Lava und ich
Ein Welpe, ein Soldat, und ein Stück Menschlichkeit im Irak-Krieg
Durch die Sorge um den Welpen Lava bewahrt sich ein Soldat ein Stück Menschlichkeit im unmenschlichen Krieg. "Eine wunderbare und bewegende Geschichte, die man einfach lieben muss."
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Inmitten der schrecklichen Ereignisse...
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Produktinformationen zu „Lava und ich “
Durch die Sorge um den Welpen Lava bewahrt sich ein Soldat ein Stück Menschlichkeit im unmenschlichen Krieg. "Eine wunderbare und bewegende Geschichte, die man einfach lieben muss."
USA TODAY
Inmitten der schrecklichen Ereignisse im Irakkrieg rettet eine Gruppe amerikanischer Marines einen hilflosen Welpen vor dem sicheren Tod. Lieutenant Colonel Jay Kopelman lässt den kleinen Hund zunächst nur in seinen Schlafsack, doch schnell tobt sich der kleine Wirbelwind auch mitten ins Herz des Soldaten. Lava konfrontiert den Mann mit verdrängten Gefühlen und gibt ihm im Angesicht des Krieges ein Stück Menschlichkeit zurück.
Lese-Probe zu „Lava und ich “
Lava und ich von Jay Kopelman und Melinda Roth Aus dem Amerikanischen von Sigrid Eicher
Prolog
November 2004
Erste Woche der US-Invasion in Falludschah, Irak
In einem verlassenen Haus im nordöstlichen Abschnitt von Falludschah erstarrten Mitglieder des First Battalion, Third Marines - bekannt als die Lava Dogs - als sie aus dem einen noch nicht untersuchten Raum des Anwesens klickende Geräusche vernahmen.
Wurden da Handgranaten scharf gemacht?
Die meisten Toten hatte es während der ersten Woche der US-Invasion in Falludschah innerhalb von Gebäuden wie diesem gegeben, wo sich Aufständische im Obergeschoss verborgen und Handgranaten auf die Marines heruntergeworfen hatten, wenn sie nach oben kamen. Es hatte viele Verletzungen am Kopf und im Gesicht gegeben, und auch wenn die Lava Dogs - so nannten sie sich aus Respekt vor dem rauen Bimsstein, auf dem sie in Hawaii trainiert hatten - sich für die härtesten Marines im Umkreis hielten, schützte der pure Fakt, dass du ein Lava Dog bist, dich noch lange nicht vor den schrecklichen Spezialeffekten einer Granate. Vorsicht schützt. Aufpassen schützte. Die geladene und entsicherte Waffe in der Hand schützte, wenn man sich zentimeterweise um eine Ecke schob.
Klick. Klick. Klick ... Klick.
... mehr
Falls dich wirklich eine Granate erwischt, würdest du dich wenigstens aus der dem Himmel am nächsten liegenden GPS- Koordinate verabschieden. Der Irak wird von den meisten Bibelforschern für den Ort gehalten, wo einst der Garten Eden lag - Gottes einzige Kopie des Himmels, sein Paradies auf Erden. Nicht dass du passende Ausreden parat hättest, wenn du dort angelangt wärst, denn es brauchte mehr als eine Brille, um in der Kampfzone noch die Linien zwischen Gut und Böse zu erkennen. Aber ob du nun von Abraham, Mohammed oder Jesus abgerufen wurdest, hier fing offiziell alles an, und hier ging offiziell alles schief.
Anfangs jedenfalls gutes Marketing-Potenzial für die Region, denn sie wurde zum Wahrzeichen für das Geburtsland Abrahams, den Turmbau zu Babel und den Bau von Babylon, ganz zu schweigen vom Ursprung des Ackerbaus, der Schrift, der Erfindung des Rads, der Tierkreiszeichen, der Rechtstheorie, von Bürokratie und Urbanisation. Von Anfang an wollte jeder ein Stück davon haben, von diesem Land, das von den Mesopotamiern überging in die Hände der Akadier, zum Königreich Ur wurde und nacheinander von den Babyloniern, den Persern, den Griechen, den Arabern, den Mongolen, den Türken und den Briten beherrscht wurde.
Und keine dieser Übernahmen verlief besonders höflich. Bis Saddam Hussein ins Land kam, wo Milch und Honig fließt, war es über so lange Zeit von so vielen Völkern erobert, ausgeraubt, geprügelt und vergewaltigt worden, dass kaum noch etwas übrig war außer sehr viel Wüste mit sehr viel Öl darunter. Das und der Anspruch derer, die am Ufer von Euphrat und Tigris wohnten, dass der Garten Eden und der Baum des Lebens gerade mitten in ihrer Stadt gestanden hätten. Sie bauten eine Mauer rundherum, darin das Garden of Eden Hotel, und eine kurze Weile florierte der Tourismus. Dann kamen die Amerikaner, und weil die Bewohner des Gebiets die neuerliche Invasion unterstützten, schnitt ihnen Hussein die Wasserversorgung ab. Schon bald starb der Baum des Lebens ab, das Garden of Eden Hotel wurde von Islamisten übernommen, und auf den Mauern des Paradieses prangte in Riesenlettern DOWN WITH AMERICANS - Nieder mit den Amerikanern.
Klickklickklickklickklick.
Vielleicht eine Zeitbombe.
Wenn dies das Paradies war, hätten die Marines keine Wetten auf die Hölle abgeschlossen. Außerhalb des Gebäudes, das sie gerade durchsuchten, ratterten Kampfhubschrauber am Himmel auf der Suche nach verborgenen Rebellen und pockennarbige Humvees - wie unsere High-Mobility Multipurpose Wheeled Vehicles kurz genannt werden - durchstreiften das, was von den Straßen übrig geblieben war. Jedes Auto in der Stadt wurde wegen des Bombenrisikos aufs Korn genommen. Jeder lose Draht war verdächtig. Jedes Gebäude wurde durchsucht, und JIHAD, JIHAD, JIHAD stand auf jeder Mauer.
Während der ersten Tage der Invasion von Falludschah entdeckten die Marines Waffen, Proviantverstecke, Selbstmörderwesten und große Mengen Heroin, Speed und Kokain, offenbar dazu gedacht, den Mut von Selbstmordattentätern anzuheizen. Sie fanden die Leichen von Kämpfern aus Tschechien, Syrien, Libyen, Jordanien, Afghanistan und Saudi-Arabien. Sie betraten Schlachthäuser für Menschen, in denen Haken von der Decke hingen, ausgestattet mit schwarzen Kapuzen, Messern, blutverschmierten Strohmatratzen und Videos von Köpfungen. Sie befreiten ausgezehrte Gefangene, gefesselt und wahnsinnig vor Angst.
Falludschah, nahe dem Zentrum, wo alles begann, war jetzt eine Stadt, abgeriegelt vom Rest der Welt, bewohnt nur von unsichtbaren Heckenschützen und streunenden Hunden, die sich von den Toten nährten.
Klick. Schnüffel. Schnüffel. Klick.
Die Lava Dogs bissen die Zähne zusammen und packten ihre Waffen fester, während sie im Kopf die Vorschriften ablaufen ließen: Gefahrenzone absichern, unten bleiben, anschleichen, auf alles gefasst sein und Bedrohungen ausschalten.
Schnüffel. Klickklickklick. Schnüffelschnüffel.
Ein Jihad-Kämpfer, der sich eine Bombe umschnallt? Eigentlich hätten sie den Raum zuerst mit einer Granate »vorbereiten« sollen - einfach reinwerfen und sie die ganze Schmutzarbeit erledigen lassen. Aus Gründen, die noch immer verschleiert sind vom Krieg, von Angst und von so etwas wie Vorherbestimmung, drückten sie sich zu beiden Seiten des Hausflurs an die Wand und hielten die Waffen im Anschlag.
»Ach du Scheiße!«
Beim Klang ihrer Stimmen drehte sich der Welpe um und starrte sie an.
»Was zum Teufel?«
Er legte den Kopf schief, versuchte mehr ihre Absicht, als ihre Worte zu verstehen.
»Das kann doch nicht wahr sein.«
Dann gab er einen Quiekser von sich, wackelte mit dem Schwänzchen und hopste mit klickenden Krallen auf der Stelle, offensichtlich glücklich, dass ihn endlich jemand gefunden hatte.
Teil I
Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens.
Genesis 3,17
Kapitel 1 November 2004
Falludschah
Ich weiss nicht mehr genau, wann ich zu dem Haus kam, in dem wir im nordwestlichen Sektor von Falludschah unseren Gefechtsstand eingerichtet hatten, und ich weiß auch nicht mehr genau, wie ich dort hinkam. Es war ein paar Tage, nachdem die Lava Dogs angekommen waren und die Anlage übernommen hatten, soviel weiß ich. Ich erinnere mich auch, dass ich nach vier Tagen im Feuer von Heckenschützen, Schlafen auf der nackten Erde und Patrouillengängen mit drei irakischen Soldaten im Training - die mit weit aufgerissenen Augen auf alles schossen was sich bewegte, einschließlich ihrer eigenen Stiefel - auf das Gebäude zuging mit einem Gefühl, einer abstrakten Wiedergabe der falschen Zukunft entkommen zu sein.
Ich erinnere mich, dass ich fix und fertig war, und dass die Müdigkeit schwerer wog als der Sechzig-Pfund-Rucksack auf meinem Rücken, und dass ich, als ich durch die Vordertür trat und alles abwarf, was ich konnte, nur noch an Schlafen denken konnte.
Da sah ich Lava zum ersten Mal. Nur dass ich nicht hineinging und einen rundbäuchigen Welpen erblickte, der sich wie ein überfressenes Schäfchen auf einer Decke zusammengerollt hatte. Kein herumliegendes Quietschspielzeug, kein Welpengefiepe, keine blaugrauen Augen, die mich voller Unschuld anschauten.
Stattdessen rollte aus dem Nichts blitzartig etwas auf mich zu und ließ so viel Adrenalin durch meine Adern schießen, dass ich zurücksprang und gegen die Wand prallte. Ein Pelzbällchen, nicht viel größer als eine Granate, schlittert auf mich zu, kommt an meinen Stiefeln quietschend zum Stehen und kreiselt wie ein Aufziehspielzeug mit Höchstgeschwindigkeit um mich herum. Ich bekomme einen fürchterlichen Schreck! Ich bin müde und überdreht, und alles, was schnell auf mich zukommt, zerrt an meinen Nerven. Also stoße ich mich von der Wand ab und greife nach meinem Gewehr, obwohl ich sehen kann, dass es nur ein kleiner Hund ist.
Bevor Sie sich nun aufregen, weil ich auf niedliche Tierbabys ziele, vergessen Sie bitte nicht, dass ich gerade von der Straße hereinkam. Da draußen war es gespenstisch, als ob die Pest oder die Sintflut oder der Staub einer Atombombenexplosion sich gerade durch die Straßen gewälzt hätten. Die meisten Einwohner waren vor dem amerikanischen Angriff geflohen, und nach der Bombardierung kreischte die Stille so laut, dass schon das Rascheln einer Zeitung im Wind die Nerven nach solider Deckung schreien ließ.
Am Tag vor der Offensive hatten wir über der Stadt Flugblätter abgeworfen und die wenigen Verbliebenen vor dem bevorstehenden Angriff gewarnt. Aufständische hatten uns wissen lassen, dass Hunderte Autobomben und versteckte Minen auf uns warteten und Hunderte Selbstmordattentäter es kaum erwarten könnten, sich in die Luft zu sprengen. Sie hatten im Friedhof bereits Gräben ausgehoben für die zu erwartenden Märtyrer.
In den Tagen vor unserem Einmarsch hatten Kampfflugzeuge Falludschah mit Bordkanonen und Raketen beschossen und Bomben abgeworfen. Weil am Himmel so ein Gedränge herrschte, hatten die angreifenden Jets nur jeweils drei Minuten Zeit, ihre Ladung loszuwerden und wieder zu verschwinden, bevor die nächste Welle herandonnerte. In dieser Nacht waren Hunderte und Aberhunderte von 25-, 40- und 105-mm- Geschossen mit der Wucht von Meteoriten aus weit entfernten Galaxien in der Stadt aufgeschlagen. Das Bombardement aus der Luft war spektakulär, die zehntausend übrigen Marines und ich konnten uns nicht vorstellen, dass irgendjemand das überlebt haben könnte. Aber es gelang vielen, und nun, da wir hier waren, kam aus dem Nirgendwo das Feuer von Heckenschützen wie der Schrei von Geistern.
Als dann dieses unerwartete Ding, dieser Welpe, an diesem schrecklichen Ort auf mich zugerollt kommt, greife ich also nach meiner Waffe. Ich muss gebrüllt haben, denn auf meine Stimme hin schaut der Kleine zu mir hoch. Er stellt das Schwänzchen auf und fängt an, seine Babyversion von Dir trete ich gleich in den Hintern zu knurren.
Um den Hals herum sträubt sich das Fell, als ob er versucht größer auszusehen, und er stößt ein Indianerkriegsgeheul - Ruuu-ruu-ruu - aus, während er auf steifen Beinen auf und ab hopst.
Ich stampfe mit dem Fuß auf, um ihn abzuwimmeln, aber er weicht keinen Millimeter. Das Ruuu-ruu-ruu wird nur noch lauter, seine Lungen arbeiten im Stakkato.
»Hey.«
Ich schiebe mir das Gewehr auf den Rücken und beuge mich hinunter. Der Welpe prallt mit Ruu-ruu-ruuuu zurück, lässt mich aber nicht aus den Augen.
»Hey. Reg' dich ab.«
Er sieht aus wie ein aufgeblasener Pandabär, und das letzte Ruuuu vom Ruu-ruu-ruuuu heult er mit zum Himmel gereckter Schnauze, bis seine dicken Vorderpfoten vom Boden abheben.
Trotz aller Tapferkeit steht Furcht in seinen Augen. Er ist nur ein Welpe, zu jung, um zu wissen, wie man sie verbirgt. Doch ich kann genau erkennen wie er zwischen Tapferkeit und Terror hin und her schwankt, während Testosteron und Adrenalin um jedes Gran seiner Aufmerksamkeit kämpfen. Erkenne es sofort.
Ich greife in meine Tasche - Ruu-ruu-ruu -, hole eine Patrone heraus - Ruu-ruu-ruu - und halte sie ihm hin in der Hoffnung, dass er sie für etwas Essbares hält. Der Welpe hört auf zu bellen und legt den Kopf schief. Ich habe das deutliche Gefühl, ihn manipuliert zu haben und dennoch scheint er ein kluges Kerlchen zu sein.
»So isser fein.«
Er schnuppert in die Luft über seinem Kopf, findet nichts und wendet die Nase der Patrone zu. Sie interessiert ihn, und er streckt sich nach vorn, um das Metall besser beriechen zu können. Das verblüfft mich, bis ich feststelle, wie schmutzig meine Hände sind. Sie sind fast schwarz von einer Woche ohne Waschen. Er muss den ganzen angesammelten Schmutz und Tod an meiner Haut riechen können.
Ich beuge mich vor, aber da gewinnt die Furcht die Oberhand, und er saust davon.
»Hey, komm zurück.«
Ich stehe da und sehe, wie er gegen eine Wand rennt. Ich zucke zusammen: Das muss wehgetan haben! Er aber rappelt sich auf, schüttelt den Kopf und rennt weiter.
»Hey, komm her.«
Der kleine Hund stoppt und schaut zu mir zurück, die Ohren gespitzt, das Schwänzchen wild kreiselnd, die rosa Zunge hängt seitwärts aus dem Maul wie bei einem Verrückten. Ich merke, dass ich ihn jagen soll, als sei ihm aufgegangen, dass er hereingefallen ist, aber zu stolz wäre, es zuzugeben, und es nun mit dieser Ich-hatte-nie-Angst-vor-dir-Miene zu verdecken sucht.
Auf Pfoten, so groß wie sein Kopf, hopst er im Kreis, knallt wieder gegen die Wand und fällt halb betäubt in sich zusammen. Und ich? Ich bin wie verzaubert von dem kleinen Kerl. Allein vom Zusehen wird mein Kopf wieder klar und ich schaufle ihn mit einer Hand vom Boden hoch und tue so, als hätte ich seinen Unfall nicht gesehen.
»Harter Bursche, was?«
Er riecht nach Kerosin.
»Was ist das für ein Aftershave, das du da trägst?«
Er fühlt sich leichter an als eine volle Wasserflasche, als er sich so windet und mir das Gesicht leckt, das schwarz ist von Explosionsrückständen, vom Ruß ausgebombter Häuser und vom Staub, wenn ich mich wieder einmal zu Boden werfen musste.
»Wo kommst du denn her?«
Ich kann mir ziemlich gut vorstellen, wo er herkommt, und plötzlich weiß ich auch ziemlich genau, wo er hingeht. Ich habe es schon oft erlebt. Marines, die nicht mehr auf der Hut sind, die sich mit Einwohnern anfreunden - mit hübschen Mädchen, kleinen Kindern, netten kleinen Pelztieren - ganz egal, es ist nicht erlaubt. Während ich also den tapferen kleinen Kerl im Arm halte und er so tut, als sei er gerade aus einer Schachtel unter dem Weihnachtsbaum herausgesprungen, reiße ich mich am Riemen.
Es ist nicht erlaubt, Kopelman.
Aber er macht weiter mit Lecken, Sich-Winden und Herumwackeln und ich kann mich an diesen Teil noch sehr gut erinnern, weil ich es mochte, wie er sich in meinen Händen anfühlte. Ich mochte es, dass er mir den Schrecken nicht nachtrug. Ich mochte, dass es mir gerade nichts ausmachte, ob ich je wieder nach Hause kam, am Leben blieb oder mich als menschliches Wesen krumm und verbogen fühlte - da war nur er, der sich in meinen Händen wand wie ein Aal und mir den ganzen Ruß aus dem Gesicht leckte.
Kapitel 2
November 2004
Falludschah
Die Lava Dogs berichteten mir, dass sie den kleinen Banditen hier auf der Anlage gefunden hätten, als sie den Platz stürmten. Der Grund, weshalb er immer noch hier war, lag einfach darin, dass sie nicht wussten, was sie sonst mit ihm machen sollten. Sie hatten beschlossen, den Bereich als Gefechtsstand zu benutzen und da der halb verhungerte, vielleicht einen Monat alte Welpe vor ihnen hier war, standen sie vor der Wahl, ihn auf die Straße zu setzen, ihn zu erschießen oder ihn zu ignorieren, während er in einer Ecke langsam einging. Ich bekam Entschuldigungen zu hören wie:
»Ich nicht, Mann, auf keinen Fall.«
»Die Munition nicht wert.«
»Bin doch kein Psycho, Mann!«
Mit anderen Worten: Sie hatten von Falludschah schon genügend Bilder, die sie ihr Leben lang quälen würden. Sie brauchten keine weiteren. Soldaten ja - Welpenkiller nein.
Sie hatten ihn Lava genannt. Gern würde ich behaupten, dass einige meiner Kameraden kreativ genug sind, um diesen Namen aus symbolischen Gründen zu wählen - etwa, dass sie sich selbst retten, wenn sie ihn retten - ich bin aber ziemlich sicher, dass ihnen einfach nichts anderes einfiel.
Lava ist der neueste Hit, entfloht mit Kerosin , entwurmt mit Kautabak und vollgepumpt mit MREs.
Nur damit Sie verstehen, wie zäh Lava wirklich ist: MREs sind »Meals Ready to Eat«, also verzehrfertige Mahlzeiten. Inoffiziell steht die Abkürzung aber für »Meals Rejected by Everyone « - Mahlzeiten, die jeder ablehnt. Sie bestehen aus einem dreifach laminierten Kunststoffbeutel, der genau zwölfhundert Kalorien enthält, einem Löffel und einer nicht brennbaren Heizquelle, die durch die Mischung von Magnesium und Eisenstaub mit Salz genügend Hitze erzeugt, um die Mahlzeit zu erwärmen. Auf der Packung steht, dass »nicht ausreichende Aufnahme von Nahrung und Nährstoffen« zu »schnellem Gewichtsverlust führt«, was wiederum bedeutet: »Verlust an Kraft, Ausdauer, Motivation, Wachheit«, was uns vermutlich dazu bringen soll, den Beutel zumindest zu öffnen, um zu sehen, was drin ist.
Lava jedoch kann überhaupt nicht genug davon kriegen und lernt schnell, Beutel mit einer Lebensdauer von drei Jahren aufzureißen, die am Fallschirm hängen und einen Sturz aus 400 Metern Höhe und mehr überstehen.
Dennoch ist der beste Teil der Geschichte der, wie diese Marines, diese elitären, gut geölten Kriegsmaschinen, die theoretisch einen Mitmenschen auf hunderterlei Arten töten können, in der Gegenwart eines winzigen Säugetiers zu schlichten Sterblichen werden. Ich bin schockiert, in den Stimmen meiner Kameraden einen seltsamen, nebulösen Klang zu hören, in ihren Augen einen seltsamen, nebulösen Blick zu sehen und seltsame, nebulöse Worte zu vernehmen, die vorzugsweise auf -li enden.
»Hattu lauter Juckflöhli gehabt, als wir dich gefunden haben, gell? Jetzt bittu unser tapferes kleines Burschili. Bittu unser tapferes kleines Burschili, na? Du bist unser tapferes kleines Burschili, jawoll.«
Und die ganze Zeit weiß Lava, dass ich ihn im Auge habe, und er schielt zu mir hin, um zu sehen, ob ich auch ja mitkriege, wie er das alles aufsaugt.
Die Marines prahlen damit, wie der Welpe sich in ihre Stiefel verbeißt, in ihren Helmen schläft und nonstop die Drähte der Satellitentelefone von Journalisten auf dem Dach durch beißt. Sie erzählen mir, dass er schon fast einen Patronengurt hochheben kann. Sie erzählen mir, dass er M&Ms mag.
»Hat jemand heute Morgen schon Lava gefüttert?«, schreit einer. Und »Ja, ich!« antworten alle im Chor.
Er ist wie eine dieser Zeichentrickfiguren im Schnelldurchlauf: Immer jagt er hinter etwas her, immer kaut er auf etwas herum, immer rennt er Kopf voran in etwas hinein. Er beschleicht Schatten, Staubflocken und Papierknäuel. Er kann sich innerhalb von zwei Minuten eine ganze Zigarre einverleiben und eine Splitterschutzweste quer über den Fußboden ziehen. Ich meine, der kleine Scheißer kennt keine Pause. Wenn du ihn nicht gerade, verbissen in deine Schuhbänder, hinter dir herziehst, hat er sich auf dem Dach in einem Drahtgewirr verfangen oder heult jämmerlich aus den Tiefen irgendeines Rucksacks.
Du kannst ihn auch nicht anbrüllen, denn du magst noch so eine elitäre, gut geölte Kriegsmaschine sein, wenn du einen Welpen anbrüllst, giltst du als gefährlicher Verrückter. Er wird total verhätschelt, warm gehalten, das Stöckchen nie weiter geworfen, als er sehen kann, damit sein Ego nicht leidet, wenn er es nicht finden kann. Ich finde das alles ziemlich lächerlich. Anfangs.
Aber der jüngste Rekrut kennt zu der Zeit, als ich dazu komme, schon die zwei wichtigsten Regeln im Camp: Es wird nicht an Patronen gekaut, und gepinkelt wird draußen.
Es ist, als wäre Lava ein Kind. Er gibt ihnen etwas, für das sie verantwortlich sein können, abgesehen von ihren militärischen Pflichten und der Möglichkeit, im Verlauf dieser Tätigkeit das Gehirn ausgeblasen zu bekommen oder noch Schlimmeres. Er gibt ihnen eine Routine. Und irgendwie werde ich Teil davon.
Jeden Morgen bekommt Lava sein gefriergetrocknetes und wieder angefeuchtetes »Landhühnchen mit Butternudeln«, und dann verlassen wir das Haus und beziehen unsere diversen Posten in der Stadt. Ein paar Marines gehen in den Straßen Patrouille, ein paar durchsuchen Häuser nach Waffen, ein paar werden getötet und ihr Platz bleibt abends leer.
Ich muss mit drei irakischen Soldaten Patrouille gehen. In ihren brandneuen, amerikanischen, schokobraun gefleckten Tarnanzügen, die Augen weit aufgerissen, fuchteln sie mit ihren Gewehren herum, als ob sie Spinnweben aus dem Weg räumen wollten. Ich fürchte, die meisten haben immer noch nicht begriffen, wie man ein Gewehr sichert.
Sie haben keine Ausbildung, sind nicht in Form und haben Angst. Sie sind Mitglieder der Iraqi Armed Forces (IAF) - kriegerisch klingende Bemäntelung von »erobert und arbeitslos«. Sie wurden von den Vereinigten Staaten dazu überredet, Falludschah vor den anstehenden nationalen Wahlen von Aufständischen zu säubern.
Ein paar Tage, bevor wir die Stadt bombardierten, meldeten sich die neuen Rekruten mit einer Menge vielversprechendem Draufgängertum im Camp Falludschah, ein paar Kilometer im Südosten der Stadt. Als Premierminister Iyad Allawi dem Camp überraschend einen Besuch abstattete und sie aufforderte, Tapferkeit zu zeigen, vorzustürmen und »die Mörder zu verhaften«, hatten die jungen irakischen Soldaten mit neu gewonnenem Teufelskerle-Mut zurückgebrüllt: »Zur Hölle mit ihnen!«
Aber die Situation änderte sich schnell. Zuerst bauten wir für sie ein Zeltlager außerhalb der eingefriedeten Sicherheit des Hauptcamps. Wir nannten es das East Fallujah Iraqi Camp und hofften, dass der Name und die Handvoll amerikanischer Soldaten und Berater, die bei ihnen blieben, ihren Mut stärken würden. Denn die irakischen Soldaten lagen unter Dauerbeschuss: Einmal von regulären Mörsern, abgefeuert auf ihre Zelte von Aufständischen, und von Worten, abgefeuert von Amerikanern, denen nur eine Woche Zeit blieb, um sie für ihren ersten Kampfeinsatz vorzubereiten. Klar, dass sie ziemlich nervös waren und oft mitten in der Nacht mit ihren ungesicherten Gewehren unkontrolliert in der Gegend herumballerten. Zum Glück waren sie nicht sehr treffsicher.
Es war auch nicht gerade hilfreich, dass einflussreiche irakische Geistliche den IAF-Soldaten mit dem Höllenbann drohten und der Rebellenrat, der Falludschah beherrschte, jeden zu enthaupten versprach, der in die Stadt kam, »um die eigenen Leute zu bekämpfen«. In einer Erklärung, die die Rebellen kurz vor unserem Angriff veröffentlichten, stand: »Wir schwören bei Gott, dass wir in den Straßen gegen euch aufstehen werden, dass wir in eure Häuser kommen und euch schlachten werden wie Schafe.«
Über zweihundert irakische Soldaten nahmen ganz schnell ihren »Abschied«, weitere zweihundert waren »in Urlaub«. Meine Aufgabe ist es nun, den Aufpasser für ein paar der wenigen zu spielen, die übrig blieben.
An einem Nachmittag ungefähr eine Woche nach meiner Ankunft im Lager patrouillieren ich und ein paar andere Marines mit ihnen durch die Hauptstraßen. Wir befinden uns vor einer Moschee. Mit angstgeweiteten Augen fuchteln sie mit ihren Gewehren herum. Aber auch ich bin angespannt wegen dem, was um uns herum vorgeht, nur dass ich es nicht zeigen kann, weil ich für sie ein Vorbild sein soll. Aber sie sind derartig verängstigt und nervös, dass die Gefahr besteht, dass sie mich oder einen der anderen Marines aus Versehen erschießen werden. Ich denke mir, es ist besser, sie fürchten mich mehr als die Straßen. Also fange ich an zu brüllen.
»Hört auf mit dem Scheiß!«
Und brülle weiter: »Waffen sichern!«
Doch sie blicken weiter in eine Richtung, während ihre Gewehre in eine andere zeigen.
»Aufhören mit dem Scheiß, hab' ich gesagt!«
Bis ich merke, dass sie sich bereits in einem Zustand der Angst befinden, zu dem sogar ich keinen Zugang mehr habe. Bis einer der anderen Marines, Tim O'Brien, Dan Doyle oder Mark Lombard, ich kann mich nicht mehr genau erinnern, zu mir sagt: »Nimm's ihnen nicht übel, Mann, sie verstehen kein Englisch.« - was mir irgendwie die ganze Schau verdirbt.
»Na schön, dann sollten sie es besser schnell lernen.« Aber ich höre auf zu brüllen und werfe ihnen stattdessen einen finsteren Blick zu.
Dann zischt etwas in der Luft an uns vorbei, und wir erstarren. Einfach so. Kommt von nirgendwo und explodiert ein paar Meter von uns entfernt.
Eine zweite raketengetriebene Granate heult auf uns zu, und ich schätze im Eiltempo die Situation ab: Beschuss von zwei Seiten, Handfeuerwaffen, mittleres Maschinengewehr und raketengetriebene Granaten. Zwei Männer sind verwundet und die irakischen Soldaten rennen in Deckung, nicht nur zahlenmäßig unterlegen.
Ich manövriere mich hinter die Motorhaube des Humvee, um von dort meine Befehle zu geben, als Tim O'Brien, oben im Geschützturm, mit dem Maschinengranatwerfer MK-19 das Feuer eröffnet und uns Deckung gibt, damit der Rest von uns in Gefechtsposition gehen kann.
Dan Doyle liest eines der Gruppen-MGs auf und feuert nach Südwesten.
Tim in seinem Geschützturm ist das Hauptziel, besonders als sein MK-19 blockiert und er mit seiner M4 weiterschießen muss - eine kürzere Ausgabe des M16A4-Sturmgewehrs -, während er versucht, das MK-19 wieder funktionsfähig zu kriegen. Aber es ist Dan, der getroffen wird. Blut läuft ihm innen am Bein herunter.
»Dan, lauf in diese Moschee«, befehle ich, aber er ignoriert mich und rennt los, um die Humvees in Position zu bringen, damit wir die restlichen Verwundeten evakuieren können. Dazu gehört auch Mark Lombard, der ebenfalls verletzt ist und wie verrückt blutet, aber trotzdem unsere Situation über Funk durchgibt.
Kugeln und Schrapnelle prallen Zentimeter rechts von mir von der Motorhaube ab. Dans Hosenbein ist blutdurchtränkt.
»Bring deinen Arsch in diese Moschee rein«, brülle ich wieder, er aber, man muss sich das vorstellen, sieht zu mir herüber und grinst.
»Nur 'ne Fleischwunde.«
Zwei Panzerknacker-Geschosse treffen das Fahrzeug und gehen durch die einen halben Zentimeter dicke Stahlplatte wie eine Nadel durch Haut. Ich feure mein A16A2 ab und schreie den irakischen Soldaten zu, nach Süden zu schießen.
Nur, ich sehe sie nicht. Wo zum Teufel sind sie? Ich muss die Verwundeten in Sicherheit bringen. Doch als ich sie aus dem Augenwinkel wie erstarrt zwischen zwei umgestürzten Fahrzeugen kauern sehe, geht mir auf, dass wir auf uns allein gestellt sind.
Ich wechsle mein M16A2 gegen ein stärkeres Gruppen-MG aus, renne vor den Humvee und feuere nach Süden. Das inspiriert offenbar einen der irakischen Soldaten, den Kopf hervorzustrecken, schnell zwei Schüsse abzugeben - mit mir als Deckung - und sich wieder zu ducken. Es ist das Letzte, was ich während des halbstündigen Gefechts von den Irakern sehe.
Abends sammeln wir uns alle wieder im Lager, wo wir die Fenster mit Decken und Sandsäcken verdunkeln, unsere Waffenreinigen und uns darum kümmern, dass Lava etwas zu fressen bekommt.
Dann kommt der Zeitpunkt, wo du dein ganzes Zeug wieder anziehen musst, die Waffe packst und zu den transportablen WCs um die Ecke schleichst. Ich nenne sie Porta-Shitters und eine meiner größten Ängste während meines Aufenthalts im Lager ist die Möglichkeit, in einem Porta-Shitter von einer Granate getroffen zu werden.
Hast du das überlebt, machst du es dir gemütlich, rauchst eine Zigarre und bequatschst mit allen anderen, die es überstanden haben, die Ereignisse des Tages.
»Wir haben ein Waffenversteck in diesem alten UN› Nahrung-für-Öl‹ Platz gefunden ...«
»Wir sind in einer Gasse in einen Hinterhalt geraten ...«
»Wir haben Verwundete transportiert, und sie sind einfach aus dem Humvee auf die Straße gefallen, als der von einer Granate oder sonst was getroffen wurde, die wir nicht mal haben kommen sehen.«
Während wir reden, klettert Lava über unsere Stiefel, vernichtet ganze Packungen M&Ms und gräbt unsere Decken nach Beute um.
»Die da draußen haben ja keine Ahnung ...«
Dann setzt sich der Kleine zwischen meine gekreuzten Beine und starrt die anderen Marines aus dieser Höhle an.
»Ich meine, wie stellen es sich diese Lamettaträger in Washington vor, dass die Iraker jemals ihr eigenes Land sichern können, wenn wir die ganze Arbeit für sie machen?«
Ich schnüre meine Stiefel auf und Lava beißt in die Schnürsenkel. Ich ziehe einen Stiefel aus, der Welpe packt den Schnürsenkel und zieht. Ich ziehe dagegen. Der Welpe knurrt. Ich knurre zurück.
»Hey, was ist nun eigentlich mit dem Hund?«, frage ich. »Was habt ihr mit ihm vor?«
Keine Antwort. Dann streckt sich einer, gähnt und sagt, er gehe jetzt schlafen. Andere grunzen unverständlich vor sich hin. Lava krabbelt zwischen meinen Beinen vor, dreht ein paar Runden, lässt sich hinfallen und schläft mit der Nase in meinem ausgezogenen Stiefel ein.
Inzwischen lassen Experten in psychologischer Kriegsführung Lautsprecher mit AC/DC und Jimi Hendrix in voller Lautstärke durch die Straßen plärren, untermalt von Babygeschrei, jammernden Frauenstimmen, Katzengekreisch und Hundegeheul, in der Hoffnung, dass den Aufständischen die Nerven durchgehen. Sie senden Beleidigungen auf Arabisch, einschließlich »Ihr schießt wie Ziegenhirten« und »Mögen sämtliche Ambulanzen in Falludschah genug Benzin haben, um die Leichen der Mudschaheddin aufzusammeln«, was zusammen mit den Mörsern, Granaten, dem unaufhörlichen Gerumpel der Humvees und zwanzig verschiedenen Arten von in Wellen anfliegenden Fluggeräten einschließlich Hubschraubern, Kampfjets und kleinen Aufklärungsdrohnen eine Art weißes Rauschen schafft, das uns einen gesunden Schlaf die ganze Nacht hindurch erlaubt.
Vermutlich wollten sie damals meine Frage wegen Lava nicht beantworten, weil während der Invasion in Falludschah nichts außer dem unmittelbar Anstehenden einen Gedanken wert war. In jedem Kopf war wirklich nur Platz für das, was genau vor oder hinter uns oder um die nächste Ecke lag. Die Zukunft reichte höchstens einen Häuserblock weit. Die Träume drehten sich um Granaten, die ihr Ziel verfehlten. Lebensziele waren erreicht, wenn du es abends wieder bis ins Lager geschafft hattest. Wahrscheinlich war es weniger, dass die Burschen das Thema, was aus Lava werden sollte, vermeiden wollten - sie ignorierten es eher. Es war einfach kein Platz dafür. Aber Himmel, wenn ein kleiner Hund sich deinen Stiefel aussucht, um darin zu schlafen, fängst du an, dich zu fragen, wie er wohl mal sterben wird.
Ich bin seit 1992, nachdem ich von der Navy übergewechselt war, ein Marine, und ich weiß, dass der kleine Kerl sterben wird. Ich wusste es gleich, als ich ihn sah: Der wird es nicht schaffen. Als ob man einen der Kameraden ansieht und denkt: Der wird es nicht schaffen, weil sein Augenlid zuckt oder Der wird es nicht schaffen, weil er den Scheitel rechts oder links trägt - abergläubisches Zeug halt, das zwar keinen Sinn ergibt, aber irgendwie trotzdem deinen Motor am Laufen hält. Bei Lava dachte ich: Der wird es nicht schaffen, weil er so verdammt süß ist.
Ich bin außerdem Oberstleutnant, was bedeutet, dass ich die Militärvorschriften so gut kenne wie jeder andere, und jedes Mal, wenn ich Lava hochnehme, schießen sie mir blitz artig durch den Kopf: Zu den unter General Order 1-A für Angehörige des Militärdienstes verbotenen Tätigkeiten gehört, jedwelche domestizierten oder wilden Tiere als Haustiere oder Maskottchen zu halten, sich um sie zu kümmern oder sie zu füttern.
Kapitel 3 Mai 2005
Denver, Indiana
Ken Licklider warf noch ein paar Kleidungsstücke in den Koffer und sah auf die Uhr. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das war der Trick. Schon immer gewesen.
Der Krieg war in vollem Gang, und das Geschäft lief gut - so gut, dass Ken, der in den letzten zwei Jahren fünf Mal im Irak und in Afghanistan gewesen war, Mühe hatte, genügend gute Leute zu finden, die für ihn arbeiteten. Er hoffte, dass die Annonce auf seiner Website - »Gesucht werden Führer von Bombenspürhunden - Einsatz im Irak und in Afghanistan - überdurchschnittliches Gehalt« - einschlagen würde, aber der Zusatz: »Unbedenklichkeitsbescheinigung muss vorliegen« würde wohl die Zahl der möglichen Bewerber ausdünnen.
Es war nicht einmal diese Bedingung, die Ken so zu schaffen machte. Eine Menge Leute bewarben sich, und eine Menge konnten vermutlich diese Bescheinigung vorlegen, aber man konnte nicht einfach jeden beliebigen Möchtegern-Macho mit hineinnehmen. Selbst wenn man noch so verzweifelt nach Leuten suchte. Das hatte er auf die harte Tour lernen müssen. Seit der Gründung seiner Hundeschule, der Vohne Liche Kennels 1992, hatte er mehr als genug Brutalos gesehen und abgewiesen.
Einen Teil seines Erfolgs verdankte er seinem Talent, gute Hunde zu finden. Er setzte Deutsche und Belgische Schäferhunde ein, belgische Malinois und Labradors aus der ganzen Welt, aber sein Haupterfolg basierte auf seinem Talent, die richtigen Hundeführer zu finden. Die meisten waren früher bei der Militärpolizei gewesen, Sicherheitsexperten oder Polizisten. Alles harte Burschen - einer war zum Beispiel Gefängnisdirektor gewesen, ein anderer war darauf spezialisiert gewesen, undercover kriminelle Motorradgangs aufzuspüren -, aber um für ihn zu arbeiten, mussten sie klar im Kopf sein. Mussten das Training absolvieren. Mussten so viel Disziplin entwickeln, dass sie mit seinen Hunden umgehen konnten. Mit Hunden, die darauf trainiert waren, nicht instinktiv, sondern nur auf gezieltes und wohlüberlegtes Kommando anzugreifen.
Seine Bombenspürhunde im Irak zum Beispiel waren auf »passive Reaktion« trainiert. Das heißt, wenn sie Witterung bekamen und fanden, was sie hatten suchen sollen, spielten sie nicht mit Schaum vor dem Maul verrückt. Sie setzten sich nur davor und starrten es an. Nicht einmal Schwanzwedeln war erlaubt.
Seine Hundeführer mussten auch genügend Selbstkontrolle besitzen, um die Kontrolle an die Hunde abgeben zu können. Das fiel besonders schwer, denn viele waren von Berufs wegen Kontrollfanatiker. Zu lernen, sie auch einmal abzugeben, war völliges Neuland für diese Männer.
Am wichtigsten aber war, dass sie die Hunde so lieben mussten wie Ken selbst. Wie David Mack, sein Koordinator in Bagdad, oder Brad Ridenour, ein früherer Schüler, der im Irak für Triple Canopy Security, einen Sicherheitsdienst, arbeitete. Das waren zwei, die mit Gewalt umzugehen wussten: Studiere sie genau, gehe ihr wenn möglich aus dem Weg, und dann kümmere dich wieder um deinen Hund.
Du konntest dich glücklich schätzen, wenn du das verstanden hattest, wenn du dich erst um deinen Hund und dann um die »bösen Buben« kümmern konntest, wenn du eingesehen hattest, dass der Hund dir schlussendlich auf mehr als eine Art das Leben retten würde.
Ken schätzte sich glücklich. Teufel auch, er war wie verzaubert. Er hatte 1977 bei der Luftwaffe als Hundetrainer und -führer angefangen und sofort gemerkt, dass Hunde gut für die geistige Gesundheit waren. Zuerst hatte er gedacht, dass es der Fokus war, den ein guter Trainer und Führer brauchte, um den Geist am Abwandern zu hindern. Doch im Laufe der Jahre - nach der Arbeit für den Secret Service, nachdem er mit seinen Hunden und ihren Führern für die Sicherheit von Präsidenten, ausländischen Würdenträgern, der Panamerikanischen Spiele und des Papstes verantwortlich gewesen war - hatte Ken gelernt, das dies nicht alles war. Wenn man sein ganzes Berufsleben am Rande der Gewalt verbrachte, halfen die Hunde einem, nicht zu vergessen, dass man immer noch ein Mensch war.
Er sah noch einmal auf die Uhr.
Kapitel 4
November 2004
Falludschah
Anne Garrel erzählt mir, dass sie im Gefechtsstand gar nicht schlecht schläft. Wenigstens hat sie hier ein Dach über dem Kopf und einen Ort, wo sie ihre Satellitenausrüstung aufstellen kann, auch wenn in diesem Krieg die Frage Wie halte ich Lava davon ab, die Drähte durchzubeißen zu denen gehört, auf die sie sich nicht richtig vorbereitet hat.
Ich sage dieser Krieg, weil sie schon diverse Kriege und Massaker hinter sich hat. Tschetschenien, Bosnien, Kosovo, Israel, Saudi-Arabien, Afghanistan, Mittelamerika, Tiananmen-Platz, Pakistan ... wo auch immer, sie war da.
Anne ist eine Schau. Sie kann so gut trinken, rauchen und fluchen wie einer von uns. Sie weiß mehr über Krieg als jeder Einzelne von uns und kümmert sich weniger um Konsequenzen als einer von uns. Wenn aber Lava vor ihr steht, schleicht sich dieser merkwürdige Glanz in ihre Augen. »Er ist zum Niederknien «, sagt sie, während der Welpe sich durch ihre tau- sende Dollar teure Funkausrüstung beißt, »einfach zum Anbeten «, und dabei verwandelt sie sich in eine Art sanftes, ganz und gar weibliches Mädchen von nebenan, von dem du dir plötzlich wünschst, es wäre nicht verheiratet.
Aber Anne ist härter, als sie aussieht. Als sie als offizielle Kriegsberichterstatterin für National Public Radio zusammen mit der Bravo Company, First Batalion, Third Marine Regiment erstmals in die Stadt kam, hatte sie keinen Schlafsack mit, weil sie nicht noch etwas mitschleppen wollte. Ihre Funkausrüstung allein wog schon fünfzig Pfund. Also schlief sie hier und da ein paar Minuten auf dem blanken Boden, immer wieder aufgeschreckt von Bomben, herabfallenden Ziegeln und Heckenschützenfeuer. Was lausige Arten von Zeitvertreib anbetrifft, kommt aus meiner Sicht Im-Kalten-auf-dem-Boden-schlafen, gleich hinter dem Besuch eines Porta-Shitters in voller Uniform und der Sorge, es könnte einen hier treffen. Doch Anne meinte nur achselzuckend: »Jaaa, ich bin ein bisschen müde.«
Aber dann findet sie ein Häufchen von Lava auf ihren Socken, und ihre Augen trüben sich, als ob sie gleich weinen wolle, und sie sagt: »Ist das nicht süß?«, und ist plötzlich wieder das Mädchen von nebenan.
Anne ist nicht wie die anderen Reporter - die meistens männlichen Geschlechts sind und deshalb andere Schwerpunkte setzen. Vor allem wie man seine Männlichkeit bewahrt, während man sich vor Angst in die Hose pinkelt. Ich kann meine Anerkennung nicht versagen: Sie sind nicht in Uniform in den Irak gekommen und trotten doch Tag für Tag hinter uns her, ducken sich unter denselben Granaten, futtern dieselben MREs und kritzeln die ganze Zeit in ihre Notizbücher oder flüstern in ihre Aufnahmegeräte und versuchen auf Teufel komm raus, nonchalant zu wirken.
Anne nicht. Sie gibt ohne Umschweife zu, dass Falludschah ihr eine Höllenangst einjagt. Würde ein Mann so etwas sagen, würden wir vermutlich grinsen, ausspucken, eingehend unsere Tattoos betrachten und dabei irgendeinen Blödsinn von uns geben. Aber wenn Anne das sagt, nimmt es irgendwie die Spannung weg, unter der wir stehen. Wenn all das selbst sie durcheinander bringt, dann sind wir wenigstens auch nicht die Klo-Feiglinge, wie wir heimlich alle befürchtet haben.
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Falls dich wirklich eine Granate erwischt, würdest du dich wenigstens aus der dem Himmel am nächsten liegenden GPS- Koordinate verabschieden. Der Irak wird von den meisten Bibelforschern für den Ort gehalten, wo einst der Garten Eden lag - Gottes einzige Kopie des Himmels, sein Paradies auf Erden. Nicht dass du passende Ausreden parat hättest, wenn du dort angelangt wärst, denn es brauchte mehr als eine Brille, um in der Kampfzone noch die Linien zwischen Gut und Böse zu erkennen. Aber ob du nun von Abraham, Mohammed oder Jesus abgerufen wurdest, hier fing offiziell alles an, und hier ging offiziell alles schief.
Anfangs jedenfalls gutes Marketing-Potenzial für die Region, denn sie wurde zum Wahrzeichen für das Geburtsland Abrahams, den Turmbau zu Babel und den Bau von Babylon, ganz zu schweigen vom Ursprung des Ackerbaus, der Schrift, der Erfindung des Rads, der Tierkreiszeichen, der Rechtstheorie, von Bürokratie und Urbanisation. Von Anfang an wollte jeder ein Stück davon haben, von diesem Land, das von den Mesopotamiern überging in die Hände der Akadier, zum Königreich Ur wurde und nacheinander von den Babyloniern, den Persern, den Griechen, den Arabern, den Mongolen, den Türken und den Briten beherrscht wurde.
Und keine dieser Übernahmen verlief besonders höflich. Bis Saddam Hussein ins Land kam, wo Milch und Honig fließt, war es über so lange Zeit von so vielen Völkern erobert, ausgeraubt, geprügelt und vergewaltigt worden, dass kaum noch etwas übrig war außer sehr viel Wüste mit sehr viel Öl darunter. Das und der Anspruch derer, die am Ufer von Euphrat und Tigris wohnten, dass der Garten Eden und der Baum des Lebens gerade mitten in ihrer Stadt gestanden hätten. Sie bauten eine Mauer rundherum, darin das Garden of Eden Hotel, und eine kurze Weile florierte der Tourismus. Dann kamen die Amerikaner, und weil die Bewohner des Gebiets die neuerliche Invasion unterstützten, schnitt ihnen Hussein die Wasserversorgung ab. Schon bald starb der Baum des Lebens ab, das Garden of Eden Hotel wurde von Islamisten übernommen, und auf den Mauern des Paradieses prangte in Riesenlettern DOWN WITH AMERICANS - Nieder mit den Amerikanern.
Klickklickklickklickklick.
Vielleicht eine Zeitbombe.
Wenn dies das Paradies war, hätten die Marines keine Wetten auf die Hölle abgeschlossen. Außerhalb des Gebäudes, das sie gerade durchsuchten, ratterten Kampfhubschrauber am Himmel auf der Suche nach verborgenen Rebellen und pockennarbige Humvees - wie unsere High-Mobility Multipurpose Wheeled Vehicles kurz genannt werden - durchstreiften das, was von den Straßen übrig geblieben war. Jedes Auto in der Stadt wurde wegen des Bombenrisikos aufs Korn genommen. Jeder lose Draht war verdächtig. Jedes Gebäude wurde durchsucht, und JIHAD, JIHAD, JIHAD stand auf jeder Mauer.
Während der ersten Tage der Invasion von Falludschah entdeckten die Marines Waffen, Proviantverstecke, Selbstmörderwesten und große Mengen Heroin, Speed und Kokain, offenbar dazu gedacht, den Mut von Selbstmordattentätern anzuheizen. Sie fanden die Leichen von Kämpfern aus Tschechien, Syrien, Libyen, Jordanien, Afghanistan und Saudi-Arabien. Sie betraten Schlachthäuser für Menschen, in denen Haken von der Decke hingen, ausgestattet mit schwarzen Kapuzen, Messern, blutverschmierten Strohmatratzen und Videos von Köpfungen. Sie befreiten ausgezehrte Gefangene, gefesselt und wahnsinnig vor Angst.
Falludschah, nahe dem Zentrum, wo alles begann, war jetzt eine Stadt, abgeriegelt vom Rest der Welt, bewohnt nur von unsichtbaren Heckenschützen und streunenden Hunden, die sich von den Toten nährten.
Klick. Schnüffel. Schnüffel. Klick.
Die Lava Dogs bissen die Zähne zusammen und packten ihre Waffen fester, während sie im Kopf die Vorschriften ablaufen ließen: Gefahrenzone absichern, unten bleiben, anschleichen, auf alles gefasst sein und Bedrohungen ausschalten.
Schnüffel. Klickklickklick. Schnüffelschnüffel.
Ein Jihad-Kämpfer, der sich eine Bombe umschnallt? Eigentlich hätten sie den Raum zuerst mit einer Granate »vorbereiten« sollen - einfach reinwerfen und sie die ganze Schmutzarbeit erledigen lassen. Aus Gründen, die noch immer verschleiert sind vom Krieg, von Angst und von so etwas wie Vorherbestimmung, drückten sie sich zu beiden Seiten des Hausflurs an die Wand und hielten die Waffen im Anschlag.
»Ach du Scheiße!«
Beim Klang ihrer Stimmen drehte sich der Welpe um und starrte sie an.
»Was zum Teufel?«
Er legte den Kopf schief, versuchte mehr ihre Absicht, als ihre Worte zu verstehen.
»Das kann doch nicht wahr sein.«
Dann gab er einen Quiekser von sich, wackelte mit dem Schwänzchen und hopste mit klickenden Krallen auf der Stelle, offensichtlich glücklich, dass ihn endlich jemand gefunden hatte.
Teil I
Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens.
Genesis 3,17
Kapitel 1 November 2004
Falludschah
Ich weiss nicht mehr genau, wann ich zu dem Haus kam, in dem wir im nordwestlichen Sektor von Falludschah unseren Gefechtsstand eingerichtet hatten, und ich weiß auch nicht mehr genau, wie ich dort hinkam. Es war ein paar Tage, nachdem die Lava Dogs angekommen waren und die Anlage übernommen hatten, soviel weiß ich. Ich erinnere mich auch, dass ich nach vier Tagen im Feuer von Heckenschützen, Schlafen auf der nackten Erde und Patrouillengängen mit drei irakischen Soldaten im Training - die mit weit aufgerissenen Augen auf alles schossen was sich bewegte, einschließlich ihrer eigenen Stiefel - auf das Gebäude zuging mit einem Gefühl, einer abstrakten Wiedergabe der falschen Zukunft entkommen zu sein.
Ich erinnere mich, dass ich fix und fertig war, und dass die Müdigkeit schwerer wog als der Sechzig-Pfund-Rucksack auf meinem Rücken, und dass ich, als ich durch die Vordertür trat und alles abwarf, was ich konnte, nur noch an Schlafen denken konnte.
Da sah ich Lava zum ersten Mal. Nur dass ich nicht hineinging und einen rundbäuchigen Welpen erblickte, der sich wie ein überfressenes Schäfchen auf einer Decke zusammengerollt hatte. Kein herumliegendes Quietschspielzeug, kein Welpengefiepe, keine blaugrauen Augen, die mich voller Unschuld anschauten.
Stattdessen rollte aus dem Nichts blitzartig etwas auf mich zu und ließ so viel Adrenalin durch meine Adern schießen, dass ich zurücksprang und gegen die Wand prallte. Ein Pelzbällchen, nicht viel größer als eine Granate, schlittert auf mich zu, kommt an meinen Stiefeln quietschend zum Stehen und kreiselt wie ein Aufziehspielzeug mit Höchstgeschwindigkeit um mich herum. Ich bekomme einen fürchterlichen Schreck! Ich bin müde und überdreht, und alles, was schnell auf mich zukommt, zerrt an meinen Nerven. Also stoße ich mich von der Wand ab und greife nach meinem Gewehr, obwohl ich sehen kann, dass es nur ein kleiner Hund ist.
Bevor Sie sich nun aufregen, weil ich auf niedliche Tierbabys ziele, vergessen Sie bitte nicht, dass ich gerade von der Straße hereinkam. Da draußen war es gespenstisch, als ob die Pest oder die Sintflut oder der Staub einer Atombombenexplosion sich gerade durch die Straßen gewälzt hätten. Die meisten Einwohner waren vor dem amerikanischen Angriff geflohen, und nach der Bombardierung kreischte die Stille so laut, dass schon das Rascheln einer Zeitung im Wind die Nerven nach solider Deckung schreien ließ.
Am Tag vor der Offensive hatten wir über der Stadt Flugblätter abgeworfen und die wenigen Verbliebenen vor dem bevorstehenden Angriff gewarnt. Aufständische hatten uns wissen lassen, dass Hunderte Autobomben und versteckte Minen auf uns warteten und Hunderte Selbstmordattentäter es kaum erwarten könnten, sich in die Luft zu sprengen. Sie hatten im Friedhof bereits Gräben ausgehoben für die zu erwartenden Märtyrer.
In den Tagen vor unserem Einmarsch hatten Kampfflugzeuge Falludschah mit Bordkanonen und Raketen beschossen und Bomben abgeworfen. Weil am Himmel so ein Gedränge herrschte, hatten die angreifenden Jets nur jeweils drei Minuten Zeit, ihre Ladung loszuwerden und wieder zu verschwinden, bevor die nächste Welle herandonnerte. In dieser Nacht waren Hunderte und Aberhunderte von 25-, 40- und 105-mm- Geschossen mit der Wucht von Meteoriten aus weit entfernten Galaxien in der Stadt aufgeschlagen. Das Bombardement aus der Luft war spektakulär, die zehntausend übrigen Marines und ich konnten uns nicht vorstellen, dass irgendjemand das überlebt haben könnte. Aber es gelang vielen, und nun, da wir hier waren, kam aus dem Nirgendwo das Feuer von Heckenschützen wie der Schrei von Geistern.
Als dann dieses unerwartete Ding, dieser Welpe, an diesem schrecklichen Ort auf mich zugerollt kommt, greife ich also nach meiner Waffe. Ich muss gebrüllt haben, denn auf meine Stimme hin schaut der Kleine zu mir hoch. Er stellt das Schwänzchen auf und fängt an, seine Babyversion von Dir trete ich gleich in den Hintern zu knurren.
Um den Hals herum sträubt sich das Fell, als ob er versucht größer auszusehen, und er stößt ein Indianerkriegsgeheul - Ruuu-ruu-ruu - aus, während er auf steifen Beinen auf und ab hopst.
Ich stampfe mit dem Fuß auf, um ihn abzuwimmeln, aber er weicht keinen Millimeter. Das Ruuu-ruu-ruu wird nur noch lauter, seine Lungen arbeiten im Stakkato.
»Hey.«
Ich schiebe mir das Gewehr auf den Rücken und beuge mich hinunter. Der Welpe prallt mit Ruu-ruu-ruuuu zurück, lässt mich aber nicht aus den Augen.
»Hey. Reg' dich ab.«
Er sieht aus wie ein aufgeblasener Pandabär, und das letzte Ruuuu vom Ruu-ruu-ruuuu heult er mit zum Himmel gereckter Schnauze, bis seine dicken Vorderpfoten vom Boden abheben.
Trotz aller Tapferkeit steht Furcht in seinen Augen. Er ist nur ein Welpe, zu jung, um zu wissen, wie man sie verbirgt. Doch ich kann genau erkennen wie er zwischen Tapferkeit und Terror hin und her schwankt, während Testosteron und Adrenalin um jedes Gran seiner Aufmerksamkeit kämpfen. Erkenne es sofort.
Ich greife in meine Tasche - Ruu-ruu-ruu -, hole eine Patrone heraus - Ruu-ruu-ruu - und halte sie ihm hin in der Hoffnung, dass er sie für etwas Essbares hält. Der Welpe hört auf zu bellen und legt den Kopf schief. Ich habe das deutliche Gefühl, ihn manipuliert zu haben und dennoch scheint er ein kluges Kerlchen zu sein.
»So isser fein.«
Er schnuppert in die Luft über seinem Kopf, findet nichts und wendet die Nase der Patrone zu. Sie interessiert ihn, und er streckt sich nach vorn, um das Metall besser beriechen zu können. Das verblüfft mich, bis ich feststelle, wie schmutzig meine Hände sind. Sie sind fast schwarz von einer Woche ohne Waschen. Er muss den ganzen angesammelten Schmutz und Tod an meiner Haut riechen können.
Ich beuge mich vor, aber da gewinnt die Furcht die Oberhand, und er saust davon.
»Hey, komm zurück.«
Ich stehe da und sehe, wie er gegen eine Wand rennt. Ich zucke zusammen: Das muss wehgetan haben! Er aber rappelt sich auf, schüttelt den Kopf und rennt weiter.
»Hey, komm her.«
Der kleine Hund stoppt und schaut zu mir zurück, die Ohren gespitzt, das Schwänzchen wild kreiselnd, die rosa Zunge hängt seitwärts aus dem Maul wie bei einem Verrückten. Ich merke, dass ich ihn jagen soll, als sei ihm aufgegangen, dass er hereingefallen ist, aber zu stolz wäre, es zuzugeben, und es nun mit dieser Ich-hatte-nie-Angst-vor-dir-Miene zu verdecken sucht.
Auf Pfoten, so groß wie sein Kopf, hopst er im Kreis, knallt wieder gegen die Wand und fällt halb betäubt in sich zusammen. Und ich? Ich bin wie verzaubert von dem kleinen Kerl. Allein vom Zusehen wird mein Kopf wieder klar und ich schaufle ihn mit einer Hand vom Boden hoch und tue so, als hätte ich seinen Unfall nicht gesehen.
»Harter Bursche, was?«
Er riecht nach Kerosin.
»Was ist das für ein Aftershave, das du da trägst?«
Er fühlt sich leichter an als eine volle Wasserflasche, als er sich so windet und mir das Gesicht leckt, das schwarz ist von Explosionsrückständen, vom Ruß ausgebombter Häuser und vom Staub, wenn ich mich wieder einmal zu Boden werfen musste.
»Wo kommst du denn her?«
Ich kann mir ziemlich gut vorstellen, wo er herkommt, und plötzlich weiß ich auch ziemlich genau, wo er hingeht. Ich habe es schon oft erlebt. Marines, die nicht mehr auf der Hut sind, die sich mit Einwohnern anfreunden - mit hübschen Mädchen, kleinen Kindern, netten kleinen Pelztieren - ganz egal, es ist nicht erlaubt. Während ich also den tapferen kleinen Kerl im Arm halte und er so tut, als sei er gerade aus einer Schachtel unter dem Weihnachtsbaum herausgesprungen, reiße ich mich am Riemen.
Es ist nicht erlaubt, Kopelman.
Aber er macht weiter mit Lecken, Sich-Winden und Herumwackeln und ich kann mich an diesen Teil noch sehr gut erinnern, weil ich es mochte, wie er sich in meinen Händen anfühlte. Ich mochte es, dass er mir den Schrecken nicht nachtrug. Ich mochte, dass es mir gerade nichts ausmachte, ob ich je wieder nach Hause kam, am Leben blieb oder mich als menschliches Wesen krumm und verbogen fühlte - da war nur er, der sich in meinen Händen wand wie ein Aal und mir den ganzen Ruß aus dem Gesicht leckte.
Kapitel 2
November 2004
Falludschah
Die Lava Dogs berichteten mir, dass sie den kleinen Banditen hier auf der Anlage gefunden hätten, als sie den Platz stürmten. Der Grund, weshalb er immer noch hier war, lag einfach darin, dass sie nicht wussten, was sie sonst mit ihm machen sollten. Sie hatten beschlossen, den Bereich als Gefechtsstand zu benutzen und da der halb verhungerte, vielleicht einen Monat alte Welpe vor ihnen hier war, standen sie vor der Wahl, ihn auf die Straße zu setzen, ihn zu erschießen oder ihn zu ignorieren, während er in einer Ecke langsam einging. Ich bekam Entschuldigungen zu hören wie:
»Ich nicht, Mann, auf keinen Fall.«
»Die Munition nicht wert.«
»Bin doch kein Psycho, Mann!«
Mit anderen Worten: Sie hatten von Falludschah schon genügend Bilder, die sie ihr Leben lang quälen würden. Sie brauchten keine weiteren. Soldaten ja - Welpenkiller nein.
Sie hatten ihn Lava genannt. Gern würde ich behaupten, dass einige meiner Kameraden kreativ genug sind, um diesen Namen aus symbolischen Gründen zu wählen - etwa, dass sie sich selbst retten, wenn sie ihn retten - ich bin aber ziemlich sicher, dass ihnen einfach nichts anderes einfiel.
Lava ist der neueste Hit, entfloht mit Kerosin , entwurmt mit Kautabak und vollgepumpt mit MREs.
Nur damit Sie verstehen, wie zäh Lava wirklich ist: MREs sind »Meals Ready to Eat«, also verzehrfertige Mahlzeiten. Inoffiziell steht die Abkürzung aber für »Meals Rejected by Everyone « - Mahlzeiten, die jeder ablehnt. Sie bestehen aus einem dreifach laminierten Kunststoffbeutel, der genau zwölfhundert Kalorien enthält, einem Löffel und einer nicht brennbaren Heizquelle, die durch die Mischung von Magnesium und Eisenstaub mit Salz genügend Hitze erzeugt, um die Mahlzeit zu erwärmen. Auf der Packung steht, dass »nicht ausreichende Aufnahme von Nahrung und Nährstoffen« zu »schnellem Gewichtsverlust führt«, was wiederum bedeutet: »Verlust an Kraft, Ausdauer, Motivation, Wachheit«, was uns vermutlich dazu bringen soll, den Beutel zumindest zu öffnen, um zu sehen, was drin ist.
Lava jedoch kann überhaupt nicht genug davon kriegen und lernt schnell, Beutel mit einer Lebensdauer von drei Jahren aufzureißen, die am Fallschirm hängen und einen Sturz aus 400 Metern Höhe und mehr überstehen.
Dennoch ist der beste Teil der Geschichte der, wie diese Marines, diese elitären, gut geölten Kriegsmaschinen, die theoretisch einen Mitmenschen auf hunderterlei Arten töten können, in der Gegenwart eines winzigen Säugetiers zu schlichten Sterblichen werden. Ich bin schockiert, in den Stimmen meiner Kameraden einen seltsamen, nebulösen Klang zu hören, in ihren Augen einen seltsamen, nebulösen Blick zu sehen und seltsame, nebulöse Worte zu vernehmen, die vorzugsweise auf -li enden.
»Hattu lauter Juckflöhli gehabt, als wir dich gefunden haben, gell? Jetzt bittu unser tapferes kleines Burschili. Bittu unser tapferes kleines Burschili, na? Du bist unser tapferes kleines Burschili, jawoll.«
Und die ganze Zeit weiß Lava, dass ich ihn im Auge habe, und er schielt zu mir hin, um zu sehen, ob ich auch ja mitkriege, wie er das alles aufsaugt.
Die Marines prahlen damit, wie der Welpe sich in ihre Stiefel verbeißt, in ihren Helmen schläft und nonstop die Drähte der Satellitentelefone von Journalisten auf dem Dach durch beißt. Sie erzählen mir, dass er schon fast einen Patronengurt hochheben kann. Sie erzählen mir, dass er M&Ms mag.
»Hat jemand heute Morgen schon Lava gefüttert?«, schreit einer. Und »Ja, ich!« antworten alle im Chor.
Er ist wie eine dieser Zeichentrickfiguren im Schnelldurchlauf: Immer jagt er hinter etwas her, immer kaut er auf etwas herum, immer rennt er Kopf voran in etwas hinein. Er beschleicht Schatten, Staubflocken und Papierknäuel. Er kann sich innerhalb von zwei Minuten eine ganze Zigarre einverleiben und eine Splitterschutzweste quer über den Fußboden ziehen. Ich meine, der kleine Scheißer kennt keine Pause. Wenn du ihn nicht gerade, verbissen in deine Schuhbänder, hinter dir herziehst, hat er sich auf dem Dach in einem Drahtgewirr verfangen oder heult jämmerlich aus den Tiefen irgendeines Rucksacks.
Du kannst ihn auch nicht anbrüllen, denn du magst noch so eine elitäre, gut geölte Kriegsmaschine sein, wenn du einen Welpen anbrüllst, giltst du als gefährlicher Verrückter. Er wird total verhätschelt, warm gehalten, das Stöckchen nie weiter geworfen, als er sehen kann, damit sein Ego nicht leidet, wenn er es nicht finden kann. Ich finde das alles ziemlich lächerlich. Anfangs.
Aber der jüngste Rekrut kennt zu der Zeit, als ich dazu komme, schon die zwei wichtigsten Regeln im Camp: Es wird nicht an Patronen gekaut, und gepinkelt wird draußen.
Es ist, als wäre Lava ein Kind. Er gibt ihnen etwas, für das sie verantwortlich sein können, abgesehen von ihren militärischen Pflichten und der Möglichkeit, im Verlauf dieser Tätigkeit das Gehirn ausgeblasen zu bekommen oder noch Schlimmeres. Er gibt ihnen eine Routine. Und irgendwie werde ich Teil davon.
Jeden Morgen bekommt Lava sein gefriergetrocknetes und wieder angefeuchtetes »Landhühnchen mit Butternudeln«, und dann verlassen wir das Haus und beziehen unsere diversen Posten in der Stadt. Ein paar Marines gehen in den Straßen Patrouille, ein paar durchsuchen Häuser nach Waffen, ein paar werden getötet und ihr Platz bleibt abends leer.
Ich muss mit drei irakischen Soldaten Patrouille gehen. In ihren brandneuen, amerikanischen, schokobraun gefleckten Tarnanzügen, die Augen weit aufgerissen, fuchteln sie mit ihren Gewehren herum, als ob sie Spinnweben aus dem Weg räumen wollten. Ich fürchte, die meisten haben immer noch nicht begriffen, wie man ein Gewehr sichert.
Sie haben keine Ausbildung, sind nicht in Form und haben Angst. Sie sind Mitglieder der Iraqi Armed Forces (IAF) - kriegerisch klingende Bemäntelung von »erobert und arbeitslos«. Sie wurden von den Vereinigten Staaten dazu überredet, Falludschah vor den anstehenden nationalen Wahlen von Aufständischen zu säubern.
Ein paar Tage, bevor wir die Stadt bombardierten, meldeten sich die neuen Rekruten mit einer Menge vielversprechendem Draufgängertum im Camp Falludschah, ein paar Kilometer im Südosten der Stadt. Als Premierminister Iyad Allawi dem Camp überraschend einen Besuch abstattete und sie aufforderte, Tapferkeit zu zeigen, vorzustürmen und »die Mörder zu verhaften«, hatten die jungen irakischen Soldaten mit neu gewonnenem Teufelskerle-Mut zurückgebrüllt: »Zur Hölle mit ihnen!«
Aber die Situation änderte sich schnell. Zuerst bauten wir für sie ein Zeltlager außerhalb der eingefriedeten Sicherheit des Hauptcamps. Wir nannten es das East Fallujah Iraqi Camp und hofften, dass der Name und die Handvoll amerikanischer Soldaten und Berater, die bei ihnen blieben, ihren Mut stärken würden. Denn die irakischen Soldaten lagen unter Dauerbeschuss: Einmal von regulären Mörsern, abgefeuert auf ihre Zelte von Aufständischen, und von Worten, abgefeuert von Amerikanern, denen nur eine Woche Zeit blieb, um sie für ihren ersten Kampfeinsatz vorzubereiten. Klar, dass sie ziemlich nervös waren und oft mitten in der Nacht mit ihren ungesicherten Gewehren unkontrolliert in der Gegend herumballerten. Zum Glück waren sie nicht sehr treffsicher.
Es war auch nicht gerade hilfreich, dass einflussreiche irakische Geistliche den IAF-Soldaten mit dem Höllenbann drohten und der Rebellenrat, der Falludschah beherrschte, jeden zu enthaupten versprach, der in die Stadt kam, »um die eigenen Leute zu bekämpfen«. In einer Erklärung, die die Rebellen kurz vor unserem Angriff veröffentlichten, stand: »Wir schwören bei Gott, dass wir in den Straßen gegen euch aufstehen werden, dass wir in eure Häuser kommen und euch schlachten werden wie Schafe.«
Über zweihundert irakische Soldaten nahmen ganz schnell ihren »Abschied«, weitere zweihundert waren »in Urlaub«. Meine Aufgabe ist es nun, den Aufpasser für ein paar der wenigen zu spielen, die übrig blieben.
An einem Nachmittag ungefähr eine Woche nach meiner Ankunft im Lager patrouillieren ich und ein paar andere Marines mit ihnen durch die Hauptstraßen. Wir befinden uns vor einer Moschee. Mit angstgeweiteten Augen fuchteln sie mit ihren Gewehren herum. Aber auch ich bin angespannt wegen dem, was um uns herum vorgeht, nur dass ich es nicht zeigen kann, weil ich für sie ein Vorbild sein soll. Aber sie sind derartig verängstigt und nervös, dass die Gefahr besteht, dass sie mich oder einen der anderen Marines aus Versehen erschießen werden. Ich denke mir, es ist besser, sie fürchten mich mehr als die Straßen. Also fange ich an zu brüllen.
»Hört auf mit dem Scheiß!«
Und brülle weiter: »Waffen sichern!«
Doch sie blicken weiter in eine Richtung, während ihre Gewehre in eine andere zeigen.
»Aufhören mit dem Scheiß, hab' ich gesagt!«
Bis ich merke, dass sie sich bereits in einem Zustand der Angst befinden, zu dem sogar ich keinen Zugang mehr habe. Bis einer der anderen Marines, Tim O'Brien, Dan Doyle oder Mark Lombard, ich kann mich nicht mehr genau erinnern, zu mir sagt: »Nimm's ihnen nicht übel, Mann, sie verstehen kein Englisch.« - was mir irgendwie die ganze Schau verdirbt.
»Na schön, dann sollten sie es besser schnell lernen.« Aber ich höre auf zu brüllen und werfe ihnen stattdessen einen finsteren Blick zu.
Dann zischt etwas in der Luft an uns vorbei, und wir erstarren. Einfach so. Kommt von nirgendwo und explodiert ein paar Meter von uns entfernt.
Eine zweite raketengetriebene Granate heult auf uns zu, und ich schätze im Eiltempo die Situation ab: Beschuss von zwei Seiten, Handfeuerwaffen, mittleres Maschinengewehr und raketengetriebene Granaten. Zwei Männer sind verwundet und die irakischen Soldaten rennen in Deckung, nicht nur zahlenmäßig unterlegen.
Ich manövriere mich hinter die Motorhaube des Humvee, um von dort meine Befehle zu geben, als Tim O'Brien, oben im Geschützturm, mit dem Maschinengranatwerfer MK-19 das Feuer eröffnet und uns Deckung gibt, damit der Rest von uns in Gefechtsposition gehen kann.
Dan Doyle liest eines der Gruppen-MGs auf und feuert nach Südwesten.
Tim in seinem Geschützturm ist das Hauptziel, besonders als sein MK-19 blockiert und er mit seiner M4 weiterschießen muss - eine kürzere Ausgabe des M16A4-Sturmgewehrs -, während er versucht, das MK-19 wieder funktionsfähig zu kriegen. Aber es ist Dan, der getroffen wird. Blut läuft ihm innen am Bein herunter.
»Dan, lauf in diese Moschee«, befehle ich, aber er ignoriert mich und rennt los, um die Humvees in Position zu bringen, damit wir die restlichen Verwundeten evakuieren können. Dazu gehört auch Mark Lombard, der ebenfalls verletzt ist und wie verrückt blutet, aber trotzdem unsere Situation über Funk durchgibt.
Kugeln und Schrapnelle prallen Zentimeter rechts von mir von der Motorhaube ab. Dans Hosenbein ist blutdurchtränkt.
»Bring deinen Arsch in diese Moschee rein«, brülle ich wieder, er aber, man muss sich das vorstellen, sieht zu mir herüber und grinst.
»Nur 'ne Fleischwunde.«
Zwei Panzerknacker-Geschosse treffen das Fahrzeug und gehen durch die einen halben Zentimeter dicke Stahlplatte wie eine Nadel durch Haut. Ich feure mein A16A2 ab und schreie den irakischen Soldaten zu, nach Süden zu schießen.
Nur, ich sehe sie nicht. Wo zum Teufel sind sie? Ich muss die Verwundeten in Sicherheit bringen. Doch als ich sie aus dem Augenwinkel wie erstarrt zwischen zwei umgestürzten Fahrzeugen kauern sehe, geht mir auf, dass wir auf uns allein gestellt sind.
Ich wechsle mein M16A2 gegen ein stärkeres Gruppen-MG aus, renne vor den Humvee und feuere nach Süden. Das inspiriert offenbar einen der irakischen Soldaten, den Kopf hervorzustrecken, schnell zwei Schüsse abzugeben - mit mir als Deckung - und sich wieder zu ducken. Es ist das Letzte, was ich während des halbstündigen Gefechts von den Irakern sehe.
Abends sammeln wir uns alle wieder im Lager, wo wir die Fenster mit Decken und Sandsäcken verdunkeln, unsere Waffenreinigen und uns darum kümmern, dass Lava etwas zu fressen bekommt.
Dann kommt der Zeitpunkt, wo du dein ganzes Zeug wieder anziehen musst, die Waffe packst und zu den transportablen WCs um die Ecke schleichst. Ich nenne sie Porta-Shitters und eine meiner größten Ängste während meines Aufenthalts im Lager ist die Möglichkeit, in einem Porta-Shitter von einer Granate getroffen zu werden.
Hast du das überlebt, machst du es dir gemütlich, rauchst eine Zigarre und bequatschst mit allen anderen, die es überstanden haben, die Ereignisse des Tages.
»Wir haben ein Waffenversteck in diesem alten UN› Nahrung-für-Öl‹ Platz gefunden ...«
»Wir sind in einer Gasse in einen Hinterhalt geraten ...«
»Wir haben Verwundete transportiert, und sie sind einfach aus dem Humvee auf die Straße gefallen, als der von einer Granate oder sonst was getroffen wurde, die wir nicht mal haben kommen sehen.«
Während wir reden, klettert Lava über unsere Stiefel, vernichtet ganze Packungen M&Ms und gräbt unsere Decken nach Beute um.
»Die da draußen haben ja keine Ahnung ...«
Dann setzt sich der Kleine zwischen meine gekreuzten Beine und starrt die anderen Marines aus dieser Höhle an.
»Ich meine, wie stellen es sich diese Lamettaträger in Washington vor, dass die Iraker jemals ihr eigenes Land sichern können, wenn wir die ganze Arbeit für sie machen?«
Ich schnüre meine Stiefel auf und Lava beißt in die Schnürsenkel. Ich ziehe einen Stiefel aus, der Welpe packt den Schnürsenkel und zieht. Ich ziehe dagegen. Der Welpe knurrt. Ich knurre zurück.
»Hey, was ist nun eigentlich mit dem Hund?«, frage ich. »Was habt ihr mit ihm vor?«
Keine Antwort. Dann streckt sich einer, gähnt und sagt, er gehe jetzt schlafen. Andere grunzen unverständlich vor sich hin. Lava krabbelt zwischen meinen Beinen vor, dreht ein paar Runden, lässt sich hinfallen und schläft mit der Nase in meinem ausgezogenen Stiefel ein.
Inzwischen lassen Experten in psychologischer Kriegsführung Lautsprecher mit AC/DC und Jimi Hendrix in voller Lautstärke durch die Straßen plärren, untermalt von Babygeschrei, jammernden Frauenstimmen, Katzengekreisch und Hundegeheul, in der Hoffnung, dass den Aufständischen die Nerven durchgehen. Sie senden Beleidigungen auf Arabisch, einschließlich »Ihr schießt wie Ziegenhirten« und »Mögen sämtliche Ambulanzen in Falludschah genug Benzin haben, um die Leichen der Mudschaheddin aufzusammeln«, was zusammen mit den Mörsern, Granaten, dem unaufhörlichen Gerumpel der Humvees und zwanzig verschiedenen Arten von in Wellen anfliegenden Fluggeräten einschließlich Hubschraubern, Kampfjets und kleinen Aufklärungsdrohnen eine Art weißes Rauschen schafft, das uns einen gesunden Schlaf die ganze Nacht hindurch erlaubt.
Vermutlich wollten sie damals meine Frage wegen Lava nicht beantworten, weil während der Invasion in Falludschah nichts außer dem unmittelbar Anstehenden einen Gedanken wert war. In jedem Kopf war wirklich nur Platz für das, was genau vor oder hinter uns oder um die nächste Ecke lag. Die Zukunft reichte höchstens einen Häuserblock weit. Die Träume drehten sich um Granaten, die ihr Ziel verfehlten. Lebensziele waren erreicht, wenn du es abends wieder bis ins Lager geschafft hattest. Wahrscheinlich war es weniger, dass die Burschen das Thema, was aus Lava werden sollte, vermeiden wollten - sie ignorierten es eher. Es war einfach kein Platz dafür. Aber Himmel, wenn ein kleiner Hund sich deinen Stiefel aussucht, um darin zu schlafen, fängst du an, dich zu fragen, wie er wohl mal sterben wird.
Ich bin seit 1992, nachdem ich von der Navy übergewechselt war, ein Marine, und ich weiß, dass der kleine Kerl sterben wird. Ich wusste es gleich, als ich ihn sah: Der wird es nicht schaffen. Als ob man einen der Kameraden ansieht und denkt: Der wird es nicht schaffen, weil sein Augenlid zuckt oder Der wird es nicht schaffen, weil er den Scheitel rechts oder links trägt - abergläubisches Zeug halt, das zwar keinen Sinn ergibt, aber irgendwie trotzdem deinen Motor am Laufen hält. Bei Lava dachte ich: Der wird es nicht schaffen, weil er so verdammt süß ist.
Ich bin außerdem Oberstleutnant, was bedeutet, dass ich die Militärvorschriften so gut kenne wie jeder andere, und jedes Mal, wenn ich Lava hochnehme, schießen sie mir blitz artig durch den Kopf: Zu den unter General Order 1-A für Angehörige des Militärdienstes verbotenen Tätigkeiten gehört, jedwelche domestizierten oder wilden Tiere als Haustiere oder Maskottchen zu halten, sich um sie zu kümmern oder sie zu füttern.
Kapitel 3 Mai 2005
Denver, Indiana
Ken Licklider warf noch ein paar Kleidungsstücke in den Koffer und sah auf die Uhr. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das war der Trick. Schon immer gewesen.
Der Krieg war in vollem Gang, und das Geschäft lief gut - so gut, dass Ken, der in den letzten zwei Jahren fünf Mal im Irak und in Afghanistan gewesen war, Mühe hatte, genügend gute Leute zu finden, die für ihn arbeiteten. Er hoffte, dass die Annonce auf seiner Website - »Gesucht werden Führer von Bombenspürhunden - Einsatz im Irak und in Afghanistan - überdurchschnittliches Gehalt« - einschlagen würde, aber der Zusatz: »Unbedenklichkeitsbescheinigung muss vorliegen« würde wohl die Zahl der möglichen Bewerber ausdünnen.
Es war nicht einmal diese Bedingung, die Ken so zu schaffen machte. Eine Menge Leute bewarben sich, und eine Menge konnten vermutlich diese Bescheinigung vorlegen, aber man konnte nicht einfach jeden beliebigen Möchtegern-Macho mit hineinnehmen. Selbst wenn man noch so verzweifelt nach Leuten suchte. Das hatte er auf die harte Tour lernen müssen. Seit der Gründung seiner Hundeschule, der Vohne Liche Kennels 1992, hatte er mehr als genug Brutalos gesehen und abgewiesen.
Einen Teil seines Erfolgs verdankte er seinem Talent, gute Hunde zu finden. Er setzte Deutsche und Belgische Schäferhunde ein, belgische Malinois und Labradors aus der ganzen Welt, aber sein Haupterfolg basierte auf seinem Talent, die richtigen Hundeführer zu finden. Die meisten waren früher bei der Militärpolizei gewesen, Sicherheitsexperten oder Polizisten. Alles harte Burschen - einer war zum Beispiel Gefängnisdirektor gewesen, ein anderer war darauf spezialisiert gewesen, undercover kriminelle Motorradgangs aufzuspüren -, aber um für ihn zu arbeiten, mussten sie klar im Kopf sein. Mussten das Training absolvieren. Mussten so viel Disziplin entwickeln, dass sie mit seinen Hunden umgehen konnten. Mit Hunden, die darauf trainiert waren, nicht instinktiv, sondern nur auf gezieltes und wohlüberlegtes Kommando anzugreifen.
Seine Bombenspürhunde im Irak zum Beispiel waren auf »passive Reaktion« trainiert. Das heißt, wenn sie Witterung bekamen und fanden, was sie hatten suchen sollen, spielten sie nicht mit Schaum vor dem Maul verrückt. Sie setzten sich nur davor und starrten es an. Nicht einmal Schwanzwedeln war erlaubt.
Seine Hundeführer mussten auch genügend Selbstkontrolle besitzen, um die Kontrolle an die Hunde abgeben zu können. Das fiel besonders schwer, denn viele waren von Berufs wegen Kontrollfanatiker. Zu lernen, sie auch einmal abzugeben, war völliges Neuland für diese Männer.
Am wichtigsten aber war, dass sie die Hunde so lieben mussten wie Ken selbst. Wie David Mack, sein Koordinator in Bagdad, oder Brad Ridenour, ein früherer Schüler, der im Irak für Triple Canopy Security, einen Sicherheitsdienst, arbeitete. Das waren zwei, die mit Gewalt umzugehen wussten: Studiere sie genau, gehe ihr wenn möglich aus dem Weg, und dann kümmere dich wieder um deinen Hund.
Du konntest dich glücklich schätzen, wenn du das verstanden hattest, wenn du dich erst um deinen Hund und dann um die »bösen Buben« kümmern konntest, wenn du eingesehen hattest, dass der Hund dir schlussendlich auf mehr als eine Art das Leben retten würde.
Ken schätzte sich glücklich. Teufel auch, er war wie verzaubert. Er hatte 1977 bei der Luftwaffe als Hundetrainer und -führer angefangen und sofort gemerkt, dass Hunde gut für die geistige Gesundheit waren. Zuerst hatte er gedacht, dass es der Fokus war, den ein guter Trainer und Führer brauchte, um den Geist am Abwandern zu hindern. Doch im Laufe der Jahre - nach der Arbeit für den Secret Service, nachdem er mit seinen Hunden und ihren Führern für die Sicherheit von Präsidenten, ausländischen Würdenträgern, der Panamerikanischen Spiele und des Papstes verantwortlich gewesen war - hatte Ken gelernt, das dies nicht alles war. Wenn man sein ganzes Berufsleben am Rande der Gewalt verbrachte, halfen die Hunde einem, nicht zu vergessen, dass man immer noch ein Mensch war.
Er sah noch einmal auf die Uhr.
Kapitel 4
November 2004
Falludschah
Anne Garrel erzählt mir, dass sie im Gefechtsstand gar nicht schlecht schläft. Wenigstens hat sie hier ein Dach über dem Kopf und einen Ort, wo sie ihre Satellitenausrüstung aufstellen kann, auch wenn in diesem Krieg die Frage Wie halte ich Lava davon ab, die Drähte durchzubeißen zu denen gehört, auf die sie sich nicht richtig vorbereitet hat.
Ich sage dieser Krieg, weil sie schon diverse Kriege und Massaker hinter sich hat. Tschetschenien, Bosnien, Kosovo, Israel, Saudi-Arabien, Afghanistan, Mittelamerika, Tiananmen-Platz, Pakistan ... wo auch immer, sie war da.
Anne ist eine Schau. Sie kann so gut trinken, rauchen und fluchen wie einer von uns. Sie weiß mehr über Krieg als jeder Einzelne von uns und kümmert sich weniger um Konsequenzen als einer von uns. Wenn aber Lava vor ihr steht, schleicht sich dieser merkwürdige Glanz in ihre Augen. »Er ist zum Niederknien «, sagt sie, während der Welpe sich durch ihre tau- sende Dollar teure Funkausrüstung beißt, »einfach zum Anbeten «, und dabei verwandelt sie sich in eine Art sanftes, ganz und gar weibliches Mädchen von nebenan, von dem du dir plötzlich wünschst, es wäre nicht verheiratet.
Aber Anne ist härter, als sie aussieht. Als sie als offizielle Kriegsberichterstatterin für National Public Radio zusammen mit der Bravo Company, First Batalion, Third Marine Regiment erstmals in die Stadt kam, hatte sie keinen Schlafsack mit, weil sie nicht noch etwas mitschleppen wollte. Ihre Funkausrüstung allein wog schon fünfzig Pfund. Also schlief sie hier und da ein paar Minuten auf dem blanken Boden, immer wieder aufgeschreckt von Bomben, herabfallenden Ziegeln und Heckenschützenfeuer. Was lausige Arten von Zeitvertreib anbetrifft, kommt aus meiner Sicht Im-Kalten-auf-dem-Boden-schlafen, gleich hinter dem Besuch eines Porta-Shitters in voller Uniform und der Sorge, es könnte einen hier treffen. Doch Anne meinte nur achselzuckend: »Jaaa, ich bin ein bisschen müde.«
Aber dann findet sie ein Häufchen von Lava auf ihren Socken, und ihre Augen trüben sich, als ob sie gleich weinen wolle, und sie sagt: »Ist das nicht süß?«, und ist plötzlich wieder das Mädchen von nebenan.
Anne ist nicht wie die anderen Reporter - die meistens männlichen Geschlechts sind und deshalb andere Schwerpunkte setzen. Vor allem wie man seine Männlichkeit bewahrt, während man sich vor Angst in die Hose pinkelt. Ich kann meine Anerkennung nicht versagen: Sie sind nicht in Uniform in den Irak gekommen und trotten doch Tag für Tag hinter uns her, ducken sich unter denselben Granaten, futtern dieselben MREs und kritzeln die ganze Zeit in ihre Notizbücher oder flüstern in ihre Aufnahmegeräte und versuchen auf Teufel komm raus, nonchalant zu wirken.
Anne nicht. Sie gibt ohne Umschweife zu, dass Falludschah ihr eine Höllenangst einjagt. Würde ein Mann so etwas sagen, würden wir vermutlich grinsen, ausspucken, eingehend unsere Tattoos betrachten und dabei irgendeinen Blödsinn von uns geben. Aber wenn Anne das sagt, nimmt es irgendwie die Spannung weg, unter der wir stehen. Wenn all das selbst sie durcheinander bringt, dann sind wir wenigstens auch nicht die Klo-Feiglinge, wie wir heimlich alle befürchtet haben.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Jay Kopelman, Melinda Roth
Jay Kopelman ist Lieutenant Colonel in der US-Armee, stationiert im Camp Pendleton, Kalifornien. Im November 2004 wird er in den Irak geschickt, wo er bis Mai 2005 bleibt. Dort erlebt er die schicksalhafte Begegnung mit Lava. Jay Kopelman wohnt heute mit seiner Frau und deren Sohn in La Jolla, Kalifornien / USA.Melinda Roth ist Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher, die in den USA auf den Bestsellerlisten standen, unter anderem "The Man Who Talks to Dogs".
Bibliographische Angaben
- Autoren: Jay Kopelman , Melinda Roth
- 192 Seiten, Maße: 13 x 19,1 cm, Flex. Einband
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863654617
- ISBN-13: 9783863654610
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