Dark Queen
Schwarze Seele, schneeweißes Herz
In dem von Aufständen erschütterten Königreich Ludania bestimmt die Zugehörigkeit zu einer Klasse, welche Sprache du sprichst - oder verstehst. Wenn du vergisst, wo dein Platz ist, kennen die Gesetze der Königin keine Gnade. Allein auf den Blickkontakt mit...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Dark Queen “
Klappentext zu „Dark Queen “
In dem von Aufständen erschütterten Königreich Ludania bestimmt die Zugehörigkeit zu einer Klasse, welche Sprache du sprichst - oder verstehst. Wenn du vergisst, wo dein Platz ist, kennen die Gesetze der Königin keine Gnade. Allein auf den Blickkontakt mit gesellschaftlich Höhergestellten steht der Tod. Die siebzehnjährige Charlaina - kurz Charlie - versteht alle Sprachen, jeden Dialekt. Eine gefährliche Fähigkeit, die sie schon ihr ganzes Leben lang verstecken muss. Nur in den illegalen Clubs im Untergrund der Stadt kann sie das für kurze Zeit vergessen. Dort trifft sie den geheimnisvollen Max, der eine Sprache spricht, die Charlie noch nie gehört hat, und der beinahe ihr Geheimnis entdeckt. Und als die Rebellen die Stadt schließlich überrennen, ist er es, der erkennt, dass Charlie der Schlüssel für ihren Sieg sein könnte. Doch für wen wird Max sich entscheiden, für das Mädchen, das ihn fasziniert, oder für seine Königin?
Lese-Probe zu „Dark Queen “
Dark Queen - Schwarze Seele, schneeweißes Herz von Kimberly DertingIII
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Brooklynn musste geahnt haben, dass ich es mir noch ein- oder zweimal überlegen würde.
Ich sah mich um. Hier stimmte etwas nicht. Die meisten Clubs lagen in der Unterstadt, irgendwo in den Industriegebieten, aber hier war es noch dunkler - und schmutziger - als an allen anderen Orten, an denen wir je gewesen waren.
Von der Straße hinter uns hörte ich das schwache Knistern der Lautsprecherdurchsagen. Die Meldung klang so verzerrt und blechern, dass ich sie, könnte ich die Worte nicht längst auswendig, nicht verstanden hätte: »DER AUSWEIS IST JEDERZEIT BEI SICH ZU TRAGEN.« Es fühlte sich an, als hätte die Königin diesen Teil der Stadt aufgegeben.
»Im Ernst, hör auf, dir Sorgen zu machen, Charlie. Es ist der richtige Ort.«
Die Fassaden der Backsteingebäude waren schichtweise mit Graffiti bedeckt, und die wenigen Fenster, die nicht kaputt oder verbrettert waren, starrten vor Schmutz. Zwischen dem stinkenden Müll am Boden lagen Zigarettenstummel. Der Geruch nach faulendem Essen war schon schlimm genug, aber der Gestank der menschlichen Exkremente, der sich daruntermischte, machte es einem schwer, nicht zu würgen.
Und dennoch fiel auf, dass hier keiner der neuen Obdachlosen der Dienstbotenklasse zu sehen war, die sonst überall die Stadt überschwemmten, auf der Straße und den Gehwegen schliefen, in Eingängen und Gassen Zuflucht suchten und auf Essensreste und Kleingeld hofften.
Als wir weitergingen, hörte - und spürte - ich leise Musik, die aus einem der Lagerhäuser vor uns zu kommen schien.
Brooklynn blieb stehen und deutete auf einen Klecks roter Farbe am Ende der Gasse. »Ich habe es dir doch gesagt! Da ist es!«
Mir war klar, dass sie recht hatte, weil sie auf die einzige Tür zeigte, die frisch gestrichen war.
Wahrscheinlich seit Jahren. Möglicherweise Jahrzehnten.
Brooklynn eilte die Gasse entlang und sprang auf geradezu gefährlich hohen Absätzen die zwei Stufen hinauf. Die Schuhe hatten früher ihrer Mutter gehört. Ich betrachtete meine eigenen schlichten Sandalen, deren Bänder um meine bloßen Knöchel geknüpft waren.
Brook klopfte mit den Fingerknöcheln gegen den roten Stahl der massiven Tür. Das Geräusch ging im Bass, der drinnen hämmerte, unter.
Sie versuchte es noch einmal und schlug mit der Faust so heftig wie möglich gegen die Tür.
Immer noch tat sich nichts.
Ich schob sie beiseite und schlug vor: »Gehen wir doch einfach hinein.«
Ich packte den eisernen Griff und zog so kräftig wie möglich. Als die Tür sich öffnete, drang der Lärm hinaus und fuhr mir bis in die Knochen.
Er lockte mich.
Brooklynn hüpfte auf und nieder, klatschte in die Hände und sauste an mir vorbei.
Da ich nicht allein draußen bleiben wollte, eilte ich ihr nach. Der große Mann hinter der Tür hielt uns auf und hob einen Arm, der so dick war wie mein ganzer Körper. Er griff wortlos nach Brooks Ausweis - sein Schweigen sollte sicher einschüchternd wirken, und mit seinen Muskeln und dem drohenden Stirnrunzeln gelang ihm das gar nicht mal schlecht. Aber letztendlich war er genauso wie jeder andere Türsteher in den Clubs, in denen wir gewesen waren.
Erst als sein Blick auf Brook fiel - nicht auf ihren Ausweis -, schnürte sich mir die Kehle zusammen.
Ich hasste diesen Teil.
Er wusste, dass wir zu jung waren, und wir wussten, dass er es wusste. Also würde er uns einen Gefallen tun, wenn er uns hineinließ. Das würde er natürlich tun, aber nicht, bevor er nicht etwas dafür bekommen hatte.
Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß, verschlang sie fast mit seinen Blicken, und sah sie abschätzend an.
Brooklynn machte es nichts aus. Sie grinste und versuchte, so reizvoll wie möglich auszusehen, was ihr, wie ich zugeben musste, gut gelang. Sie war mehr als überzeugend. Kein Wunder, dass sie die Aufmerksamkeit so vieler Soldaten erregte.
Mir drehte sich der Magen um, als er sie unter halb geschlossenen Lidern förmlich sezierte. Sein Blick blieb an den bloßen Stellen ihres Körpers haften: ihrem Hals, ihren Schultern, ihren Armen.
Als er fertig war, nickte der bullige Mann dem Mädchen zu, das fast unbemerkt neben ihm stand und beinahe in seinem Schatten verschwand. Ihr rabenschwarzes Haar war zu einem wallenden Pferdeschwanz hochgebunden, winzige Strähnchen fielen ihr in das blasse Gesicht und ließen sie sehr jung aussehen. Zu jung, um einen Club zu besuchen.
So wie Brook und ich.
Das Mädchen hüpfte schnell nach vorne, griff nach Brooks Hand und drückte ihr einen Stempel auf, dessen Tinte bei diesem Licht nicht zu sehen war.
Dann war ich an der Reihe.
Ich schob ihm meinen Ausweis in die riesige Pranke und hoffte, seiner Musterung zu entgehen, doch natürlich starrte er mich an.
Es war unmöglich, sich nicht unwohl zu fühlen. Ich tat mein Bestes, um nicht daran zu denken, dennoch bekam ich überall, wo er hinsah, eine Gänsehaut.
Als ich spürte, dass er bei meinem Gesicht angekommen war, hob ich den Kopf und erwiderte seinen Blick. Meine Schultern strafften sich, und ich weigerte mich, wegzusehen.
Er grinste befriedigt über meinen Trotz, und im Licht der roten Lampen über uns zeigte er gelbe Zähne zwischen den schmalen Lippen. Dieser Mann gehörte keiner bestimmten Klasse an - nicht mehr. Da war ich mir sicher, alles an ihm deutete darauf hin. Ich fragte mich, welche Klasse ihn verstoßen hatte, oder ob er als Sohn geächteter Eltern geboren wurde und ohne eigenes Verschulden zu einem Leben verdammt war, in dem er in der Öffentlichkeit nicht sprechen durfte, nicht einmal Englaise.
Ich versuchte, nicht als Erste zu zwinkern, aber dieses Spiel beherrschte er besser, also wandte ich schließlich den Blick ab und sah zu Boden.
Sein Lachen übertönte die Musik, und aus dem Augenwinkel sah ich, wie er wieder nickte. Das schlanke Mädchen mit dem Pferdeschwanz sprang vor, nahm meine Hand und stempelte sie, dann verschwand sie erneut hinter dem Türsteher.
Wie immer kribbelte die Haut unter dem Stempel ein wenig, sie fügten der Tinte eine Kleinigkeit hinzu, um die Besucher lockerer zu machen. Besonders weibliche Besucher. Vor allem die Minderjährigen.
Wir betrachteten es als eine Art Eintrittsgeld.
Er ignorierte die Tatsache, dass keine von uns beiden legal hier war, als er unsere Ausweise scannte und dann zurückgab. Ich hatte keine Ahnung, was mit den gescannten Informationen passierte, aber ich wusste, dass uns hier nicht gerade die Armee nachspüren würde, da die Clubs alles andere als erlaubt waren.
Sie waren auch nicht wirklich illegal, aber nur, weil sie jeweils lediglich ein paar Tage offen waren. Höchstens eine Woche.
Brooklynn nahm mich am Arm und zog mich vom Eingang weg auf die hypnotische Musik zu, die von drinnen erklang.
Ich spürte, wie der stete Rhythmus des Basses durch meine Adern pulsierte und mein Herz im Takt mit den blinkenden Lichtern an den Deckenbalken über mir schlug. Und zumindest für einen kleinen Moment vergaß ich, mich über die Fleischbeschau aufzuregen, der ich mich eben hatte unterziehen müssen.
Es war viel zu lange her, seit ich das letzte Mal ausgegangen war, zu lange, dass ich richtige Musik gehört hatte, die, die aus einem elektrischen Soundsystem kam. Sie ging mir unter die Haut und nistete sich dort sicher und behaglich ein.
»Ist doch irre hier, oder? Bist du nicht ganz hin und weg? Gefällt es dir hier?« Brooklynns hektische Sprache hätte jeden anderen atemlos gemacht, aber ich kannte sie seit unserer Kindheit, genau wie ihre Stakkatosätze.
Ich folgte ihrem Blick durch den Club. Sie hatte recht. Es war unglaublich.
Es stimmte einfach alles. Die Atmosphäre war düster und sinnlich, verstärkt durch die pulsierenden roten, blauen und violetten Lichter, die im Takt der Musik aufblitzten. Vor einer massiven Wand hatte man eine Bar aus Stahl und Glas aufgebaut.
Beeindruckend, wenn man bedachte, dass der Laden am Tag zuvor wahrscheinlich noch nicht existiert hatte und möglicherweise morgen schon wieder verschwunden war.
Auf der großen Tanzfläche drängten sich die Leute aneinander, gleitend, reibend, sich wiegend im verführerischen Rhythmus. Schon als ich zusah, wie sie sich miteinander und umeinander herum bewegten, bekam ich Lust, mitzumachen. Der Rhythmus wogte weiter um mich und hielt mich fest in seinem Griff.
»Wie sagtest du, heißt dieser Club?«
»Prey«, antwortete Brook, und ich grinste.
Prey. Beute. Natürlich war es so etwas. Es war immer etwas Düsteres, Gefährliches. Und Fleischliches.
Brooklynn zog mich mit zur Bar und fischte zwei Scheine aus ihrer Geldbörse. »Können wir zwei Valkas bekommen?«, fragte sie mit kaum hörbarem Zittern in der Stimme.
Die Barkeeperin war eine sehnige Frau mit schlanken, bloßen Armen. Sie war muskulös und sah aus, als ob sie auch gut als Türsteherin arbeiten könnte. Ihre kurzen, abstehenden Haare waren dunkelblau gefärbt, und sie streckte die Zunge heraus, um das Piercing in ihrer Unterlippe zu berühren. Auf eine seltsam androgyne Art war sie schön, und daran, wie sie sich bewegte, als sie nach einer Flasche griff, sah man, dass sie sich in ihrer Haut wohlfühlte. Angesichts des nervösen jungen Mädchens vor ihr, kniff sie die Augen zusammen.
Brooklynn straffte die Schultern und erwiderte ihren direkten Blick so unverwandt wie möglich.
Schließlich stellte die Barkeeperin zwei Gläser auf den Tre sen und füllte sie mit einer schimmernden blauen Flüssigkeit.
»Zwölf«, erklärte sie mit rauer Stimme, die gleichzeitig hart und sinnlich klang. Als sie uns die Drinks reichte, wurde mir bewusst, wie viel zu jung wir tatsächlich waren.
Brooklynn legte einen Schein auf den Tresen, und die Frau steckte ihn ein. Über Wechselgeld oder Trinkgeld wurde kein Wort verloren.
Ich nahm eines der Gläser und nippte daran. Der süße Geschmack konnte das scharfe Brennen des Alkohols, der mir zischend von der Kehle in den Magen rann, kaum verdecken. Brooklynn hatte es eiliger und trank gierig, mit drei langen Zügen hatte sie ihr Glas halb geleert.
Ich rollte das kühle Glas über die brennende Stelle auf meinem Handrücken, wo das Mädchen an der Tür ihn gestempelt hatte. Als ich herabblickte, konnte ich einen grellen roten Striemen in Form eines Halbmondes erkennen.
Ich brauchte kein Schwarzlicht, um ihn zu sehen. Niemand brauchte das.
Irgendwie fühlte ich mich fehl am Platz. Ich wusste, dass das, was mich störte, wahrscheinlich nur die Droge aus dem Stempel war, die sich langsam ihren Weg in mein Nervensystem bahnte. Paranoia war eine häufige Begleiterscheinung.
Brooklynn deutete durch den Raum. »Sieh mal, da drüben haben sie die guten Sachen«, bemerkte sie mit einer Stimme, die zähflüssig klang wie Honig.
Über der Tanzfläche, uns gegenüber am Geländer, stand ein Mann und sah mit herausforderndem Grinsen auf das Gewirr der Körper unter ihm.
Er hatte Brooks Interesse geweckt.
Das war nichts Neues. Männer aller Art faszinierten Brooklynn. Seit wir kleine Mädchen waren, war sie verrückt nach Jungs, sie hatte nur so lange warten müssen, bis ihr Körper aufgeholt hatte. Und jetzt, da es so weit war, konnte nichts sie mehr aufhalten.
»Hier«, verlangte sie und kippte den Rest ihres Drinks hinunter. »Halt das mal, ich bin gleich wieder da.« Und über die Schulter fügte sie hinzu: »Wir brauchen eine Vorspeise.«
Typisch Brook, dachte ich, als ich mich nach einem Platz umsah, um ihr leeres Glas abzustellen. Ich versuchte, nicht zu verloren auszusehen, während ich mich an das Geländer lehnte, um den Tänzern zuzusehen, und mich darauf vorbereitete, hier zu warten und mich wohlzufühlen.
Ich stützte mich mit den Ellbogen auf die Balustrade und versuchte immer noch, herauszufinden, was mit mir los war. Eigentlich hätte ich mich amüsieren müssen. Wir hatten es am Türsteher vorbei geschafft und, was noch wichtiger war, an der Barkeeperin.
Ich war mir sicher, dass meine Unruhe mehr mit dem Vorfall im Restaurant zu tun hatte, als mit dem drogengetränkten Stempel auf meiner Hand.
Ich lauschte den Gesprächen um mich herum, die in allen Sprachen geführt wurden, und war nicht gezwungen, wegzusehen oder auch nur so zu tun, als könnte ich nicht verstehen, was gesagt wurde. Keiner der Leute würde je bemerken, dass ich jedes Wort verstand. Denn hier gab es keine Regeln.
Ich war in die Kaufmannsklasse geboren, in eine Familie von Händlern. Außer Englaise, der Universalsprache aller Menschen, sollte ich nur Parshon kennen. Es war die einzige andere Sprache, die ich eigentlich beherrschen durfte.
Doch ich war nicht wie die anderen.
Ich war wie kein anderer.
Für mich machte dies zum Teil den Reiz der illegalen Clubs aus. Es waren Orte, an denen Klassen keine Rolle spielten, wo die sozialen Grenzen verwischten. An solchen Plätzen saßen Soldaten neben den steckbrieflich Gesuchten, den Degenerierten, den Ausgestoßenen, und zumindest für eine kleine Weile gaben sie vor, Freunde zu sein. Gleich zu sein. Und die Tochter eines Kaufmanns konnte ihr Schicksal vergessen.
Davon hatte ich immer geträumt.
Aber ich war pragmatisch. Ich verbrachte meine Tage nicht damit, von einem anderen Leben zu träumen, oder von Wegen, den Beschränkungen meiner Klasse zu entfliehen - vor allem, weil es keine gab. Ich war, was ich war, und nichts würde etwas daran ändern. Ein Ort wie das Prey war nur eine Illusion, eine Schonfrist, die gerade eine Nacht währte.
Ich stieß mich vom Geländer ab, ließ mich in das Meer der Tanzenden treiben und achtete auf die Farben. Ich achtete immer auf die Farben. Hier musste Kleidung nicht nützlich sein - keine stumpfen Braun-, Schwarz- und Grautöne. An einem Ort, an dem die Klassenunterschiede nicht existierten, materialisierten sich die Farben. Leuchtendes Smaragdgrün, Scharlachrot und Pflaumenblau erstrahlte auf Kleidern, gefärbten Haaren, Lippen und Fingernägeln. Irgendwie wirkten innerhalb dieser Mauern sogar Indigoblau und Schwarz tiefer und intensiver.
Brooklynn passte perfekt dazu mit ihrem schimmernden Goldkleid, das den Blick auf ihre gebräunten Beine freigab und im Stroboskoplicht glitzerte. Ich hingegen trug mein normales, schlichtes Leinenkleid, das mir bis kurz übers Knie reichte.
Ich sah mir die Leute um mich herum an. Zum größten Teil waren sie wie wir, die Minderjährigen - jung und energiegeladen -, die sich im richtigen Leben nicht genügend austoben konnten. Sie - wir, berichtigte ich mich, auch wenn mein Kleid langweilig und schlicht war - bildeten einen bizarren menschlichen Regenbogen.
Ich arbeitete mich zu den Bühnen hoch über der Tanzfläche vor, auf denen leicht bekleidete Mädchen für die Menge unter ihnen tanzten. Ihre Körper und die Art, wie sie sich bewegten, waren geradezu hypnotisierend. Sie stellten das Unterhaltungsprogramm für den Abend.
Ein Mädchen erregte besonders meine Aufmerksamkeit. Ihre Hüften wiegten sich perfekt im Rhythmus des Liedes, der durch den Raum pulsierte. Ein blaues auf sie gerichtetes Spotlight ließ ihre Haut in einem unnatürlichen Saphirton erstrahlen. Die Perlen, die sie trug, waren in Strängen an einer schmalen Kette um ihren Hals befestigt und führten zu einem Gürtel, den sie lose um die Hüften geschlungen hatte. Wenn sie sich im Takt der Musik wiegte, schlugen die Perlen aneinander, bewegten sich, verschoben sich, fielen auseinander. Wie bei den anderen Mädchen auf den Plattformen verhüllten die Perlen fast gar nichts, aber ich war mir sicher, dass das beabsichtigt war.
Ihre langen Beine waren gertenschlank, und sie tanzte graziös, als hätte sie gelernt, sich so zu bewegen. Wahrscheinlich hatte sie das auch. Die Ausgestoßenen lebten anders als alle anderen und gingen Jobs nach, die den Menschen innerhalb des Klassensystems anstößig erschienen.
Tanzen gehörte mit Sicherheit in diese Kategorie. Besonders ein Tanz wie der dieses Mädchens.
Ich sah ihr eine Weile zu und bewunderte die Freiheit, die sie dort oben auf der Bühne hatte. Eine Kaufmannstochter würde nie die Erlaubnis bekommen, ihren Lebensunterhalt auf diese Weise zu verdienen.
»Schön, dass du doch noch gekommen bist«, erklang eine tiefe Stimme hinter mir und unterbrach meine Gedanken.
Ich wirbelte herum und riss die Augen auf, verlegen, dabei erwischt zu werden, wie ich die Tänzerinnen anstarrte.
»Kennen wir uns?«, fragte ich, sah jedoch sofort, dass es tatsächlich so war. Ich hatte ihn schon einmal gesehen. »Aus dem Restaurant«, korrigierte ich mich. »Du warst heute Abend da.«
Er zog die schwarzen Brauen zusammen, als er mich ansah. Doch sein Gesicht blieb ausdruckslos. Wieder hatte ich das Gefühl, inspiziert zu werden, nur auf eine völlig andere Art und Weise wie vorher an der Tür. In meinem Bauch begann sich etwas Dunkles, Unbekanntes zusammenzuballen, etwas Unsicheres.
Er war größer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Viel zu groß für den überfüllten Raum, in dem wir uns befanden, sodass ich mir kindlich und klein vorkam. Er nahm zu viel Platz ein, atmete zu viel Luft.
Die Haut in meinem Nacken zog sich zusammen, und mein Kopf wurde augenblicklich klar, als die Droge, die in meinem Körper pulsierte, sich mit einem Mal auflöste. Alle meine Sinne schienen geschärft, während ich ihm in die Augen sah.
»Ich war mir nicht sicher, ob du heute Abend kommen würdest.« Er sprach leise, fast gedämpft, trotz der lauten Musik, die um uns herum hämmerte.
»Ich auch nicht. Ich war mir nicht sicher, ob ich heute Abend noch irgendwohin gehen würde«, gab ich zurück.
Er hob unsicher eine Augenbraue. »Ist das ein schlechter Zeitpunkt? Wenn du lieber allein sein möchtest, dann gehe ich.«
Ich spürte die unruhige Menge um uns herum. Wenn ich wirklich hätte allein sein wollen, wäre das Prey wohl der letzte Ort gewesen, an den es mich gezogen hätte. Trotzdem hatte ich plötzlich das Gefühl, von seinen kühlen, schiefergrauen Augen gefangen zu sein. Sie beunruhigten mich auf eine Weise, die ich nicht verstand. Mir stockte der Atem, und mein Instinkt sagte mir, dass ich ihn nicht ansehen sollte. Doch ich war wie gebannt.
»Schon gut«, brachte ich schließlich hervor. Der Knoten aus zögernden Gefühlen zog sich immer fester, und der Drang, ihm aus dem Weg zu gehen, verstärkte sich.
Er runzelte die Stirn, schmunzelte aber. »Gut, das war nämlich ein leeres Versprechen. Ich habe die Absicht, zu bleiben. Ich bin Max.«
Sein Lächeln wurde breiter, und ich erkannte, dass er mich neckte. In diesem Augenblick wünschte ich mir, ein wenig mehr wie Brook zu sein. Ich wünschte mir, ich wäre in Gegenwart von Jungen selbstbewusster. Er streckte mir die Hand hin.
Da ich sie nicht nahm, zog er sie zurück und rieb sich damit über den Kiefer. Eine unbedeutende Geste, doch mir fiel unwillkürlich auf, dass er sich fast zu geschmeidig bewegte.
Wir schwiegen lange, während die Musik wechselte. Ich wusste, dass ich ihm meinen Namen sagen sollte, stattdessen gab ich vor, mich wieder für die Tänzerinnen auf der Bühne über uns zu interessieren. In Wahrheit achtete ich nur auf ihn und warf ihm heimliche Blicke zu, wann immer sich die Gelegenheit bot. Seine Kleidung war feiner als alles, was ich bisher gesehen hatte - selbst als die Seide, die Aron mir geschenkt hatte -, und ohne es zu wollen, hob ich unwillkürlich die Hand, um über den weichen Stoff seiner Jacke zu streicheln. Nur ein Mal.
Ich hielt mich gerade noch rechtzeitig zurück, ließ die Hand an meine Seite fallen und hob das Kinn ein wenig höher, dankbar, dass ich ihn nicht tatsächlich berührt und mich völlig zum Narren gemacht hatte. Erst da sah ich, wie er mich anlächelte, für mich lächelte, und mir blieb fast das Herz stehen.
Ich wandte mich um, um ihn direkt anzusehen. Die harten Züge seines Gesichts wurden weicher, und plötzlich sah er gefährlich jungenhaft aus. Er war hübsch. Viel zu hübsch. Und wie bei dem Stoff seiner Jacke juckte es mich in den Fingern, ihn zu streicheln ... ihm durch das dunkle, kurze Haar zu fahren, seinen glatt rasierten Kiefer auf meiner Haut zu spüren und mit dem Daumen über seine volle Unterlippe zu streichen.
Ich zuckte zusammen. Was waren das für Gedanken? Vielleicht war ich schon zu sehr wie Brooklynn!
»Ich ... ich habe es mir anders überlegt. Ich glaube, ich sollte gehen«, stotterte ich und trat zurück, erst einen ungelenken Schritt, dann noch einen.
Max runzelte die Stirn und wollte mich zurückhalten. »Warte. Geh nicht.« Ich spürte die Wärme - und Kraft - seiner Fingerspitzen durch den Stoff meines Kleides hindurch und wünschte mir plötzlich, dass ich mich von Brooklynn hätte überreden lassen, eines von ihren anzuziehen. Sie waren nicht neuer, aber aus schönerem Material. Und auf jeden Fall körperbetonter. Wie sich seine Berührung wohl auf meiner bloßen Haut anfühlen würde?
Ich hob den Blick, bewunderte den dichten Wimpernkranz seiner Augen und hatte einmal mehr das beunruhigende Gefühl, dass ich das nicht tun sollte, dass ich lieber wegsehen sollte. Doch ich sagte mir, dass es hier - in diesem Club - keine Klassenunterschiede gab. Selbst wenn es nur eine Illusion war.
Der Gedanke gab mir Mut, sodass ich ein halbes Lächeln zustande brachte und den Kopf schief legte. »Warum sollte dir das etwas ausmachen?«
Ich wurde mit einem Lächeln belohnt, und er ließ meinen Arm los. Es war ein fairer Tausch.
»Ich hatte gehofft, du würdest mir zumindest deinen Namen nennen. Das ist das Mindeste, was du tun kannst, da ich doch nur deinetwegen hergekommen bin.« Er zog die Augenbrauen hoch, und mein Puls beschleunigte sich.
Ich schüttelte den Kopf, ich war mir sicher, dass er sich über mich lustig machte. Zweifellos war es Brooklynn, die er hier hatte treffen wollte. Aber ich entschloss mich, mitzuspielen. »Worum geht es? Hast du etwas übrig für die eher unauffällige beste Freundin? Oder ist es die Tatsache, dass ich fast an den Galgen geschickt worden wäre, die dich anmacht?«
Max wirkte betroffen, und ich erkannte, dass er ebenso wenig wie Brook davon begeistert war, dass ich mich bei dem Ratsmädchen so in Schwierigkeiten gebracht hatte. Aber seine nächsten Worte hatten nichts mit dem zu tun, was er im Restaurant mit angehört hatte.
»Hältst du dich nicht für schön?«, fragte er und neigte sich näher zu mir.
Mein Gesicht wurde warm, dann begann es zu glühen.
In diesem Moment hörte ich Brooklynns Stimme, die sich über die anderen und selbst über die Musik erhob. Ihr Lachen war klangvoll und kehlig und reichte aus, um den Bann zu brechen, unter dem ich stand. Ich wandte mich um, um nach ihr zu suchen, und entdeckte gleich ihre glänzenden schwarzen Locken in der Menge.
»Tut mir leid, ich muss gehen«, erklärte ich, schon halb abgewandt, über meine Schulter hinweg. Ich arbeitete mich mit Händen und Armen durch die nachgiebige, schwankende Menge, um zu Brook zu gelangen.
Fort von den ungewohnten Gefühlen, die mich bedrängten.
Übersetzung: Tanja Ohlsen
© 2012 INK verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Brooklynn musste geahnt haben, dass ich es mir noch ein- oder zweimal überlegen würde.
Ich sah mich um. Hier stimmte etwas nicht. Die meisten Clubs lagen in der Unterstadt, irgendwo in den Industriegebieten, aber hier war es noch dunkler - und schmutziger - als an allen anderen Orten, an denen wir je gewesen waren.
Von der Straße hinter uns hörte ich das schwache Knistern der Lautsprecherdurchsagen. Die Meldung klang so verzerrt und blechern, dass ich sie, könnte ich die Worte nicht längst auswendig, nicht verstanden hätte: »DER AUSWEIS IST JEDERZEIT BEI SICH ZU TRAGEN.« Es fühlte sich an, als hätte die Königin diesen Teil der Stadt aufgegeben.
»Im Ernst, hör auf, dir Sorgen zu machen, Charlie. Es ist der richtige Ort.«
Die Fassaden der Backsteingebäude waren schichtweise mit Graffiti bedeckt, und die wenigen Fenster, die nicht kaputt oder verbrettert waren, starrten vor Schmutz. Zwischen dem stinkenden Müll am Boden lagen Zigarettenstummel. Der Geruch nach faulendem Essen war schon schlimm genug, aber der Gestank der menschlichen Exkremente, der sich daruntermischte, machte es einem schwer, nicht zu würgen.
Und dennoch fiel auf, dass hier keiner der neuen Obdachlosen der Dienstbotenklasse zu sehen war, die sonst überall die Stadt überschwemmten, auf der Straße und den Gehwegen schliefen, in Eingängen und Gassen Zuflucht suchten und auf Essensreste und Kleingeld hofften.
Als wir weitergingen, hörte - und spürte - ich leise Musik, die aus einem der Lagerhäuser vor uns zu kommen schien.
Brooklynn blieb stehen und deutete auf einen Klecks roter Farbe am Ende der Gasse. »Ich habe es dir doch gesagt! Da ist es!«
Mir war klar, dass sie recht hatte, weil sie auf die einzige Tür zeigte, die frisch gestrichen war.
Wahrscheinlich seit Jahren. Möglicherweise Jahrzehnten.
Brooklynn eilte die Gasse entlang und sprang auf geradezu gefährlich hohen Absätzen die zwei Stufen hinauf. Die Schuhe hatten früher ihrer Mutter gehört. Ich betrachtete meine eigenen schlichten Sandalen, deren Bänder um meine bloßen Knöchel geknüpft waren.
Brook klopfte mit den Fingerknöcheln gegen den roten Stahl der massiven Tür. Das Geräusch ging im Bass, der drinnen hämmerte, unter.
Sie versuchte es noch einmal und schlug mit der Faust so heftig wie möglich gegen die Tür.
Immer noch tat sich nichts.
Ich schob sie beiseite und schlug vor: »Gehen wir doch einfach hinein.«
Ich packte den eisernen Griff und zog so kräftig wie möglich. Als die Tür sich öffnete, drang der Lärm hinaus und fuhr mir bis in die Knochen.
Er lockte mich.
Brooklynn hüpfte auf und nieder, klatschte in die Hände und sauste an mir vorbei.
Da ich nicht allein draußen bleiben wollte, eilte ich ihr nach. Der große Mann hinter der Tür hielt uns auf und hob einen Arm, der so dick war wie mein ganzer Körper. Er griff wortlos nach Brooks Ausweis - sein Schweigen sollte sicher einschüchternd wirken, und mit seinen Muskeln und dem drohenden Stirnrunzeln gelang ihm das gar nicht mal schlecht. Aber letztendlich war er genauso wie jeder andere Türsteher in den Clubs, in denen wir gewesen waren.
Erst als sein Blick auf Brook fiel - nicht auf ihren Ausweis -, schnürte sich mir die Kehle zusammen.
Ich hasste diesen Teil.
Er wusste, dass wir zu jung waren, und wir wussten, dass er es wusste. Also würde er uns einen Gefallen tun, wenn er uns hineinließ. Das würde er natürlich tun, aber nicht, bevor er nicht etwas dafür bekommen hatte.
Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß, verschlang sie fast mit seinen Blicken, und sah sie abschätzend an.
Brooklynn machte es nichts aus. Sie grinste und versuchte, so reizvoll wie möglich auszusehen, was ihr, wie ich zugeben musste, gut gelang. Sie war mehr als überzeugend. Kein Wunder, dass sie die Aufmerksamkeit so vieler Soldaten erregte.
Mir drehte sich der Magen um, als er sie unter halb geschlossenen Lidern förmlich sezierte. Sein Blick blieb an den bloßen Stellen ihres Körpers haften: ihrem Hals, ihren Schultern, ihren Armen.
Als er fertig war, nickte der bullige Mann dem Mädchen zu, das fast unbemerkt neben ihm stand und beinahe in seinem Schatten verschwand. Ihr rabenschwarzes Haar war zu einem wallenden Pferdeschwanz hochgebunden, winzige Strähnchen fielen ihr in das blasse Gesicht und ließen sie sehr jung aussehen. Zu jung, um einen Club zu besuchen.
So wie Brook und ich.
Das Mädchen hüpfte schnell nach vorne, griff nach Brooks Hand und drückte ihr einen Stempel auf, dessen Tinte bei diesem Licht nicht zu sehen war.
Dann war ich an der Reihe.
Ich schob ihm meinen Ausweis in die riesige Pranke und hoffte, seiner Musterung zu entgehen, doch natürlich starrte er mich an.
Es war unmöglich, sich nicht unwohl zu fühlen. Ich tat mein Bestes, um nicht daran zu denken, dennoch bekam ich überall, wo er hinsah, eine Gänsehaut.
Als ich spürte, dass er bei meinem Gesicht angekommen war, hob ich den Kopf und erwiderte seinen Blick. Meine Schultern strafften sich, und ich weigerte mich, wegzusehen.
Er grinste befriedigt über meinen Trotz, und im Licht der roten Lampen über uns zeigte er gelbe Zähne zwischen den schmalen Lippen. Dieser Mann gehörte keiner bestimmten Klasse an - nicht mehr. Da war ich mir sicher, alles an ihm deutete darauf hin. Ich fragte mich, welche Klasse ihn verstoßen hatte, oder ob er als Sohn geächteter Eltern geboren wurde und ohne eigenes Verschulden zu einem Leben verdammt war, in dem er in der Öffentlichkeit nicht sprechen durfte, nicht einmal Englaise.
Ich versuchte, nicht als Erste zu zwinkern, aber dieses Spiel beherrschte er besser, also wandte ich schließlich den Blick ab und sah zu Boden.
Sein Lachen übertönte die Musik, und aus dem Augenwinkel sah ich, wie er wieder nickte. Das schlanke Mädchen mit dem Pferdeschwanz sprang vor, nahm meine Hand und stempelte sie, dann verschwand sie erneut hinter dem Türsteher.
Wie immer kribbelte die Haut unter dem Stempel ein wenig, sie fügten der Tinte eine Kleinigkeit hinzu, um die Besucher lockerer zu machen. Besonders weibliche Besucher. Vor allem die Minderjährigen.
Wir betrachteten es als eine Art Eintrittsgeld.
Er ignorierte die Tatsache, dass keine von uns beiden legal hier war, als er unsere Ausweise scannte und dann zurückgab. Ich hatte keine Ahnung, was mit den gescannten Informationen passierte, aber ich wusste, dass uns hier nicht gerade die Armee nachspüren würde, da die Clubs alles andere als erlaubt waren.
Sie waren auch nicht wirklich illegal, aber nur, weil sie jeweils lediglich ein paar Tage offen waren. Höchstens eine Woche.
Brooklynn nahm mich am Arm und zog mich vom Eingang weg auf die hypnotische Musik zu, die von drinnen erklang.
Ich spürte, wie der stete Rhythmus des Basses durch meine Adern pulsierte und mein Herz im Takt mit den blinkenden Lichtern an den Deckenbalken über mir schlug. Und zumindest für einen kleinen Moment vergaß ich, mich über die Fleischbeschau aufzuregen, der ich mich eben hatte unterziehen müssen.
Es war viel zu lange her, seit ich das letzte Mal ausgegangen war, zu lange, dass ich richtige Musik gehört hatte, die, die aus einem elektrischen Soundsystem kam. Sie ging mir unter die Haut und nistete sich dort sicher und behaglich ein.
»Ist doch irre hier, oder? Bist du nicht ganz hin und weg? Gefällt es dir hier?« Brooklynns hektische Sprache hätte jeden anderen atemlos gemacht, aber ich kannte sie seit unserer Kindheit, genau wie ihre Stakkatosätze.
Ich folgte ihrem Blick durch den Club. Sie hatte recht. Es war unglaublich.
Es stimmte einfach alles. Die Atmosphäre war düster und sinnlich, verstärkt durch die pulsierenden roten, blauen und violetten Lichter, die im Takt der Musik aufblitzten. Vor einer massiven Wand hatte man eine Bar aus Stahl und Glas aufgebaut.
Beeindruckend, wenn man bedachte, dass der Laden am Tag zuvor wahrscheinlich noch nicht existiert hatte und möglicherweise morgen schon wieder verschwunden war.
Auf der großen Tanzfläche drängten sich die Leute aneinander, gleitend, reibend, sich wiegend im verführerischen Rhythmus. Schon als ich zusah, wie sie sich miteinander und umeinander herum bewegten, bekam ich Lust, mitzumachen. Der Rhythmus wogte weiter um mich und hielt mich fest in seinem Griff.
»Wie sagtest du, heißt dieser Club?«
»Prey«, antwortete Brook, und ich grinste.
Prey. Beute. Natürlich war es so etwas. Es war immer etwas Düsteres, Gefährliches. Und Fleischliches.
Brooklynn zog mich mit zur Bar und fischte zwei Scheine aus ihrer Geldbörse. »Können wir zwei Valkas bekommen?«, fragte sie mit kaum hörbarem Zittern in der Stimme.
Die Barkeeperin war eine sehnige Frau mit schlanken, bloßen Armen. Sie war muskulös und sah aus, als ob sie auch gut als Türsteherin arbeiten könnte. Ihre kurzen, abstehenden Haare waren dunkelblau gefärbt, und sie streckte die Zunge heraus, um das Piercing in ihrer Unterlippe zu berühren. Auf eine seltsam androgyne Art war sie schön, und daran, wie sie sich bewegte, als sie nach einer Flasche griff, sah man, dass sie sich in ihrer Haut wohlfühlte. Angesichts des nervösen jungen Mädchens vor ihr, kniff sie die Augen zusammen.
Brooklynn straffte die Schultern und erwiderte ihren direkten Blick so unverwandt wie möglich.
Schließlich stellte die Barkeeperin zwei Gläser auf den Tre sen und füllte sie mit einer schimmernden blauen Flüssigkeit.
»Zwölf«, erklärte sie mit rauer Stimme, die gleichzeitig hart und sinnlich klang. Als sie uns die Drinks reichte, wurde mir bewusst, wie viel zu jung wir tatsächlich waren.
Brooklynn legte einen Schein auf den Tresen, und die Frau steckte ihn ein. Über Wechselgeld oder Trinkgeld wurde kein Wort verloren.
Ich nahm eines der Gläser und nippte daran. Der süße Geschmack konnte das scharfe Brennen des Alkohols, der mir zischend von der Kehle in den Magen rann, kaum verdecken. Brooklynn hatte es eiliger und trank gierig, mit drei langen Zügen hatte sie ihr Glas halb geleert.
Ich rollte das kühle Glas über die brennende Stelle auf meinem Handrücken, wo das Mädchen an der Tür ihn gestempelt hatte. Als ich herabblickte, konnte ich einen grellen roten Striemen in Form eines Halbmondes erkennen.
Ich brauchte kein Schwarzlicht, um ihn zu sehen. Niemand brauchte das.
Irgendwie fühlte ich mich fehl am Platz. Ich wusste, dass das, was mich störte, wahrscheinlich nur die Droge aus dem Stempel war, die sich langsam ihren Weg in mein Nervensystem bahnte. Paranoia war eine häufige Begleiterscheinung.
Brooklynn deutete durch den Raum. »Sieh mal, da drüben haben sie die guten Sachen«, bemerkte sie mit einer Stimme, die zähflüssig klang wie Honig.
Über der Tanzfläche, uns gegenüber am Geländer, stand ein Mann und sah mit herausforderndem Grinsen auf das Gewirr der Körper unter ihm.
Er hatte Brooks Interesse geweckt.
Das war nichts Neues. Männer aller Art faszinierten Brooklynn. Seit wir kleine Mädchen waren, war sie verrückt nach Jungs, sie hatte nur so lange warten müssen, bis ihr Körper aufgeholt hatte. Und jetzt, da es so weit war, konnte nichts sie mehr aufhalten.
»Hier«, verlangte sie und kippte den Rest ihres Drinks hinunter. »Halt das mal, ich bin gleich wieder da.« Und über die Schulter fügte sie hinzu: »Wir brauchen eine Vorspeise.«
Typisch Brook, dachte ich, als ich mich nach einem Platz umsah, um ihr leeres Glas abzustellen. Ich versuchte, nicht zu verloren auszusehen, während ich mich an das Geländer lehnte, um den Tänzern zuzusehen, und mich darauf vorbereitete, hier zu warten und mich wohlzufühlen.
Ich stützte mich mit den Ellbogen auf die Balustrade und versuchte immer noch, herauszufinden, was mit mir los war. Eigentlich hätte ich mich amüsieren müssen. Wir hatten es am Türsteher vorbei geschafft und, was noch wichtiger war, an der Barkeeperin.
Ich war mir sicher, dass meine Unruhe mehr mit dem Vorfall im Restaurant zu tun hatte, als mit dem drogengetränkten Stempel auf meiner Hand.
Ich lauschte den Gesprächen um mich herum, die in allen Sprachen geführt wurden, und war nicht gezwungen, wegzusehen oder auch nur so zu tun, als könnte ich nicht verstehen, was gesagt wurde. Keiner der Leute würde je bemerken, dass ich jedes Wort verstand. Denn hier gab es keine Regeln.
Ich war in die Kaufmannsklasse geboren, in eine Familie von Händlern. Außer Englaise, der Universalsprache aller Menschen, sollte ich nur Parshon kennen. Es war die einzige andere Sprache, die ich eigentlich beherrschen durfte.
Doch ich war nicht wie die anderen.
Ich war wie kein anderer.
Für mich machte dies zum Teil den Reiz der illegalen Clubs aus. Es waren Orte, an denen Klassen keine Rolle spielten, wo die sozialen Grenzen verwischten. An solchen Plätzen saßen Soldaten neben den steckbrieflich Gesuchten, den Degenerierten, den Ausgestoßenen, und zumindest für eine kleine Weile gaben sie vor, Freunde zu sein. Gleich zu sein. Und die Tochter eines Kaufmanns konnte ihr Schicksal vergessen.
Davon hatte ich immer geträumt.
Aber ich war pragmatisch. Ich verbrachte meine Tage nicht damit, von einem anderen Leben zu träumen, oder von Wegen, den Beschränkungen meiner Klasse zu entfliehen - vor allem, weil es keine gab. Ich war, was ich war, und nichts würde etwas daran ändern. Ein Ort wie das Prey war nur eine Illusion, eine Schonfrist, die gerade eine Nacht währte.
Ich stieß mich vom Geländer ab, ließ mich in das Meer der Tanzenden treiben und achtete auf die Farben. Ich achtete immer auf die Farben. Hier musste Kleidung nicht nützlich sein - keine stumpfen Braun-, Schwarz- und Grautöne. An einem Ort, an dem die Klassenunterschiede nicht existierten, materialisierten sich die Farben. Leuchtendes Smaragdgrün, Scharlachrot und Pflaumenblau erstrahlte auf Kleidern, gefärbten Haaren, Lippen und Fingernägeln. Irgendwie wirkten innerhalb dieser Mauern sogar Indigoblau und Schwarz tiefer und intensiver.
Brooklynn passte perfekt dazu mit ihrem schimmernden Goldkleid, das den Blick auf ihre gebräunten Beine freigab und im Stroboskoplicht glitzerte. Ich hingegen trug mein normales, schlichtes Leinenkleid, das mir bis kurz übers Knie reichte.
Ich sah mir die Leute um mich herum an. Zum größten Teil waren sie wie wir, die Minderjährigen - jung und energiegeladen -, die sich im richtigen Leben nicht genügend austoben konnten. Sie - wir, berichtigte ich mich, auch wenn mein Kleid langweilig und schlicht war - bildeten einen bizarren menschlichen Regenbogen.
Ich arbeitete mich zu den Bühnen hoch über der Tanzfläche vor, auf denen leicht bekleidete Mädchen für die Menge unter ihnen tanzten. Ihre Körper und die Art, wie sie sich bewegten, waren geradezu hypnotisierend. Sie stellten das Unterhaltungsprogramm für den Abend.
Ein Mädchen erregte besonders meine Aufmerksamkeit. Ihre Hüften wiegten sich perfekt im Rhythmus des Liedes, der durch den Raum pulsierte. Ein blaues auf sie gerichtetes Spotlight ließ ihre Haut in einem unnatürlichen Saphirton erstrahlen. Die Perlen, die sie trug, waren in Strängen an einer schmalen Kette um ihren Hals befestigt und führten zu einem Gürtel, den sie lose um die Hüften geschlungen hatte. Wenn sie sich im Takt der Musik wiegte, schlugen die Perlen aneinander, bewegten sich, verschoben sich, fielen auseinander. Wie bei den anderen Mädchen auf den Plattformen verhüllten die Perlen fast gar nichts, aber ich war mir sicher, dass das beabsichtigt war.
Ihre langen Beine waren gertenschlank, und sie tanzte graziös, als hätte sie gelernt, sich so zu bewegen. Wahrscheinlich hatte sie das auch. Die Ausgestoßenen lebten anders als alle anderen und gingen Jobs nach, die den Menschen innerhalb des Klassensystems anstößig erschienen.
Tanzen gehörte mit Sicherheit in diese Kategorie. Besonders ein Tanz wie der dieses Mädchens.
Ich sah ihr eine Weile zu und bewunderte die Freiheit, die sie dort oben auf der Bühne hatte. Eine Kaufmannstochter würde nie die Erlaubnis bekommen, ihren Lebensunterhalt auf diese Weise zu verdienen.
»Schön, dass du doch noch gekommen bist«, erklang eine tiefe Stimme hinter mir und unterbrach meine Gedanken.
Ich wirbelte herum und riss die Augen auf, verlegen, dabei erwischt zu werden, wie ich die Tänzerinnen anstarrte.
»Kennen wir uns?«, fragte ich, sah jedoch sofort, dass es tatsächlich so war. Ich hatte ihn schon einmal gesehen. »Aus dem Restaurant«, korrigierte ich mich. »Du warst heute Abend da.«
Er zog die schwarzen Brauen zusammen, als er mich ansah. Doch sein Gesicht blieb ausdruckslos. Wieder hatte ich das Gefühl, inspiziert zu werden, nur auf eine völlig andere Art und Weise wie vorher an der Tür. In meinem Bauch begann sich etwas Dunkles, Unbekanntes zusammenzuballen, etwas Unsicheres.
Er war größer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Viel zu groß für den überfüllten Raum, in dem wir uns befanden, sodass ich mir kindlich und klein vorkam. Er nahm zu viel Platz ein, atmete zu viel Luft.
Die Haut in meinem Nacken zog sich zusammen, und mein Kopf wurde augenblicklich klar, als die Droge, die in meinem Körper pulsierte, sich mit einem Mal auflöste. Alle meine Sinne schienen geschärft, während ich ihm in die Augen sah.
»Ich war mir nicht sicher, ob du heute Abend kommen würdest.« Er sprach leise, fast gedämpft, trotz der lauten Musik, die um uns herum hämmerte.
»Ich auch nicht. Ich war mir nicht sicher, ob ich heute Abend noch irgendwohin gehen würde«, gab ich zurück.
Er hob unsicher eine Augenbraue. »Ist das ein schlechter Zeitpunkt? Wenn du lieber allein sein möchtest, dann gehe ich.«
Ich spürte die unruhige Menge um uns herum. Wenn ich wirklich hätte allein sein wollen, wäre das Prey wohl der letzte Ort gewesen, an den es mich gezogen hätte. Trotzdem hatte ich plötzlich das Gefühl, von seinen kühlen, schiefergrauen Augen gefangen zu sein. Sie beunruhigten mich auf eine Weise, die ich nicht verstand. Mir stockte der Atem, und mein Instinkt sagte mir, dass ich ihn nicht ansehen sollte. Doch ich war wie gebannt.
»Schon gut«, brachte ich schließlich hervor. Der Knoten aus zögernden Gefühlen zog sich immer fester, und der Drang, ihm aus dem Weg zu gehen, verstärkte sich.
Er runzelte die Stirn, schmunzelte aber. »Gut, das war nämlich ein leeres Versprechen. Ich habe die Absicht, zu bleiben. Ich bin Max.«
Sein Lächeln wurde breiter, und ich erkannte, dass er mich neckte. In diesem Augenblick wünschte ich mir, ein wenig mehr wie Brook zu sein. Ich wünschte mir, ich wäre in Gegenwart von Jungen selbstbewusster. Er streckte mir die Hand hin.
Da ich sie nicht nahm, zog er sie zurück und rieb sich damit über den Kiefer. Eine unbedeutende Geste, doch mir fiel unwillkürlich auf, dass er sich fast zu geschmeidig bewegte.
Wir schwiegen lange, während die Musik wechselte. Ich wusste, dass ich ihm meinen Namen sagen sollte, stattdessen gab ich vor, mich wieder für die Tänzerinnen auf der Bühne über uns zu interessieren. In Wahrheit achtete ich nur auf ihn und warf ihm heimliche Blicke zu, wann immer sich die Gelegenheit bot. Seine Kleidung war feiner als alles, was ich bisher gesehen hatte - selbst als die Seide, die Aron mir geschenkt hatte -, und ohne es zu wollen, hob ich unwillkürlich die Hand, um über den weichen Stoff seiner Jacke zu streicheln. Nur ein Mal.
Ich hielt mich gerade noch rechtzeitig zurück, ließ die Hand an meine Seite fallen und hob das Kinn ein wenig höher, dankbar, dass ich ihn nicht tatsächlich berührt und mich völlig zum Narren gemacht hatte. Erst da sah ich, wie er mich anlächelte, für mich lächelte, und mir blieb fast das Herz stehen.
Ich wandte mich um, um ihn direkt anzusehen. Die harten Züge seines Gesichts wurden weicher, und plötzlich sah er gefährlich jungenhaft aus. Er war hübsch. Viel zu hübsch. Und wie bei dem Stoff seiner Jacke juckte es mich in den Fingern, ihn zu streicheln ... ihm durch das dunkle, kurze Haar zu fahren, seinen glatt rasierten Kiefer auf meiner Haut zu spüren und mit dem Daumen über seine volle Unterlippe zu streichen.
Ich zuckte zusammen. Was waren das für Gedanken? Vielleicht war ich schon zu sehr wie Brooklynn!
»Ich ... ich habe es mir anders überlegt. Ich glaube, ich sollte gehen«, stotterte ich und trat zurück, erst einen ungelenken Schritt, dann noch einen.
Max runzelte die Stirn und wollte mich zurückhalten. »Warte. Geh nicht.« Ich spürte die Wärme - und Kraft - seiner Fingerspitzen durch den Stoff meines Kleides hindurch und wünschte mir plötzlich, dass ich mich von Brooklynn hätte überreden lassen, eines von ihren anzuziehen. Sie waren nicht neuer, aber aus schönerem Material. Und auf jeden Fall körperbetonter. Wie sich seine Berührung wohl auf meiner bloßen Haut anfühlen würde?
Ich hob den Blick, bewunderte den dichten Wimpernkranz seiner Augen und hatte einmal mehr das beunruhigende Gefühl, dass ich das nicht tun sollte, dass ich lieber wegsehen sollte. Doch ich sagte mir, dass es hier - in diesem Club - keine Klassenunterschiede gab. Selbst wenn es nur eine Illusion war.
Der Gedanke gab mir Mut, sodass ich ein halbes Lächeln zustande brachte und den Kopf schief legte. »Warum sollte dir das etwas ausmachen?«
Ich wurde mit einem Lächeln belohnt, und er ließ meinen Arm los. Es war ein fairer Tausch.
»Ich hatte gehofft, du würdest mir zumindest deinen Namen nennen. Das ist das Mindeste, was du tun kannst, da ich doch nur deinetwegen hergekommen bin.« Er zog die Augenbrauen hoch, und mein Puls beschleunigte sich.
Ich schüttelte den Kopf, ich war mir sicher, dass er sich über mich lustig machte. Zweifellos war es Brooklynn, die er hier hatte treffen wollte. Aber ich entschloss mich, mitzuspielen. »Worum geht es? Hast du etwas übrig für die eher unauffällige beste Freundin? Oder ist es die Tatsache, dass ich fast an den Galgen geschickt worden wäre, die dich anmacht?«
Max wirkte betroffen, und ich erkannte, dass er ebenso wenig wie Brook davon begeistert war, dass ich mich bei dem Ratsmädchen so in Schwierigkeiten gebracht hatte. Aber seine nächsten Worte hatten nichts mit dem zu tun, was er im Restaurant mit angehört hatte.
»Hältst du dich nicht für schön?«, fragte er und neigte sich näher zu mir.
Mein Gesicht wurde warm, dann begann es zu glühen.
In diesem Moment hörte ich Brooklynns Stimme, die sich über die anderen und selbst über die Musik erhob. Ihr Lachen war klangvoll und kehlig und reichte aus, um den Bann zu brechen, unter dem ich stand. Ich wandte mich um, um nach ihr zu suchen, und entdeckte gleich ihre glänzenden schwarzen Locken in der Menge.
»Tut mir leid, ich muss gehen«, erklärte ich, schon halb abgewandt, über meine Schulter hinweg. Ich arbeitete mich mit Händen und Armen durch die nachgiebige, schwankende Menge, um zu Brook zu gelangen.
Fort von den ungewohnten Gefühlen, die mich bedrängten.
Übersetzung: Tanja Ohlsen
© 2012 INK verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Kimberly Derting
Kimberly Derting lebt und arbeitet an der Nordwestküste der USA, wo das miserable Wetter die geradezu perfekte Stimmung schafft, um wirklich Dunkles und Geheimnisvolles zu schreiben. Geboren und aufgewachsen ist Kimberly Derting in Seattle, und bereits in der Highschool entschloss sie sich, Journalismus zu studieren, nachdem sie die Idee, Truck-Fahrerin zu werden, schweren Herzens aufgegeben hatte.
Bibliographische Angaben
- Autor: Kimberly Derting
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2012, 1. Aufl., 368 Seiten, Maße: 16 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Ohlsen, Tanja
- Übersetzer: Tanja Ohlsen
- Verlag: Ink
- ISBN-10: 3863960173
- ISBN-13: 9783863960179
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