Endlich!
Du kannst als Frau nicht gleichzeitig 40 und zufrieden sein. Du musst dein Leben verändern sonst verändert es dich!
Vera hält sich für glücklich. Okay, hier mal ein Kilo zu viel, da mal eine kleine Depression. Aber ist das mit...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Endlich! “
Du kannst als Frau nicht gleichzeitig 40 und zufrieden sein. Du musst dein Leben verändern sonst verändert es dich!
Vera hält sich für glücklich. Okay, hier mal ein Kilo zu viel, da mal eine kleine Depression. Aber ist das mit 40 nicht normal? Sonst ist schließlich alles perfekt. Aber dann findet Vera heraus, dass ihr Mann sie betrügt. Und das gibt Chaos.
SPIEGEL Bestseller!
Klappentext zu „Endlich! “
«Nur eine schlafende Frau ist eine zufriedene Frau.» Ich dachte, ich sei einigermaßen glücklich. Aber so kann man sich irren.
Denn ich habe versehentlich die Wahrheit über meine Ehe herausgefunden:
Ich bin eine betrogene Frau!
Ist das das Ende? Oder ein Anfang?
Erst mal brauche ich ein neues Ego. Und definierte Oberarme.
Ich beschatte meinen Mann, besuche das Seminar «Nackt besser aussehen» und wache am Morgen danach nicht allein auf.
Mein neuer Personal Trainer sagt: «Wahrheit oder Glück, du kriegst niemals beides.»
Ich sage: «Ich will meinen Mann und mein Leben zurück!»
Zum Schluss bekomme ich genau das, was ich mir schon immer hätte wünschen sollen.
Endlich!
Lese-Probe zu „Endlich! “
Endlich! von Ildikó von KürthyDer Tag tut so, als sei nichts. Fängt ganz normal an, geht ganz normalweiter. Sowie das Tage tun, normalerweise.
In meinem Leben zumindest. Es ist zehn nach acht und ein Dienstag. Ein Dienstag im Februar. Also der unattraktivste Tag der Woche im unattraktivsten Monat des Jahres.
Ich wette, es gibt eine Statistik, die beweist, dass überproportional wenig interessante oder gar die Welt verändernde Ereignisse an Dienstagen stattfinden.
Jetzt mal abgesehen von den Jahren, als dienstags um Viertel vor zehn «Dallas» lief. Das war die Glanzzeit dieses öden Tages, immerhin dreizehn Jahre lang, ganzheitlich betrachtet jedoch nur ein sekundenschnell verglimmender Funke im Feuerwerk der Weltgeschichte. Nur ein winziger Hauch Würde, eine kleine Prise Glamour für den Dienstag, ehe er wieder zu dem wurde, was er immer war und immer sein wird: die Grauzone der Woche.
Insofern war es klar, dass ich völlig arglos und nicht ansatzweise vorbereitet war auf das, was passieren würde.
Nun ist es aber nicht so, als würde ich ständig damit rechnen, dass sich mein Leben verändert. An einemDienstag im Februar schon mal sowieso nicht.
Ich sit ze vorm Fernseher, erwarte nichts und esse ein Schinkengraubrot mit Halbfettmargarine und frisch geschnittenen Gurken- und Tomatenscheiben, gewürzt mit salzlosem Hefegranulat. Dazu trinke ich grünen Tee. Nicht wegen des Geschmacks. Wegen der Gesundheit.
Ich bin nämlich seit neuestem in einem Alter, wo man sich auf Partys erregter über Schwermetallvorkommen in importiertem Seefisch unterhält als über die gestrige Gewinnfrage bei «Germany's Next Topmodel»:
Was fällt die Jury nach der Sendung?
a) einen Baum
b) eine Entscheidung
Die Adressen empfehlenswerter Orthopäden werden höher gehandelt als die von angesagten Szene-Treffs, und in meinem Freundeskreis gibt es bald kaum
... mehr
noch einen ohne Knieprobleme, «was am Rücken» oder irgendeinen verschlissenen Knorpel irgendwo im alternden Körper.
Und wenn du nicht Pilates, Yogalates, Qigong, Tai-Chi oder sonst was machst, was wie eine fernöstliche Bezeichnung für «Hähnchen süßsauer» klingt, bist du ein Exot unter deinesgleichen.
Ich bin vierzig. Und das kommt mir echt noch nicht leicht über die Lippen.
Es klingt holperig, so gar nicht nach mir. So, als hätte ich plötzlich einen neuen Vornamen bekommen, an den ich mich erst mühsam gewöhnen müsste.
Vera Hagedorn, vierzig, freiberufliche Texterin, wohnhaft in Stade, Niedersachsen und seit acht Jahren verheiratet. Meine Güte, das bin ich! Eine erwachsene Frau! Da kannst du dir nicht mehr vormachen, dass noch alles vor dir liegt, dass du zum «Nachwuchs» gehörst, zur «werberelevanten Zielgruppe», zu den «jüngeren Leuten», die joggen gehen, ohne sich vorher fünfzehn Minuten lang aufzuwärmen. Die auf Stretching und cholesterinbewusste Ernährung scheißen und auf Partys stundenlang im Schneidersitz auf dem Boden hocken und sich dann sogar ohne Hilfe wieder erheben können, ohne ihre schmerzenden Sitzbeinhöcker und steifen Knie noch Tage später zu spüren.
Halbzeit. Holy shit! Wenn du jetzt noch kein Tor geschossen hast, kann es sein, dass du als Verlierer vom Platz gehst. Auch ein Unentschieden wäre nicht schön. Und wenn du dir das, was du dir zum Vierzigsten wünschst, nicht selber kaufen kannst, ist auch was falsch gelaufen.
Vera Hagedorn ist erwachsen, seit genau zehn Tagen. Und ich habe mich immer noch nicht von dem Schock erholt. Während der Party zu meinem zwanzigsten Geburtstag musste ein Gast mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus gebracht werden, drei Paare trennten sich vor Mitternacht, wobei zwei davon noch am selben Abend neue Partner fanden.
Bei meinem Dreißigsten kotzte immerhin noch einer ins Klo, und ich fand Spermaflecken unbestimmbarer Herkunft auf meinem Lesesessel.
Bei dem Essen an meinem Vierzigsten ist nicht mal ein Glas zu Bruch gegangen. Und auch die Geschenke waren gesittet, jugendfrei und meinem Alter angemessen: mehrere Gutscheine für Anti-Aging-Behandlungen im führenden Stader Kosmetikinstitut, ein Trüffelhobel aus Zedernholz, ein Käsemesser-Set, zwei Flaschen Jahrgangschampagner und eine Augenmaske von Shiseido.
Von meinem Mann hatte ich ein Weinseminar in Hamburg bekommen, das wir mit zwei befreundeten Paaren besuchten. «Ein befreundetes Paar»: auch so ein Ausdruck für erwachsene Leute.
Eswar bezeichnend, dass ich während der Verkostung immer wieder unangenehm auffiel, weil mir stets die Weine am besten schmeckten, bei denen es sich laut unserer strengen Seminarleiterin um «sehr laute und aufdringliche Tropfen» handelte, «die eigentlich nur da sind, sich möglichst schnell abzuschießen».
Die Faszination großer, edler Weine erschloss sich mir nicht. Als die Seminarleiterin einen besonders hochwertigen Merlot mit der Bemerkung ankündigte, dies sei ein sehr komplexer und schwieriger Tropfen, zischelte ich Marcus zu, dass ich genug eigene Probleme hätte und mir nicht noch einen Wein ins Haus holen möchte, der zusätzliche Schwierigkeiten macht. Wir verließen das Seminar, ohne neue Freunde gefunden zu haben.
Ich habe seit meiner Geburt großes Pech mit meinem Geburtstag. Weil er im Januar ist. Die Leute rücken dann nur ungern Geschenke raus, weil sie heilfroh sind, dass Weihnachten vorbei ist.
Früher halbierten meine Eltern den Wunschzettel, den ich an den Weihnachtsmann geschrieben hatte, und schenkten mir einfach den Rest zum Geburtstag. Das habe ich immer als große Ungerechtigkeit empfunden, besonders im Hinblick auf meinen älteren Bruder, der im Juli geboren ist und draußen feiern konnte, während ich mit meinen Gästen zu oft in der «Spielstadt XXL» landete, wo die halben Hähnchen nach sehr lange gekautem Kaugummi schmeckten und immer mindestens ein Kind zeitweise verloren ging. Im Laufe der Jahre veränderten sich die Probleme, die ein Geburtstag im Januar mit sich bringt. Heute leiden die meisten der Eingeladenen wahlweise unter ihren guten Neujahrsvorsätzen oder unter den Sünden, die sie während der Feiertage begangen haben.
Eine typische Geburtstagsgesellschaft im Januar setzt sich wie folgt zusammen: Die eine Hälfte der Gäste kommt nicht, weil sie sich auf einer Entgiftungskur oder beim Fastenwandern befindet. Von den restlichen acht Leuten sind mindestens acht unzufrieden mit dem Gewicht, das sich während der Festlichkeiten rund um ihre Problemzonen niedergelassen hat und diese nun noch problematischer gestaltet. Drei verzichten seit Neujahr auf Kohlehydrate inklusive Alkohol, zwei davon brechen ihre Vorsätze beim Nachtisch und müssen um halb zehn beschämt und betrunken nach Hause getragen werden.
Der Rest entschlackt seinen Körper mit Heilfasten nach Buchinger oder macht eine Darmsanierung nach F. X.Mayr, hat sich stinkenden Tee in Thermoskannen mitgebracht und blockiert stundenlang die Toilette, weil das Abführmittel vom Morgen erst jetzt zu wirken beginnt.
Einmal hatte ich an so einem Abend aus einem «Brigitte »-Artikel zitiert: «Es gibt keine Schlacken im Körper - höchstens im Gehirn! Eine Fastenkur hilft nur gegen Bandwürmer. Die hauen dann ab und sehen zu, dass sie woanders was zu fressen bekommen.»
Aber diese Bemerkung war der Stimmung nicht zuträglich gewesen. Denn der fastende Mensch ist in der Regel ein Mensch mit radikaler Gesinnung, ohne Humor und mit der festen Überzeugung, als einziger auf dem rechten Weg zu sein. Diese Einstellung ändert sich selbstverständlich mit Beendigung der Kur. Sobald das erste Glas Wein getrunken und die erste Tüte Mini-Bounty «jetzt mit zwanzig Prozentmehr Inhalt» verzehrt ist, wird auch aus dem schärfsten Entschlackungs- Terroristen wieder ein Mensch wie du und ich. Ich weiß das, denn es ist ja auch nicht so, als würde ich nicht selbst ab und zu die ersten Wochen eines neuen Jahres mit dem radikalen Abbau der Altlasten des vergangenen Jahres beginnen. Eine Phase, der mein Mann skeptisch gegenübersteht, weil sie von meiner Seite aus immer mit sehr schlechter Laune einhergeht und aufrichtig empfundenem Hass dafür, dass er seit dreißig Jahren dieselbe Hosengröße trägt. Von der sagenumwobenen Fasteneuphorie habe ich bisher noch nichts gespürt. Außerdem hat mein Mann mal versehentlich mit meinem Abführsalz sein Putengeschnetzeltes gewürzt. Und das ist echt nur im Nachhinein lustig. «Möchtest du noch Tee?», fragt Marcus an diesem Dienstag im Februar. Wir essen Brote und gucken die «Tagesschau» und denken uns nichts.
Als das Telefon klingelt, schauen wir uns gegenseitig vorwurfsvoll an.
Niemand, der uns kennt, ruft um zehn nach acht an einem Wochentag bei uns an. Denn jeder, der uns kennt, weiß: Da essen wir Brote und gucken die «Tagesschau». Und abgesehen davon tut jeder, den wir kennen, um diese Zeit genau dasselbe.
«Wer kann das denn sein, um diese Zeit?», fragt Marcus, und sein Tonfall erinnert mich an den seiner Mutter. O Mann, wir sind echt erwachsen geworden. Oder alt?
«Bestimmt dein Vater», sage ich.
«Ich wette, es ist Johanna», sagt er.
«Wenn es Johanna ist, dann ist es wenigstens was Wichtiges », sage ich.
«Klar, in Johannas Leben ist ja immer alles wichtig», sagt er.
«Ich geh ran.»
Ich schiebe langsam meinen Stuhl zurück, lege meine Serviette zusammen, werfe erst Marcus und dann Marc Bator einen strafenden Blick zu und beeile mich dann doch, so schnell wie möglich ans Telefon zu kommen. Der Anrufbeantworter ist schon angesprungen, und Johannas Stimme, die niemals und unter keinen Umständen leise ist, dröhnt bereits durchs Mauerwerk.
«Ich weiß, es ist die allerheiligste ‹Tagesschau›-Zeit, aber tu mir einen Gefallen, Taube, leg dein Schinkengraubrot zur Seite und schieb deinen Hintern zum Telefon. Ich hoffe doch, ihr habt immer noch diesen unsäglichen Anrufbeantworter, bei dem alle mithören können? Guten Abend, Marcus, verzeih bitte die Störung, aber . . .»
«Schon gut, schon gut, ich bin dran.»
«Taube, ich muss unbedingt mit dir sprechen!»
«Na, da wäre ich jetzt von alleine nie draufgekommen.»
«Setz dich hin, es ist was Ernstes. Und niemand, absolut niemand darf davon erfahren!»
Ich lasse mich auf den Sessel im Arbeitszimmer fallen und schubse die Tür mit dem Fuß zu.Das klingt nach einem neuen, spannenden, vielleicht auch tragischen Geheimnis. Ich kenne Johannas Geheimnisse, und sie kennt meine. Nein, das ist nicht korrekt formuliert: Ich kenne Johannas Geheimnisse, und sie würde meine kennen, wenn ich welche hätte. Als Johanna und ich Freundinnen wurden, bin ich zu einer ernstzunehmenden Vertrauensperson geworden, das ehrt mich und wertet mein eigenes geheimnisloses Leben deutlich auf. Es gibt jetzt tatsächlich einige Dinge, die ich auf keinen Fall verraten darf und werde. Wichtige, existenzielle Dinge, die man sonst nur aus Büchern kennt, die häufig tragisch ausgehen.
Nein, hier geht es nicht um die sogenannten Geheimnisse von blöden Tussen, die sich wispernd über ihre Weinschorlen hinweg gestehen, dass sie sich die Bikinizone im «Brazilian Style» haben waxen lassen und dass der angeblich so günstig geschossene Stella-McCartney-Blazer in Wahrheit kein Sonderangebot war.
Johannas Geheimnisse sind groß und atemberaubend und bei mir so sicher aufgehoben wie die Büste der Nofretete im . . . na ja, wo auch immer die steht.
Es ist nicht so, als hätte ich nicht ganz gerne auch ein paar eigene Geheimnisse. Schließlich bin ich vierzig. Da wird es eigentlich höchste Zeit, dass man im Keller ein paar Leichen verscharrt hat. Aber mein Keller ist leer, und mein Herz ist rein. Leider. Es hat keine moralischen oder ethischen oder religiösen Gründe, dass ich nichts verberge und immer alles erzähle. Es gab bloß in meinem Leben bisher nichts, was sich zu verbergen gelohnt hätte. Warum lügen, wenn schon die Wahrheit niemanden interessiert?
Es ist nun andererseits auch nicht so, als würde ich ständig die Wahrheit sagen. Gott bewahre! Ich habe gelesen, dass jeder Mensch im Schnitt zweihundertmal am Tag lügt. Und ich würde sagen, dass ich da im vorderen Drittel locker mit dabei bin. Das liegt aber auch an meinen Lebensumständen.
Wenn du in einer Kleinstadt lebst, wo jeder jeden kennt und jeder dich ganz besonders kennt, weil du mit dem Sohn des Inhabers des größten ortsansässigen Bäder- und Küchenstudios verheiratet bist, dann tust du gut daran, so unehrlich wie möglich zu sein.
Nicht auszudenken wäre das Chaos, das ich anrichten, und der Unfrieden, den ich stiften würde, würde ich die Wahrheit sagen bei den Fragen «Wie geht es Ihnen?», «Was macht das Geschäft?» und «Wie gefällt Ihnen die neue Ausstellung Ihrer Schwiegermutter? Finden Sie nicht auch, dass sie eine ganz außergewöhnliche Begabung hat?».
«Danke, es geht mir mäßig, denn ich habe nur noch einmal im Monat Sex mit meinem Mann, was schon schlimm genug ist, aber ich denke währenddessen immer öfter an Heino Ferch, und das beunruhigt mich wirklich sehr. Der Laden läuft nicht so gut, wie er laufen könnte, wenn sich der schwerhörige, tyrannische Seniorchef nicht starrsinnig weigern würde, sich endlich aus seinem Büro mit Panoramablick auf die Schnellstraße nach Hamburg und aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen. Und, ja, ich finde auch, dass meine Schwiegermutter eine außergewöhnliche Begabung hat - eine außergewöhnlich schlechte! Ihre Töpferarbeiten, mit denen sie die Stader Gemeindehäuser, Kindergärten und Altenheime verschandelt, sind das Grauenvollste, was ich gesehen habe, seit ich im Alter von drei Jahren versucht habe, mit Knete meinen Bruder zu modellieren.»
Das sage ich nicht.
Ich bin eine Meisterin der Verstellung, des höflichen Nickens und des nichtssagenden Lächelns geworden. Johannas Leben ist ganz anders als meines. Unberechenbar und oftmals dramatisch. Irgendwas passiert ihr immer. Mir passiert eigentlich immer nie was. Ich bin noch nie am Flughafen vom Zoll kontrolliert worden. Ich bin nie in einem Aufzug steckengeblieben und habe noch nicht einmal einen Probealarm miterlebt, geschweige denn einen echten. Das Dramatischste, was mir in den letzten Jahren widerfahren ist, war, dass sich mein Friseur um zwei Nuancen in der Farbe vertan hat und dass mir meine saublöde Schwägerin Michaela den Umgang mit ihrer Tochter, meinem Patenkind, verboten hat.
Ich würde einen schlechten Einfluss auf das Kind ausüben, meinte sie. Und das hatte ich irgendwie als Kompliment empfunden. Das klang so verrucht und spelunkig, als hätte ich versucht, das Mädchen auf eine Drogenparty mit anschließender Sexorgie zu verschleppen. Dabei hatte ich Fee, die elf ist und aussieht wie ein schwangeres Rhinozeros, bloß gefragt, ob sie den dritten Nachtisch nicht einfach mal weglassen wolle.
Fee schrie, ich sei gemein, Michaela schrie, sie werde sich von einer kinderlosen Frau nicht in ihre Erziehung reinquatschen lassen, mein Bruder Claus schrie, ich solle mich in Zukunft gefälligst raushalten, und ich schrie, ich sei es leid zuzuschauen, wie in dieser kaputten Familie die Kinder gemästet würden, als könne man mit Zucker den Mangel an Nestwärme ersetzen, und wenn ich noch einmal den lächerlichen Satz «Das ist doch nur Babyspeck» hören würde, würde ich das Jugendamt einschalten. Dann verließ ich tobend und zeternd die Runde. Und ich war tatsächlich ein bisschen stolz, die Scheinheiligkeit dieser Albtraumfamilie einmal durchbrochen und endlich die Wahrheit gesagt zu haben. Eine ungewohnte Erfahrung für mich.
Der kleine Claus, der vierzehnjährige Sohn meines Bruders, stand grinsend an der Tür, einen Schokoriegel in seinen fetten Fingern, und schaute mir nach. Zu Hause sagte Marcus: «Gräm dich nicht, Vera, das sind eben einfache Leute.» Das fand ich nur leidlich tröstlich und eigentlich auch wieder eine Unverschämtheit. Meine Familie findet Marcus zu schlicht, und meine Freundin findet er zu dramatisch. «Die Johanna zieht das Pech doch magisch an», sagt er regelmäßig. Und seit ich ihm erzählt habe, dass meine andere Freundin Selma begonnen hat, ihren Mann mit dem Klavierlehrer ihrer Tochter zu betrügen, sieht Marcus meine Freundinnen in noch viel unvorteilhafterem Licht.
Er ist der Meinung, ich solle mich lieber von den beiden fernhalten. Als sei Drama und Ehebruch ansteckend wie Schweinegrippe. Tröpfcheninfektion, und - boing! - schlägt das Schicksal auch in deinem Leben zu.
Dabei bin ich zutiefst dankbar dafür, dass ich mich mit Selma nur noch bei uns zuHause treffen kann - und das auch nur, wenn Marcus beim Squash ist. Endlich hat eine von uns mal was zu erzählen, wobei niemand mithören darf! Denn die Tische beim Griechen um die Ecke stehen einfach zu nah beieinander für Unterhaltungen über Untreue, Alibis und sexuelle Praktiken, die ich bis dahin nicht mal vom Hörensagen kannte.
Gespräche zwischen Selma und mir beginnen jetzt meist so, dass Selma, selbst bei uns zu Hause auf dem Sofa, ihre Stimme senkt und dann Sachen fragt wie: «Bist du schon mal mit ‹Mystical Sex Body-Lotion› eingeölt worden und hast danach Sex auf einem Latexlaken gehabt?» In der Regel schüttele ich dann voll stummer Ehrfurcht und sich leise regendem Neid den Kopf, frage mich im Stillen, ob man Latexlaken wohl in die Waschmaschine tun kann, und schaue anschließend mal im Internet nach, wo dann steht, dass die «Mystical Sex Body-Lotion» für Abende bestimmt sei, «an denen Sie bestimmt keine Kopfschmerzen haben werden».
Marcus hat im Grunde nur Angst vor der Unruhe, die Selma und Johanna immer wieder in mein und damit auch in sein Leben bringen. Anrufe nach acht. Spontan einberufene Treffen zur gemeinsamen Verarbeitung von Kummer oder Glück. Telefonate, während derer ich die Tür schließe, und Wochenenden in Berlin, nach denen ich mit Klamotten nach Hause komme, die man in Stade nicht tragen kann, ohne als semiprofessionelle Prostituierte zu gelten.
Ich glaube, Marcus fürchtet den Einfluss meiner Freundinnen auf mich. Und vielleicht nicht ganz zu Unrecht.
Denn es macht einen nervös, ja, es ist fast etwas peinlich, wenn sich andere Leute Sehnsüchte erfüllen, die man selbst nicht mal hat.
Marcus ist ein Mann der mittleren Temperaturen. Nicht zu heiß und nicht zu kalt. Das klingt nach lau? Ja, ich weiß. Aber ich weiß auch, dass sich zwischen den Extremen das eigentliche Leben abspielt. Zwischen Glück und Unglück. Zwischen Tief- und Höhepunkt. Zwischen erfrieren und verbrühen.
Es ist wie mit dem Thermostat an der Zentralheizung. Den stellst du ja auch auf neunzehn Grad durchschnittliche Raumtemperatur ein, weil es sich dabei am angenehmsten leben lässt.
Der Großteil des Lebens ist das, was meistens geschieht.
Copyright©2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Und wenn du nicht Pilates, Yogalates, Qigong, Tai-Chi oder sonst was machst, was wie eine fernöstliche Bezeichnung für «Hähnchen süßsauer» klingt, bist du ein Exot unter deinesgleichen.
Ich bin vierzig. Und das kommt mir echt noch nicht leicht über die Lippen.
Es klingt holperig, so gar nicht nach mir. So, als hätte ich plötzlich einen neuen Vornamen bekommen, an den ich mich erst mühsam gewöhnen müsste.
Vera Hagedorn, vierzig, freiberufliche Texterin, wohnhaft in Stade, Niedersachsen und seit acht Jahren verheiratet. Meine Güte, das bin ich! Eine erwachsene Frau! Da kannst du dir nicht mehr vormachen, dass noch alles vor dir liegt, dass du zum «Nachwuchs» gehörst, zur «werberelevanten Zielgruppe», zu den «jüngeren Leuten», die joggen gehen, ohne sich vorher fünfzehn Minuten lang aufzuwärmen. Die auf Stretching und cholesterinbewusste Ernährung scheißen und auf Partys stundenlang im Schneidersitz auf dem Boden hocken und sich dann sogar ohne Hilfe wieder erheben können, ohne ihre schmerzenden Sitzbeinhöcker und steifen Knie noch Tage später zu spüren.
Halbzeit. Holy shit! Wenn du jetzt noch kein Tor geschossen hast, kann es sein, dass du als Verlierer vom Platz gehst. Auch ein Unentschieden wäre nicht schön. Und wenn du dir das, was du dir zum Vierzigsten wünschst, nicht selber kaufen kannst, ist auch was falsch gelaufen.
Vera Hagedorn ist erwachsen, seit genau zehn Tagen. Und ich habe mich immer noch nicht von dem Schock erholt. Während der Party zu meinem zwanzigsten Geburtstag musste ein Gast mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus gebracht werden, drei Paare trennten sich vor Mitternacht, wobei zwei davon noch am selben Abend neue Partner fanden.
Bei meinem Dreißigsten kotzte immerhin noch einer ins Klo, und ich fand Spermaflecken unbestimmbarer Herkunft auf meinem Lesesessel.
Bei dem Essen an meinem Vierzigsten ist nicht mal ein Glas zu Bruch gegangen. Und auch die Geschenke waren gesittet, jugendfrei und meinem Alter angemessen: mehrere Gutscheine für Anti-Aging-Behandlungen im führenden Stader Kosmetikinstitut, ein Trüffelhobel aus Zedernholz, ein Käsemesser-Set, zwei Flaschen Jahrgangschampagner und eine Augenmaske von Shiseido.
Von meinem Mann hatte ich ein Weinseminar in Hamburg bekommen, das wir mit zwei befreundeten Paaren besuchten. «Ein befreundetes Paar»: auch so ein Ausdruck für erwachsene Leute.
Eswar bezeichnend, dass ich während der Verkostung immer wieder unangenehm auffiel, weil mir stets die Weine am besten schmeckten, bei denen es sich laut unserer strengen Seminarleiterin um «sehr laute und aufdringliche Tropfen» handelte, «die eigentlich nur da sind, sich möglichst schnell abzuschießen».
Die Faszination großer, edler Weine erschloss sich mir nicht. Als die Seminarleiterin einen besonders hochwertigen Merlot mit der Bemerkung ankündigte, dies sei ein sehr komplexer und schwieriger Tropfen, zischelte ich Marcus zu, dass ich genug eigene Probleme hätte und mir nicht noch einen Wein ins Haus holen möchte, der zusätzliche Schwierigkeiten macht. Wir verließen das Seminar, ohne neue Freunde gefunden zu haben.
Ich habe seit meiner Geburt großes Pech mit meinem Geburtstag. Weil er im Januar ist. Die Leute rücken dann nur ungern Geschenke raus, weil sie heilfroh sind, dass Weihnachten vorbei ist.
Früher halbierten meine Eltern den Wunschzettel, den ich an den Weihnachtsmann geschrieben hatte, und schenkten mir einfach den Rest zum Geburtstag. Das habe ich immer als große Ungerechtigkeit empfunden, besonders im Hinblick auf meinen älteren Bruder, der im Juli geboren ist und draußen feiern konnte, während ich mit meinen Gästen zu oft in der «Spielstadt XXL» landete, wo die halben Hähnchen nach sehr lange gekautem Kaugummi schmeckten und immer mindestens ein Kind zeitweise verloren ging. Im Laufe der Jahre veränderten sich die Probleme, die ein Geburtstag im Januar mit sich bringt. Heute leiden die meisten der Eingeladenen wahlweise unter ihren guten Neujahrsvorsätzen oder unter den Sünden, die sie während der Feiertage begangen haben.
Eine typische Geburtstagsgesellschaft im Januar setzt sich wie folgt zusammen: Die eine Hälfte der Gäste kommt nicht, weil sie sich auf einer Entgiftungskur oder beim Fastenwandern befindet. Von den restlichen acht Leuten sind mindestens acht unzufrieden mit dem Gewicht, das sich während der Festlichkeiten rund um ihre Problemzonen niedergelassen hat und diese nun noch problematischer gestaltet. Drei verzichten seit Neujahr auf Kohlehydrate inklusive Alkohol, zwei davon brechen ihre Vorsätze beim Nachtisch und müssen um halb zehn beschämt und betrunken nach Hause getragen werden.
Der Rest entschlackt seinen Körper mit Heilfasten nach Buchinger oder macht eine Darmsanierung nach F. X.Mayr, hat sich stinkenden Tee in Thermoskannen mitgebracht und blockiert stundenlang die Toilette, weil das Abführmittel vom Morgen erst jetzt zu wirken beginnt.
Einmal hatte ich an so einem Abend aus einem «Brigitte »-Artikel zitiert: «Es gibt keine Schlacken im Körper - höchstens im Gehirn! Eine Fastenkur hilft nur gegen Bandwürmer. Die hauen dann ab und sehen zu, dass sie woanders was zu fressen bekommen.»
Aber diese Bemerkung war der Stimmung nicht zuträglich gewesen. Denn der fastende Mensch ist in der Regel ein Mensch mit radikaler Gesinnung, ohne Humor und mit der festen Überzeugung, als einziger auf dem rechten Weg zu sein. Diese Einstellung ändert sich selbstverständlich mit Beendigung der Kur. Sobald das erste Glas Wein getrunken und die erste Tüte Mini-Bounty «jetzt mit zwanzig Prozentmehr Inhalt» verzehrt ist, wird auch aus dem schärfsten Entschlackungs- Terroristen wieder ein Mensch wie du und ich. Ich weiß das, denn es ist ja auch nicht so, als würde ich nicht selbst ab und zu die ersten Wochen eines neuen Jahres mit dem radikalen Abbau der Altlasten des vergangenen Jahres beginnen. Eine Phase, der mein Mann skeptisch gegenübersteht, weil sie von meiner Seite aus immer mit sehr schlechter Laune einhergeht und aufrichtig empfundenem Hass dafür, dass er seit dreißig Jahren dieselbe Hosengröße trägt. Von der sagenumwobenen Fasteneuphorie habe ich bisher noch nichts gespürt. Außerdem hat mein Mann mal versehentlich mit meinem Abführsalz sein Putengeschnetzeltes gewürzt. Und das ist echt nur im Nachhinein lustig. «Möchtest du noch Tee?», fragt Marcus an diesem Dienstag im Februar. Wir essen Brote und gucken die «Tagesschau» und denken uns nichts.
Als das Telefon klingelt, schauen wir uns gegenseitig vorwurfsvoll an.
Niemand, der uns kennt, ruft um zehn nach acht an einem Wochentag bei uns an. Denn jeder, der uns kennt, weiß: Da essen wir Brote und gucken die «Tagesschau». Und abgesehen davon tut jeder, den wir kennen, um diese Zeit genau dasselbe.
«Wer kann das denn sein, um diese Zeit?», fragt Marcus, und sein Tonfall erinnert mich an den seiner Mutter. O Mann, wir sind echt erwachsen geworden. Oder alt?
«Bestimmt dein Vater», sage ich.
«Ich wette, es ist Johanna», sagt er.
«Wenn es Johanna ist, dann ist es wenigstens was Wichtiges », sage ich.
«Klar, in Johannas Leben ist ja immer alles wichtig», sagt er.
«Ich geh ran.»
Ich schiebe langsam meinen Stuhl zurück, lege meine Serviette zusammen, werfe erst Marcus und dann Marc Bator einen strafenden Blick zu und beeile mich dann doch, so schnell wie möglich ans Telefon zu kommen. Der Anrufbeantworter ist schon angesprungen, und Johannas Stimme, die niemals und unter keinen Umständen leise ist, dröhnt bereits durchs Mauerwerk.
«Ich weiß, es ist die allerheiligste ‹Tagesschau›-Zeit, aber tu mir einen Gefallen, Taube, leg dein Schinkengraubrot zur Seite und schieb deinen Hintern zum Telefon. Ich hoffe doch, ihr habt immer noch diesen unsäglichen Anrufbeantworter, bei dem alle mithören können? Guten Abend, Marcus, verzeih bitte die Störung, aber . . .»
«Schon gut, schon gut, ich bin dran.»
«Taube, ich muss unbedingt mit dir sprechen!»
«Na, da wäre ich jetzt von alleine nie draufgekommen.»
«Setz dich hin, es ist was Ernstes. Und niemand, absolut niemand darf davon erfahren!»
Ich lasse mich auf den Sessel im Arbeitszimmer fallen und schubse die Tür mit dem Fuß zu.Das klingt nach einem neuen, spannenden, vielleicht auch tragischen Geheimnis. Ich kenne Johannas Geheimnisse, und sie kennt meine. Nein, das ist nicht korrekt formuliert: Ich kenne Johannas Geheimnisse, und sie würde meine kennen, wenn ich welche hätte. Als Johanna und ich Freundinnen wurden, bin ich zu einer ernstzunehmenden Vertrauensperson geworden, das ehrt mich und wertet mein eigenes geheimnisloses Leben deutlich auf. Es gibt jetzt tatsächlich einige Dinge, die ich auf keinen Fall verraten darf und werde. Wichtige, existenzielle Dinge, die man sonst nur aus Büchern kennt, die häufig tragisch ausgehen.
Nein, hier geht es nicht um die sogenannten Geheimnisse von blöden Tussen, die sich wispernd über ihre Weinschorlen hinweg gestehen, dass sie sich die Bikinizone im «Brazilian Style» haben waxen lassen und dass der angeblich so günstig geschossene Stella-McCartney-Blazer in Wahrheit kein Sonderangebot war.
Johannas Geheimnisse sind groß und atemberaubend und bei mir so sicher aufgehoben wie die Büste der Nofretete im . . . na ja, wo auch immer die steht.
Es ist nicht so, als hätte ich nicht ganz gerne auch ein paar eigene Geheimnisse. Schließlich bin ich vierzig. Da wird es eigentlich höchste Zeit, dass man im Keller ein paar Leichen verscharrt hat. Aber mein Keller ist leer, und mein Herz ist rein. Leider. Es hat keine moralischen oder ethischen oder religiösen Gründe, dass ich nichts verberge und immer alles erzähle. Es gab bloß in meinem Leben bisher nichts, was sich zu verbergen gelohnt hätte. Warum lügen, wenn schon die Wahrheit niemanden interessiert?
Es ist nun andererseits auch nicht so, als würde ich ständig die Wahrheit sagen. Gott bewahre! Ich habe gelesen, dass jeder Mensch im Schnitt zweihundertmal am Tag lügt. Und ich würde sagen, dass ich da im vorderen Drittel locker mit dabei bin. Das liegt aber auch an meinen Lebensumständen.
Wenn du in einer Kleinstadt lebst, wo jeder jeden kennt und jeder dich ganz besonders kennt, weil du mit dem Sohn des Inhabers des größten ortsansässigen Bäder- und Küchenstudios verheiratet bist, dann tust du gut daran, so unehrlich wie möglich zu sein.
Nicht auszudenken wäre das Chaos, das ich anrichten, und der Unfrieden, den ich stiften würde, würde ich die Wahrheit sagen bei den Fragen «Wie geht es Ihnen?», «Was macht das Geschäft?» und «Wie gefällt Ihnen die neue Ausstellung Ihrer Schwiegermutter? Finden Sie nicht auch, dass sie eine ganz außergewöhnliche Begabung hat?».
«Danke, es geht mir mäßig, denn ich habe nur noch einmal im Monat Sex mit meinem Mann, was schon schlimm genug ist, aber ich denke währenddessen immer öfter an Heino Ferch, und das beunruhigt mich wirklich sehr. Der Laden läuft nicht so gut, wie er laufen könnte, wenn sich der schwerhörige, tyrannische Seniorchef nicht starrsinnig weigern würde, sich endlich aus seinem Büro mit Panoramablick auf die Schnellstraße nach Hamburg und aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen. Und, ja, ich finde auch, dass meine Schwiegermutter eine außergewöhnliche Begabung hat - eine außergewöhnlich schlechte! Ihre Töpferarbeiten, mit denen sie die Stader Gemeindehäuser, Kindergärten und Altenheime verschandelt, sind das Grauenvollste, was ich gesehen habe, seit ich im Alter von drei Jahren versucht habe, mit Knete meinen Bruder zu modellieren.»
Das sage ich nicht.
Ich bin eine Meisterin der Verstellung, des höflichen Nickens und des nichtssagenden Lächelns geworden. Johannas Leben ist ganz anders als meines. Unberechenbar und oftmals dramatisch. Irgendwas passiert ihr immer. Mir passiert eigentlich immer nie was. Ich bin noch nie am Flughafen vom Zoll kontrolliert worden. Ich bin nie in einem Aufzug steckengeblieben und habe noch nicht einmal einen Probealarm miterlebt, geschweige denn einen echten. Das Dramatischste, was mir in den letzten Jahren widerfahren ist, war, dass sich mein Friseur um zwei Nuancen in der Farbe vertan hat und dass mir meine saublöde Schwägerin Michaela den Umgang mit ihrer Tochter, meinem Patenkind, verboten hat.
Ich würde einen schlechten Einfluss auf das Kind ausüben, meinte sie. Und das hatte ich irgendwie als Kompliment empfunden. Das klang so verrucht und spelunkig, als hätte ich versucht, das Mädchen auf eine Drogenparty mit anschließender Sexorgie zu verschleppen. Dabei hatte ich Fee, die elf ist und aussieht wie ein schwangeres Rhinozeros, bloß gefragt, ob sie den dritten Nachtisch nicht einfach mal weglassen wolle.
Fee schrie, ich sei gemein, Michaela schrie, sie werde sich von einer kinderlosen Frau nicht in ihre Erziehung reinquatschen lassen, mein Bruder Claus schrie, ich solle mich in Zukunft gefälligst raushalten, und ich schrie, ich sei es leid zuzuschauen, wie in dieser kaputten Familie die Kinder gemästet würden, als könne man mit Zucker den Mangel an Nestwärme ersetzen, und wenn ich noch einmal den lächerlichen Satz «Das ist doch nur Babyspeck» hören würde, würde ich das Jugendamt einschalten. Dann verließ ich tobend und zeternd die Runde. Und ich war tatsächlich ein bisschen stolz, die Scheinheiligkeit dieser Albtraumfamilie einmal durchbrochen und endlich die Wahrheit gesagt zu haben. Eine ungewohnte Erfahrung für mich.
Der kleine Claus, der vierzehnjährige Sohn meines Bruders, stand grinsend an der Tür, einen Schokoriegel in seinen fetten Fingern, und schaute mir nach. Zu Hause sagte Marcus: «Gräm dich nicht, Vera, das sind eben einfache Leute.» Das fand ich nur leidlich tröstlich und eigentlich auch wieder eine Unverschämtheit. Meine Familie findet Marcus zu schlicht, und meine Freundin findet er zu dramatisch. «Die Johanna zieht das Pech doch magisch an», sagt er regelmäßig. Und seit ich ihm erzählt habe, dass meine andere Freundin Selma begonnen hat, ihren Mann mit dem Klavierlehrer ihrer Tochter zu betrügen, sieht Marcus meine Freundinnen in noch viel unvorteilhafterem Licht.
Er ist der Meinung, ich solle mich lieber von den beiden fernhalten. Als sei Drama und Ehebruch ansteckend wie Schweinegrippe. Tröpfcheninfektion, und - boing! - schlägt das Schicksal auch in deinem Leben zu.
Dabei bin ich zutiefst dankbar dafür, dass ich mich mit Selma nur noch bei uns zuHause treffen kann - und das auch nur, wenn Marcus beim Squash ist. Endlich hat eine von uns mal was zu erzählen, wobei niemand mithören darf! Denn die Tische beim Griechen um die Ecke stehen einfach zu nah beieinander für Unterhaltungen über Untreue, Alibis und sexuelle Praktiken, die ich bis dahin nicht mal vom Hörensagen kannte.
Gespräche zwischen Selma und mir beginnen jetzt meist so, dass Selma, selbst bei uns zu Hause auf dem Sofa, ihre Stimme senkt und dann Sachen fragt wie: «Bist du schon mal mit ‹Mystical Sex Body-Lotion› eingeölt worden und hast danach Sex auf einem Latexlaken gehabt?» In der Regel schüttele ich dann voll stummer Ehrfurcht und sich leise regendem Neid den Kopf, frage mich im Stillen, ob man Latexlaken wohl in die Waschmaschine tun kann, und schaue anschließend mal im Internet nach, wo dann steht, dass die «Mystical Sex Body-Lotion» für Abende bestimmt sei, «an denen Sie bestimmt keine Kopfschmerzen haben werden».
Marcus hat im Grunde nur Angst vor der Unruhe, die Selma und Johanna immer wieder in mein und damit auch in sein Leben bringen. Anrufe nach acht. Spontan einberufene Treffen zur gemeinsamen Verarbeitung von Kummer oder Glück. Telefonate, während derer ich die Tür schließe, und Wochenenden in Berlin, nach denen ich mit Klamotten nach Hause komme, die man in Stade nicht tragen kann, ohne als semiprofessionelle Prostituierte zu gelten.
Ich glaube, Marcus fürchtet den Einfluss meiner Freundinnen auf mich. Und vielleicht nicht ganz zu Unrecht.
Denn es macht einen nervös, ja, es ist fast etwas peinlich, wenn sich andere Leute Sehnsüchte erfüllen, die man selbst nicht mal hat.
Marcus ist ein Mann der mittleren Temperaturen. Nicht zu heiß und nicht zu kalt. Das klingt nach lau? Ja, ich weiß. Aber ich weiß auch, dass sich zwischen den Extremen das eigentliche Leben abspielt. Zwischen Glück und Unglück. Zwischen Tief- und Höhepunkt. Zwischen erfrieren und verbrühen.
Es ist wie mit dem Thermostat an der Zentralheizung. Den stellst du ja auch auf neunzehn Grad durchschnittliche Raumtemperatur ein, weil es sich dabei am angenehmsten leben lässt.
Der Großteil des Lebens ist das, was meistens geschieht.
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Autoren-Porträt von Ildikó von Kürthy
Ildikó von Kürthy ist Journalistin und eine der meistgelesenen deutschen Schriftstellerinnen. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Ihre Bücher sind Nummer-1-Bestseller, wurden mehr als sieben Millionen Mal verkauft und in 21 Sprachen übersetzt.Ildikó von Kürthy ist Gastgeberin des Podcasts «Frauenstimmen», sie berichtet auf Facebook und Instagram über Wichtiges und Nichtiges und schreibt einen regelmäßigen Newsletter. Neuigkeiten und aktuelle Tourdaten auf: www.ildikovonkuerthy.de
Bibliographische Angaben
- Autor: Ildikó von Kürthy
- 2011, 320 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 349925431X
- ISBN-13: 9783499254314
- Erscheinungsdatum: 24.10.2011
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