Cobra
Thriller
International agierende Drogenkartelle setzen pro Jahr Kokain im Wert von mehreren Milliarden Dollar um, sie werden immer größer und einflussreicher. Im Auftrag des Weißen Hauses soll der Ex-CIA-Agent Paul Deveraux, genannt die Cobra, diese...
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Produktinformationen zu „Cobra “
International agierende Drogenkartelle setzen pro Jahr Kokain im Wert von mehreren Milliarden Dollar um, sie werden immer größer und einflussreicher. Im Auftrag des Weißen Hauses soll der Ex-CIA-Agent Paul Deveraux, genannt die Cobra, diese Geißel der Menschheit ausmerzen: Das kolumbianische Kartell der Kartelle muss zu Fall gebracht werden. Ein für alle Mal - und mit allen Mitteln.
Lese-Probe zu „Cobra “
Cobra von Frederick ForsytheEINS
Der halbwüchsige Junge starb. Kein Mensch wusste es, und nur einen hätte es gekümmert. Dürr wie ein Skelett nach einem durch Drogen ruinierten Leben, kauerte er auf einem stinkenden Strohsack in der Ecke eines dreckigen Zimmers in einem verlassenen Wohnblock. Der Slum lag in einer der gescheiterten, »Projects« genannten Wohnsiedlungen in Anacostia, einem Teil von Washington, D. C., auf den die Stadt nicht stolz ist und der von Touristen nie besucht wird.
Wenn der Junge gewusst hätte, dass sein Tod einen Krieg auslösen würde, hätte er es nicht verstanden, aber es hätte ihn auch nicht interessiert. So wirkt der Drogenmissbrauch auf einen jungen Verstand. Er zerstört ihn.
... mehr
Das spätsommerliche Dinner im Weißen Haus war nach den Maßstäben der präsidialen Gastlichkeit eher klein. Zwanzig Gäste, zehn Paare, setzten sich nach den Drinks, die in einem Vorraum gereicht worden waren, zu Tisch, und achtzehn waren höchst beeindruckt davon, hier zu sein.
Neun von ihnen waren leitende freiwillige Mitarbeiter der Veterans' Administration, des Verbandes, der sich landesweit um das Wohlergehen derjenigen kümmert, die in den bewaffneten Streitkräften gedient haben.
In den neun Jahren bis 2010 waren sehr viele Männer und etliche Frauen verwundet oder traumatisiert aus dem Irak und aus Afghanistan zurückgekehrt. Als Oberkommandierender der Streitkräfte bedankte sich der Präsident bei seinen neun Gästen von der VA für das, was sie für diese Leute hatten tun können. Deshalb waren sie und ihre Gattinnen eingeladen worden, dort zu speisen, wo einst der legendäre Abraham Lincoln seine Mahlzeiten eingenommen hatte. Die First Lady persönlich hatte sie durch die Räume geführt, und jetzt saßen sie unter den wachsamen Blicken des Majordomus da und warteten darauf, dass die Suppe serviert wurde. Als die ältliche Kellnerin zu weinen anfing, löste das leise Betretenheit aus.
Sie tat es lautlos, aber die Terrine in ihren Händen begann zu zittern. Die First Lady saß auf der anderen Seite des runden Tisches. Sie blickte von dem Gast auf, dem gerade Suppe eingeschenkt wurde, und sah die Tränen, die lautlos über die Wange der Kellnerin rannen.
Der Majordomus, dem nichts entging, was dem Präsidenten missfallen könnte, folgte ihrem Blick und ging mit leisen, aber schnellen Schritten um den Tisch herum. Er nickte einem Kellner in der Nähe energisch zu, damit dieser die Terrine übernahm, bevor es zu einer Katastrophe kommen konnte, und bugsierte dann die ältere Frau vom Tisch weg und auf die Schwingtür zu, die in den Anrichteraum vor der Küche führte. Als die beiden verschwunden waren, betupfte die First Lady sich die Lippen, entschuldigte sich leise bei dem pensionierten General zu ihrer Linken, stand auf und folgte ihnen.
Im Anrichteraum saß die Kellnerin auf einem Stuhl. Ihre Schultern zuckten, und sie murmelte: »Es tut mir leid, es tut mir so leid.« Der Gesichtsausdruck des Majordomus ließ erkennen, dass er nicht in nachsichtiger Stimmung war. Vor dem Präsidenten bekam man keinen Zusammenbruch.
Die First Lady bedeutete ihm, ins Speisezimmer zurückzukehren. Dann beugte sie sich über die weinende Frau, die sich mit dem Saum ihrer Schürze die Augen betupfte und sich noch immer entschuldigte.
Ein, zwei behutsame Fragen, und die Kellnerin Maybelle erklärte ihren ungewöhnlichen Lapsus. Die Polizei habe den Leichnam ihres einzigen Enkels gefunden, des Jungen, den sie großgezogen habe, nachdem sein Vater neun Jahre zuvor in den Trümmern des World Trade Center umgekommen sei, als das Kind sechs Jahre alt war.
Man habe ihr die Todesursache erklärt, die der Leichenbeschauer festgestellt hatte, und ihr mitgeteilt, der Leichnam könne in der städtischen Leichenhalle abgeholt werden.
So kam es, dass die First Lady der USA und eine ältliche Kellnerin, beide Nachkommen von Sklaven, einander in einer Ecke des Anrichteraums trösteten, während ein paar Schritte weit entfernt die führenden Figuren der VA bei Suppe und Croutons gestelzte Konversation betrieben.
Fünf Stunden später, in der beinahe vollkommenen Dunkelheit des Schlafzimmers, in das durch die kugelsicheren Scheiben und am Vorhang vorbei nur ein schmaler Streifen Licht von der permanenten Helligkeit über der Stadt Washington drang, merkte die First Lady, dass der Mann an ihrer Seite nicht schlief.
Der Präsident war hauptsächlich bei seiner Großmutter aufgewachsen. Er wusste, welche Beziehung ein Junge zu seiner Großmutter haben kann, und es war ihm wichtig. Obwohl er es gewohnt war, morgens früh aufzustehen und sich mit einem rigorosen Gymnastikprogramm in Form zu halten, konnte er nicht einschlafen. Er lag im Dunkeln und dachte nach.
Er hatte bereits entschieden, dass der Fünfzehnjährige, wer immer er sein mochte, nicht in einem Armengrab verscharrt werden, sondern ein anständiges Begräbnis auf einem richtigen Friedhof bekommen sollte. Doch was ihm keine Ruhe ließ, war die Todesursache bei einem so jungen Menschen aus armer, aber entschieden respektabler Familie.
Kurz nach drei schwang er die langen Beine aus dem Bett und griff nach seinem Bademantel. »Wo willst du hin?«, fragte seine Frau schlaftrunken. »Bin gleich wieder da«, antwortete er, verknotete den Gürtel und tappte ins Ankleidezimmer.
Als er das Telefon in der Hand hielt, dauerte es zwei Sekunden, bis sich jemand meldete. Falls die diensthabende Telefonistin zu dieser Nachtzeit, in der die menschliche Tatkraft ihren tiefsten Stand erreicht, müde war, so ließ sie sich nichts davon anmerken. Sie klang eifrig und munter.
»Ja, Mr. President.«
Das Licht an ihrer Telefonanlage verriet ihr, wer der Anrufer war. Noch nach zwei Jahren in diesem bemerkenswerten Gebäude musste der Mann aus Chicago sich hin und wieder in Erinnerung rufen, dass er zu jeder Tages- und Nachtzeit bekommen konnte, was er wollte. Er brauchte nur zu fragen.
»Würden Sie bitte den Direktor der DEA wecken, zu Hause oder wo er sonst ist?«, fragte er. Die Telefonistin war nicht überrascht. Wenn dieser Mann mit dem Präsidenten der Mongolei plaudern wollte, würde man es arrangieren.
»Ich verbinde Sie sofort«, sagte die junge Frau tief unten in der Kommunikationszentrale. Rasch tippte sie etwas auf einem Computerkeyboard. Winzige Schaltungen taten ihre Arbeit, und ein Name leuchtete auf. Die Suche nach einer Privatnummer brachte eine zehnstellige Ziffer auf den Monitor, die zu einem gediegenen Townhouse draußen in Georgetown gehörte. Sie stellte die Verbindung her und wartete. Nach dem zehnten Klingeln meldete sich eine schlaftrunkene Stimme.
»Ich habe den Präsidenten für Sie, Sir«, sagte sie. Der Staatsdiener, ein Mann mittleren Alters, war schlagartig hellwach. Die Telefonistin verband den Chef der Bundesbehörde zur Drogenbekämpfung, offiziell als Drug Enforcement Administration bekannt, mit dem Zimmer über ihr. Sie hörte nicht mit. Eine Leuchtdiode würde ihr sagen, wann die beiden Männer fertig wären und sie die Verbindung trennen könnte.
»Tut mir leid, dass ich Sie um diese Zeit störe«, sagte der Präsident, und sofort wurde ihm versichert, er störe keineswegs. »Ich brauche ein paar Informationen und vielleicht einen Rat. Könnten Sie heute früh um neun im Westflügel sein?«
Nur aus Höflichkeit war der Satz mit einem Fragezeichen versehen. Präsidenten geben Anweisungen. Der Direktor der DEA würde um neun Uhr im Oval Office sein. Der Präsident legte auf und ging wieder ins Bett. Jetzt endlich schlief er ein.
In einem eleganten Rotziegelhaus in Georgetown brannte das Licht im Schlafzimmer, und der Direktor fragte eine ratlose Frau in Lockenwicklern, was zum Teufel denn jetzt passiert sein mochte. Ein leitender Beamter, der morgens um drei von seinem obersten Vorgesetzten persönlich geweckt wird, muss zwangsläufig annehmen, dass etwas schiefgegangen ist. Vielleicht etwas Schwerwiegendes. Der Direktor schlief nicht wieder ein. Er ging hinunter in die Küche und machte sich bei Saft und Kaffee ernsthafte Sorgen.
Auf der anderen Seite des Atlantiks graute der Morgen. Vor der norddeutschen Hafenstadt Cuxhaven nahm die MV San Cristobal auf der trüben, grauen, regengepeitschten See den Lotsen an Bord. Der Skipper, Kapitän José-Maria Vargas, stand am Steuer, und der Lotse neben ihm gab ihm mit leiser Stimme Anweisungen. Sie sprachen Englisch miteinander, die Verkehrssprache in der Luft und auf dem Wasser. Die San Cristobal drehte den Bug in die Elbmündung. Sechzig Meilen weiter würde sie in den Hamburger Hafen einlaufen, Europas drittgrößten Überseehafen.
Mit 30 000 Tonnen war die San Cristobal ein Containerfrachter und fuhr unter der Flagge von Panama. Vor der Brücke, auf der die beiden Männer in den dunklen Morgen hinausspähten, um die Markierungsbojen der Fahrrinne zu erkennen, erstreckten sich Reihen um Reihen stählerner Überseecontainer. Sie stapelten sich in acht Ebenen unter und in vier über Deck, vierzehn Reihen vom Bug bis zur Brücke, und das Schiff war breit genug für acht Längsreihen.
Die Schiffspapiere gaben zutreffend an, dass die San Cristobal ihre Reise in Maracaibo, Venezuela, begonnen hatte. Sie war von dort ostwärts nach Paramaribo, der Haupt- und einzigen Hafenstadt von Surinam, gefahren und hatte ihre Ladung durch weitere achtzig Container mit Bananen vervollständigt. Allerdings stand in den Papieren nicht, dass ein ganz spezieller Container darunter war: Er enthielt Bananen und eine zweite Art von Waren.
Diese zweite Ladung war mit einem müden alten Transall-Transportflugzeug, das in sehr gebrauchtem Zustand in Südafrika gekauft worden war, von einer abgelegenen Hacienda im ländlichen Kolumbien über Venezuela und Guyana zu einer ebenso entlegenen Bananenplantage in Surinam gebracht worden.
Die Ladung, die das alte Transportflugzeug gebracht hatte, war Brick für Brick an der Rückwand eines Stahlcontainers gestapelt worden, von einer Seitenwand zur anderen und vom Boden bis zu Decke. Vor der siebten Lage hatte man eine falsche Rückwand eingeschweißt und sie zusammen mit dem restlichen Innenraum glatt geschliffen und angestrichen. Erst dann hatte man die harten, unreifen Bananen in die Stellagen gehängt, wo sie - gekühlt, aber nicht gefroren - nach Europa transportiert werden würden.
Tieflader waren grollend und schnaubend durch den Dschungel gerollt und hatten den Exportauftrag an die Küste gebracht, und dort hatte die San Cristobal sie als Decksladung an Bord genommen, um ihre Transportkapazität auszuschöpfen. Voll beladen hatte das Schiff Kurs auf Europa genommen.
Kapitän Vargas, ein zutiefst ehrlicher Seemann, der nichts von der Extraladung wusste, die er an Bord hatte, war schon in Hamburg gewesen, aber immer wieder bestaunte er die Größe und Effizienz dieser alten Hansestadt, die eigentlich aus zwei Städten besteht: Da ist die Stadt, in der die Menschen an den Wasserstraßen der Außen- und Binnenalster leben, und da ist die weitläufige Hafenstadt, der größte Containerhafen des Kontinents.
Bei 13 000 Anlandungen an insgesamt 3 20 Liegeplätzen werden hier jährlich 140 Millionen Tonnen umgeschlagen. Der Containerhafen allein hat vier Terminals, und die San Cristobal wurde nach Altenwerder gelotst.
Während der Frachter mit einer Geschwindigkeit von fünf Knoten an den Hamburger Vororten vorbeiglitt, die am nördlichen Ufer der Elbe allmählich erwachten, brachte man den beiden Männern am Steuer starken kolumbianischen Kaffee. Der Deutsche schnupperte anerkennend, als ihm der Duft in die Nase stieg. Es hatte aufgehört zu regnen, die Sonne schimmerte durch die Wolken, und die Besatzung freute sich auf den Landgang.
Als die San Cristobal an dem ihr zugewiesenen Liegeplatz festmachte, war es kurz vor Mittag, und beinahe sofort brachte sich eine der fünfzehn Containerbrücken von Altenwerder in Position und fing an, die Container vom Frachter auf den Kai zu heben.
Kapitän Vargas hatte sich von dem Lotsen verabschiedet. Dessen Schicht war zu Ende, und er war nach Hause, nach Altona, gefahren. Die Maschinen waren abgeschaltet, die benötigten Anlagen liefen mit Generatorstrom, die Besatzung war mit ihren Pässen in der Hand von Bord gegangen, um in die Bars der Reeperbahn einzufallen, und die San Cristobal erschien so friedlich, wie Kapitän Vargas, dessen Zuhause und Arbeitsplatz sie war, es gern hatte.
Er konnte nicht ahnen, dass in der vierten Containerreihe vor seiner Brücke, zwei Ebenen tief und drei Reihen von Steuerbord entfernt, ein Container mit einem kleinen, ungewöhnlichen Logo verborgen war. Man würde gründlich suchen müssen, um das Logo zu finden, denn Überseecontainer sind voll von Kratzern, Farbklecksen, ID-Codes und Eignernamen. Dieses spezielle Logo bestand aus zwei konzentrischen Kreisen und einem Malteserkreuz im kleineren, inneren Kreis. Das war das geheime Erkennungszeichen der Hermandad - der Bruderschaft -, der Bande also, die hinter neunzig Prozent des kolumbianischen Kokains steckt. Und unten auf dem Kai war ein einziges Augenpaar, das dieses Zeichen erkennen würde.
Die Containerbrücke hob die Container vom Schiff hinüber zu einem wimmelnden Heer von computergesteuerten, fahrerlosen Transportfahrzeugen, sogenannten Automatic Guided Vehicles oder kurz AGV. Von einem Turm hoch über dem Kai gesteuert, beförderten sie die stählernen Kisten vom Kai zum Lagerareal. Hier entdeckte der Mitarbeiter, der sich unbemerkt zwischen den AGVs bewegte, das Logo mit den beiden Kreisen. Er tätigte einen Anruf mit dem Handy und lief dann eilig in sein Büro zurück. Meilenweit entfernt setzte sich ein Tieflader in Bewegung und fuhr in Richtung Hamburg.
...
Übersetzung: Rainer Schmidt
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 20 1 0
by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Das spätsommerliche Dinner im Weißen Haus war nach den Maßstäben der präsidialen Gastlichkeit eher klein. Zwanzig Gäste, zehn Paare, setzten sich nach den Drinks, die in einem Vorraum gereicht worden waren, zu Tisch, und achtzehn waren höchst beeindruckt davon, hier zu sein.
Neun von ihnen waren leitende freiwillige Mitarbeiter der Veterans' Administration, des Verbandes, der sich landesweit um das Wohlergehen derjenigen kümmert, die in den bewaffneten Streitkräften gedient haben.
In den neun Jahren bis 2010 waren sehr viele Männer und etliche Frauen verwundet oder traumatisiert aus dem Irak und aus Afghanistan zurückgekehrt. Als Oberkommandierender der Streitkräfte bedankte sich der Präsident bei seinen neun Gästen von der VA für das, was sie für diese Leute hatten tun können. Deshalb waren sie und ihre Gattinnen eingeladen worden, dort zu speisen, wo einst der legendäre Abraham Lincoln seine Mahlzeiten eingenommen hatte. Die First Lady persönlich hatte sie durch die Räume geführt, und jetzt saßen sie unter den wachsamen Blicken des Majordomus da und warteten darauf, dass die Suppe serviert wurde. Als die ältliche Kellnerin zu weinen anfing, löste das leise Betretenheit aus.
Sie tat es lautlos, aber die Terrine in ihren Händen begann zu zittern. Die First Lady saß auf der anderen Seite des runden Tisches. Sie blickte von dem Gast auf, dem gerade Suppe eingeschenkt wurde, und sah die Tränen, die lautlos über die Wange der Kellnerin rannen.
Der Majordomus, dem nichts entging, was dem Präsidenten missfallen könnte, folgte ihrem Blick und ging mit leisen, aber schnellen Schritten um den Tisch herum. Er nickte einem Kellner in der Nähe energisch zu, damit dieser die Terrine übernahm, bevor es zu einer Katastrophe kommen konnte, und bugsierte dann die ältere Frau vom Tisch weg und auf die Schwingtür zu, die in den Anrichteraum vor der Küche führte. Als die beiden verschwunden waren, betupfte die First Lady sich die Lippen, entschuldigte sich leise bei dem pensionierten General zu ihrer Linken, stand auf und folgte ihnen.
Im Anrichteraum saß die Kellnerin auf einem Stuhl. Ihre Schultern zuckten, und sie murmelte: »Es tut mir leid, es tut mir so leid.« Der Gesichtsausdruck des Majordomus ließ erkennen, dass er nicht in nachsichtiger Stimmung war. Vor dem Präsidenten bekam man keinen Zusammenbruch.
Die First Lady bedeutete ihm, ins Speisezimmer zurückzukehren. Dann beugte sie sich über die weinende Frau, die sich mit dem Saum ihrer Schürze die Augen betupfte und sich noch immer entschuldigte.
Ein, zwei behutsame Fragen, und die Kellnerin Maybelle erklärte ihren ungewöhnlichen Lapsus. Die Polizei habe den Leichnam ihres einzigen Enkels gefunden, des Jungen, den sie großgezogen habe, nachdem sein Vater neun Jahre zuvor in den Trümmern des World Trade Center umgekommen sei, als das Kind sechs Jahre alt war.
Man habe ihr die Todesursache erklärt, die der Leichenbeschauer festgestellt hatte, und ihr mitgeteilt, der Leichnam könne in der städtischen Leichenhalle abgeholt werden.
So kam es, dass die First Lady der USA und eine ältliche Kellnerin, beide Nachkommen von Sklaven, einander in einer Ecke des Anrichteraums trösteten, während ein paar Schritte weit entfernt die führenden Figuren der VA bei Suppe und Croutons gestelzte Konversation betrieben.
Fünf Stunden später, in der beinahe vollkommenen Dunkelheit des Schlafzimmers, in das durch die kugelsicheren Scheiben und am Vorhang vorbei nur ein schmaler Streifen Licht von der permanenten Helligkeit über der Stadt Washington drang, merkte die First Lady, dass der Mann an ihrer Seite nicht schlief.
Der Präsident war hauptsächlich bei seiner Großmutter aufgewachsen. Er wusste, welche Beziehung ein Junge zu seiner Großmutter haben kann, und es war ihm wichtig. Obwohl er es gewohnt war, morgens früh aufzustehen und sich mit einem rigorosen Gymnastikprogramm in Form zu halten, konnte er nicht einschlafen. Er lag im Dunkeln und dachte nach.
Er hatte bereits entschieden, dass der Fünfzehnjährige, wer immer er sein mochte, nicht in einem Armengrab verscharrt werden, sondern ein anständiges Begräbnis auf einem richtigen Friedhof bekommen sollte. Doch was ihm keine Ruhe ließ, war die Todesursache bei einem so jungen Menschen aus armer, aber entschieden respektabler Familie.
Kurz nach drei schwang er die langen Beine aus dem Bett und griff nach seinem Bademantel. »Wo willst du hin?«, fragte seine Frau schlaftrunken. »Bin gleich wieder da«, antwortete er, verknotete den Gürtel und tappte ins Ankleidezimmer.
Als er das Telefon in der Hand hielt, dauerte es zwei Sekunden, bis sich jemand meldete. Falls die diensthabende Telefonistin zu dieser Nachtzeit, in der die menschliche Tatkraft ihren tiefsten Stand erreicht, müde war, so ließ sie sich nichts davon anmerken. Sie klang eifrig und munter.
»Ja, Mr. President.«
Das Licht an ihrer Telefonanlage verriet ihr, wer der Anrufer war. Noch nach zwei Jahren in diesem bemerkenswerten Gebäude musste der Mann aus Chicago sich hin und wieder in Erinnerung rufen, dass er zu jeder Tages- und Nachtzeit bekommen konnte, was er wollte. Er brauchte nur zu fragen.
»Würden Sie bitte den Direktor der DEA wecken, zu Hause oder wo er sonst ist?«, fragte er. Die Telefonistin war nicht überrascht. Wenn dieser Mann mit dem Präsidenten der Mongolei plaudern wollte, würde man es arrangieren.
»Ich verbinde Sie sofort«, sagte die junge Frau tief unten in der Kommunikationszentrale. Rasch tippte sie etwas auf einem Computerkeyboard. Winzige Schaltungen taten ihre Arbeit, und ein Name leuchtete auf. Die Suche nach einer Privatnummer brachte eine zehnstellige Ziffer auf den Monitor, die zu einem gediegenen Townhouse draußen in Georgetown gehörte. Sie stellte die Verbindung her und wartete. Nach dem zehnten Klingeln meldete sich eine schlaftrunkene Stimme.
»Ich habe den Präsidenten für Sie, Sir«, sagte sie. Der Staatsdiener, ein Mann mittleren Alters, war schlagartig hellwach. Die Telefonistin verband den Chef der Bundesbehörde zur Drogenbekämpfung, offiziell als Drug Enforcement Administration bekannt, mit dem Zimmer über ihr. Sie hörte nicht mit. Eine Leuchtdiode würde ihr sagen, wann die beiden Männer fertig wären und sie die Verbindung trennen könnte.
»Tut mir leid, dass ich Sie um diese Zeit störe«, sagte der Präsident, und sofort wurde ihm versichert, er störe keineswegs. »Ich brauche ein paar Informationen und vielleicht einen Rat. Könnten Sie heute früh um neun im Westflügel sein?«
Nur aus Höflichkeit war der Satz mit einem Fragezeichen versehen. Präsidenten geben Anweisungen. Der Direktor der DEA würde um neun Uhr im Oval Office sein. Der Präsident legte auf und ging wieder ins Bett. Jetzt endlich schlief er ein.
In einem eleganten Rotziegelhaus in Georgetown brannte das Licht im Schlafzimmer, und der Direktor fragte eine ratlose Frau in Lockenwicklern, was zum Teufel denn jetzt passiert sein mochte. Ein leitender Beamter, der morgens um drei von seinem obersten Vorgesetzten persönlich geweckt wird, muss zwangsläufig annehmen, dass etwas schiefgegangen ist. Vielleicht etwas Schwerwiegendes. Der Direktor schlief nicht wieder ein. Er ging hinunter in die Küche und machte sich bei Saft und Kaffee ernsthafte Sorgen.
Auf der anderen Seite des Atlantiks graute der Morgen. Vor der norddeutschen Hafenstadt Cuxhaven nahm die MV San Cristobal auf der trüben, grauen, regengepeitschten See den Lotsen an Bord. Der Skipper, Kapitän José-Maria Vargas, stand am Steuer, und der Lotse neben ihm gab ihm mit leiser Stimme Anweisungen. Sie sprachen Englisch miteinander, die Verkehrssprache in der Luft und auf dem Wasser. Die San Cristobal drehte den Bug in die Elbmündung. Sechzig Meilen weiter würde sie in den Hamburger Hafen einlaufen, Europas drittgrößten Überseehafen.
Mit 30 000 Tonnen war die San Cristobal ein Containerfrachter und fuhr unter der Flagge von Panama. Vor der Brücke, auf der die beiden Männer in den dunklen Morgen hinausspähten, um die Markierungsbojen der Fahrrinne zu erkennen, erstreckten sich Reihen um Reihen stählerner Überseecontainer. Sie stapelten sich in acht Ebenen unter und in vier über Deck, vierzehn Reihen vom Bug bis zur Brücke, und das Schiff war breit genug für acht Längsreihen.
Die Schiffspapiere gaben zutreffend an, dass die San Cristobal ihre Reise in Maracaibo, Venezuela, begonnen hatte. Sie war von dort ostwärts nach Paramaribo, der Haupt- und einzigen Hafenstadt von Surinam, gefahren und hatte ihre Ladung durch weitere achtzig Container mit Bananen vervollständigt. Allerdings stand in den Papieren nicht, dass ein ganz spezieller Container darunter war: Er enthielt Bananen und eine zweite Art von Waren.
Diese zweite Ladung war mit einem müden alten Transall-Transportflugzeug, das in sehr gebrauchtem Zustand in Südafrika gekauft worden war, von einer abgelegenen Hacienda im ländlichen Kolumbien über Venezuela und Guyana zu einer ebenso entlegenen Bananenplantage in Surinam gebracht worden.
Die Ladung, die das alte Transportflugzeug gebracht hatte, war Brick für Brick an der Rückwand eines Stahlcontainers gestapelt worden, von einer Seitenwand zur anderen und vom Boden bis zu Decke. Vor der siebten Lage hatte man eine falsche Rückwand eingeschweißt und sie zusammen mit dem restlichen Innenraum glatt geschliffen und angestrichen. Erst dann hatte man die harten, unreifen Bananen in die Stellagen gehängt, wo sie - gekühlt, aber nicht gefroren - nach Europa transportiert werden würden.
Tieflader waren grollend und schnaubend durch den Dschungel gerollt und hatten den Exportauftrag an die Küste gebracht, und dort hatte die San Cristobal sie als Decksladung an Bord genommen, um ihre Transportkapazität auszuschöpfen. Voll beladen hatte das Schiff Kurs auf Europa genommen.
Kapitän Vargas, ein zutiefst ehrlicher Seemann, der nichts von der Extraladung wusste, die er an Bord hatte, war schon in Hamburg gewesen, aber immer wieder bestaunte er die Größe und Effizienz dieser alten Hansestadt, die eigentlich aus zwei Städten besteht: Da ist die Stadt, in der die Menschen an den Wasserstraßen der Außen- und Binnenalster leben, und da ist die weitläufige Hafenstadt, der größte Containerhafen des Kontinents.
Bei 13 000 Anlandungen an insgesamt 3 20 Liegeplätzen werden hier jährlich 140 Millionen Tonnen umgeschlagen. Der Containerhafen allein hat vier Terminals, und die San Cristobal wurde nach Altenwerder gelotst.
Während der Frachter mit einer Geschwindigkeit von fünf Knoten an den Hamburger Vororten vorbeiglitt, die am nördlichen Ufer der Elbe allmählich erwachten, brachte man den beiden Männern am Steuer starken kolumbianischen Kaffee. Der Deutsche schnupperte anerkennend, als ihm der Duft in die Nase stieg. Es hatte aufgehört zu regnen, die Sonne schimmerte durch die Wolken, und die Besatzung freute sich auf den Landgang.
Als die San Cristobal an dem ihr zugewiesenen Liegeplatz festmachte, war es kurz vor Mittag, und beinahe sofort brachte sich eine der fünfzehn Containerbrücken von Altenwerder in Position und fing an, die Container vom Frachter auf den Kai zu heben.
Kapitän Vargas hatte sich von dem Lotsen verabschiedet. Dessen Schicht war zu Ende, und er war nach Hause, nach Altona, gefahren. Die Maschinen waren abgeschaltet, die benötigten Anlagen liefen mit Generatorstrom, die Besatzung war mit ihren Pässen in der Hand von Bord gegangen, um in die Bars der Reeperbahn einzufallen, und die San Cristobal erschien so friedlich, wie Kapitän Vargas, dessen Zuhause und Arbeitsplatz sie war, es gern hatte.
Er konnte nicht ahnen, dass in der vierten Containerreihe vor seiner Brücke, zwei Ebenen tief und drei Reihen von Steuerbord entfernt, ein Container mit einem kleinen, ungewöhnlichen Logo verborgen war. Man würde gründlich suchen müssen, um das Logo zu finden, denn Überseecontainer sind voll von Kratzern, Farbklecksen, ID-Codes und Eignernamen. Dieses spezielle Logo bestand aus zwei konzentrischen Kreisen und einem Malteserkreuz im kleineren, inneren Kreis. Das war das geheime Erkennungszeichen der Hermandad - der Bruderschaft -, der Bande also, die hinter neunzig Prozent des kolumbianischen Kokains steckt. Und unten auf dem Kai war ein einziges Augenpaar, das dieses Zeichen erkennen würde.
Die Containerbrücke hob die Container vom Schiff hinüber zu einem wimmelnden Heer von computergesteuerten, fahrerlosen Transportfahrzeugen, sogenannten Automatic Guided Vehicles oder kurz AGV. Von einem Turm hoch über dem Kai gesteuert, beförderten sie die stählernen Kisten vom Kai zum Lagerareal. Hier entdeckte der Mitarbeiter, der sich unbemerkt zwischen den AGVs bewegte, das Logo mit den beiden Kreisen. Er tätigte einen Anruf mit dem Handy und lief dann eilig in sein Büro zurück. Meilenweit entfernt setzte sich ein Tieflader in Bewegung und fuhr in Richtung Hamburg.
...
Übersetzung: Rainer Schmidt
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 20 1 0
by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Frederick Forsyth
Frederick Forsyth, geb. 1938 in Ashford/Kent. Mit 19 Jahren war er der jüngste Pilot der Royal Air Force. Später arbeitete er für die Eastern Daily Press in Norfolk und die Agentur Reuters. 1965 ging Forsyth zur BBC. Seine journalistischen Erfahrungen verarbeitete er in zahlreichen, enorm erfolgreichen Polit-Thrillern. Mit Der Schakal gelang ihm der internationale Durchbruch, und sein Thriller Der Afghane wurde schnell zum großen internationalen Bestseller. Bis heute wurden seine Bücher weltweit mehr als 70 Millionen Mal verkauft.
Bibliographische Angaben
- Autor: Frederick Forsyth
- 2012, 398 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung:Schmidt, Rainer
- Übersetzer: Rainer Schmidt
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 344247776X
- ISBN-13: 9783442477760
- Erscheinungsdatum: 17.04.2012
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