34 Meter über dem Meer
Roman
Ella und Horowitz könnten nicht unterschiedlicher sein: Ella, jung und verträumt, beginnt gerade ihren ersten Job bei einem Radiosender und hat sich zum ersten Mal verliebt - in Paul. Horowitz, alt und schrullig, ist gescheiterter Meeresforscher. Doch eines...
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Produktinformationen zu „34 Meter über dem Meer “
Klappentext zu „34 Meter über dem Meer “
Ella und Horowitz könnten nicht unterschiedlicher sein: Ella, jung und verträumt, beginnt gerade ihren ersten Job bei einem Radiosender und hat sich zum ersten Mal verliebt - in Paul. Horowitz, alt und schrullig, ist gescheiterter Meeresforscher. Doch eines verbindet die beiden: Sie wünschen sich ein anderes Leben. Über eine merkwürdige Annonce treffen sie aufeinander: "6-Zimmer-Wohnung in Berlin-Charlottenburg zu tauschen gegen 2/3-Zimmer." Ella geht sofort auf das Angebot ein, und zögerlich beginnt sie, Paul in ihre Nähe zu lassen. Annika Reich erzählt mit Witz und Melancholie, mit Intelligenz und Intensität von der Unmöglichkeit, ein authentisches Leben zu führen.
Lese-Probe zu „34 Meter über dem Meer “
34 Meter über dem Meer von Annika Reich... mehr
2
Freitagmorgen. Ella ging gleich nach dem Duschen aus dem Haus, um einen Kaffee in dem kleinen Laden an der Ecke zu trinken, in dem die Gäste damit beschäftigt waren, der schönen Schwedin beim Schäumen der Milch zuzusehen. Einige blieben so lange, dass sie zu spät zur Arbeit kamen, andere verliebten sich heillos und kamen nie wieder.
Ella saß auf der kleinen Fensterbank mit blauweiß gestreiften Kissen, trank ihren Kaffee und dachte an gestern Abend. Paul war nach dem ersten Kuss gegangen. Kaum hatten sie sich vor ihrer Haustür geküsst, hatte er sich umgedreht, war in sein Auto gestiegen und abgefahren. Einfach so. Es hatte nicht wie ein Spielchen gewirkt, sondern eher wie neunzehntes Jahrhundert. Die Schwedin ging nun quer durch den Raum, ihre langen Arme schlackerten um ihre schmale Taille, und die vielen dünnen Armreifen klimperten dabei. Der ganze Laden hielt den Atem an. Ella schaute sich um. Die Stimmung hier war wie für sie gemacht, sie konnte ein bisschen mitknistern und war nicht gemeint. Sie las eine Zeitschrift, beschloss, sich nicht bei Paul zu melden, trank ihren Kaffee aus, winkte der Schwedin und ging hinaus. Zwei Männer stolperten mit verklärtem Blick hinter ihr aus der Tür, hielten inne, warfen einen erschrockenen Blick auf ihre Armbanduhren und eilten davon.
Ella schlenderte zurück nach Hause und überlegte auf dem Weg, was sie mit ihrem freien Tag anfangen sollte. Vier Wochen waren seit dem Ende ihres Studiums vergangen, vier lange Wochen. Ihre neue Arbeit beim Radiosender würde am Montag endlich beginnen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie sofort angefangen, aber das hatte nicht geklappt. Wenn sie studierte oder arbeitete, waren die Ziele klar, aber wenn sie nichts zu tun hatte, dann ließ sie sich so ausgiebig vom Weg abbringen, dass sie manchmal abhandenkam. Nun stand das letzte arbeitslose Wochenende bevor, und dass Paul sie gestern Abend vor dem Haus stehengelassen hatte, machte es nicht leichter. Paul, der so wohlproportioniert und zielstrebig wirkte, der schon morgens zu wissen schien, was der Abend brachte, und abends, wie der nächste Morgen aussah. Dieser Paul, der Tag und Nacht in Verbindung bringen konnte wie kein anderer, hatte den gestrigen Abend einfach in vollem Lauf abgebrochen. Ella stand vor einem kleinen Blumenladen, als sie den Chef des Cafés bemerkte. Er fuhr mit dem Fahrrad an ihr vorbei, eine Kiste mit Croissants auf dem Gepäckträger, und rief: »War gestern bei deiner Schwester in der Praxis, mir tut immer noch alles weh. Ist 'ne harte Nummer, deine Schwester.« Ella lachte, zuckte mit den Schultern und winkte ihm hinterher. Ihre Schwester. Früher konnte Ella sich an den Zielen ihrer Schwester ausrichten, dann wusste sie wenigstens, was sie nicht wollte. Doch das war irgendwann vorbei. Danach hatte das Studium die Orientierung übernommen, sie hatte dieses ernsthafter betrieben als die meisten ihrer Kommilitoninnen und immer ihr eigenes Geld verdient, nie auch nur einen Pfennig von ihrer Mutter angenommen. Die meisten Leute, die sie aus dem Studium und ihren diversen Jobs kannten, waren erstaunt über ihr haltloses Privatleben, und die meisten, die sie nie bei der Arbeit erlebt hatten, trauten ihr nicht zu, auch nur einmal pünktlich in der Vorlesung oder am Arbeitsplatz zu erscheinen. Und so hatte sie nun vier Wochen lang versucht, sich nicht zu viel herumzutreiben und sich stattdessen ihr künftiges Leben auszumalen: wie sie Reportagen, Porträts und Hörspiele schreiben und wie ihre Stimme im Radio klingen würde; wie sie vom Sender zu Paul fahren und ihm erzählen würde, was sie alles Neues gehört hatte, und wie Paul ihr ins Ohr flüstern würde, dass er ihre rauhe Stimme mochte; wie er sich ihre Geschichten anhören und sie ihm ihr Leben erzählen würde - in immer neuen Versionen, bis es sich gut anhörte, bis es zu ihr passte und anders war als das, in das sie hineingeboren war, anders als das, was ihre Mutter ihr vorgelebt, und auch anders als das, was ihre Schwester gewählt hatte.
Wenn sie sowieso auf den Beginn ihrer Arbeit warten musste, dann konnte sie heute auch ihre Schwester Jasmin besuchen. Ihre Entweder-oder-Schwester, die kein Sowohl-alsauch aushielt; ihre Schwester, die ihre eigenen Wünsche immer nur an Dinge heftete, die unmittelbar erreichbar waren, und diese, sobald sie sie erreicht hatte, mit einer Sicherheitsnadel durchstach. Ihre Schwester, zu der kein Name weniger passte als der einer tropischen Blume - und die trotz allem ihre Schwester war. Ella holte ihr Telefon aus der Tasche und wählte Jasmins Nummer.
Dann riss der Film. Zuerst nur die Geräusche: Bremsen quietschten, ein dumpfer Schlag, kurz Stille, dann Schreie von links, von rechts, dann wieder Stille. Dann die Szene: Ein Lastwagen erfasste eine Radfahrerin, riss sie vom Sattel und schleuderte sie hoch. Sie flog wie eine Puppe durch die Luft - mit krummem Rücken. Beine, Arme und Kopf schlapp nach unten hängend. Die Radfahrerin flog in Zeitlupe auf Ella zu und landete direkt vor ihr, ein Arm auf ihren Füßen. Der Aufprall auf dem Asphalt. Ella hatte nicht einmal ihren Fuß weggezogen, sie war einfach stehengeblieben. Jetzt kam ein dicker Mann im Unterhemd an gerannt - mit aufgerissenem Mund. Der Lastwagenfahrer. Er starrte Ella an und fuchtelte wild mit den Armen. Links von ihr tauchte eine Frau in einem Hosenanzug auf, beugte sich über die Fahrradfahrerin, deren Arm immer noch auf Ellas Füßen lag. Auch sie schrie etwas in Ellas Richtung und machte Handbewegungen, die Ella nicht verstand. Sie blickte von einem zur anderen und schüttelte den Kopf. Es rauschte in ihren Ohren. Sie hörte die Stimmen des Lastwagenfahrers, der Frau mit dem Hosenanzug und eine ferne Sirene so gedämpft, als wäre die Straße geflutet worden und sie allein unter Wasser. Dann hörte sie plötzlich ihren eigenen Atem, laut und deutlich.
Ella atmete schwer und schaute auf ihre Füße. Die Frau auf Ellas Füßen atmete auch. Ihr Brustkorb hob und senkte sich kaum wahrnehmbar, aber er bewegte sich. Die Frau war bewusstlos, ihr Gesichtsausdruck friedlich, obwohl schon jetzt Schwellungen und Schrammen sichtbar waren. Ihre Lippen waren dick und aufgeplatzt. Aus ihrem Ohr blutete es. Die Frau mit dem Hosenanzug war verschwunden. Während Ella sich nach unten beugte, verging eine Zeitspanne, auf die sie keinen Zugriff hatte. Sie hörte ein paar Vögel über sich zwitschern und schaute auf das Blut, das auf den Asphalt tropfte. Dann kniete Ella neben der Frau und schaute sie genau an, als müsste sie eine Vermisstenanzeige aufgeben: Mitte zwanzig, hellblond gefärbt, Fahrradkurierin. Orangefarbene Rückentasche mit schwarzem Streifen an der Seite, abgewetzte Radlerhose, kein Helm. Auf dem großen schwarzen Walkie-Talkie waren Reste eines Aufklebers zu erkennen. Unter dem enganliegenden, silbern-grau glänzenden T-Shirt blitzte ein buntes Tattoo hervor, das vom Dekolleté den Hals heraufkroch. Zuerst dachte Ella, es wäre das Ende eines Drachenschwanzes, aber es war ein Pfauenrad. Die blauen Pfauenaugen leuchteten auf der hellen Haut. Das Blut tropfte in exaktem Sekundentakt aus ihrem Ohr, als liefe ein Countdown. Zehn, neun, acht. Ella fühlte den Puls der Frau am Handgelenk, aber sie spürte nichts. Sieben, sechs, fünf. Die Frau hatte feste Waden und eine große, lange Narbe auf dem rechten Schienbein. Um Ella herum plötzlich Gemurmel, Gehupe, aufgeregte Rufe, Kindergeschrei, dann wieder Stille. Irgendjemand in ihr schien die Lautstärke mit groben Handgriffen zu regeln. Ella wurde schwindelig. Sie nahm die Hand der blonden Frau und hielt sie. Vier, drei, zwei. Jetzt stand die Frau mit dem Hosenanzug wieder neben ihr und versuchte ihr etwas mitzuteilen, das sie nicht verstand. Bild- und Tonspur passten einfach nicht zusammen. Eins. Ella hatte die Hand der Fahrradkurierin in ihrer Hand und dachte nur: Sie halten. Sie halten. Sie halten. Da packte jemand Ella an der Schulter und schob sie zur Seite. Ein Sanitäter. Ella setzte sich einen Meter entfernt auf den Bürgersteig und legte den Kopf in die Hände. Noch mehr Sirenen, das Kindergeschrei verstummte. Ein junger Mann kniete sich neben sie, sein Gesicht war plötzlich ganz nah und viel zu groß: »Brauchen Sie Hilfe?«
Ella schaute ihn an, wusste nicht, was er meinte. Als er wieder kleiner wurde, nickte sie.
»Wasser?«, fragte er.
Sie nickte erneut.
Er stand auf, nahm die Flasche des ramponierten Fahrrads aus der Verankerung und hielt sie ihr hin. Sie schüttelte den Kopf.
»Entschuldigung«, murmelte er, »Entschuldigung.«
Sie nickte.
Der junge Mann holte ein Telefon aus der Tasche, wählte eine Nummer und sagte atemlos: »Kannst du mal kommen? Da war ein schlimmer Unfall an der Kreuzung bei der Schwedin ... Nein, ihr ist nichts passiert.« Er schwieg kurz, dann sagte er: »Ach so, na dann, nein, klar, geht auch so«, und legte auf. Ella schüttelte wieder den Kopf, nahm die Flasche aus seiner Hand und trank. »Ein Schlag, und alles ist anders. So schnell geschnitten, nichts passt mehr zusammen«, sagte der junge Mann vor sich auf den Boden. Wieso dachte man in solchen Situationen eigentlich immer: Das war wie im Film? Wieso dachte man nicht: Das war wie im Leben?
Das Wasser erreichte Ellas Magen.
Der junge Mann schüttelte den Kopf und stand auf. Mit Tränen in den Augen ging er davon. Plötzlich hörte Ella die Geräusche um sich herum wieder in normaler Lautstärke, ohne Unterbrechungen, Ton- und Bildspur passten wieder übereinander.
Die Sanitäter hatten die junge Frau auf eine Bahre gehoben.
Ein Polizist kam auf sie zu: »Haben Sie den Unfallhergang gesehen?«
Sie nickte.
Hergang, Gehörgang.
»Sie hat aus dem Ohr geblutet«, flüsterte sie.
»Wir kümmern uns um sie.«
Jetzt weinte Ella auch.
»Würden Sie mir Ihren Namen nennen?«, fragte der Polizist.
Ella hielt ihm ihre Tasche hin.
Er reagierte nicht.
Die Sanitäter schoben die Bahre in den Wagen. Zwei weitere Polizeiwagen parkten, die Kreuzung war längst gesperrt.
»Ihr Name?«, fragte der Polizist Ella jetzt noch einmal.
Sie öffnete ihre Tasche und holte ihren Personalausweis heraus.
Sie schaute auf ihren Namen: Ella Rot.
»Kommt sie in die Charité?«, fragte sie.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte der Polizist in einem gleichmäßigen Tonfall.
Sie schüttelte den Kopf: »Sie hat aus dem Ohr geblutet.«
»Kommen Sie, wir nehmen Sie mit ins Krankenhaus, dort gibt man Ihnen was zur Beruhigung«, sagte er wieder, und nichts hob sich in seiner Stimme, nichts senkte sich. Wenn der Film reißt, dann tritt nicht das Leben dahinter hervor, dann wird nur ein anderes dazwischengeschnitten. Alles findet auf einer Ebene statt, keine Bewertungen. Jemand spricht über seine Steuererklärung, und gleich danach steht er auf und knallt jemanden ab, alles im gleichen Film, im gleichen Leben.
Ella hörte auf zu weinen und stieg in den Krankenwagen ein.
Der Fahrer sagte mit Blick nach vorn: »Wir sind gleich da. Näher an der Charité kann man sich kaum zusammenfahren lassen.«
Ella drehte sich weg.
»Entschuldigung, ich wollte nicht ...«, murmelte er.
Da hielt der Krankenwagen, und alles wurde ganz hektisch.
Als die Sanitäter die Bahre herunterließen, öffnete die junge Frau einmal kurz die Augen und schaute Ella an. Ella lächelte und sagte: »Ich warte auf Sie.«
Die junge Frau nickte und schloss die Augen wieder. Die Schwellung ihrer Lippen war monströs.
Man bedeutete Ella, in einem Warteraum Platz zu nehmen. Hier saßen eine türkische Familie, ein Bauarbeiter mit einem blutigen, von Staub bedeckten Verband um den linken Arm und ein junges, bleiches Mädchen, das an einem neongrünen Schal strickte, der bereits bis auf den Boden reichte und dem Schwanz einer Nixe glich. Ella grüßte nickend, nur der Bauarbeiter grüßte zurück. Dann überfiel sie schlagartig eine solche Müdigkeit, dass sie sich auf die freie Stuhlreihe legen musste. Das strickende Mädchen schaute sie unverwandt an. Ella stierte eine Weile auf die Fotos, die an der Wand hingen, billige Wechselrahmen an Nylonfäden, sie zeigten Bilder vom Meer, windstilles Blau, Schaumkronen, aufgewühlte See, dann schlief sie ein. Ella trug eine magentafarbene Badehaube, die mit einer Strassschnalle unter dem Kinn geschlossen wurde. Sie bewegte sich nicht, um sie herum raschelte es. Das Meer raschelt doch nicht, wunderte sie sich, das Meer plätschert, peitscht, tost, aber es raschelt nicht. Wo war sie? Sie tastete mit ihrer linken Hand die Schnalle ihrer Badehaube ab: Sie hatte die Form eines Seesterns. Sie fuhr mit der Hand über ihre Lippen (noch da), über ihrer Nase (groß) bis hin zu ihren geschlossenen Lidern.
Ihre Wimpern fühlten sich drahtig an, künstlich, aufgeklebt. Sie riss einen Wimpernbogen ab, dann öffnete sie das Auge. Um sie herum kräuselten sich aufgerollte Filmrollen. Ihr ganzer Körper steckte in einem Meer aus Zelluloid. Sie versuchte den Kopf anzuheben, Land zu sehen, und es gelang ihr tatsächlich mit zwei Beinschlägen, etwas höher zu kommen. Sie war nicht weit vom Ufer entfernt. Am Ufer stand die blond gefärbte Fahrradkurierin und winkte ihr.
»Gerissen«, rief sie Ella zu.
»Der Film?«, rief Ella zurück.
»Das Trommelfell.«
»Hallo?«, hörte Ella plötzlich eine tiefe Stimme sagen, und eine Hand rüttelte sie leicht. Sie öffnete die Augen, vor ihr weiße Knie. »Sie gehören doch zu der Frau aus der Torstraße, oder?«, sagte die Stimme, die zu den weißen Knien gehörte.
Ella richtete sich auf, strich sich durch die Haare, übers Gesicht. Wie lange hatte sie geschlafen?
»Sie hat ziemliches Glück gehabt«, vernahm Ella die Stimme wieder. Sie gehörte zu einem frisch rasierten jungen Mann, der versuchte, seriös zu sein oder zumindest so zu wirken.
Ella rieb sich die Augen.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte der Arzt, und das Arztsein gelang
ihm von Satz zu Satz besser.
»Ich glaube schon«, sagte sie.
»Sie hat nach Ihnen gefragt und würde Sie gerne sehen. Ich kann Sie zu ihr bringen, aber nur kurz.«
»Was?«, stammelte Ella und richtete sich auf. »Und das Trommelfell?«
»Brauchen Sie was zur Beruhigung?«, fragte der Arzt.
»Wenn es so was gibt«, sagte sie.
Der Arzt lächelte (kurz blitzte etwas hinter der Arztfassade hervor, das ihr gefiel) und nahm sie mit in eines der vielen offenstehenden Zimmer.
»Darf ich mir eine Farbe aussuchen?«, fragte sie.
Er schaute sie fragend an.
Die Pille war grün-weiß gestreift, und er drückte sie Ella direkt in die Handmulde.
»Danke.«
Er reichte ihr einen Plastikbecher mit Wasser, sie schluckte und gab ihm den Becher zurück. Dann bat er sie, ihm zu folgen. Endlose Gänge und Kreuzungen, durch die an einigen Stellen zwei Betten aneinander vorbeirangiert wurden, automatische Türen; Tropfe, die an faltigen Armen befestigt waren;
Schwesternzimmer; Ärzte, die Patienten verabschiedeten. Die türkische Großmutter aus dem Wartezimmer saß nun auf einem Gang und hatte eine Plastikschachtel mit geschnittenen sauren Gurken auf dem Schoß. Einer der Enkel verzog das Gesicht, aber die Großmutter hatte ihn am Schlafittchen und schob ihm die runden Gurkenscheiben zwischen die Lippen, eine nach der anderen, als befüllte sie einen Münzautomaten. Die Schritte des Arztes hallten in Ella wider. Dann traten sie in ein Schleusenzimmer. Sie musste sich waschen, desinfizieren, Schutzkleidung anziehen, eine Maske über Mund und Nase ziehen und fühlte sich erstaunlich wohl in ihrer neuen Hülle.
© Carl Hanser Verlag, München
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Freitagmorgen. Ella ging gleich nach dem Duschen aus dem Haus, um einen Kaffee in dem kleinen Laden an der Ecke zu trinken, in dem die Gäste damit beschäftigt waren, der schönen Schwedin beim Schäumen der Milch zuzusehen. Einige blieben so lange, dass sie zu spät zur Arbeit kamen, andere verliebten sich heillos und kamen nie wieder.
Ella saß auf der kleinen Fensterbank mit blauweiß gestreiften Kissen, trank ihren Kaffee und dachte an gestern Abend. Paul war nach dem ersten Kuss gegangen. Kaum hatten sie sich vor ihrer Haustür geküsst, hatte er sich umgedreht, war in sein Auto gestiegen und abgefahren. Einfach so. Es hatte nicht wie ein Spielchen gewirkt, sondern eher wie neunzehntes Jahrhundert. Die Schwedin ging nun quer durch den Raum, ihre langen Arme schlackerten um ihre schmale Taille, und die vielen dünnen Armreifen klimperten dabei. Der ganze Laden hielt den Atem an. Ella schaute sich um. Die Stimmung hier war wie für sie gemacht, sie konnte ein bisschen mitknistern und war nicht gemeint. Sie las eine Zeitschrift, beschloss, sich nicht bei Paul zu melden, trank ihren Kaffee aus, winkte der Schwedin und ging hinaus. Zwei Männer stolperten mit verklärtem Blick hinter ihr aus der Tür, hielten inne, warfen einen erschrockenen Blick auf ihre Armbanduhren und eilten davon.
Ella schlenderte zurück nach Hause und überlegte auf dem Weg, was sie mit ihrem freien Tag anfangen sollte. Vier Wochen waren seit dem Ende ihres Studiums vergangen, vier lange Wochen. Ihre neue Arbeit beim Radiosender würde am Montag endlich beginnen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie sofort angefangen, aber das hatte nicht geklappt. Wenn sie studierte oder arbeitete, waren die Ziele klar, aber wenn sie nichts zu tun hatte, dann ließ sie sich so ausgiebig vom Weg abbringen, dass sie manchmal abhandenkam. Nun stand das letzte arbeitslose Wochenende bevor, und dass Paul sie gestern Abend vor dem Haus stehengelassen hatte, machte es nicht leichter. Paul, der so wohlproportioniert und zielstrebig wirkte, der schon morgens zu wissen schien, was der Abend brachte, und abends, wie der nächste Morgen aussah. Dieser Paul, der Tag und Nacht in Verbindung bringen konnte wie kein anderer, hatte den gestrigen Abend einfach in vollem Lauf abgebrochen. Ella stand vor einem kleinen Blumenladen, als sie den Chef des Cafés bemerkte. Er fuhr mit dem Fahrrad an ihr vorbei, eine Kiste mit Croissants auf dem Gepäckträger, und rief: »War gestern bei deiner Schwester in der Praxis, mir tut immer noch alles weh. Ist 'ne harte Nummer, deine Schwester.« Ella lachte, zuckte mit den Schultern und winkte ihm hinterher. Ihre Schwester. Früher konnte Ella sich an den Zielen ihrer Schwester ausrichten, dann wusste sie wenigstens, was sie nicht wollte. Doch das war irgendwann vorbei. Danach hatte das Studium die Orientierung übernommen, sie hatte dieses ernsthafter betrieben als die meisten ihrer Kommilitoninnen und immer ihr eigenes Geld verdient, nie auch nur einen Pfennig von ihrer Mutter angenommen. Die meisten Leute, die sie aus dem Studium und ihren diversen Jobs kannten, waren erstaunt über ihr haltloses Privatleben, und die meisten, die sie nie bei der Arbeit erlebt hatten, trauten ihr nicht zu, auch nur einmal pünktlich in der Vorlesung oder am Arbeitsplatz zu erscheinen. Und so hatte sie nun vier Wochen lang versucht, sich nicht zu viel herumzutreiben und sich stattdessen ihr künftiges Leben auszumalen: wie sie Reportagen, Porträts und Hörspiele schreiben und wie ihre Stimme im Radio klingen würde; wie sie vom Sender zu Paul fahren und ihm erzählen würde, was sie alles Neues gehört hatte, und wie Paul ihr ins Ohr flüstern würde, dass er ihre rauhe Stimme mochte; wie er sich ihre Geschichten anhören und sie ihm ihr Leben erzählen würde - in immer neuen Versionen, bis es sich gut anhörte, bis es zu ihr passte und anders war als das, in das sie hineingeboren war, anders als das, was ihre Mutter ihr vorgelebt, und auch anders als das, was ihre Schwester gewählt hatte.
Wenn sie sowieso auf den Beginn ihrer Arbeit warten musste, dann konnte sie heute auch ihre Schwester Jasmin besuchen. Ihre Entweder-oder-Schwester, die kein Sowohl-alsauch aushielt; ihre Schwester, die ihre eigenen Wünsche immer nur an Dinge heftete, die unmittelbar erreichbar waren, und diese, sobald sie sie erreicht hatte, mit einer Sicherheitsnadel durchstach. Ihre Schwester, zu der kein Name weniger passte als der einer tropischen Blume - und die trotz allem ihre Schwester war. Ella holte ihr Telefon aus der Tasche und wählte Jasmins Nummer.
Dann riss der Film. Zuerst nur die Geräusche: Bremsen quietschten, ein dumpfer Schlag, kurz Stille, dann Schreie von links, von rechts, dann wieder Stille. Dann die Szene: Ein Lastwagen erfasste eine Radfahrerin, riss sie vom Sattel und schleuderte sie hoch. Sie flog wie eine Puppe durch die Luft - mit krummem Rücken. Beine, Arme und Kopf schlapp nach unten hängend. Die Radfahrerin flog in Zeitlupe auf Ella zu und landete direkt vor ihr, ein Arm auf ihren Füßen. Der Aufprall auf dem Asphalt. Ella hatte nicht einmal ihren Fuß weggezogen, sie war einfach stehengeblieben. Jetzt kam ein dicker Mann im Unterhemd an gerannt - mit aufgerissenem Mund. Der Lastwagenfahrer. Er starrte Ella an und fuchtelte wild mit den Armen. Links von ihr tauchte eine Frau in einem Hosenanzug auf, beugte sich über die Fahrradfahrerin, deren Arm immer noch auf Ellas Füßen lag. Auch sie schrie etwas in Ellas Richtung und machte Handbewegungen, die Ella nicht verstand. Sie blickte von einem zur anderen und schüttelte den Kopf. Es rauschte in ihren Ohren. Sie hörte die Stimmen des Lastwagenfahrers, der Frau mit dem Hosenanzug und eine ferne Sirene so gedämpft, als wäre die Straße geflutet worden und sie allein unter Wasser. Dann hörte sie plötzlich ihren eigenen Atem, laut und deutlich.
Ella atmete schwer und schaute auf ihre Füße. Die Frau auf Ellas Füßen atmete auch. Ihr Brustkorb hob und senkte sich kaum wahrnehmbar, aber er bewegte sich. Die Frau war bewusstlos, ihr Gesichtsausdruck friedlich, obwohl schon jetzt Schwellungen und Schrammen sichtbar waren. Ihre Lippen waren dick und aufgeplatzt. Aus ihrem Ohr blutete es. Die Frau mit dem Hosenanzug war verschwunden. Während Ella sich nach unten beugte, verging eine Zeitspanne, auf die sie keinen Zugriff hatte. Sie hörte ein paar Vögel über sich zwitschern und schaute auf das Blut, das auf den Asphalt tropfte. Dann kniete Ella neben der Frau und schaute sie genau an, als müsste sie eine Vermisstenanzeige aufgeben: Mitte zwanzig, hellblond gefärbt, Fahrradkurierin. Orangefarbene Rückentasche mit schwarzem Streifen an der Seite, abgewetzte Radlerhose, kein Helm. Auf dem großen schwarzen Walkie-Talkie waren Reste eines Aufklebers zu erkennen. Unter dem enganliegenden, silbern-grau glänzenden T-Shirt blitzte ein buntes Tattoo hervor, das vom Dekolleté den Hals heraufkroch. Zuerst dachte Ella, es wäre das Ende eines Drachenschwanzes, aber es war ein Pfauenrad. Die blauen Pfauenaugen leuchteten auf der hellen Haut. Das Blut tropfte in exaktem Sekundentakt aus ihrem Ohr, als liefe ein Countdown. Zehn, neun, acht. Ella fühlte den Puls der Frau am Handgelenk, aber sie spürte nichts. Sieben, sechs, fünf. Die Frau hatte feste Waden und eine große, lange Narbe auf dem rechten Schienbein. Um Ella herum plötzlich Gemurmel, Gehupe, aufgeregte Rufe, Kindergeschrei, dann wieder Stille. Irgendjemand in ihr schien die Lautstärke mit groben Handgriffen zu regeln. Ella wurde schwindelig. Sie nahm die Hand der blonden Frau und hielt sie. Vier, drei, zwei. Jetzt stand die Frau mit dem Hosenanzug wieder neben ihr und versuchte ihr etwas mitzuteilen, das sie nicht verstand. Bild- und Tonspur passten einfach nicht zusammen. Eins. Ella hatte die Hand der Fahrradkurierin in ihrer Hand und dachte nur: Sie halten. Sie halten. Sie halten. Da packte jemand Ella an der Schulter und schob sie zur Seite. Ein Sanitäter. Ella setzte sich einen Meter entfernt auf den Bürgersteig und legte den Kopf in die Hände. Noch mehr Sirenen, das Kindergeschrei verstummte. Ein junger Mann kniete sich neben sie, sein Gesicht war plötzlich ganz nah und viel zu groß: »Brauchen Sie Hilfe?«
Ella schaute ihn an, wusste nicht, was er meinte. Als er wieder kleiner wurde, nickte sie.
»Wasser?«, fragte er.
Sie nickte erneut.
Er stand auf, nahm die Flasche des ramponierten Fahrrads aus der Verankerung und hielt sie ihr hin. Sie schüttelte den Kopf.
»Entschuldigung«, murmelte er, »Entschuldigung.«
Sie nickte.
Der junge Mann holte ein Telefon aus der Tasche, wählte eine Nummer und sagte atemlos: »Kannst du mal kommen? Da war ein schlimmer Unfall an der Kreuzung bei der Schwedin ... Nein, ihr ist nichts passiert.« Er schwieg kurz, dann sagte er: »Ach so, na dann, nein, klar, geht auch so«, und legte auf. Ella schüttelte wieder den Kopf, nahm die Flasche aus seiner Hand und trank. »Ein Schlag, und alles ist anders. So schnell geschnitten, nichts passt mehr zusammen«, sagte der junge Mann vor sich auf den Boden. Wieso dachte man in solchen Situationen eigentlich immer: Das war wie im Film? Wieso dachte man nicht: Das war wie im Leben?
Das Wasser erreichte Ellas Magen.
Der junge Mann schüttelte den Kopf und stand auf. Mit Tränen in den Augen ging er davon. Plötzlich hörte Ella die Geräusche um sich herum wieder in normaler Lautstärke, ohne Unterbrechungen, Ton- und Bildspur passten wieder übereinander.
Die Sanitäter hatten die junge Frau auf eine Bahre gehoben.
Ein Polizist kam auf sie zu: »Haben Sie den Unfallhergang gesehen?«
Sie nickte.
Hergang, Gehörgang.
»Sie hat aus dem Ohr geblutet«, flüsterte sie.
»Wir kümmern uns um sie.«
Jetzt weinte Ella auch.
»Würden Sie mir Ihren Namen nennen?«, fragte der Polizist.
Ella hielt ihm ihre Tasche hin.
Er reagierte nicht.
Die Sanitäter schoben die Bahre in den Wagen. Zwei weitere Polizeiwagen parkten, die Kreuzung war längst gesperrt.
»Ihr Name?«, fragte der Polizist Ella jetzt noch einmal.
Sie öffnete ihre Tasche und holte ihren Personalausweis heraus.
Sie schaute auf ihren Namen: Ella Rot.
»Kommt sie in die Charité?«, fragte sie.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte der Polizist in einem gleichmäßigen Tonfall.
Sie schüttelte den Kopf: »Sie hat aus dem Ohr geblutet.«
»Kommen Sie, wir nehmen Sie mit ins Krankenhaus, dort gibt man Ihnen was zur Beruhigung«, sagte er wieder, und nichts hob sich in seiner Stimme, nichts senkte sich. Wenn der Film reißt, dann tritt nicht das Leben dahinter hervor, dann wird nur ein anderes dazwischengeschnitten. Alles findet auf einer Ebene statt, keine Bewertungen. Jemand spricht über seine Steuererklärung, und gleich danach steht er auf und knallt jemanden ab, alles im gleichen Film, im gleichen Leben.
Ella hörte auf zu weinen und stieg in den Krankenwagen ein.
Der Fahrer sagte mit Blick nach vorn: »Wir sind gleich da. Näher an der Charité kann man sich kaum zusammenfahren lassen.«
Ella drehte sich weg.
»Entschuldigung, ich wollte nicht ...«, murmelte er.
Da hielt der Krankenwagen, und alles wurde ganz hektisch.
Als die Sanitäter die Bahre herunterließen, öffnete die junge Frau einmal kurz die Augen und schaute Ella an. Ella lächelte und sagte: »Ich warte auf Sie.«
Die junge Frau nickte und schloss die Augen wieder. Die Schwellung ihrer Lippen war monströs.
Man bedeutete Ella, in einem Warteraum Platz zu nehmen. Hier saßen eine türkische Familie, ein Bauarbeiter mit einem blutigen, von Staub bedeckten Verband um den linken Arm und ein junges, bleiches Mädchen, das an einem neongrünen Schal strickte, der bereits bis auf den Boden reichte und dem Schwanz einer Nixe glich. Ella grüßte nickend, nur der Bauarbeiter grüßte zurück. Dann überfiel sie schlagartig eine solche Müdigkeit, dass sie sich auf die freie Stuhlreihe legen musste. Das strickende Mädchen schaute sie unverwandt an. Ella stierte eine Weile auf die Fotos, die an der Wand hingen, billige Wechselrahmen an Nylonfäden, sie zeigten Bilder vom Meer, windstilles Blau, Schaumkronen, aufgewühlte See, dann schlief sie ein. Ella trug eine magentafarbene Badehaube, die mit einer Strassschnalle unter dem Kinn geschlossen wurde. Sie bewegte sich nicht, um sie herum raschelte es. Das Meer raschelt doch nicht, wunderte sie sich, das Meer plätschert, peitscht, tost, aber es raschelt nicht. Wo war sie? Sie tastete mit ihrer linken Hand die Schnalle ihrer Badehaube ab: Sie hatte die Form eines Seesterns. Sie fuhr mit der Hand über ihre Lippen (noch da), über ihrer Nase (groß) bis hin zu ihren geschlossenen Lidern.
Ihre Wimpern fühlten sich drahtig an, künstlich, aufgeklebt. Sie riss einen Wimpernbogen ab, dann öffnete sie das Auge. Um sie herum kräuselten sich aufgerollte Filmrollen. Ihr ganzer Körper steckte in einem Meer aus Zelluloid. Sie versuchte den Kopf anzuheben, Land zu sehen, und es gelang ihr tatsächlich mit zwei Beinschlägen, etwas höher zu kommen. Sie war nicht weit vom Ufer entfernt. Am Ufer stand die blond gefärbte Fahrradkurierin und winkte ihr.
»Gerissen«, rief sie Ella zu.
»Der Film?«, rief Ella zurück.
»Das Trommelfell.«
»Hallo?«, hörte Ella plötzlich eine tiefe Stimme sagen, und eine Hand rüttelte sie leicht. Sie öffnete die Augen, vor ihr weiße Knie. »Sie gehören doch zu der Frau aus der Torstraße, oder?«, sagte die Stimme, die zu den weißen Knien gehörte.
Ella richtete sich auf, strich sich durch die Haare, übers Gesicht. Wie lange hatte sie geschlafen?
»Sie hat ziemliches Glück gehabt«, vernahm Ella die Stimme wieder. Sie gehörte zu einem frisch rasierten jungen Mann, der versuchte, seriös zu sein oder zumindest so zu wirken.
Ella rieb sich die Augen.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte der Arzt, und das Arztsein gelang
ihm von Satz zu Satz besser.
»Ich glaube schon«, sagte sie.
»Sie hat nach Ihnen gefragt und würde Sie gerne sehen. Ich kann Sie zu ihr bringen, aber nur kurz.«
»Was?«, stammelte Ella und richtete sich auf. »Und das Trommelfell?«
»Brauchen Sie was zur Beruhigung?«, fragte der Arzt.
»Wenn es so was gibt«, sagte sie.
Der Arzt lächelte (kurz blitzte etwas hinter der Arztfassade hervor, das ihr gefiel) und nahm sie mit in eines der vielen offenstehenden Zimmer.
»Darf ich mir eine Farbe aussuchen?«, fragte sie.
Er schaute sie fragend an.
Die Pille war grün-weiß gestreift, und er drückte sie Ella direkt in die Handmulde.
»Danke.«
Er reichte ihr einen Plastikbecher mit Wasser, sie schluckte und gab ihm den Becher zurück. Dann bat er sie, ihm zu folgen. Endlose Gänge und Kreuzungen, durch die an einigen Stellen zwei Betten aneinander vorbeirangiert wurden, automatische Türen; Tropfe, die an faltigen Armen befestigt waren;
Schwesternzimmer; Ärzte, die Patienten verabschiedeten. Die türkische Großmutter aus dem Wartezimmer saß nun auf einem Gang und hatte eine Plastikschachtel mit geschnittenen sauren Gurken auf dem Schoß. Einer der Enkel verzog das Gesicht, aber die Großmutter hatte ihn am Schlafittchen und schob ihm die runden Gurkenscheiben zwischen die Lippen, eine nach der anderen, als befüllte sie einen Münzautomaten. Die Schritte des Arztes hallten in Ella wider. Dann traten sie in ein Schleusenzimmer. Sie musste sich waschen, desinfizieren, Schutzkleidung anziehen, eine Maske über Mund und Nase ziehen und fühlte sich erstaunlich wohl in ihrer neuen Hülle.
© Carl Hanser Verlag, München
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Autoren-Porträt von Annika Reich
Annika Reich, 1973 in München geboren, lebt in Berlin, ist Schriftstellerin und Künstlerische Leiterin des Aktionsbündnisses WIR MACHEN DAS und WEITER SCHREIBEN, des preisgekrönten Portals für Autor:innen aus Kriegs- und Krisengebieten. Sie ist Teil der Zeit-Online-Kolumne »10 nach 8«. Bei Hanser erschienen die Romane Durch den Wind (2010), 34 Meter über dem Meer (2012), Die Nächte auf ihrer Seite (2015) und ihre Kinderbücher Lotto macht, was sie will! (2016) und Lotto will was werden (2018). Ihr neuester Roman Männer sterben bei uns nicht erschien 2023 bei Hanser Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Annika Reich
- 2012, 266 Seiten, Maße: 13,5 x 21,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446238638
- ISBN-13: 9783446238633
Rezension zu „34 Meter über dem Meer “
"Mit viel Witz geschrieben, manchmal fast schrullig, eigensinnig und immer ein bisschen melancholisch. Ein Roman, so leicht wie ein Soufflé." Christine Westermann, WDR 2, 20.01.12"Ein zartes, sanftes Buch ... Es erzählt ganz sachte vom Leben." Christine Westermann, WDR 2, 20.01.12"Annika Reich erzählt eine ebenso melancholische wie amüsante, geschickt ineinander verwobene Geschichte über zwei Menschen, die vor dem weglaufen, was ihnen am wichtigsten ist." Gabriela Seidel-Hollaender, UniSpiegel, 01/2012
"Wunderbar poetisch!" Freundin, 22.02.12
"Reichs Zweitling ist eine leichte, dennoch intelligente Erzählung über die Freuden, Verantwortung zu übernehmen und für andere Menschen da zu sein. Von liebenswerten Figuren bevölkert, fordert der Roman seine Leser auf, die Welt vor den eigenen Augen zu entdecken. Ob in Berlin-Mitte, in Charlottenburg oder anderswo." Simon Broll, Spiegel online, 23.04.2012
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