König Arsch
Mein Leben als Kunde - der ganze normale Wahnsinn
Von unfähigen Verkäufern, absurden Öffnungszeiten und einer Bahn, die ihre Kunden überfährt
Willkommen in der Servicewüste: Wo mal ein Fahrkartenschalter stand, rütteln wir vergeblich am...
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Buch
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Produktdetails
Produktinformationen zu „König Arsch “
Von unfähigen Verkäufern, absurden Öffnungszeiten und einer Bahn, die ihre Kunden überfährt
Willkommen in der Servicewüste: Wo mal ein Fahrkartenschalter stand, rütteln wir vergeblich am Ticketautomaten, das Reisebüro um die Ecke ist ins Internet umgezogen und im Supermarkt reicht die Schlange bis zum Hinterausgang - denn nur eine von drei Kassen ist besetzt. Pointiert und entlarvend beschreibt Martin Wehrle, wie es um unsere Dienstleistungsgesellschaft steht. Er hat sich durch Hotlines gequält, ist von Verkäufern gefoltert worden und hat vor unpünktlichen Handwerkern kapituliert. Zum Aufregen komisch und mit der - immerhin - tröstenden Erkenntnis: Als Kunde bist du nie allein.
Lese-Probe zu „König Arsch “
König Arsch von Martin WehrleEinleitung
Vom König zum Knecht
Wohin geht der Kunde? Vor die Hunde! Wer sich in Deutschland umschaut, vom Supermarkt bis zur Postfiliale, erblickt eine Trümmerlandschaft: Der Service verkommt zum Abservieren. Die Firmen unterhalten nur noch so viel Personal, wie sie Hände brauchen, um das Geld der Kunden in die Kasse zu stopfen.
Wo früher mal ein Fahrkartenschalter stand, rüttelt der Kunde heute am komplizierten Ticketautomaten. Das Reisebüro um die Ecke ist ins Internet umgezogen, dort ist der Kunde sein eigener Berater und Einbucher. Und drüben im Supermarkt, wo ihn die Verkäuferin einst zum gesuchten Joghurt begleitete, ist von drei Kassen nur noch eine besetzt - und die Warteschlange reicht bis zum Hinterausgang.
Hersteller gehen wie Trickbetrüger vor: Sie reduzieren die Größe ihrer Packungen, aber schrauben die Preise nach oben. Jedes Lebensmittel, das nicht zu einer Chemievergiftung führt, wird gleich als »Bioprodukt« verkauft. Und die regulären Listenpreise, etwa bei Autos, sind unsittliche Angebote für Dumme, denen man nicht zutraut, das Wort »verhandeln« zu buchstabieren.
Der Kunde ist längst kein König mehr - er fühlt sich als Geldkuh gemolken, als Individuum missachtet, als Arsch behandelt.
Ich weiß, wovon ich spreche; ich bin selbst Kunde. Und wenn Sie wissen wollen, welches Erlebnis mich auf die Idee für dieses Buch gebracht hat, dann könnten Sie nach einem Giftmord auch fragen: Welcher Krümel Arsen war denn nun der tödliche? Im Laufe meines Kundenlebens habe ich so viele Tiefschläge eingesteckt, so viele Misshandlungen erduldet, so viele Enttäuschungen erlebt, dass jede davon ein Anlass für dieses Buch hätte sein können. Vielleicht ist mir die Idee dazu gekommen...
... mehr
• als ich vor Ostern beim Tanken feststellte, dass der Benzinpreis über Nacht mal wieder auf ein Rekordhoch gestiegen war - die übliche Abzocke vor den Reisetagen;
• als der Aktionsartikel meines Supermarktes, eine günstige Bahnfahrtkarte, am Erstverkaufstag um 12 Uhr angeblich schon »vergriffen« war;
• als meine Versicherung, deren Beiträge ich immer pünktlich bezahlt hatte, mich bei einem Wasserschaden im Regen stehen lassen wollte;
• als ich im Regionalzug als Schwarzfahrer abkassiert wurde, nur weil die Bahn AG einen Schalter geschlossen und der Fahrkartenautomat gestreikt hatte;
• als ich nach meinem Umzug einen Tag Urlaub genommen hatte, um den Monteur der Telekom zu empfangen, dieser aber den Termin platzen ließ;
• als ich im Kaufhaus zwei tratschende Verkäufer mit dem Satz »Darf ich mal stören?« ansprach, die sich aber nicht stören ließen;
• als aus den Brettern, die ich bei einem Möbelhaus gekauft hatte, einfach kein Bett entstehen wollte;
• als mich meine Bank bei einer Phishing-Attacke im Stich ließ, um dann mein Konto vor mir selbst zu sperren;
• als mir in der Computer-Hotline - Minutenpreis 1,34 Euro - bald der Verdacht kam: Der Typ am anderen Ende der Leitung hat noch viel weniger Ahnung als ich;
• als ich den Fassadenbauer das dritte Mal bekniete, er möge mir endlich das Angebot schicken - und er mir das dritte Mal vorlog, er würde es noch am selben Tag tun;
• als ich das defekte Laufwerk meines nagelneuen Computers gleich zweimal selbst reparieren musste, als unbezahlter Auftragsmonteur meiner Computerfirma.
All das kommt Ihnen bekannt vor? Solche Nackenschläge kassieren auch Sie? Dann gehören Sie zum Heer der entthronten Herrscher unserer Dienstleistungsgesellschaft. Der Kunde hat sich »vom König zum Knecht« entwickelt, analysiert Die Zeit1. Und Der Spiegel nimmt eine wachsende Wut der Verbraucher wahr: »Immer mehr geschundene Kundenseelen (werden) von einer einzigen Emotion dominiert: Hass.« Deshalb »wundert es kaum, dass sich langsam aber stetig ein Heer von rachsüchtigen Kunden bildet, die es leid sind, sich beschimpfen und belügen, vertrösten und versetzen, gängeln und vor allem als billige Helfer missbrauchen zu lassen. Sie nutzen nun die einzige Macht, die sie haben: Flucht.«2
Dieses Buch ist eine Flucht nach vorn. Ich möchte den Firmen einmal sagen, was sie sonst nicht hören wollen: meine Meinung als Kunde. Ich möchte dem Bild der zufriedenen Kunden, das in der Werbung gezeichnet wird, diesen glücklichen Frühstücksfamilien, diesen trällernden Vätern, diesen Strahlebabys, einmal den alltäglichen Horrorfilm der Kundenrealität gegenüberstellen.
Ich will nicht länger der Fußabtreter jener Unternehmen sein, deren Inhaber aus meinem Geld ihre Millionen scheffeln. Ich will nicht länger zuschauen, wie in der Firmenbroschüre die Kundenfreundlichkeit bejubelt, aber gleichzeitig das Kundencenter wie stinkender Sondermüll ausgelagert wird. Und ich werde fuchsteufelswild, wenn deutsche Konzerne rund um den Globus expandieren, ehe sie ihre Hausaufgaben gemacht und die Verbraucher vor der eigenen Haustür zufriedengestellt haben.
Sicher, ich bin nur einer von vielen, ein kleiner Kunde. Aber was passiert, wenn Massen von Verbrauchern einstimmen? Wenn der Chor unzufriedener Kunden seine Stimme erhebt, so laut und so mächtig, dass er die Mauern der Konzern-Zentralen erzittern und die Manager endlich verstehen lässt?
Dann schlägt das Pendel vielleicht in die andere Richtung aus. Bis der Kunde kein Arsch mehr ist. Sondern wieder König!
1.
Besorg's dir selbst:
Mein Leben als Laufbursche
Immer mehr Firmen spannen den Kunden als Hilfsarbeiter ein. Sie halsen ihm jene Dienste auf, für die sie dann gepfefferte Rechnungen stellen. In diesem Kapitel lesen Sie...
• warum Kunden in Broschüren angebetet, aber im Alltag abserviert werden,
• wie mich eine Computerfirma zur Zwangsarbeit am eigenen PC verdonnerte,
• wie ich beim Einkauf unfreiwillig ein Krokodil auf die Brust geladen bekam,
• und warum Verkäufer im Supermarkt immer eine Tarnkappe tragen.
Hollywood trifft Servicewüste
Als Kunde habe ich es gut! Ich bin der Star, um den sich alles dreht, der umgarnte Hauptdarsteller eines Servicefilms. Jeder Manager erklärt mich zum »Mittelpunkt allen Handelns«. Jede Firma lässt mich in ihrer Broschüre hochleben. Und Heere von Marketing-Strategen erforschen, welches meine geheimsten Wünsche sind und wie sich meine Zufriedenheit noch um einen Millimeter steigern lässt. Alle Firmen beten vor demselben Altar: dem der Kundenfreundlichkeit.
Merkwürdig ist nur: Während dieser Hollywood-Kunde, dieses schöngefärbte Ideal, stets über den roten Teppich flanieren darf, strampelt sein realer Zwilling im Treibsand einer ausufernden Servicewüste. Denn mein tatsächliches Ich spaziert nicht durch Broschüren, sondern kauert in der Schlange vor der Kasse. Es ernährt sich nicht von Manager-Versprechungen, sondern wird mit falschem Schinken und Mogelpackungen abgespeist. Und es atmet nicht frische Homepage-Sprüche, sondern kämpft mit 50 Grad im ICE, nachdem die Klimaanlage im Sommer wieder einmal den Geist aufgegeben hat.
Dieselben Firmen, die den allgemeinen Kunden erforschen, wollen nichts von ihm wissen, wenn er als Einzelexemplar im Laden auftaucht und dumme Fragen stellt - zum Beispiel um Beratung bittet. Oder gar reklamiert! Zum König erklärt, als Bettler behandelt: Heuchelei ohne Grenzen.
Immer mehr Unternehmen kegeln ihre Servicemitarbeiter vor die Tür, während sie behaupten: »Wir tun alles für unseren Service!« Stimmt nur fast. Derjenige, der das sinkende Serviceschiff über Wasser halten soll, hat niemals Feierabend, beansprucht keinen Arbeitsplatz und kassiert auch kein Gehalt - denn das bin ich, der Kunde selbst!
Mit welcher Strategie man es schafft, erst Servicelecks zu schlagen und sie dann vom Kunden stopfen zu lassen, hat Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn vorgemacht: 2008 kündigte er an, für den Kauf von Tickets am Schalter werde künftig eine Gebühr von 2,50 Euro pro Strecke berechnet - was von einer Protestwelle knapp verhindert wurde, im Gegensatz zum massiven Schalterabbau.3
Mit solchen Manövern wollen die Firmen zweierlei erreichen. Erstens zwingen sie mich zu einer Selbstbedienung, die nicht auf freiem Willen beruht, sondern nur Notwehr ist - denn anders kann ich nicht an die gewünschte Dienstleistung kommen. Zweitens wird der Service durch Mitarbeiter von der Normal- zur Sonderleistung erklärt. Damit wird er zum kostenpflichtigen Extra. Und weil sich nur wenige Kunden diese »Sonderleistung« leisten können, werden auch immer weniger Servicemitarbeiter benötigt. Die Firmen können reihenweise Mitarbeiter streichen. Der Kunde erledigt dieselbe Dienstleistung. Zum Nulltarif.
Aber wie wird dieser Service-Kahlschlag dem Verbraucher verkauft? Die PR der Firmen schenkt keinen reinen Wein ein, sondern eine mit Aromastoffen versetzte Werbebrause. Deren trügerisches Prickeln soll uns suggerieren, wir hätten es nicht mit Serviceabbau, sondern mit einer Kundenbefreiung zu tun, nach dem Motto: Du, Kunde, wirst immer freier, immer unabhängiger! Du bist dein eigener Herr, nicht mehr angewiesen auf fremde Hilfe. Was kompliziert und langwierig war, wird einfach und kurzweilig - wenn du es selbst in die Hand nimmst.
Das ist so glaubwürdig, als würde man den Passagieren eines abstürzenden Flugzeugs das Anlegen der Schwimmwesten als überfällige Emanzipation von den gerade ausgefallenen Triebwerken verkaufen.
Die Realität enttarnt dieses Wortgeklingel. Dem Kunden dämmert spätestens, wenn er sich beim Kauf seiner Fahrkarte im Irrgarten der Automaten-Software verlaufen hat, während sein Zug ein- und wieder abfährt: Ich stehe hier auf einem Service-Abstellgleis! Dieser Automat lässt mich mit meinen Problemen allein. Er ist so kalt wie die gefühlte Servicetemperatur im Land. Und so kompliziert, dass ihn kein Mensch bedienen kann! Dieser Automat hilft einer alten Frau nicht auf die Beine, wenn sie einen Meter vor ihm stürzt. Dieser Automat sieht tatenlos zu, wenn ein Kleinkind aufs Gleis spaziert, während ein ICE anrollt. Dieser Automat ist nicht einmal in der Lage, die Notruf-Nummer zu wählen, wenn ihm gegenüber ein Bahnkunde überfallen und mit Tritten traktiert wird.
Alle Selbstbedienungswege, die uns als »moderner Service« angepriesen werden, sind in Wirklichkeit das Gegenteil: die Abschaffung von Service. Wo menschliches Personal abgebaut wird, muss - da Maschinen nicht denken können - ein anderer Mensch die Hauptarbeit übernehmen: der Kunde.
All das bin ich leid! Ich habe keine Lust, im Szenelokal meinen eigenen Kellner zu spielen, mein volles Rotweinglas, meine heiße Suppenschüssel und einen krümelnden Brotkorb von der Theke bis zu meinem Platz zu balancieren, nur weil der Wirt sich die Bedienung sparen und seiner Gewinnmaximierung auch noch einen hippen Anstrich geben will.
Ich kann keine Freiheit darin erkennen, dass ich meine Pakete nicht mehr einem kompetenten Postmitarbeiter in die Hand drücken kann, sondern mich als Posthilfsarbeiter an einer Packstation mit den Tücken der Technik und der Frankierung herumquälen muss.
Ich sehe es nicht als Fortschritt an, dass meine Bank ihre Dienstleistungen zusammenstreicht, während ich als Banklehrling im Internet jeden Buchungsvorgang eigenhändig erledige, am EC-Automaten als Geldbote vorfahre und bei meinen Anlagegeschäften als mein eigener Fachberater agiere - wofür bezahle ich dann eigentlich noch eine Bank?
Ich halte es für eine Zumutung, dass mir immer mehr halbfertige Produkte verkauft werden in der Erwartung, ich würde als ungelernter Schreiner aus einem Haufen Bretter des Möbelhauses ein Bett zaubern oder als überforderter Informatiker durch Updates eine Software voller Kinderkrankheiten doch noch nutzbar zu machen - statt einfach die Mängel der Ware zu reklamieren und mein Geld zurückzufordern.
Für mich ist es kein Lichtblick, wenn mir immer mehr Supermärkte den Gang zu ihren Selbstscan-Kassen als Weg in die Freiheit verkaufen wollen, weil ich dann auch noch einen Nebenjob als Kassierer antrete, keine Rückfragen zu Produkten mehr stellen kann und auf einen Wunsch wie »Ein schönes Wochenende!« vollends verzichten muss.
Und ich habe die Schnauze voll von Einkäufen im Internet, bei denen ich erst stundenlang nach den Produkten suche, mein virtueller Einkaufswagen dann aber auf dem Weg zur »Kasse« mit einem Schlag geleert und der komplette Vorgang abgebrochen wird, Kommentar: »Sie haben ein Zeitlimit überschritten!« Und kein menschliches Wesen ansprechbar ist, das mir kurzfristig helfen könnte!
Ich bin Kunde. Ich zahle viel Geld. Ich will mich an Deck des Serviceschiffes sonnen. Nicht als Sklave auf der Ruderbank sitzen. Nicht die Servicelöcher einer Titanic stopfen. Nicht als kostenloser Hilfsarbeiter missbraucht werden!
DRAUSSEN VOR DER TÜR
Es ist 8.30 Uhr, ich habe einen Termin in meinem Autohaus. Ich stehe pünktlich vor dem Glaskasten-Büro. Mein Sachbearbeiter flachst mit einem anderen Kunden. Ich sehe ihn, er sieht mich. Gelächter dringt aus dem Glaskasten. Die beiden fuchteln mit den Armen, unterhalten sich prächtig. Ich denke mir: »Immerhin sorgt er für gute Stimmung im Kundengespräch!«
Es wird 8.35 Uhr, 8.40 Uhr. Ich trete von einem Bein aufs andere und denke: »Immerhin nimmt er sich Zeit für jeden Kunden, sicher auch für mich!« Dann geht die Tür auf, mein Sachbearbeiter verabschiedet den anderen: »Also, Jörg, dann informier unseren Chef mal bitte!«
Zwei Kollegen haben sich wunderbar amüsiert - während ich zehn Minuten vor der Tür schmorte. Mein Kundengespräch fällt kurz und unfreundlich aus. Die Informationen muss ich mir selber aus einer Broschüre zusammenklauben.
Der Geist auf meinem PC
Vorletztes Jahr habe ich mir selbst ein Weihnachtsgeschenk gemacht: einen hochwertigen Computer von einem Online-Fachhändler. Mein alter PC, Baujahr 2001, war immer wieder abgestürzt. Was ich brauchte, war ein Qualitätsgerät. Das ließ ich mir 800 Euro kosten.
Der neue PC wurde geliefert. Und damit fingen die Probleme an. Naiverweise hatte ich gedacht, ich könnte meine Outlook-Maildateien einfach von dem alten auf den neuen PC kopieren. Doch Outlook Express und Outlook reagieren aufeinander wie Nordkorea auf Südkorea - keine Verständigung möglich.
Was tut der moderne Verbraucher, wenn er keinen Rat mehr weiß? Er behelligt nicht den Verkäufer, sondern lässt sich im Internet von anderen Verbrauchern beraten. Die einschlägigen Foren quollen über vor Beiträgen von Nutzern mit exakt demselben Problem. Nur wusste keiner eine Lösung.
Warum gestaltet der Computerriese Microsoft seine Programme nicht kompatibel? Wo bleibt die Kundenfreundlichkeit, wenn der Software-Anschlusszug nicht vom selben Bahnsteig, sondern aus einer anderen Stadt abfährt? Ich bat den örtlichen Informatiker um Überbrückungshilfe. Nach zwei Tagen und gegen eine stattliche Rechnung war das Werk vollbracht.
Am nächsten Morgen kam ich ins Büro und wollte meinen PC hochfahren. Auf dem schwarzen Bildschirm erschien eine weiße Schrift, der Curser sprang ein Stück nach unten. Dann steckte er fest. Minutenlang. Ich schaltete den Computer aus und wieder ein. Dasselbe Spiel. Ich zog den Stecker, startete erneut. Doch der Computer hakte. Erst nach einer halben Stunde gelang es mir, ihn zum Laufen zu bringen.
Dieses Drama wiederholte sich in den nächsten Tagen. Jeder Start dauerte mindestens 15 Minuten. Offenbar fand der Computer das DVD-Laufwerk nicht - was dazu führte, dass ich keine CDs und DVDs nutzen konnte.
Ich schrieb eine Reklamations-Mail an die Computerfirma. Die Antwort der Serviceabteilung kam prompt: Sie bestand in einem Link zu einer Hilfssoftware. Das erschien mir so, als würde mir ein Friseur seine Schere in die Hand drücken. Ich, der Laie, sollte es selber richten!
Was blieb mir übrig? Ich führte den Download durch, ließ das Programm durchlaufen, war über Stunden in meiner Arbeit behindert - doch das Laufwerk blieb verschollen.
Meine nächste Mail wurde deutlicher: »Ich haben für einen funktionstüchtigen Computer bezahlt, aber einen funktionsuntüchtigen erhalten. Ich brauche jetzt die Hilfe eines Fachmanns!«
Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon. Am anderen Ende war ein Informatiker der Computerfirma. Er sagte: »Ich möchte mich auf Ihrem PC gerne mal umschauen, ob ich das Laufwerk nicht doch finde.«
Ich freute mich: »Wann können Sie bei mir vorbeikommen?« »Sofort«, sagt er.
»Aber Sie sitzen doch bei Stuttgart und ich bei Hamburg!«
»Kein Problem, ich kann mich auf Ihren PC einloggen. Das geht ganz einfach.«
Nun nannte er mir die Homepage www.teamviewer.com. Ich wählte mich dort ein, gab ihm eine Sitzungsnummer durch - und schon wanderte der Curser wie von Geisterhand über meine Bildschirmoberfläche und durchsuchte den Computer.
»Ist es in Ordnung, dass ich ein Hilfsprogramm runterlade?«, fragt die Geisterhand durchs Telefon.
»Kein Problem«, sagte ich.
Er führte den Download durch. Aber wo war das Programm gelandet? Ehe ich Piep sagen konnte, öffnete er den Ordner »Meine Downloads« und sah sich nach dem Programm um. Alles andere, was dort lag - meine privaten Downloads - sah er natürlich auch. Auf die Idee, mich vorher um Erlaubnis zu fragen, war er nicht gekommen. Er spazierte einfach durch die privaten Räume meines Computers, als wären sie sein Wohnzimmer.
Ergebnis der Fernuntersuchung: »Ihr Computer muss einen manuellen Fehler haben. Da muss ein neues Laufwerk rein.«
»Heißt das, Sie schicken mir einen Monteur vorbei?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Nein, nur ein Laufwerk. Das können Sie selber einbauen, das ist ganz einfach.«
Ich geriet in Panik: »Ehrlich gesagt: Ich habe zwei linke Hände.« »Keine Sorge«, beruhigte er mich, »das haben Hunderte von Kunden schon vor Ihnen geschafft.«
Ich horchte auf: War mein Problem gar kein Einzelfall? Hatten Hunderte von Kunden mit demselben Mangel zu kämpfen? Und war es schon deshalb erforderlich, die Kunden als ungelernte Monteure zu missbrauchen?
Zwei Tage später drückte mir der Briefträger ein Päckchen mit meinem DVD-Laufwerk in die Hand. Auf der Rechnung stand, dass sie nach Einsendung des alten Laufwerks storniert würde. Eine Versandarbeit wurde mir also auch noch aufgehalst.
Mit einem schlechten Gefühl im Bauch und einem Schraubenzieher in der Hand begann ich meinen chirurgischen Eingriff. Ich robbte unter meinen Schreibtisch und trennte den PC-Tower von allen Anschlüssen: Strom, Tastatur, Maus, Bildschirm und Drucker. Dann schraubte ich das äußere Gehäuse ab. Ein bunt gemischter Kabelsalat grinste mich an. Ich zog an den Steckern. Sie ließen sich nicht lösen. Die Schrauben des Laufwerks waren angezogen wie von Herkules. Mein Schraubenzieher rutschte mehrfach ab. Meine Stirn wurde nass wie beim Dauerlauf. Verdammt, worauf hatte ich mich da bloß eingelassen!
Eine gute halbe Stunde (und ungezählte Flüche) später hatte ich das Laufwerk gewechselt und den Bauch des Computers wieder geschlossen. Gespannt fuhr ich den PC hoch. Das DVD-Laufwerk wurde tatsächlich angezeigt. Für drei Tage. Dann hakte der Computer beim Hochfahren abermals. Und das DVD-Laufwerk war erneut ins Nichts emigriert.
Neuer Hilferuf, neuer Rückruf. Teamviewer, Geisterhand, Ferndiagnose: »Wieder ein manueller Fehler. Ich schicke Ihnen noch mal ein Laufwerk. Beim zweiten Mal klappt das sicher.«
Mein Hals schwoll an: »Nein, ich möchte nicht dieselbe Reparatur noch einmal machen. Da soll jetzt ein Profi aus Ihrem Hause ran!« »Wir können Ihnen keinen Monteur schicken«, kam als Antwort. »Aber Sie könnten einen Fachmann vor Ort beauftragen!«
Seine Stimme bekam einen förmlichen Klang: »Geht nicht. Wir reparieren immer selbst.«
»Also doch Sie - und nicht ich!«
»Ja, ja, aber dann müssen Sie den Computer einsenden. Unsere Werkstatt ist im Moment voll. Manchmal dauert das zwei, drei Wochen, bis das Gerät wieder bei Ihnen ist. Können Sie das Gerät so lange entbehren?«
Das war eine Erpressung. Und sie wirkte. Zwei Tage später ging ich wieder als Monteur ans Werk. Diesmal dauerte es zwanzig Minuten. Danach war der Fehler behoben. Dauerhaft.
Ist das nicht zum Heulen? Da bekomme ich eine mangelhafte Ware geliefert - und muss als Geschädigter auch noch für die Mängel büßen! Erst spiele ich den Informatiker, schlage mich mit Downloads herum und vergeude viel Zeit damit, ein Suchprogramm durchlaufen zu lassen. Dann trete ich als Hardware-Monteur an, schraube mehrfach meinen Computer auf und repariere ihn. Und schließlich springe ich als Versandmitarbeiter ein, verpacke und verschicke alte Laufwerke.
Keinen Cent, keinen Dank, gar nichts bekomme ich dafür - nur die Computerfirma spart Geld.
...
© 2012 Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
• als ich vor Ostern beim Tanken feststellte, dass der Benzinpreis über Nacht mal wieder auf ein Rekordhoch gestiegen war - die übliche Abzocke vor den Reisetagen;
• als der Aktionsartikel meines Supermarktes, eine günstige Bahnfahrtkarte, am Erstverkaufstag um 12 Uhr angeblich schon »vergriffen« war;
• als meine Versicherung, deren Beiträge ich immer pünktlich bezahlt hatte, mich bei einem Wasserschaden im Regen stehen lassen wollte;
• als ich im Regionalzug als Schwarzfahrer abkassiert wurde, nur weil die Bahn AG einen Schalter geschlossen und der Fahrkartenautomat gestreikt hatte;
• als ich nach meinem Umzug einen Tag Urlaub genommen hatte, um den Monteur der Telekom zu empfangen, dieser aber den Termin platzen ließ;
• als ich im Kaufhaus zwei tratschende Verkäufer mit dem Satz »Darf ich mal stören?« ansprach, die sich aber nicht stören ließen;
• als aus den Brettern, die ich bei einem Möbelhaus gekauft hatte, einfach kein Bett entstehen wollte;
• als mich meine Bank bei einer Phishing-Attacke im Stich ließ, um dann mein Konto vor mir selbst zu sperren;
• als mir in der Computer-Hotline - Minutenpreis 1,34 Euro - bald der Verdacht kam: Der Typ am anderen Ende der Leitung hat noch viel weniger Ahnung als ich;
• als ich den Fassadenbauer das dritte Mal bekniete, er möge mir endlich das Angebot schicken - und er mir das dritte Mal vorlog, er würde es noch am selben Tag tun;
• als ich das defekte Laufwerk meines nagelneuen Computers gleich zweimal selbst reparieren musste, als unbezahlter Auftragsmonteur meiner Computerfirma.
All das kommt Ihnen bekannt vor? Solche Nackenschläge kassieren auch Sie? Dann gehören Sie zum Heer der entthronten Herrscher unserer Dienstleistungsgesellschaft. Der Kunde hat sich »vom König zum Knecht« entwickelt, analysiert Die Zeit1. Und Der Spiegel nimmt eine wachsende Wut der Verbraucher wahr: »Immer mehr geschundene Kundenseelen (werden) von einer einzigen Emotion dominiert: Hass.« Deshalb »wundert es kaum, dass sich langsam aber stetig ein Heer von rachsüchtigen Kunden bildet, die es leid sind, sich beschimpfen und belügen, vertrösten und versetzen, gängeln und vor allem als billige Helfer missbrauchen zu lassen. Sie nutzen nun die einzige Macht, die sie haben: Flucht.«2
Dieses Buch ist eine Flucht nach vorn. Ich möchte den Firmen einmal sagen, was sie sonst nicht hören wollen: meine Meinung als Kunde. Ich möchte dem Bild der zufriedenen Kunden, das in der Werbung gezeichnet wird, diesen glücklichen Frühstücksfamilien, diesen trällernden Vätern, diesen Strahlebabys, einmal den alltäglichen Horrorfilm der Kundenrealität gegenüberstellen.
Ich will nicht länger der Fußabtreter jener Unternehmen sein, deren Inhaber aus meinem Geld ihre Millionen scheffeln. Ich will nicht länger zuschauen, wie in der Firmenbroschüre die Kundenfreundlichkeit bejubelt, aber gleichzeitig das Kundencenter wie stinkender Sondermüll ausgelagert wird. Und ich werde fuchsteufelswild, wenn deutsche Konzerne rund um den Globus expandieren, ehe sie ihre Hausaufgaben gemacht und die Verbraucher vor der eigenen Haustür zufriedengestellt haben.
Sicher, ich bin nur einer von vielen, ein kleiner Kunde. Aber was passiert, wenn Massen von Verbrauchern einstimmen? Wenn der Chor unzufriedener Kunden seine Stimme erhebt, so laut und so mächtig, dass er die Mauern der Konzern-Zentralen erzittern und die Manager endlich verstehen lässt?
Dann schlägt das Pendel vielleicht in die andere Richtung aus. Bis der Kunde kein Arsch mehr ist. Sondern wieder König!
1.
Besorg's dir selbst:
Mein Leben als Laufbursche
Immer mehr Firmen spannen den Kunden als Hilfsarbeiter ein. Sie halsen ihm jene Dienste auf, für die sie dann gepfefferte Rechnungen stellen. In diesem Kapitel lesen Sie...
• warum Kunden in Broschüren angebetet, aber im Alltag abserviert werden,
• wie mich eine Computerfirma zur Zwangsarbeit am eigenen PC verdonnerte,
• wie ich beim Einkauf unfreiwillig ein Krokodil auf die Brust geladen bekam,
• und warum Verkäufer im Supermarkt immer eine Tarnkappe tragen.
Hollywood trifft Servicewüste
Als Kunde habe ich es gut! Ich bin der Star, um den sich alles dreht, der umgarnte Hauptdarsteller eines Servicefilms. Jeder Manager erklärt mich zum »Mittelpunkt allen Handelns«. Jede Firma lässt mich in ihrer Broschüre hochleben. Und Heere von Marketing-Strategen erforschen, welches meine geheimsten Wünsche sind und wie sich meine Zufriedenheit noch um einen Millimeter steigern lässt. Alle Firmen beten vor demselben Altar: dem der Kundenfreundlichkeit.
Merkwürdig ist nur: Während dieser Hollywood-Kunde, dieses schöngefärbte Ideal, stets über den roten Teppich flanieren darf, strampelt sein realer Zwilling im Treibsand einer ausufernden Servicewüste. Denn mein tatsächliches Ich spaziert nicht durch Broschüren, sondern kauert in der Schlange vor der Kasse. Es ernährt sich nicht von Manager-Versprechungen, sondern wird mit falschem Schinken und Mogelpackungen abgespeist. Und es atmet nicht frische Homepage-Sprüche, sondern kämpft mit 50 Grad im ICE, nachdem die Klimaanlage im Sommer wieder einmal den Geist aufgegeben hat.
Dieselben Firmen, die den allgemeinen Kunden erforschen, wollen nichts von ihm wissen, wenn er als Einzelexemplar im Laden auftaucht und dumme Fragen stellt - zum Beispiel um Beratung bittet. Oder gar reklamiert! Zum König erklärt, als Bettler behandelt: Heuchelei ohne Grenzen.
Immer mehr Unternehmen kegeln ihre Servicemitarbeiter vor die Tür, während sie behaupten: »Wir tun alles für unseren Service!« Stimmt nur fast. Derjenige, der das sinkende Serviceschiff über Wasser halten soll, hat niemals Feierabend, beansprucht keinen Arbeitsplatz und kassiert auch kein Gehalt - denn das bin ich, der Kunde selbst!
Mit welcher Strategie man es schafft, erst Servicelecks zu schlagen und sie dann vom Kunden stopfen zu lassen, hat Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn vorgemacht: 2008 kündigte er an, für den Kauf von Tickets am Schalter werde künftig eine Gebühr von 2,50 Euro pro Strecke berechnet - was von einer Protestwelle knapp verhindert wurde, im Gegensatz zum massiven Schalterabbau.3
Mit solchen Manövern wollen die Firmen zweierlei erreichen. Erstens zwingen sie mich zu einer Selbstbedienung, die nicht auf freiem Willen beruht, sondern nur Notwehr ist - denn anders kann ich nicht an die gewünschte Dienstleistung kommen. Zweitens wird der Service durch Mitarbeiter von der Normal- zur Sonderleistung erklärt. Damit wird er zum kostenpflichtigen Extra. Und weil sich nur wenige Kunden diese »Sonderleistung« leisten können, werden auch immer weniger Servicemitarbeiter benötigt. Die Firmen können reihenweise Mitarbeiter streichen. Der Kunde erledigt dieselbe Dienstleistung. Zum Nulltarif.
Aber wie wird dieser Service-Kahlschlag dem Verbraucher verkauft? Die PR der Firmen schenkt keinen reinen Wein ein, sondern eine mit Aromastoffen versetzte Werbebrause. Deren trügerisches Prickeln soll uns suggerieren, wir hätten es nicht mit Serviceabbau, sondern mit einer Kundenbefreiung zu tun, nach dem Motto: Du, Kunde, wirst immer freier, immer unabhängiger! Du bist dein eigener Herr, nicht mehr angewiesen auf fremde Hilfe. Was kompliziert und langwierig war, wird einfach und kurzweilig - wenn du es selbst in die Hand nimmst.
Das ist so glaubwürdig, als würde man den Passagieren eines abstürzenden Flugzeugs das Anlegen der Schwimmwesten als überfällige Emanzipation von den gerade ausgefallenen Triebwerken verkaufen.
Die Realität enttarnt dieses Wortgeklingel. Dem Kunden dämmert spätestens, wenn er sich beim Kauf seiner Fahrkarte im Irrgarten der Automaten-Software verlaufen hat, während sein Zug ein- und wieder abfährt: Ich stehe hier auf einem Service-Abstellgleis! Dieser Automat lässt mich mit meinen Problemen allein. Er ist so kalt wie die gefühlte Servicetemperatur im Land. Und so kompliziert, dass ihn kein Mensch bedienen kann! Dieser Automat hilft einer alten Frau nicht auf die Beine, wenn sie einen Meter vor ihm stürzt. Dieser Automat sieht tatenlos zu, wenn ein Kleinkind aufs Gleis spaziert, während ein ICE anrollt. Dieser Automat ist nicht einmal in der Lage, die Notruf-Nummer zu wählen, wenn ihm gegenüber ein Bahnkunde überfallen und mit Tritten traktiert wird.
Alle Selbstbedienungswege, die uns als »moderner Service« angepriesen werden, sind in Wirklichkeit das Gegenteil: die Abschaffung von Service. Wo menschliches Personal abgebaut wird, muss - da Maschinen nicht denken können - ein anderer Mensch die Hauptarbeit übernehmen: der Kunde.
All das bin ich leid! Ich habe keine Lust, im Szenelokal meinen eigenen Kellner zu spielen, mein volles Rotweinglas, meine heiße Suppenschüssel und einen krümelnden Brotkorb von der Theke bis zu meinem Platz zu balancieren, nur weil der Wirt sich die Bedienung sparen und seiner Gewinnmaximierung auch noch einen hippen Anstrich geben will.
Ich kann keine Freiheit darin erkennen, dass ich meine Pakete nicht mehr einem kompetenten Postmitarbeiter in die Hand drücken kann, sondern mich als Posthilfsarbeiter an einer Packstation mit den Tücken der Technik und der Frankierung herumquälen muss.
Ich sehe es nicht als Fortschritt an, dass meine Bank ihre Dienstleistungen zusammenstreicht, während ich als Banklehrling im Internet jeden Buchungsvorgang eigenhändig erledige, am EC-Automaten als Geldbote vorfahre und bei meinen Anlagegeschäften als mein eigener Fachberater agiere - wofür bezahle ich dann eigentlich noch eine Bank?
Ich halte es für eine Zumutung, dass mir immer mehr halbfertige Produkte verkauft werden in der Erwartung, ich würde als ungelernter Schreiner aus einem Haufen Bretter des Möbelhauses ein Bett zaubern oder als überforderter Informatiker durch Updates eine Software voller Kinderkrankheiten doch noch nutzbar zu machen - statt einfach die Mängel der Ware zu reklamieren und mein Geld zurückzufordern.
Für mich ist es kein Lichtblick, wenn mir immer mehr Supermärkte den Gang zu ihren Selbstscan-Kassen als Weg in die Freiheit verkaufen wollen, weil ich dann auch noch einen Nebenjob als Kassierer antrete, keine Rückfragen zu Produkten mehr stellen kann und auf einen Wunsch wie »Ein schönes Wochenende!« vollends verzichten muss.
Und ich habe die Schnauze voll von Einkäufen im Internet, bei denen ich erst stundenlang nach den Produkten suche, mein virtueller Einkaufswagen dann aber auf dem Weg zur »Kasse« mit einem Schlag geleert und der komplette Vorgang abgebrochen wird, Kommentar: »Sie haben ein Zeitlimit überschritten!« Und kein menschliches Wesen ansprechbar ist, das mir kurzfristig helfen könnte!
Ich bin Kunde. Ich zahle viel Geld. Ich will mich an Deck des Serviceschiffes sonnen. Nicht als Sklave auf der Ruderbank sitzen. Nicht die Servicelöcher einer Titanic stopfen. Nicht als kostenloser Hilfsarbeiter missbraucht werden!
DRAUSSEN VOR DER TÜR
Es ist 8.30 Uhr, ich habe einen Termin in meinem Autohaus. Ich stehe pünktlich vor dem Glaskasten-Büro. Mein Sachbearbeiter flachst mit einem anderen Kunden. Ich sehe ihn, er sieht mich. Gelächter dringt aus dem Glaskasten. Die beiden fuchteln mit den Armen, unterhalten sich prächtig. Ich denke mir: »Immerhin sorgt er für gute Stimmung im Kundengespräch!«
Es wird 8.35 Uhr, 8.40 Uhr. Ich trete von einem Bein aufs andere und denke: »Immerhin nimmt er sich Zeit für jeden Kunden, sicher auch für mich!« Dann geht die Tür auf, mein Sachbearbeiter verabschiedet den anderen: »Also, Jörg, dann informier unseren Chef mal bitte!«
Zwei Kollegen haben sich wunderbar amüsiert - während ich zehn Minuten vor der Tür schmorte. Mein Kundengespräch fällt kurz und unfreundlich aus. Die Informationen muss ich mir selber aus einer Broschüre zusammenklauben.
Der Geist auf meinem PC
Vorletztes Jahr habe ich mir selbst ein Weihnachtsgeschenk gemacht: einen hochwertigen Computer von einem Online-Fachhändler. Mein alter PC, Baujahr 2001, war immer wieder abgestürzt. Was ich brauchte, war ein Qualitätsgerät. Das ließ ich mir 800 Euro kosten.
Der neue PC wurde geliefert. Und damit fingen die Probleme an. Naiverweise hatte ich gedacht, ich könnte meine Outlook-Maildateien einfach von dem alten auf den neuen PC kopieren. Doch Outlook Express und Outlook reagieren aufeinander wie Nordkorea auf Südkorea - keine Verständigung möglich.
Was tut der moderne Verbraucher, wenn er keinen Rat mehr weiß? Er behelligt nicht den Verkäufer, sondern lässt sich im Internet von anderen Verbrauchern beraten. Die einschlägigen Foren quollen über vor Beiträgen von Nutzern mit exakt demselben Problem. Nur wusste keiner eine Lösung.
Warum gestaltet der Computerriese Microsoft seine Programme nicht kompatibel? Wo bleibt die Kundenfreundlichkeit, wenn der Software-Anschlusszug nicht vom selben Bahnsteig, sondern aus einer anderen Stadt abfährt? Ich bat den örtlichen Informatiker um Überbrückungshilfe. Nach zwei Tagen und gegen eine stattliche Rechnung war das Werk vollbracht.
Am nächsten Morgen kam ich ins Büro und wollte meinen PC hochfahren. Auf dem schwarzen Bildschirm erschien eine weiße Schrift, der Curser sprang ein Stück nach unten. Dann steckte er fest. Minutenlang. Ich schaltete den Computer aus und wieder ein. Dasselbe Spiel. Ich zog den Stecker, startete erneut. Doch der Computer hakte. Erst nach einer halben Stunde gelang es mir, ihn zum Laufen zu bringen.
Dieses Drama wiederholte sich in den nächsten Tagen. Jeder Start dauerte mindestens 15 Minuten. Offenbar fand der Computer das DVD-Laufwerk nicht - was dazu führte, dass ich keine CDs und DVDs nutzen konnte.
Ich schrieb eine Reklamations-Mail an die Computerfirma. Die Antwort der Serviceabteilung kam prompt: Sie bestand in einem Link zu einer Hilfssoftware. Das erschien mir so, als würde mir ein Friseur seine Schere in die Hand drücken. Ich, der Laie, sollte es selber richten!
Was blieb mir übrig? Ich führte den Download durch, ließ das Programm durchlaufen, war über Stunden in meiner Arbeit behindert - doch das Laufwerk blieb verschollen.
Meine nächste Mail wurde deutlicher: »Ich haben für einen funktionstüchtigen Computer bezahlt, aber einen funktionsuntüchtigen erhalten. Ich brauche jetzt die Hilfe eines Fachmanns!«
Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon. Am anderen Ende war ein Informatiker der Computerfirma. Er sagte: »Ich möchte mich auf Ihrem PC gerne mal umschauen, ob ich das Laufwerk nicht doch finde.«
Ich freute mich: »Wann können Sie bei mir vorbeikommen?« »Sofort«, sagt er.
»Aber Sie sitzen doch bei Stuttgart und ich bei Hamburg!«
»Kein Problem, ich kann mich auf Ihren PC einloggen. Das geht ganz einfach.«
Nun nannte er mir die Homepage www.teamviewer.com. Ich wählte mich dort ein, gab ihm eine Sitzungsnummer durch - und schon wanderte der Curser wie von Geisterhand über meine Bildschirmoberfläche und durchsuchte den Computer.
»Ist es in Ordnung, dass ich ein Hilfsprogramm runterlade?«, fragt die Geisterhand durchs Telefon.
»Kein Problem«, sagte ich.
Er führte den Download durch. Aber wo war das Programm gelandet? Ehe ich Piep sagen konnte, öffnete er den Ordner »Meine Downloads« und sah sich nach dem Programm um. Alles andere, was dort lag - meine privaten Downloads - sah er natürlich auch. Auf die Idee, mich vorher um Erlaubnis zu fragen, war er nicht gekommen. Er spazierte einfach durch die privaten Räume meines Computers, als wären sie sein Wohnzimmer.
Ergebnis der Fernuntersuchung: »Ihr Computer muss einen manuellen Fehler haben. Da muss ein neues Laufwerk rein.«
»Heißt das, Sie schicken mir einen Monteur vorbei?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Nein, nur ein Laufwerk. Das können Sie selber einbauen, das ist ganz einfach.«
Ich geriet in Panik: »Ehrlich gesagt: Ich habe zwei linke Hände.« »Keine Sorge«, beruhigte er mich, »das haben Hunderte von Kunden schon vor Ihnen geschafft.«
Ich horchte auf: War mein Problem gar kein Einzelfall? Hatten Hunderte von Kunden mit demselben Mangel zu kämpfen? Und war es schon deshalb erforderlich, die Kunden als ungelernte Monteure zu missbrauchen?
Zwei Tage später drückte mir der Briefträger ein Päckchen mit meinem DVD-Laufwerk in die Hand. Auf der Rechnung stand, dass sie nach Einsendung des alten Laufwerks storniert würde. Eine Versandarbeit wurde mir also auch noch aufgehalst.
Mit einem schlechten Gefühl im Bauch und einem Schraubenzieher in der Hand begann ich meinen chirurgischen Eingriff. Ich robbte unter meinen Schreibtisch und trennte den PC-Tower von allen Anschlüssen: Strom, Tastatur, Maus, Bildschirm und Drucker. Dann schraubte ich das äußere Gehäuse ab. Ein bunt gemischter Kabelsalat grinste mich an. Ich zog an den Steckern. Sie ließen sich nicht lösen. Die Schrauben des Laufwerks waren angezogen wie von Herkules. Mein Schraubenzieher rutschte mehrfach ab. Meine Stirn wurde nass wie beim Dauerlauf. Verdammt, worauf hatte ich mich da bloß eingelassen!
Eine gute halbe Stunde (und ungezählte Flüche) später hatte ich das Laufwerk gewechselt und den Bauch des Computers wieder geschlossen. Gespannt fuhr ich den PC hoch. Das DVD-Laufwerk wurde tatsächlich angezeigt. Für drei Tage. Dann hakte der Computer beim Hochfahren abermals. Und das DVD-Laufwerk war erneut ins Nichts emigriert.
Neuer Hilferuf, neuer Rückruf. Teamviewer, Geisterhand, Ferndiagnose: »Wieder ein manueller Fehler. Ich schicke Ihnen noch mal ein Laufwerk. Beim zweiten Mal klappt das sicher.«
Mein Hals schwoll an: »Nein, ich möchte nicht dieselbe Reparatur noch einmal machen. Da soll jetzt ein Profi aus Ihrem Hause ran!« »Wir können Ihnen keinen Monteur schicken«, kam als Antwort. »Aber Sie könnten einen Fachmann vor Ort beauftragen!«
Seine Stimme bekam einen förmlichen Klang: »Geht nicht. Wir reparieren immer selbst.«
»Also doch Sie - und nicht ich!«
»Ja, ja, aber dann müssen Sie den Computer einsenden. Unsere Werkstatt ist im Moment voll. Manchmal dauert das zwei, drei Wochen, bis das Gerät wieder bei Ihnen ist. Können Sie das Gerät so lange entbehren?«
Das war eine Erpressung. Und sie wirkte. Zwei Tage später ging ich wieder als Monteur ans Werk. Diesmal dauerte es zwanzig Minuten. Danach war der Fehler behoben. Dauerhaft.
Ist das nicht zum Heulen? Da bekomme ich eine mangelhafte Ware geliefert - und muss als Geschädigter auch noch für die Mängel büßen! Erst spiele ich den Informatiker, schlage mich mit Downloads herum und vergeude viel Zeit damit, ein Suchprogramm durchlaufen zu lassen. Dann trete ich als Hardware-Monteur an, schraube mehrfach meinen Computer auf und repariere ihn. Und schließlich springe ich als Versandmitarbeiter ein, verpacke und verschicke alte Laufwerke.
Keinen Cent, keinen Dank, gar nichts bekomme ich dafür - nur die Computerfirma spart Geld.
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© 2012 Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Martin Wehrle
Martin Wehrle war Führungskraft in einem Konzern, ehe seine Erfolgsstory als Karrierecoach begann. Heute berät er Mitarbeiter aller DAX-Konzerne und gehört zu den meistzitierten Coaching- und Karriere-Experten in Deutschland. Seine Bücher sind Bestseller und wurden in sieben Sprachen übersetzt. An seiner Hamburger Karriereberater-Akademie leitet Martin Wehrle den ersten Ausbildungsgang zum Karrierecoach im deutschsprachigen Raum.
Bibliographische Angaben
- Autor: Martin Wehrle
- 2012, 255 Seiten, mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit Abbildungen, Maße: 13,5 x 20,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453602196
- ISBN-13: 9783453602199
Rezension zu „König Arsch “
"Ein phänomenal gutes Buch." Markus Lanz (ZDF)
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