Die Frau an seiner Seite
Leben und Leiden der Hannelore Kohl
Was verbarg Hannelore Kohl hinter ihrem versteinerten Lächeln? Was hatte es mit ihrer Lichtallergie auf sich? Gute 10 Jahre nach ihrem tragischen Tod deckt Heribert Schwan auf, wie Hannelore Kohl lebte und wie sie starb.
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Produktinformationen zu „Die Frau an seiner Seite “
Was verbarg Hannelore Kohl hinter ihrem versteinerten Lächeln? Was hatte es mit ihrer Lichtallergie auf sich? Gute 10 Jahre nach ihrem tragischen Tod deckt Heribert Schwan auf, wie Hannelore Kohl lebte und wie sie starb.
Bis zwei Tage vor ihrem Selbstmord stand der Autor und Journalist Heribert Schwan in engem Kontakt mit Hannelore Kohl. Aus nächster Nähe erlebte er das ganze Drama der Krankheit der Kanzlergattin mit. Sein kritisches Urteil über die familiäre Situation der Kohls: In 42 Ehejahren mit dem Machtmenschen Helmut Kohl wurde aus der Frau an seiner Seite die Frau in seinem Schatten.
"Es ist ein entbehrungsreiches Leben, das Schwan noch einmal aufblättert ..."
SPIEGEL
Lese-Probe zu „Die Frau an seiner Seite “
Die Frau an seiner Seite von Heribert SchwanVORWORT
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Ja, ich musste es tun, ich musste aufschreiben, was ich wusste, was ich neu entdeckte; was meine Recherchen erbrachten und was mir die Frau an seiner Seite anvertraut hatte und was ich jahrelang mit mir herumtrug.
Hannelore Kohl begegnete mir erstmals Mitte der Achtzigerjahre, als ich eine Biografie über ihren Mann schrieb und anschließend ein Fernsehporträt drehte. Ihr abgrundtiefes Misstrauen Journalisten gegenüber bekam auch ich zu spüren. Immerhin lud sie mich nach wochenlangem Warten zu ausgiebigen Interviews ein, in denen sie offen über ihre Doppelrolle als treusorgende Mutter und Kanzlergattin sprach. Über mein Angebot, ihr soziales Engagement als Präsidentin des Kuratoriums ZNS in einem Fernsehfilm zu dokumentieren, kamen wir erneut zusammen. Im Juli 1988 strahlte der WDR mein Hannelore-Kohl-Porträt aus, das auf breite positive Resonanz stieß. In den folgenden Jahren gab es eine Reihe von Begegnungen, bei denen ich spürte, dass sie meine journalistische Tätigkeit als Redakteur und Moderator im Deutschlandfunk ebenso schätzte wie meine zahlreichen Politikerbiografien und Fernsehdokumentationen.
Nach Helmut Kohls Abwahl 1998 gehörte ich zu einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern und Publizisten, die dem Kanzler der Einheit beim Schreiben seiner Memoiren half. Damit begann eine für jeden Historiker spannende Forschungstätigkeit, die mich an vielen Wochenenden und freien Tagen nach Ludwigshafen führte. Zweieinhalb Jahre erlebte ich Hannelore Kohl bis drei Tage vor ihrem Tod als engagierte Mitarbeiterin und verlässliche Ideengeberin bei den Erinnerungen ihres Mannes. In dieser Zeit der Zusammenarbeit ergab sich die Gelegenheit zu ausgiebigen Gesprächen auch mit ihr. Ich erlebte eine Hannelore Kohl, die mir in einer nie gekannten Offenheit Dinge anvertraute, von denen ich zuvor nicht die leiseste Ahnung hatte. Bei stundenlangen nächtlichen Spaziergängen im Maudacher Bruch bei Ludwigshafen oder bei unseren Vieraugengesprächen in ihrem abgedunkelten Bungalow schüttete sie mir ihr Herz aus. Ich erfuhr von menschlichen Tragödien und Geheimnissen, die sie offenbar nicht länger für sich behalten wollte, über die sie nicht länger schweigen konnte. Entgegen ihrer jahrzehntelang praktizierten Strategie, nichts Privates öffentlich zu machen und vor allem auf ihren Mann und noch viel mehr auf ihre Kinder nichts kommen zu lassen, befreite sie ihre Seele vom Druck des Verschweigens, des Vertuschens und Verdrängens. Vieles war für mich nicht gleich erklärbar, und manches erschloss sich erst nach ihrem Tod.
Hannelore Kohl wusste sehr genau, dass ich jener Berufsgruppe angehöre, die nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Die wichtigste Funktion meines Berufes als Journalist, Film- und Buchautor liegt im Publizieren. Deshalb durfte ich ihre ungewohnte Offenheit, ihr ungebrochenes Mitteilungsbedürfnis als ein Vermächtnis verstehen: Hannelore Kohl bedeutete mir, dass ich eines Tages das veröffentlichen soll, was sie mir in den vielen Monaten und Wochen vor ihrem Tod anvertraute.
Mit ihren beiden Söhnen hatte ich über Monate Gesprächskontakte, die in dem Moment abgebrochen wurden, als ich nicht zur Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Buchprojekt bereit war.
Mit Helmut Kohl verband mich nach seiner Kanzlerschaft die Mitarbeit an seinen Memoiren. Die Rolle seiner Gattin war dabei ein wichtiges Thema. Eine Woche nach Hannelore Kohls Beisetzung traf ich auf einen tief erschütterten und, so meine Deutung seines Verhaltens, auch vom schlechten Gewissen geplagten Altkanzler. In dieser Verfassung beschrieb er ausführlich die fundamentale Bedeutung der Frau an seiner Seite für sein bewegtes Leben und seine glänzende politische Karriere.
Im vorliegenden Buch versuche ich nach bestem Wissen und Gewissen, das schwere Leben der Hannelore Kohl nachzuzeichnen. Ein Leben, das geprägt war von Verlust, schweren Einschnitten und regelrechten menschlichen Tragödien. Dass die Spendenaffäre ihres Mannes und deren mediale Auswirkungen für Hannelore Kohl der Todesstoß waren, steht nach Meinung Vieler, auch ihrer engsten Freundinnen, außer Zweifel. Hinzu kommen weitere Gründe, die wohl in der Gesamtheit zu ihrem Selbstmord führten: Ihre große Einsamkeit, ihr fortwährendes Gefühl, verlassen zu sein, ihre niemals therapeutisch aufgearbeiteten traumatischen Erlebnisse im Krieg und auf der Flucht und schließlich das Drama ihrer schweren Krankheit. Mit den Werkzeugen des Historikers allein ist eine solche Biografie nicht zu schreiben. Ich habe deshalb zwei namhafte Mediziner um Mithilfe gebeten. Besonderer Dank gilt Professor Dr. med. Luise Reddemann, ausgebildete Nervenärztin und Psychoanalytikerin, langjährige Leiterin der Klinik für Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin des Evangelischen Johannes-Krankenhauses in Bielefeld und derzeit Honorarprofessorin für Psychotraumatologie und Psychologische Medizin an der Universität Klagenfurt. Danken möchte ich auch Dr. med. Bertram von der Stein, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Rehabilitationswesen. Ohne ihre Unterstützung wäre die vorliegende Biografie unvollständig geblieben.
Mein Dank gilt auch dem Mitbegründer des Kuratoriums ZNS und der Hannelore-Kohl-Stiftung, Professor Dr. med. Dr. phil. Klaus Mayer. Der ehemalige Ärztliche Direktor an der Neurologischen Universitätsklinik in Tübingen war von 1983 an bis zu Hannelore Kohls Tod der wichtigste Sachverständige und einflussreichste Berater der Kanzlergattin. Ohne ihn wäre die Hannelore-Kohl-Stiftung nicht zu diesem großen Erfolg geworden. Zur Geschichte von Hannelore Kohls sozialem Engagement lieferten die ehemalige ZNS-Mitarbeiterin Amalie Barzen und der frühere ZNSGeschäftsführer Rolf Wiechers unverzichtbare Hintergrundinformationen.
Zu den Freundinnen, die Hannelore Kohl über Jahre hinweg und bis zu ihren letzten Tagen begleitet haben, zählt insbesondere Rena Krebs. Seit den gemeinsam verbrachten frühen Kindertagen in Leipzig war sie für Hannelore Kohl eine der wichtigsten und vertrautesten Gesprächspartnerinnen, vor allem für die großen Familienthemen. Für mich gehörte sie als Vorkriegs- und Kriegskind zu den unverzichtbaren Zeitzeuginnen. Sie hat meine Arbeit konstruktiv und kritisch begleitet und durch ihre Gedanken und Fragen bereichert.
Kohls langjähriger Haushälterin Hilde Seeber und ihrem Mann Ecki, Vertrauter und Chauffeur des Kanzlers, verdanke ich vielfältige Unterstützung, bei der sie niemals die Gebote von Loyalität und Verschwiegenheit verletzten. Beide waren auch für Hannelore wichtige Stützen in allen Lebenslagen.
Danken möchte ich nicht zuletzt den vielen treuen Freundinnen, Nachbarn und Verwandten väterlicherseits, die mir manchen Hinweis gaben und damit das Bild des Menschen Hannelore Kohl abrundeten.
Verlässliche Informationen lieferten Damen und Herren aus kirchlichen, kommunalen und staatlichen Archiven von Berlin, Bremen, Döbeln, Dresden, Grimma, Leipzig, Ludwigshafen, Mutterstadt, Speyer und Taucha. Auch ihnen ein Dankeschön für professionelle Auskünfte und die Bereitstellung aussagekräftiger Dokumente.
Köln, im April 2011
Der 7. März 1933, ein Dienstag, präsentierte sich im Nordosten Deutschlands als grauer, kühler Tag. Die Temperaturen in Berlin stiegen nur wenig über null Grad. Auf dem Programm der Staatsoper Unter den Linden stand Mozarts Idomeneo, im Staatlichen Schauspielhaus wurde Goethes Faust II gegeben, und das Theater im Admiralspalast warb für die Operette Frühlingsstürme von Jaromir Weinberger mit Kammersänger Richard Tauber in der Hauptrolle. In der Reichshauptstadt blühte das kulturelle Leben, die Berliner sahen hoffnungsvoll dem Frühling entgegen. Seit 36 Tagen amtierte Adolf Hitler als Reichskanzler. Für viele Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung war mit Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 ein Traum in Erfüllung gegangen. Deutschland hatte eine »historische Wende« vollzogen, die durch das Ergebnis der Reichstagswahlen vom 5. März 1933 untermauert worden war. In der Folge sank die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland erstmals unter die Sechsmillionengrenze, es ging nach Jahren der Rezession endlich wieder aufwärts. Ein teuer erkaufter Erfolg, der nur ein Ziel kannte: Deutschland auf einen Krieg vorzubereiten, den damals kaum jemand kommen sah.
An jenem 7. März erblickte Hannelore Renner morgens um 11 Uhr in der Berliner Bavaria-Klinik im Stadtbezirk Schöneberg das Licht der Welt - zwei Monate vor dem errechneten Termin. Die Klinik in der Münchener Straße war das nächstgelegene Krankenhaus zum Wohnsitz des Ehepaars Wilhelm und Irene Renner in der Kaiser-Wilhelmstraße 153 in Berlin-Lankwitz. Die Geburt selbst war reibungslos verlaufen, obwohl Hannelores Mutter nach damaliger Ansicht mit 35 Jahren bereits zu den Spätgebärenden zählte. Große Sorgen indes bereitete den glücklichen Eltern die frühe Geburt des Kindes. Hannelore war als Siebenmonatskind noch vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt gekommen und wog weniger als 2500 Gramm. Kurz nach der Geburt musste sie intubiert und vorübergehend künstlich beatmet werden. Die Eltern fürchteten, die inneren Organe könnten durch die kurzfristige Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr Schäden genommen haben. Die Sorgen um das lang ersehnte Wunschkind legten sich erst, als die Ärzte dem Säugling eine erstaunlich gute Konstitution bescheinigten und eine normale Entwicklung prognostizierten.
Sechs Tage nach Hannelores Geburt erschien der stolze Vater, der wenige Wochen zuvor 43 Jahre alt geworden war, auf dem Standesamt in Schöneberg. In »Anwesenheit des Ingenieurs Renner« - so ist es protokolliert - stellte ein Standesbeamter Hannelores Geburtsurkunde aus, die mit der Nummer 58 versehen wurde.
Wilhelm und Irene Renner hatten sich während der »Goldenen Zwanzigerjahre« in Berlin kennengelernt und am 2. Februar 1929 in Bremen, Irenes Geburtsort, standesamtlich geheiratet. Wenige Monate später führte der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise zu Unternehmenszusammenbrüchen, massiver Arbeitslosigkeit und Deflation. Die Renners nahmen das Ende der goldenen Ära allerdings kaum zur Kenntnis. Dank der gesicherten berufl ichen Existenz des erfolgreichen Ingenieurs aus der Pfalz blieb die Wirtschaftskrise ohne nennenswerte Auswirkungen auf das sorgenfreie Leben des frisch vermählten Paares.
Wilhelm Renner war am 15. Januar 1890 im pfälzischen »Großdorf« Mutterstadt als erstes von fünf Kindern - drei Jungen und zwei Mädchen - geboren worden. Er stammte keineswegs aus ärmlichen Verhältnissen, wie immer wieder kolportiert wird. In seiner Geburtsurkunde, die die Eltern als der »protestantischen Religion« zugehörig ausweist, wird als Beruf des Vaters Johannes Renner XIII. »Ackersmann und Dreschmaschinenbesitzer« angegeben. Er betrieb eine kleine Landwirtschaft als Nebenerwerb und vermietete seine Dreschmaschine an andere Bauern, was ihm im Sommer eine stattliche Summe Reichsmark einbrachte. Im Hauptberuf war der gelernte Schlosser Werkstattbesitzer und reparierte Fahrräder, Motorräder und landwirtschaftliche Maschinen, später auch Kraftfahrzeuge. Der Betrieb mit einigen Angestellten florierte und galt als eines der führenden Kleinunternehmen in der Region. Die Familie brachte es über die Jahre zu einigem Wohlstand und zählte zu den angesehensten des Dorfes. Zur Unterscheidung der verschiedenen »Renner-Stämme« im Ort behalfen sich die Bürger einer einfachen Zuordnungsmethode: Aufgrund der Haarfarbe hieß Wilhelms Familie Renner-Schwarz, die seines Onkels wurde Renner-Weiß genannt.
Der Erstgeborene von Johannes und Elisabeth Renner, einer geborenen Schorr, zeichnete sich früh durch Zielstrebigkeit und eine gehörige Portion Ehrgeiz aus. Nach einem überdurchschnittlichen Schulabschluss absolvierte er eine Mechanikerlehre, die in den Augen seiner Eltern eigentlich das Ende seiner Ausbildung hätte sein sollen. Doch der aufgeweckte Junge, der vom Elternhaus politisch eher in sozialdemokratischer Richtung erzogen worden war, strebte nach Höherem und wollte Ingenieur werden. Mit 18 Jahren legte er die Prüfung an der Mannheimer Ingenieurschule ab und trug fortan voller Stolz den Titel »Elektroingenieur«.
Nach einem kurzen Zwischenspiel als Berufsanfänger in der pfälzischen Heimat zog es Wilhelm Renner in die Ferne. Im Jahr 1910 ging er auf Wanderschaft und landete eines Tages in Berlin, genauer im Ingenieurbüro »Julius Pintsch AG« in der Friedrichshainer Andreasstraße. In diesem weit über die Grenzen der Stadt bekannten Großbetrieb für Beleuchtungsanlagen und Rüstungstechnik fand Renner eine Anstellung als Konstruktionsingenieur. Sein neuer Arbeitgeber entwickelte Gasdruckmesser für die Industrie und erhielt Großaufträge für die Herstellung von Gasbeleuchtungsgeräten. Später spezialisierte sich das Unternehmen auf Gasbeleuchtungen für Eisenbahnen.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 fanden die Karriereträume des jungen Mannes ein vorläufi ges Ende. Wilhelm Renner wurde - wie Tausende seiner Generation - eingezogen. Doch der Pfälzer hatte Glück. Anstatt in den Schützengräben der Front kämpfen und sein Leben aufs Spiel setzen zu müssen, kam der Ingenieur bei der Fliegertruppe unter und landete in einer Entwicklungsabteilung für Funk- und Funktelegrafiegeräte. Für Renner war die Kriegszeit auf diese Weise vor allem von neuen fachlichen Herausforderungen geprägt, die sich für seine weitere Karriere als äußerst hilfreich erweisen sollten.
Nach dem Ende des für alle beteiligten Nationen so fürchterlich verlustreichen Ersten Weltkriegs kehrte Wilhelm als Feldwebel der Reserve zurück zu seinem alten Arbeitgeber. Mit neuen Ideen und jeder Menge fachlicher Erfahrung ausgestattet, kehrte er in seine Position als Konstruktionsingenieur bei der Julius Pintsch AG zurück.
1926 quittierte Wilhelm nach acht Jahren seinen gut bezahlten Job, da er bei Pintsch keine Aufstiegschancen sah. Und das in einer Zeit, als sich die Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik langsam zu einem drängenden Problem entwickelte. Dank bester Verbindungen trat der in seiner Branche geschätzte Experte in das bekannte Berliner Ingenieurbüro Koch & Kienzle ein. In diesem 1918 gegründeten »ersten freiberuflichen Unternehmen für Rationalisierungszwecke« wurde der ehrgeizige Renner rasch zum Abteilungsleiter berufen.
In dieser Zeit lernte er seine große Liebe Irene Merling kennen. Lisa Maria Irene wurde laut Geburtsurkunde vom 3. Januar 1898 am 31. Dezember 1897 im elterlichen Haus in der Bremer Georgstraße 31 in der heutigen Bahnhofsvorstadt geboren und vermutlich evangelisch getauft. In den einschlägigen Archiven findet sich für Irene Merling allerdings kein Eintrag im Taufregister. Sie stammte im Gegensatz zu ihrem späteren Ehemann aus einer großbürgerlichen Akademikerfamilie. Ihr Vater war der renommierte Rechtsanwalt und Notar Dr. jur. Magnus Phil. Emil Merling, ihre Mutter Elsa Margaretha, geborene Mey, war die Enkelin von Ernst Mey, der 1870 zusammen mit Bernhard Edlich die Herrenausstatterfirma »Mey & Edlich« gegründet hatte. Irene, die mit zwei Brüdern und einer älteren Schwester aufwuchs, galt als musisch und sprachlich besonders begabt und besuchte die höhere Töchterschule. Ob sie anschließend eine Ausbildung absolvierte, liegt im Dunkeln. Bekannt ist indes ihre spätere Tätigkeit als Ansagerin beim Rundfunk, der von 1923 an regelmäßig aus dem Voxhaus in Berlin sendete. Was ihre eigentliche Profession war, lässt sich nicht schlüssig belegen - in der Familie galt sie als »Künstlerin«. Im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester Ilse aber, die in Amerika erfolgreiche Auftritte als Schauspielerin und Sängerin hatte, beruht Irenes Karriere als »Künstlerin« nur auf Vermutungen. Überliefert ist, dass sie die Kunst des Pfeifens in herausragender Weise beherrschte. Aus ihrem Mund ertönten Melodien, wie sie variationsreicher nicht sein konnten. Auch ihre Begabung beim Karten- und Tischtennisspiel, die sie bis ins hohe Alter gerne unter Beweis stellte, scheinen legendär gewesen zu sein.
Als die lebenslustige Bremerin Wilhelm Renner im Februar 1929 heiratete, gab sie ihren Job beim Rundfunk auf und war fortan die attraktive und stets elegant gekleidete Frau an seiner Seite.
Der rastlose Wilhelm Renner, immer auf der Suche nach besseren, lukrativeren und einflussreicheren Jobs, nahm als kapp 44-Jähriger zum 1. Januar 1934 ein Angebot des Leipziger Rüstungskonzerns »Hugo Schneider Aktiengesellschaft« (HASAG) an, das sein Leben und das seiner Familie nachhaltig prägen sollte. Die kleine Hannelore war knapp neun Monate auf der Welt, als die Familie von Berlin nach Leipzig zog.
...
Genehmigte Lizenzausgabe für
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Ja, ich musste es tun, ich musste aufschreiben, was ich wusste, was ich neu entdeckte; was meine Recherchen erbrachten und was mir die Frau an seiner Seite anvertraut hatte und was ich jahrelang mit mir herumtrug.
Hannelore Kohl begegnete mir erstmals Mitte der Achtzigerjahre, als ich eine Biografie über ihren Mann schrieb und anschließend ein Fernsehporträt drehte. Ihr abgrundtiefes Misstrauen Journalisten gegenüber bekam auch ich zu spüren. Immerhin lud sie mich nach wochenlangem Warten zu ausgiebigen Interviews ein, in denen sie offen über ihre Doppelrolle als treusorgende Mutter und Kanzlergattin sprach. Über mein Angebot, ihr soziales Engagement als Präsidentin des Kuratoriums ZNS in einem Fernsehfilm zu dokumentieren, kamen wir erneut zusammen. Im Juli 1988 strahlte der WDR mein Hannelore-Kohl-Porträt aus, das auf breite positive Resonanz stieß. In den folgenden Jahren gab es eine Reihe von Begegnungen, bei denen ich spürte, dass sie meine journalistische Tätigkeit als Redakteur und Moderator im Deutschlandfunk ebenso schätzte wie meine zahlreichen Politikerbiografien und Fernsehdokumentationen.
Nach Helmut Kohls Abwahl 1998 gehörte ich zu einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern und Publizisten, die dem Kanzler der Einheit beim Schreiben seiner Memoiren half. Damit begann eine für jeden Historiker spannende Forschungstätigkeit, die mich an vielen Wochenenden und freien Tagen nach Ludwigshafen führte. Zweieinhalb Jahre erlebte ich Hannelore Kohl bis drei Tage vor ihrem Tod als engagierte Mitarbeiterin und verlässliche Ideengeberin bei den Erinnerungen ihres Mannes. In dieser Zeit der Zusammenarbeit ergab sich die Gelegenheit zu ausgiebigen Gesprächen auch mit ihr. Ich erlebte eine Hannelore Kohl, die mir in einer nie gekannten Offenheit Dinge anvertraute, von denen ich zuvor nicht die leiseste Ahnung hatte. Bei stundenlangen nächtlichen Spaziergängen im Maudacher Bruch bei Ludwigshafen oder bei unseren Vieraugengesprächen in ihrem abgedunkelten Bungalow schüttete sie mir ihr Herz aus. Ich erfuhr von menschlichen Tragödien und Geheimnissen, die sie offenbar nicht länger für sich behalten wollte, über die sie nicht länger schweigen konnte. Entgegen ihrer jahrzehntelang praktizierten Strategie, nichts Privates öffentlich zu machen und vor allem auf ihren Mann und noch viel mehr auf ihre Kinder nichts kommen zu lassen, befreite sie ihre Seele vom Druck des Verschweigens, des Vertuschens und Verdrängens. Vieles war für mich nicht gleich erklärbar, und manches erschloss sich erst nach ihrem Tod.
Hannelore Kohl wusste sehr genau, dass ich jener Berufsgruppe angehöre, die nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Die wichtigste Funktion meines Berufes als Journalist, Film- und Buchautor liegt im Publizieren. Deshalb durfte ich ihre ungewohnte Offenheit, ihr ungebrochenes Mitteilungsbedürfnis als ein Vermächtnis verstehen: Hannelore Kohl bedeutete mir, dass ich eines Tages das veröffentlichen soll, was sie mir in den vielen Monaten und Wochen vor ihrem Tod anvertraute.
Mit ihren beiden Söhnen hatte ich über Monate Gesprächskontakte, die in dem Moment abgebrochen wurden, als ich nicht zur Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Buchprojekt bereit war.
Mit Helmut Kohl verband mich nach seiner Kanzlerschaft die Mitarbeit an seinen Memoiren. Die Rolle seiner Gattin war dabei ein wichtiges Thema. Eine Woche nach Hannelore Kohls Beisetzung traf ich auf einen tief erschütterten und, so meine Deutung seines Verhaltens, auch vom schlechten Gewissen geplagten Altkanzler. In dieser Verfassung beschrieb er ausführlich die fundamentale Bedeutung der Frau an seiner Seite für sein bewegtes Leben und seine glänzende politische Karriere.
Im vorliegenden Buch versuche ich nach bestem Wissen und Gewissen, das schwere Leben der Hannelore Kohl nachzuzeichnen. Ein Leben, das geprägt war von Verlust, schweren Einschnitten und regelrechten menschlichen Tragödien. Dass die Spendenaffäre ihres Mannes und deren mediale Auswirkungen für Hannelore Kohl der Todesstoß waren, steht nach Meinung Vieler, auch ihrer engsten Freundinnen, außer Zweifel. Hinzu kommen weitere Gründe, die wohl in der Gesamtheit zu ihrem Selbstmord führten: Ihre große Einsamkeit, ihr fortwährendes Gefühl, verlassen zu sein, ihre niemals therapeutisch aufgearbeiteten traumatischen Erlebnisse im Krieg und auf der Flucht und schließlich das Drama ihrer schweren Krankheit. Mit den Werkzeugen des Historikers allein ist eine solche Biografie nicht zu schreiben. Ich habe deshalb zwei namhafte Mediziner um Mithilfe gebeten. Besonderer Dank gilt Professor Dr. med. Luise Reddemann, ausgebildete Nervenärztin und Psychoanalytikerin, langjährige Leiterin der Klinik für Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin des Evangelischen Johannes-Krankenhauses in Bielefeld und derzeit Honorarprofessorin für Psychotraumatologie und Psychologische Medizin an der Universität Klagenfurt. Danken möchte ich auch Dr. med. Bertram von der Stein, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Rehabilitationswesen. Ohne ihre Unterstützung wäre die vorliegende Biografie unvollständig geblieben.
Mein Dank gilt auch dem Mitbegründer des Kuratoriums ZNS und der Hannelore-Kohl-Stiftung, Professor Dr. med. Dr. phil. Klaus Mayer. Der ehemalige Ärztliche Direktor an der Neurologischen Universitätsklinik in Tübingen war von 1983 an bis zu Hannelore Kohls Tod der wichtigste Sachverständige und einflussreichste Berater der Kanzlergattin. Ohne ihn wäre die Hannelore-Kohl-Stiftung nicht zu diesem großen Erfolg geworden. Zur Geschichte von Hannelore Kohls sozialem Engagement lieferten die ehemalige ZNS-Mitarbeiterin Amalie Barzen und der frühere ZNSGeschäftsführer Rolf Wiechers unverzichtbare Hintergrundinformationen.
Zu den Freundinnen, die Hannelore Kohl über Jahre hinweg und bis zu ihren letzten Tagen begleitet haben, zählt insbesondere Rena Krebs. Seit den gemeinsam verbrachten frühen Kindertagen in Leipzig war sie für Hannelore Kohl eine der wichtigsten und vertrautesten Gesprächspartnerinnen, vor allem für die großen Familienthemen. Für mich gehörte sie als Vorkriegs- und Kriegskind zu den unverzichtbaren Zeitzeuginnen. Sie hat meine Arbeit konstruktiv und kritisch begleitet und durch ihre Gedanken und Fragen bereichert.
Kohls langjähriger Haushälterin Hilde Seeber und ihrem Mann Ecki, Vertrauter und Chauffeur des Kanzlers, verdanke ich vielfältige Unterstützung, bei der sie niemals die Gebote von Loyalität und Verschwiegenheit verletzten. Beide waren auch für Hannelore wichtige Stützen in allen Lebenslagen.
Danken möchte ich nicht zuletzt den vielen treuen Freundinnen, Nachbarn und Verwandten väterlicherseits, die mir manchen Hinweis gaben und damit das Bild des Menschen Hannelore Kohl abrundeten.
Verlässliche Informationen lieferten Damen und Herren aus kirchlichen, kommunalen und staatlichen Archiven von Berlin, Bremen, Döbeln, Dresden, Grimma, Leipzig, Ludwigshafen, Mutterstadt, Speyer und Taucha. Auch ihnen ein Dankeschön für professionelle Auskünfte und die Bereitstellung aussagekräftiger Dokumente.
Köln, im April 2011
Der 7. März 1933, ein Dienstag, präsentierte sich im Nordosten Deutschlands als grauer, kühler Tag. Die Temperaturen in Berlin stiegen nur wenig über null Grad. Auf dem Programm der Staatsoper Unter den Linden stand Mozarts Idomeneo, im Staatlichen Schauspielhaus wurde Goethes Faust II gegeben, und das Theater im Admiralspalast warb für die Operette Frühlingsstürme von Jaromir Weinberger mit Kammersänger Richard Tauber in der Hauptrolle. In der Reichshauptstadt blühte das kulturelle Leben, die Berliner sahen hoffnungsvoll dem Frühling entgegen. Seit 36 Tagen amtierte Adolf Hitler als Reichskanzler. Für viele Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung war mit Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 ein Traum in Erfüllung gegangen. Deutschland hatte eine »historische Wende« vollzogen, die durch das Ergebnis der Reichstagswahlen vom 5. März 1933 untermauert worden war. In der Folge sank die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland erstmals unter die Sechsmillionengrenze, es ging nach Jahren der Rezession endlich wieder aufwärts. Ein teuer erkaufter Erfolg, der nur ein Ziel kannte: Deutschland auf einen Krieg vorzubereiten, den damals kaum jemand kommen sah.
An jenem 7. März erblickte Hannelore Renner morgens um 11 Uhr in der Berliner Bavaria-Klinik im Stadtbezirk Schöneberg das Licht der Welt - zwei Monate vor dem errechneten Termin. Die Klinik in der Münchener Straße war das nächstgelegene Krankenhaus zum Wohnsitz des Ehepaars Wilhelm und Irene Renner in der Kaiser-Wilhelmstraße 153 in Berlin-Lankwitz. Die Geburt selbst war reibungslos verlaufen, obwohl Hannelores Mutter nach damaliger Ansicht mit 35 Jahren bereits zu den Spätgebärenden zählte. Große Sorgen indes bereitete den glücklichen Eltern die frühe Geburt des Kindes. Hannelore war als Siebenmonatskind noch vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt gekommen und wog weniger als 2500 Gramm. Kurz nach der Geburt musste sie intubiert und vorübergehend künstlich beatmet werden. Die Eltern fürchteten, die inneren Organe könnten durch die kurzfristige Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr Schäden genommen haben. Die Sorgen um das lang ersehnte Wunschkind legten sich erst, als die Ärzte dem Säugling eine erstaunlich gute Konstitution bescheinigten und eine normale Entwicklung prognostizierten.
Sechs Tage nach Hannelores Geburt erschien der stolze Vater, der wenige Wochen zuvor 43 Jahre alt geworden war, auf dem Standesamt in Schöneberg. In »Anwesenheit des Ingenieurs Renner« - so ist es protokolliert - stellte ein Standesbeamter Hannelores Geburtsurkunde aus, die mit der Nummer 58 versehen wurde.
Wilhelm und Irene Renner hatten sich während der »Goldenen Zwanzigerjahre« in Berlin kennengelernt und am 2. Februar 1929 in Bremen, Irenes Geburtsort, standesamtlich geheiratet. Wenige Monate später führte der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise zu Unternehmenszusammenbrüchen, massiver Arbeitslosigkeit und Deflation. Die Renners nahmen das Ende der goldenen Ära allerdings kaum zur Kenntnis. Dank der gesicherten berufl ichen Existenz des erfolgreichen Ingenieurs aus der Pfalz blieb die Wirtschaftskrise ohne nennenswerte Auswirkungen auf das sorgenfreie Leben des frisch vermählten Paares.
Wilhelm Renner war am 15. Januar 1890 im pfälzischen »Großdorf« Mutterstadt als erstes von fünf Kindern - drei Jungen und zwei Mädchen - geboren worden. Er stammte keineswegs aus ärmlichen Verhältnissen, wie immer wieder kolportiert wird. In seiner Geburtsurkunde, die die Eltern als der »protestantischen Religion« zugehörig ausweist, wird als Beruf des Vaters Johannes Renner XIII. »Ackersmann und Dreschmaschinenbesitzer« angegeben. Er betrieb eine kleine Landwirtschaft als Nebenerwerb und vermietete seine Dreschmaschine an andere Bauern, was ihm im Sommer eine stattliche Summe Reichsmark einbrachte. Im Hauptberuf war der gelernte Schlosser Werkstattbesitzer und reparierte Fahrräder, Motorräder und landwirtschaftliche Maschinen, später auch Kraftfahrzeuge. Der Betrieb mit einigen Angestellten florierte und galt als eines der führenden Kleinunternehmen in der Region. Die Familie brachte es über die Jahre zu einigem Wohlstand und zählte zu den angesehensten des Dorfes. Zur Unterscheidung der verschiedenen »Renner-Stämme« im Ort behalfen sich die Bürger einer einfachen Zuordnungsmethode: Aufgrund der Haarfarbe hieß Wilhelms Familie Renner-Schwarz, die seines Onkels wurde Renner-Weiß genannt.
Der Erstgeborene von Johannes und Elisabeth Renner, einer geborenen Schorr, zeichnete sich früh durch Zielstrebigkeit und eine gehörige Portion Ehrgeiz aus. Nach einem überdurchschnittlichen Schulabschluss absolvierte er eine Mechanikerlehre, die in den Augen seiner Eltern eigentlich das Ende seiner Ausbildung hätte sein sollen. Doch der aufgeweckte Junge, der vom Elternhaus politisch eher in sozialdemokratischer Richtung erzogen worden war, strebte nach Höherem und wollte Ingenieur werden. Mit 18 Jahren legte er die Prüfung an der Mannheimer Ingenieurschule ab und trug fortan voller Stolz den Titel »Elektroingenieur«.
Nach einem kurzen Zwischenspiel als Berufsanfänger in der pfälzischen Heimat zog es Wilhelm Renner in die Ferne. Im Jahr 1910 ging er auf Wanderschaft und landete eines Tages in Berlin, genauer im Ingenieurbüro »Julius Pintsch AG« in der Friedrichshainer Andreasstraße. In diesem weit über die Grenzen der Stadt bekannten Großbetrieb für Beleuchtungsanlagen und Rüstungstechnik fand Renner eine Anstellung als Konstruktionsingenieur. Sein neuer Arbeitgeber entwickelte Gasdruckmesser für die Industrie und erhielt Großaufträge für die Herstellung von Gasbeleuchtungsgeräten. Später spezialisierte sich das Unternehmen auf Gasbeleuchtungen für Eisenbahnen.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 fanden die Karriereträume des jungen Mannes ein vorläufi ges Ende. Wilhelm Renner wurde - wie Tausende seiner Generation - eingezogen. Doch der Pfälzer hatte Glück. Anstatt in den Schützengräben der Front kämpfen und sein Leben aufs Spiel setzen zu müssen, kam der Ingenieur bei der Fliegertruppe unter und landete in einer Entwicklungsabteilung für Funk- und Funktelegrafiegeräte. Für Renner war die Kriegszeit auf diese Weise vor allem von neuen fachlichen Herausforderungen geprägt, die sich für seine weitere Karriere als äußerst hilfreich erweisen sollten.
Nach dem Ende des für alle beteiligten Nationen so fürchterlich verlustreichen Ersten Weltkriegs kehrte Wilhelm als Feldwebel der Reserve zurück zu seinem alten Arbeitgeber. Mit neuen Ideen und jeder Menge fachlicher Erfahrung ausgestattet, kehrte er in seine Position als Konstruktionsingenieur bei der Julius Pintsch AG zurück.
1926 quittierte Wilhelm nach acht Jahren seinen gut bezahlten Job, da er bei Pintsch keine Aufstiegschancen sah. Und das in einer Zeit, als sich die Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik langsam zu einem drängenden Problem entwickelte. Dank bester Verbindungen trat der in seiner Branche geschätzte Experte in das bekannte Berliner Ingenieurbüro Koch & Kienzle ein. In diesem 1918 gegründeten »ersten freiberuflichen Unternehmen für Rationalisierungszwecke« wurde der ehrgeizige Renner rasch zum Abteilungsleiter berufen.
In dieser Zeit lernte er seine große Liebe Irene Merling kennen. Lisa Maria Irene wurde laut Geburtsurkunde vom 3. Januar 1898 am 31. Dezember 1897 im elterlichen Haus in der Bremer Georgstraße 31 in der heutigen Bahnhofsvorstadt geboren und vermutlich evangelisch getauft. In den einschlägigen Archiven findet sich für Irene Merling allerdings kein Eintrag im Taufregister. Sie stammte im Gegensatz zu ihrem späteren Ehemann aus einer großbürgerlichen Akademikerfamilie. Ihr Vater war der renommierte Rechtsanwalt und Notar Dr. jur. Magnus Phil. Emil Merling, ihre Mutter Elsa Margaretha, geborene Mey, war die Enkelin von Ernst Mey, der 1870 zusammen mit Bernhard Edlich die Herrenausstatterfirma »Mey & Edlich« gegründet hatte. Irene, die mit zwei Brüdern und einer älteren Schwester aufwuchs, galt als musisch und sprachlich besonders begabt und besuchte die höhere Töchterschule. Ob sie anschließend eine Ausbildung absolvierte, liegt im Dunkeln. Bekannt ist indes ihre spätere Tätigkeit als Ansagerin beim Rundfunk, der von 1923 an regelmäßig aus dem Voxhaus in Berlin sendete. Was ihre eigentliche Profession war, lässt sich nicht schlüssig belegen - in der Familie galt sie als »Künstlerin«. Im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester Ilse aber, die in Amerika erfolgreiche Auftritte als Schauspielerin und Sängerin hatte, beruht Irenes Karriere als »Künstlerin« nur auf Vermutungen. Überliefert ist, dass sie die Kunst des Pfeifens in herausragender Weise beherrschte. Aus ihrem Mund ertönten Melodien, wie sie variationsreicher nicht sein konnten. Auch ihre Begabung beim Karten- und Tischtennisspiel, die sie bis ins hohe Alter gerne unter Beweis stellte, scheinen legendär gewesen zu sein.
Als die lebenslustige Bremerin Wilhelm Renner im Februar 1929 heiratete, gab sie ihren Job beim Rundfunk auf und war fortan die attraktive und stets elegant gekleidete Frau an seiner Seite.
Der rastlose Wilhelm Renner, immer auf der Suche nach besseren, lukrativeren und einflussreicheren Jobs, nahm als kapp 44-Jähriger zum 1. Januar 1934 ein Angebot des Leipziger Rüstungskonzerns »Hugo Schneider Aktiengesellschaft« (HASAG) an, das sein Leben und das seiner Familie nachhaltig prägen sollte. Die kleine Hannelore war knapp neun Monate auf der Welt, als die Familie von Berlin nach Leipzig zog.
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Genehmigte Lizenzausgabe für
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Heribert Schwan
Heribert Schwan, Dr. phil., war Redakteur beim Deutschlandfunk und beim WDR-Fernsehen u.a. für die Kulturfeatures im ARD-Programm verantwortlich. Für seine Dokumentationen erhielt er zahlreiche nationale und internationale Preise; für seinen Film "Die verdrängte Gefahr - Neonazismus" wurde er mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. Er ist Autor zahlreicher Bücher, von denen einige zu Bestellern wurden.
Bibliographische Angaben
- Autor: Heribert Schwan
- 320 Seiten, teilweise Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 13,7 x 21,5 cm, Hochw. Broschur mit Klappeinb.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828957390
- ISBN-13: 9783828957398
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