Die Erfindung der Violet Adams
London, 1883: Im Zeitalter des Fortschritts halten Erfindungen wie Luftschiffe und Roboter die Welt in Atem. Violet ist selbst ein Ingenieursgenie. Schon immer war es ihr Traum, am berühmten Illyria-Institut zu studieren. Aber das ist den Männern...
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Produktinformationen zu „Die Erfindung der Violet Adams “
Klappentext zu „Die Erfindung der Violet Adams “
London, 1883: Im Zeitalter des Fortschritts halten Erfindungen wie Luftschiffe und Roboter die Welt in Atem. Violet ist selbst ein Ingenieursgenie. Schon immer war es ihr Traum, am berühmten Illyria-Institut zu studieren. Aber das ist den Männern vorbehalten, da von jungen Damen in erster Linie erwartet wird, ihr hübsches Aussehen zur Schau zu stellen anstatt sich den Kopf über mathematische Formeln zu zerbrechen. Kurzerhand schlüpft Violet in die Rolle ihres Zwillingsbruders und wird an der Eliteschule angenommen. Ihr falsches Spiel bringt bald schon seine Tücken mit sich, vor allem, als sie den charmanten Grafen Ernest kennenlernt. Dazu gesellen sich noch größere Gefahren für Violet: In Illyrias geheimen Laboren treiben vom Ehrgeiz zerfressende Wissenschaftler ihr Unwesen. Die Gier nach Macht lässt sie vor nichts zurückschrecken -
Lese-Probe zu „Die Erfindung der Violet Adams “
Die Erfindung der Violet Adams von Lev RosenKapitel 7
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In der letzten Septemberwoche versammelten sich alle Hausangestellten von Messaline, um der Abreise der jungen Herrschaften in die Stadt beizuwohnen. Als sie gehört hatten, dass die Adams-Zwillinge nach London gehen würden, waren fast alle entgeistert gewesen. Der junge Herr schien ganz eindeutig ein Stadtmensch zu sein, doch die junge Miss Adams? Ihr Umzug nach London würde bestimmt zu Problemen führen, vor allem für die Londoner. Die Dienstmädchen erzählten sich Geschichten von furchterregenden Robotern, die schon bald durch die Straßen von London streifen würden, und die stalljungen fragten sich, ob sie nachts ausgehen und ihre seltsamen Experimente an den Bettlern durchführen würde. Doch in einer Hinsicht waren sich alle einig: sie waren froh, sie gehen zu sehen.
Ashton, Violet und Jack winkten dem Personal zu, als sie in die Kutsche stiegen. sie fühlten sich geschmeichelt, dass so viele gekommen waren, um sie zu verabschieden, denn natürlich gingen sie davon aus, dass dies aus einem Gefühl der Zuneigung heraus geschah und nicht einfach und allein aus dem Bedürfnis sicherzugehen, dass Violet auch wirklich abreiste. Antony zurrte ihr Gepäck auf dem Dach der Kutsche fest. Es bestand vorwiegend aus Kleidern nach der neuesten Mode, die Mrs Capshaw genäht hatte, und von denen Violet auch eins trug.
»Ich frage mich, wo Mrs Capshaw ihre Federn herbekommt«, sagte Violet, als sie sich in die Kutsche setzte. Antony schloss die Wagentür hinter ihnen.
Jack sah sich den Hut an. »Fasanenfedern«, meinte er. »von einem ziemlich großen Tier nehme ich an.«
»Ist alles vorbereitet?«, fragte Ashton leise. Er war sichtlich nervös angesichts ihres Plans. Jack und Violet würden sich am nächsten Tag in der Akademie einschreiben, und das Schuljahr würde beginnen. Ashton hatte bereits mehrere Anzüge und Hemden in Violets Größe gekauft, und Violet kam gut mit ihrer Verkleidung zurecht. Im ersten und zweiten Jahr mussten die Schüler sich zu zweit ein Zimmer teilen, daher hatten Jack und Violet beide an den Duke geschrieben und die Bitte geäußert, zusammen in einem Zimmer wohnen zu dürfen, und der Duke war dieser Bitte nachgekommen.
»Es wird alles gut gehen, Bruderherz«, sagte Violet seufzend. sie waren den Plan unzählige Male durchgegangen. sie wollte sich jetzt auf den spaß konzentrieren, den sie als Schülerin haben würde, und nicht auf den stress, der mit ihrer Verkleidung verbunden war.
»Wir treffen uns jeden Sonntag im Haus«, erklärte Jack, der Ashtons Nervosität spürte, ein weiteres Mal. »Violet wird einen Brief für Mrs Wilks mitbringen, und du wirst ihn aufgeben. Er wird Mrs Wilks davon abhalten, unangemeldet in der Stadt aufzutauchen. Aber Hallo -, mir ist gerade etwas eingefallen. Wenn wir in den Ferien nach Hause fahren, wird Mrs Wilks dann nicht erwarten, dass Violet ihre neue Zofe mitbringt?«
»Ich werde einfach sagen, dass ich ihr über die Feiertage frei gegeben habe«, entgegnete Violet.
»Das mag an Weihnachten funktionieren«, sagte Ashton besorgt, »aber nicht immer. Das ist ein Problem.« Er begann, an seiner Weste herumzuspielen.
Violet hasste diese nervöse Angewohnheit von ihm. sie dachte über die Sache nach. »Wir engagieren eine Schauspielerin«, schlug sie vor, »erklären ihr die Situation und lassen sie meine Zofe spielen. Wir bezahlen sie gut, und sie kann es sich auf einem netten Landsitz gut gehen lassen. sie muss nicht mehr können, als mir die Haare hochzustecken. Die meisten Schauspielerinnen haben schon schlechtere Engagements gehabt.«
»Es soll Schauspielerinnen geben, die mehr sind als Strichmädchen auf einer Bühne«, sagte Ashton verstimmt.
»Das hoffe ich doch sehr«, sagte Violet »denn sie muss Mrs Wilks überzeugen. Doch wie dem auch sei, darüber müssen wir uns nicht jetzt den Kopf zerbrechen.«
»Nein«, stimmte Ashton zu, »nicht wenn es noch so viel anderes gibt, worüber wir uns Gedanken machen müssen.« Violet seufzte und lehnte sich in das Polster zurück. Während der ganzen Fahrt ging Ashton ihren Plan mit ihnen durch: Welche Regeln es zu befolgen galt, wie sie miteinander Kontakt halten wollten, wie Violet sich zu verhalten hatte, um als Mann glaubwürdig zu sein, woran sie noch arbeiten musste, und was in dem Fall zu tun war, dass jemand ihr Geheimnis entdeckte, was vermutlich auf Bestechung hinauslaufen würde. Violet und Jack hörten zu und antworteten geistesabwesend, da es sie vielmehr beschäftigte, wie es sich wohl anfühlen würde, Schüler in Illyria zu sein.
Aus unerfindlichen Gründen war es weitaus erschreckender, die Akademie als angenommener, denn als potenzieller Schüler zu betreten. Das mochte daran liegen, dass man sich jetzt ein Urteil über sie bilden würde oder dass das, was zunächst nur eine lächerliche Idee gewesen war, sich nun zur Frucht eines Plans entwickelt hatte, die schwer an ihrem Ast hing und jeden Moment hinunterfallen konnte, um nichts als zerbrochene Rinde, Fruchtfleisch und saft übrig zu lassen.
sie schluckte.
»Daran ist jetzt nichts mehr zu ändern«, sagte Jack, nahm ihren Arm und führte sie durch den Garten in die Akademie. Andere Schüler liefen an ihnen vorbei oder waren zur Seite getreten, um die Blumen zu bewundern, bevor sie hineingingen. Jeder von ihnen trug seinen besten Anzug und eine Krawatte und hatte die Haare ordentlich frisiert. Hinter ihnen vollführten Träger und Diener einen hektischen Tanz, um das Gepäck von den Kutschen der Schüler in die schule zu tragen.
Die Große Halle, in der sich die Schüler versammelten, war genau so eingerichtet wie bei den Bewerbungsgesprächen, doch diesmal nahmen Jack und Violet sich mehr Zeit, sie zu bewundern. sie war mindestens zwei Stockwerke hoch, hatte Türen zu der Empfangshalle und einige weitere Türen an der Seite. von dem Eingang, durch den sie gekommen waren, sahen sie das große sich drehende Rad und die Wand mit den Getrieben. Etwa ein Stockwerk über ihnen erstreckte sich eine Brücke mit einem Marmorgeländer von einer Wand zur anderen. Wie es aussah, gab es von der Großen Halle aus keinen Zugang zu dieser Brücke. sie schien sich über die Halle zu neigen und einen Teil der schule mit dem anderen zu verbinden. vor einer höher gelegenen Bühne standen fünfzehn Stühle, jeder mit einem Namen versehen. Jack und Violet fanden ihre in der ersten Reihe und griffen nach den Blättern, die darauf lagen.
»Unsere Stundenpläne«, stellte Jack fest, während er in den Papieren blätterte, »ein Grundriss vom Gebäude, Bücherlisten und die Zeiten, wann der Unterricht beginnt. Ah, und die Zimmerschlüssel«, sagte er, als er einen dünnen Schlüssel aus dem Papierstapel zog. Violet sah sich ihren stundenplan an. Er war erstaunlich unkompliziert: Jeden Tag, außer Samstag und Sonntag, war von neun bis zwölf Unterricht, und von eins bis sechs wurde unter der Aufsicht eines Professors eigenständig in einem der Labore gearbeitet. samstags fand statt des Unterrichts eine Vorlesung des Schulleiters oder eines besonderen Gasts statt, im Anschluss war wiederum Zeit zur selbstständigen Arbeit in den Laboren vorgesehen. sonntags war frei - für den Kirchgang, wie Violet vermutete. Jedes Trimester würde sich der stundenplan ändern. Er erschien Violet einfach und würde ihr viel Zeit lassen, die Möglichkeiten der schule für die Arbeit an ihren eigenen Projekten zu nutzen. sie lächelte. sie blätterte zu dem Gebäudeplan weiter, sah ihn sich eingehend an und versuchte, sich die Lage der einzelnen Labore einzuprägen. An die Große Halle grenzten der Speisesaal und die Küchen, durch die Gänge kam man zu den seitlichen Gebäudeteilen und zu den Privatgemächern des Dukes, die auf dem Plan eindeutig als verbotenes Gebiet gekennzeichnet waren und nur mit einer ausdrücklichen Einladung betreten werden durften. Im Keller lagen das Mechaniklabor und das Chemielabor. Über den Küchen waren die Büros der Professoren und darüber die ...
»Setz dich«, wisperte Jack. Violet blickte auf. Die Stühle waren alle besetzt, und alle hatten Platz genommen. Violet setzte sich in dem Moment hin, als die Seitentür aufging. Herein trat der Duke, gefolgt von den Professoren, und zu Violets Überraschung - und nicht nur zu ihrer, wie sie aus den scharfen Atemzügen um sie herum schließen konnte - die Countess Lovelace, Ada Byron. Violet erinnerte sich, dass die Countess die Patentante des Dukes war, doch sie hatte nicht erwartet, sie an ihrem ersten Tag hier zu sehen.
Die Professoren und die Countess nahmen ihre Plätze auf der Bühne ein, dann ging der Duke zu einem Podium und sprach zu den Schülern. »Ich heiße sie zu einem neuen Schuljahr an der Illyria Akademie willkommen«, begann er. »Mein Vater hat Illyria gegründet, um einen ort zu schaffen, an dem die größten wissenschaftlichen Denker zusammenkommen und voneinander lernen können. Einen ort, an dem die besten Schüler der Wissenschaften, unabhängig von Klasse und stand, zusammen studieren können. Die älteren Schüler wissen das alles bereits. sie sind hier, um zu lernen und hart zu arbeiten und um dieses Wissen anzuwenden. Wenn sie mich enttäuschen, wenn sie meinen Vater enttäuschen, wenn sie sich selbst enttäuschen, enttäuschen sie die Welt. sie sind hier, um ihre Hoffnungen zu erfüllen. Ihre Hoffnungen und die Hoffnungen meines Vaters. Enttäuschen sie uns nicht.«
Schüler und Professoren applaudierten nach dieser Eröffnungsrede. »Die älteren Schüler wissen, was zu tun ist. Gehen sie auf Ihre Zimmer und richten sie sich ein, und erscheinen sie um zwölf Uhr im Speisesaal, um mit uns zu Mittag zu essen.« Alle Schüler, die nicht in der ersten Reihe saßen, standen auf und verließen leise die Halle, sodass nur noch Violet, Jack und die anderen drei neuen Schüler übrig waren. »Die neuen Schüler mögen sich bitte erheben.«
Violet und Jack standen auf. Die Professoren blickten stumm auf sie herab. Violet fühlte, wie ihre Hände schwitzig wurden. Welchen Initiationsritus würden sie jetzt über sich ergehen lassen müssen?
»Was ich gerade gesagt habe, betrifft sie doppelt. Die älteren Schüler haben bereits bewiesen, dass sie intelligente, wohlerzogene Männer sind, die es verdient haben, ein weiteres Jahr hier zu studieren. sie müssen das erst noch beweisen. Halten sie sich an die Regeln. sie finden sie in den Unterlagen, die sie bekommen haben - ich empfehle Ihnen, sie sich einzuprägen, denn die Regeln nicht zu kennen, ist keine Entschuldigung dafür, sie zu brechen. Die Zeit nach dem Abendessen steht Ihnen zu Ihrer freien Verfügung. Ich empfehle Ihnen, diese Zeit mit Ihren Studien im Aufenthaltsraum zu verbringen. Die Wand hinter Ihnen kann, wie die meisten von Ihnen sicher schon vermutet haben, genutzt werden, um die verschiedensten Erfindungen mit Strom zu versorgen, und führt bis in den Aufenthaltsraum der Schüler hinunter. Ich schätze es allerdings nicht, um drei Uhr nachts von irgendeinem Aufziehroboter geweckt zu werden, der verrücktspielt. Passen sie also auf, was sie tun. Die Entwicklung von Waffen ist in den Hallen von Illyria verboten. Draußen in der realen Welt können sie Ihr Wissen und Ihre Fertigkeiten einsetzen, wozu immer sie wollen, doch hier gilt: keine Waffen. Jeder, der diese Regel missachtet, wird sofort der schule verwiesen. Ich denke, sie alle haben schon die Gerüchte über die aus dem Ruder gelaufenen Experimente gehört, deren Ergebnisse angeblich noch immer im unteren Keller im verborgenen lauern. Ich versichere Ihnen, dass daran nichts Wahres ist. Nichtsdestotrotz ist es den Schülern verboten, einen der unteren Keller zu betreten. sie werden hauptsächlich als Lagerräume genutzt, sind jedoch ein Labyrinth, in dem man sich leicht verirren kann, und ich habe keine Lust, Professoren vom Unterricht abziehen zu müssen, um nach Ihnen zu suchen. Nun möchte unser Ehrengast, die Countess Lovelace, sie gerne in Augenschein nehmen. sie hat ein feines Gespür für den Charakter eines Menschen, und ich hoffe, sie werden jeden ihrer Ratschläge befolgen.«
Die Countess Lovelace erhob sich und stieg von der Bühne herunter, um auf gleicher Höhe mit den Schülern zu stehen. sie war eine dünne, blasse Frau mit blitzenden, schwarzen Augen. sie war sechsundsiebzig, Witwe und ganz in dunkelblau gekleidet, was ihr vorsichtiges, wissendes Lächeln noch betonte. Ihr Haar war zu einem Knoten hochgesteckt und bis auf einige schwarze Strähnen ergraut. sie roch leicht nach Brandy und Rauch, stützte sich auf einen stock aus Bronze und Holz und musterte jeden der neuen Schüler eingehend. »sie scheinen in Ordnung zu sein«, rief sie dem Duke zu.
»Ich freue mich, dass du mit ihnen einverstanden bist, Tante.«
sie ging an der Reihe der Schüler entlang und blieb vor Violet stehen, die den Atem der Frau im Gesicht spüren konnte. Violet blickte zu Boden, sie versuchte, dem Blick von Ada Byrons dunklen, leidenschaftlichen Augen auszuweichen.
»Wie heißen sie?«, fragte Ada nach einem Moment des Zögerns. »Ashton Adams, Madam«, antwortete Violet und hielt den Kopf gesenkt.
»sie dürfen mich in den Speisesaal begleiten«, forderte Ada sie auf und reichte Violet ihren Arm.
Violet nickte. sie spürte, dass die anderen Schüler sie neidisch ansahen. von der großen Ada Byron, der ersten Rechnerin, bevorzugt, von ihr ausgewählt zu werden, sie anfassen zu dürfen! Violet richtete den Blick nach vorn, jedoch ohne die Countess anzusehen, nahm ihren Arm und begleitete sie aus der Halle.
Als sie den Gang erreicht hatten, blieb Ada stehen und ließ Violets Arm los.
»Ich glaube, der Speisesaal ist in diese Richtung, Madam«, bemerkte Violet, die sich immer noch nicht traute, der Countess in die Augen zu sehen.
»Als sie mein Nicken in der Halle erwidert haben, haben sie fast einen Knicks gemacht. Daran müssen sie noch arbeiten«, sagte Ada.
Violet hob den Kopf und blickte in Adas schelmische Augen. sie versuchte, ihren schock und ihren Kummer zu verbergen. »Madam, ich ...«
»Behandeln sie mich nicht wie eine Idiotin, Mädchen. Jeder Trottel sieht, dass sie eine Frau sind. Glücklicherweise sind hier an der Akademie nur Genies, deshalb denke ich, dass sie nicht allzu viele Probleme haben werden. Es sei denn, sie knicksen weiterhin. Ich würde auch noch an Ihrem Gang arbeiten, und schauen sie nicht die ganze Zeit auf den Boden. Außerdem ist Ihre stimme zu tief wie bei einem Kind, das versucht, wie ein Mann zu klingen.«
»Countess, ich wollte nicht ...«
»Natürlich wollten sie. sie sind hier, und alle halten sie für einen Mann, und die Idee ist wirklich klug, wenn sie sie realisieren können. Jetzt nehmen sie meinen Arm, die anderen kommen.« Violet tat, wie ihr geheißen wurde, als sich die riesigen Bronzetüren öffneten und die Schüler in den Gang traten. Als sie Lady Byron erblicken, wurden ihre Gesichter ernst, und sie dämpften die stimmen; sie teilten sich wie ein Strom um sie und gingen weiter zum Speisesaal, während Ada und Violet langsam hinter ihnen her schlenderten. schließlich war auch der letzte Schüler im Speisesaal verschwunden, und Ada ließ erneut Violets Arm los.
»Countess, ich ... «
»Ich kann Ihnen nicht helfen, das müssen sie wissen. Wenn man sie erwischt, sind sie auf sich allein gestellt. Ich bin nur einige Male im Jahr in der Akademie, und ich kann mich nicht allzu sehr mit Ihnen beschäftigen, weil ich damit zu viel Aufmerksamkeit auf sie lenken würde, und Aufmerksamkeit ist das Letzte, was sie brauchen. Hören sie also auf, sich wie ein Dandy zu kleiden. Das unterstreicht nur Ihre Weiblichkeit. Mal ehrlich Mädchen, wer hat sie so ausstaffiert?«
»Mein Bruder.«
»Nun, dann suchen sie sich die Hilfe von jemand anderem. Weiß Ihr Zimmermitbewohner von Ihrem kleinen Betrug?«
»Ja, Madam.«
»Gut, alles andere wäre auch unziemlich. Lassen sie sich von ihm helfen. Aber lassen sie sich nicht ausnutzen. Einige Männer würden diese Situation sicher gerne ausnutzen.«
»Ich vertraue ihm.«
»Gut für sie. Und jetzt seien sie ein lieber Junge und bringen sie mich in den Speisesaal.« Violet griff erneut nach dem Arm der Countess und führte sie, sehr viel schneller als vorher, in den Speisesaal. Violet öffnete ihr die Tür, die Countess setzte sich zur Rechten des Dukes, und Violet suchte sich einen Platz neben Jack.
»Du scheinst ja bereits ihr Liebling zu sein«, flüsterte Jack ihr zu. »sie hat durchschaut, dass ich ein Mädchen bin«, antwortete Violet. Jack riss die Augen auf. »sie hat mir Tipps gegeben.«
»Nun«, meinte Jack, »das ist ja mal was.«
Ernest sprach mit den Schülern das Gebet, dann wurde das Essen aufgetragen: Eier, Haferbrei, Toast, Tomaten, Bückling, verschiedene Käse, Schinken und Speck, der für alle göttlich roch. Der Duke beugte sich zu der Countess hin und sprach leise mit ihr. »Was war denn das, Ada? Ich habe noch nie gesehen, dass du einen Schüler so offensichtlich bevorzugst.«
»Ich werde alt, Ernest, und ich weiß die Gesellschaft eines jungen Mannes mehr und mehr zu schätzen.« Der Duke lachte. »Wie sieht es mit unserem Kartenspiel nach dem Dinner aus? Bleibt es dabei?«
»Aber ja. Was wäre ein Tag mit dir ohne Glücksspiel?«
»Und ohne Zigarren«, ergänzte die Countess und lächelte glücklich.
Der Speisesaal war größer als die Große Halle und für die weniger als dreißig Menschen, die darin ihr Essen einnahmen, riesig. Die Professoren und der Duke aßen auf einem Podest am Kopfende des Saals, doch die Schüler konnten sich an den kleinen Tischen, die auf ebener Erde standen, ihre Plätze aussuchen. An der Seite des Raums, an der sie reingekommen waren, befand sich eine Empore mit einer gewundenen Marmortreppe. Auf der Empore gab es einen Bogengang, der, wie Violet vermutete, auf die Brücke führte, die sie in der Großen Halle gesehen hatten.
Jack holte den Gebäudeplan aus seinen Unterlagen. »Der Bogengang dort oben«, sagte er zu Violet und zeigte auf die Empore, »muss zu der Brücke führen, über die man in die Privatgemächer des Dukes kommt. Das ist sein privater Eingang.«
»Das nehme ich an«, antwortete Violet. sie starrte die anderen drei Männer an ihrem Tisch an, die nervös zurückstarrten. Jack blickte auf. Er hatte ganz offensichtlich die anderen Schüler, mit denen er an einem Tisch saß, völlig vergessen. sie alle waren neu wie er und Violet. Niemand sagte ein Wort. sie aßen stumm und warfen sich hin und wieder Blicke zu. An den anderen Tischen unterhielt man sich angeregt.
»so«, beschloss Jack. »Ich denke, wir werden alle zusammen Unterricht haben. Ich bin Jack Feste. Das ist Ashton Adams. Und wer seid ihr drei?«
Die drei Männer guckten ihn interessiert an. Der, der von ihnen am besten aussah, ergriff als Erster das Wort. »Ich bin Roger Fairfax, Earl von Cheshireford«, stellte er sich vor und reckte stolz das Kinn, was ihn gleich nicht mehr so gut aussehen ließ.
Der Größte von ihnen reichte Jack die Hand. »Ich bin James Lane«, sagte er.
schließlich streckte der Kleinste eifrig die Hand aus und stellte sich vor. »Humphrey Merriman«, sagte er mit leicht irischem Akzent. sie schüttelten sich die Hände und verfielen erneut in schweigen.
Violet sah sich die Männer ihr gegenüber und an den anderen Tischen an. sie war froh, dass keiner, selbst der Attraktivste nicht, irgendwelche romantischen Gefühle in ihr wachrief, sodass sie nicht von verliebten Anwandlungen abgelenkt werden würde.
Was das anging, hatte Violet mehr Glück als die anderen Schüler, denn in diesem Augenblick tauchte Cecily Worthing, die Cousine des Dukes und sein Mündel, in dem Bogengang auf, den Jack eben erwähnt hatte, und kam die Wendeltreppe herunter, um an dem Tisch ihres Cousins Platz zu nehmen. Die Gespräche verstummten, als die Schüler einer nach dem anderen auf sie aufmerksam wurden und sie anstarrten. Die älteren Schüler hatten sie natürlich schon einmal gesehen. Die meisten von ihnen wandten sich schnell wieder ihrem Essen zu, da sie sich nicht den Zorn des Dukes zuziehen wollten, obwohl sich alle im stillen wünschten, sie an ihren Tisch zu bitten.
Da Cecily die einzige junge Dame war, der der Aufenthalt in den Hallen von Illyria gestattet war, war es nur natürlich, dass die Schüler um ihre Aufmerksamkeit buhlten, wie junge Männer häufig und gern um die Aufmerksamkeit einer jungen Dame buhlen. Doch selbst wenn Cecily nur eine von Hunderten junger Damen in Illyria gewesen wäre, wäre ihre Gesellschaft trotzdem die erstrebenswerteste gewesen.
sie war bezaubernd. Ein wenig klein, aber mit einer anmutigen Figur, langem, goldenem Haar und einer klaren, hellen Haut, die in den bronzenen Hallen leuchtete. Ihr Lachen war von einer Art, die alle um sie herum augenblicklich auch lachen ließ, und das nicht nur wegen der zarten rosa Farbe ihrer Lippen oder ihrer perfekten Zähne, sondern weil dieses Lachen, wenn sie glücklich war, an einen frischen Landwind erinnerte, der sich einen Weg in die kohlengeschwängerte Luft der Stadt gesucht hatte.
Jack, der bisher nie für romantische Gefühle anfällig gewesen war, verliebte sich auf der stelle in sie. Er hatte während seiner Schulzeit die Bekanntschaft einiger Mädchen gemacht, Dorfmädchen, die offen grinsten und einen ungeschliffenen Charme verströmten. Und natürlich kannte er Violet, doch sie war mehr wie eine Schwester für ihn. In London hatte er oft den Damen der Aristokratie mit ihren großen Hüten und schmalen Taillen hinterhergesehen, doch keine war mit Cecily vergleichbar gewesen. sie bewegte sich zwischen den Tischen hindurch wie ein schwan, der auf einem Fluss dahinglitt. sie küsste den Duke mit der Sanftheit eines Kolibris auf die Wange und schob ihr offenes Haar mit einer einfachen Geste hinter das Ohr wie eine weiße Taube, die sich in die Lüfte erhob. In diesem Moment wusste Jack, dass er nichts erschaffen konnte, das so schön war wie sie, selbst wenn er tausend Jahre leben und forschen würde. »Wer ist das?«, fragte er.
Übersetzung: Hanne Hammer
© 2012 INK verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
In der letzten Septemberwoche versammelten sich alle Hausangestellten von Messaline, um der Abreise der jungen Herrschaften in die Stadt beizuwohnen. Als sie gehört hatten, dass die Adams-Zwillinge nach London gehen würden, waren fast alle entgeistert gewesen. Der junge Herr schien ganz eindeutig ein Stadtmensch zu sein, doch die junge Miss Adams? Ihr Umzug nach London würde bestimmt zu Problemen führen, vor allem für die Londoner. Die Dienstmädchen erzählten sich Geschichten von furchterregenden Robotern, die schon bald durch die Straßen von London streifen würden, und die stalljungen fragten sich, ob sie nachts ausgehen und ihre seltsamen Experimente an den Bettlern durchführen würde. Doch in einer Hinsicht waren sich alle einig: sie waren froh, sie gehen zu sehen.
Ashton, Violet und Jack winkten dem Personal zu, als sie in die Kutsche stiegen. sie fühlten sich geschmeichelt, dass so viele gekommen waren, um sie zu verabschieden, denn natürlich gingen sie davon aus, dass dies aus einem Gefühl der Zuneigung heraus geschah und nicht einfach und allein aus dem Bedürfnis sicherzugehen, dass Violet auch wirklich abreiste. Antony zurrte ihr Gepäck auf dem Dach der Kutsche fest. Es bestand vorwiegend aus Kleidern nach der neuesten Mode, die Mrs Capshaw genäht hatte, und von denen Violet auch eins trug.
»Ich frage mich, wo Mrs Capshaw ihre Federn herbekommt«, sagte Violet, als sie sich in die Kutsche setzte. Antony schloss die Wagentür hinter ihnen.
Jack sah sich den Hut an. »Fasanenfedern«, meinte er. »von einem ziemlich großen Tier nehme ich an.«
»Ist alles vorbereitet?«, fragte Ashton leise. Er war sichtlich nervös angesichts ihres Plans. Jack und Violet würden sich am nächsten Tag in der Akademie einschreiben, und das Schuljahr würde beginnen. Ashton hatte bereits mehrere Anzüge und Hemden in Violets Größe gekauft, und Violet kam gut mit ihrer Verkleidung zurecht. Im ersten und zweiten Jahr mussten die Schüler sich zu zweit ein Zimmer teilen, daher hatten Jack und Violet beide an den Duke geschrieben und die Bitte geäußert, zusammen in einem Zimmer wohnen zu dürfen, und der Duke war dieser Bitte nachgekommen.
»Es wird alles gut gehen, Bruderherz«, sagte Violet seufzend. sie waren den Plan unzählige Male durchgegangen. sie wollte sich jetzt auf den spaß konzentrieren, den sie als Schülerin haben würde, und nicht auf den stress, der mit ihrer Verkleidung verbunden war.
»Wir treffen uns jeden Sonntag im Haus«, erklärte Jack, der Ashtons Nervosität spürte, ein weiteres Mal. »Violet wird einen Brief für Mrs Wilks mitbringen, und du wirst ihn aufgeben. Er wird Mrs Wilks davon abhalten, unangemeldet in der Stadt aufzutauchen. Aber Hallo -, mir ist gerade etwas eingefallen. Wenn wir in den Ferien nach Hause fahren, wird Mrs Wilks dann nicht erwarten, dass Violet ihre neue Zofe mitbringt?«
»Ich werde einfach sagen, dass ich ihr über die Feiertage frei gegeben habe«, entgegnete Violet.
»Das mag an Weihnachten funktionieren«, sagte Ashton besorgt, »aber nicht immer. Das ist ein Problem.« Er begann, an seiner Weste herumzuspielen.
Violet hasste diese nervöse Angewohnheit von ihm. sie dachte über die Sache nach. »Wir engagieren eine Schauspielerin«, schlug sie vor, »erklären ihr die Situation und lassen sie meine Zofe spielen. Wir bezahlen sie gut, und sie kann es sich auf einem netten Landsitz gut gehen lassen. sie muss nicht mehr können, als mir die Haare hochzustecken. Die meisten Schauspielerinnen haben schon schlechtere Engagements gehabt.«
»Es soll Schauspielerinnen geben, die mehr sind als Strichmädchen auf einer Bühne«, sagte Ashton verstimmt.
»Das hoffe ich doch sehr«, sagte Violet »denn sie muss Mrs Wilks überzeugen. Doch wie dem auch sei, darüber müssen wir uns nicht jetzt den Kopf zerbrechen.«
»Nein«, stimmte Ashton zu, »nicht wenn es noch so viel anderes gibt, worüber wir uns Gedanken machen müssen.« Violet seufzte und lehnte sich in das Polster zurück. Während der ganzen Fahrt ging Ashton ihren Plan mit ihnen durch: Welche Regeln es zu befolgen galt, wie sie miteinander Kontakt halten wollten, wie Violet sich zu verhalten hatte, um als Mann glaubwürdig zu sein, woran sie noch arbeiten musste, und was in dem Fall zu tun war, dass jemand ihr Geheimnis entdeckte, was vermutlich auf Bestechung hinauslaufen würde. Violet und Jack hörten zu und antworteten geistesabwesend, da es sie vielmehr beschäftigte, wie es sich wohl anfühlen würde, Schüler in Illyria zu sein.
Aus unerfindlichen Gründen war es weitaus erschreckender, die Akademie als angenommener, denn als potenzieller Schüler zu betreten. Das mochte daran liegen, dass man sich jetzt ein Urteil über sie bilden würde oder dass das, was zunächst nur eine lächerliche Idee gewesen war, sich nun zur Frucht eines Plans entwickelt hatte, die schwer an ihrem Ast hing und jeden Moment hinunterfallen konnte, um nichts als zerbrochene Rinde, Fruchtfleisch und saft übrig zu lassen.
sie schluckte.
»Daran ist jetzt nichts mehr zu ändern«, sagte Jack, nahm ihren Arm und führte sie durch den Garten in die Akademie. Andere Schüler liefen an ihnen vorbei oder waren zur Seite getreten, um die Blumen zu bewundern, bevor sie hineingingen. Jeder von ihnen trug seinen besten Anzug und eine Krawatte und hatte die Haare ordentlich frisiert. Hinter ihnen vollführten Träger und Diener einen hektischen Tanz, um das Gepäck von den Kutschen der Schüler in die schule zu tragen.
Die Große Halle, in der sich die Schüler versammelten, war genau so eingerichtet wie bei den Bewerbungsgesprächen, doch diesmal nahmen Jack und Violet sich mehr Zeit, sie zu bewundern. sie war mindestens zwei Stockwerke hoch, hatte Türen zu der Empfangshalle und einige weitere Türen an der Seite. von dem Eingang, durch den sie gekommen waren, sahen sie das große sich drehende Rad und die Wand mit den Getrieben. Etwa ein Stockwerk über ihnen erstreckte sich eine Brücke mit einem Marmorgeländer von einer Wand zur anderen. Wie es aussah, gab es von der Großen Halle aus keinen Zugang zu dieser Brücke. sie schien sich über die Halle zu neigen und einen Teil der schule mit dem anderen zu verbinden. vor einer höher gelegenen Bühne standen fünfzehn Stühle, jeder mit einem Namen versehen. Jack und Violet fanden ihre in der ersten Reihe und griffen nach den Blättern, die darauf lagen.
»Unsere Stundenpläne«, stellte Jack fest, während er in den Papieren blätterte, »ein Grundriss vom Gebäude, Bücherlisten und die Zeiten, wann der Unterricht beginnt. Ah, und die Zimmerschlüssel«, sagte er, als er einen dünnen Schlüssel aus dem Papierstapel zog. Violet sah sich ihren stundenplan an. Er war erstaunlich unkompliziert: Jeden Tag, außer Samstag und Sonntag, war von neun bis zwölf Unterricht, und von eins bis sechs wurde unter der Aufsicht eines Professors eigenständig in einem der Labore gearbeitet. samstags fand statt des Unterrichts eine Vorlesung des Schulleiters oder eines besonderen Gasts statt, im Anschluss war wiederum Zeit zur selbstständigen Arbeit in den Laboren vorgesehen. sonntags war frei - für den Kirchgang, wie Violet vermutete. Jedes Trimester würde sich der stundenplan ändern. Er erschien Violet einfach und würde ihr viel Zeit lassen, die Möglichkeiten der schule für die Arbeit an ihren eigenen Projekten zu nutzen. sie lächelte. sie blätterte zu dem Gebäudeplan weiter, sah ihn sich eingehend an und versuchte, sich die Lage der einzelnen Labore einzuprägen. An die Große Halle grenzten der Speisesaal und die Küchen, durch die Gänge kam man zu den seitlichen Gebäudeteilen und zu den Privatgemächern des Dukes, die auf dem Plan eindeutig als verbotenes Gebiet gekennzeichnet waren und nur mit einer ausdrücklichen Einladung betreten werden durften. Im Keller lagen das Mechaniklabor und das Chemielabor. Über den Küchen waren die Büros der Professoren und darüber die ...
»Setz dich«, wisperte Jack. Violet blickte auf. Die Stühle waren alle besetzt, und alle hatten Platz genommen. Violet setzte sich in dem Moment hin, als die Seitentür aufging. Herein trat der Duke, gefolgt von den Professoren, und zu Violets Überraschung - und nicht nur zu ihrer, wie sie aus den scharfen Atemzügen um sie herum schließen konnte - die Countess Lovelace, Ada Byron. Violet erinnerte sich, dass die Countess die Patentante des Dukes war, doch sie hatte nicht erwartet, sie an ihrem ersten Tag hier zu sehen.
Die Professoren und die Countess nahmen ihre Plätze auf der Bühne ein, dann ging der Duke zu einem Podium und sprach zu den Schülern. »Ich heiße sie zu einem neuen Schuljahr an der Illyria Akademie willkommen«, begann er. »Mein Vater hat Illyria gegründet, um einen ort zu schaffen, an dem die größten wissenschaftlichen Denker zusammenkommen und voneinander lernen können. Einen ort, an dem die besten Schüler der Wissenschaften, unabhängig von Klasse und stand, zusammen studieren können. Die älteren Schüler wissen das alles bereits. sie sind hier, um zu lernen und hart zu arbeiten und um dieses Wissen anzuwenden. Wenn sie mich enttäuschen, wenn sie meinen Vater enttäuschen, wenn sie sich selbst enttäuschen, enttäuschen sie die Welt. sie sind hier, um ihre Hoffnungen zu erfüllen. Ihre Hoffnungen und die Hoffnungen meines Vaters. Enttäuschen sie uns nicht.«
Schüler und Professoren applaudierten nach dieser Eröffnungsrede. »Die älteren Schüler wissen, was zu tun ist. Gehen sie auf Ihre Zimmer und richten sie sich ein, und erscheinen sie um zwölf Uhr im Speisesaal, um mit uns zu Mittag zu essen.« Alle Schüler, die nicht in der ersten Reihe saßen, standen auf und verließen leise die Halle, sodass nur noch Violet, Jack und die anderen drei neuen Schüler übrig waren. »Die neuen Schüler mögen sich bitte erheben.«
Violet und Jack standen auf. Die Professoren blickten stumm auf sie herab. Violet fühlte, wie ihre Hände schwitzig wurden. Welchen Initiationsritus würden sie jetzt über sich ergehen lassen müssen?
»Was ich gerade gesagt habe, betrifft sie doppelt. Die älteren Schüler haben bereits bewiesen, dass sie intelligente, wohlerzogene Männer sind, die es verdient haben, ein weiteres Jahr hier zu studieren. sie müssen das erst noch beweisen. Halten sie sich an die Regeln. sie finden sie in den Unterlagen, die sie bekommen haben - ich empfehle Ihnen, sie sich einzuprägen, denn die Regeln nicht zu kennen, ist keine Entschuldigung dafür, sie zu brechen. Die Zeit nach dem Abendessen steht Ihnen zu Ihrer freien Verfügung. Ich empfehle Ihnen, diese Zeit mit Ihren Studien im Aufenthaltsraum zu verbringen. Die Wand hinter Ihnen kann, wie die meisten von Ihnen sicher schon vermutet haben, genutzt werden, um die verschiedensten Erfindungen mit Strom zu versorgen, und führt bis in den Aufenthaltsraum der Schüler hinunter. Ich schätze es allerdings nicht, um drei Uhr nachts von irgendeinem Aufziehroboter geweckt zu werden, der verrücktspielt. Passen sie also auf, was sie tun. Die Entwicklung von Waffen ist in den Hallen von Illyria verboten. Draußen in der realen Welt können sie Ihr Wissen und Ihre Fertigkeiten einsetzen, wozu immer sie wollen, doch hier gilt: keine Waffen. Jeder, der diese Regel missachtet, wird sofort der schule verwiesen. Ich denke, sie alle haben schon die Gerüchte über die aus dem Ruder gelaufenen Experimente gehört, deren Ergebnisse angeblich noch immer im unteren Keller im verborgenen lauern. Ich versichere Ihnen, dass daran nichts Wahres ist. Nichtsdestotrotz ist es den Schülern verboten, einen der unteren Keller zu betreten. sie werden hauptsächlich als Lagerräume genutzt, sind jedoch ein Labyrinth, in dem man sich leicht verirren kann, und ich habe keine Lust, Professoren vom Unterricht abziehen zu müssen, um nach Ihnen zu suchen. Nun möchte unser Ehrengast, die Countess Lovelace, sie gerne in Augenschein nehmen. sie hat ein feines Gespür für den Charakter eines Menschen, und ich hoffe, sie werden jeden ihrer Ratschläge befolgen.«
Die Countess Lovelace erhob sich und stieg von der Bühne herunter, um auf gleicher Höhe mit den Schülern zu stehen. sie war eine dünne, blasse Frau mit blitzenden, schwarzen Augen. sie war sechsundsiebzig, Witwe und ganz in dunkelblau gekleidet, was ihr vorsichtiges, wissendes Lächeln noch betonte. Ihr Haar war zu einem Knoten hochgesteckt und bis auf einige schwarze Strähnen ergraut. sie roch leicht nach Brandy und Rauch, stützte sich auf einen stock aus Bronze und Holz und musterte jeden der neuen Schüler eingehend. »sie scheinen in Ordnung zu sein«, rief sie dem Duke zu.
»Ich freue mich, dass du mit ihnen einverstanden bist, Tante.«
sie ging an der Reihe der Schüler entlang und blieb vor Violet stehen, die den Atem der Frau im Gesicht spüren konnte. Violet blickte zu Boden, sie versuchte, dem Blick von Ada Byrons dunklen, leidenschaftlichen Augen auszuweichen.
»Wie heißen sie?«, fragte Ada nach einem Moment des Zögerns. »Ashton Adams, Madam«, antwortete Violet und hielt den Kopf gesenkt.
»sie dürfen mich in den Speisesaal begleiten«, forderte Ada sie auf und reichte Violet ihren Arm.
Violet nickte. sie spürte, dass die anderen Schüler sie neidisch ansahen. von der großen Ada Byron, der ersten Rechnerin, bevorzugt, von ihr ausgewählt zu werden, sie anfassen zu dürfen! Violet richtete den Blick nach vorn, jedoch ohne die Countess anzusehen, nahm ihren Arm und begleitete sie aus der Halle.
Als sie den Gang erreicht hatten, blieb Ada stehen und ließ Violets Arm los.
»Ich glaube, der Speisesaal ist in diese Richtung, Madam«, bemerkte Violet, die sich immer noch nicht traute, der Countess in die Augen zu sehen.
»Als sie mein Nicken in der Halle erwidert haben, haben sie fast einen Knicks gemacht. Daran müssen sie noch arbeiten«, sagte Ada.
Violet hob den Kopf und blickte in Adas schelmische Augen. sie versuchte, ihren schock und ihren Kummer zu verbergen. »Madam, ich ...«
»Behandeln sie mich nicht wie eine Idiotin, Mädchen. Jeder Trottel sieht, dass sie eine Frau sind. Glücklicherweise sind hier an der Akademie nur Genies, deshalb denke ich, dass sie nicht allzu viele Probleme haben werden. Es sei denn, sie knicksen weiterhin. Ich würde auch noch an Ihrem Gang arbeiten, und schauen sie nicht die ganze Zeit auf den Boden. Außerdem ist Ihre stimme zu tief wie bei einem Kind, das versucht, wie ein Mann zu klingen.«
»Countess, ich wollte nicht ...«
»Natürlich wollten sie. sie sind hier, und alle halten sie für einen Mann, und die Idee ist wirklich klug, wenn sie sie realisieren können. Jetzt nehmen sie meinen Arm, die anderen kommen.« Violet tat, wie ihr geheißen wurde, als sich die riesigen Bronzetüren öffneten und die Schüler in den Gang traten. Als sie Lady Byron erblicken, wurden ihre Gesichter ernst, und sie dämpften die stimmen; sie teilten sich wie ein Strom um sie und gingen weiter zum Speisesaal, während Ada und Violet langsam hinter ihnen her schlenderten. schließlich war auch der letzte Schüler im Speisesaal verschwunden, und Ada ließ erneut Violets Arm los.
»Countess, ich ... «
»Ich kann Ihnen nicht helfen, das müssen sie wissen. Wenn man sie erwischt, sind sie auf sich allein gestellt. Ich bin nur einige Male im Jahr in der Akademie, und ich kann mich nicht allzu sehr mit Ihnen beschäftigen, weil ich damit zu viel Aufmerksamkeit auf sie lenken würde, und Aufmerksamkeit ist das Letzte, was sie brauchen. Hören sie also auf, sich wie ein Dandy zu kleiden. Das unterstreicht nur Ihre Weiblichkeit. Mal ehrlich Mädchen, wer hat sie so ausstaffiert?«
»Mein Bruder.«
»Nun, dann suchen sie sich die Hilfe von jemand anderem. Weiß Ihr Zimmermitbewohner von Ihrem kleinen Betrug?«
»Ja, Madam.«
»Gut, alles andere wäre auch unziemlich. Lassen sie sich von ihm helfen. Aber lassen sie sich nicht ausnutzen. Einige Männer würden diese Situation sicher gerne ausnutzen.«
»Ich vertraue ihm.«
»Gut für sie. Und jetzt seien sie ein lieber Junge und bringen sie mich in den Speisesaal.« Violet griff erneut nach dem Arm der Countess und führte sie, sehr viel schneller als vorher, in den Speisesaal. Violet öffnete ihr die Tür, die Countess setzte sich zur Rechten des Dukes, und Violet suchte sich einen Platz neben Jack.
»Du scheinst ja bereits ihr Liebling zu sein«, flüsterte Jack ihr zu. »sie hat durchschaut, dass ich ein Mädchen bin«, antwortete Violet. Jack riss die Augen auf. »sie hat mir Tipps gegeben.«
»Nun«, meinte Jack, »das ist ja mal was.«
Ernest sprach mit den Schülern das Gebet, dann wurde das Essen aufgetragen: Eier, Haferbrei, Toast, Tomaten, Bückling, verschiedene Käse, Schinken und Speck, der für alle göttlich roch. Der Duke beugte sich zu der Countess hin und sprach leise mit ihr. »Was war denn das, Ada? Ich habe noch nie gesehen, dass du einen Schüler so offensichtlich bevorzugst.«
»Ich werde alt, Ernest, und ich weiß die Gesellschaft eines jungen Mannes mehr und mehr zu schätzen.« Der Duke lachte. »Wie sieht es mit unserem Kartenspiel nach dem Dinner aus? Bleibt es dabei?«
»Aber ja. Was wäre ein Tag mit dir ohne Glücksspiel?«
»Und ohne Zigarren«, ergänzte die Countess und lächelte glücklich.
Der Speisesaal war größer als die Große Halle und für die weniger als dreißig Menschen, die darin ihr Essen einnahmen, riesig. Die Professoren und der Duke aßen auf einem Podest am Kopfende des Saals, doch die Schüler konnten sich an den kleinen Tischen, die auf ebener Erde standen, ihre Plätze aussuchen. An der Seite des Raums, an der sie reingekommen waren, befand sich eine Empore mit einer gewundenen Marmortreppe. Auf der Empore gab es einen Bogengang, der, wie Violet vermutete, auf die Brücke führte, die sie in der Großen Halle gesehen hatten.
Jack holte den Gebäudeplan aus seinen Unterlagen. »Der Bogengang dort oben«, sagte er zu Violet und zeigte auf die Empore, »muss zu der Brücke führen, über die man in die Privatgemächer des Dukes kommt. Das ist sein privater Eingang.«
»Das nehme ich an«, antwortete Violet. sie starrte die anderen drei Männer an ihrem Tisch an, die nervös zurückstarrten. Jack blickte auf. Er hatte ganz offensichtlich die anderen Schüler, mit denen er an einem Tisch saß, völlig vergessen. sie alle waren neu wie er und Violet. Niemand sagte ein Wort. sie aßen stumm und warfen sich hin und wieder Blicke zu. An den anderen Tischen unterhielt man sich angeregt.
»so«, beschloss Jack. »Ich denke, wir werden alle zusammen Unterricht haben. Ich bin Jack Feste. Das ist Ashton Adams. Und wer seid ihr drei?«
Die drei Männer guckten ihn interessiert an. Der, der von ihnen am besten aussah, ergriff als Erster das Wort. »Ich bin Roger Fairfax, Earl von Cheshireford«, stellte er sich vor und reckte stolz das Kinn, was ihn gleich nicht mehr so gut aussehen ließ.
Der Größte von ihnen reichte Jack die Hand. »Ich bin James Lane«, sagte er.
schließlich streckte der Kleinste eifrig die Hand aus und stellte sich vor. »Humphrey Merriman«, sagte er mit leicht irischem Akzent. sie schüttelten sich die Hände und verfielen erneut in schweigen.
Violet sah sich die Männer ihr gegenüber und an den anderen Tischen an. sie war froh, dass keiner, selbst der Attraktivste nicht, irgendwelche romantischen Gefühle in ihr wachrief, sodass sie nicht von verliebten Anwandlungen abgelenkt werden würde.
Was das anging, hatte Violet mehr Glück als die anderen Schüler, denn in diesem Augenblick tauchte Cecily Worthing, die Cousine des Dukes und sein Mündel, in dem Bogengang auf, den Jack eben erwähnt hatte, und kam die Wendeltreppe herunter, um an dem Tisch ihres Cousins Platz zu nehmen. Die Gespräche verstummten, als die Schüler einer nach dem anderen auf sie aufmerksam wurden und sie anstarrten. Die älteren Schüler hatten sie natürlich schon einmal gesehen. Die meisten von ihnen wandten sich schnell wieder ihrem Essen zu, da sie sich nicht den Zorn des Dukes zuziehen wollten, obwohl sich alle im stillen wünschten, sie an ihren Tisch zu bitten.
Da Cecily die einzige junge Dame war, der der Aufenthalt in den Hallen von Illyria gestattet war, war es nur natürlich, dass die Schüler um ihre Aufmerksamkeit buhlten, wie junge Männer häufig und gern um die Aufmerksamkeit einer jungen Dame buhlen. Doch selbst wenn Cecily nur eine von Hunderten junger Damen in Illyria gewesen wäre, wäre ihre Gesellschaft trotzdem die erstrebenswerteste gewesen.
sie war bezaubernd. Ein wenig klein, aber mit einer anmutigen Figur, langem, goldenem Haar und einer klaren, hellen Haut, die in den bronzenen Hallen leuchtete. Ihr Lachen war von einer Art, die alle um sie herum augenblicklich auch lachen ließ, und das nicht nur wegen der zarten rosa Farbe ihrer Lippen oder ihrer perfekten Zähne, sondern weil dieses Lachen, wenn sie glücklich war, an einen frischen Landwind erinnerte, der sich einen Weg in die kohlengeschwängerte Luft der Stadt gesucht hatte.
Jack, der bisher nie für romantische Gefühle anfällig gewesen war, verliebte sich auf der stelle in sie. Er hatte während seiner Schulzeit die Bekanntschaft einiger Mädchen gemacht, Dorfmädchen, die offen grinsten und einen ungeschliffenen Charme verströmten. Und natürlich kannte er Violet, doch sie war mehr wie eine Schwester für ihn. In London hatte er oft den Damen der Aristokratie mit ihren großen Hüten und schmalen Taillen hinterhergesehen, doch keine war mit Cecily vergleichbar gewesen. sie bewegte sich zwischen den Tischen hindurch wie ein schwan, der auf einem Fluss dahinglitt. sie küsste den Duke mit der Sanftheit eines Kolibris auf die Wange und schob ihr offenes Haar mit einer einfachen Geste hinter das Ohr wie eine weiße Taube, die sich in die Lüfte erhob. In diesem Moment wusste Jack, dass er nichts erschaffen konnte, das so schön war wie sie, selbst wenn er tausend Jahre leben und forschen würde. »Wer ist das?«, fragte er.
Übersetzung: Hanne Hammer
© 2012 INK verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Lev A. C. Rosen
Lev AC Rosen wurde an einem 13. April geboren. Gerne erzählt er, dass es Freitag, der 13. gewesen ist, in Wirklichkeit war es aber ein Montag. Er wuchs in Manhattan auf und hat am Oberlin College in Ohio Kreatives Schreiben und Englisch studiert. Danach kehrte er, so schnell er konnte, nach Manhattan zurück. DIE ERFINDUNG DER VIOLET ADAMS ist Levs erster Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lev A. C. Rosen
- Altersempfehlung: 14 - 17 Jahre
- 2012, 1. Aufl., 560 Seiten, Maße: 16,1 x 22,6 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Hammer, Hanne
- Übersetzer: Hanne Hammer, Charlotte-Christiane Hammer
- Verlag: Ink
- ISBN-10: 3863960319
- ISBN-13: 9783863960315
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