Die Blutorks - Die komplette Trilogie
"Der Krieger", "Der Sklave" und "Der Befreier"
Das 3er-Package mit spannenden Völkerfantasy-Romanen.
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Produktinformationen zu „Die Blutorks - Die komplette Trilogie “
Das 3er-Package mit spannenden Völkerfantasy-Romanen.
- Der Krieger: Der Krieger Urok hält nicht viel von den Menschen. Doch als er Ragmar kennenlernt,wird er eines Besseren belehrt. Und Urok erkennt, dass den Blutorks große Gefahr droht.
- Der Sklave: Der Blutork Urok stellt sich mit seinen Kriegern der Armee des übermächtigen Tyrannen Gothar. Doch die Blutorks scheitern und werden gefangengenommen. Kann Urok seine Krieger befreien?
- Der Befreier: Er muss der Streitfürst aller Blutorks werden – oder sein Volk ist verloren!
Mit ihm als Anführer würden die Blutorks die Heere der Menschen besiegen, davon ist Urok überzeugt. Doch bevor es so weit sein kann, muss er zunächst Streitfürst seines Stammes werden. Mit der Unterstützung seiner Gefährten aus der Arena scheint dieses Ziel zum Greifen nah – doch es befindet sich ein Verräter unter ihnen.
Lese-Probe zu „Die Blutorks - Die komplette Trilogie “
Die Blutorks - Der Krieger von Bernd Frenz1
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Von einem dichten Wall grünen Blattwerks umgeben, drang die dunkle Schar durchs Unterholz. Trotz ihrer wuchtigen Erscheinung bewegten sich die in Leder und Eisen gewandeten Hünen nahezu lautlos vorwärts. Ab und an zerknackte ein trockener Zweig unter ihrem Gewicht, oder die mächtigen Stiefel strichen raschelnd durch kleine Laubanhäufungen, doch in einem wildreichen Gebiet wie diesem waren solche Geräusche allgegenwärtig. Selbst ein gut positionierter Späher hätte Mühe gehabt, das kampflustige Dutzend in dem dichten Meer aus Blättern, Stauden und Zweigen zu entdecken.
Blutorks auf Beutezug verstanden es, mit den Wäldern zu verschmelzen. Und auch Tabors Raubschar blieb im Schatten der Bäume, obwohl sich nur zehn Schritte entfernt eine Lichtung öffnete. Der heimische Grund lag weit entfernt, und ihre Anwesenheit sollte geheim bleiben. Alle Krieger verhielten sich ruhig und diszipliniert. Erst der über die freie Fläche heranstreichende Wind, der einen feinen Schweißgeruch ins Dickicht trug, sorgte für Irritationen. Ein Ork nach dem anderen verlangsamte seinen Schritt, bis die gesamte Raubschar wie auf ein lautloses Kommando hin innehielt.
Plötzlich lastete eine unsichtbare Spannung über der Gruppe.
Selbstverständlich stand es dem Ersten Streiter zu, für Klarheit zu sorgen. In gebeugter Haltung schob sich Tabor auf die Lichtung und hob das fleischige Gesicht. Der Geruch, der seine bebenden Nasenflügel füllte, zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. Nach hinten gewandt, rief er halblaut: »Ich rieche Menschenfleisch!«
Seine Ankündigung lockte umgehend die anderen hervor.
Urok, ein noch junger, aber voll ausgewachsener Krieger, verließ zuerst das Dickicht. Hinter ihm folgten weitere Schatten, deren Umrisse sich ebenso rasch vom grünen Hintergrund lösten. Orkhaut war kaum heller als die Oberfläche eines frisch sprießenden Blattes, und die aus Leder gefertigten Harnische passten ebenfalls perfekt in die Farbpalette des Waldes. Selbst die matt schimmernden Helme und Brustplatten boten keinen großen Blickfang.
Doch außerhalb des Halbdunkels, im prallen Licht der Sonne, war die geballte Ansammlung grober Muskelkraft nicht mehr zu übersehen. Schnaufend und grunzend scharte sich die Gruppe um ihren Anführer.
»Ein Mensch? Hier?«, stieß Urok hervor, bevor sich auch seine Nasenflügel witternd blähten. »Was verleitet diesen Narren, sich so weit von den abgesprochenen Handelsplätzen zu entfernen?«
Händler ... Allein das Wort besaß für die Ohren eines Orks einen fremdartigen, beinahe widernatürlichen Klang. Dinge, die sich nicht jagen oder mit eigenen Händen herstellen ließen, stahl ihr Volk für gewöhnlich. Trotzdem waren Händler die einzigen Menschen, die sie innerhalb von Arakia duldeten. Denn Händler führten schöne Dinge mit sich, die Orks nicht rauben oder anfertigen, sondern nur eintauschen konnten. Dafür durfte man schon mal über das hässliche Äußere der Hellhäuter hinwegsehen.
»Dir tropft zu viel Schleim aus der Nase«, fuhr Tabor den Jungkrieger an. »Rotz dich aus und zieh den Gestank tief in deine Lungen. Dann bemerkst sogar du, dass das viel zu viele Ausdünstungen für einen einzelnen Menschen sind.«
Uroks Miene verfinsterte sich, denn es war nicht der erste grobe Rüffel, den ihm Tabor erteilte. Seit er der Raubschar angehörte, hatte es deren Anführer auf ihn abgesehen. Vielleicht, weil Tabor erst seit kurzem über eine eigene Schar gebot. Doch falls er dachte, er könnte sein Ansehen auf diese Weise stärken, täuschte er sich. Keiner der Veteranen feixte. Nicht mal Grimpe, der doch Tabors Vaterbruder war und ihm daher von allen am nächsten stand.
Ohne auf die Reaktion der Schar zu achten, fuhr der Erste Streiter fort: »Hinter diesem Gestank verbirgt sich garantiert mehr als nur ein verirrter Händler. Das riecht eher nach fremden Scharen, die die Clans der Blutorks berauben wollen. Aber das lassen wir uns nicht bieten, oder?«
Diesmal kamen Tabors Worte besser bei seinen Mannen an; sein Beifall heischender Blick in die Runde erntete Zustimmung. Selbst Urok vergaß den wallenden Zorn in seiner breiten Brust.
Menschen jagen machte großen Spaß und war obendrein äußerst einträglich. Die anderen Scharen würden vor Neid erblassen, wenn sie bereits mit vollen Beuteln zum Treffpunkt kamen.
Zwischen ihrer Raubschar und dem heimischen Grund der Madak-Sippe klafften noch zwei breite Täler. Sie konnten also ungestört agieren. Hier gab es keine fremden Späher, sonst hätte längst Verwesungsgestank statt Menschenschweiß in der Luft gehangen. Die Hellhäuter, die sich so tief ins Reich der Orks vorgewagt hatten, waren bislang unentdeckt geblieben, doch nun stand ihnen eine Begegnung mit scharfem Blutstahl bevor.
Urok zupfte an dem langen Wangenhaar, das sein wuchtiges Gesicht zu beiden Seiten bis an die Kinnlinie herab einrahmte. »Ziehen wir endlich los?«, fragte er ungeduldig.
Statt zu antworteten, zog Tabor einen Streithammer aus der Halteschlaufe des Wehrgehänges und schritt wortlos voran. Daraufhin griffen auch die anderen zu ihren Waffen. Mit nagelgespickten Keulen, doppelschneidigen Äxten und schweren Schwertern in den Pranken, folgten sie der sanft abfallenden Wiese - ein muskelbepackter, vor Stahl starrender Haufen, der Tod und Verderben bringen würde.
Alle Tiere auf der Lichtung spürten die anrückende Gefahr. Die gesamte Natur hielt den Atem an, selbst das Zirpen der Grillen verstummte. Kniehohes Gras schluckte die schweren Schritte, nur das Knirschen von Stiefelleder störte die bedrückende Stille.
Ein starker Regenguss hatte das Gelände erst kürzlich ins Rutschen gebracht. Der Hang endete abrupt an einer frischen Bruchkante, dahinter ging es zwei Körperlängen tief hinab. Aus dem dunklen, wie durch einen Pflug aufgebrochenen Mutterboden sprossen bereits neue Kräuter und Gräser hervor.
Das Land der Blutorks war so fruchtbar wie kaum ein anderes. Schon am Ende des Sommers würde ein dichter Pflanzenteppich alle Spuren der Erdbewegung überdecken. Noch bohrten sich aber dort, wo die Schar in die Senke sprang, tiefe Abdrücke in das aufgelockerte Erdreich.
Die umliegenden Hügel erzitterten so sehr, dass ein dichter Schwarm blutroter Falter aus dem Gras emporschreckte. Einige Herzschläge lang schien die Luft von flirrenden Totenschädeln erfüllt. Zumindest wirkte es so, da ihre schwarze Flügelzeichnung den Konturen eines skelettierten Hauptes ähnelte. Zwei schwarze Augenhöhlen und ein weit aufgerissener, nur vom schlanken Hinterleib durchschnittener Mund; diese Silhouette hatte den Totenköpflingen ihren Namen eingebracht.
In verschiedene Richtungen davonstiebend, gab der Schwarm den Blick auf die schroffen Bergkuppen frei, die weithin sichtbar die heimischen Gründe der Madak markierten. Scharf umrissen hob sich der ferne Gebirgszug vor dem blauen Himmel ab. Auf einigen Spitzen glitzerte noch ein Rest von Winterfrost, doch keiner der Orks hatte einen Blick für die grandiose Aussicht, die sie von dieser Position aus hätten genießen können.
Das weite, urtümliche Land war ihr Zuhause, seit sie die Augen öffnen konnten. Darum hielten sie die allgegenwärtige Pracht für selbstverständlich.
Alles, was Urok und die Seinen in diesem Moment interessierte, war der immer stärker anschwellende Geruch, der ihre Nasen kitzelte. Auf halbem Wege zum nächsten Waldrand wurde ein monotones Hämmern laut. Es klang wie der regelmäßige Schlag eines Ambosses, nur nicht so rein und so klar.
Auf Tabors Wink hin spritzten die Krieger auseinander. Tief nach vorn gebeugt, damit die hohen Halme sie so gut wie möglich verbargen, kreisten sie das Gebiet ein, in dem die Menschen lärmten.
Obwohl die Grasspitzen beinahe ihre Helme berührten, kamen die Hünen schnell und geschmeidig voran. Die Baumgrenze rückte rasch näher, ohne dass ein Posten Alarm schlug.
Wie achtlos die Menschen doch waren.
Auf weiter Front tauchte die Schar ins Unterholz und arbeitete sich in Richtung des Lärms voran. Dieser Wald war lange nicht so dicht bewachsen wie der, den sie verlassen hatten. Die Schar verringerte das Tempo erst, als fremde Stimmen erklangen.
»Was haben meine Soldaten an der Steinmühle verloren?«, drang es verzerrt an Uroks spitz zulaufende Ohren. »Der militärische Teil dieser Expedition untersteht meinem Kommando, und ich habe diese Männer auf vorgeschobene Posten abkommandiert!« Trotz des mehrfach von den Bäumen widerhallenden Echos war die Erregung des Sprechers deutlich herauszuhören.
Urok musste unwillkürlich grinsen. Menschen und Orks mochten sonst nicht viel miteinander gemein haben, doch Zank und Missgunst gärten in beiden Völkern.
»Vorsicht, Hauptmann - Sie übertreten Ihre Kompetenzen!« Die Antwort hinter den Bäumen wurde von einem erstickten Laut untermalt, der übergangslos in ein trockenes Knacken mündete.
Urok kannte das Geräusch. So hörte es sich an, wenn ein menschliches Genick zerbrach. Irgendeiner aus ihrer Schar hatte einen feindlichen Späher überwältigt und für immer zum Schweigen gebracht.
Nun konnten sie bedenkenlos näher rücken.
Gleich darauf verlangsamte Urok erneut den Schritt, denn nur wenige Längen entfernt brach das Gelände erneut steil nach unten ab. Hinter einigen dicht belaubten Ästen suchte er Deckung und spähte vorsichtig in die vor ihm aufklaffende Schlucht. Er sah den Geländeeinschnitt zum ersten Mal, doch der Wildbach, der dort unten entlangschoss, war ihm geläufig. Er entsprang weit unterhalb des Heiligen Horts und schwoll stromabwärts zu einem der vielen Flüsse an, die in die Schwarze Marsch mündeten.
Am Ufer des schnell abfließenden Gewässers standen zwei streitende Männer und einige weitere Hellhäuter, die gespannt den Zwist der beiden verfolgten.
Für die meisten Orks sahen alle Menschen gleich aus, doch Urok stellte Feinheiten in ihrer Kleidung, der Haltung und des Charakters fest. So gehörte der, der gerade sprach, zu der Sorte, die den Hellhäutern den Ruf eingebracht hatte, von Natur aus Schwächlinge zu sein. Seine Haut schimmerte weiß und weich wie die eines Nesthockers, der kaum einen Schritt vor die Hütte tat. Statt Waffen und einer Rüstung trug er nur eine Tunika aus feinem Stoff, die von einem Leibgurt gehalten wurde. Seine Füße steckten in leichten Sandalen, deren Verschnürungen bis kurz unter das Knie reichten. Er war kein Mann der Tat, das war deutlich zu erkennen. Den schlanken Händen nach hob er selten etwas, das schwerer als ein Federkiel wog.
»Vergessen Sie nicht, dass ich über diese Expedition gebiete«, verkündete er mit hochrotem Kopf. Sogar die kahle Stelle an seinem hinteren Scheitel, nur von einer Handvoll schütteren Haares gerahmt, leuchtete weithin sichtbar. »Wenn ich befehle, die Abraumarbeiten zu beschleunigen, ist dem Folge zu leisten, verstanden? Oder Sie müssen die Konsequenzen tragen, wenn ich meinem Bruder, dem Herzog, Bericht erstatte.«
So schrill und befehlend er sich auch gab, in seiner Stimme schwang ein ängstlicher Unterton. Der Mann wollte keinen Lidschlag länger in Arakia bleiben als unbedingt nötig. Deshalb hatte er die vorgeschobenen Wachen abgezogen, um sein Vorhaben zu beschleunigen.
Wie dumm von ihm. Und wie unsagbar menschlich.
Einen Mann wie ihn zu erschlagen brachte nur wenig Ehre, doch erst einmal von Fleischkäfern abgenagt und in Salzlauge gewaschen, würde sein Schädel den Türbogen ebenso schmücken wie der eines Helden.
Der Hauptmann, der die ganze Arie über sich ergehen ließ, stand vor seinem Herrn, und die Art, wie er seine herabhängenden Hände unentwegt öffnete und schloss, ließ erahnen, wie stark es in ihm rumorte.
»Nicht so laut, Magister Garske«, warnte er, nur wenig leiser als sein Gegenüber. »Sie wollen es vielleicht nicht wahrhaben, aber wir befinden uns mitten im Reich der Blutorks.«
Er war von hochgewachsener, schlanker Gestalt und trug sein Langschwert in der Rückenscheide. Den schweren Stiefeln sowie dem abgewetzten Lederwams nach handelte es sich um einen altgedienten Krieger. Sicherlich hatte er genügend Kraft, den aufgeschwemmten Tunikaträger niederzuschlagen, doch er tat es nicht.
Darin unterschieden sich die Menschen von den Orks - bei ihnen regierte die Dummheit über die Tatkraft.
Dass der Dümmste aus ihrer Mitte das Kommando führte, war aber bei Weitem nicht das Erstaunlichste. Urok faszinierte vielmehr ein beinahe fünf Beinlängen großes Rad, das die Hellhäuter inmitten des reißenden Wildbachs errichtet hatten. Bei dieser Konstruktion handelte es sich nicht etwa um eine jener kompakten, runden Holzscheiben, wie sie die Menschen für Schub- oder Lastkarren verwendeten, sondern um ein aus vielen Einzelteilen zusammengezimmertes, mit Schaufelbrettern versehenes Gebilde, das durch den reißenden Wasserstrom unentwegt um die eigene Achse getrieben wurde, ohne sich dabei von der Stelle zu bewegen. Und als ob das noch nicht verwunderlich genug gewesen wäre, entwuchs diesem Wasserrad auch noch eine rotierende Stange. Die wiederum setzte ein Zahnrad in Bewegung, welches, über weitere Stangen und Zahnräder verbunden, eine schwere Gesteinsmühle drehte.
Zwei Büsche weiter spuckte Tabor verächtlich aus.
Urok wusste, warum. Echte Orks hielten Räder, Flaschenzüge und andere Hilfsmittel für ein Zeichen von Schwäche. Jeder mit einem gesunden Körper drehte gefälligst ohne zu klagen seine Mühle mit bloßer Muskelkraft, selbst wenn erzhaltige Brocken zerkleinert werden mussten. Nur Menschen drückten sich vor dem angenehmen Schmerz, der den Leib nach getaner Arbeit plagte.
Urok bewunderte zwar insgeheim, wie sich die von Natur aus schwächlichen Hellhäuter zu helfen wussten; für das, was sie sonst hier trieben, fehlte ihm allerdings jedes Verständnis. Es war nicht zu übersehen, dass die ungebetenen Gäste einen Stollen in die Erde gruben, um darin nach den Erzen zu suchen, die die Orks für ihre allseits gefürchteten Blutschwerter verwendeten.
Was schwebte diesen Menschen wohl als Nächstes vor? Bis zum Heiligen Hort vorzudringen, um das größte Geheimnis der orkschen Schmiedekunst, den legendären Blutstahl, zu rauben?
Unbewusst drückte Urok den Stiel seiner doppelschneidigen Axt so fest, dass er unter den Fingern knarrte. Nein, das würde Tabors Schar verhindern. Und wenn sie dafür das eigene Leben hergeben mussten.
Urok war bereit loszuschlagen, doch statt des Angriffsbefehls drang ein Warnruf durch die Schlucht.
»Blutorks! Blutorks! «, erklang es, und dann: »Alarm, wir sind umzingelt!«
Die weiteren Worte endeten in einem Röcheln. Der bisher übersehene Wachposten hatte endlich, wenn auch viel zu spät, orkschen Stahl zu schmecken bekommen. Für einen sorgsam abgestimmten Angriff fehlte jetzt allerdings die Zeit. Von nun an hieß es: vorwärts-stürmen und auf den Feind einschlagen!
Obwohl sich das kaum von ihrer üblichen Taktik unterschied.
Ohne sich zu vergewissern, ob die anderen folgten, brach Urok aus dem Laub hervor und sprang, die Füße voran, in die Tiefe. Nach einigen Armlängen freien Falls prallte er mit seiner Kehrseite auf eine vorspringende Grasnabe. Sofort zog er die Beine an und warf sich mit dem Rücken nach hinten, um auf dem ledernen Waffenrock abwärtszurutschen.
Den Axtstiel mit beiden Händen an die Brust gezogen, nahm er gehörig Fahrt auf. Links und rechts von ihm bot sich das gleiche Bild; dort sprangen oder schlidderten Tabors Mannen unter lautem Gebrüll den Hang hinab. Weder hervorstehendes Wurzelwerk noch scharfkantige Steine stoppten ihren Angriff. Orkhaut war dick und widerstandsfähig.
Die Menschen am Bachlauf schraken beim Anblick der herabstürzenden Horde zusammen, obwohl die Mehrheit der Orks nicht auf den Füßen landete, sondern sich, am Boden angekommen, zuerst mehrfach kräftig überschlug.
Der Magister und einige Grubenleute gerieten sofort in Panik. Blindlings rannten sie davon, während der Hauptmann und all jene, die wie Soldaten wirkten, ihre Schwerter zogen.
»Vorwärts!«, brüllte Tabor. »Macht die Feiglinge nieder!«
Der Erste Streiter sah keinen Unterschied zwischen jenen, die flohen, und denen, die sich mit dem Schwert in der Hand dem Feind stellten. Urok schon, doch spürte er keine Furcht, sondern nur Freude über den bevorstehenden Kampf.
Noch hielt er die Doppelaxt kurz unterhalb der geschwungenen Klingen, doch sobald es zum Kampf kam, würde die Waffe wie eine Verlängerung seines mächtigen Arms durch die Luft schneiden - und durch Fleisch und Knochen!
Das wussten auch die beiden mit Rundschildern gewappneten Soldaten, die Urok im Laufschritt entgegenstürmten. Nur ihre von eisernen Krempen beschirmten Augenpartien lugten über den mit Metallbuckeln gepflasterten Holzschutz hinweg. Sie fürchteten nicht nur die Muskelkraft des Orks, sondern auch die dreißig Pfund scharf geschliffenen Blutstahls in seinen Händen.
Urok stoppte ab und ließ den Axtstiel durch seine Linke gleiten, bis er den mit Leder umwickelten Griff zwischen den Fingern spürte. Sollten die Kerle ruhig versuchen, ihn zu überrennen. Er hatte die größere Reichweite.
Schaft und Griff seiner matt schimmernden Waffe waren so lang wie der Arm eines Orks und bestanden aus geölter Eiche. Die identischen Axtköpfe trugen mit Säure eingeätzte Symbole, die dem Feuerriesen Vuran huldigten. Nur im Blut der Erde geschmiedeter Stahl durfte diese Zeichen tragen.
Die Soldaten stürmten mit unverminderter Geschwindigkeit weiterhin auf Urok zu. Was blieb ihnen auch anderes übrig?
Lässig ließ der Ork den linken Arm kreisen, bis die Schneiden durch die Luft pfiffen wie zu Urvaters Zeiten. Sein Axtstiel war zwar neu, doch das Herzstück der Waffe, die weit nach innen geschwungenen Schneiden, wurde schon seit Generationen von dem Vater auf den Sohn vererbt. Der glänzende Stahl, der aus der großen Schmiede am Heiligen Hort stammte, hatte schon zahllose Knochen zerhackt und Gliedmaßen durchtrennt, trotzdem war er immer noch so scharf wie am ersten Tag.
Dagegen muteten die Waffen der Soldaten geradezu minderwertig an. Nicht umsonst war Orkstahl in den Ländern zwischen Frostwall und Nebelmeer heiß begehrt. Schon viele Hellhäuter hatten ihr Leben riskiert, um das Geheimnis der orkschen Schmiedekunst zu lüften, doch bisher hatte jeder von ihnen den Kopf verloren, bevor er etwas hätte ausplaudern können.
Die Soldaten wichen nicht zurück, als sie den wirbelnden Tod sahen, doch sie begannen zu schreien, um sich selber Mut zu machen. Urok hielt einen Moment in der Bewegung inne, als würde er erschrocken zusammenfahren, dann schlug er mit aller Macht auf den von rechts Heranstürmenden ein.
Muskelkraft, Waffengeschick und Blutstahl wirkten gemeinsam auf die emporgerissene Deckung ein, spalteten das Holz von oben nach unten auf, und der Schildarm, der innen in zwei Lederschlaufen steckte, wurde durchtrennt.
Feurig rot brach es aus der Wunde hervor.
Urok spürte warme Tropfen, die sein Gesicht benetzten, während der Soldat entsetzt auf seinen blutenden Stumpf starrte, an dem noch eine Hälfte des zerschlagenen Schilds herabbaumelte. Während er schreiend in die Knie brach, schreckte sein Kamerad zwei Herzschläge lang davor zurück, auf Urok einzudringen.
Lange genug, damit der Ork zur Seite weichen und erneut ausholen konnte. Diesmal rasierte er die obere Schildhälfte mit einem waagerechten Rundschlag ab, knapp oberhalb des Arms, den der Soldat nur retten konnte, weil er seine Deckung reflexartig fallen ließ.
Fingerlange Splitter brachen aus dem berstenden Holz und stachen dem Hellhäuter in die ungeschützten Bereiche zwischen Helm und Harnisch, einige davon drangen tief in seine weichen Wangen, die verglichen mit Orkhaut etwa so widerstandsfähig wie überreife Früchte waren.
Wütend schleuderte der Soldat den verbliebenen Schildrest ab und stach mit seinem Schwert zu. Es war eine kraftvolle Attacke, die einen Lederharnisch durchaus zu durchdringen vermochte, doch Urok drehte seinen Körper behände zur Seite und wich dem Stahl aus.
Die Augen des Soldaten weiteten sich vor Überraschung. Er war nicht der Erste, der Blutorks für plump daherstampfende Muskelhaufen gehalten hatte, bis er im Kampf eines Besseren belehrt wurde. Ehe der Narr sein Gleichgewicht wiederfand, packte Urok die Doppelaxt bereits mit beiden Händen und stieß das Griffende nach vorn.
Der halbkugelförmige Knauf knallte dem Soldaten hart unters Kinn und ließ ihn nach hinten kippen. Stöhnend stürzte er zu Boden und schlug dabei so unglücklich auf, dass sein Helmriemen zersprang. Das schützende Eisen rollte zur Seite. Darunter quoll langes blondes Haar hervor.
Urok fragte sich einen Moment, ob eine Menschenfrau vor ihm lag. Er konnte es nicht recht beurteilen, da er noch nie eine gesehen hatte. Jedenfalls keine junge, ohne Übergewicht und mit dicken Runzeln im Gesicht.
Ob Mann oder Frau spielte allerdings keine Rolle. Die Hellhäuter waren in Arakia eingedrungen, um die Blutorks zu bestehlen - das allein zählte.
In einem silbrigen Halbkreis flirrte die Axt zu Boden, doch statt den Soldaten zu köpfen, fuhr sie ungebremst in sattes Moos. Das eben noch so sicher scheinende Opfer war blitzartig zur Seite geschnellt und sprang mit wehendem Haar davon.
Kein ehrenvoller Gegner. Uroks Mundwinkel fielen herab, trotzdem nahm er die Verfolgung auf. In so einem Scharmützel konnte es leider nicht nur Helden geben.
Ein Schlag vor die Brust irritierte den Ork kurz, ohne ihn im Schritt innehalten zu lassen. Der gefiederte Schaft, der plötzlich seinem Harnisch entwuchs, hatte das mit Eisenfäden durchwebte Leder nicht durchdrungen. Pfeile jagten Urok keine große Angst ein. Nicht, wenn sie von zitternden Schützen mit minderwertigen Bögen abgeschossen wurden.
Ein zweiter Schatten zischte dicht an seinem Hals vorbei. Das beeindruckte ihn immerhin so weit, dass er die doppelköpfige Axt zum Schutz emporschwang. Auch um ihn herum wurden Scharbrüder von Pfeilen getroffen, doch die kaum mehr als doppelt so starke Menschentruppe hatte schon zu hohe Verluste erlitten, um ihnen noch wirklich gefährlich werden zu können.
Von den drei Bogenschützen, die das Gelände bestrichen, verdienten nur zwei überhaupt diese Bezeichnung. Bei dem dritten handelte es sich um einen Grubenarbeiter, der seine Hacke zwar gegen eine aufgeklaubte Waffe eingetauscht hatte, aber keinen einzigen Treffer zu landen vermochte. Grimpe und einige andere waren längst zu den dreien aufgerückt, sodass die Schützen plötzlich - nun auf kürzeste Distanz - um ihr nacktes Überleben schossen.
Der blonde Schwertkämpfer, den Urok verfolgte, hielt dagegen seine Chance für gekommen. Abrupt machte er auf dem Absatz kehrt, überbrückte die zwischen ihnen liegende Distanz mit einem großen Satz und wirbelte das mit beiden Händen gepackte Schwert durch die Luft.
Das junge Gesicht hinter dem flirrenden Stahl war vor Anspannung verzerrt. Urok war nun sicher, dass es sich um einen Mann handelte. Rasch wehrte er eine Serie von wild geführten Hieben ab, die ihn tatsächlich in die Defensive drängten. Die Vernunft hätte von ihm gefordert, zwei Schritte zurückzuweichen, doch das wäre zu viel der Ehre für einen Gegner gewesen, der schon einmal die Flucht ergriffen hatte.
Verärgert stieß Urok mit dem Knauf zu, um den Kerl auf Abstand zu bringen. Nur so ließ sich ein sauberer Schlag führen.
Rasselnd wich dem Blonden die Luft aus den Lungen. Er taumelte zwei Schritte zurück und klappte weit stärker vornüber, als nötig gewesen wäre. Tatsächlich war der Schwächeanfall nur eine Finte, um einen Schlag gegen Uroks Beine zu führen.
Die Täuschung gelang immerhin so weit, dass er den Ork unterhalb des linken Knies verletzte. Es war nur ein harmloser Schnitt, trotzdem musste Urok zurückweichen, um Schlimmeres zu verhindern.
Das machte ihn wütend.
Der Blonde witterte Morgenluft. Knurrend richtete er sich auf und holte mit dem Schwert aus, als ob er das zwanzig Schritt entfernt stehende Wasserrad gleich mitspalten wollte.
Urok sackte in die Knie und zog einen Halbkreis mit der Axt. Obwohl der Blonde noch in die Höhe sprang, wurden ihm die Füße abgesäbelt. Ziemlich genau so, wie er es kurz zuvor bei dem Ork versucht hatte, nur dass Urok sein Handwerk besser verstand. Weitaus besser.
Ohne den schreiend am Boden liegenden Mann eines weiteren Blickes zu würdigen, schritt Urok davon. Er suchte nach einem würdigeren Gegner, der mehr Ehre versprach, doch der Hauptmann, gegen den er gern angetreten wäre, führte bereits einen Zweikampf mit Tabor.
Der Hellhäuter verstand es durchaus, sein Schwert zu führen, doch gegen das Geschick des Ersten Streiters musste er auf Dauer unterliegen. Dem Flackern in seinen Augen nach dämmerte ihm bereits, das er verloren war. Dennoch kämpfte er verbissen weiter.
Statt dem absehbaren Kampfverlauf zu folgen, wandte sich Urok lieber dem Gegenstand zu, der ihn von Anfang an am meisten interessiert hatte - dem knarrenden Wasserrad, das weiterhin unermüdlich die Gesteinsmühle drehte.
Im Schatten des Ungetüms hockte ein junger Mann, der einige Pergamentrollen zusammenraffte und in einen Ledersack stopfte. Bisher wurde er nicht beachtet, denn überall dort, wo die Kämpfe beendet waren, eilten die Orks den flüchtenden Grubenarbeitern nach, und an den am Boden kauernden Jüngling, der die Welt um sich herum vergessen hatte, verschwendete niemand einen Blick.
Niemand außer Urok, der neugierig auf den Knienden zuging, bis sich ihm eine in Leder gekleidete Gestalt in den Weg stellte. In der Rechten hielt der Fremde ein mit Blut besudeltes Schwert, die Linke streckte er mit gespreizten Fingern in die Höhe, als ob er den Ork mit bloßer Hand aufhalten wollte.
Urok hielt tatsächlich inne, um den Mann näher in Augenschein zu nehmen. Dem vernarbten Gesicht nach handelte es sich um einen Veteranen, der schon manches Scharmützel überlebt hatte.
Urok straffte zufrieden die Schultern. Es gab also doch noch einen ehrenvollen Gegner für ihn.
»Ragmar, du Idiot!«, rief der Veteran, die unerwartete Verschnaufpause nutzend. »Mach, dass du fortkommst, solange es noch geht!«
Der Jüngling im Schatten des Wasserrads drückte sich den vollgestopften Ledersack an die Brust und sah furchtsam in die Höhe. »Aber ...« Mühsam rang er nach Worten. »Aber ich soll doch diese Unterlagen wie meinen Augapfel hüten.«
Der Veteran verkrampfte sich unmerklich, schaffte es aber, den Blick konstant auf Urok gerichtet zu halten. »Scheiß auf den Magister!«, fluchte er aufgebracht. »Der liegt längst irgendwo im Dreck und knetet seine hervorquellenden Därme. Mach, dass du nach Hause kommst. Denk an deine Mutter und lauf so schnell du kannst. Das ist deine einzige Chance!«
»Es gibt kein Entkommen mehr«, mischte sich Urok ein und benutzte dafür die Sprache der Hellhäuter. »Für keinen von euch beiden. Aber ich freue mich, dass du dein Leben für deinen Kameraden opfern willst. Dafür sollst du im Kampf sterben, wie es einem echten Krieger gebührt.«
Sein Gegenüber wusste die ihm zuteilwerdende Ehre nicht zu würdigen. »Du blödes grünhäutiges Monstrum!«, grollte er laut. »Keinen Schritt weiter oder ich schlitze deinen aufgeblähten Balg der Länge nach auf.«
Die unflätigen Beleidigungen des Söldners zeugten von Furcht, doch seine Hände zitterten nicht im Geringsten. Er hatte die Erfahrung eines alten Kämpen, der jeden einzelnen Muskel seines Körpers zu kontrollieren verstand. Sicher war er kein berühmter Schwertmeister, sonst hätte es ihn nicht in diese traurige Truppe verschlagen. Doch in seiner Zunft erreichte niemand solch ein Alter, wenn er nicht zu kämpfen verstand.
Sein kurz geschnittenes, bereits grau durchzogenes Haar mochte schon vierzig oder mehr Winter gesehen haben. Er wirkte erschöpft. Nicht körperlich, sondern im Inneren. An diesem Eindruck waren seine Augen schuld, die kalt und ausdruckslos schimmerten wie bei einem Mann, für den der eigene Tod längst jede Bedeutung verloren hatte. Seine Sorge galt einzig und allein Ragmar, dem jungen Kameraden, dem er sich aus irgendeinem Grund verbunden fühlte.
»Lauf endlich!«, forderte der Veteran und drang dabei auf seinen Gegner ein. »Lauf doch, du Idiot!«
»Ich kann nicht.« Ragmar schluchzte mehr, als dass er sprach. »Ich kann nicht, Orgur. Meine Beine sind wie gelähmt.«
Eine kurze Bewegung mit der Axt reichte aus, um Orgurs Angriff abzublocken, doch statt zurückzufedern und neu auszuholen, wirbelte der Veteran auf dem rechten Absatz herum und drängte sich mit einer geschmeidigen Körperdrehung ganz dicht an Urok heran. Der Hellhäuter wusste, dass die Streitaxt Platz brauchte, um ihre vernichtende Wirkung voll zu entfalten. Deshalb begab er sich in einen Bereich, den Menschen normalerweise stärker fürchteten als Fliegen das klebrige Netz einer Spinne: in die unmittelbare Reichweite zweier kräftiger Orkarme.
In der eben noch leeren Hand des Veteranen funkelte auf einmal kalter Stahl, der sich nur einen Herzschlag später seinen Weg zwischen Brustharnisch und Gürtel suchte. Urok wusste nicht, woher die schmale Klinge so plötzlich kam, doch er spürte, wie sie sich oberhalb seiner Hüfte ins Fleisch bohrte.
Verärgert schlug er den rechten Arm nach unten, um die Attacke abzublocken, doch es war zu spät. Der Dolch blieb in der Wunde stecken, als er den Hellhäuter zurückdrängte.
Dunkles Orkblut strömte entlang der Klinge hervor. Obwohl Urok jede sichtbare Reaktion unterdrückte, schmerzte die Wunde höllisch.
Ehe er seine Axt emporwuchten konnte, erfolgte schon der nächste Schwerthieb. Während er ihn abwehrte, zog Orgur einen weiteren, beidseitig geschliffenen Dolch aus dem Saum seines Wamses hervor. Die Klingen steckten kopfüber in eingenähten Scheiden, kamen aber erst zum Vorschein, wenn er nach ihnen griff.
Was folgte, war ein schmutziger, auf engstem Raum ausgefochtener Kampf, wie ihn Urok noch nicht erlebt hatte.
Orgur verstand sein Geschäft. Sicherlich hatte er auf diese Weise schon unzählige Gegner in den Tod geschickt. Gerade im dichten Getümmel war seine Kampftechnik von tödlicher Präzision. Dabei benutzte er das Schwert nur dazu, die Waffe des Gegners zu binden - die tödlichen Attacken führte er ausschließlich mit dem Dolch aus, dessen kurzer Rundgriff vollständig in seiner Faust verschwand.
Urok bekam den wendigen Kerl einfach nicht richtig zu fassen, sondern immer wieder nur seinen Stahl zu schmecken. Abgesehen vom ersten Stich steckte er zwar nur oberflächliche Schnittwunden ein, doch sobald er sich eine größere Blöße gab, würde ihn das unweigerlich das Leben kosten.
Dieser elende Mensch, der ihm gerade eben bis zum Kinn reichte, war ihm stets einen Schritt voraus; Urok konnte auf seine Attacken stets nur reagieren. Kaum hatte er die eine abgewehrt, folgte bereits die nächste.
Verbissen kämpfte er ums nackte Überleben. Auf die Hilfe der anderen Orks brauchte er nicht zu hoffen. Wer von ihnen nicht selbst kämpfte, war bereits damit beschäftigt, die Beute zu sichten. Außerdem wäre nie jemand auf die Idee gekommen, dass ein Scharbruder Hilfe gegen einen einzelnen Hellhäuter benötigte.
Dass Ragmar die ganze Zeit über wie angewurzelt am Boden hocken blieb, statt die Gelegenheit zur Flucht zu nutzen, entnervte Urok beinahe ebenso sehr wie seinen Gegner. Dann gelang es ihm endlich, Orgur auf Abstand zu stoßen.
Urok rollte mit den Schultern, als ob er zu einem mächtigen Schlag ausholen wollte. In Wirklichkeit packte er seine Axt kurz unterhalb der geschwungenen Klingen und behielt sie dicht am Körper, als er dem erneut attackierenden Veteranen entgegentrat.
Statt das heransausende Schwert zu parieren, pendelte Urok mit dem Oberkörper zur Seite und hielt dem Vorbeistolpernden die Axt auf Bauchhöhe entgegen. Es gab keinen Moment des Widerstandes, fast so, als ob sie sich überhaupt nicht berühren würden, doch sobald sie einander passiert hatten, waren Uroks Axtköpfe bis zur Hälfte mit Blut besudelt.
Der Hellhäuter hatte sich mit dem eigenen Angriffsschwung aufgeschlitzt. Zäher Veteran oder nicht, Orgur klappte in der Körpermitte zusammen. Schwert und Dolch entglitten seinen Händen, wäh - rend er zu Boden stürzte. Er wollte leben so wie jeder Sterbende, darum presste er verzweifelt die auseinanderklaffenden Fleischlappen zurück an ihren Platz, doch keines Menschen Hand fügt wieder zusammen, was eine Blutaxt durchtrennt hat.
»Oheim!«, rief Ragmar entsetzt.
Der Schnitt lief über die gesamte Bauchdecke und war bis tief in Orgurs Magen gedrungen. Statt die Blutung abzuklemmen, hätte er lieber seine Gedärme herauszerren sollen, um so die Zeit des Schmerzes abzukürzen.
Urok baute sich über dem Sterbenden auf, um sein Leiden zu beenden. Er visierte gerade den Hals an, als er Schritte in seinem Rücken hörte. Ein Blick über die Schulter offenbarte, dass Ragmar heranstürzte, den Ledersack unter den linken Arm geklemmt, ein Kurzschwert in der rechten Hand.
So ungeschickt, wie er die Waffe hielt, gehörte sie nicht ihm, sondern hatte irgendwo im Dreck gelegen. Urok bereitete es keine große Mühe, sie dem Jüngling aus der Hand zu prellen und ihn danach durch einen Schlag mit dem flachen Axtkopf ins Reich der Träume zu schicken.
Ein gequältes Seufzen von unten bewies, dass Orgur alles bei vollem Bewusstsein miterlebte. Urok baute sich erneut über ihm auf.
»Es ist gleich vorbei«, versprach er. »Sei unbesorgt. Du sollst kein Friedloser werden, sondern im Blut der Erde aufgehen.«
Der Veteran wälzte sich unter großen Schmerzen auf den Rücken und schüttelte mühsam den Kopf. In seinen Augen lag ein flehender Blick, seine Lippen bewegten sich, ohne dass sie zunächst Worte formten. Blut sickerte aus seinen Mundwinkeln, trotzdem fand er schließlich die Sprache wieder.
»Ich weiß, was ihr mit den Überlebenden macht«, würgte er gurgelnd hervor. »Ich bitte dich, erschlag meinen Neffen und foltere lieber mich dafür.«
Neffe. In der Sprache der Menschen bedeutete das Schwester- oder Brudersohn. Daher die Sorge und Selbstaufopferung. Tief im Inneren einiger Hellhäuter verbarg sich wohl doch der gute Kern eines Orks.
Urok tastete nach Orgurs Dolch, der immer noch in seiner Seite steckte. Obwohl er weder schwankte noch sonst ein Zeichen von Schwäche zeigte, erschöpfte ihn der Blutverlust allmählich.
»Zu spät«, sagte er mit einer leisen Spur des Bedauerns. »Selbst wenn wir wollten, wir könnten dich nicht mehr opfern. Du bist bereits tot. Und das weißt du auch.«
Sicher hatte der Veteran keine andere Antwort erwartet, trotzdem sank er enttäuscht zurück ins Gras. Seine Augen wurden langsam glasig, er hatte nur noch wenige Atemzüge zu leben.
Urok wollte ihn trotzdem köpfen.
Der Mann hatte es sich verdient.
Doch zuerst musste er seine eigene Blutung stoppen, bevor ihm noch die Knie weich wurden. Der Ork spürte ein scharfes Ziehen, als der Runddolch aus dem Stichkanal glitt. Rasch ließ er den blutbefleckten Stahl in der schmalen Tasche seines Waffenrocks verschwinden, in der er auch das Wundmoos mitführte, und holte mit der gleichen Handbewegung ein kleines, nicht mehr als daumennagelgroßes Knäuel hervor, das er ohne große Umstände tief in die Wunde stopfte.
Ein belebendes Prickeln zeigte, dass die Kräuter sofort ihre heilende Wirkung entfalteten. Die Blutung stockte beinahe augenblicklich. Der Maulbeersaft, mit dem sie getränkt waren, beugte außerdem Wundbrand vor. Und was dieser und die anderen Zutaten nicht zu unterdrücken vermochten, schwitzte ein echter Blutork ganz normal im Schlaf aus. Oberflächliche Schnittwunden fanden bei diesem Volk keine große Beachtung. Mit solchen Kleinigkeiten wurden ihre robusten Körper von ganz alleine fertig.
Ohne weiter auf das Versiegen des Blutstroms zu warten, packte Urok wieder mit beiden Händen zu. Seine Axt schwebte gerade über dem Sterbenden, als von hinten der Ruf erklang: »Stellt den Kampf ein! Alle noch lebenden Menschen werden Vuran übergeben!«
Urok drehte sich zu Tabor um, der zwei bluttriefende Köpfe an ihren Schöpfen hielt und direkt zu ihm herübersah. Die übrigen Orks waren alle längst damit beschäftigt, die Toten auszuplündern. Nur Grimpe stand neben dem Ersten Streiter und wachte über ein zitterndes Bündel, das sich erst auf den zweiten Blick als der gefangene Magister entpuppte.
Für Urok war klar, dass Tabors Absicht einzig und allein darin bestand, ihn daran zu hindern, dem Menschen die Gnade eines schnellen Todes zu gewähren.
Der junge Ork blickte auf den Sterbenden herab. Er sah in die zerschnittenen Därme und auf den Brustkorb, der sich nur noch flach hob und senkte. In wenigen Atemzügen würde das Leben ohnehin aus Orgur gewichen sein. Trotzdem ließ Urok die Axt in einem vollendeten Bogen herabsausen und trennte den Kopf des Sterbenden sauber vom Rumpf.
Der Schädel sollte einen Ehrenplatz in seiner Hütte erhalten, denn Urok hatte in diesem Kampf viel gelernt.
»Hast du Raupenschmalz in den Ohren?« Tabors Stimme schraubte sich unangenehm schrill in die Höhe. »Wenn ich befehle, die Überlebenden fürs Feuer aufzusparen, haben alle zu gehorchen!«
Urok nickte dem Leichnam ein letztes Mal zu, dann wandte er sich um, fixierte Tabor mit ruhigem Blick und setzte seine Axt kopfüber auf den Boden. Beide Hände auf den Knauf gestützt, sammelte er geräuschvoll eine große Menge Speichel im Rachen und spuckte ihn seitlich ins Moos.
Wer bisher noch nicht auf Tabor und ihn geachtet hatte, schenkte ihnen spätestens nun die volle Aufmerksamkeit.
Der Erste Streiter starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. Uroks Benehmen war ein Affront stärkster Güte, ebenso wie die kurz darauf folgenden Sätze.
»Niemand darf von mir fordern, dass ich mein Wort breche«, erklärte Urok laut und vernehmlich. »Nicht mal der Erste Streiter meiner Schar!«
Seine Hände weiterhin auf die Axt gestützt, wartete er Tabors Antwort ab, doch der Erste Streiter schwieg. Sicher vor Verblüffung, doch auch mit einem kalten, hasserfüllten Funkeln in den Augen.
...
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Von einem dichten Wall grünen Blattwerks umgeben, drang die dunkle Schar durchs Unterholz. Trotz ihrer wuchtigen Erscheinung bewegten sich die in Leder und Eisen gewandeten Hünen nahezu lautlos vorwärts. Ab und an zerknackte ein trockener Zweig unter ihrem Gewicht, oder die mächtigen Stiefel strichen raschelnd durch kleine Laubanhäufungen, doch in einem wildreichen Gebiet wie diesem waren solche Geräusche allgegenwärtig. Selbst ein gut positionierter Späher hätte Mühe gehabt, das kampflustige Dutzend in dem dichten Meer aus Blättern, Stauden und Zweigen zu entdecken.
Blutorks auf Beutezug verstanden es, mit den Wäldern zu verschmelzen. Und auch Tabors Raubschar blieb im Schatten der Bäume, obwohl sich nur zehn Schritte entfernt eine Lichtung öffnete. Der heimische Grund lag weit entfernt, und ihre Anwesenheit sollte geheim bleiben. Alle Krieger verhielten sich ruhig und diszipliniert. Erst der über die freie Fläche heranstreichende Wind, der einen feinen Schweißgeruch ins Dickicht trug, sorgte für Irritationen. Ein Ork nach dem anderen verlangsamte seinen Schritt, bis die gesamte Raubschar wie auf ein lautloses Kommando hin innehielt.
Plötzlich lastete eine unsichtbare Spannung über der Gruppe.
Selbstverständlich stand es dem Ersten Streiter zu, für Klarheit zu sorgen. In gebeugter Haltung schob sich Tabor auf die Lichtung und hob das fleischige Gesicht. Der Geruch, der seine bebenden Nasenflügel füllte, zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. Nach hinten gewandt, rief er halblaut: »Ich rieche Menschenfleisch!«
Seine Ankündigung lockte umgehend die anderen hervor.
Urok, ein noch junger, aber voll ausgewachsener Krieger, verließ zuerst das Dickicht. Hinter ihm folgten weitere Schatten, deren Umrisse sich ebenso rasch vom grünen Hintergrund lösten. Orkhaut war kaum heller als die Oberfläche eines frisch sprießenden Blattes, und die aus Leder gefertigten Harnische passten ebenfalls perfekt in die Farbpalette des Waldes. Selbst die matt schimmernden Helme und Brustplatten boten keinen großen Blickfang.
Doch außerhalb des Halbdunkels, im prallen Licht der Sonne, war die geballte Ansammlung grober Muskelkraft nicht mehr zu übersehen. Schnaufend und grunzend scharte sich die Gruppe um ihren Anführer.
»Ein Mensch? Hier?«, stieß Urok hervor, bevor sich auch seine Nasenflügel witternd blähten. »Was verleitet diesen Narren, sich so weit von den abgesprochenen Handelsplätzen zu entfernen?«
Händler ... Allein das Wort besaß für die Ohren eines Orks einen fremdartigen, beinahe widernatürlichen Klang. Dinge, die sich nicht jagen oder mit eigenen Händen herstellen ließen, stahl ihr Volk für gewöhnlich. Trotzdem waren Händler die einzigen Menschen, die sie innerhalb von Arakia duldeten. Denn Händler führten schöne Dinge mit sich, die Orks nicht rauben oder anfertigen, sondern nur eintauschen konnten. Dafür durfte man schon mal über das hässliche Äußere der Hellhäuter hinwegsehen.
»Dir tropft zu viel Schleim aus der Nase«, fuhr Tabor den Jungkrieger an. »Rotz dich aus und zieh den Gestank tief in deine Lungen. Dann bemerkst sogar du, dass das viel zu viele Ausdünstungen für einen einzelnen Menschen sind.«
Uroks Miene verfinsterte sich, denn es war nicht der erste grobe Rüffel, den ihm Tabor erteilte. Seit er der Raubschar angehörte, hatte es deren Anführer auf ihn abgesehen. Vielleicht, weil Tabor erst seit kurzem über eine eigene Schar gebot. Doch falls er dachte, er könnte sein Ansehen auf diese Weise stärken, täuschte er sich. Keiner der Veteranen feixte. Nicht mal Grimpe, der doch Tabors Vaterbruder war und ihm daher von allen am nächsten stand.
Ohne auf die Reaktion der Schar zu achten, fuhr der Erste Streiter fort: »Hinter diesem Gestank verbirgt sich garantiert mehr als nur ein verirrter Händler. Das riecht eher nach fremden Scharen, die die Clans der Blutorks berauben wollen. Aber das lassen wir uns nicht bieten, oder?«
Diesmal kamen Tabors Worte besser bei seinen Mannen an; sein Beifall heischender Blick in die Runde erntete Zustimmung. Selbst Urok vergaß den wallenden Zorn in seiner breiten Brust.
Menschen jagen machte großen Spaß und war obendrein äußerst einträglich. Die anderen Scharen würden vor Neid erblassen, wenn sie bereits mit vollen Beuteln zum Treffpunkt kamen.
Zwischen ihrer Raubschar und dem heimischen Grund der Madak-Sippe klafften noch zwei breite Täler. Sie konnten also ungestört agieren. Hier gab es keine fremden Späher, sonst hätte längst Verwesungsgestank statt Menschenschweiß in der Luft gehangen. Die Hellhäuter, die sich so tief ins Reich der Orks vorgewagt hatten, waren bislang unentdeckt geblieben, doch nun stand ihnen eine Begegnung mit scharfem Blutstahl bevor.
Urok zupfte an dem langen Wangenhaar, das sein wuchtiges Gesicht zu beiden Seiten bis an die Kinnlinie herab einrahmte. »Ziehen wir endlich los?«, fragte er ungeduldig.
Statt zu antworteten, zog Tabor einen Streithammer aus der Halteschlaufe des Wehrgehänges und schritt wortlos voran. Daraufhin griffen auch die anderen zu ihren Waffen. Mit nagelgespickten Keulen, doppelschneidigen Äxten und schweren Schwertern in den Pranken, folgten sie der sanft abfallenden Wiese - ein muskelbepackter, vor Stahl starrender Haufen, der Tod und Verderben bringen würde.
Alle Tiere auf der Lichtung spürten die anrückende Gefahr. Die gesamte Natur hielt den Atem an, selbst das Zirpen der Grillen verstummte. Kniehohes Gras schluckte die schweren Schritte, nur das Knirschen von Stiefelleder störte die bedrückende Stille.
Ein starker Regenguss hatte das Gelände erst kürzlich ins Rutschen gebracht. Der Hang endete abrupt an einer frischen Bruchkante, dahinter ging es zwei Körperlängen tief hinab. Aus dem dunklen, wie durch einen Pflug aufgebrochenen Mutterboden sprossen bereits neue Kräuter und Gräser hervor.
Das Land der Blutorks war so fruchtbar wie kaum ein anderes. Schon am Ende des Sommers würde ein dichter Pflanzenteppich alle Spuren der Erdbewegung überdecken. Noch bohrten sich aber dort, wo die Schar in die Senke sprang, tiefe Abdrücke in das aufgelockerte Erdreich.
Die umliegenden Hügel erzitterten so sehr, dass ein dichter Schwarm blutroter Falter aus dem Gras emporschreckte. Einige Herzschläge lang schien die Luft von flirrenden Totenschädeln erfüllt. Zumindest wirkte es so, da ihre schwarze Flügelzeichnung den Konturen eines skelettierten Hauptes ähnelte. Zwei schwarze Augenhöhlen und ein weit aufgerissener, nur vom schlanken Hinterleib durchschnittener Mund; diese Silhouette hatte den Totenköpflingen ihren Namen eingebracht.
In verschiedene Richtungen davonstiebend, gab der Schwarm den Blick auf die schroffen Bergkuppen frei, die weithin sichtbar die heimischen Gründe der Madak markierten. Scharf umrissen hob sich der ferne Gebirgszug vor dem blauen Himmel ab. Auf einigen Spitzen glitzerte noch ein Rest von Winterfrost, doch keiner der Orks hatte einen Blick für die grandiose Aussicht, die sie von dieser Position aus hätten genießen können.
Das weite, urtümliche Land war ihr Zuhause, seit sie die Augen öffnen konnten. Darum hielten sie die allgegenwärtige Pracht für selbstverständlich.
Alles, was Urok und die Seinen in diesem Moment interessierte, war der immer stärker anschwellende Geruch, der ihre Nasen kitzelte. Auf halbem Wege zum nächsten Waldrand wurde ein monotones Hämmern laut. Es klang wie der regelmäßige Schlag eines Ambosses, nur nicht so rein und so klar.
Auf Tabors Wink hin spritzten die Krieger auseinander. Tief nach vorn gebeugt, damit die hohen Halme sie so gut wie möglich verbargen, kreisten sie das Gebiet ein, in dem die Menschen lärmten.
Obwohl die Grasspitzen beinahe ihre Helme berührten, kamen die Hünen schnell und geschmeidig voran. Die Baumgrenze rückte rasch näher, ohne dass ein Posten Alarm schlug.
Wie achtlos die Menschen doch waren.
Auf weiter Front tauchte die Schar ins Unterholz und arbeitete sich in Richtung des Lärms voran. Dieser Wald war lange nicht so dicht bewachsen wie der, den sie verlassen hatten. Die Schar verringerte das Tempo erst, als fremde Stimmen erklangen.
»Was haben meine Soldaten an der Steinmühle verloren?«, drang es verzerrt an Uroks spitz zulaufende Ohren. »Der militärische Teil dieser Expedition untersteht meinem Kommando, und ich habe diese Männer auf vorgeschobene Posten abkommandiert!« Trotz des mehrfach von den Bäumen widerhallenden Echos war die Erregung des Sprechers deutlich herauszuhören.
Urok musste unwillkürlich grinsen. Menschen und Orks mochten sonst nicht viel miteinander gemein haben, doch Zank und Missgunst gärten in beiden Völkern.
»Vorsicht, Hauptmann - Sie übertreten Ihre Kompetenzen!« Die Antwort hinter den Bäumen wurde von einem erstickten Laut untermalt, der übergangslos in ein trockenes Knacken mündete.
Urok kannte das Geräusch. So hörte es sich an, wenn ein menschliches Genick zerbrach. Irgendeiner aus ihrer Schar hatte einen feindlichen Späher überwältigt und für immer zum Schweigen gebracht.
Nun konnten sie bedenkenlos näher rücken.
Gleich darauf verlangsamte Urok erneut den Schritt, denn nur wenige Längen entfernt brach das Gelände erneut steil nach unten ab. Hinter einigen dicht belaubten Ästen suchte er Deckung und spähte vorsichtig in die vor ihm aufklaffende Schlucht. Er sah den Geländeeinschnitt zum ersten Mal, doch der Wildbach, der dort unten entlangschoss, war ihm geläufig. Er entsprang weit unterhalb des Heiligen Horts und schwoll stromabwärts zu einem der vielen Flüsse an, die in die Schwarze Marsch mündeten.
Am Ufer des schnell abfließenden Gewässers standen zwei streitende Männer und einige weitere Hellhäuter, die gespannt den Zwist der beiden verfolgten.
Für die meisten Orks sahen alle Menschen gleich aus, doch Urok stellte Feinheiten in ihrer Kleidung, der Haltung und des Charakters fest. So gehörte der, der gerade sprach, zu der Sorte, die den Hellhäutern den Ruf eingebracht hatte, von Natur aus Schwächlinge zu sein. Seine Haut schimmerte weiß und weich wie die eines Nesthockers, der kaum einen Schritt vor die Hütte tat. Statt Waffen und einer Rüstung trug er nur eine Tunika aus feinem Stoff, die von einem Leibgurt gehalten wurde. Seine Füße steckten in leichten Sandalen, deren Verschnürungen bis kurz unter das Knie reichten. Er war kein Mann der Tat, das war deutlich zu erkennen. Den schlanken Händen nach hob er selten etwas, das schwerer als ein Federkiel wog.
»Vergessen Sie nicht, dass ich über diese Expedition gebiete«, verkündete er mit hochrotem Kopf. Sogar die kahle Stelle an seinem hinteren Scheitel, nur von einer Handvoll schütteren Haares gerahmt, leuchtete weithin sichtbar. »Wenn ich befehle, die Abraumarbeiten zu beschleunigen, ist dem Folge zu leisten, verstanden? Oder Sie müssen die Konsequenzen tragen, wenn ich meinem Bruder, dem Herzog, Bericht erstatte.«
So schrill und befehlend er sich auch gab, in seiner Stimme schwang ein ängstlicher Unterton. Der Mann wollte keinen Lidschlag länger in Arakia bleiben als unbedingt nötig. Deshalb hatte er die vorgeschobenen Wachen abgezogen, um sein Vorhaben zu beschleunigen.
Wie dumm von ihm. Und wie unsagbar menschlich.
Einen Mann wie ihn zu erschlagen brachte nur wenig Ehre, doch erst einmal von Fleischkäfern abgenagt und in Salzlauge gewaschen, würde sein Schädel den Türbogen ebenso schmücken wie der eines Helden.
Der Hauptmann, der die ganze Arie über sich ergehen ließ, stand vor seinem Herrn, und die Art, wie er seine herabhängenden Hände unentwegt öffnete und schloss, ließ erahnen, wie stark es in ihm rumorte.
»Nicht so laut, Magister Garske«, warnte er, nur wenig leiser als sein Gegenüber. »Sie wollen es vielleicht nicht wahrhaben, aber wir befinden uns mitten im Reich der Blutorks.«
Er war von hochgewachsener, schlanker Gestalt und trug sein Langschwert in der Rückenscheide. Den schweren Stiefeln sowie dem abgewetzten Lederwams nach handelte es sich um einen altgedienten Krieger. Sicherlich hatte er genügend Kraft, den aufgeschwemmten Tunikaträger niederzuschlagen, doch er tat es nicht.
Darin unterschieden sich die Menschen von den Orks - bei ihnen regierte die Dummheit über die Tatkraft.
Dass der Dümmste aus ihrer Mitte das Kommando führte, war aber bei Weitem nicht das Erstaunlichste. Urok faszinierte vielmehr ein beinahe fünf Beinlängen großes Rad, das die Hellhäuter inmitten des reißenden Wildbachs errichtet hatten. Bei dieser Konstruktion handelte es sich nicht etwa um eine jener kompakten, runden Holzscheiben, wie sie die Menschen für Schub- oder Lastkarren verwendeten, sondern um ein aus vielen Einzelteilen zusammengezimmertes, mit Schaufelbrettern versehenes Gebilde, das durch den reißenden Wasserstrom unentwegt um die eigene Achse getrieben wurde, ohne sich dabei von der Stelle zu bewegen. Und als ob das noch nicht verwunderlich genug gewesen wäre, entwuchs diesem Wasserrad auch noch eine rotierende Stange. Die wiederum setzte ein Zahnrad in Bewegung, welches, über weitere Stangen und Zahnräder verbunden, eine schwere Gesteinsmühle drehte.
Zwei Büsche weiter spuckte Tabor verächtlich aus.
Urok wusste, warum. Echte Orks hielten Räder, Flaschenzüge und andere Hilfsmittel für ein Zeichen von Schwäche. Jeder mit einem gesunden Körper drehte gefälligst ohne zu klagen seine Mühle mit bloßer Muskelkraft, selbst wenn erzhaltige Brocken zerkleinert werden mussten. Nur Menschen drückten sich vor dem angenehmen Schmerz, der den Leib nach getaner Arbeit plagte.
Urok bewunderte zwar insgeheim, wie sich die von Natur aus schwächlichen Hellhäuter zu helfen wussten; für das, was sie sonst hier trieben, fehlte ihm allerdings jedes Verständnis. Es war nicht zu übersehen, dass die ungebetenen Gäste einen Stollen in die Erde gruben, um darin nach den Erzen zu suchen, die die Orks für ihre allseits gefürchteten Blutschwerter verwendeten.
Was schwebte diesen Menschen wohl als Nächstes vor? Bis zum Heiligen Hort vorzudringen, um das größte Geheimnis der orkschen Schmiedekunst, den legendären Blutstahl, zu rauben?
Unbewusst drückte Urok den Stiel seiner doppelschneidigen Axt so fest, dass er unter den Fingern knarrte. Nein, das würde Tabors Schar verhindern. Und wenn sie dafür das eigene Leben hergeben mussten.
Urok war bereit loszuschlagen, doch statt des Angriffsbefehls drang ein Warnruf durch die Schlucht.
»Blutorks! Blutorks! «, erklang es, und dann: »Alarm, wir sind umzingelt!«
Die weiteren Worte endeten in einem Röcheln. Der bisher übersehene Wachposten hatte endlich, wenn auch viel zu spät, orkschen Stahl zu schmecken bekommen. Für einen sorgsam abgestimmten Angriff fehlte jetzt allerdings die Zeit. Von nun an hieß es: vorwärts-stürmen und auf den Feind einschlagen!
Obwohl sich das kaum von ihrer üblichen Taktik unterschied.
Ohne sich zu vergewissern, ob die anderen folgten, brach Urok aus dem Laub hervor und sprang, die Füße voran, in die Tiefe. Nach einigen Armlängen freien Falls prallte er mit seiner Kehrseite auf eine vorspringende Grasnabe. Sofort zog er die Beine an und warf sich mit dem Rücken nach hinten, um auf dem ledernen Waffenrock abwärtszurutschen.
Den Axtstiel mit beiden Händen an die Brust gezogen, nahm er gehörig Fahrt auf. Links und rechts von ihm bot sich das gleiche Bild; dort sprangen oder schlidderten Tabors Mannen unter lautem Gebrüll den Hang hinab. Weder hervorstehendes Wurzelwerk noch scharfkantige Steine stoppten ihren Angriff. Orkhaut war dick und widerstandsfähig.
Die Menschen am Bachlauf schraken beim Anblick der herabstürzenden Horde zusammen, obwohl die Mehrheit der Orks nicht auf den Füßen landete, sondern sich, am Boden angekommen, zuerst mehrfach kräftig überschlug.
Der Magister und einige Grubenleute gerieten sofort in Panik. Blindlings rannten sie davon, während der Hauptmann und all jene, die wie Soldaten wirkten, ihre Schwerter zogen.
»Vorwärts!«, brüllte Tabor. »Macht die Feiglinge nieder!«
Der Erste Streiter sah keinen Unterschied zwischen jenen, die flohen, und denen, die sich mit dem Schwert in der Hand dem Feind stellten. Urok schon, doch spürte er keine Furcht, sondern nur Freude über den bevorstehenden Kampf.
Noch hielt er die Doppelaxt kurz unterhalb der geschwungenen Klingen, doch sobald es zum Kampf kam, würde die Waffe wie eine Verlängerung seines mächtigen Arms durch die Luft schneiden - und durch Fleisch und Knochen!
Das wussten auch die beiden mit Rundschildern gewappneten Soldaten, die Urok im Laufschritt entgegenstürmten. Nur ihre von eisernen Krempen beschirmten Augenpartien lugten über den mit Metallbuckeln gepflasterten Holzschutz hinweg. Sie fürchteten nicht nur die Muskelkraft des Orks, sondern auch die dreißig Pfund scharf geschliffenen Blutstahls in seinen Händen.
Urok stoppte ab und ließ den Axtstiel durch seine Linke gleiten, bis er den mit Leder umwickelten Griff zwischen den Fingern spürte. Sollten die Kerle ruhig versuchen, ihn zu überrennen. Er hatte die größere Reichweite.
Schaft und Griff seiner matt schimmernden Waffe waren so lang wie der Arm eines Orks und bestanden aus geölter Eiche. Die identischen Axtköpfe trugen mit Säure eingeätzte Symbole, die dem Feuerriesen Vuran huldigten. Nur im Blut der Erde geschmiedeter Stahl durfte diese Zeichen tragen.
Die Soldaten stürmten mit unverminderter Geschwindigkeit weiterhin auf Urok zu. Was blieb ihnen auch anderes übrig?
Lässig ließ der Ork den linken Arm kreisen, bis die Schneiden durch die Luft pfiffen wie zu Urvaters Zeiten. Sein Axtstiel war zwar neu, doch das Herzstück der Waffe, die weit nach innen geschwungenen Schneiden, wurde schon seit Generationen von dem Vater auf den Sohn vererbt. Der glänzende Stahl, der aus der großen Schmiede am Heiligen Hort stammte, hatte schon zahllose Knochen zerhackt und Gliedmaßen durchtrennt, trotzdem war er immer noch so scharf wie am ersten Tag.
Dagegen muteten die Waffen der Soldaten geradezu minderwertig an. Nicht umsonst war Orkstahl in den Ländern zwischen Frostwall und Nebelmeer heiß begehrt. Schon viele Hellhäuter hatten ihr Leben riskiert, um das Geheimnis der orkschen Schmiedekunst zu lüften, doch bisher hatte jeder von ihnen den Kopf verloren, bevor er etwas hätte ausplaudern können.
Die Soldaten wichen nicht zurück, als sie den wirbelnden Tod sahen, doch sie begannen zu schreien, um sich selber Mut zu machen. Urok hielt einen Moment in der Bewegung inne, als würde er erschrocken zusammenfahren, dann schlug er mit aller Macht auf den von rechts Heranstürmenden ein.
Muskelkraft, Waffengeschick und Blutstahl wirkten gemeinsam auf die emporgerissene Deckung ein, spalteten das Holz von oben nach unten auf, und der Schildarm, der innen in zwei Lederschlaufen steckte, wurde durchtrennt.
Feurig rot brach es aus der Wunde hervor.
Urok spürte warme Tropfen, die sein Gesicht benetzten, während der Soldat entsetzt auf seinen blutenden Stumpf starrte, an dem noch eine Hälfte des zerschlagenen Schilds herabbaumelte. Während er schreiend in die Knie brach, schreckte sein Kamerad zwei Herzschläge lang davor zurück, auf Urok einzudringen.
Lange genug, damit der Ork zur Seite weichen und erneut ausholen konnte. Diesmal rasierte er die obere Schildhälfte mit einem waagerechten Rundschlag ab, knapp oberhalb des Arms, den der Soldat nur retten konnte, weil er seine Deckung reflexartig fallen ließ.
Fingerlange Splitter brachen aus dem berstenden Holz und stachen dem Hellhäuter in die ungeschützten Bereiche zwischen Helm und Harnisch, einige davon drangen tief in seine weichen Wangen, die verglichen mit Orkhaut etwa so widerstandsfähig wie überreife Früchte waren.
Wütend schleuderte der Soldat den verbliebenen Schildrest ab und stach mit seinem Schwert zu. Es war eine kraftvolle Attacke, die einen Lederharnisch durchaus zu durchdringen vermochte, doch Urok drehte seinen Körper behände zur Seite und wich dem Stahl aus.
Die Augen des Soldaten weiteten sich vor Überraschung. Er war nicht der Erste, der Blutorks für plump daherstampfende Muskelhaufen gehalten hatte, bis er im Kampf eines Besseren belehrt wurde. Ehe der Narr sein Gleichgewicht wiederfand, packte Urok die Doppelaxt bereits mit beiden Händen und stieß das Griffende nach vorn.
Der halbkugelförmige Knauf knallte dem Soldaten hart unters Kinn und ließ ihn nach hinten kippen. Stöhnend stürzte er zu Boden und schlug dabei so unglücklich auf, dass sein Helmriemen zersprang. Das schützende Eisen rollte zur Seite. Darunter quoll langes blondes Haar hervor.
Urok fragte sich einen Moment, ob eine Menschenfrau vor ihm lag. Er konnte es nicht recht beurteilen, da er noch nie eine gesehen hatte. Jedenfalls keine junge, ohne Übergewicht und mit dicken Runzeln im Gesicht.
Ob Mann oder Frau spielte allerdings keine Rolle. Die Hellhäuter waren in Arakia eingedrungen, um die Blutorks zu bestehlen - das allein zählte.
In einem silbrigen Halbkreis flirrte die Axt zu Boden, doch statt den Soldaten zu köpfen, fuhr sie ungebremst in sattes Moos. Das eben noch so sicher scheinende Opfer war blitzartig zur Seite geschnellt und sprang mit wehendem Haar davon.
Kein ehrenvoller Gegner. Uroks Mundwinkel fielen herab, trotzdem nahm er die Verfolgung auf. In so einem Scharmützel konnte es leider nicht nur Helden geben.
Ein Schlag vor die Brust irritierte den Ork kurz, ohne ihn im Schritt innehalten zu lassen. Der gefiederte Schaft, der plötzlich seinem Harnisch entwuchs, hatte das mit Eisenfäden durchwebte Leder nicht durchdrungen. Pfeile jagten Urok keine große Angst ein. Nicht, wenn sie von zitternden Schützen mit minderwertigen Bögen abgeschossen wurden.
Ein zweiter Schatten zischte dicht an seinem Hals vorbei. Das beeindruckte ihn immerhin so weit, dass er die doppelköpfige Axt zum Schutz emporschwang. Auch um ihn herum wurden Scharbrüder von Pfeilen getroffen, doch die kaum mehr als doppelt so starke Menschentruppe hatte schon zu hohe Verluste erlitten, um ihnen noch wirklich gefährlich werden zu können.
Von den drei Bogenschützen, die das Gelände bestrichen, verdienten nur zwei überhaupt diese Bezeichnung. Bei dem dritten handelte es sich um einen Grubenarbeiter, der seine Hacke zwar gegen eine aufgeklaubte Waffe eingetauscht hatte, aber keinen einzigen Treffer zu landen vermochte. Grimpe und einige andere waren längst zu den dreien aufgerückt, sodass die Schützen plötzlich - nun auf kürzeste Distanz - um ihr nacktes Überleben schossen.
Der blonde Schwertkämpfer, den Urok verfolgte, hielt dagegen seine Chance für gekommen. Abrupt machte er auf dem Absatz kehrt, überbrückte die zwischen ihnen liegende Distanz mit einem großen Satz und wirbelte das mit beiden Händen gepackte Schwert durch die Luft.
Das junge Gesicht hinter dem flirrenden Stahl war vor Anspannung verzerrt. Urok war nun sicher, dass es sich um einen Mann handelte. Rasch wehrte er eine Serie von wild geführten Hieben ab, die ihn tatsächlich in die Defensive drängten. Die Vernunft hätte von ihm gefordert, zwei Schritte zurückzuweichen, doch das wäre zu viel der Ehre für einen Gegner gewesen, der schon einmal die Flucht ergriffen hatte.
Verärgert stieß Urok mit dem Knauf zu, um den Kerl auf Abstand zu bringen. Nur so ließ sich ein sauberer Schlag führen.
Rasselnd wich dem Blonden die Luft aus den Lungen. Er taumelte zwei Schritte zurück und klappte weit stärker vornüber, als nötig gewesen wäre. Tatsächlich war der Schwächeanfall nur eine Finte, um einen Schlag gegen Uroks Beine zu führen.
Die Täuschung gelang immerhin so weit, dass er den Ork unterhalb des linken Knies verletzte. Es war nur ein harmloser Schnitt, trotzdem musste Urok zurückweichen, um Schlimmeres zu verhindern.
Das machte ihn wütend.
Der Blonde witterte Morgenluft. Knurrend richtete er sich auf und holte mit dem Schwert aus, als ob er das zwanzig Schritt entfernt stehende Wasserrad gleich mitspalten wollte.
Urok sackte in die Knie und zog einen Halbkreis mit der Axt. Obwohl der Blonde noch in die Höhe sprang, wurden ihm die Füße abgesäbelt. Ziemlich genau so, wie er es kurz zuvor bei dem Ork versucht hatte, nur dass Urok sein Handwerk besser verstand. Weitaus besser.
Ohne den schreiend am Boden liegenden Mann eines weiteren Blickes zu würdigen, schritt Urok davon. Er suchte nach einem würdigeren Gegner, der mehr Ehre versprach, doch der Hauptmann, gegen den er gern angetreten wäre, führte bereits einen Zweikampf mit Tabor.
Der Hellhäuter verstand es durchaus, sein Schwert zu führen, doch gegen das Geschick des Ersten Streiters musste er auf Dauer unterliegen. Dem Flackern in seinen Augen nach dämmerte ihm bereits, das er verloren war. Dennoch kämpfte er verbissen weiter.
Statt dem absehbaren Kampfverlauf zu folgen, wandte sich Urok lieber dem Gegenstand zu, der ihn von Anfang an am meisten interessiert hatte - dem knarrenden Wasserrad, das weiterhin unermüdlich die Gesteinsmühle drehte.
Im Schatten des Ungetüms hockte ein junger Mann, der einige Pergamentrollen zusammenraffte und in einen Ledersack stopfte. Bisher wurde er nicht beachtet, denn überall dort, wo die Kämpfe beendet waren, eilten die Orks den flüchtenden Grubenarbeitern nach, und an den am Boden kauernden Jüngling, der die Welt um sich herum vergessen hatte, verschwendete niemand einen Blick.
Niemand außer Urok, der neugierig auf den Knienden zuging, bis sich ihm eine in Leder gekleidete Gestalt in den Weg stellte. In der Rechten hielt der Fremde ein mit Blut besudeltes Schwert, die Linke streckte er mit gespreizten Fingern in die Höhe, als ob er den Ork mit bloßer Hand aufhalten wollte.
Urok hielt tatsächlich inne, um den Mann näher in Augenschein zu nehmen. Dem vernarbten Gesicht nach handelte es sich um einen Veteranen, der schon manches Scharmützel überlebt hatte.
Urok straffte zufrieden die Schultern. Es gab also doch noch einen ehrenvollen Gegner für ihn.
»Ragmar, du Idiot!«, rief der Veteran, die unerwartete Verschnaufpause nutzend. »Mach, dass du fortkommst, solange es noch geht!«
Der Jüngling im Schatten des Wasserrads drückte sich den vollgestopften Ledersack an die Brust und sah furchtsam in die Höhe. »Aber ...« Mühsam rang er nach Worten. »Aber ich soll doch diese Unterlagen wie meinen Augapfel hüten.«
Der Veteran verkrampfte sich unmerklich, schaffte es aber, den Blick konstant auf Urok gerichtet zu halten. »Scheiß auf den Magister!«, fluchte er aufgebracht. »Der liegt längst irgendwo im Dreck und knetet seine hervorquellenden Därme. Mach, dass du nach Hause kommst. Denk an deine Mutter und lauf so schnell du kannst. Das ist deine einzige Chance!«
»Es gibt kein Entkommen mehr«, mischte sich Urok ein und benutzte dafür die Sprache der Hellhäuter. »Für keinen von euch beiden. Aber ich freue mich, dass du dein Leben für deinen Kameraden opfern willst. Dafür sollst du im Kampf sterben, wie es einem echten Krieger gebührt.«
Sein Gegenüber wusste die ihm zuteilwerdende Ehre nicht zu würdigen. »Du blödes grünhäutiges Monstrum!«, grollte er laut. »Keinen Schritt weiter oder ich schlitze deinen aufgeblähten Balg der Länge nach auf.«
Die unflätigen Beleidigungen des Söldners zeugten von Furcht, doch seine Hände zitterten nicht im Geringsten. Er hatte die Erfahrung eines alten Kämpen, der jeden einzelnen Muskel seines Körpers zu kontrollieren verstand. Sicher war er kein berühmter Schwertmeister, sonst hätte es ihn nicht in diese traurige Truppe verschlagen. Doch in seiner Zunft erreichte niemand solch ein Alter, wenn er nicht zu kämpfen verstand.
Sein kurz geschnittenes, bereits grau durchzogenes Haar mochte schon vierzig oder mehr Winter gesehen haben. Er wirkte erschöpft. Nicht körperlich, sondern im Inneren. An diesem Eindruck waren seine Augen schuld, die kalt und ausdruckslos schimmerten wie bei einem Mann, für den der eigene Tod längst jede Bedeutung verloren hatte. Seine Sorge galt einzig und allein Ragmar, dem jungen Kameraden, dem er sich aus irgendeinem Grund verbunden fühlte.
»Lauf endlich!«, forderte der Veteran und drang dabei auf seinen Gegner ein. »Lauf doch, du Idiot!«
»Ich kann nicht.« Ragmar schluchzte mehr, als dass er sprach. »Ich kann nicht, Orgur. Meine Beine sind wie gelähmt.«
Eine kurze Bewegung mit der Axt reichte aus, um Orgurs Angriff abzublocken, doch statt zurückzufedern und neu auszuholen, wirbelte der Veteran auf dem rechten Absatz herum und drängte sich mit einer geschmeidigen Körperdrehung ganz dicht an Urok heran. Der Hellhäuter wusste, dass die Streitaxt Platz brauchte, um ihre vernichtende Wirkung voll zu entfalten. Deshalb begab er sich in einen Bereich, den Menschen normalerweise stärker fürchteten als Fliegen das klebrige Netz einer Spinne: in die unmittelbare Reichweite zweier kräftiger Orkarme.
In der eben noch leeren Hand des Veteranen funkelte auf einmal kalter Stahl, der sich nur einen Herzschlag später seinen Weg zwischen Brustharnisch und Gürtel suchte. Urok wusste nicht, woher die schmale Klinge so plötzlich kam, doch er spürte, wie sie sich oberhalb seiner Hüfte ins Fleisch bohrte.
Verärgert schlug er den rechten Arm nach unten, um die Attacke abzublocken, doch es war zu spät. Der Dolch blieb in der Wunde stecken, als er den Hellhäuter zurückdrängte.
Dunkles Orkblut strömte entlang der Klinge hervor. Obwohl Urok jede sichtbare Reaktion unterdrückte, schmerzte die Wunde höllisch.
Ehe er seine Axt emporwuchten konnte, erfolgte schon der nächste Schwerthieb. Während er ihn abwehrte, zog Orgur einen weiteren, beidseitig geschliffenen Dolch aus dem Saum seines Wamses hervor. Die Klingen steckten kopfüber in eingenähten Scheiden, kamen aber erst zum Vorschein, wenn er nach ihnen griff.
Was folgte, war ein schmutziger, auf engstem Raum ausgefochtener Kampf, wie ihn Urok noch nicht erlebt hatte.
Orgur verstand sein Geschäft. Sicherlich hatte er auf diese Weise schon unzählige Gegner in den Tod geschickt. Gerade im dichten Getümmel war seine Kampftechnik von tödlicher Präzision. Dabei benutzte er das Schwert nur dazu, die Waffe des Gegners zu binden - die tödlichen Attacken führte er ausschließlich mit dem Dolch aus, dessen kurzer Rundgriff vollständig in seiner Faust verschwand.
Urok bekam den wendigen Kerl einfach nicht richtig zu fassen, sondern immer wieder nur seinen Stahl zu schmecken. Abgesehen vom ersten Stich steckte er zwar nur oberflächliche Schnittwunden ein, doch sobald er sich eine größere Blöße gab, würde ihn das unweigerlich das Leben kosten.
Dieser elende Mensch, der ihm gerade eben bis zum Kinn reichte, war ihm stets einen Schritt voraus; Urok konnte auf seine Attacken stets nur reagieren. Kaum hatte er die eine abgewehrt, folgte bereits die nächste.
Verbissen kämpfte er ums nackte Überleben. Auf die Hilfe der anderen Orks brauchte er nicht zu hoffen. Wer von ihnen nicht selbst kämpfte, war bereits damit beschäftigt, die Beute zu sichten. Außerdem wäre nie jemand auf die Idee gekommen, dass ein Scharbruder Hilfe gegen einen einzelnen Hellhäuter benötigte.
Dass Ragmar die ganze Zeit über wie angewurzelt am Boden hocken blieb, statt die Gelegenheit zur Flucht zu nutzen, entnervte Urok beinahe ebenso sehr wie seinen Gegner. Dann gelang es ihm endlich, Orgur auf Abstand zu stoßen.
Urok rollte mit den Schultern, als ob er zu einem mächtigen Schlag ausholen wollte. In Wirklichkeit packte er seine Axt kurz unterhalb der geschwungenen Klingen und behielt sie dicht am Körper, als er dem erneut attackierenden Veteranen entgegentrat.
Statt das heransausende Schwert zu parieren, pendelte Urok mit dem Oberkörper zur Seite und hielt dem Vorbeistolpernden die Axt auf Bauchhöhe entgegen. Es gab keinen Moment des Widerstandes, fast so, als ob sie sich überhaupt nicht berühren würden, doch sobald sie einander passiert hatten, waren Uroks Axtköpfe bis zur Hälfte mit Blut besudelt.
Der Hellhäuter hatte sich mit dem eigenen Angriffsschwung aufgeschlitzt. Zäher Veteran oder nicht, Orgur klappte in der Körpermitte zusammen. Schwert und Dolch entglitten seinen Händen, wäh - rend er zu Boden stürzte. Er wollte leben so wie jeder Sterbende, darum presste er verzweifelt die auseinanderklaffenden Fleischlappen zurück an ihren Platz, doch keines Menschen Hand fügt wieder zusammen, was eine Blutaxt durchtrennt hat.
»Oheim!«, rief Ragmar entsetzt.
Der Schnitt lief über die gesamte Bauchdecke und war bis tief in Orgurs Magen gedrungen. Statt die Blutung abzuklemmen, hätte er lieber seine Gedärme herauszerren sollen, um so die Zeit des Schmerzes abzukürzen.
Urok baute sich über dem Sterbenden auf, um sein Leiden zu beenden. Er visierte gerade den Hals an, als er Schritte in seinem Rücken hörte. Ein Blick über die Schulter offenbarte, dass Ragmar heranstürzte, den Ledersack unter den linken Arm geklemmt, ein Kurzschwert in der rechten Hand.
So ungeschickt, wie er die Waffe hielt, gehörte sie nicht ihm, sondern hatte irgendwo im Dreck gelegen. Urok bereitete es keine große Mühe, sie dem Jüngling aus der Hand zu prellen und ihn danach durch einen Schlag mit dem flachen Axtkopf ins Reich der Träume zu schicken.
Ein gequältes Seufzen von unten bewies, dass Orgur alles bei vollem Bewusstsein miterlebte. Urok baute sich erneut über ihm auf.
»Es ist gleich vorbei«, versprach er. »Sei unbesorgt. Du sollst kein Friedloser werden, sondern im Blut der Erde aufgehen.«
Der Veteran wälzte sich unter großen Schmerzen auf den Rücken und schüttelte mühsam den Kopf. In seinen Augen lag ein flehender Blick, seine Lippen bewegten sich, ohne dass sie zunächst Worte formten. Blut sickerte aus seinen Mundwinkeln, trotzdem fand er schließlich die Sprache wieder.
»Ich weiß, was ihr mit den Überlebenden macht«, würgte er gurgelnd hervor. »Ich bitte dich, erschlag meinen Neffen und foltere lieber mich dafür.«
Neffe. In der Sprache der Menschen bedeutete das Schwester- oder Brudersohn. Daher die Sorge und Selbstaufopferung. Tief im Inneren einiger Hellhäuter verbarg sich wohl doch der gute Kern eines Orks.
Urok tastete nach Orgurs Dolch, der immer noch in seiner Seite steckte. Obwohl er weder schwankte noch sonst ein Zeichen von Schwäche zeigte, erschöpfte ihn der Blutverlust allmählich.
»Zu spät«, sagte er mit einer leisen Spur des Bedauerns. »Selbst wenn wir wollten, wir könnten dich nicht mehr opfern. Du bist bereits tot. Und das weißt du auch.«
Sicher hatte der Veteran keine andere Antwort erwartet, trotzdem sank er enttäuscht zurück ins Gras. Seine Augen wurden langsam glasig, er hatte nur noch wenige Atemzüge zu leben.
Urok wollte ihn trotzdem köpfen.
Der Mann hatte es sich verdient.
Doch zuerst musste er seine eigene Blutung stoppen, bevor ihm noch die Knie weich wurden. Der Ork spürte ein scharfes Ziehen, als der Runddolch aus dem Stichkanal glitt. Rasch ließ er den blutbefleckten Stahl in der schmalen Tasche seines Waffenrocks verschwinden, in der er auch das Wundmoos mitführte, und holte mit der gleichen Handbewegung ein kleines, nicht mehr als daumennagelgroßes Knäuel hervor, das er ohne große Umstände tief in die Wunde stopfte.
Ein belebendes Prickeln zeigte, dass die Kräuter sofort ihre heilende Wirkung entfalteten. Die Blutung stockte beinahe augenblicklich. Der Maulbeersaft, mit dem sie getränkt waren, beugte außerdem Wundbrand vor. Und was dieser und die anderen Zutaten nicht zu unterdrücken vermochten, schwitzte ein echter Blutork ganz normal im Schlaf aus. Oberflächliche Schnittwunden fanden bei diesem Volk keine große Beachtung. Mit solchen Kleinigkeiten wurden ihre robusten Körper von ganz alleine fertig.
Ohne weiter auf das Versiegen des Blutstroms zu warten, packte Urok wieder mit beiden Händen zu. Seine Axt schwebte gerade über dem Sterbenden, als von hinten der Ruf erklang: »Stellt den Kampf ein! Alle noch lebenden Menschen werden Vuran übergeben!«
Urok drehte sich zu Tabor um, der zwei bluttriefende Köpfe an ihren Schöpfen hielt und direkt zu ihm herübersah. Die übrigen Orks waren alle längst damit beschäftigt, die Toten auszuplündern. Nur Grimpe stand neben dem Ersten Streiter und wachte über ein zitterndes Bündel, das sich erst auf den zweiten Blick als der gefangene Magister entpuppte.
Für Urok war klar, dass Tabors Absicht einzig und allein darin bestand, ihn daran zu hindern, dem Menschen die Gnade eines schnellen Todes zu gewähren.
Der junge Ork blickte auf den Sterbenden herab. Er sah in die zerschnittenen Därme und auf den Brustkorb, der sich nur noch flach hob und senkte. In wenigen Atemzügen würde das Leben ohnehin aus Orgur gewichen sein. Trotzdem ließ Urok die Axt in einem vollendeten Bogen herabsausen und trennte den Kopf des Sterbenden sauber vom Rumpf.
Der Schädel sollte einen Ehrenplatz in seiner Hütte erhalten, denn Urok hatte in diesem Kampf viel gelernt.
»Hast du Raupenschmalz in den Ohren?« Tabors Stimme schraubte sich unangenehm schrill in die Höhe. »Wenn ich befehle, die Überlebenden fürs Feuer aufzusparen, haben alle zu gehorchen!«
Urok nickte dem Leichnam ein letztes Mal zu, dann wandte er sich um, fixierte Tabor mit ruhigem Blick und setzte seine Axt kopfüber auf den Boden. Beide Hände auf den Knauf gestützt, sammelte er geräuschvoll eine große Menge Speichel im Rachen und spuckte ihn seitlich ins Moos.
Wer bisher noch nicht auf Tabor und ihn geachtet hatte, schenkte ihnen spätestens nun die volle Aufmerksamkeit.
Der Erste Streiter starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. Uroks Benehmen war ein Affront stärkster Güte, ebenso wie die kurz darauf folgenden Sätze.
»Niemand darf von mir fordern, dass ich mein Wort breche«, erklärte Urok laut und vernehmlich. »Nicht mal der Erste Streiter meiner Schar!«
Seine Hände weiterhin auf die Axt gestützt, wartete er Tabors Antwort ab, doch der Erste Streiter schwieg. Sicher vor Verblüffung, doch auch mit einem kalten, hasserfüllten Funkeln in den Augen.
...
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Bernd Frenz
Bernd Frenz, Jahrgang 1964, schrieb schon früh Kurzgeschichten für Musik- und Rollenspielmagazine und gewann einen von Wolfgang Hohlbein ausgeschriebenen Storywettbewerb. Trotz einer kaufmännischen Lehre und eines Studiums der Betriebswirtschaft entschied er sich für eine Tätigkeit als freier Journalist und Romanautor, um seine Vorliebe für Abenteuer, Historie und Phantastikbesser ausleben zu können. So gehörte er zu den Hauptautoren der SF/Fantasy-Serie »Maddrax«, schrieb für den »Perry-Rhodan«-Kosmos und verfasste mehrere Romane zu dem Computerspielhit »Stalker«.
Seit 2006 werden von ihm getextete Comics regelmäßig in dem renommierten US-Fantasy-Magazin »Heavy Metal« veröffentlicht. Die Blutorks sind sein bisher größtes Epos.
Bibliographische Angaben
- Autor: Bernd Frenz
- 1184 Seiten, Maße: 13,2 x 19,1 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863651324
- ISBN-13: 9783863651329
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