Ich bin an Deiner Seite
Roman. Deutsche Erstausgabe
Nach dem Krebstod seiner Frau Kate findet Ian einen Brief mit Kates letzter Bitte: Er soll mit seiner Tochter Mattie auf eine Reise quer durch die Länder aufbrechen, in denen ihre Liebe einst begann. Ian und Mattie brechen auf und es wird eine wunderbare Reise.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Ich bin an Deiner Seite “
Nach dem Krebstod seiner Frau Kate findet Ian einen Brief mit Kates letzter Bitte: Er soll mit seiner Tochter Mattie auf eine Reise quer durch die Länder aufbrechen, in denen ihre Liebe einst begann. Ian und Mattie brechen auf und es wird eine wunderbare Reise.
Klappentext zu „Ich bin an Deiner Seite “
Monate nach dem Tod seiner Frau Kate findet Ian einen Brief mit Kates letzter Bitte: Er soll sich mit ihrer Tochter Mattie auf eine Reise begeben. Doch Vater und Tochter sind einander fremd geworden. So sehr schmerzt Mattie der Verlust, so sehr quält es Ian, die Orte zu besuchen, an denen ihre Liebe begann. Doch Kate selbst hilft ihnen, zurück ins Leben zu finden ? mit Briefen voller Liebe und der Versicherung: "Ich bin an Deiner Seite."
Lese-Probe zu „Ich bin an Deiner Seite “
Ich bin an deiner Seite von John ShorsAmerika
Zwei werden eins
Wenn sich eine Tür schließt,
öffnet sich eine andere.
Amerikanisches Sprichwort
... mehr
Ian betrachtete die schlafende Mattie, deren Körper immer noch so lag, als schmiege sie sich eng an ihn. Ihre Arme lagen auf dem Kissen, das er vorsichtig neben ihrem Oberkörper platziert hatte. Das Kissen fungierte in vielen Nächten als Körperdouble, tröstete sie, wenn er nicht da war, bot ihr Wärme und einen Rest seines Geruchs. Seine zehnjährige Tochter wirkte so klein in dem großen Bett. Sie sah zerbrechlich und einsam aus, ganz verloren ohne ihn an ihrer Seite.
Wie so oft traten Ian beim Anblick der schlafenden Mattie Tränen in die Augen, war sie doch in fast jeder Hinsicht das Ebenbild ihrer verstorbenen Mutter. Vor einigen Jahren hatte Mattie sich selbst mit dem verglichen, was sie um sie herum im Park erblickte. Ihr Haar, meinte sie, habe die Farbe von Eichenrinde. Irgendwann musste der Himmel in ihre Augen getropft sein, da war sie sich sicher, weil sie den gleichen Farbton hatten, den sie über sich sah. Ihre Mutter hatte Mattie damals gefragt, woher denn dann ihre Sommersprossen kämen, und Mattie hatte sich zögernd im Park umgesehen. Schließlich hatte sie erwidert, ihre Sommersprossen seien kleine Teile der Blätter, die ihr ins Gesicht gefallen sein mussten, während sie schlief.
Ian fiel wieder ein, wie oft Mattie und Kate so miteinander gesprochen hatten - als teilten sie die gleichen Ansichten über die Welt. Mattie versuchte nicht, ihrer Mutter nachzueifern und ihre Charaktereigenschaften zu ihren eigenen zu machen. Es war eher so, als wäre Mattie eine Miniaturausgabe von Kate, als wäre Kates DNA ausgelesen und in Matties Verhalten und ihre Gedanken eingelesen worden. Wie ihre Mutter war Mattie künstlerisch begabt und neugierig. Ihr Herz war angefüllt mit der Liebe und dem Lachen ihrer Mutter. Egal, wohin sie zu dritt gingen, Mattie und Kate hatten sich immer an den Händen gehalten - selbst als Matties Freundinnen zu alt für diese Art öffentlicher Liebesbezeugungen wurden.
Ian setzte sich auf die Bettkante direkt neben Mattie. Das hier war Kates Seite gewesen, und er fuhr mit den Fingern über die Laken, die sie früher gewärmt hatten. Obwohl zehn Monate vergangen waren, seit er zuletzt ihre Haut berührt hatte, spürte er den Verlust noch genauso intensiv, als wäre sie erst gestern gestorben. Er fühlte sich noch immer leer und unvollständig, als hätte seine Seele versucht, mit ihr zu gehen, und sich nicht lösen können aus der Welt aus Steinen und Schmutz. Seine Seele war in ihm eingesperrt, der Magie beraubt, die sie einst in sich trug. Nur durch seine Willenskraft und seine Liebe zu Mattie war es ihm gelungen, Stücke seiner gefangenen Seele zu reparieren - indem er die Teile zusammensetzte, so wie man es bei einer zerbrochenen Vase tat. Aber er befürchtete, dass dieser Bereich von ihm niemals wieder fliegen würde. Zumindest nicht so, wie er es einmal gekonnt hatte. Ein verletzter Vogel lernte vielleicht das Fliegen wieder, aber er würde niemals mehr das gleiche unbändige Gefühl der Freiheit empfinden. Was den Vogel auch auf den Boden gezwungen hatte, lauerte immer irgendwo in der Ferne auf ihn.
Mattie bewegte sich im Schlaf, schob das Laken und die Decke herunter, die Ian bis zu ihrem Hals gezogen hatte. Er wiederholte das vorsichtig, dann beugte er sich vor und küsste eine Sommersprosse auf ihrer Stirn. Er überprüfte, ob auch beide Nachtlichter an waren, stand auf und ging in Richtung Tür. Er kam an einem antiken Spiegel vorbei, den Kate gegenüber von ihrem Bett aufgehängt hatte, und blieb stehen. Sein Spiegelbild hatte sich im letzten Jahr deutlich verändert. Seine ein Meter neunzig große Gestalt wirkte ein wenig gebeugt. In seinem dunklen Haar zeigten sich neuerdings einige graue Stellen an den Schläfen, eine Farbe, die sich langsam über ihn ausbreitete, als wäre es Eis, das einen See überfriert. Er hatte zwanzig Pfund Gewicht verloren, sein Körper war jetzt eher der eines Collegestudenten als der eines Mannes mittleren Alters. Selbst seine Augen hatten sich verändert - sie waren noch braun, aber die Iris dahinter wirkte verletzt.
Ian schüttelte den Kopf. Sein Spiegelbild gefiel ihm nicht. Er verließ das Schlafzimmer. Der Rest ihres Hauses war noch fast genau so, wie Kate es eingerichtet hatte. Jede Nische und jede offene Fläche löste Erinnerungen aus, und er fragte sich, ob der Makler heute wohl irgendwelche Anrufe bekommen hatte. Ian konnte nicht mehr viel länger in diesen vier Wänden leben. Und er glaubte auch nicht, dass Mattie es konnte. Für ihn war ihr Zuhause sozusagen ermordet worden. Es war nur noch ein Skelett übrig.
Sein Büro bot ihm wenig Trost - nur einige von Matties bunten, selbstgemalten Bildern sprachen ihm etwas Mut zu. Er blickte auf Kates Foto, aber zum ersten Mal blieb sein Blick nicht an ihren Augen hängen. Stattdessen öffnete er seinen Schrank und holte ein hübsch verpacktes Geschenk heraus, das Kate ihm vor zehn Monaten gegeben hatte, drei Tage bevor sie starb. Sie hatte ihn schwören lassen, es erst an seinem Geburtstag zu öffnen. Und er hatte das Versprechen gehalten und allen Verlockungen widerstanden.
Ian setzte sich auf einen Stuhl und legte das Päckchen auf seinen Schoß. Er roch an dem Geschenkpapier in der Hoffnung, dass vielleicht noch eine Spur von Kate daran haftete. Er stellte sich vor, wie sie die Schleife gebunden hatte, und küsste das hübsch gewickelte kleine Band. Eine Träne lief über sein Gesicht und fiel neben die Schleife. Vielleicht waren ihre Tränen an die gleiche Stelle gefallen, dachte er und wünschte, er könnte ihre feuchte Wange noch einmal küssen.
An dem Päckchen war keine Karte, eine Tatsache, über die er in den vergangenen zehn Monaten oft nachgedacht hatte. Es war völlig untypisch für Kate, so etwas zu vergessen, denn sie hatte Briefe immer geliebt. E-Mails und SMS waren ihr zuwider gewesen, und sie hatte nur auf diese Weise mit ihm kommuniziert, wenn die absolute Notwendigkeit dazu bestand. Ihre Nachrichten hatte sie stets mit Füller auf Papier geschrieben.
Nach einem tiefen, beruhigenden Atemzug bewegte Ian seine Finger zum Rand des Geschenkpapiers. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Sein Nacken prickelte. Sein rechter Daumen fuhr hin und her, so als würde er eine Nummer in sein Blackberry eintippen. Er hatte Angst, dass ihm Kates Geschenk, ohne dass sie dies beabsichtigt hatte, erneut wehtun würde. Und er hatte nicht die Kraft, sich gegen weiteren Schmerz zu schützen.
Das Geschenkpapier widerstand ihm. Das Papier war wie eine über einen Sarg gelegte Flagge, und er behandelte es mit Respekt. Kate war sorgfältig damit umgegangen, und er musste es genauso machen. »Was ist da drin, Liebling?«, fragte er leise, und sein deutlicher australischer Akzent stand in Kontrast zu den Geräuschen Manhattans, die durch das nahe gelegene Fenster hereindrangen.
Bald kam ein Karton zum Vorschein - ein roter Schuhkarton, den er sie auch bei anderen Gelegenheiten hatte benutzen sehen. Er hob schnell den Deckel an und sah zuerst einen Umschlag. Darunter lagen ungefähr ein Dutzend schwarze Filmdosen. Ian schürzte die Lippen und öffnete den Umschlag. Er enthielt einen Brief, und der Anblick ihrer eleganten Handschrift brachte ihn zum Weinen. Sie hatte immer in Schreibschrift geschrieben, und selbst dem Tode so nah und von Schmerzen gequält war ihre Hand ruhig und ohne Hast über das Papier geglitten.
Ian,
wusstest Du, dass man die Liebe mitnimmt, wenn man stirbt? Ich bin dessen so sicher, denn während der letzten Monate, die ich hier gelegen habe und immer weniger geworden bin,
ist meine Liebe zu Mattie und Dir nur noch gewachsen. Nichts ist in diesen Tagen noch in mir außer meiner Liebe zu euch beiden. Und diese Liebe schießt in die Höhe wie tropisches Gras, stellt alles darunter in den Schatten und streckt sich nach dem Licht und der Wärme. Vor einem Jahr hätte ich nicht gedacht, dass ich einen von euch noch mehr lieben könnte. Aber ich habe mich geirrt. Ich sah nur den Baum vor mir, einen zugegeben wirklich wunderschönen Baum, aber nicht so schön wie der Wald, der ihn umgab. Ich liebe Dich. Ich liebe Dich. Ich liebe Dich.
Es ist ein solcher Segen, dass ich Dir begegnen durfte, obwohl uns bestimmt das Schicksal zusammengeführt hat. Warum sonst haben wir beide beschlossen, in Japan Englisch zu unterrichten? Ich, ein Mädchen aus Manhattan. Du, ein Junge aus dem australischen Busch. Die himmlischen Mächte müssen unsere Begegnung arrangiert haben. Das war der Anfang unserer Geschichte. Das Ende wird niemals geschrieben werden. In der Mitte sind wir durch die Weltgereist und haben zusammen eine liebevolle Tochter geschaffen.
Weißt Du noch, wie wir am Tadsch Mahal waren und unser Fremdenführer uns vom Kaiser und seiner Frau erzählte?
Er liebte sie so sehr. Und als sie starb, fragte er sie, ob sie noch etwas brauche. Sie bat ihn nur um eins - es sollte ihr etwas Schönes bauen und an jedem Hochzeitstag an diesen Ort kommen und dort eine Kerze entzünden. Der Wunsch dieser sterbenden Frau wurde das Tadsch Mahal.
Nun ja, und ich habe auch einen letzten Wunsch. Er ist vielleicht leichter zu erfüllen als der, um den sie bat, aber es könnte dennoch schwer für Dich sein. Weißt Du, ich möchte nämlich, dass ihr glücklich seid, Mattie und Du. Das ist mein letzter Wunsch. Ich möchte, dass ihr glücklich seid, nachdem ihr um mich getrauert habt. Ich kann nicht in Frieden ruhen, wenn einer von euch unglücklich ist, also tut das bitte für mich. Seid glücklich. Lernt, wieder zu lachen. Fröhlich zu sein. Miteinander zu raufen, so wie ihr es früher getan habt. Lernt, wieder frei zu sein.
Erinnerst Du Dich noch, dass wir, bevor ich krank wurde, vorhatten, unsere Asienreise noch einmal zu wiederholen? Um unseren fünfzehnten Hochzeitstag zu feiern? Nur dass diesmal Mattie auch mitkommen sollte.
Wir waren alle so aufgeregt, so voller Leben, voller Freude.
Ich möchte, dass Du, mein Liebster, mit ihr diese Reise unternimmst. Dir ansiehst, was wir alle so gerne sehen wollten, fühlst, was wir fühlen wollten. Tust Du das für mich? Bitte? Bitte fahr an all die Orte, die Dir und mir so gefallen haben, geh über die Wege, über die wir noch einmal gehen wollten. Lass mich hören, wie ihr lacht. Lass mich sehen, wie ihr lächelt. Bitte fahrt bald, und öffnet diese Filmdosen, wenn ihr in dem Land seid,
das ich auf die jeweilige Dose geschrieben habe. Es gibt sechs Dosen für Dich und sechs für Mattie, jeweils eine für jedes Land auf unserem ursprünglichen Reiseplan. Bitte öffnet keine davon, bis ihr am richtigen Ort seid.
Nimm das Geld aus meiner Lebensversicherung und bezahl die Reise davon. Du hast deine Firma bereits verkauft, und ich hoffe, dass Du noch keine neue gegründet hast.
Für die Arbeit ist auch später noch Zeit.
Bitte unternehmt diese Reise. Bitte. Ich wünschte, ich könnte euch begleiten. Es tut mir leid, dass ich gehen musste.
Ich habe wirklich versucht zu bleiben. Ich habe gekämpft, bis ich anfing, eine andere zu werden, bis die Wut meine Gedanken vergiftete. Erst da habe ich den Kampf aufgegeben.
Erinnerst Du Dich noch, mein Liebster, wie wir uns immer Liebesgedichte geschrieben haben? Wenn Du in Übersee bist, dann tritt nach draußen, sieh hinauf zu den Sternen und denk an diese Gedichte. Ich war Dein, als Du Dein erstes Gedicht für mich geschrieben hast. Du wusstest es damals nicht, aber ich gehörte Dir, und nichts kann uns je wieder trennen.
Bitte erfüll mir diesen letzten Wunsch. Es wird nicht leicht werden, ich weiß. Aber mach diese Reise für mich, für Mattie, für Dich selbst. Hinterlasst eure Fußspuren in fremden Ländern, und findet euch auf dem Weg neu. Ihr hattet früher so viel Spaß zusammen, ihr habt so viel gelacht. Eine der größten Freuden in meinem Leben war es, euch beide lachen zu sehen. Und Du musst wieder lachen. Du wirst wieder lachen.
Ich liebe Dich, Ian. Denk an das, was ich geschrieben habe - dass wir zusammengehören und dass nichts uns jemals wieder trennen kann. Nicht die Zeit. Nicht die Entfernung. Nicht die körperliche Trennung. Die Liebe, die ich für euch beide empfinde, kann niemand wegnehmen, weil diese Liebe ein Ozean ist, und ihr beide seid das Salz und das Wasser dieses Ozeans.
Ich werde Dich und Mattie bis in alle Ewigkeit lieben.
Deine Kate
Ian ließ den Kopf auf den Brief sinken und fing wieder an zu weinen.
Erst viel später war er in der Lage, jedes Wort noch einmal mit dem Zeigefinger nachzufahren und darüber nachzudenken. Er wollte nicht ohne Kate nach Asien reisen. Auf so viele Weisen würde eine solche Reise hohl und trostlos, ohne Farben sein. Und doch - ihr kleines Mädchen wirkte so verloren, schien nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst zu sein. Er hatte auf zahllose Arten und in zahllosen Momenten versucht, wieder Licht in ihr Leben zu bringen, die Schatten zu vertreiben. Und obwohl dieses Licht manchmal in ihrem Gesicht erschien, waren diese Momente so flüchtig wie der Flug eines fallenden Blattes.
Ian las den Brief wieder und wieder, bis er vor Erschöpfung zu fast keinem Gedanken und Gefühl mehr fähig war. Er legte sich neben Mattie, zog sie dicht an sich, küsste sie, schloss die Augen und ließ sich von der Dunkelheit retten.
...
Übersetzung: Katharina Kramp
Copyright © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Ian betrachtete die schlafende Mattie, deren Körper immer noch so lag, als schmiege sie sich eng an ihn. Ihre Arme lagen auf dem Kissen, das er vorsichtig neben ihrem Oberkörper platziert hatte. Das Kissen fungierte in vielen Nächten als Körperdouble, tröstete sie, wenn er nicht da war, bot ihr Wärme und einen Rest seines Geruchs. Seine zehnjährige Tochter wirkte so klein in dem großen Bett. Sie sah zerbrechlich und einsam aus, ganz verloren ohne ihn an ihrer Seite.
Wie so oft traten Ian beim Anblick der schlafenden Mattie Tränen in die Augen, war sie doch in fast jeder Hinsicht das Ebenbild ihrer verstorbenen Mutter. Vor einigen Jahren hatte Mattie sich selbst mit dem verglichen, was sie um sie herum im Park erblickte. Ihr Haar, meinte sie, habe die Farbe von Eichenrinde. Irgendwann musste der Himmel in ihre Augen getropft sein, da war sie sich sicher, weil sie den gleichen Farbton hatten, den sie über sich sah. Ihre Mutter hatte Mattie damals gefragt, woher denn dann ihre Sommersprossen kämen, und Mattie hatte sich zögernd im Park umgesehen. Schließlich hatte sie erwidert, ihre Sommersprossen seien kleine Teile der Blätter, die ihr ins Gesicht gefallen sein mussten, während sie schlief.
Ian fiel wieder ein, wie oft Mattie und Kate so miteinander gesprochen hatten - als teilten sie die gleichen Ansichten über die Welt. Mattie versuchte nicht, ihrer Mutter nachzueifern und ihre Charaktereigenschaften zu ihren eigenen zu machen. Es war eher so, als wäre Mattie eine Miniaturausgabe von Kate, als wäre Kates DNA ausgelesen und in Matties Verhalten und ihre Gedanken eingelesen worden. Wie ihre Mutter war Mattie künstlerisch begabt und neugierig. Ihr Herz war angefüllt mit der Liebe und dem Lachen ihrer Mutter. Egal, wohin sie zu dritt gingen, Mattie und Kate hatten sich immer an den Händen gehalten - selbst als Matties Freundinnen zu alt für diese Art öffentlicher Liebesbezeugungen wurden.
Ian setzte sich auf die Bettkante direkt neben Mattie. Das hier war Kates Seite gewesen, und er fuhr mit den Fingern über die Laken, die sie früher gewärmt hatten. Obwohl zehn Monate vergangen waren, seit er zuletzt ihre Haut berührt hatte, spürte er den Verlust noch genauso intensiv, als wäre sie erst gestern gestorben. Er fühlte sich noch immer leer und unvollständig, als hätte seine Seele versucht, mit ihr zu gehen, und sich nicht lösen können aus der Welt aus Steinen und Schmutz. Seine Seele war in ihm eingesperrt, der Magie beraubt, die sie einst in sich trug. Nur durch seine Willenskraft und seine Liebe zu Mattie war es ihm gelungen, Stücke seiner gefangenen Seele zu reparieren - indem er die Teile zusammensetzte, so wie man es bei einer zerbrochenen Vase tat. Aber er befürchtete, dass dieser Bereich von ihm niemals wieder fliegen würde. Zumindest nicht so, wie er es einmal gekonnt hatte. Ein verletzter Vogel lernte vielleicht das Fliegen wieder, aber er würde niemals mehr das gleiche unbändige Gefühl der Freiheit empfinden. Was den Vogel auch auf den Boden gezwungen hatte, lauerte immer irgendwo in der Ferne auf ihn.
Mattie bewegte sich im Schlaf, schob das Laken und die Decke herunter, die Ian bis zu ihrem Hals gezogen hatte. Er wiederholte das vorsichtig, dann beugte er sich vor und küsste eine Sommersprosse auf ihrer Stirn. Er überprüfte, ob auch beide Nachtlichter an waren, stand auf und ging in Richtung Tür. Er kam an einem antiken Spiegel vorbei, den Kate gegenüber von ihrem Bett aufgehängt hatte, und blieb stehen. Sein Spiegelbild hatte sich im letzten Jahr deutlich verändert. Seine ein Meter neunzig große Gestalt wirkte ein wenig gebeugt. In seinem dunklen Haar zeigten sich neuerdings einige graue Stellen an den Schläfen, eine Farbe, die sich langsam über ihn ausbreitete, als wäre es Eis, das einen See überfriert. Er hatte zwanzig Pfund Gewicht verloren, sein Körper war jetzt eher der eines Collegestudenten als der eines Mannes mittleren Alters. Selbst seine Augen hatten sich verändert - sie waren noch braun, aber die Iris dahinter wirkte verletzt.
Ian schüttelte den Kopf. Sein Spiegelbild gefiel ihm nicht. Er verließ das Schlafzimmer. Der Rest ihres Hauses war noch fast genau so, wie Kate es eingerichtet hatte. Jede Nische und jede offene Fläche löste Erinnerungen aus, und er fragte sich, ob der Makler heute wohl irgendwelche Anrufe bekommen hatte. Ian konnte nicht mehr viel länger in diesen vier Wänden leben. Und er glaubte auch nicht, dass Mattie es konnte. Für ihn war ihr Zuhause sozusagen ermordet worden. Es war nur noch ein Skelett übrig.
Sein Büro bot ihm wenig Trost - nur einige von Matties bunten, selbstgemalten Bildern sprachen ihm etwas Mut zu. Er blickte auf Kates Foto, aber zum ersten Mal blieb sein Blick nicht an ihren Augen hängen. Stattdessen öffnete er seinen Schrank und holte ein hübsch verpacktes Geschenk heraus, das Kate ihm vor zehn Monaten gegeben hatte, drei Tage bevor sie starb. Sie hatte ihn schwören lassen, es erst an seinem Geburtstag zu öffnen. Und er hatte das Versprechen gehalten und allen Verlockungen widerstanden.
Ian setzte sich auf einen Stuhl und legte das Päckchen auf seinen Schoß. Er roch an dem Geschenkpapier in der Hoffnung, dass vielleicht noch eine Spur von Kate daran haftete. Er stellte sich vor, wie sie die Schleife gebunden hatte, und küsste das hübsch gewickelte kleine Band. Eine Träne lief über sein Gesicht und fiel neben die Schleife. Vielleicht waren ihre Tränen an die gleiche Stelle gefallen, dachte er und wünschte, er könnte ihre feuchte Wange noch einmal küssen.
An dem Päckchen war keine Karte, eine Tatsache, über die er in den vergangenen zehn Monaten oft nachgedacht hatte. Es war völlig untypisch für Kate, so etwas zu vergessen, denn sie hatte Briefe immer geliebt. E-Mails und SMS waren ihr zuwider gewesen, und sie hatte nur auf diese Weise mit ihm kommuniziert, wenn die absolute Notwendigkeit dazu bestand. Ihre Nachrichten hatte sie stets mit Füller auf Papier geschrieben.
Nach einem tiefen, beruhigenden Atemzug bewegte Ian seine Finger zum Rand des Geschenkpapiers. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Sein Nacken prickelte. Sein rechter Daumen fuhr hin und her, so als würde er eine Nummer in sein Blackberry eintippen. Er hatte Angst, dass ihm Kates Geschenk, ohne dass sie dies beabsichtigt hatte, erneut wehtun würde. Und er hatte nicht die Kraft, sich gegen weiteren Schmerz zu schützen.
Das Geschenkpapier widerstand ihm. Das Papier war wie eine über einen Sarg gelegte Flagge, und er behandelte es mit Respekt. Kate war sorgfältig damit umgegangen, und er musste es genauso machen. »Was ist da drin, Liebling?«, fragte er leise, und sein deutlicher australischer Akzent stand in Kontrast zu den Geräuschen Manhattans, die durch das nahe gelegene Fenster hereindrangen.
Bald kam ein Karton zum Vorschein - ein roter Schuhkarton, den er sie auch bei anderen Gelegenheiten hatte benutzen sehen. Er hob schnell den Deckel an und sah zuerst einen Umschlag. Darunter lagen ungefähr ein Dutzend schwarze Filmdosen. Ian schürzte die Lippen und öffnete den Umschlag. Er enthielt einen Brief, und der Anblick ihrer eleganten Handschrift brachte ihn zum Weinen. Sie hatte immer in Schreibschrift geschrieben, und selbst dem Tode so nah und von Schmerzen gequält war ihre Hand ruhig und ohne Hast über das Papier geglitten.
Ian,
wusstest Du, dass man die Liebe mitnimmt, wenn man stirbt? Ich bin dessen so sicher, denn während der letzten Monate, die ich hier gelegen habe und immer weniger geworden bin,
ist meine Liebe zu Mattie und Dir nur noch gewachsen. Nichts ist in diesen Tagen noch in mir außer meiner Liebe zu euch beiden. Und diese Liebe schießt in die Höhe wie tropisches Gras, stellt alles darunter in den Schatten und streckt sich nach dem Licht und der Wärme. Vor einem Jahr hätte ich nicht gedacht, dass ich einen von euch noch mehr lieben könnte. Aber ich habe mich geirrt. Ich sah nur den Baum vor mir, einen zugegeben wirklich wunderschönen Baum, aber nicht so schön wie der Wald, der ihn umgab. Ich liebe Dich. Ich liebe Dich. Ich liebe Dich.
Es ist ein solcher Segen, dass ich Dir begegnen durfte, obwohl uns bestimmt das Schicksal zusammengeführt hat. Warum sonst haben wir beide beschlossen, in Japan Englisch zu unterrichten? Ich, ein Mädchen aus Manhattan. Du, ein Junge aus dem australischen Busch. Die himmlischen Mächte müssen unsere Begegnung arrangiert haben. Das war der Anfang unserer Geschichte. Das Ende wird niemals geschrieben werden. In der Mitte sind wir durch die Weltgereist und haben zusammen eine liebevolle Tochter geschaffen.
Weißt Du noch, wie wir am Tadsch Mahal waren und unser Fremdenführer uns vom Kaiser und seiner Frau erzählte?
Er liebte sie so sehr. Und als sie starb, fragte er sie, ob sie noch etwas brauche. Sie bat ihn nur um eins - es sollte ihr etwas Schönes bauen und an jedem Hochzeitstag an diesen Ort kommen und dort eine Kerze entzünden. Der Wunsch dieser sterbenden Frau wurde das Tadsch Mahal.
Nun ja, und ich habe auch einen letzten Wunsch. Er ist vielleicht leichter zu erfüllen als der, um den sie bat, aber es könnte dennoch schwer für Dich sein. Weißt Du, ich möchte nämlich, dass ihr glücklich seid, Mattie und Du. Das ist mein letzter Wunsch. Ich möchte, dass ihr glücklich seid, nachdem ihr um mich getrauert habt. Ich kann nicht in Frieden ruhen, wenn einer von euch unglücklich ist, also tut das bitte für mich. Seid glücklich. Lernt, wieder zu lachen. Fröhlich zu sein. Miteinander zu raufen, so wie ihr es früher getan habt. Lernt, wieder frei zu sein.
Erinnerst Du Dich noch, dass wir, bevor ich krank wurde, vorhatten, unsere Asienreise noch einmal zu wiederholen? Um unseren fünfzehnten Hochzeitstag zu feiern? Nur dass diesmal Mattie auch mitkommen sollte.
Wir waren alle so aufgeregt, so voller Leben, voller Freude.
Ich möchte, dass Du, mein Liebster, mit ihr diese Reise unternimmst. Dir ansiehst, was wir alle so gerne sehen wollten, fühlst, was wir fühlen wollten. Tust Du das für mich? Bitte? Bitte fahr an all die Orte, die Dir und mir so gefallen haben, geh über die Wege, über die wir noch einmal gehen wollten. Lass mich hören, wie ihr lacht. Lass mich sehen, wie ihr lächelt. Bitte fahrt bald, und öffnet diese Filmdosen, wenn ihr in dem Land seid,
das ich auf die jeweilige Dose geschrieben habe. Es gibt sechs Dosen für Dich und sechs für Mattie, jeweils eine für jedes Land auf unserem ursprünglichen Reiseplan. Bitte öffnet keine davon, bis ihr am richtigen Ort seid.
Nimm das Geld aus meiner Lebensversicherung und bezahl die Reise davon. Du hast deine Firma bereits verkauft, und ich hoffe, dass Du noch keine neue gegründet hast.
Für die Arbeit ist auch später noch Zeit.
Bitte unternehmt diese Reise. Bitte. Ich wünschte, ich könnte euch begleiten. Es tut mir leid, dass ich gehen musste.
Ich habe wirklich versucht zu bleiben. Ich habe gekämpft, bis ich anfing, eine andere zu werden, bis die Wut meine Gedanken vergiftete. Erst da habe ich den Kampf aufgegeben.
Erinnerst Du Dich noch, mein Liebster, wie wir uns immer Liebesgedichte geschrieben haben? Wenn Du in Übersee bist, dann tritt nach draußen, sieh hinauf zu den Sternen und denk an diese Gedichte. Ich war Dein, als Du Dein erstes Gedicht für mich geschrieben hast. Du wusstest es damals nicht, aber ich gehörte Dir, und nichts kann uns je wieder trennen.
Bitte erfüll mir diesen letzten Wunsch. Es wird nicht leicht werden, ich weiß. Aber mach diese Reise für mich, für Mattie, für Dich selbst. Hinterlasst eure Fußspuren in fremden Ländern, und findet euch auf dem Weg neu. Ihr hattet früher so viel Spaß zusammen, ihr habt so viel gelacht. Eine der größten Freuden in meinem Leben war es, euch beide lachen zu sehen. Und Du musst wieder lachen. Du wirst wieder lachen.
Ich liebe Dich, Ian. Denk an das, was ich geschrieben habe - dass wir zusammengehören und dass nichts uns jemals wieder trennen kann. Nicht die Zeit. Nicht die Entfernung. Nicht die körperliche Trennung. Die Liebe, die ich für euch beide empfinde, kann niemand wegnehmen, weil diese Liebe ein Ozean ist, und ihr beide seid das Salz und das Wasser dieses Ozeans.
Ich werde Dich und Mattie bis in alle Ewigkeit lieben.
Deine Kate
Ian ließ den Kopf auf den Brief sinken und fing wieder an zu weinen.
Erst viel später war er in der Lage, jedes Wort noch einmal mit dem Zeigefinger nachzufahren und darüber nachzudenken. Er wollte nicht ohne Kate nach Asien reisen. Auf so viele Weisen würde eine solche Reise hohl und trostlos, ohne Farben sein. Und doch - ihr kleines Mädchen wirkte so verloren, schien nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst zu sein. Er hatte auf zahllose Arten und in zahllosen Momenten versucht, wieder Licht in ihr Leben zu bringen, die Schatten zu vertreiben. Und obwohl dieses Licht manchmal in ihrem Gesicht erschien, waren diese Momente so flüchtig wie der Flug eines fallenden Blattes.
Ian las den Brief wieder und wieder, bis er vor Erschöpfung zu fast keinem Gedanken und Gefühl mehr fähig war. Er legte sich neben Mattie, zog sie dicht an sich, küsste sie, schloss die Augen und ließ sich von der Dunkelheit retten.
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Übersetzung: Katharina Kramp
Copyright © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
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Autoren-Porträt von John Shors
Katharina Kramp, Jahrgang 1969, studierte Germanistik und Anglistik in Bonn und arbeitete einige Jahre als Journalistin bei verschiedenen Tageszeitungen, Radiosendern und Fachmagazinen. Ihre wahre Liebe galt jedoch schon immer den Büchern. Deshalb gab sie ihren Redakteursjob auf und machte sich als Autorin, Übersetzerin und Lektorin selbstständig. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Westfalen und kann jetzt den ganzen Tag und oft auch die halbe Nacht das tun, was ihr am meisten Spaß macht spannende Geschichten schreiben.
Bibliographische Angaben
- Autor: John Shors
- 2012, 430 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Kramp, Katharina
- Übersetzer: Katharina Kramp
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404166892
- ISBN-13: 9783404166893
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