bereits zu dieser frühen Stunde flackern, hängt vom dunklen Gebälk herab und wirft ein Licht auf die sorgfältig verputzte Decke.
Der Tumult vor dem großen Eingangsportal kündigte uns an, dass mein Vater eingetroffen war und sich bereits ein hitziges Wortgefecht mit meinem Großvater lieferte. Das rief mir ins Gedächtnis zurück, welch guter Gedanke es doch war, dass die beiden nicht unter einem Dach leben mussten.
»Seid gegrüßt, Vater«, empfing ich ihn. Selbst wenn er in Surrey ausreitet, also fünfundzwanzig Meilen vom Sitz des Parlaments entfernt, achtet mein Vater darauf, sich standesgemäß zu kleiden. Sein Wams aus schwarzem Samt ist verziert mit breiten Streifen aus goldenem Zwirn, die maßgeschneiderten Beinkleider sind von gleicher Machart und über all dem trägt er einen breiten schwarzen Hut, den er - wie bei Edelleuten üblich - nicht einmal beim Essen ablegt. Er würde sich natürlich darauf berufen, dass er seinem Rang als Mitglied des Parlaments und seiner Eigenschaft als betriebsamer örtlicher Amtsträger alle Ehre machen müsse.
»Ann. Guten Morgen.« Die durchdringenden grauen Augen leuchteten in seinem ovalen, fein geschnittenen Gesicht, auf dem sich der Hauch eines Schnurrbarts sowie der blasse Schatten eines rötlichen Backenbarts abzeichneten. Mein Vater neigt dazu, Männer mit vollem Bartwuchs schlechtzumachen. Doch ich weiß, insgeheim beneidet er den Träger eines dichten, scharf konturierten Barts, wie etwa den Earl of Essex, der nach wie vor als Ideal des gesamten Zeitalters gilt, obwohl sein Ansehen bei der Königin so wechselhaft ist wie ein Wetterhahn, je nachdem wie es gerade um die auswärtigen Feldzüge bestellt ist. »Sind deine Schwestern auch schon da?«
»Nein, Vater. Ich dachte, wenn sie Euer Pferd hören, werden sie schon erscheinen.«
»Deine Schwester Mary befindet sich sicher noch im Zwiespalt darüber, mit welchem Geschmeide sie uns heute zu blenden gedenkt«, gab mein Vater barsch zurück. »Dabei besitzt ihr Herr Gemahl nicht einen roten Heller. Dieser junge Bursche hat mich schwer enttäuscht! Mag sein, dass er gute Aussichten hat, doch Aussichten können leer sein wie ein schepperndes Kürbisbanjo, solange sie nicht zu Wohlstand und Ansehen führen. Sämtliche Juwelen, mit denen Mary sich schmückt, sind sicher bereits dreifach beliehen.« Einen Moment lang tat Mary mir leid, denn tatsächlich war sie der Meinung, sie könne uns Landeier mit all ihrem Glanz beeindrucken. Dabei war ihr keineswegs bewusst, dass mein Vater sie derart bloßstellen würde.
Marys Gemahl, Nicholas Throckmorton, entstammt einer guten Familie, doch er hat das Pech, der jüngere Sohn zu sein. Dennoch verfügt er über einflussreiche Verbindungen, denn seine Schwester Bess ist mit Sir Walter Ralegh verheiratet. Da in Zeiten wie diesen jegliches Fortkommen davon abhängt, dass ein mächtiger Mann ein gutes Wort für einen anderen einlegt, sind Verbindungen von unschätzbarem Wert. So hatte Throckmorton es einzig und allein seinen Beziehungen zu verdanken, dass mein Vater schließlich in die Vermählung mit Mary einwilligte. Doch zu Vaters großem Ärger war unserer Familie bislang noch kein Vorteil daraus erwachsen. Und zu allem Überfluss hatte Nicholas auch noch den Fehler begangen, meinen Vater um Geld zu bitten.
Das Bemerkenswerteste an meinem Vater ist seine Körpergröße, besser gesagt, das Fehlen derselben. Wenn er neben meinem Großvater steht, kann man kaum glauben, dass sie Vater und Sohn sind. Mein Vater ist von so niedrigem Wuchs, dass er bei Beerdigungen nie die Rolle eines Sargträgers übernehmen kann, denn der Sarg könnte vorzeitig ins Grab rutschen. Dennoch ist er stets bereit, sich zur Wehr zu setzen, wenn er der Meinung ist, man habe ihn beleidigt. Mein Großvater ist um einiges größer und recht stämmig. Er hat gütige und dabei scharf blickende Augen und trägt einen langen weißen Bart, der ganz nach der derzeitigen Mode in zwei Spitzen ausläuft. Im Gegensatz zu meinem Vater besitzt er die Ruhe des Allmächtigen selbst, was keinesfalls blasphemisch gemeint ist, und verfügt ebenfalls über dessen Geduld, die er im Umgang mit meinem Vater auch häufig nötig hat. Doch mein Großvater war nicht von jeher derart gelassen. Ich habe gehört, in seiner Jugend soll er ein erbitterter Gegner der Papisten gewesen sein. Viele der Befürworter des Papstes fürchteten ihn aus gutem Grund.
Mittlerweile befanden sich die beiden in einer Debatte darüber, ob man die Große Halle für Beths bevorstehende Vermählung mit Girlanden aus Blumen und roten Beeren schmücken solle.
»Nun ja«, beharrte mein Vater, »es braucht etwas Farbe, um diese riesige, düstere Höhle freundlicher zu gestalten. Würden wir in meinem Haus feiern, könnten wir in der Säulenhalle tafeln. Ich kann einfach nicht glauben, Vater, dass du immer noch auf eine Säulenhalle verzichtest und in dieser Halle gemeinsam mit der Dienerschaft deine Mahlzeiten einnimmst«, sagte er kopfschüttelnd. »Hier herrscht keinerlei Privatsphäre, und nirgends kann man eine Rede halten, geschweige denn eine geistreiche Unterhaltung führen. In Baynard's speisen wir längst nicht mehr in der Großen Halle, sondern in einem behaglichen Speisesaal, der von einem Säulengang umgeben ist, wo man umherwandeln und sich von der hereinscheinenden Sonne wärmen lassen kann.«
Ich merkte, dass mein Großvater sich beherrschen musste, um meinem Vater nicht zu sagen, er solle sich doch auf den Weg zurück in sein geliebtes Baynard's machen und Ruhe geben. »Ich sehe keine Notwendigkeit, die Mahlzeiten getrennt von den Bediensteten einzunehmen«, erklärte er. »Meine Knechte und Mägde gehören zur Familie, und daran wird sich auch nichts ändern. Demnächst wirst du mir noch einreden, mein persönlicher Diener dürfe nicht mehr vor meiner Tür schlafen, um meine Privatsphäre nicht zu stören. Solch ein Haushalt lässt sich doch nicht allein durch drei tägliche Gebete führen. Ich bin der Herr im Haus und lege Wert auf Tradition. Darüber solltest du selbst einmal nachdenken.«
Taktlos wie immer gab mein Vater nichts darauf. »Bequemlichkeit ist heutzutage angebracht, Vater. Wir müssen doch nicht wie wilde Tiere oder arme Bauern leben. Sieh dir nur einmal deine riesigen unbequemen Betten an. Du solltest sie allesamt durch Federmatratzen ersetzen.«
»Vergiss deine Federbetten«, erwiderte mein Großvater, bemüht, seinen Zorn zu beherrschen. »Zur Zeit meines Vaters schlief man auf Strohballen, deckte sich mit Fellen zu und legte sich einen dicken, runden Holzklotz unter den Kopf. Kopfkissen waren nur etwas für Frauen im Kindbett. Wenn man sich nach sieben Jahren Ehe überhaupt eine Matratze leisten konnte, durfte man sich glücklich schätzen. Das war etwas anderes als dein weiches Bett, oder, George?« Er hatte einen wunden Punkt angesprochen, denn mein Vater hatte einen Teil von Constances Vermögen für die Ausstattung des Schlafgemachs verwendet. Großvater konnte sich ein durchtriebenes Lächeln nicht verkneifen und sagte: »Wie ich gehört habe, soll dein Bett - gleich dem der Königin - sogar mit einem vergoldeten Krönchen und sieben Reiherfedern verziert sein. Wie gut, dass die Kleiderordnung nicht für die verschwenderische Ausstattung des Schlafgemachs gilt, oder?«
In der Großen Halle herrschte geschäftiges Treiben. Die Bediensteten schleppten Kleiderbündel, silberne Schalen, Tranchierplatten aus Zinn, Kerzenhalter, das Tafelsilber und einen riesigen türkischen Teppich, der auf der großen Tafel für den Hochzeitsschmaus ausgelegt werden sollte.
»Niemals haben alle Gäste hier Platz«, stellte mein Vater mit einem Hauch Genugtuung fest.
»Also, Vater«, wäre es mir beinahe herausgerutscht, »sollten wir die Hochzeitsfeierlichkeiten dann nicht doch lieber auf Baynard's abhalten?«. Aber ich hielt mich zurück. Mein Vater erwartet von seinen Töchtern Respekt und ich wollte ihn nicht herausfordern und meiner Schwester die Feier verderben.
»Vorsorglich lassen wir draußen im Park fünf Zelte aufstellen«, antwortete mein Großvater knapp. »Ein jedes geschmückt mit bemalten Wandbehängen aus Italien, mit denen auch Great Harry, Henry VIII., seine Zelte auf dem Schlachtfeld ausstaffierte. In einem Zelt werden Musiker aufspielen und in einem anderen Maskenspiele aufgeführt.«
Plötzlich ertönte aus der Spülküche Geschrei, das uns allen vor Augen hielt, wie viel noch zu tun war. Nicht nur sollten die Fußböden und Aborte parfümiert werden, meine Großmutter hatte darüber hinaus verfügt, dass an diesem Tag das große Tischtuch gewaschen werden musste, das für das Hochzeitsbankett benötigt wurde, ebenso wie die Servietten, die sich jeder Gast während des Essens über die Schulter oder den Arm legte.
Miriam, eine der Wäscherinnen, stand neben den großen Waschzubern, die aus halben Fässern bestanden. Sie weinte und rieb sich das Gesicht, denn kurz zuvor hatte meine Großmutter ihr einen Klaps auf die Ohren gegeben. »Das dumme Mädchen hat vergessen, die Nachttöpfe in die Lauge auszulehren«, schalt meine Großmutter und wies auf die Bottiche, in denen die Tischwäsche, gestützt von einem Stock, sorgfältig aufgeschichtet war, damit sie überall nass wurde. »Wie sollen wir ohne Urin diese Flecken auswaschen? Dieses dumme Mädchen! Glaubst du etwa, wir heben den Inhalt der Nachttöpfe nur zum Vergnügen auf, um daran zu schnuppern wie an einem Blumenstrauß?«
Miriam hockte in der Ecke. »Geh und bring mir sofort frischen Urin aus einem der Schlafgemächer. Die nächste Wäsche werde ich selbst überwachen, denn du bist offensichtlich nicht in der Lage dazu. Noch solch eine Unachtsamkeit und ich schicke dich zurück zu dem Bauern, von dem du herkommst. Da kannst du dir das Kreuz beim Ausmachen von Rüben verbiegen und deinen dummen Kopf auf einem Misthaufen zur Ruhe betten, anstatt im Haus eines Edelmannes auf einem sauberen Heuballen zu schlafen!«
Mein Vater, gelangweilt von diesem häuslichen Drama, erspähte meine Schwester Beth, die gerade die Treppe heruntergekommen war, um uns zu helfen.
»Ah, da kommt Elizabeth, die künftige Braut.« Er wandte sich zu mir um. »Was für ein Jammer, dass du nicht ebenfalls die Schönheit deiner Mutter geerbt hast, Ann, so wie Elizabeth.«
Selbst nach so vielen Jahren ist die Härte meines Vaters noch immer schmerzhaft wie ein Wespenstich. Ich weiß, ich bin nicht so reizvoll wie meine Schwester, aber sind denn Geist und Seele nicht auch von einer gewissen Schönheit?
Meine Schwester war so fröhlich, dass sie gar nicht merkte, wie scharf die Worte meines Vaters klangen. Sie gab ihm einen Kuss. »Ich danke Euch für den Pelz, Vater. Damit werde ich so prächtig aussehen wie eine der vornehmen Damen am Königshof.«
»Die Mores sind ebenso vornehm wie alle anderen bei Hof, Elizabeth, und ehrenwerter als mancher Emporkömmling.«
Soweit ich wusste, war das nur die halbe Wahrheit. Mein Urgroßvater hatte gemeinsam mit meiner Urgroßmutter das Vermögen der Mores erwirtschaftet. Auch er war am Königshof neu gewesen und nicht von Haus aus adelig, doch im Dienst der Krone begann sein Aufstieg. Mittlerweile hatten wir einen guten Ruf, und wenn mein Vater seinen Weg machte, würde unser Ansehen weiterwachsen.
Meine Großmutter kam aus der Spülküche und wischte sich die Hände ab. »George, ich warte schon auf dich. Wirst du vor der Hochzeit noch nach London reisen? Ich bin äußerst verärgert über den Küchenmeister. Er hat nicht daran gedacht, Zucker für den Gewürzwein in Auftrag zu geben. Wie sollen wir ohne Wein einen Toast zur Vermählung ausbringen? Außerdem fehlen uns Korinthen für die Süßspeisen.«
Mein Vater zuckte die Achseln. Wie ein Hund an seinem Knochen hielt er daran fest, sich weiter über die Ehre der Mores auszulassen. »Ich werde erst nächste Woche in die Stadt reisen, da meine Teilnahme an drei Versammlungen erforderlich ist. Doch ich kenne jemanden in Cheapside, der Zucker und Korinthen schicken wird, vorausgesetzt, der Bote wird bezahlt.«
»Ich danke dir, mein Sohn«, sagte meine Großmutter mit einem Kopfnicken. »Ich werde mich an ihn wenden. Robert, der Küchenmeister, behauptet, die Ratten hätten alles zunichte gemacht, aber das kann ebenso gut eine Ausrede für seine schlechte Vorausplanung sein. Jedenfalls hat er jetzt sämtliche süßen Früchte für das Hochzeitsmahl in einem Korb vier Fuß über dem Boden aufgehängt.«
Wie zu Roberts Bestätigung, hörten wir aus der Küche einen lauten Schrei, und eine Ratte huschte an uns vorbei, gefolgt von einer Schar zeternder Küchenjungen, die allesamt kopflos herumliefen wie eine Schar Jungfrauen beim Anblick einer einmarschierenden Armee.
Hastig griff ich nach der hölzernen Schaufel, die dazu gedacht war, die Wäsche in den Zubern zu wenden, und schlug auf die Ratte ein. Ich weiß nicht, wer von uns beiden erstaunter war, die Ratte oder ich. Ich holte aus wie beim Krocketspiel auf Hampton Court und traf sie genau am Kopf. Die Ratte wirbelte durch die Luft und fiel uns mit einem dumpfen Aufprall tot vor die Füße.
»Also Ann!«, protestierte mein Vater. »Du treibst mich immer wieder in die Verzweiflung! Wirst du jemals lernen, dich wie eine Dame von Stand zu benehmen?«
»Soll ich beim Anblick einer Ratte etwa kreischend auf einen Stuhl klettern und darauf warten, dass irgendein Heiliger Georg mich rettet wie die Jungfrau vor dem Drachen? Benimmt sich so eine Dame von Stand? Wenn Ihr darauf anspielt, Vater, dann habt Ihr recht! Aus mir wird nie eine feine Dame.«
Auf der breiten, gewundenen Auffahrt nach Loseley erklang Hufgeklapper. Meine Schwester Mary ritt uns auf ihrer Fuchsstute entgegen, gertenschlank, in adretter Reiterkleidung und mit einer Feder am Hut. Hinter ihr, kräftiger, als ich sie in Erinnerung hatte, ritt meine Schwester Margaret, das fröhlichste Mädchen, das ich kenne. Margaret hatte einfach an allem Freude: an ihrem Gemahl Thomas Grymes, ihrem Haus in Peckham, ihren neuen Wandbehängen, ihrem kleinen Sohn, sogar ihre Hunde hält sie weit und breit für die besten.
»Beth! Ann!«, rief Mary und stieg anmutig aus dem Sattel.
Übersetzung: Heike Holtsch
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Maeve Haran
- 2009, 1, 494 Seiten, Maße: 12,5 x 18,8 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 386800114X
- ISBN-13: 9783868001143
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