... ihr Lächeln, das ich nie vergessen werde
Eine Familie kämpft gegen den Krebs
Eine Mutter erzählt die Geschichte ihrer 12-jährigen Tochter, die den Kampf gegen den Krebs verliert. Erschütternd, beeindruckend und zu Tränen rührend.
"Wäre diese schreckliche Geschichte doch nur ein...
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Produktinformationen zu „... ihr Lächeln, das ich nie vergessen werde “
Eine Mutter erzählt die Geschichte ihrer 12-jährigen Tochter, die den Kampf gegen den Krebs verliert. Erschütternd, beeindruckend und zu Tränen rührend.
"Wäre diese schreckliche Geschichte doch nur ein Märchen, dann würde es beginnen mit den Worten: Wir hatten mal eine Tochter, so wunderschön und lieb!"
Sie ist so schön und so lieb. Und noch so jung. Mit nur 11 Jahren bekommt die kleine Janina die fürchterliche Diagnose: Gehirntumor. Das erschüttert die ganze Familie, die von nun an mit allen Mitteln und mit ihrer ganzen Liebe darum kämpft, dass Janina den bösartigen Krebs besiegt und leben kann. Doch am Ende verliert das Mädchen den Kampf und stirbt mit nur 12 Jahren. Janinas Mutter beschreibt in ihrem Buch den Verlauf der Krankheit und ihr eigenes Erleben. Sehr persönlich und zu Tränen rührend.
Von jedem verkauften Buch spenden wir 2.– Euro an die Deutsche Kinderkrebsstiftung. So wurden bisher 30.000 Euro gesammelt und an die Deutsche Kinderkrebsstiftung überreicht.
Die symbolische Übergabe der Spendensumme in Höhe von 30.000 Euro fand in Augsburg statt. In der Weltbild-Filiale nahm Klaus Riddering, Pressesprecher der Deutschen Kinderkrebsstiftung, den Scheck von Weltbild Buchprogrammchef Stefan Ewald entgegen.
"Wir freuen uns, dass sich so viele Menschen an dieser Aktion beteiligt haben", bedankt sich Riddering auch im Namen von DKS-Geschäftsführer Jens Kort. "Wir danken allen Beteiligten ganz herzlich für ihr tolles Engagement. Ein wirklich phantastisches Ergebnis." Auch Stefan Ewald zeigt sich begeistert von dem großen Erfolg der Herzbuch- Aktion: "Wir freuen uns sehr, dass wir gemeinsam mit unseren Kunden die Arbeit der Kinderkrebsstiftung unterstützen können. Die Deutsche Kinderkrebsstiftung leistet einen großartigen Beitrag im Kampf gegen Krebs."
Lese-Probe zu „... ihr Lächeln, das ich nie vergessen werde “
... ihr Lächeln, das ich nie vergessen werde von Ute Holz...das Nicht-wahrhaben-Wollen
... mehr
Es war der erste Tag der Herbstferien des Jahres 2004, ein Samstag, an dem alles begann. Nina war mit Mareike, einer ihrer besten Freundinnen, verabredet, aber als sie morgens wach wurde, war ihr übel und relativ schnell musste sie sich übergeben. Das war jetzt nicht so außergewöhnlich, sodass ich mir keine großen Sorgen machte, am Vortag war ja schließlich noch alles o. k. Irgendwie war sie still und anders, sie lag nur auf dem Sofa, hatte keinen Appetit und zu Mareike wollte sie par¬tout nicht. Ich rief Lore an, Mareikes Mutter, die mit den Jahren eine gute Freundin geworden war, und teilte ihr mit, dass Nina nicht gut drauf wäre, und wir verschoben das Spielen.
Über das Wochenende wurde ihr Zustand nicht besser, im Ge¬genteil! Jetzt klagte sie auch noch über Augenschmerzen, was Eltern natürlich erst mal dazu veranlasst zu sagen: »Nina, dann musst du nicht so viel fernsehen, dann tun dir auch die Augen nicht weh.« Mein Gott, was schämt man sich heute für diesen gesagten Satz!
Am Montag war immer noch keine Besserung eingetreten, also entschloss ich mich, mein Kind einzupacken und beim Augenarzt vorzustellen, der auch sehr schnell eine Diagnose parat hatte. Dieser stellte nämlich fest, dass Ninas Augen nicht gleichmäßig guckten. Er erklärte uns: »Bei Ihrer Toch¬ter handelt es sich bloß um eine Entwicklungsgeschichte, die Augen sind nicht parallel entwickelt, das gibt sich während der Pubertät, eine Brille bringt da keine Abhilfe.« Wir waren beide zufrieden mit dieser Aussage und gingen beruhigt nach Hause.
Ninas Verhalten änderte sich von da an tagtäglich, sie bekam Kopfschmerzen, dann sagte sie mir ganz unvermittelt: »Mama, immer wenn ich aufstehe, wird mir ganz schwindelig und ich denke, ich falle um.« »Ach Nina«, beruhigte ich sie, »so schnell fällt man nicht um, das ist bestimmt der Kreislauf.« »Ja, aber mein Nacken tut mir auch so weh und meine Augen tränen im¬merzu.« Ich ging ins Bad, um Franzbranntwein zu holen, über¬zeugt davon, Nina damit zu helfen.
Natürlich bin ich am nächsten Morgen mit ihr zu der Vertre¬tung unseres Hausarztes gegangen. Der hat sich auch Mühe bei der Untersuchung gegeben, ich sagte ihm, was der Augenarzt festgestellt hatte, er untersuchte sie, horchte und klopfte sie ab und schloss dann einen Virus aus. Er nahm Nina noch Blut ab und forderte mich auf, zwei Tage später das Ergebnis per Tele¬fon zu erfragen. Das tat ich auch, war alles in Ordnung.
Aber meinem Kind ging es nicht besser, jetzt lag sie nur noch, entweder in ihrem Bett oder im Wohnzimmer auf dem Sofa. Wollte nicht mehr essen, hatte Kopf- und Augenschmerzen, die Augen tränten jetzt permanent. Ich werde nie vergessen, wie Christoph, das ist Ninas siebzehnjähriger Bruder, mit Engels¬zungen auf das Kind eingeredet hat, sie möge doch irgendetwas von den leckeren Sachen essen, die er ihr unter die Nase hielt. Nur um ihrem liebsten Bruder einen Gefallen zu tun, biss sie eine Zahnspitze vom vorgehaltenen Würstchen ab. Nachdem sie nun zehn Stunden teilnahmslos vor dem Fernseher gelegen hatte, bat Nina darum, ins Bett gehen zu dürfen, wo sie auch zügig einschlief.
Christoph war wieder auf Sporttour und so saß ich mit Jörg, meinem Mann, im Wohnzimmer und wir zermarterten uns den Kopf, was mit unserem fröhlichen Engel los sein könnte. Inzwischen waren die Herbstferien so gut wie vorbei und Nina hatte nicht eine Verabredung gehabt, sie war nur um mich herumgeschlichen oder hatte mit Schmerzen gelegen, völlig gegen ihr sonstiges Wesen.
Ich ging also erneut mit ihr zum Arzt, unser Hausarzt, selbst Vater dreier Töchter, war noch nicht aus den Ferien zurück, also wieder zu seiner Vertretung. Er wusste sich keinen Rat und nahm noch mal Blut ab. Ich forderte ihn auf: »Testen Sie doch mal auf Leukämie!« Er sah mich ganz erschrocken an und fragte: »Glauben Sie an so etwas?« »Na hören Sie mal, das passt doch alles, irgendetwas stimmt mit Nina nicht, diese Schlappheit ist doch verdächtig«, rechtfertigte ich meine Forderung. Er tat, was ich vorgeschlagen hatte, aber auch hier: negativ! Damals war ich schwer erleichtert, heute sage ich immer wieder: »Wäre es bloß Leukämie gewesen, dann hätte meine Prinzessin wenigstens eine kleine Chance gehabt!«
Nina schlief immer gerne bei uns im Schlafzimmer, meistens kam sie nachts unbemerkt zu mir unter die Bettdecke gekrabbelt, ich fand das sehr schön. So auch heute Morgen, anders war nur, dass sie sofort nach dem Wachwerden spontan erbrechen musste. Es erschreckte mich furchtbar, als sie nach dem ersten Schwall aus dem Bett sprang, ins Badezimmer stürmte und würgend über der Kloschüssel hing. Da bekam ich es zum ersten Mal so richtig mit der Angst zu tun!
Ich stand in der Badezimmertür und dachte: »Irgendetwas muss jetzt passieren, das kann doch alles nicht so harmlos sein.« Heute war Freitag, der letzte Ferientag. Ich rief bei Dr. B. an, unserem Kinderarzt seit siebzehn Jahren. Nina hatte ihn nicht oft gesehen, weil sie nie krank war, außer ein paar Kleinigkeiten, aber mit Christoph war ich seit seiner Geburt, Nikolaus 1986, oft da. Ich schwor auf diesen Arzt und Nina mochte ihn sehr, er würde schon wissen, was mit unserer Prinzessin los war.
Als ich Dr. B. von den Problemen der letzten Wochen erzählte, maß er den Blutdruck bei Nina, 110/70, was ihn freudig rufen ließ: »Ach Janina, das ist ja viel zu niedriger Blutdruck, und wer bekommt so was, große schlanke Mädchen wie du!« Ich werde diese Szene niemals in meinem Leben vergessen, was für ein fataler Irrtum!
»Also, Frau Holz«, klärte mich Dr. B. auf, »Sie geben Janina jeden Morgen zehn Tropfen gegen Übelkeit, ich verschreibe sie Ihnen jetzt, Sie dürfen sie ihr aber erst ab morgen geben, weil wir zuerst ein EKG machen müssen, es muss nämlich eine Herzkrankheit ausgeschlossen sein.« An Nina gerichtet sagte er: »Und dann ist auch in ein paar Tagen alles wieder o. k. mit dir.« »Bin ich froh, Herr B., ich dachte schon, ich hab was ganz Schlimmes«, freute sie sich. Dass sie an der schlimmsten Krankheit litt, die man je kannte, schlimmer als Aids oder jede andere Krebserkrankung, war zu dem Zeitpunkt für niemand von uns vorstellbar.
Natürlich hatte Nina keine Herzerkrankung und sie sollte jetzt die Tropfen nehmen. Am nächsten Tag musste ich um 6.10 Uhr das Haus verlassen, der erste Schultag. Ich arbeitete bei einem Behindertenfahrdienst, brachte körperlich und geistig behinderte Kinder zur Schule nach Laatzen. Nina stand immer alleine auf, das hatte bisher wunderbar geklappt. Eines dieser Kinder wohnte bei uns in der Straße, und wenn ich das Mädchen ins Auto gesetzt hatte, fuhr ich direkt an unserer Haustür vorbei. Nina stand dann immer an der Tür und winkte, heute stand sie da nicht! Ich war vielleicht zwei Kilometer von zu Hause entfernt, als mein Handy klingelte, Nina! Ich nahm ab und sie weinte: »Mama, ich hab solche Kopfschmerzen und gebrochen habe ich auch schon wieder!« »Nina, nimm die Tropfen von Dr. B.«, riet ich ihr. »Hab ich doch schon«, jammerte sie ins Telefon. Mein Gott, hatte ich ein schlechtes Gewissen!
Meinem Kind ging es schlecht, sie wird Angst und Schmerzen haben und ich fahre fremde Kinder durch die Gegend! Ich beruhigte sie, so gut es ging, und sagte: »Nini, ich weiß nicht, wie schlecht es dir geht, entscheide du, ob du zur Schule gehen willst, ich bin in neunzig Minuten zu Hause.« Was sollte ich sonst tun?
Als ich um 8.30 Uhr ankam, lag sie im Wohnzimmer auf dem Sofa, den Arm über die Augen gelegt und wirkte irgendwie apathisch. So lag sie, bis abends Jörg nach Hause kam. Wir setzten uns beide neben sie auf das gegenüberliegende Sofa und Jörg fing an zu fragen: »Kind, was ist los mit dir? Hast du Ärger in der Schule, hat dir irgendjemand etwas getan, worüber du nicht sprechen magst? Red doch mal!« Insgeheim hofften wir, dass Ninas Veränderung mit der Schule zusammenhing, im Gymnasium stellten sie hohe Ansprüche, die sie aber eigentlich immer locker gemeistert hatte. »Ich weiß es doch auch nicht, mein ganzer Kopf tut weh, meine Augen, alles!«, war ihre Antwort. Sie weinte jetzt, ich glaube, vor Erschöpfung und Schmerzen, die so schlimm gewesen sein müssen, wie wir es uns wohl nicht ausmalen können. »Komm, ich bring dich ins Bett«, schlug Jörg vor. Als Nina aufstand, nahm er sie in die Arme und drückte sie voller Sorge an sich, als er mich erstaunt fragte: »Sag mal, Ute, hast du schon mal gehört, wie Ninas Herz rast? Komm mal her, hör dir das mal an, das ist doch nicht normal!« Natürlich legte ich mein Ohr auf Ninas Herz, hörte das schnelle Schlagen auch und es machte mir Angst. Wir brachten sie gemeinsam ins Bett, und als sie dann zum Schlafen fertig war, wollte ich den Herzschlag noch einmal hören, ich war vollkommen entsetzt, jetzt schlug es so langsam, dass ich fürchtete, es würde gleich ganz aufhören. Tausende Gedanken schossen mir durch den Kopf, was war los? Nina nahm die Tropfen, sie brach weiter, die Kopfschmerzen wurden nicht besser, sie aß nicht! Das konnte nicht so harmlos sein, wie mir alle weismachen wollten.
Am nächsten Tag fuhr ich wieder mit Nina zu Dr. B., sie hatte erneut gebrochen, nichts hatte sich geändert. Ich erzählte ihm von dem Herzschlag, seine Antwort: »Da können Sie mal sehen, wie sehr der Kreislauf schon belastet ist. Geben Sie Nina weiter die Tropfen, es wird schon besser.« Wir waren entlassen. »Verdammt noch mal, das kann doch nicht am Kreislauf liegen, Nina war ein durchtrainiertes Kind, unglaublich sportlich und aktiv, so ein Mädchen bekommt doch nicht solche Kreislaufprobleme, dass ihr übel wird, dass sie Schwindelattacken hat oder Schmerzen«, waren meine Gedanken.
9. November, ich hatte heute Geburtstag. Meiner Tochter ging es ganz gut, sie ging zur Schule und ich dachte schon: »Endlich Besserung in Sicht, das wurde aber auch Zeit.« Um 14 Uhr kam sie aus der Schule, ich wollte, dass mein Kind mit mir mitfuhr, die Kinder in Laatzen abzuholen. Sie wollte aber nicht, stattdessen würde sie ins Dorf gehen, um mir etwas zum Geburtstag zu kaufen. Ich machte mich also fertig zum Losfahren, sagte zu Nina: »Nini, wenn du nachher ins Dorf gehst ... « Weiter kam ich nicht, denn mit völligem Entsetzen hörte ich sie sagen: »Wieso, was soll ich denn da?« Ich konnte es nicht fassen, sah sie nur an und sprach: »Du hast doch eben zu mir gesagt, dass du ins Dorf gehen willst, um mir was zum Geburtstag zu kaufen.« »Ja, hab ich das? Weiß ich gar nicht mehr!« Sie drehte sich um und lächelte mich so süß und unschuldig an. Angst und Fassungslosigkeit machte sich in meinem Kopf breit. Was hatte das zu bedeuten? Sicherlich nichts Gutes, das war Fakt! Mit einem sehr unguten Gefühl fuhr ich los und nach knapp zwei Stunden war ich wieder zu Hause. Nina schenkte mir ein Foto, eingerahmt in einen selbst gebastelten Papierrahmen, das war sehr süß.
Nun musste ich mich langsam beeilen, ich bekam Gäste und wollte ein deftiges Abendbrot auf den Tisch bringen. Nina machte Hausaufgaben und war gut drauf. Es wurde ein netter Abend mit viel Kerzenlicht in ausgelassener Stimmung, ... bis 20 Uhr. Da schlug meine Prinzessin plötzlich beide Hände an ihren Kopf. Mit schmerzverzerrtem Gesicht stammelte sie: »Oh, jetzt krieg ich schon wieder solche Kopfschmerzen!« Sie legte ihren Kopf auf die Tischplatte und schloss die Augen. Alle saßen am ausgezogenen Esstisch und jeder guckte verwirrt in die Runde. Jedem war bewusst, dass da was ganz und gar nicht Gutes im Anmarsch war. Ich ging zu Nina, nahm sie in den Arm und sagte: »Komm, Nini, ich bring dich ins Bett.« Sie stand sofort auf und ich ging mit ihr im Schlepptau die Treppe rauf in ihr Zimmer. Sie saß auf ihrem Bett und rief immer wieder, ihren Kopf zwischen den Händen: »Mein Kopf, mein Kopf!« »Wir fahren jetzt in das Kinderkrankenhaus auf der Bult, ich bekomme es langsam mit der Angst, Nina!« Sie jammerte: »Ich will da nicht hin, ich will nicht ins Krankenhaus, Mama.« Ich wollte es wohl auch einfach nicht wahrhaben, jedenfalls fuhren wir nicht! Heute kann ich überhaupt nicht mehr nachvollziehen, warum nicht!? Auch wenn es nichts mehr an der Diagnose geändert hätte, es hätte Nina zumindest ein paar Tage weniger Schmerzen gebracht! Sie schlief schnell ein, ich ging wieder nach unten ins Wohnzimmer, setzte mich an den Tisch zu meinen Gästen und allen war klar, dass das keine Kreislaufbeschwerden waren.
Was sollten wir bloß tun, ich war jetzt mehrmals beim Arzt mit meinem Kind, hatte mir wirklich nichts vorzuwerfen, aber irgendwie traten wir auf der Stelle. Mal sehen, wie es Nina morgen ging. Ich musste wieder früh raus, um 6.10 Uhr verließ ich das Haus mit einem unglaublich schlechten Gewissen. Ich brauchte freie Tage, bis geklärt war, was mit ihr los war, aber das ging nicht. Als ich die Kinder in Laatzen abgesetzt hatte, fuhr ich gleich nach Hause, von Nina hatte ich noch nichts gehört, bis um 10 Uhr das Telefon klingelte. Sie war es, rief aus der Schule an, weinte: »Mama, kannst du mich abholen, ich habe schon wieder gebrochen, hab das nicht bis zur Toilette geschafft und mir auf den Arm gebrochen, ich hab solche Kopfschmerzen und mir ist total übel.« »Nina, ich fahr sofort los, warte vor der Schule, ich bin in zehn Minuten da.« In Windeseile sprang ich in meine Schuhe, rannte zu meinem Kleinbus und fuhr los. Als ich an der Schule ankam, stand sie mit einer Klassenkameradin auf dem Bürgersteig, ich war entsetzt über Ninas Aussehen! Wie ein Gespenst, schneeweiß im Gesicht. Schnell stieg ich aus, lief um den Bus herum, half ihr, in den Wagen zu stolpern. Sie machte einen unglaublich geschwächten Eindruck. Dann raste ich auf dem schnellsten Wege zum Hausarzt, der seine Praxis gleich um die Ecke hatte und aus dem Urlaub endlich zurück war. Ich hoffte, dass er jetzt akut irgendetwas feststellte, was uns weiterbringen könnte. Wir konnten sofort ins Behandlungszimmer durchgehen. Dr. Gerns kam sehr zügig, ich erzählte ihm alles, was in den letzten Wochen vorgefallen war. Auch er maß den Blutdruck, ich kann mich daran erinnern, dass er Ninas Bauch schallte, sogar die Halsschlagader hat er mitgeschallt. Jedenfalls lehnte er sich zurück und sprach: »Dr. B. hat recht, Janina, du bist ja völlig unterzuckert, du musst essen, frühstücken.« Das durfte alles nicht wahr sein, immer dasselbe. Ich hab viel gelesen, bin dafür auch oft ausgelacht worden, aber dass Kreislaufprobleme solche gravierenden Symptome hervorrufen sollten, das war mir wirklich neu. Wir kamen nicht weiter, ich wusste nicht mehr, was ich noch unternehmen konnte, und fuhr mit meinem offensichtlich sehr kranken Kind nach Hause.
Bezüglich meiner Arbeit musste ich mir irgendwas einfallen lassen, nur was? Erst mal rief ich meine Mutter an und bat sie, um 14 Uhr vorbeizukommen, damit ich Nina nicht alleine lassen musste, wenn ich nach Laatzen fuhr. Dann kochte ich meiner Tochter Tee, den sie nicht anrührte. Sie lag reglos auf dem Sofa, wie immer den Arm über die Augen gelegt und rührte sich nicht. »Engel, hast du Schmerzen? Tun deine Augen wieder weh?« Ich traute mich kaum noch zu fragen, weil ich Angst vor der Antwort hatte. Sie nickte nur und ich fragte weiter: »Soll ich dir mal Paracetamoltropfen geben? Die sind gegen Schmerzen.« Wieder kam nur ein Nicken. Das Einzige, was Nina an diesem Tag noch sagte, war: »Mama, die Tropfen helfen überhaupt nicht.« Um 13.30 Uhr kam meine Mutter. Sie hatte vier Enkelkinder, aber Nina war ihr Liebling. Meine Mutter hat es immer beeindruckt, dass Nina so wissbegierig war, und wenn sie einen Wunsch hatte, was selten vorkam, dann erfüllte meine Mum den immer gerne. Jetzt setzte sie sich zu Nina ans Sofa, damit ich loskonnte. Ich las es meiner Mutter vom Gesicht ab, dass sie genauso eine Angst um unser Kind hatte wie wir.
In Laatzen traf ich den Fahrdienstleiter. Ich erzählte ihm, dass ich zu Hause ein offensichtlich sehr krankes Kind hatte und nicht wüsste, wie lange ich die Kinder noch fahren könnte. Er solle sich schon mal um Ersatz kümmern. Das war kein Problem für ihn, was mich erleichterte.
Ich beeilte mich sehr, nach Hause zu kommen, hatte nur noch Angst, dass etwas Schreckliches passierte. Meine Mutter schüttelte mit dem Kopf, als ich zur Tür reinkam, was hieß: keine Veränderung.
Am nächsten Tag das gleiche Spiel. Ich verließ um 6.10 Uhr das Haus und ließ mein krankes Kind allein, das würde heute das letzte Mal sein, mir war es inzwischen völlig egal, ob bei diesem Fahrdienst alles zusammenbrach oder nicht, es interessierte mich nicht, ich wollte nur noch für mein Kind da sein, hatte schon viel zu lange gezögert aus Pflichtbewusstsein. Nachdem ich die Kinder sicher an der Schule abgeliefert hatte, raste ich zurück nach Hause, als ob der Teufel hinter mir her wäre, aber es war nicht der Teufel, es war der Tod, das wusste ich zu dem Zeitpunkt nur noch nicht.
Ich schloss die Haustür auf und horchte. Das Radio lief noch, mir war sofort klar: Nina war nicht aufgestanden, sonst hätte sie den Fernsehapparat angemacht, dann wäre das Radio aus. Das Licht an der Treppe brannte noch, ich hatte es angelassen, weil ich Angst hatte, sie würde aufstehen und die Treppe herunterfallen. In Windeseile riss ich mir die Schuhe von den Füßen und stürmte die Treppe rauf ins Schlafzimmer. Da lag sie - in Jörgs Bett! Als ich sie ansprach, hatte ich den Eindruck, sie ist ganz weit weg. Es kostete sie offensichtlich eine übermäßige Kraft, mir zu antworten, ihre Stimme klang schwimmend, es war fast ein Lallen. Fast dreißig Minuten habe ich auf Nina eingeredet, sie angebettelt aufzustehen. Wie blöd! Warum habe ich ihr diese Quälerei nicht erspart und gleich den Krankenwagen gerufen? Ich weiß es nicht! Sie brachte es fertig aufzustehen, ich hatte sie im Arm und wir gingen ganz langsam die Treppe hinunter. Nachdem ich Nina auf das Sofa geschafft hatte, zog ich sie an. Sie hatte keine Kraft mehr, mich irgendwie zu unterstützen, die Beine und Arme hingen schlapp an ihrem Körper herunter. Den Zustand meines Kindes würde ich jetzt als dramatisch bezeichnen, mal sehen, wie Dr. B. das Verhalten interpretieren würde! Ich war schweißgebadet, als ich es endlich geschafft hatte, Nina in meinen Bus zu setzen, vor Schwäche, Angst und Panik!
Auch ein Bild, das sich in mein Gehirn gebrannt hat: Nina in ihrer Jeansjacke mit dem dicken Pelzkragen, wie sie an meiner Hand zur Praxis geht, die langen blonden Haare wehen im Novemberwind und sie sagt: »Mama, es ist soo anstrengend zu laufen.« Zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit lag Nina jetzt bei Dr. B. auf der Behandlungsliege. Hastig erzählte ich ihm, was an meinem Geburtstag vorgefallen war, dass mein Kind offensichtlich vergaß, was es sagte. Seine Reaktion: ein Lächeln! Ich fand es nicht so lustig. Wieder nahm er ihr Blut ab, zum wievielten Mal eigentlich? Mein Kind lag nur reglos auf der Liege, keine Kommunikation mehr möglich. Irgendwie spürte ich, dass Dr. B. nicht wusste, was er noch tun sollte, er war ratlos. Da fasste ich mir mit den Fingerspitzen der rechten Hand an die Stirn und sagte: »Machen Sie doch mal ein EEG, das Kind hat doch was im Kopf!« Da drehte er sich zu mir um und pflaumte mich an: »Also, Frau Holz, wenn Sie jetzt hier hysterisch werden, hilft uns das auch nicht weiter, es gibt mehr als zwanzig verschiedene Krankheiten, die Kopfschmerzen verursachen, ich weiß auch nicht, was mit Janina los ist, aber das ist doch nichts Schlimmes!« Ich habe darauf nichts mehr geantwortet, aber Monate später, als Nina schon gestorben war, wurde mir klar, dass Dr. B. der war, der kurz vor der Hysterie stand. Er wusste nicht mehr weiter und sprang in seinem Behandlungszimmer herum wie Rumpelstilzchen! Wir bekamen andere Medikamente gegen Übelkeit und Schmerzen und waren entlassen. Sah er nicht, was mit Nina los war? Ich war ihre Mutter, ich wusste, dass mein Kind nicht wiederzuerkennen war, und jeder, der sie kannte, wusste es auch, nur Dr. B. wollte es nicht wissen. Warum hatte er kein EEG gemacht? Weil der Vorschlag von mir war, weil es nicht sein konnte, dass ein Arzt sich von einer Mutter sagen lassen musste, wie er zu behandeln hatte?
Irgendwie habe ich Nina nach Hause geschleppt, dort lag sie wieder völlig apathisch auf dem Sofa, keine Regung kam mehr von ihr. Ich rief den Fahrdienstleiter an und teilte ihm mit, dass ich ab sofort nicht mehr fahren würde, den Bus würde ich irgendwie nach Hannover bringen und mich dann bis auf Weiteres verabschieden.
Am frühen Mittag kam Jörg während der Arbeitszeit nach Hause, er hatte in Burgdorf zu tun und wollte sehen, wie es Nini ging. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er sah, dass sie gar nicht mehr auf Ansprechen reagierte. Ich flüsterte ihm leise zu: »Jörg, ich glaube, ich rufe einen Krankenwagen, das Kind stirbt uns hier weg!« Das war, wie sich später herausstellte, kein bisschen übertrieben. Eigentlich war Jörg auch einer von denen, die meinten, ich neige zu starken Übertreibungen, aber als ich jetzt diesen Satz sagte, nickte er nur stumm. Dann kam meine Mutter, sah Nina und die Tränen schossen ihr in die Augen. Einen Moment später kam Petra, die Frau meines Bruders, von der Arbeit nach Hause und wie immer kam sie wenig später zu uns rüber, um zu klönen. Wir hatten zusammen ein Doppelhaus gebaut und so war der Weg von einem zum anderen nie weit. Auch zu Petra sagte ich: »Ich hole einen Krankenwagen, das Kind stirbt uns hier weg, Nina hat doch was im Kopf.« Meine Stimme zitterte schon, das war alles so unglaublich! Auch Petra schossen gleich die Tränen in die Augen, als sie antwortete: »Mensch, Ute, hör auf!« »Warum?«, erwiderte ich, »warum soll so etwas immer nur anderen passieren?« Inzwischen war ich von meiner Theorie überzeugt, Nina musste irgendetwas im Kopf haben, aber an einen Tumor habe ich dabei nicht gedacht.
© 2011 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Augsburg
Es war der erste Tag der Herbstferien des Jahres 2004, ein Samstag, an dem alles begann. Nina war mit Mareike, einer ihrer besten Freundinnen, verabredet, aber als sie morgens wach wurde, war ihr übel und relativ schnell musste sie sich übergeben. Das war jetzt nicht so außergewöhnlich, sodass ich mir keine großen Sorgen machte, am Vortag war ja schließlich noch alles o. k. Irgendwie war sie still und anders, sie lag nur auf dem Sofa, hatte keinen Appetit und zu Mareike wollte sie par¬tout nicht. Ich rief Lore an, Mareikes Mutter, die mit den Jahren eine gute Freundin geworden war, und teilte ihr mit, dass Nina nicht gut drauf wäre, und wir verschoben das Spielen.
Über das Wochenende wurde ihr Zustand nicht besser, im Ge¬genteil! Jetzt klagte sie auch noch über Augenschmerzen, was Eltern natürlich erst mal dazu veranlasst zu sagen: »Nina, dann musst du nicht so viel fernsehen, dann tun dir auch die Augen nicht weh.« Mein Gott, was schämt man sich heute für diesen gesagten Satz!
Am Montag war immer noch keine Besserung eingetreten, also entschloss ich mich, mein Kind einzupacken und beim Augenarzt vorzustellen, der auch sehr schnell eine Diagnose parat hatte. Dieser stellte nämlich fest, dass Ninas Augen nicht gleichmäßig guckten. Er erklärte uns: »Bei Ihrer Toch¬ter handelt es sich bloß um eine Entwicklungsgeschichte, die Augen sind nicht parallel entwickelt, das gibt sich während der Pubertät, eine Brille bringt da keine Abhilfe.« Wir waren beide zufrieden mit dieser Aussage und gingen beruhigt nach Hause.
Ninas Verhalten änderte sich von da an tagtäglich, sie bekam Kopfschmerzen, dann sagte sie mir ganz unvermittelt: »Mama, immer wenn ich aufstehe, wird mir ganz schwindelig und ich denke, ich falle um.« »Ach Nina«, beruhigte ich sie, »so schnell fällt man nicht um, das ist bestimmt der Kreislauf.« »Ja, aber mein Nacken tut mir auch so weh und meine Augen tränen im¬merzu.« Ich ging ins Bad, um Franzbranntwein zu holen, über¬zeugt davon, Nina damit zu helfen.
Natürlich bin ich am nächsten Morgen mit ihr zu der Vertre¬tung unseres Hausarztes gegangen. Der hat sich auch Mühe bei der Untersuchung gegeben, ich sagte ihm, was der Augenarzt festgestellt hatte, er untersuchte sie, horchte und klopfte sie ab und schloss dann einen Virus aus. Er nahm Nina noch Blut ab und forderte mich auf, zwei Tage später das Ergebnis per Tele¬fon zu erfragen. Das tat ich auch, war alles in Ordnung.
Aber meinem Kind ging es nicht besser, jetzt lag sie nur noch, entweder in ihrem Bett oder im Wohnzimmer auf dem Sofa. Wollte nicht mehr essen, hatte Kopf- und Augenschmerzen, die Augen tränten jetzt permanent. Ich werde nie vergessen, wie Christoph, das ist Ninas siebzehnjähriger Bruder, mit Engels¬zungen auf das Kind eingeredet hat, sie möge doch irgendetwas von den leckeren Sachen essen, die er ihr unter die Nase hielt. Nur um ihrem liebsten Bruder einen Gefallen zu tun, biss sie eine Zahnspitze vom vorgehaltenen Würstchen ab. Nachdem sie nun zehn Stunden teilnahmslos vor dem Fernseher gelegen hatte, bat Nina darum, ins Bett gehen zu dürfen, wo sie auch zügig einschlief.
Christoph war wieder auf Sporttour und so saß ich mit Jörg, meinem Mann, im Wohnzimmer und wir zermarterten uns den Kopf, was mit unserem fröhlichen Engel los sein könnte. Inzwischen waren die Herbstferien so gut wie vorbei und Nina hatte nicht eine Verabredung gehabt, sie war nur um mich herumgeschlichen oder hatte mit Schmerzen gelegen, völlig gegen ihr sonstiges Wesen.
Ich ging also erneut mit ihr zum Arzt, unser Hausarzt, selbst Vater dreier Töchter, war noch nicht aus den Ferien zurück, also wieder zu seiner Vertretung. Er wusste sich keinen Rat und nahm noch mal Blut ab. Ich forderte ihn auf: »Testen Sie doch mal auf Leukämie!« Er sah mich ganz erschrocken an und fragte: »Glauben Sie an so etwas?« »Na hören Sie mal, das passt doch alles, irgendetwas stimmt mit Nina nicht, diese Schlappheit ist doch verdächtig«, rechtfertigte ich meine Forderung. Er tat, was ich vorgeschlagen hatte, aber auch hier: negativ! Damals war ich schwer erleichtert, heute sage ich immer wieder: »Wäre es bloß Leukämie gewesen, dann hätte meine Prinzessin wenigstens eine kleine Chance gehabt!«
Nina schlief immer gerne bei uns im Schlafzimmer, meistens kam sie nachts unbemerkt zu mir unter die Bettdecke gekrabbelt, ich fand das sehr schön. So auch heute Morgen, anders war nur, dass sie sofort nach dem Wachwerden spontan erbrechen musste. Es erschreckte mich furchtbar, als sie nach dem ersten Schwall aus dem Bett sprang, ins Badezimmer stürmte und würgend über der Kloschüssel hing. Da bekam ich es zum ersten Mal so richtig mit der Angst zu tun!
Ich stand in der Badezimmertür und dachte: »Irgendetwas muss jetzt passieren, das kann doch alles nicht so harmlos sein.« Heute war Freitag, der letzte Ferientag. Ich rief bei Dr. B. an, unserem Kinderarzt seit siebzehn Jahren. Nina hatte ihn nicht oft gesehen, weil sie nie krank war, außer ein paar Kleinigkeiten, aber mit Christoph war ich seit seiner Geburt, Nikolaus 1986, oft da. Ich schwor auf diesen Arzt und Nina mochte ihn sehr, er würde schon wissen, was mit unserer Prinzessin los war.
Als ich Dr. B. von den Problemen der letzten Wochen erzählte, maß er den Blutdruck bei Nina, 110/70, was ihn freudig rufen ließ: »Ach Janina, das ist ja viel zu niedriger Blutdruck, und wer bekommt so was, große schlanke Mädchen wie du!« Ich werde diese Szene niemals in meinem Leben vergessen, was für ein fataler Irrtum!
»Also, Frau Holz«, klärte mich Dr. B. auf, »Sie geben Janina jeden Morgen zehn Tropfen gegen Übelkeit, ich verschreibe sie Ihnen jetzt, Sie dürfen sie ihr aber erst ab morgen geben, weil wir zuerst ein EKG machen müssen, es muss nämlich eine Herzkrankheit ausgeschlossen sein.« An Nina gerichtet sagte er: »Und dann ist auch in ein paar Tagen alles wieder o. k. mit dir.« »Bin ich froh, Herr B., ich dachte schon, ich hab was ganz Schlimmes«, freute sie sich. Dass sie an der schlimmsten Krankheit litt, die man je kannte, schlimmer als Aids oder jede andere Krebserkrankung, war zu dem Zeitpunkt für niemand von uns vorstellbar.
Natürlich hatte Nina keine Herzerkrankung und sie sollte jetzt die Tropfen nehmen. Am nächsten Tag musste ich um 6.10 Uhr das Haus verlassen, der erste Schultag. Ich arbeitete bei einem Behindertenfahrdienst, brachte körperlich und geistig behinderte Kinder zur Schule nach Laatzen. Nina stand immer alleine auf, das hatte bisher wunderbar geklappt. Eines dieser Kinder wohnte bei uns in der Straße, und wenn ich das Mädchen ins Auto gesetzt hatte, fuhr ich direkt an unserer Haustür vorbei. Nina stand dann immer an der Tür und winkte, heute stand sie da nicht! Ich war vielleicht zwei Kilometer von zu Hause entfernt, als mein Handy klingelte, Nina! Ich nahm ab und sie weinte: »Mama, ich hab solche Kopfschmerzen und gebrochen habe ich auch schon wieder!« »Nina, nimm die Tropfen von Dr. B.«, riet ich ihr. »Hab ich doch schon«, jammerte sie ins Telefon. Mein Gott, hatte ich ein schlechtes Gewissen!
Meinem Kind ging es schlecht, sie wird Angst und Schmerzen haben und ich fahre fremde Kinder durch die Gegend! Ich beruhigte sie, so gut es ging, und sagte: »Nini, ich weiß nicht, wie schlecht es dir geht, entscheide du, ob du zur Schule gehen willst, ich bin in neunzig Minuten zu Hause.« Was sollte ich sonst tun?
Als ich um 8.30 Uhr ankam, lag sie im Wohnzimmer auf dem Sofa, den Arm über die Augen gelegt und wirkte irgendwie apathisch. So lag sie, bis abends Jörg nach Hause kam. Wir setzten uns beide neben sie auf das gegenüberliegende Sofa und Jörg fing an zu fragen: »Kind, was ist los mit dir? Hast du Ärger in der Schule, hat dir irgendjemand etwas getan, worüber du nicht sprechen magst? Red doch mal!« Insgeheim hofften wir, dass Ninas Veränderung mit der Schule zusammenhing, im Gymnasium stellten sie hohe Ansprüche, die sie aber eigentlich immer locker gemeistert hatte. »Ich weiß es doch auch nicht, mein ganzer Kopf tut weh, meine Augen, alles!«, war ihre Antwort. Sie weinte jetzt, ich glaube, vor Erschöpfung und Schmerzen, die so schlimm gewesen sein müssen, wie wir es uns wohl nicht ausmalen können. »Komm, ich bring dich ins Bett«, schlug Jörg vor. Als Nina aufstand, nahm er sie in die Arme und drückte sie voller Sorge an sich, als er mich erstaunt fragte: »Sag mal, Ute, hast du schon mal gehört, wie Ninas Herz rast? Komm mal her, hör dir das mal an, das ist doch nicht normal!« Natürlich legte ich mein Ohr auf Ninas Herz, hörte das schnelle Schlagen auch und es machte mir Angst. Wir brachten sie gemeinsam ins Bett, und als sie dann zum Schlafen fertig war, wollte ich den Herzschlag noch einmal hören, ich war vollkommen entsetzt, jetzt schlug es so langsam, dass ich fürchtete, es würde gleich ganz aufhören. Tausende Gedanken schossen mir durch den Kopf, was war los? Nina nahm die Tropfen, sie brach weiter, die Kopfschmerzen wurden nicht besser, sie aß nicht! Das konnte nicht so harmlos sein, wie mir alle weismachen wollten.
Am nächsten Tag fuhr ich wieder mit Nina zu Dr. B., sie hatte erneut gebrochen, nichts hatte sich geändert. Ich erzählte ihm von dem Herzschlag, seine Antwort: »Da können Sie mal sehen, wie sehr der Kreislauf schon belastet ist. Geben Sie Nina weiter die Tropfen, es wird schon besser.« Wir waren entlassen. »Verdammt noch mal, das kann doch nicht am Kreislauf liegen, Nina war ein durchtrainiertes Kind, unglaublich sportlich und aktiv, so ein Mädchen bekommt doch nicht solche Kreislaufprobleme, dass ihr übel wird, dass sie Schwindelattacken hat oder Schmerzen«, waren meine Gedanken.
9. November, ich hatte heute Geburtstag. Meiner Tochter ging es ganz gut, sie ging zur Schule und ich dachte schon: »Endlich Besserung in Sicht, das wurde aber auch Zeit.« Um 14 Uhr kam sie aus der Schule, ich wollte, dass mein Kind mit mir mitfuhr, die Kinder in Laatzen abzuholen. Sie wollte aber nicht, stattdessen würde sie ins Dorf gehen, um mir etwas zum Geburtstag zu kaufen. Ich machte mich also fertig zum Losfahren, sagte zu Nina: »Nini, wenn du nachher ins Dorf gehst ... « Weiter kam ich nicht, denn mit völligem Entsetzen hörte ich sie sagen: »Wieso, was soll ich denn da?« Ich konnte es nicht fassen, sah sie nur an und sprach: »Du hast doch eben zu mir gesagt, dass du ins Dorf gehen willst, um mir was zum Geburtstag zu kaufen.« »Ja, hab ich das? Weiß ich gar nicht mehr!« Sie drehte sich um und lächelte mich so süß und unschuldig an. Angst und Fassungslosigkeit machte sich in meinem Kopf breit. Was hatte das zu bedeuten? Sicherlich nichts Gutes, das war Fakt! Mit einem sehr unguten Gefühl fuhr ich los und nach knapp zwei Stunden war ich wieder zu Hause. Nina schenkte mir ein Foto, eingerahmt in einen selbst gebastelten Papierrahmen, das war sehr süß.
Nun musste ich mich langsam beeilen, ich bekam Gäste und wollte ein deftiges Abendbrot auf den Tisch bringen. Nina machte Hausaufgaben und war gut drauf. Es wurde ein netter Abend mit viel Kerzenlicht in ausgelassener Stimmung, ... bis 20 Uhr. Da schlug meine Prinzessin plötzlich beide Hände an ihren Kopf. Mit schmerzverzerrtem Gesicht stammelte sie: »Oh, jetzt krieg ich schon wieder solche Kopfschmerzen!« Sie legte ihren Kopf auf die Tischplatte und schloss die Augen. Alle saßen am ausgezogenen Esstisch und jeder guckte verwirrt in die Runde. Jedem war bewusst, dass da was ganz und gar nicht Gutes im Anmarsch war. Ich ging zu Nina, nahm sie in den Arm und sagte: »Komm, Nini, ich bring dich ins Bett.« Sie stand sofort auf und ich ging mit ihr im Schlepptau die Treppe rauf in ihr Zimmer. Sie saß auf ihrem Bett und rief immer wieder, ihren Kopf zwischen den Händen: »Mein Kopf, mein Kopf!« »Wir fahren jetzt in das Kinderkrankenhaus auf der Bult, ich bekomme es langsam mit der Angst, Nina!« Sie jammerte: »Ich will da nicht hin, ich will nicht ins Krankenhaus, Mama.« Ich wollte es wohl auch einfach nicht wahrhaben, jedenfalls fuhren wir nicht! Heute kann ich überhaupt nicht mehr nachvollziehen, warum nicht!? Auch wenn es nichts mehr an der Diagnose geändert hätte, es hätte Nina zumindest ein paar Tage weniger Schmerzen gebracht! Sie schlief schnell ein, ich ging wieder nach unten ins Wohnzimmer, setzte mich an den Tisch zu meinen Gästen und allen war klar, dass das keine Kreislaufbeschwerden waren.
Was sollten wir bloß tun, ich war jetzt mehrmals beim Arzt mit meinem Kind, hatte mir wirklich nichts vorzuwerfen, aber irgendwie traten wir auf der Stelle. Mal sehen, wie es Nina morgen ging. Ich musste wieder früh raus, um 6.10 Uhr verließ ich das Haus mit einem unglaublich schlechten Gewissen. Ich brauchte freie Tage, bis geklärt war, was mit ihr los war, aber das ging nicht. Als ich die Kinder in Laatzen abgesetzt hatte, fuhr ich gleich nach Hause, von Nina hatte ich noch nichts gehört, bis um 10 Uhr das Telefon klingelte. Sie war es, rief aus der Schule an, weinte: »Mama, kannst du mich abholen, ich habe schon wieder gebrochen, hab das nicht bis zur Toilette geschafft und mir auf den Arm gebrochen, ich hab solche Kopfschmerzen und mir ist total übel.« »Nina, ich fahr sofort los, warte vor der Schule, ich bin in zehn Minuten da.« In Windeseile sprang ich in meine Schuhe, rannte zu meinem Kleinbus und fuhr los. Als ich an der Schule ankam, stand sie mit einer Klassenkameradin auf dem Bürgersteig, ich war entsetzt über Ninas Aussehen! Wie ein Gespenst, schneeweiß im Gesicht. Schnell stieg ich aus, lief um den Bus herum, half ihr, in den Wagen zu stolpern. Sie machte einen unglaublich geschwächten Eindruck. Dann raste ich auf dem schnellsten Wege zum Hausarzt, der seine Praxis gleich um die Ecke hatte und aus dem Urlaub endlich zurück war. Ich hoffte, dass er jetzt akut irgendetwas feststellte, was uns weiterbringen könnte. Wir konnten sofort ins Behandlungszimmer durchgehen. Dr. Gerns kam sehr zügig, ich erzählte ihm alles, was in den letzten Wochen vorgefallen war. Auch er maß den Blutdruck, ich kann mich daran erinnern, dass er Ninas Bauch schallte, sogar die Halsschlagader hat er mitgeschallt. Jedenfalls lehnte er sich zurück und sprach: »Dr. B. hat recht, Janina, du bist ja völlig unterzuckert, du musst essen, frühstücken.« Das durfte alles nicht wahr sein, immer dasselbe. Ich hab viel gelesen, bin dafür auch oft ausgelacht worden, aber dass Kreislaufprobleme solche gravierenden Symptome hervorrufen sollten, das war mir wirklich neu. Wir kamen nicht weiter, ich wusste nicht mehr, was ich noch unternehmen konnte, und fuhr mit meinem offensichtlich sehr kranken Kind nach Hause.
Bezüglich meiner Arbeit musste ich mir irgendwas einfallen lassen, nur was? Erst mal rief ich meine Mutter an und bat sie, um 14 Uhr vorbeizukommen, damit ich Nina nicht alleine lassen musste, wenn ich nach Laatzen fuhr. Dann kochte ich meiner Tochter Tee, den sie nicht anrührte. Sie lag reglos auf dem Sofa, wie immer den Arm über die Augen gelegt und rührte sich nicht. »Engel, hast du Schmerzen? Tun deine Augen wieder weh?« Ich traute mich kaum noch zu fragen, weil ich Angst vor der Antwort hatte. Sie nickte nur und ich fragte weiter: »Soll ich dir mal Paracetamoltropfen geben? Die sind gegen Schmerzen.« Wieder kam nur ein Nicken. Das Einzige, was Nina an diesem Tag noch sagte, war: »Mama, die Tropfen helfen überhaupt nicht.« Um 13.30 Uhr kam meine Mutter. Sie hatte vier Enkelkinder, aber Nina war ihr Liebling. Meine Mutter hat es immer beeindruckt, dass Nina so wissbegierig war, und wenn sie einen Wunsch hatte, was selten vorkam, dann erfüllte meine Mum den immer gerne. Jetzt setzte sie sich zu Nina ans Sofa, damit ich loskonnte. Ich las es meiner Mutter vom Gesicht ab, dass sie genauso eine Angst um unser Kind hatte wie wir.
In Laatzen traf ich den Fahrdienstleiter. Ich erzählte ihm, dass ich zu Hause ein offensichtlich sehr krankes Kind hatte und nicht wüsste, wie lange ich die Kinder noch fahren könnte. Er solle sich schon mal um Ersatz kümmern. Das war kein Problem für ihn, was mich erleichterte.
Ich beeilte mich sehr, nach Hause zu kommen, hatte nur noch Angst, dass etwas Schreckliches passierte. Meine Mutter schüttelte mit dem Kopf, als ich zur Tür reinkam, was hieß: keine Veränderung.
Am nächsten Tag das gleiche Spiel. Ich verließ um 6.10 Uhr das Haus und ließ mein krankes Kind allein, das würde heute das letzte Mal sein, mir war es inzwischen völlig egal, ob bei diesem Fahrdienst alles zusammenbrach oder nicht, es interessierte mich nicht, ich wollte nur noch für mein Kind da sein, hatte schon viel zu lange gezögert aus Pflichtbewusstsein. Nachdem ich die Kinder sicher an der Schule abgeliefert hatte, raste ich zurück nach Hause, als ob der Teufel hinter mir her wäre, aber es war nicht der Teufel, es war der Tod, das wusste ich zu dem Zeitpunkt nur noch nicht.
Ich schloss die Haustür auf und horchte. Das Radio lief noch, mir war sofort klar: Nina war nicht aufgestanden, sonst hätte sie den Fernsehapparat angemacht, dann wäre das Radio aus. Das Licht an der Treppe brannte noch, ich hatte es angelassen, weil ich Angst hatte, sie würde aufstehen und die Treppe herunterfallen. In Windeseile riss ich mir die Schuhe von den Füßen und stürmte die Treppe rauf ins Schlafzimmer. Da lag sie - in Jörgs Bett! Als ich sie ansprach, hatte ich den Eindruck, sie ist ganz weit weg. Es kostete sie offensichtlich eine übermäßige Kraft, mir zu antworten, ihre Stimme klang schwimmend, es war fast ein Lallen. Fast dreißig Minuten habe ich auf Nina eingeredet, sie angebettelt aufzustehen. Wie blöd! Warum habe ich ihr diese Quälerei nicht erspart und gleich den Krankenwagen gerufen? Ich weiß es nicht! Sie brachte es fertig aufzustehen, ich hatte sie im Arm und wir gingen ganz langsam die Treppe hinunter. Nachdem ich Nina auf das Sofa geschafft hatte, zog ich sie an. Sie hatte keine Kraft mehr, mich irgendwie zu unterstützen, die Beine und Arme hingen schlapp an ihrem Körper herunter. Den Zustand meines Kindes würde ich jetzt als dramatisch bezeichnen, mal sehen, wie Dr. B. das Verhalten interpretieren würde! Ich war schweißgebadet, als ich es endlich geschafft hatte, Nina in meinen Bus zu setzen, vor Schwäche, Angst und Panik!
Auch ein Bild, das sich in mein Gehirn gebrannt hat: Nina in ihrer Jeansjacke mit dem dicken Pelzkragen, wie sie an meiner Hand zur Praxis geht, die langen blonden Haare wehen im Novemberwind und sie sagt: »Mama, es ist soo anstrengend zu laufen.« Zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit lag Nina jetzt bei Dr. B. auf der Behandlungsliege. Hastig erzählte ich ihm, was an meinem Geburtstag vorgefallen war, dass mein Kind offensichtlich vergaß, was es sagte. Seine Reaktion: ein Lächeln! Ich fand es nicht so lustig. Wieder nahm er ihr Blut ab, zum wievielten Mal eigentlich? Mein Kind lag nur reglos auf der Liege, keine Kommunikation mehr möglich. Irgendwie spürte ich, dass Dr. B. nicht wusste, was er noch tun sollte, er war ratlos. Da fasste ich mir mit den Fingerspitzen der rechten Hand an die Stirn und sagte: »Machen Sie doch mal ein EEG, das Kind hat doch was im Kopf!« Da drehte er sich zu mir um und pflaumte mich an: »Also, Frau Holz, wenn Sie jetzt hier hysterisch werden, hilft uns das auch nicht weiter, es gibt mehr als zwanzig verschiedene Krankheiten, die Kopfschmerzen verursachen, ich weiß auch nicht, was mit Janina los ist, aber das ist doch nichts Schlimmes!« Ich habe darauf nichts mehr geantwortet, aber Monate später, als Nina schon gestorben war, wurde mir klar, dass Dr. B. der war, der kurz vor der Hysterie stand. Er wusste nicht mehr weiter und sprang in seinem Behandlungszimmer herum wie Rumpelstilzchen! Wir bekamen andere Medikamente gegen Übelkeit und Schmerzen und waren entlassen. Sah er nicht, was mit Nina los war? Ich war ihre Mutter, ich wusste, dass mein Kind nicht wiederzuerkennen war, und jeder, der sie kannte, wusste es auch, nur Dr. B. wollte es nicht wissen. Warum hatte er kein EEG gemacht? Weil der Vorschlag von mir war, weil es nicht sein konnte, dass ein Arzt sich von einer Mutter sagen lassen musste, wie er zu behandeln hatte?
Irgendwie habe ich Nina nach Hause geschleppt, dort lag sie wieder völlig apathisch auf dem Sofa, keine Regung kam mehr von ihr. Ich rief den Fahrdienstleiter an und teilte ihm mit, dass ich ab sofort nicht mehr fahren würde, den Bus würde ich irgendwie nach Hannover bringen und mich dann bis auf Weiteres verabschieden.
Am frühen Mittag kam Jörg während der Arbeitszeit nach Hause, er hatte in Burgdorf zu tun und wollte sehen, wie es Nini ging. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er sah, dass sie gar nicht mehr auf Ansprechen reagierte. Ich flüsterte ihm leise zu: »Jörg, ich glaube, ich rufe einen Krankenwagen, das Kind stirbt uns hier weg!« Das war, wie sich später herausstellte, kein bisschen übertrieben. Eigentlich war Jörg auch einer von denen, die meinten, ich neige zu starken Übertreibungen, aber als ich jetzt diesen Satz sagte, nickte er nur stumm. Dann kam meine Mutter, sah Nina und die Tränen schossen ihr in die Augen. Einen Moment später kam Petra, die Frau meines Bruders, von der Arbeit nach Hause und wie immer kam sie wenig später zu uns rüber, um zu klönen. Wir hatten zusammen ein Doppelhaus gebaut und so war der Weg von einem zum anderen nie weit. Auch zu Petra sagte ich: »Ich hole einen Krankenwagen, das Kind stirbt uns hier weg, Nina hat doch was im Kopf.« Meine Stimme zitterte schon, das war alles so unglaublich! Auch Petra schossen gleich die Tränen in die Augen, als sie antwortete: »Mensch, Ute, hör auf!« »Warum?«, erwiderte ich, »warum soll so etwas immer nur anderen passieren?« Inzwischen war ich von meiner Theorie überzeugt, Nina musste irgendetwas im Kopf haben, aber an einen Tumor habe ich dabei nicht gedacht.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Ute Holz
- 334 Seiten, teilweise Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 13,4 x 21 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868009345
- ISBN-13: 9783868009347
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