Töte mich
Er möchte der Beste sein – der beste Serienkiller. Kein leichter Fall für FBI-Agentin Dana Whitestone.
Nathan Stiedowe will der perfekte Killer werden – und er hat "große" Vorbilder. Menschliche Monster...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Töte mich “
Er möchte der Beste sein – der beste Serienkiller. Kein leichter Fall für FBI-Agentin Dana Whitestone.
Nathan Stiedowe will der perfekte Killer werden – und er hat "große" Vorbilder. Menschliche Monster wie Charles Manson. Sein Plan: Er will die grausamsten Morde der Geschichte ein zweites Mal begehen, diesmal jedoch ohne Fehler und ohne gefasst zu werden. Sein "Meisterwerk" soll eine Frau werden, die ihm vor vielen Jahren entkommen ist: Dana Whitestone. Sie ist allerdings kein leichtes Opfer. Dana arbeitet als Agentin beim FBI und ihr Spezialgebiet ist es, Serienkiller zur Strecke zu bringen.
"Beängstigend, spannend und absolut originell. Bei diesem Buch wird ihnen das Blut gefrieren."
Karin Slaughter
Lese-Probe zu „Töte mich “
Töte mich von Jon OsborneERSTER TEIL
DIE RÜCKKEHR DES RICHARD RAMIREZ
1.
Los Angeles, Freitag, 13. November, 10.30 Uhr
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Rot, orange, gelb, grün, blau, indigo, violett.
Von sämtlichen Farben des Regenbogens mochte Nathan Stiedowe die der Sonne am wenigsten, dieses grelle Gelborange. Doch an jenem Morgen machte die Sonne sich auf angenehme Weise nützlich, indem sie seine Haut wärmte.
Dank sei Gott dem Herrn für seine kleinen Gefälligkeiten.
Nathan starrte hinauf zum glühenden Feuerball am Himmel, ohne zu blinzeln und ohne Schmerz in den Augäpfeln zu spüren wie ein normaler Mensch. Aber er war schon immer anders gewesen als normale Menschen. Verschroben, wie seine Eltern, Lehrer und Schulkameraden es seit seinen Kindertagen immer bezeichnet hatten.
Ihren Berichten zufolge hatte Nathan bei den ersten schmerzhaften Impfungen, die alle einjährigen Kinder bekamen, keinen Mucks von sich gegeben und nicht geweint, keine einzige Träne. Die Krankenschwestern hatten gestaunt, waren geradezu schockiert gewesen, als die spitze Nadel Nathans babyglatte Haut punktiert hatte, ohne dass der kleine Kerl auf irgendeine Weise reagierte.
Was stimmt nicht mit dem Jungen?, hatten sie sich gefragt, wobei sie einander verwirrt, sogar ein bisschen ängstlich angeschaut hatten. Wir müssen sofort weitere Untersuchungen machen.
Es war unheimlich. Alle Babys weinten.
Nathan nicht.
Jahre später, in der vierten Klasse, hatte er sich beim Fußballspielen in der Pause drei Brüche am Fuß zugezogen. Seine Klassenkameraden hatten voller Entsetzen gehört, wie der Knochen gebrochen war, und es atemlos der Pausenaufsicht erzählt: ein lautes Knacken, das sich angehört hatte, als wäre ein trockener Ast geborsten. Doch Nathan hatte wieder nicht geweint, nicht einmal gejammert. Wie alles andere im Leben war Schmerz lediglich ein Zustand des Geistes, und wenn der Geist stark genug war, konnte man ihn einfach ausblenden. Kapierte das denn niemand?
Nach diesem Vorfall hatte man ihm immer neue Namen gegeben, die ihm für den Rest seiner Schulzeit anhafteten: Freak. Irrer. Vollidiot.
Stock und Stein, bricht dein Bein, aber niemals Namen. Namen konnten ihm nichts anhaben.
Nathan lächelte spöttisch. Was interessierte es ihn überhaupt, wie die anderen ihn nannten? Um den guten alten Billy Shakespeare zu zitieren: Was ist schon ein Name? Riecht eine Rose weniger berauschend, wenn sie einen anderen Namen trägt?
Und jetzt, viele Jahre später, hatte man ihm einen hoffnungslos kindischen Spitznamen angehängt: »Cleveland Slasher.« Meine Güte, wie albern! Doch wie üblich hatte die Presse - begierig wie immer, ihre Auflage zu erhöhen - gleich auf die Halsschlagader gezielt. Nathan mit seinem journalistischen Hintergrund verstand dies besser als die meisten, auch wenn ihm selbst ganz bestimmt etwas Originelleres eingefallen wäre. Verdammt, der richtige Reporter mit der richtigen Motivation hätte mit diesem Fall wahrscheinlich den Pulitzerpreis einheimsen können.
Nathan schüttelte den Kopf. Scheiß drauf. Im großen Plan aller Dinge waren Namen ohne Bedeutung. Es gab nur eines, was man über Nathan wissen musste: Er würde schon bald als der perfekteste Serienkiller gelten, der je gelebt hat. Und wenn er erst die Dornen dieser besonderen Rose geschärft hatte - bis zu dem Punkt, an dem sie literweise Blut strömen ließen -, würde das niemand je vergessen. Nicht seine Eltern, nicht seine ehemaligen Klassenkameraden und erst recht nicht dieses diebische Miststück in Cleveland, Ohio, das vor Jahren so gleichgültig sein Leben zerstört hatte.
Aber zuerst gab es am heutigen Tag wichtige Arbeit zu erledigen.
Nathan hatte bereits einen geschäftigen Morgen hinter sich - einen berauschenden, wundervollen fünften Mord, gefolgt von dem langen Rückflug nach Kalifornien -, doch die Arbeit eines Killers war nie getan. Nicht für die Asse unter ihnen. Und ganz bestimmt nicht für den Besten.
Lauftraining war eine seltsame Methode, sich auf das Töten von Menschen vorzubereiten, aber Nathan wusste, dass er keine andere Wahl hatte, wollte er der Beste sein. Und das wollte er um jeden Preis. Seit er ein kleiner Junge gewesen war (ein Freak, Irrer, Vollidiot), hatte er immerzu das Bedürfnis verspürt, den Ereignissen der Vergangenheit seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Die vollgekritzelte Tafel leer zu wischen und von vorne anzufangen. Die Dinge besser zu machen. Sie wieder sauber zu machen.
Auf seinem Trainingsplan für diesen Morgen standen Hügelsprints unter der glühenden kalifornischen Sonne im Griffith Park von Los Angeles. Hügelsprints waren eine Tortur, insbesondere für einen Mann in seinem Alter. Fünfundzwanzig Meter einen steilen Hang hinaufsprinten, dann hinunterjoggen, und dann das Ganze von vorn. Dann noch einmal. Und noch einmal. Die Oberschenkel brannten, als stünden sie in Flammen, die Lunge gierte nach Luft, der Schweiß floss in Strömen.
Die meisten Leistungssportler machten nicht mehr als zehn Wiederholungen, vielleicht fünfzehn, wenn sie sich eine solide Grundausdauer antrainieren wollten, die es ihnen erlaubte, den Körper auch mit übersäuerten Muskeln noch eine Zeit lang auf Hochtouren laufen zu lassen. Aber selbst das reichte Nathan nicht. Bei Weitem nicht. Er musste sich noch brutaler schinden, musste noch länger durchhalten als alle anderen, wenn er wirklich der beste Killer aller Zeiten werden wollte. Also zwang er sich zu zwanzig qualvollen Sprints den Hügel hinauf, bevor er sich auf den kurzen Dauerlauf zurück zu dem billigen Motel machte, das er vorübergehend sein Zuhause nannte.
Laufen war der entscheidende Faktor bei dem, was er vorhatte. Es machte ihn zu einem ernstzunehmenden Gegner und war ausschlaggebend für den Erfolg seiner kommenden Projekte. Anders als die meisten anderen Menschen, die vor der eigenen jämmerlichen Vergangenheit davonliefen - wie Hühner, dachte Nathan, die mit abgeschlagenen Köpfen durcheinanderhüpfen -, rannte er seiner Zukunft entgegen. Er rannte um seine Zukunft. Jedenfalls sagte er sich das immer wieder. Verdammt, vielleicht kam er eines Tages sogar dahin, es selbst zu glauben.
Es war heiß draußen. Brutal heiß. Während der letzten Tage hatte der Indian Summer L. A. fest im Griff gehabt, hatte die Stadt unbarmherzig an der Kehle gepackt und geschüttelt. Über dreißig Grad Celsius und eine so schwüle Luft, dass man sie wahrscheinlich auswringen konnte wie ein nasses Handtuch, wenn man sie richtig in die Finger bekam.
Die Sonne war ein brutzelnder Eidotter an einem fahlblauen Himmel. Sie knallte auf Jonathans Schädel wie ein solarer Vorschlaghammer, geschwungen von einer böswilligen Gottheit, als er aus dem Park hinausjoggte, wobei seine Beine zehnmal so schwer waren wie zu Beginn seines Trainings am Morgen. Wenigstens verriet ihm die wohltuende Müdigkeit seiner schmerzenden Muskeln, dass er erreicht hatte, was er hatte erreichen wollen.
Er wusste mit absoluter Gewissheit, dass Richard Ramirez, der Night Stalker, für seine Mordserie nicht so besessen trainiert hatte. Ganz bestimmt nicht. Hager, blass, mit eingefallenen Wangen unter den toten Augen - der Night Stalker war höchstens zum nächsten Tabakladen gerannt, um sich eine weitere Packung Billigzigaretten zu besorgen und seine verpesteten Lungen noch mehr zu vergiften.
Nathan schüttelte den Kopf und kicherte in sich hinein, als er den Park verließ. Der Night Stalker. Was für ein unglaublicher Witz. Bei Licht besehen war es erstaunlich, dass Ramirez überhaupt einen Spitznamen bekommen hatte.
Jonathan ließ den Park hinter sich. Die gepolsterten Gummisohlen seiner Laufschuhe tappten rhythmisch in stetigen Anderthalb-Meter-Schritten über das heiße Pflaster. Er hob die Hand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Unvermittelt verzog er das Gesicht, als ihm ein Gedanke kam. Was war überhaupt Ramirez' Problem gewesen? Wie hatte er so leichtsinnig werden können? So unprofessionell?
Wenn man ein Meister seines Fachs werden wollte - ein Killer, so erhaben über jede Kritik, dass nicht einmal der schlimmste Feind ein schlechtes Wort über ihn und seine Arbeit sagen konnte -, brauchte es bloß ein bisschen Nachdenken, gute Vorbereitung und eine Portion gottverdammte Disziplin, um alles richtig zu machen. Was war so schwer daran?
Gar nichts.
Wenn man der Beste sein wollte, musste man seinen Stolz beiseitestellen und das Spiel zuerst einmal studieren. Und wenn schon nichts anderes, war Nathan zeit seines Lebens ein äußerst gewissenhafter Schüler gewesen. Bis ins kleinste Detail hatte er erforscht, wie seine berühmt-berüchtigten Vorgänger in ihrer Killing Zone zu Werke gegangen waren. Deshalb würde er sie alle übertreffen.
So einfach war das.
Der Anblick der Titten, die fünf Schritte vor ihm auf und ab hüpften, riss ihn aus seinen Gedanken und brachten ihn zurück auf den hitzeflimmernden Bürgersteig, der sich entlang der tosenden Pazifikküste zog. Seemöwen kreischten am Himmel, und ein heftiger Ostwind, schwer vom Salz des Meeres, fuhr durch Nathans dichten braunen Schopf, als er sein gewinnendstes Grinsen aufsetzte. Freundlich nickte er den beiden attraktiven Blondinen im College-Alter zu, die in die entgegengesetzte Richtung joggten. Die kleinen Schlampen in ihren schweißgetränkten Sport-B H s und den dünnen Laufshirts hoben ihre manikürten Hände und erwiderten sein Lächeln.
Mach's richtig oder gar nicht, schienen sie ihm sagen zu wollen.
Nathan kicherte erneut, als die Blondinen vorbei waren, und senkte den Kopf, wobei er sich zwang, seine Schritte trotz des Seitenstechens zu beschleunigen. Verdammt, wenn selbst die dämlichen Nutten hier im sonnigen Südkalifornien Bescheid wussten, was war dann so beschissen schwierig an der Gleichung?
Überhaupt nichts. Nichts, was auch nur den leisesten Zweifel in ihm geweckt oder Anlass zur Besorgnis gegeben hätte. Es gab keinen Raum für Gewissensbisse. Killer töteten, weil sie Killer waren. Das war ihr Job, verdammt noch mal. Die fähigen Killer wurden nie gefasst, und die besten unter ihnen waren selbst hundert Jahre nach ihrem Ableben noch präsent. Doch ganz oben an der Spitze konnte es nur einen geben, den Leitstern, den Stolz seiner Zunft, den dominanten Löwen - Titel, die Nathan für sich in Anspruch zu nehmen gedachte.
Jetzt war es an der Zeit für den dominanten Löwen, seine spitzen weißen Zähne zu zeigen und ein donnerndes Brüllen von sich zu geben.
Fünfzehn Minuten später war er endlich zurück in dem heruntergekommenen Motel, dessen Erscheinungsbild jedes Mal Abscheu in ihm weckte - schmucklos, gedrungen, schäbig, ein richtiges Drecksloch vom Arsch bis zu den Ellbogen. Doch die Anonymität, die diese Absteige gewährte, machte es das Opfer, dort hausen zu müssen, mehr als wett.
Wellen reflektierter Hitze wogten über dem glühenden Pflaster wie eine Bauchtanztruppe in einer überfüllten Bar, als Nathan vorsichtig den asphaltierten Parkplatz mit den Schrottlauben überquerte: Datsuns, Cadillacs, Chryslers ... sogar ein vierzig Jahre alter Pinto mit eingeschlagener Heckscheibe. Sekunden später katapultierten ihn seine sehnigen Oberschenkelmuskeln wie zwei steife Pogo-Stelzen die Betontreppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal bis in den dritten Stock. Dort angekommen, stieß er die klapprige Holztür zu Zimmer 312 auf und sperrte sie gleich wieder hinter sich zu, bevor er seine brandneuen Laufschuhe von den Füßen trat und seinen Schlüssel auf das Doppelbett mit der grellen Paisley-Tagesdecke warf.
Schweiß rann ihm übers Gesicht, als er sich auf das Bett setzte und die knöchelhohen Socken herunterpellte. Er stieß einen zufriedenen Seufzer aus. Das Fehlen jeglicher Klimatisierung sorgte für Bedingungen, wie er sie am liebsten mochte.
Heiß.
Die Hitze war einer der Hauptgründe dafür gewesen, dass Nathan nach L. A. gekommen war, wenngleich nicht der wichtigste.
Seine Boardshorts, die karierten Boxer und das durchgeschwitzte T-Shirt waren als Nächstes an der Reihe. Als er splitternackt war, erhob er sich und trat vor den mannshohen Spiegel in der Ecke, um sich zu betrachten.
Ich sehe kräftiger aus, dachte er, während er seine straffe Bauchmuskulatur und den ausgeprägten Sixpack bewunderte. Ich könnte einer ganzen beschissenen Nation davonrennen, wenn ich's drauf anlege.
Aber es war nur eine Handvoll Leute, die er an diesem Abend abhängen musste.
Bei diesem Gedanken schoss ein Adrenalinstoß in seine Lenden, und er spürte, wie er eine Erektion bekam. Nur noch ein paar Stunden, und er würde wissen, ob sich die harte Arbeit und die gewissenhaften Vorbereitungen ausgezahlt hatten. Er hatte eine Menge lästiger Vorarbeiten erledigen müssen, um ganz sicherzugehen, doch jetzt, wo er die Aufmerksamkeit der Diebin in Cleveland hatte, konnten die verängstigten kleinen Mädchen in der »Renaissance City« ein bisschen beruhigter schlafen gehen.
Nathan lachte laut auf - ein tiefes, kehliges Lachen, das den Raum erfüllte und seine Stimmbänder vibrieren ließ wie die Saiten einer perfekt gestimmten Bassgitarre. Mit ein klein bisschen Mühe ließ sich bestimmt ein viel besserer Name für Cleveland einfallen - eine Stadt, die in den Vereinigten Staaten wenn nicht als Arsch der Welt, so doch als Arsch der Nation galt.
Nathan schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Es spielte keine Rolle. Namen waren Schall und Rauch. Außerdem hatte er seine One-Man-Show nach L. A. verlegt, in die Stadt der funkelnden Lichter und der üppigen Jagdgründe. Nicht mehr lange, und er würde der anerkannt beste Serienkiller sein, des es je gegeben hatte.
Es war an der Zeit, dass die größte Show auf Erden begann. Licht.
Kamera.
Action!
...
Übersetzung: Axel Merz
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Rot, orange, gelb, grün, blau, indigo, violett.
Von sämtlichen Farben des Regenbogens mochte Nathan Stiedowe die der Sonne am wenigsten, dieses grelle Gelborange. Doch an jenem Morgen machte die Sonne sich auf angenehme Weise nützlich, indem sie seine Haut wärmte.
Dank sei Gott dem Herrn für seine kleinen Gefälligkeiten.
Nathan starrte hinauf zum glühenden Feuerball am Himmel, ohne zu blinzeln und ohne Schmerz in den Augäpfeln zu spüren wie ein normaler Mensch. Aber er war schon immer anders gewesen als normale Menschen. Verschroben, wie seine Eltern, Lehrer und Schulkameraden es seit seinen Kindertagen immer bezeichnet hatten.
Ihren Berichten zufolge hatte Nathan bei den ersten schmerzhaften Impfungen, die alle einjährigen Kinder bekamen, keinen Mucks von sich gegeben und nicht geweint, keine einzige Träne. Die Krankenschwestern hatten gestaunt, waren geradezu schockiert gewesen, als die spitze Nadel Nathans babyglatte Haut punktiert hatte, ohne dass der kleine Kerl auf irgendeine Weise reagierte.
Was stimmt nicht mit dem Jungen?, hatten sie sich gefragt, wobei sie einander verwirrt, sogar ein bisschen ängstlich angeschaut hatten. Wir müssen sofort weitere Untersuchungen machen.
Es war unheimlich. Alle Babys weinten.
Nathan nicht.
Jahre später, in der vierten Klasse, hatte er sich beim Fußballspielen in der Pause drei Brüche am Fuß zugezogen. Seine Klassenkameraden hatten voller Entsetzen gehört, wie der Knochen gebrochen war, und es atemlos der Pausenaufsicht erzählt: ein lautes Knacken, das sich angehört hatte, als wäre ein trockener Ast geborsten. Doch Nathan hatte wieder nicht geweint, nicht einmal gejammert. Wie alles andere im Leben war Schmerz lediglich ein Zustand des Geistes, und wenn der Geist stark genug war, konnte man ihn einfach ausblenden. Kapierte das denn niemand?
Nach diesem Vorfall hatte man ihm immer neue Namen gegeben, die ihm für den Rest seiner Schulzeit anhafteten: Freak. Irrer. Vollidiot.
Stock und Stein, bricht dein Bein, aber niemals Namen. Namen konnten ihm nichts anhaben.
Nathan lächelte spöttisch. Was interessierte es ihn überhaupt, wie die anderen ihn nannten? Um den guten alten Billy Shakespeare zu zitieren: Was ist schon ein Name? Riecht eine Rose weniger berauschend, wenn sie einen anderen Namen trägt?
Und jetzt, viele Jahre später, hatte man ihm einen hoffnungslos kindischen Spitznamen angehängt: »Cleveland Slasher.« Meine Güte, wie albern! Doch wie üblich hatte die Presse - begierig wie immer, ihre Auflage zu erhöhen - gleich auf die Halsschlagader gezielt. Nathan mit seinem journalistischen Hintergrund verstand dies besser als die meisten, auch wenn ihm selbst ganz bestimmt etwas Originelleres eingefallen wäre. Verdammt, der richtige Reporter mit der richtigen Motivation hätte mit diesem Fall wahrscheinlich den Pulitzerpreis einheimsen können.
Nathan schüttelte den Kopf. Scheiß drauf. Im großen Plan aller Dinge waren Namen ohne Bedeutung. Es gab nur eines, was man über Nathan wissen musste: Er würde schon bald als der perfekteste Serienkiller gelten, der je gelebt hat. Und wenn er erst die Dornen dieser besonderen Rose geschärft hatte - bis zu dem Punkt, an dem sie literweise Blut strömen ließen -, würde das niemand je vergessen. Nicht seine Eltern, nicht seine ehemaligen Klassenkameraden und erst recht nicht dieses diebische Miststück in Cleveland, Ohio, das vor Jahren so gleichgültig sein Leben zerstört hatte.
Aber zuerst gab es am heutigen Tag wichtige Arbeit zu erledigen.
Nathan hatte bereits einen geschäftigen Morgen hinter sich - einen berauschenden, wundervollen fünften Mord, gefolgt von dem langen Rückflug nach Kalifornien -, doch die Arbeit eines Killers war nie getan. Nicht für die Asse unter ihnen. Und ganz bestimmt nicht für den Besten.
Lauftraining war eine seltsame Methode, sich auf das Töten von Menschen vorzubereiten, aber Nathan wusste, dass er keine andere Wahl hatte, wollte er der Beste sein. Und das wollte er um jeden Preis. Seit er ein kleiner Junge gewesen war (ein Freak, Irrer, Vollidiot), hatte er immerzu das Bedürfnis verspürt, den Ereignissen der Vergangenheit seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Die vollgekritzelte Tafel leer zu wischen und von vorne anzufangen. Die Dinge besser zu machen. Sie wieder sauber zu machen.
Auf seinem Trainingsplan für diesen Morgen standen Hügelsprints unter der glühenden kalifornischen Sonne im Griffith Park von Los Angeles. Hügelsprints waren eine Tortur, insbesondere für einen Mann in seinem Alter. Fünfundzwanzig Meter einen steilen Hang hinaufsprinten, dann hinunterjoggen, und dann das Ganze von vorn. Dann noch einmal. Und noch einmal. Die Oberschenkel brannten, als stünden sie in Flammen, die Lunge gierte nach Luft, der Schweiß floss in Strömen.
Die meisten Leistungssportler machten nicht mehr als zehn Wiederholungen, vielleicht fünfzehn, wenn sie sich eine solide Grundausdauer antrainieren wollten, die es ihnen erlaubte, den Körper auch mit übersäuerten Muskeln noch eine Zeit lang auf Hochtouren laufen zu lassen. Aber selbst das reichte Nathan nicht. Bei Weitem nicht. Er musste sich noch brutaler schinden, musste noch länger durchhalten als alle anderen, wenn er wirklich der beste Killer aller Zeiten werden wollte. Also zwang er sich zu zwanzig qualvollen Sprints den Hügel hinauf, bevor er sich auf den kurzen Dauerlauf zurück zu dem billigen Motel machte, das er vorübergehend sein Zuhause nannte.
Laufen war der entscheidende Faktor bei dem, was er vorhatte. Es machte ihn zu einem ernstzunehmenden Gegner und war ausschlaggebend für den Erfolg seiner kommenden Projekte. Anders als die meisten anderen Menschen, die vor der eigenen jämmerlichen Vergangenheit davonliefen - wie Hühner, dachte Nathan, die mit abgeschlagenen Köpfen durcheinanderhüpfen -, rannte er seiner Zukunft entgegen. Er rannte um seine Zukunft. Jedenfalls sagte er sich das immer wieder. Verdammt, vielleicht kam er eines Tages sogar dahin, es selbst zu glauben.
Es war heiß draußen. Brutal heiß. Während der letzten Tage hatte der Indian Summer L. A. fest im Griff gehabt, hatte die Stadt unbarmherzig an der Kehle gepackt und geschüttelt. Über dreißig Grad Celsius und eine so schwüle Luft, dass man sie wahrscheinlich auswringen konnte wie ein nasses Handtuch, wenn man sie richtig in die Finger bekam.
Die Sonne war ein brutzelnder Eidotter an einem fahlblauen Himmel. Sie knallte auf Jonathans Schädel wie ein solarer Vorschlaghammer, geschwungen von einer böswilligen Gottheit, als er aus dem Park hinausjoggte, wobei seine Beine zehnmal so schwer waren wie zu Beginn seines Trainings am Morgen. Wenigstens verriet ihm die wohltuende Müdigkeit seiner schmerzenden Muskeln, dass er erreicht hatte, was er hatte erreichen wollen.
Er wusste mit absoluter Gewissheit, dass Richard Ramirez, der Night Stalker, für seine Mordserie nicht so besessen trainiert hatte. Ganz bestimmt nicht. Hager, blass, mit eingefallenen Wangen unter den toten Augen - der Night Stalker war höchstens zum nächsten Tabakladen gerannt, um sich eine weitere Packung Billigzigaretten zu besorgen und seine verpesteten Lungen noch mehr zu vergiften.
Nathan schüttelte den Kopf und kicherte in sich hinein, als er den Park verließ. Der Night Stalker. Was für ein unglaublicher Witz. Bei Licht besehen war es erstaunlich, dass Ramirez überhaupt einen Spitznamen bekommen hatte.
Jonathan ließ den Park hinter sich. Die gepolsterten Gummisohlen seiner Laufschuhe tappten rhythmisch in stetigen Anderthalb-Meter-Schritten über das heiße Pflaster. Er hob die Hand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Unvermittelt verzog er das Gesicht, als ihm ein Gedanke kam. Was war überhaupt Ramirez' Problem gewesen? Wie hatte er so leichtsinnig werden können? So unprofessionell?
Wenn man ein Meister seines Fachs werden wollte - ein Killer, so erhaben über jede Kritik, dass nicht einmal der schlimmste Feind ein schlechtes Wort über ihn und seine Arbeit sagen konnte -, brauchte es bloß ein bisschen Nachdenken, gute Vorbereitung und eine Portion gottverdammte Disziplin, um alles richtig zu machen. Was war so schwer daran?
Gar nichts.
Wenn man der Beste sein wollte, musste man seinen Stolz beiseitestellen und das Spiel zuerst einmal studieren. Und wenn schon nichts anderes, war Nathan zeit seines Lebens ein äußerst gewissenhafter Schüler gewesen. Bis ins kleinste Detail hatte er erforscht, wie seine berühmt-berüchtigten Vorgänger in ihrer Killing Zone zu Werke gegangen waren. Deshalb würde er sie alle übertreffen.
So einfach war das.
Der Anblick der Titten, die fünf Schritte vor ihm auf und ab hüpften, riss ihn aus seinen Gedanken und brachten ihn zurück auf den hitzeflimmernden Bürgersteig, der sich entlang der tosenden Pazifikküste zog. Seemöwen kreischten am Himmel, und ein heftiger Ostwind, schwer vom Salz des Meeres, fuhr durch Nathans dichten braunen Schopf, als er sein gewinnendstes Grinsen aufsetzte. Freundlich nickte er den beiden attraktiven Blondinen im College-Alter zu, die in die entgegengesetzte Richtung joggten. Die kleinen Schlampen in ihren schweißgetränkten Sport-B H s und den dünnen Laufshirts hoben ihre manikürten Hände und erwiderten sein Lächeln.
Mach's richtig oder gar nicht, schienen sie ihm sagen zu wollen.
Nathan kicherte erneut, als die Blondinen vorbei waren, und senkte den Kopf, wobei er sich zwang, seine Schritte trotz des Seitenstechens zu beschleunigen. Verdammt, wenn selbst die dämlichen Nutten hier im sonnigen Südkalifornien Bescheid wussten, was war dann so beschissen schwierig an der Gleichung?
Überhaupt nichts. Nichts, was auch nur den leisesten Zweifel in ihm geweckt oder Anlass zur Besorgnis gegeben hätte. Es gab keinen Raum für Gewissensbisse. Killer töteten, weil sie Killer waren. Das war ihr Job, verdammt noch mal. Die fähigen Killer wurden nie gefasst, und die besten unter ihnen waren selbst hundert Jahre nach ihrem Ableben noch präsent. Doch ganz oben an der Spitze konnte es nur einen geben, den Leitstern, den Stolz seiner Zunft, den dominanten Löwen - Titel, die Nathan für sich in Anspruch zu nehmen gedachte.
Jetzt war es an der Zeit für den dominanten Löwen, seine spitzen weißen Zähne zu zeigen und ein donnerndes Brüllen von sich zu geben.
Fünfzehn Minuten später war er endlich zurück in dem heruntergekommenen Motel, dessen Erscheinungsbild jedes Mal Abscheu in ihm weckte - schmucklos, gedrungen, schäbig, ein richtiges Drecksloch vom Arsch bis zu den Ellbogen. Doch die Anonymität, die diese Absteige gewährte, machte es das Opfer, dort hausen zu müssen, mehr als wett.
Wellen reflektierter Hitze wogten über dem glühenden Pflaster wie eine Bauchtanztruppe in einer überfüllten Bar, als Nathan vorsichtig den asphaltierten Parkplatz mit den Schrottlauben überquerte: Datsuns, Cadillacs, Chryslers ... sogar ein vierzig Jahre alter Pinto mit eingeschlagener Heckscheibe. Sekunden später katapultierten ihn seine sehnigen Oberschenkelmuskeln wie zwei steife Pogo-Stelzen die Betontreppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal bis in den dritten Stock. Dort angekommen, stieß er die klapprige Holztür zu Zimmer 312 auf und sperrte sie gleich wieder hinter sich zu, bevor er seine brandneuen Laufschuhe von den Füßen trat und seinen Schlüssel auf das Doppelbett mit der grellen Paisley-Tagesdecke warf.
Schweiß rann ihm übers Gesicht, als er sich auf das Bett setzte und die knöchelhohen Socken herunterpellte. Er stieß einen zufriedenen Seufzer aus. Das Fehlen jeglicher Klimatisierung sorgte für Bedingungen, wie er sie am liebsten mochte.
Heiß.
Die Hitze war einer der Hauptgründe dafür gewesen, dass Nathan nach L. A. gekommen war, wenngleich nicht der wichtigste.
Seine Boardshorts, die karierten Boxer und das durchgeschwitzte T-Shirt waren als Nächstes an der Reihe. Als er splitternackt war, erhob er sich und trat vor den mannshohen Spiegel in der Ecke, um sich zu betrachten.
Ich sehe kräftiger aus, dachte er, während er seine straffe Bauchmuskulatur und den ausgeprägten Sixpack bewunderte. Ich könnte einer ganzen beschissenen Nation davonrennen, wenn ich's drauf anlege.
Aber es war nur eine Handvoll Leute, die er an diesem Abend abhängen musste.
Bei diesem Gedanken schoss ein Adrenalinstoß in seine Lenden, und er spürte, wie er eine Erektion bekam. Nur noch ein paar Stunden, und er würde wissen, ob sich die harte Arbeit und die gewissenhaften Vorbereitungen ausgezahlt hatten. Er hatte eine Menge lästiger Vorarbeiten erledigen müssen, um ganz sicherzugehen, doch jetzt, wo er die Aufmerksamkeit der Diebin in Cleveland hatte, konnten die verängstigten kleinen Mädchen in der »Renaissance City« ein bisschen beruhigter schlafen gehen.
Nathan lachte laut auf - ein tiefes, kehliges Lachen, das den Raum erfüllte und seine Stimmbänder vibrieren ließ wie die Saiten einer perfekt gestimmten Bassgitarre. Mit ein klein bisschen Mühe ließ sich bestimmt ein viel besserer Name für Cleveland einfallen - eine Stadt, die in den Vereinigten Staaten wenn nicht als Arsch der Welt, so doch als Arsch der Nation galt.
Nathan schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Es spielte keine Rolle. Namen waren Schall und Rauch. Außerdem hatte er seine One-Man-Show nach L. A. verlegt, in die Stadt der funkelnden Lichter und der üppigen Jagdgründe. Nicht mehr lange, und er würde der anerkannt beste Serienkiller sein, des es je gegeben hatte.
Es war an der Zeit, dass die größte Show auf Erden begann. Licht.
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Übersetzung: Axel Merz
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Jon Osborne
Jon Osborne hat viele Jahre als Redakteur für namhafte amerikanische Tageszeitungen gearbeitet. Heute lebt er in Florida und schreibt als freier Journalist über vielfältige Themen: von der Bäckerei um die Ecke bis hin zu aufsehenerregenden Dreifachmorden. Jon Osborne arbeitet derzeit an seinem zweiten Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jon Osborne
- 2012, 1, 352 Seiten, Maße: 13,5 x 19,1 cm, Flex. Einband
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863652541
- ISBN-13: 9783863652548
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