"Macht doch euern Dreck alleene!"
Wie Deutschlands Monarchen aus der Geschichte fielen
November 1913: Innerhalb weniger Tage verschwanden sämtliche deutsche Dynastien von der Bildfläche. Jahrhundertelang hatten sie über Deutschland geherrscht: die Hohenzollern, Wittelsbacher,Wettiner usw.
Lebendig und sachkundig...
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Produktinformationen zu „"Macht doch euern Dreck alleene!" “
November 1913: Innerhalb weniger Tage verschwanden sämtliche deutsche Dynastien von der Bildfläche. Jahrhundertelang hatten sie über Deutschland geherrscht: die Hohenzollern, Wittelsbacher,Wettiner usw.
Lebendig und sachkundig erzählt Lothar Machtan, warum alles so kam.
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Macht doch euern Dreck alleene! von Lothar MachtanPräludium
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Der erste von insgesamt neunzehn leibhaftigen Monarchen, die das Gespenst der deutschen Revolution im November 1918 aus ihren Residenzen verscheuchte, war zugleich deren jüngster: der dreißigjährige Herzog von Braunschweig und Lüneburg, Ernst August aus der Dynastie der Welfen, Schwiegersohn des deutschen Kaisers Wilhelm II. Fünf Jahre und sieben Tage hatte Ernst August die Herrscherkrone tragen dürfen. Dann war es urplötzlich mit seiner Hoheitsgewalt vorbei. Am Freitag, den 8. November zog in den Vormittagsstunden eine mehrtausendköpfige Menge mit roten Fahnen vor das Braunschweiger Stadtschloss. Bewaffnete Matrosen hatten schon am Vorabend die Schlosswache mit Trommelwirbel abgelöst. Jetzt wurde unter dem Jubel der Massen die herzogliche Fahne eingeholt und an ihrer Stelle das rote Banner als Emblem des Machtwechsels gehisst. Redner ließen die Republik hochleben.
Einige Stunden später erschien eine Delegation des Braunschweiger Arbeiter- und Soldatenrates erneut in der Residenz, wo sie sofort zum Schlossherrn vorgelassen wurde. Mitgebracht hatte sie ein schlichtes Schriftstück, auf dem zu lesen stand: »Ich, Ernst August, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, erkläre, dass ich für mich und meine Nachkommen auf den Thron verzichte, und die Regierung in die Hände des Arbeiter- und Soldatenrates lege.« Der Arbeiterführer Anton Merges erklärte dem Monarchen, dass er dieses Dokument im Auftrag des Volkes vorlege. Über die Unterzeichnung habe er sich unverzüglich schlüssig zu werden, im Verweigerungsfall werde er abgesetzt. Der Bedrängte bat um Bedenkzeit, die er zur Rücksprache mit seiner Gattin und seinen Ministern nutzte. Zwanzig Minuten später kehrte er mit der Unterschrift zu den Wartenden zurück, die sich inzwischen aus dem Zigarrensortiment des Wartesaales bedient hatten. Es sei ihm eine Erleichterung, die Verantwortung abzugeben, soll der soeben Entthronte den neuen Machthabern bedeutet haben. Dann empfahl er sich - auf sein Privatschloss nach Blankenburg am Harz.
Dieses Gefühl einer inneren Befreiung scheint echt gewesen zu sein. Denn am Tag darauf, als auch die Reichsmonarchie endgültig kollabierte, brachte Ernst August sogar seine »Freude über den Zusammenbruch« zum Ausdruck. Das berichtet sein Schwager, Prinz Max von Baden, der letzte Kanzler des Deutschen Kaiserreichs. In dessen Sonderzug konnte sich die Familie des Herzogs noch am Abend des 9. November nach Süddeutschland und wenig später nach Österreich absetzen, wo sie fortan glücklich auf den Besitzungen des Welfenoberhauptes weiterlebte.
Republikanische Vorrede
»Sie wurden hinweggefegt, ohne irgendetwas zurückzulassen, weil sie doch zu große Nullen waren.« (Exgroßherzog Ernst Ludwig von Hessen über die Entthronung seiner bundesfürstlichen Kollegen)
Hätte der Großherzog von Hessen in dem eingangs zitierten Ausspruch »wir« statt »sie« gesagt, so hätte ein bemerkenswert selbstkritisches Zeugnis kollektiven Versagens diese Darstellung eröffnen können. Wenn aber der deutsche Herrscherstand bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eines nicht leiden konnte, dann das, was einer seiner Vertreter sich hier herausnahm: offen auszusprechen, was die Kronenträger ihrem menschlichen wie politischen Format nach tatsächlich wert waren. Sie wollten der Gesellschaft immer sehr viel mehr wert sein. Woher sie diesen Anspruch nahmen? Nun, in erster Linie aus dem Wähnen, von Hause aus beziehungsweise von Geblüt etwas weit Besseres zu sein als der Rest der Gesellschaft. Dann aber auch, weil sie glaubten, die politische Weltordnung mit einem heiligen Prinzip beglücken zu müssen, auf das sie allein volles Prägerecht besaßen, das monarchische. Bis 1918 figurierte dieses Prinzip als das gottgewollte Privileg, das einen engeren Kreis von Fürsten zu souveränen Trägern der Staatsgewalt bestimmte und einem ehernen Eigentumsrecht an königlicher Macht gleichkam. Mehr als zwanzig Herrscherhäuser waren im Deutschen Kaiserreich die Nutznießer. Als im Herbst 1918 der gewaltige Machtschutz um dieses Privileg brüchig zu werden begann, liefen die monarchischen Prinzipienreiter fast alle davon. Kein stolzes Opfer, keine Aufwallung von herrischem Blut - um die Topoi des zeitgenössischen Monarchismus zu bemühen. Zurück blieb das verwaiste Prinzip, das die politischen Konkursverwalter der Monarchie folgerichtig außer Kraft setzten. Deutschland war nun eine demokratische Republik.
Im Sommer 1919 schrieb der vormalige Großherzog Friedrich II. von Baden einen Brandbrief an König Georg V. von Großbritannien und Irland. Ernstlich und dringlich bat er den englischen Monarchen um eine persönliche Intervention. Sie sollte das »unerhörte Schauspiel einer Gerichtsverhandlung gegen Seine Majestät den deutschen Kaiser in London« verhindern. Nachdem die Siegermächte des Ersten Weltkriegs ihren Triumph über Deutschland eben erst im Friedensdiktat von Versailles perfekt gemacht hatten, wollten sie nämlich auch sogleich den vermeintlichen obersten Kriegsverbrecher, den deutschen Exkaiser Wilhelm II., in einem Schauprozess öffentlich zur Rechenschaft ziehen. Der war zwar schon vor Monaten nach Holland geflohen, wo ihm die königliche Regierung großherzig Asyl gewährte, aber über diesem Exil hing damals noch bedrohlich das Damoklesschwert eines Auslieferungsbegehrens seitens der Entente.
Zur Rettung vor dieser Gefahr wollte Friedrich seine warnende Stimme erheben, und zwar nicht als Privatperson, sondern im Namen aller ehemaligen deutschen Bundesfürsten, um »dem durch Jahrhunderte geheiligten, von uns mit Bewusstsein seines Wertes verfochtenen monarchischen Gedanken« einen Dienst zu erweisen. Zur Begründung hieß es: »Die demokratische und sozialistische Flut steigt höher und höher, es gilt das jetzt so schwer bedrohte monarchische Prinzip in bessere Zeiten hinein zu retten.« Sonst werde sich diese Flut widerstandslos »über alle Reste von Tradition und Herrscherrechten ergießen. Wir bitten deshalb einmütig Eure Majestät als den letzten Hort und berufenen Führer des monarchischen Gedankens, dahin zu wirken, dass von der angedrohten gerichtlichen Verfolgung des deutschen Kaisers Abstand genommen werde.«1
Nimmt man diese Zeilen ernst, so muss man aus ihnen folgern, dass die politische Umwälzung, die das Deutsche Reich seit nunmehr einem Jahr erfasst und bereits grundlegend verändert hatte, die früheren Herrscher in ihrer monarchischen Grundüberzeugung nicht erschüttern konnte. Diese angebliche Unerschütterlichkeit hatte jedoch einen Pferdefuß - die eigene widerstandslose Kapitulation vor dem, was jetzt als demokratische und sozialistische Flut verabscheut wurde.
Jahrzehntelang hatten die deutschen Fürsten in der Tat den monarchischen Gedanken über alles andere gestellt und immer wieder öffentlich beglaubigt. Doch als sie ihren Royalismus erstmals durch entschiedene Verteidigungsbereitschaft, ja Kampf bekennen mussten, zogen sie es vor zu resignieren. Sobald soziale Unruhe ausbrach, flohen die meisten aus ihren Residenzen, dankten larmoyant ab, waren zutiefst beleidigt. »So, so - na da macht euern Dreck alleene! «, soll der sächsische König seinen republikanischen Widersachern hinterhergerufen haben.
Auch hatte niemand von ihnen jemals ernstlich daran gedacht, sich schützend vor den Thron ihres Primus, Kaiser Wilhelm II., zu stellen. Im Gegenteil, die meisten seiner hohen Bundesgenossen weinten ihm keine Träne nach; gar mancher wäre ihn am liebsten schon einige Wochen vor seiner Flucht losgeworden. Was aus diesem jammervollen Szenario folgte, war eine fast lautlose Implosion des gesamten monarchischen Systems, die Deutschland nicht nur ein abgedanktes Kaiserhaus, sondern einen wahren Dynastienfriedhof hinterließ. Wer ihn betrat, hätte sich allerdings nicht retten können vor Grabinschriften voll postumer Selbstverklärung.
Dabei waren die deutschen Monarchen eines ganz gewiss nicht: militante Monarchisten. Natürlich widerstrebte ihnen die demokratische Republik zutiefst. Aber diese Aversion allein reichte nicht aus, um beherzt für die eigenen Herrscherrechte einzutreten. Dabei war das Bedrohungspotenzial im Herbst 1918 nicht einmal besonders Furcht erregend. Kein Bundesfürst lief damals Gefahr, durch politische Präsenz Leben oder Würde aufs Spiel zu setzen. Und selbst auf demokratischer und sozialistischer Seite blieb der politische Wille zur Republik zunächst recht schwach ausgeprägt. Dennoch blies nicht ein einziger Souverän zum Kampf für den Fortbestand der Monarchie. Von Behauptungswillen keine Spur, sodass sich unwillkürlich die Frage aufdrängt, warum das so war. Was stürzte die Monarchen in Deutschland derart ins Verderben, dass sie sich am Ende vor allem ihrer selbst nicht mehr sicher waren? Wie gerieten sie in jenen Zustand der Demoralisierung, der es ihnen unmöglich machte, auch nur den geringsten politischen Behauptungswillen zu mobilisieren?
Dies ist keineswegs eine nostalgische Fragestellung. Denn wie wir heute wissen, ließ der nahezu geräuschlose Einsturz der Monarchie in Deutschland heftige Phantomschmerzen zurück; und zwar bei all jenen, die sich durch die - fast möchte man sagen - Selbstentkrönung der deutschen Fürsten einer großen Illusion, eines Mythos beraubt fühlten. Des Wunschdenkens, dass ihre hochadeligen Herrscher tatsächlich das wären, was sie zu sein vorgaben, so wie sie es ihnen jahrelang eingeredet hatten: eine von Gott eingesetzte und persönlich geleitete Macht von höchstem geistigen und charakterlichen Format, der man sich getrost anvertrauen könne. Dieser Schmerz saß nach dem unrühmlichen Ende des Kaiserreichs bei vielen Menschen sehr tief, machte sie (therapie)bedürftig und trug schließlich zum unglaublichen Aufstieg eines Mannes namens Hitler bei, dem es binnen kurzem gelang, zu einem ganz neuen Typus von politischem Hoffnungsträger zu werden - nicht zuletzt als Regisseur von schönem Schein und Talmiglanz. Mit der kaum zu beschönigenden Tatsache ihres Nichtstuns in der schwersten Krise des Reiches lieferten die Entthronten Hitlers Alleinanspruch auf die Führung des Volkes eines der stärksten politischen Argumente. Und sie bestärkten die Massen seiner Bewegung in ihrer zum Teil fanatischen Ablehnung der monarchischen Vergangenheit. In den Worten eines Grafen, der genau deshalb schon beizeiten zum Nationalsozialismus fand: »Sie hatten mit eigenen Augen nichts geschaut, was ihnen Liebe und Ehrfurcht eingegeben hätte, sie sahen nur selbst den Zusammenbruch eines Systems, das nicht einmal im Tod Größe aufbrachte, nicht einmal über die Kraft verfügte, heroisch zu sterben, sondern das innerlich zerbrochen und entnervt beim ersten Pistolenschuss die Posten verließ, die sie von Gottes Gnaden erhalten zu haben vorgegeben hatten. «2 Es ist gewiss auch kein Zufall, dass die personale Treuebindung an den Monarchen, die bis 1918 der sogenannte Staatsbürgereid festgeschrieben hatte, ausgerechnet in Gestalt des Führereides in die politische Kultur zurückkehrte. Die Folgen sind bekannt.
Außerdem ist hier eine überaus spannende Geschichte zu erzählen. Eine weitgehend unbekannte zumal. Zwar floss beim Einsturz des Deutschen Kaiserreichs im Gegensatz zum Untergang des zaristischen Russland nicht ein Tropfen »Tyrannen«-Blut, doch an Dramatik und persönlicher Tragik mangelte es auch diesem politischen Umbruch nicht - am wenigsten freilich an Tragikomik. Immerhin ging es um die Existenz von insgesamt fast dreihundert hohen Aristokraten beiderlei Geschlechts, die bis dato die 22 (19) Herrscherhäuser3 protegiert hatten. Macht, Einfluss und Reputation standen auf dem Spiel sowie nicht zuletzt Besitztitel von wahrhaft fürstlichen Dimensionen. Diese Katastrophe verschonte keinen. Sie ist in manchen Fürstenhäusern bis heute noch nicht bewältigt. Während sich die historische Forschung mit den (Pyrrhus-)Siegern der deutschen Novemberrevolution intensiv auseinandergesetzt hat, sind die damals widerstandslos Besiegten fast vollständig im Dunkeln verblieben. Überhaupt hat die moderne Geschichtswissenschaft von einer systematischen Betrachtung des deutschen Hochadels (Fürstenadels) als einer auch von der Masse der sonstigen Aristokraten durchaus abgesonderten Sozialformation bislang nicht viel wissen wollen .4 Auch das dynastische Phänomen als wesentlicher Bestimmungsfaktor deutscher Politik im Kaiserreich ist kaum erforscht. So gibt es neun Jahrzehnte nach den welterschütternden Ereignissen des Epochenjahres 1918 immer noch keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Untersuchung der Frage, wie denn eigentlich die bis dahin in Deutschland mehr oder weniger souverän Herrschenden diese ihnen oktroyierte Entthronung erlebt, vollzogen und verarbeitet haben.5 Dies soll auf den folgenden Seiten nachgeholt werden.
Die historiografische Aufarbeitung eines solchen Desasters ist nicht einfach, vor allem deshalb nicht, weil die zu erzählenden Geschehnisse vielfach derart unerhörte, ja groteske Züge aufweisen, dass sich die Frage stellt, wie man diese deutsche Revolution als katastrophale Fürstengeschichte seriös darstellen sowie aufklärend reflektieren soll. Erschwerend kommt hinzu, dass sowohl die verschiedenen Monarchieformen zu berücksichtigen waren, die es im Deutschen Reich bis 1918 gab, als auch die verschiedenen Typen von Monarchen. Dennoch habe ich versucht, den Blick auf die verallgemeinerbaren Eigenarten dieses Herrscherstandes zu richten, auf den besonderen Kosmos, in dem er sich bewegte, und nicht zuletzt auf das fürstliche Menschentum der einzelnen Repräsentanten selbst. Mit dieser hinterfragenden Perspektive soll keinem »republikanischen« Moralismus Vorschub geleistet und auch kein Subversionsbedürfnis befriedigt werden. Ihr liegt die aus den Quellen gewonnene Erkenntnis zugrunde, dass der hochadelige Herrscherstand des Deutschen Kaiserreichs zu Beginn des 20. Jahrhunderts weder personell noch intellektuell irgendetwas im Angebot hatte, was der politischen Geschichte Deutschlands noch hätte zum Wohl gereichen können.
Den Untergang des Deutschen Kaiserreichs seinerzeit lebhaft bedauert hat Ernst Fürst zu Hohenlohe-Langenburg, ein nationalkonservativer süddeutscher Standesherr, der kraft seiner verwandtschaftlichen Beziehungen in vielen europäischen Herrscherhäusern jahrelang ein- und ausgegangen war. Aber auch er glaubte schon Anfang 1919 nicht mehr daran, »dass in den nächsten Jahren in irgendeinem deutschen Staat das monarchische System wieder aufleben wird. Das Gebäude der Monarchie ist in ganz Deutschland so ruhmlos, so ohne jede Gegenwehr, wie ein Kartenhaus zusammengestürzt, dass man sich sagen muss, dass seine Fundamente schon längst unterhöhlt waren.«6 Meine These lautet ähnlich: Die Monarchie in Deutschland wurde 1918 nicht mit Brachialgewalt gestürzt, sondern sie starb (mit ein wenig Nachhilfe) eines natürlichen Todes. Am Ende konnten die Epigonen der verblichenen Fürstensouveränität mit der Republik ganz gut leben, die Republik hingegen weit weniger gut ohne den alten Herrscherstand. Das lag nicht sosehr an der unvergänglichen Liebe des Volkes zu seinen entthronten Landesvätern und auch nicht am massenhaften Fortbestand monarchistischer Überzeugungen, sondern daran, dass die Menschen in ihre gekrönten Häupter etwas hatten hineinprojizieren können, wofür sich die profanen Häupter der ersten deutschen Republik ganz und gar nicht eigneten. So fehlte der ersten Demokratie in Deutschland von Anfang an eine repräsentative Konsolidierung.
Das deutsche Entkrönungsdebakel historiografisch so zu erfassen, wie es auf den folgenden Seiten geschieht, nämlich durch konsequente Dekonstruktion, bedeutet, vor der majestätischen Würde der traurigen Akteure keinen Halt zu machen, sondern stattdessen eine Geschichte über sie als wirkliche Menschen zu erzählen. Mit anderen Worten: Die fürstlichen Persönlichkeiten werden behandelt wie jeder Politiker mit Herrschafts- und Führungsanspruch und im Übrigen nur an ihren eigenen Ansprüchen gemessen. Die Tiefenschärfe der historischen Kritik ergibt sich dabei aus dem, was der bundesfürstliche Herrscherstand bis zu seinem kollektiven Abgang in der Welt der Politik des damaligen Deutschland war und durchaus sein wollte: souveräner Träger der obersten Staatsgewalt mit geweihter Autorität. Das wirft wie von selbst die Frage auf, was denn eigentlich »hinter« dem lange Zeit Selbstevidenten ihrer politischen Anmaßung stand. Nirgends tritt dies sinnfälliger zutage als in der Konfrontation der Monarchen mit der schweren System- beziehungsweise Herrschaftskrise, von der das Deutsche Kaiserreich im Ersten Weltkrieg und ganz besonders im letzten Kriegsjahr 1918 erfasst wurde.
Im Wissen um diese Wirkungsmechanismen muss man die Perspektive wechseln, darf um das politische Innenleben dieses deutschen Herrscherpersonals keinen Bogen machen, muss in ihnen weniger die Leidtragenden als vielmehr die Akteure ihres Machtverlustes sehen - ganz persönlich involviert durch Versäumnisse, Verfehlungen, Versagen. Diese persönliche Verantwortlichkeit gibt dem Historiker das Recht, sehr genau hinzusehen, auch undistanziert zu sein. Die Herrscherpersonen haben hier die Funktion von Vergrößerungsgläsern, die politische Missstände aufzeigen. Je tiefer man dergestalt in die abgeschlossene Welt eindringt, die sich Deutschlands Kronenträger als den ihnen gemäßen Kosmos schufen, desto stärker wird man der speziellen Wirklichkeit gewahr, in der sie lebten, desto stärker zeichnet sich ab, dass in dieser ausgeprägten Parallelwelt das Wasser (der Politik) nach oben floss. Hier gab es keinerlei Witterung für die Zeichen des Niedergangs ihrer Leitkultur, kein Bekümmern darum, dass sie vom Kredit eines Privilegs lebten, das sich rational gar nicht begründen ließ.
Wenn man also ungeniert, aber durchaus leidenschaftslos durch die Fenster blickt, welche die Quellen öffnen, dann darf man sich schon fragen: Wie sollte Deutschland zur Modernität finden, solange seine große Politik sich derart archaisch an einem Herrschaftsmodell orientierte, das - personell betrachtet - ein einziges Macht- und Geistesvakuum war? Warum sollte das Land sich noch Herrscher leisten, die ihre herausgehobene Existenz auf Kosten der Wahrheit und der Zukunft fristeten?
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Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Der erste von insgesamt neunzehn leibhaftigen Monarchen, die das Gespenst der deutschen Revolution im November 1918 aus ihren Residenzen verscheuchte, war zugleich deren jüngster: der dreißigjährige Herzog von Braunschweig und Lüneburg, Ernst August aus der Dynastie der Welfen, Schwiegersohn des deutschen Kaisers Wilhelm II. Fünf Jahre und sieben Tage hatte Ernst August die Herrscherkrone tragen dürfen. Dann war es urplötzlich mit seiner Hoheitsgewalt vorbei. Am Freitag, den 8. November zog in den Vormittagsstunden eine mehrtausendköpfige Menge mit roten Fahnen vor das Braunschweiger Stadtschloss. Bewaffnete Matrosen hatten schon am Vorabend die Schlosswache mit Trommelwirbel abgelöst. Jetzt wurde unter dem Jubel der Massen die herzogliche Fahne eingeholt und an ihrer Stelle das rote Banner als Emblem des Machtwechsels gehisst. Redner ließen die Republik hochleben.
Einige Stunden später erschien eine Delegation des Braunschweiger Arbeiter- und Soldatenrates erneut in der Residenz, wo sie sofort zum Schlossherrn vorgelassen wurde. Mitgebracht hatte sie ein schlichtes Schriftstück, auf dem zu lesen stand: »Ich, Ernst August, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, erkläre, dass ich für mich und meine Nachkommen auf den Thron verzichte, und die Regierung in die Hände des Arbeiter- und Soldatenrates lege.« Der Arbeiterführer Anton Merges erklärte dem Monarchen, dass er dieses Dokument im Auftrag des Volkes vorlege. Über die Unterzeichnung habe er sich unverzüglich schlüssig zu werden, im Verweigerungsfall werde er abgesetzt. Der Bedrängte bat um Bedenkzeit, die er zur Rücksprache mit seiner Gattin und seinen Ministern nutzte. Zwanzig Minuten später kehrte er mit der Unterschrift zu den Wartenden zurück, die sich inzwischen aus dem Zigarrensortiment des Wartesaales bedient hatten. Es sei ihm eine Erleichterung, die Verantwortung abzugeben, soll der soeben Entthronte den neuen Machthabern bedeutet haben. Dann empfahl er sich - auf sein Privatschloss nach Blankenburg am Harz.
Dieses Gefühl einer inneren Befreiung scheint echt gewesen zu sein. Denn am Tag darauf, als auch die Reichsmonarchie endgültig kollabierte, brachte Ernst August sogar seine »Freude über den Zusammenbruch« zum Ausdruck. Das berichtet sein Schwager, Prinz Max von Baden, der letzte Kanzler des Deutschen Kaiserreichs. In dessen Sonderzug konnte sich die Familie des Herzogs noch am Abend des 9. November nach Süddeutschland und wenig später nach Österreich absetzen, wo sie fortan glücklich auf den Besitzungen des Welfenoberhauptes weiterlebte.
Republikanische Vorrede
»Sie wurden hinweggefegt, ohne irgendetwas zurückzulassen, weil sie doch zu große Nullen waren.« (Exgroßherzog Ernst Ludwig von Hessen über die Entthronung seiner bundesfürstlichen Kollegen)
Hätte der Großherzog von Hessen in dem eingangs zitierten Ausspruch »wir« statt »sie« gesagt, so hätte ein bemerkenswert selbstkritisches Zeugnis kollektiven Versagens diese Darstellung eröffnen können. Wenn aber der deutsche Herrscherstand bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eines nicht leiden konnte, dann das, was einer seiner Vertreter sich hier herausnahm: offen auszusprechen, was die Kronenträger ihrem menschlichen wie politischen Format nach tatsächlich wert waren. Sie wollten der Gesellschaft immer sehr viel mehr wert sein. Woher sie diesen Anspruch nahmen? Nun, in erster Linie aus dem Wähnen, von Hause aus beziehungsweise von Geblüt etwas weit Besseres zu sein als der Rest der Gesellschaft. Dann aber auch, weil sie glaubten, die politische Weltordnung mit einem heiligen Prinzip beglücken zu müssen, auf das sie allein volles Prägerecht besaßen, das monarchische. Bis 1918 figurierte dieses Prinzip als das gottgewollte Privileg, das einen engeren Kreis von Fürsten zu souveränen Trägern der Staatsgewalt bestimmte und einem ehernen Eigentumsrecht an königlicher Macht gleichkam. Mehr als zwanzig Herrscherhäuser waren im Deutschen Kaiserreich die Nutznießer. Als im Herbst 1918 der gewaltige Machtschutz um dieses Privileg brüchig zu werden begann, liefen die monarchischen Prinzipienreiter fast alle davon. Kein stolzes Opfer, keine Aufwallung von herrischem Blut - um die Topoi des zeitgenössischen Monarchismus zu bemühen. Zurück blieb das verwaiste Prinzip, das die politischen Konkursverwalter der Monarchie folgerichtig außer Kraft setzten. Deutschland war nun eine demokratische Republik.
Im Sommer 1919 schrieb der vormalige Großherzog Friedrich II. von Baden einen Brandbrief an König Georg V. von Großbritannien und Irland. Ernstlich und dringlich bat er den englischen Monarchen um eine persönliche Intervention. Sie sollte das »unerhörte Schauspiel einer Gerichtsverhandlung gegen Seine Majestät den deutschen Kaiser in London« verhindern. Nachdem die Siegermächte des Ersten Weltkriegs ihren Triumph über Deutschland eben erst im Friedensdiktat von Versailles perfekt gemacht hatten, wollten sie nämlich auch sogleich den vermeintlichen obersten Kriegsverbrecher, den deutschen Exkaiser Wilhelm II., in einem Schauprozess öffentlich zur Rechenschaft ziehen. Der war zwar schon vor Monaten nach Holland geflohen, wo ihm die königliche Regierung großherzig Asyl gewährte, aber über diesem Exil hing damals noch bedrohlich das Damoklesschwert eines Auslieferungsbegehrens seitens der Entente.
Zur Rettung vor dieser Gefahr wollte Friedrich seine warnende Stimme erheben, und zwar nicht als Privatperson, sondern im Namen aller ehemaligen deutschen Bundesfürsten, um »dem durch Jahrhunderte geheiligten, von uns mit Bewusstsein seines Wertes verfochtenen monarchischen Gedanken« einen Dienst zu erweisen. Zur Begründung hieß es: »Die demokratische und sozialistische Flut steigt höher und höher, es gilt das jetzt so schwer bedrohte monarchische Prinzip in bessere Zeiten hinein zu retten.« Sonst werde sich diese Flut widerstandslos »über alle Reste von Tradition und Herrscherrechten ergießen. Wir bitten deshalb einmütig Eure Majestät als den letzten Hort und berufenen Führer des monarchischen Gedankens, dahin zu wirken, dass von der angedrohten gerichtlichen Verfolgung des deutschen Kaisers Abstand genommen werde.«1
Nimmt man diese Zeilen ernst, so muss man aus ihnen folgern, dass die politische Umwälzung, die das Deutsche Reich seit nunmehr einem Jahr erfasst und bereits grundlegend verändert hatte, die früheren Herrscher in ihrer monarchischen Grundüberzeugung nicht erschüttern konnte. Diese angebliche Unerschütterlichkeit hatte jedoch einen Pferdefuß - die eigene widerstandslose Kapitulation vor dem, was jetzt als demokratische und sozialistische Flut verabscheut wurde.
Jahrzehntelang hatten die deutschen Fürsten in der Tat den monarchischen Gedanken über alles andere gestellt und immer wieder öffentlich beglaubigt. Doch als sie ihren Royalismus erstmals durch entschiedene Verteidigungsbereitschaft, ja Kampf bekennen mussten, zogen sie es vor zu resignieren. Sobald soziale Unruhe ausbrach, flohen die meisten aus ihren Residenzen, dankten larmoyant ab, waren zutiefst beleidigt. »So, so - na da macht euern Dreck alleene! «, soll der sächsische König seinen republikanischen Widersachern hinterhergerufen haben.
Auch hatte niemand von ihnen jemals ernstlich daran gedacht, sich schützend vor den Thron ihres Primus, Kaiser Wilhelm II., zu stellen. Im Gegenteil, die meisten seiner hohen Bundesgenossen weinten ihm keine Träne nach; gar mancher wäre ihn am liebsten schon einige Wochen vor seiner Flucht losgeworden. Was aus diesem jammervollen Szenario folgte, war eine fast lautlose Implosion des gesamten monarchischen Systems, die Deutschland nicht nur ein abgedanktes Kaiserhaus, sondern einen wahren Dynastienfriedhof hinterließ. Wer ihn betrat, hätte sich allerdings nicht retten können vor Grabinschriften voll postumer Selbstverklärung.
Dabei waren die deutschen Monarchen eines ganz gewiss nicht: militante Monarchisten. Natürlich widerstrebte ihnen die demokratische Republik zutiefst. Aber diese Aversion allein reichte nicht aus, um beherzt für die eigenen Herrscherrechte einzutreten. Dabei war das Bedrohungspotenzial im Herbst 1918 nicht einmal besonders Furcht erregend. Kein Bundesfürst lief damals Gefahr, durch politische Präsenz Leben oder Würde aufs Spiel zu setzen. Und selbst auf demokratischer und sozialistischer Seite blieb der politische Wille zur Republik zunächst recht schwach ausgeprägt. Dennoch blies nicht ein einziger Souverän zum Kampf für den Fortbestand der Monarchie. Von Behauptungswillen keine Spur, sodass sich unwillkürlich die Frage aufdrängt, warum das so war. Was stürzte die Monarchen in Deutschland derart ins Verderben, dass sie sich am Ende vor allem ihrer selbst nicht mehr sicher waren? Wie gerieten sie in jenen Zustand der Demoralisierung, der es ihnen unmöglich machte, auch nur den geringsten politischen Behauptungswillen zu mobilisieren?
Dies ist keineswegs eine nostalgische Fragestellung. Denn wie wir heute wissen, ließ der nahezu geräuschlose Einsturz der Monarchie in Deutschland heftige Phantomschmerzen zurück; und zwar bei all jenen, die sich durch die - fast möchte man sagen - Selbstentkrönung der deutschen Fürsten einer großen Illusion, eines Mythos beraubt fühlten. Des Wunschdenkens, dass ihre hochadeligen Herrscher tatsächlich das wären, was sie zu sein vorgaben, so wie sie es ihnen jahrelang eingeredet hatten: eine von Gott eingesetzte und persönlich geleitete Macht von höchstem geistigen und charakterlichen Format, der man sich getrost anvertrauen könne. Dieser Schmerz saß nach dem unrühmlichen Ende des Kaiserreichs bei vielen Menschen sehr tief, machte sie (therapie)bedürftig und trug schließlich zum unglaublichen Aufstieg eines Mannes namens Hitler bei, dem es binnen kurzem gelang, zu einem ganz neuen Typus von politischem Hoffnungsträger zu werden - nicht zuletzt als Regisseur von schönem Schein und Talmiglanz. Mit der kaum zu beschönigenden Tatsache ihres Nichtstuns in der schwersten Krise des Reiches lieferten die Entthronten Hitlers Alleinanspruch auf die Führung des Volkes eines der stärksten politischen Argumente. Und sie bestärkten die Massen seiner Bewegung in ihrer zum Teil fanatischen Ablehnung der monarchischen Vergangenheit. In den Worten eines Grafen, der genau deshalb schon beizeiten zum Nationalsozialismus fand: »Sie hatten mit eigenen Augen nichts geschaut, was ihnen Liebe und Ehrfurcht eingegeben hätte, sie sahen nur selbst den Zusammenbruch eines Systems, das nicht einmal im Tod Größe aufbrachte, nicht einmal über die Kraft verfügte, heroisch zu sterben, sondern das innerlich zerbrochen und entnervt beim ersten Pistolenschuss die Posten verließ, die sie von Gottes Gnaden erhalten zu haben vorgegeben hatten. «2 Es ist gewiss auch kein Zufall, dass die personale Treuebindung an den Monarchen, die bis 1918 der sogenannte Staatsbürgereid festgeschrieben hatte, ausgerechnet in Gestalt des Führereides in die politische Kultur zurückkehrte. Die Folgen sind bekannt.
Außerdem ist hier eine überaus spannende Geschichte zu erzählen. Eine weitgehend unbekannte zumal. Zwar floss beim Einsturz des Deutschen Kaiserreichs im Gegensatz zum Untergang des zaristischen Russland nicht ein Tropfen »Tyrannen«-Blut, doch an Dramatik und persönlicher Tragik mangelte es auch diesem politischen Umbruch nicht - am wenigsten freilich an Tragikomik. Immerhin ging es um die Existenz von insgesamt fast dreihundert hohen Aristokraten beiderlei Geschlechts, die bis dato die 22 (19) Herrscherhäuser3 protegiert hatten. Macht, Einfluss und Reputation standen auf dem Spiel sowie nicht zuletzt Besitztitel von wahrhaft fürstlichen Dimensionen. Diese Katastrophe verschonte keinen. Sie ist in manchen Fürstenhäusern bis heute noch nicht bewältigt. Während sich die historische Forschung mit den (Pyrrhus-)Siegern der deutschen Novemberrevolution intensiv auseinandergesetzt hat, sind die damals widerstandslos Besiegten fast vollständig im Dunkeln verblieben. Überhaupt hat die moderne Geschichtswissenschaft von einer systematischen Betrachtung des deutschen Hochadels (Fürstenadels) als einer auch von der Masse der sonstigen Aristokraten durchaus abgesonderten Sozialformation bislang nicht viel wissen wollen .4 Auch das dynastische Phänomen als wesentlicher Bestimmungsfaktor deutscher Politik im Kaiserreich ist kaum erforscht. So gibt es neun Jahrzehnte nach den welterschütternden Ereignissen des Epochenjahres 1918 immer noch keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Untersuchung der Frage, wie denn eigentlich die bis dahin in Deutschland mehr oder weniger souverän Herrschenden diese ihnen oktroyierte Entthronung erlebt, vollzogen und verarbeitet haben.5 Dies soll auf den folgenden Seiten nachgeholt werden.
Die historiografische Aufarbeitung eines solchen Desasters ist nicht einfach, vor allem deshalb nicht, weil die zu erzählenden Geschehnisse vielfach derart unerhörte, ja groteske Züge aufweisen, dass sich die Frage stellt, wie man diese deutsche Revolution als katastrophale Fürstengeschichte seriös darstellen sowie aufklärend reflektieren soll. Erschwerend kommt hinzu, dass sowohl die verschiedenen Monarchieformen zu berücksichtigen waren, die es im Deutschen Reich bis 1918 gab, als auch die verschiedenen Typen von Monarchen. Dennoch habe ich versucht, den Blick auf die verallgemeinerbaren Eigenarten dieses Herrscherstandes zu richten, auf den besonderen Kosmos, in dem er sich bewegte, und nicht zuletzt auf das fürstliche Menschentum der einzelnen Repräsentanten selbst. Mit dieser hinterfragenden Perspektive soll keinem »republikanischen« Moralismus Vorschub geleistet und auch kein Subversionsbedürfnis befriedigt werden. Ihr liegt die aus den Quellen gewonnene Erkenntnis zugrunde, dass der hochadelige Herrscherstand des Deutschen Kaiserreichs zu Beginn des 20. Jahrhunderts weder personell noch intellektuell irgendetwas im Angebot hatte, was der politischen Geschichte Deutschlands noch hätte zum Wohl gereichen können.
Den Untergang des Deutschen Kaiserreichs seinerzeit lebhaft bedauert hat Ernst Fürst zu Hohenlohe-Langenburg, ein nationalkonservativer süddeutscher Standesherr, der kraft seiner verwandtschaftlichen Beziehungen in vielen europäischen Herrscherhäusern jahrelang ein- und ausgegangen war. Aber auch er glaubte schon Anfang 1919 nicht mehr daran, »dass in den nächsten Jahren in irgendeinem deutschen Staat das monarchische System wieder aufleben wird. Das Gebäude der Monarchie ist in ganz Deutschland so ruhmlos, so ohne jede Gegenwehr, wie ein Kartenhaus zusammengestürzt, dass man sich sagen muss, dass seine Fundamente schon längst unterhöhlt waren.«6 Meine These lautet ähnlich: Die Monarchie in Deutschland wurde 1918 nicht mit Brachialgewalt gestürzt, sondern sie starb (mit ein wenig Nachhilfe) eines natürlichen Todes. Am Ende konnten die Epigonen der verblichenen Fürstensouveränität mit der Republik ganz gut leben, die Republik hingegen weit weniger gut ohne den alten Herrscherstand. Das lag nicht sosehr an der unvergänglichen Liebe des Volkes zu seinen entthronten Landesvätern und auch nicht am massenhaften Fortbestand monarchistischer Überzeugungen, sondern daran, dass die Menschen in ihre gekrönten Häupter etwas hatten hineinprojizieren können, wofür sich die profanen Häupter der ersten deutschen Republik ganz und gar nicht eigneten. So fehlte der ersten Demokratie in Deutschland von Anfang an eine repräsentative Konsolidierung.
Das deutsche Entkrönungsdebakel historiografisch so zu erfassen, wie es auf den folgenden Seiten geschieht, nämlich durch konsequente Dekonstruktion, bedeutet, vor der majestätischen Würde der traurigen Akteure keinen Halt zu machen, sondern stattdessen eine Geschichte über sie als wirkliche Menschen zu erzählen. Mit anderen Worten: Die fürstlichen Persönlichkeiten werden behandelt wie jeder Politiker mit Herrschafts- und Führungsanspruch und im Übrigen nur an ihren eigenen Ansprüchen gemessen. Die Tiefenschärfe der historischen Kritik ergibt sich dabei aus dem, was der bundesfürstliche Herrscherstand bis zu seinem kollektiven Abgang in der Welt der Politik des damaligen Deutschland war und durchaus sein wollte: souveräner Träger der obersten Staatsgewalt mit geweihter Autorität. Das wirft wie von selbst die Frage auf, was denn eigentlich »hinter« dem lange Zeit Selbstevidenten ihrer politischen Anmaßung stand. Nirgends tritt dies sinnfälliger zutage als in der Konfrontation der Monarchen mit der schweren System- beziehungsweise Herrschaftskrise, von der das Deutsche Kaiserreich im Ersten Weltkrieg und ganz besonders im letzten Kriegsjahr 1918 erfasst wurde.
Im Wissen um diese Wirkungsmechanismen muss man die Perspektive wechseln, darf um das politische Innenleben dieses deutschen Herrscherpersonals keinen Bogen machen, muss in ihnen weniger die Leidtragenden als vielmehr die Akteure ihres Machtverlustes sehen - ganz persönlich involviert durch Versäumnisse, Verfehlungen, Versagen. Diese persönliche Verantwortlichkeit gibt dem Historiker das Recht, sehr genau hinzusehen, auch undistanziert zu sein. Die Herrscherpersonen haben hier die Funktion von Vergrößerungsgläsern, die politische Missstände aufzeigen. Je tiefer man dergestalt in die abgeschlossene Welt eindringt, die sich Deutschlands Kronenträger als den ihnen gemäßen Kosmos schufen, desto stärker wird man der speziellen Wirklichkeit gewahr, in der sie lebten, desto stärker zeichnet sich ab, dass in dieser ausgeprägten Parallelwelt das Wasser (der Politik) nach oben floss. Hier gab es keinerlei Witterung für die Zeichen des Niedergangs ihrer Leitkultur, kein Bekümmern darum, dass sie vom Kredit eines Privilegs lebten, das sich rational gar nicht begründen ließ.
Wenn man also ungeniert, aber durchaus leidenschaftslos durch die Fenster blickt, welche die Quellen öffnen, dann darf man sich schon fragen: Wie sollte Deutschland zur Modernität finden, solange seine große Politik sich derart archaisch an einem Herrschaftsmodell orientierte, das - personell betrachtet - ein einziges Macht- und Geistesvakuum war? Warum sollte das Land sich noch Herrscher leisten, die ihre herausgehobene Existenz auf Kosten der Wahrheit und der Zukunft fristeten?
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Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Bibliographische Angaben
- Autor: Lothar Machtan
- 464 Seiten, Maße: 14,2 x 22 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828946887
- ISBN-13: 9783828946880
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