Unter dem Herzen
Ansichten einer neugeborenen Mutter
Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist das ja eigentlich nichts Besonderes außer, es ist das eigene! Ein humorvoller und sehr persönlicher Reisebegleiter in das Land des Mutterseins.
Ein Kind zu bekommen, ist...
Ein Kind zu bekommen, ist...
Leider schon ausverkauft
Buch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Unter dem Herzen “
Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist das ja eigentlich nichts Besonderes außer, es ist das eigene! Ein humorvoller und sehr persönlicher Reisebegleiter in das Land des Mutterseins.
Ein Kind zu bekommen, ist eine ganz besondere Erfahrung. Und darüber hinaus die persönlichste Sache der Welt. Darüber schreibt die Bestsellerautorin in ihrem neuen Buch auf ganz persönliche, unsachliche und ehrliche Weise. Und natürlich mit viel Humor - eben ganz im Kürthy-Stil. Es ist ein Reisebegleiter in ein bisher noch nicht betretenes Land. Ein Buch, das werdenen Müttern und Vätern schonend beibringt, was auf sie zukommt. Und Kinderlosen berichtet, was sie verpassen.
Voller Humor schildert Kürthy die Zeit der Schwangerschaft und das 1. Jahr.
Ein Kind zu bekommen, ist eine ganz besondere Erfahrung. Und darüber hinaus die persönlichste Sache der Welt. Darüber schreibt die Bestsellerautorin in ihrem neuen Buch auf ganz persönliche, unsachliche und ehrliche Weise. Und natürlich mit viel Humor - eben ganz im Kürthy-Stil. Es ist ein Reisebegleiter in ein bisher noch nicht betretenes Land. Ein Buch, das werdenen Müttern und Vätern schonend beibringt, was auf sie zukommt. Und Kinderlosen berichtet, was sie verpassen.
Voller Humor schildert Kürthy die Zeit der Schwangerschaft und das 1. Jahr.
Klappentext zu „Unter dem Herzen “
Datum: 9. SeptemberSchwangerschaftswoche: 6 + 6 Tage
Zustand: Babys Herzchen schlägt, und ich ringe mit mir, meinen Frauenarzt zu bitten, in unser Gästezimmer einzuziehen. Nur zur Sicherheit und bloß für die nächsten acht Monate.
Ich bin drauf und dran, ein anderer Mensch zu werden. Einer, den ich bisher noch nicht kannte: eine Mutter. Nie weiß ich, wann mich der Hunger, die Angst, das Glück oder die Übelkeit überkommt. Denn genauso überwältigend wie die Furcht, das Kind zu verlieren, kann die Furcht sein, das Kind zu bekommen. Neulich kamen mir die Tränen, als ich im Internet auf die Umstandsunterhose «Schluppi» stieß, in Größe und Form einem Zwei-Mann-Zelt nicht unähnlich. Was erwartet mich für ein Glück? Was für eine Liebe? Eine bedingungslose?
Werde ich meinen Sohn auch noch leiden können, wenn er hundertdreißig Kilo wiegt und Fahrlehrer werden will, oder meine Tochter, wenn sie mit achtzehn beschließt, sich ein Arschgeweih tätowieren zu lassen und Weihnachten bei den Eltern ihres Idioten-Freundes zu feiern? Ich horche angestrengt in mich hinein. Spüre ich, dass ich zwei bin? Nein. Was soll mein Kind von mir denken? Kaum gezeugt und schon vernachlässigt. Ob ich eine schlechte Mutter werde? Eine hyperventilierende Megaglucke? Eine militante Rohkostschnipplerin? Eine Rabenmutter, die ihr Baby im Autositz vergisst? Werde ich alles falsch machen? Oder nur fast alles?
«Unter dem Herzen» ist aufrichtig, lustig, bewegend, ein Reisebegleiter in die unglaubliche Realität von Eltern, Babys und Feuchttüchern, in der tatsächlich Sätze fallen wie: «Muttermund tut Wahrheit kund!» Ungelogen.
Lese-Probe zu „Unter dem Herzen “
Unter dem Herzen - Ansichten einer neugeborenen Mutter von Ildikó von Kürthy... mehr
Ich hatte gar nicht mehr mit dir gerechnet.
Dabei warst du längst unterwegs.
Nichts wird sein, wie es mal war. Mein Leben, so wie ich es kenne, ist Vergangenheit. Feuchttücher und Dinkelprodukte werden in Zukunft darin eine wichtige Rolle spielen. Ich werde neues Glück und ungeahnte Angst kennenlernen, und ich werde erstaunt sein, mit wie wenig Schlaf man dann doch irgendwie auskommt.
Ich werde mich von nun an regelmäßig fragen und fragen lassen müssen, ob ich nicht wahlweise mein Kind, meinen Mann, meinen Beruf oder mich selbst vernachlässige. Und darauf werde ich nie, nie, nie eine befriedigende, eine richtige, eine klare Antwort finden.
So sieht meine Zukunft aus, wenn ich den Leuten Glauben schenke, die es wissen müssen. Den Müttern und Vätern, deren Erfahrungen ich bis heute zwar interessiert zugehört habe, aber doch immer mit dem Gefühl, sie nicht wirklich zu verstehen.
Diese albernen Geräusche zum Beispiel, die Mütter von sich geben, wenn sie mit ihrem Baby kommunizieren. Wie soll das Kind denn da ordentlich sprechen lernen?
Diese grauenerregenden Ultraschallbilder, die Schwangere ungebeten rumzeigen und dabei behaupten, man könne an diesem unförmigen Klümpchen bereits Ähnlichkeiten feststellen, wenn man nur genau genug hinschauen würde.
All die Geschichten von tagelangen Geburtswehen, durchwachten Nächten, von ersten Ballettaufführungen, ersten Zähnen und ersten Schultagen klangen mir wie aus einer fremden Welt.
Und diese fremde Welt wird nun meine sein.
Ich denke, dies ist ein guter Moment, um zu schreiben.
Ein Tagebuch über die normalste Sache der Welt. Allein in dieser Sekunde werden vier Kinder geboren. Leute, es ist absolut nichts Besonderes, wenn ein Kind zur Welt kommt.
Außer, es ist das eigene.
«Kinder sind Geiseln in den Händen der Welt.
Die Schmerzen der Kinder sind die schlimmsten, die Eltern
erleiden. Kinder sind in jederHinsicht eine Verstärkung der
Realität. Alles, was wirklich ist, ist durch Kinder noch wirklicher,
ob das Schmerz ist oder Freude.»
Martin Walser
19. August
Schwangerschaftswoche: 4+ 2 Tage
Gewicht: Morgens unbekleidet und ohne Kontaktlinsen 64 Kilogramm. Bei 173 Zentimeter Größe und einem Körper, der noch nie zur Gattung der fettfreien Elfen gehörte, ein vortreffliches Ergebnis - das ich mir jedoch hart erarbeitet habe durch grausamen Verzicht, der meinem maßlosen Gemüt eigentlich nicht entspricht. 64 Kilogramm - diese beeindruckende Zahl dürfte schon bald der Vergangenheit angehören.
Zustand: Bin in Aufbruchsstimmung, gleichzeitig ungläubig und viel zu ängstlich, um richtig glücklich zu sein.
Ich hatte gar nicht mehr mit dir gerechnet. Dabei warst du längst unterwegs.
Nun gut, es gab ein paar Hinweise auf deine Existenz, denen ich jedoch nicht weiter nachgegangen bin. Die Tatsache, dass ich das Nutellaglas beim letzten Wochenendeinkauf in der Special Edition «Family & Co -jetzt mit 300 Gramm mehr!» gekauft habe, hatte mich nicht sonderlich stutzig gemacht. Ich bin seit jeher, auch ohne Familie, eine Anhängerin von großen Portionen und Übergrößen im nahrungstechnischen Bereich gewesen. Dass der Schokoladenaufstrich jedoch bereits drei Stunden später komplett verspeist gewesen war, und zwar direkt vom Glas in den Magen, ohne den Umweg über eine Scheibe Brot zu machen, hätte selbst mich, als bekennenden Vielfraß, misstrauisch machen können.
Ich wusste jedoch erst mit Sicherheit, dass etwas mit mir nicht stimmte, als ich gestern Abend nach dem zweiten Glas Wein keine Lust mehr auf Alkohol hatte. Das hatte es noch nie gegeben.
«Ich glaube, ich werde krank», sagte ich besorgt zu dem Mann neben mir auf dem Sofa, der keine Ahnung hatte, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits Vater eines sich eifrig teilenden Zellhaufens war.
«Wahrscheinlich irgend so ein blöder Magen-Darm-Virus», fügte ich noch übellaunig hinzu. Krank zu werden passte mir gerade gar nicht, denn ich hatte am nächsten Morgen einen Termin bei meinem bildschönen, wohlgestalteten Personal Trainer Marco, mit dessen Hilfe ich seit drei Monaten gegen die meinen 38 Jahre alten Körper zunehmend belästigende Schwerkraft antrainiere.
Ich habe nämlich seit vielen Jahren leidvolle Erfahrungen mit dem Thema «Schwangerschaft».
Ich wäre gern schwanger - sehe aber leider bloß so aus. Keine ganz glückliche Konstellation.
Aufgrund einer etwas ungünstigen Veranlagung, die meine Körpermitte betrifft, fragen mich seit meinem 30. Lebensjahr gerne mal weibliche Teile meines Bekanntenkreises mit mildem Lächeln und tiefer gelegter Stimme: «Hast du ein süßes Geheimnis?»
Ich reagiere darauf gallig - besteht mein süßes Geheimnis doch in der Regel aus einer Pizza mit doppelt Käse am Vorabend in Kombination mit der bereits erwähnten genetischen Prädisposition.
Am ersten Tag dieses Jahres machte ich eine Liste mit folgenden Beschlüssen:
1.) Finde dich damit ab, dass du in deinem biblischen Alter nach etlichen Jahren redlichen Bemühens höchstwahrscheinlich keine Kinder mehr bekommen wirst. Nicht trauern. Leben.
2.) Finde dich nicht damit ab, dass Verkäuferinnen dir ungebeten weitfallende Tuniken in die Umkleidekabine reichen und sagen: «Da kann das Bäuchlein noch reinwachsen.»
3.) Schluss mit dem Bauch! Schluss mit dem Kinderwunsch!
3. a) ... und wo ich schon mal dabei bin: weniger Weißmehl, weniger Zucker. Morgens Ingwerwasser auf nüchternen Magen. Nicht von Ehemann zu unproduktiven Streitigkeiten provozieren lassen. Nie wieder Nutella kaufen mit der Ausrede: «Ist ja nur für sonntags aufs Brot.» Sex nur noch bei akuter Lust, nicht mehr wegen akuten Eisprungs. Jeden Abend Zahnzwischenraumbürstchen benutzen (auch wenn ich betrunken bin).
4.) Neuer Mann? Neuer Chef? Neue Wohnung? Es MUSS sich was ändern! Motto: MEHR MUT!!! (Und weniger Kohlehydrate.)
Und, was soll ich sagen?
Ich habe keine vier Monate gebraucht, um mein Leben auf den Kopf zu stellen. Den Mann habe ich zwar behalten - jedoch plane ich an ihm einige aufwendige Renovierungsmaßnahmen charakterlicher Natur. Aber ich habe keinen Chef mehr, eine Zweitwohnung in Berlin und einen Bauch, den man im weitesten Sinne als flach bezeichnen könnte.
Ich habe gekündigt, denn ich spekuliere nicht mehr auf Mutterschutz und Elterngeld, und ich habe keine Angst mehr, meine Kinder in eine ungewisse Zukunft zu gebären. Welche Kinder? Angst war gestern!
Jetzt arbeite ich freiberuflich und wohne ab und zu für ein paar Tage in Berlin, wo ich sehr schön so tun kann, als sei ich absolut unkonventionell und als hätte das Leben noch gar nicht richtig angefangen.
Ich habe zwei Monate im Prenzlauer Berg gelebt und mich so lebendig und so einsam, so mutig und so verzweifelt gefühlt wie lange nicht mehr.
Ich habe nichts vermieden. Ich habe viel gefeiert, viel gearbeitet, nie ferngesehen und für mich untypisch laut Musik aufgedreht - ich will ja immer niemanden stören.
Mit einer sich leerenden Flasche Rotwein im Arm «Cripple and the Starfish» von Antony and the Johnsons gehört. Dabei ist mir beinahe das Herz zerbrochen wie vor zwanzig Jahren bei «If I Laugh» von Cat Stevens.
Habe sogar Musik ausgehalten, die ich sonst kaum ertragen kann, weil ich davon nervös werde und sie mich daran erinnert, dass ich es mir allzu gerne viel zu gemütlich mache, ich das Risiko nicht liebe und am liebsten an Orte in den Urlaub fahre, die ich bereits kenne.
Berlin war mein Drahtseilakt, meine Sprungschanze. Dabei, das muss ich natürlich zugeben, war während meiner todesmutigen Hauptstadt-Abenteuer ein absolut sicheres Netz unter mir gespannt. Denn wann immer ich meine selbstgewählte Pseudoeinsamkeit nicht mehr aushalten konnte und mir der Himmel über Berlin auf den Kopf zu fallen drohte, rief ich zu Hause an, um mir Mut zusprechen zu lassen.
Ich habe wirklich einen eigenartigen Mann. Er vertraut mir und möchte, dass ich glücklich bin.
Ist das zu fassen? Wirklich, damit muss man als Frau erst mal zurechtkommen.
Ich habe Freundinnen, die verabreden sich abends nicht mal fürs Kino mit einem Mann, der nicht ihr eigener ist. Zwei Monate Auszeit in Berlin? Allein wohnen? Jeden Abend ausgehen?
Das war für viele so undenkbar, dass in Hamburg sehr schnell das Gerücht die Runde machte, wir hätten uns getrennt.
Schmeichelhafterweise erzählte man sich, ich sei mit einem Berliner Anwalt aus dem Hochadel zusammen und in dessen Penthouse eingezogen. Leider kenne ich niemanden aus dem Hochadel und habe Höhenangst. Kein Penthouse, kein Anwalt, aber eine großartige und inspirierende Zeit, mit gelegentlichen Besuchen vom eigenen Mann.
So viel Freiheit, da war man sich in den lästernden und stänkernden Kreisen sicher, halte keine
Ehe aus. Ich war verblüfft und erfreut, was man mir alles zutraute. Ich bin nämlich leider überhaupt nicht freiheitsliebend. Ich sage auch niemals so schicke Sachen wie: «Ich brauche jetzt mal Raum für mich» oder «Ich bin einfach jemand, den man nicht an die Leine legen darf».
Trifft alles nicht auf mich zu. Freiheit macht mir Angst. Ich bin sehr gern zu zweit, und ich liebe kurze Wege, sodass ich es gar nicht merken würde, wenn ich an einer kurzen Leine läge.
Tatsache ist, dass ich meinem Mann den Pullover vollgeheult habe an dem Tag, als ich mit meinem vollgepackten Mini nach Berlin fahren wollte. (Nachdem ich meine Abreise aus fadenscheinigen Gründen schon mehrmals verschoben hatte.)
Und wie bei vielen mehr oder weniger großen Wagnissen in meinem Leben war nicht ich es, die beherzt ins kalte Wasser gesprungen ist. Es war mein Mann, der mich beherzt ins kalte Wasser geschubst hat.
Ein Wort von ihm, und ich hätte den Mini auf der Stelle wieder ausgepackt. Der kluge Mann aber schwieg, und ich fuhr bangend in die Mitte Berlins. Dorthin, wo nie Ruhe herrscht. Dorthin, wo das Licht nicht ausgeht. Dorthin, wo es keine Langeweile gibt oder keine geben darf, keine Routine, nichts, woran man sich gewöhnen könnte oder sollte oder wollte.
Irgendeine Straße ist immer gesperrt, weil ein Staatsgast zu Besuch kommt, von irgendwo ist immer ein bunter Scheinwerfer aufs Brandenburger Tor gerichtet. Meistens überholt dich ein Polizeiwagen im Einsatz oder eine Stretchlimousine mit verdunkelten Scheiben, in der wahrscheinlich doch wieder nur eine Exfrau von Lothar Matthäus sitzt.
«Berlin ist eine Behauptung», habe ich mal gelesen. Für mich ist Berlin die Behauptung, dass mein Leben auch anders sein könnte. Abenteuerlicher und anstrengender. Intensiver und greller und voller Erlebnisse, an die ich mich auf jeden Fall erinnern würde.
Ob ich das will? Manchmal schon. Aber nur mit Rückfahrkarte nach Hause.
Das ist feige? Ja. So bin ich.
Ist ja trotzdem was aus mir geworden.
Berlin hat mich immer mindestens so nervös gemacht wie emanzipierte Frauen, Globetrotter, Selbstverwirklichungsliteratur und Musik, die langsam anfängt und dann immer schneller und schneller wird. So wie der «Csárdás» von Kitty Hoff.
Hatte ich ewig nicht gehört. Aber in den Berliner Nächten konnte ich den Csárdás gut ertragen.
«Komm schon, komm schon, lass uns starten, bevor das Leben verglüht.
Warum weinen oder warten, dass ein Wunder geschieht? Heute Nacht muss alles weg:
Tränen, Trauer, Hoffnung, Dreck.
Komm schon, komm schon, lass uns starten, bevor das Leben verglüht!»
Am Tag, als ich aus Berlin zurückkehrte, reichte ich meine Kündigung ein. Ich hatte Angst, dass mich die vertraute Verzagtheit allzu schnell wieder übermannen würde.
Aber bis heute, immerhin bereits drei Monate später, halte ich mein Gewicht und mein Versprechen, den Routinen in meinem Leben nicht das Regiment zu überlassen.
Vergangene Woche habe ich mir eine Jeans gekauft, die ich letztes Jahr allenfalls als Augenbinde hätte benutzen können. Ist das zu fassen? Ich bin eine selbständige Unternehmerin, die sehr viel in wenig Öl gedünstetes Gemüse isst und regelmäßig Sport treibt.
Ich erkenne mich selbst kaum wieder!
Wobei ich sagen muss, dass ich mich eigentlich immer für einen sportlichen Menschen gehalten habe. Dreimal die Woche eine Stunde Ausdauertraining war auch bisher kein Problem für eine
Athletin wie mich. Dass ich bei meinen Runden um die Hamburger Alster häufig von fettleibigen Dackeln und walkenden Seniorinnengruppen überholt wurde, hatte mich kaum gestört. Fettverbrennung funktioniert am wirksamsten im aeroben Bereich, ohne Anstrengung, ohne Schweiß, hatte ich mich getröstet. Dieses Konzept des Niedrigleistungs-Sports kam meinem trägen Gemüt und meinem auf Widerstandsvermeidung ausgelegten Charakter sehr entgegen.
Manches Mal hatte ich mich allerdings schon gewundert, warum sich mein Körper - abgesehen von einem soliden Ruhepuls und einer passablen Grundausdauer - von meinem Sportprogramm so unbeeindruckt zeigte.
Wo waren die Michelle-Obama-Oberarme, wo die brettharte Bauchmuskulatur, wo die gestählten Oberschenkel? Und warum klang ich, wenn ich meinen Wochenendeinkauf in den zweiten Stock tragen musste, wie eine Spätgebärende in den Presswehen?
Mein persönlicher Trainer Marco sagte mir dazu Sachen, die ich nicht unbedingt hören wollte: «Training bedeutet Anpassung, und das funktioniert nur, wenn man an seine Grenzen und darüber hinausgeht. Sonst ändert sich nichts. Aber die meisten wollen die Wahrheit gar nicht wissen und bleiben lieber gemütlich auf dem Crosstrainer und lesen dabei die Tageszeitung. Was soll da passieren? Das ist Zeitverschwendung. Wenn du dich verändern willst, musst du dich anstrengen. Sonst kannst du es gleichbleiben-lassen.»
Übellaunig habe ich an die verplemperten Jahre gedacht, die ich gemütlich auf Stairmastern und Crosstrainern zugebracht hatte, und mir erst mal eine neue Sporthose in der angesagten Trendfarbe Violett gekauft.
Geht nicht an, dass ich neben meinem Trainer nicht nur körperlich, sondern auch modisch einen kläglichen Eindruck mache. Früher war es ja so, dass man sich zum Sport abschminkte, die Haare mit einem Einmachgummi oder was sonst gerade rumlag, zurückband und ein knielanges Schlaf-T-Shirt über Leggins stülpte, die man ansonsten weggeworfen hätte.
Diese Zeiten sind bedauerlicherweise lange vorbei. Eigentlich muss man immer und überall gut angezogen sein, sonst gerät man sofort in den Verdacht, man würde sich gehenlassen - und das ist ja absolut verboten.
Beim Stepp-Aerobic-Kurs trägst du modische Funktionskleidung im sorbetfarbenen Lagen-Look, kombiniert mit einem dezenten, wasser- und schweißfesten Make-up und einem Schirmmützchen mit angesagtem Schriftzug in ausländischer Sprache.
Heute Morgen war ich also chic in atmungsaktivem Lila - denn ich möchte nicht, dass Marco sich mehr als unbedingt nötig für mich schämen muss - zum Training in die Turnhalle geeilt und hatte versucht, beim Kickboxen Aggressionen ab- und beim Salsa-Workout ein positives Körperbewusstsein aufzubauen.
Dabei hatte mich jedoch dieses typische Ziehen im Unterleib gestört, was einen kurzen Einkauf in der Abteilung «monatliche Damenhygieneartikel» des Drogeriemarkts nach sich zog.
Warum ich dort auch einen Schwangerschaftstest kaufte?
Ich würde allzu gerne von einer Art schicksalhafter Eingebung sprechen. Aber mir war bloß eingefallen, dass ich zwei Tage überfällig war, was für einen pünktlichen deutschen Eierstock wie den meinen eine halbe Ewigkeit ist.
Man kann es im Nachhinein mühsam romantisieren, transzendental überhöhen, aber es bleibt eine Tatsache, dass den meisten Frauen aus sogenannten zivilisierten Ländern ihre Schwangerschaft auf dem Klo bewusst wird.
Schwestern, lasst es uns sagen, wie es ist: Du pinkelst in entwürdigender Haltung auf ein Teststäbchen, und meist geht auch was daneben. Dann wartest du drei Minuten, und egal, wie gründlich du dir die Gebrauchsanweisung durchgelesen hast, das Ergebnis wirst du zunächst nicht verstehen und ergo die Anleitung zum wiederholten Male durcharbeiten müssen.
Ich weiß das so genau, weil ich heute Vormittag fünf verschiedene Schwangerschaftstests gemacht habe.
Der erste hatte zwei schwache rosafarbene Linien gezeigt. Wie war das noch mal? Eine Linie nicht schwanger? Zwei Linien schwanger? Oder genau andersrum?
Ich fischte die Gebrauchsanweisung aus dem Mülleimer und schaute in dem entsprechenden Kapitel noch mal nach.
Zwei Linien. Schwanger.
Ich hatte den Test bestanden. Jedoch, ich hielt das für unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher war, dass ich etwas falsch gemacht hatte oder es sich um ein fehlerhaftes Fabrikat handelte. Womöglich war sogar die ganze Baureihe kontaminiert?
Ich beschloss, in der Apotheke meines Vertrauens vier weitere Tests jeweils unterschiedlicher Hersteller zu kaufen, bloß um ganz sicherzugehen. «Ist für eine zwangneurotische Freundin», murmelte ich an der Kasse, nicht, ohne rot zu werden.
Wenig später war ich mit fünf positiven Ergebnissen verschiedenster Form konfrontiert, darunter besagte rosa Linien, ein Smiley und eine Zahlenfolge, die nur Eingeweihten etwas sagen dürfte: «2-3». Der Mercedes unter den Testmodellen hatte mir bereits ausgerechnet, wie lange die Empfängnis in etwa zurücklag, nämlich zwei bis drei Wochen.
Das konnte ich mir jedoch leicht selber und auch sehr viel genauer ausrechnen. Denn der Ehrlichkeit halber möchte ich hier festhalten, dass ich weder den Erzeuger des Kindes noch den Zeugungstermin mühsam recherchieren musste. Ein in Frage kommender Vater. Ein in Frage kommendes Datum, sogar mit genauer Uhrzeit.
Herrje, muss ich mich da wirklich rechtfertigen? Ich bin seit zehn Jahren verheiratet und habe es in diesem Jahr wieder nicht geschafft, meinen Mann zu betrügen. Bin irgendwie nicht dazu gekommen. Ich hatte genug andere Baustellen.
In einem Magazin habe ich gelesen, dass das vergangene Jahr das Jahr der prominenten Seitensprünge war. Erneut ein Trend, den ich verpasst habe - ähnlich wie Crocs, Clogs und Jodhpurhosen.
Auch in meinem Freundeskreis war die Hölle los: Affären flogen auf. Heimliche Liebschaften wurden begonnen. Dunkle, erregende Geheimnisse wurden nach drei Flaschen Wein im Freundinnenkreis ausgetauscht. «Treueschwüre und Gewissensbisse sind was für junge Leute», lautet die Ansicht meiner Freundin Uta. «Ich finde, wer sich in unserem Alter noch über Untreue aufregt, macht sich lächerlich.»
Uta, die beinahe fünfzig und schon sehr lange verheiratet ist, hat jetzt einen Liebhaber und zwei Konfektionsgrößen weniger und fragte mich erst neulich mit glänzenden Äuglein, ob ich beim Sex schon mal auf Latexlaken eingeölt worden sei. Darauf habe ich still geschwiegen, mich aber klammheimlich gefragt, ob man Latex eigentlich in der Maschine waschen kann.
Selbst beim Kurzurlaub im Robinson-Club Çamyuva mit drei bedürftigen Freundinnen war ich wohl der einzige Gast seit Bestehen der Clubanlage, der unberührt wieder nach Hause reiste.
In Çamyuva gibt es angeblich eine Fachkraft, die nur dazu da ist, morgens früh die Kondome vom Strand einzusammeln. Eine Schwäbin, die ich am ersten Abend kennenlernte, kurz bevor sie mit einem Typen Richtung Strand verschwand, hatte mir gesagt: «Wenn du hier keinen abschleppst, dann schaffst du's nirgendwo. Hier geht alles. Ich hab's auf sechs Kerle in fünf Tagen gebracht.
...
Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek
Ich hatte gar nicht mehr mit dir gerechnet.
Dabei warst du längst unterwegs.
Nichts wird sein, wie es mal war. Mein Leben, so wie ich es kenne, ist Vergangenheit. Feuchttücher und Dinkelprodukte werden in Zukunft darin eine wichtige Rolle spielen. Ich werde neues Glück und ungeahnte Angst kennenlernen, und ich werde erstaunt sein, mit wie wenig Schlaf man dann doch irgendwie auskommt.
Ich werde mich von nun an regelmäßig fragen und fragen lassen müssen, ob ich nicht wahlweise mein Kind, meinen Mann, meinen Beruf oder mich selbst vernachlässige. Und darauf werde ich nie, nie, nie eine befriedigende, eine richtige, eine klare Antwort finden.
So sieht meine Zukunft aus, wenn ich den Leuten Glauben schenke, die es wissen müssen. Den Müttern und Vätern, deren Erfahrungen ich bis heute zwar interessiert zugehört habe, aber doch immer mit dem Gefühl, sie nicht wirklich zu verstehen.
Diese albernen Geräusche zum Beispiel, die Mütter von sich geben, wenn sie mit ihrem Baby kommunizieren. Wie soll das Kind denn da ordentlich sprechen lernen?
Diese grauenerregenden Ultraschallbilder, die Schwangere ungebeten rumzeigen und dabei behaupten, man könne an diesem unförmigen Klümpchen bereits Ähnlichkeiten feststellen, wenn man nur genau genug hinschauen würde.
All die Geschichten von tagelangen Geburtswehen, durchwachten Nächten, von ersten Ballettaufführungen, ersten Zähnen und ersten Schultagen klangen mir wie aus einer fremden Welt.
Und diese fremde Welt wird nun meine sein.
Ich denke, dies ist ein guter Moment, um zu schreiben.
Ein Tagebuch über die normalste Sache der Welt. Allein in dieser Sekunde werden vier Kinder geboren. Leute, es ist absolut nichts Besonderes, wenn ein Kind zur Welt kommt.
Außer, es ist das eigene.
«Kinder sind Geiseln in den Händen der Welt.
Die Schmerzen der Kinder sind die schlimmsten, die Eltern
erleiden. Kinder sind in jederHinsicht eine Verstärkung der
Realität. Alles, was wirklich ist, ist durch Kinder noch wirklicher,
ob das Schmerz ist oder Freude.»
Martin Walser
19. August
Schwangerschaftswoche: 4+ 2 Tage
Gewicht: Morgens unbekleidet und ohne Kontaktlinsen 64 Kilogramm. Bei 173 Zentimeter Größe und einem Körper, der noch nie zur Gattung der fettfreien Elfen gehörte, ein vortreffliches Ergebnis - das ich mir jedoch hart erarbeitet habe durch grausamen Verzicht, der meinem maßlosen Gemüt eigentlich nicht entspricht. 64 Kilogramm - diese beeindruckende Zahl dürfte schon bald der Vergangenheit angehören.
Zustand: Bin in Aufbruchsstimmung, gleichzeitig ungläubig und viel zu ängstlich, um richtig glücklich zu sein.
Ich hatte gar nicht mehr mit dir gerechnet. Dabei warst du längst unterwegs.
Nun gut, es gab ein paar Hinweise auf deine Existenz, denen ich jedoch nicht weiter nachgegangen bin. Die Tatsache, dass ich das Nutellaglas beim letzten Wochenendeinkauf in der Special Edition «Family & Co -jetzt mit 300 Gramm mehr!» gekauft habe, hatte mich nicht sonderlich stutzig gemacht. Ich bin seit jeher, auch ohne Familie, eine Anhängerin von großen Portionen und Übergrößen im nahrungstechnischen Bereich gewesen. Dass der Schokoladenaufstrich jedoch bereits drei Stunden später komplett verspeist gewesen war, und zwar direkt vom Glas in den Magen, ohne den Umweg über eine Scheibe Brot zu machen, hätte selbst mich, als bekennenden Vielfraß, misstrauisch machen können.
Ich wusste jedoch erst mit Sicherheit, dass etwas mit mir nicht stimmte, als ich gestern Abend nach dem zweiten Glas Wein keine Lust mehr auf Alkohol hatte. Das hatte es noch nie gegeben.
«Ich glaube, ich werde krank», sagte ich besorgt zu dem Mann neben mir auf dem Sofa, der keine Ahnung hatte, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits Vater eines sich eifrig teilenden Zellhaufens war.
«Wahrscheinlich irgend so ein blöder Magen-Darm-Virus», fügte ich noch übellaunig hinzu. Krank zu werden passte mir gerade gar nicht, denn ich hatte am nächsten Morgen einen Termin bei meinem bildschönen, wohlgestalteten Personal Trainer Marco, mit dessen Hilfe ich seit drei Monaten gegen die meinen 38 Jahre alten Körper zunehmend belästigende Schwerkraft antrainiere.
Ich habe nämlich seit vielen Jahren leidvolle Erfahrungen mit dem Thema «Schwangerschaft».
Ich wäre gern schwanger - sehe aber leider bloß so aus. Keine ganz glückliche Konstellation.
Aufgrund einer etwas ungünstigen Veranlagung, die meine Körpermitte betrifft, fragen mich seit meinem 30. Lebensjahr gerne mal weibliche Teile meines Bekanntenkreises mit mildem Lächeln und tiefer gelegter Stimme: «Hast du ein süßes Geheimnis?»
Ich reagiere darauf gallig - besteht mein süßes Geheimnis doch in der Regel aus einer Pizza mit doppelt Käse am Vorabend in Kombination mit der bereits erwähnten genetischen Prädisposition.
Am ersten Tag dieses Jahres machte ich eine Liste mit folgenden Beschlüssen:
1.) Finde dich damit ab, dass du in deinem biblischen Alter nach etlichen Jahren redlichen Bemühens höchstwahrscheinlich keine Kinder mehr bekommen wirst. Nicht trauern. Leben.
2.) Finde dich nicht damit ab, dass Verkäuferinnen dir ungebeten weitfallende Tuniken in die Umkleidekabine reichen und sagen: «Da kann das Bäuchlein noch reinwachsen.»
3.) Schluss mit dem Bauch! Schluss mit dem Kinderwunsch!
3. a) ... und wo ich schon mal dabei bin: weniger Weißmehl, weniger Zucker. Morgens Ingwerwasser auf nüchternen Magen. Nicht von Ehemann zu unproduktiven Streitigkeiten provozieren lassen. Nie wieder Nutella kaufen mit der Ausrede: «Ist ja nur für sonntags aufs Brot.» Sex nur noch bei akuter Lust, nicht mehr wegen akuten Eisprungs. Jeden Abend Zahnzwischenraumbürstchen benutzen (auch wenn ich betrunken bin).
4.) Neuer Mann? Neuer Chef? Neue Wohnung? Es MUSS sich was ändern! Motto: MEHR MUT!!! (Und weniger Kohlehydrate.)
Und, was soll ich sagen?
Ich habe keine vier Monate gebraucht, um mein Leben auf den Kopf zu stellen. Den Mann habe ich zwar behalten - jedoch plane ich an ihm einige aufwendige Renovierungsmaßnahmen charakterlicher Natur. Aber ich habe keinen Chef mehr, eine Zweitwohnung in Berlin und einen Bauch, den man im weitesten Sinne als flach bezeichnen könnte.
Ich habe gekündigt, denn ich spekuliere nicht mehr auf Mutterschutz und Elterngeld, und ich habe keine Angst mehr, meine Kinder in eine ungewisse Zukunft zu gebären. Welche Kinder? Angst war gestern!
Jetzt arbeite ich freiberuflich und wohne ab und zu für ein paar Tage in Berlin, wo ich sehr schön so tun kann, als sei ich absolut unkonventionell und als hätte das Leben noch gar nicht richtig angefangen.
Ich habe zwei Monate im Prenzlauer Berg gelebt und mich so lebendig und so einsam, so mutig und so verzweifelt gefühlt wie lange nicht mehr.
Ich habe nichts vermieden. Ich habe viel gefeiert, viel gearbeitet, nie ferngesehen und für mich untypisch laut Musik aufgedreht - ich will ja immer niemanden stören.
Mit einer sich leerenden Flasche Rotwein im Arm «Cripple and the Starfish» von Antony and the Johnsons gehört. Dabei ist mir beinahe das Herz zerbrochen wie vor zwanzig Jahren bei «If I Laugh» von Cat Stevens.
Habe sogar Musik ausgehalten, die ich sonst kaum ertragen kann, weil ich davon nervös werde und sie mich daran erinnert, dass ich es mir allzu gerne viel zu gemütlich mache, ich das Risiko nicht liebe und am liebsten an Orte in den Urlaub fahre, die ich bereits kenne.
Berlin war mein Drahtseilakt, meine Sprungschanze. Dabei, das muss ich natürlich zugeben, war während meiner todesmutigen Hauptstadt-Abenteuer ein absolut sicheres Netz unter mir gespannt. Denn wann immer ich meine selbstgewählte Pseudoeinsamkeit nicht mehr aushalten konnte und mir der Himmel über Berlin auf den Kopf zu fallen drohte, rief ich zu Hause an, um mir Mut zusprechen zu lassen.
Ich habe wirklich einen eigenartigen Mann. Er vertraut mir und möchte, dass ich glücklich bin.
Ist das zu fassen? Wirklich, damit muss man als Frau erst mal zurechtkommen.
Ich habe Freundinnen, die verabreden sich abends nicht mal fürs Kino mit einem Mann, der nicht ihr eigener ist. Zwei Monate Auszeit in Berlin? Allein wohnen? Jeden Abend ausgehen?
Das war für viele so undenkbar, dass in Hamburg sehr schnell das Gerücht die Runde machte, wir hätten uns getrennt.
Schmeichelhafterweise erzählte man sich, ich sei mit einem Berliner Anwalt aus dem Hochadel zusammen und in dessen Penthouse eingezogen. Leider kenne ich niemanden aus dem Hochadel und habe Höhenangst. Kein Penthouse, kein Anwalt, aber eine großartige und inspirierende Zeit, mit gelegentlichen Besuchen vom eigenen Mann.
So viel Freiheit, da war man sich in den lästernden und stänkernden Kreisen sicher, halte keine
Ehe aus. Ich war verblüfft und erfreut, was man mir alles zutraute. Ich bin nämlich leider überhaupt nicht freiheitsliebend. Ich sage auch niemals so schicke Sachen wie: «Ich brauche jetzt mal Raum für mich» oder «Ich bin einfach jemand, den man nicht an die Leine legen darf».
Trifft alles nicht auf mich zu. Freiheit macht mir Angst. Ich bin sehr gern zu zweit, und ich liebe kurze Wege, sodass ich es gar nicht merken würde, wenn ich an einer kurzen Leine läge.
Tatsache ist, dass ich meinem Mann den Pullover vollgeheult habe an dem Tag, als ich mit meinem vollgepackten Mini nach Berlin fahren wollte. (Nachdem ich meine Abreise aus fadenscheinigen Gründen schon mehrmals verschoben hatte.)
Und wie bei vielen mehr oder weniger großen Wagnissen in meinem Leben war nicht ich es, die beherzt ins kalte Wasser gesprungen ist. Es war mein Mann, der mich beherzt ins kalte Wasser geschubst hat.
Ein Wort von ihm, und ich hätte den Mini auf der Stelle wieder ausgepackt. Der kluge Mann aber schwieg, und ich fuhr bangend in die Mitte Berlins. Dorthin, wo nie Ruhe herrscht. Dorthin, wo das Licht nicht ausgeht. Dorthin, wo es keine Langeweile gibt oder keine geben darf, keine Routine, nichts, woran man sich gewöhnen könnte oder sollte oder wollte.
Irgendeine Straße ist immer gesperrt, weil ein Staatsgast zu Besuch kommt, von irgendwo ist immer ein bunter Scheinwerfer aufs Brandenburger Tor gerichtet. Meistens überholt dich ein Polizeiwagen im Einsatz oder eine Stretchlimousine mit verdunkelten Scheiben, in der wahrscheinlich doch wieder nur eine Exfrau von Lothar Matthäus sitzt.
«Berlin ist eine Behauptung», habe ich mal gelesen. Für mich ist Berlin die Behauptung, dass mein Leben auch anders sein könnte. Abenteuerlicher und anstrengender. Intensiver und greller und voller Erlebnisse, an die ich mich auf jeden Fall erinnern würde.
Ob ich das will? Manchmal schon. Aber nur mit Rückfahrkarte nach Hause.
Das ist feige? Ja. So bin ich.
Ist ja trotzdem was aus mir geworden.
Berlin hat mich immer mindestens so nervös gemacht wie emanzipierte Frauen, Globetrotter, Selbstverwirklichungsliteratur und Musik, die langsam anfängt und dann immer schneller und schneller wird. So wie der «Csárdás» von Kitty Hoff.
Hatte ich ewig nicht gehört. Aber in den Berliner Nächten konnte ich den Csárdás gut ertragen.
«Komm schon, komm schon, lass uns starten, bevor das Leben verglüht.
Warum weinen oder warten, dass ein Wunder geschieht? Heute Nacht muss alles weg:
Tränen, Trauer, Hoffnung, Dreck.
Komm schon, komm schon, lass uns starten, bevor das Leben verglüht!»
Am Tag, als ich aus Berlin zurückkehrte, reichte ich meine Kündigung ein. Ich hatte Angst, dass mich die vertraute Verzagtheit allzu schnell wieder übermannen würde.
Aber bis heute, immerhin bereits drei Monate später, halte ich mein Gewicht und mein Versprechen, den Routinen in meinem Leben nicht das Regiment zu überlassen.
Vergangene Woche habe ich mir eine Jeans gekauft, die ich letztes Jahr allenfalls als Augenbinde hätte benutzen können. Ist das zu fassen? Ich bin eine selbständige Unternehmerin, die sehr viel in wenig Öl gedünstetes Gemüse isst und regelmäßig Sport treibt.
Ich erkenne mich selbst kaum wieder!
Wobei ich sagen muss, dass ich mich eigentlich immer für einen sportlichen Menschen gehalten habe. Dreimal die Woche eine Stunde Ausdauertraining war auch bisher kein Problem für eine
Athletin wie mich. Dass ich bei meinen Runden um die Hamburger Alster häufig von fettleibigen Dackeln und walkenden Seniorinnengruppen überholt wurde, hatte mich kaum gestört. Fettverbrennung funktioniert am wirksamsten im aeroben Bereich, ohne Anstrengung, ohne Schweiß, hatte ich mich getröstet. Dieses Konzept des Niedrigleistungs-Sports kam meinem trägen Gemüt und meinem auf Widerstandsvermeidung ausgelegten Charakter sehr entgegen.
Manches Mal hatte ich mich allerdings schon gewundert, warum sich mein Körper - abgesehen von einem soliden Ruhepuls und einer passablen Grundausdauer - von meinem Sportprogramm so unbeeindruckt zeigte.
Wo waren die Michelle-Obama-Oberarme, wo die brettharte Bauchmuskulatur, wo die gestählten Oberschenkel? Und warum klang ich, wenn ich meinen Wochenendeinkauf in den zweiten Stock tragen musste, wie eine Spätgebärende in den Presswehen?
Mein persönlicher Trainer Marco sagte mir dazu Sachen, die ich nicht unbedingt hören wollte: «Training bedeutet Anpassung, und das funktioniert nur, wenn man an seine Grenzen und darüber hinausgeht. Sonst ändert sich nichts. Aber die meisten wollen die Wahrheit gar nicht wissen und bleiben lieber gemütlich auf dem Crosstrainer und lesen dabei die Tageszeitung. Was soll da passieren? Das ist Zeitverschwendung. Wenn du dich verändern willst, musst du dich anstrengen. Sonst kannst du es gleichbleiben-lassen.»
Übellaunig habe ich an die verplemperten Jahre gedacht, die ich gemütlich auf Stairmastern und Crosstrainern zugebracht hatte, und mir erst mal eine neue Sporthose in der angesagten Trendfarbe Violett gekauft.
Geht nicht an, dass ich neben meinem Trainer nicht nur körperlich, sondern auch modisch einen kläglichen Eindruck mache. Früher war es ja so, dass man sich zum Sport abschminkte, die Haare mit einem Einmachgummi oder was sonst gerade rumlag, zurückband und ein knielanges Schlaf-T-Shirt über Leggins stülpte, die man ansonsten weggeworfen hätte.
Diese Zeiten sind bedauerlicherweise lange vorbei. Eigentlich muss man immer und überall gut angezogen sein, sonst gerät man sofort in den Verdacht, man würde sich gehenlassen - und das ist ja absolut verboten.
Beim Stepp-Aerobic-Kurs trägst du modische Funktionskleidung im sorbetfarbenen Lagen-Look, kombiniert mit einem dezenten, wasser- und schweißfesten Make-up und einem Schirmmützchen mit angesagtem Schriftzug in ausländischer Sprache.
Heute Morgen war ich also chic in atmungsaktivem Lila - denn ich möchte nicht, dass Marco sich mehr als unbedingt nötig für mich schämen muss - zum Training in die Turnhalle geeilt und hatte versucht, beim Kickboxen Aggressionen ab- und beim Salsa-Workout ein positives Körperbewusstsein aufzubauen.
Dabei hatte mich jedoch dieses typische Ziehen im Unterleib gestört, was einen kurzen Einkauf in der Abteilung «monatliche Damenhygieneartikel» des Drogeriemarkts nach sich zog.
Warum ich dort auch einen Schwangerschaftstest kaufte?
Ich würde allzu gerne von einer Art schicksalhafter Eingebung sprechen. Aber mir war bloß eingefallen, dass ich zwei Tage überfällig war, was für einen pünktlichen deutschen Eierstock wie den meinen eine halbe Ewigkeit ist.
Man kann es im Nachhinein mühsam romantisieren, transzendental überhöhen, aber es bleibt eine Tatsache, dass den meisten Frauen aus sogenannten zivilisierten Ländern ihre Schwangerschaft auf dem Klo bewusst wird.
Schwestern, lasst es uns sagen, wie es ist: Du pinkelst in entwürdigender Haltung auf ein Teststäbchen, und meist geht auch was daneben. Dann wartest du drei Minuten, und egal, wie gründlich du dir die Gebrauchsanweisung durchgelesen hast, das Ergebnis wirst du zunächst nicht verstehen und ergo die Anleitung zum wiederholten Male durcharbeiten müssen.
Ich weiß das so genau, weil ich heute Vormittag fünf verschiedene Schwangerschaftstests gemacht habe.
Der erste hatte zwei schwache rosafarbene Linien gezeigt. Wie war das noch mal? Eine Linie nicht schwanger? Zwei Linien schwanger? Oder genau andersrum?
Ich fischte die Gebrauchsanweisung aus dem Mülleimer und schaute in dem entsprechenden Kapitel noch mal nach.
Zwei Linien. Schwanger.
Ich hatte den Test bestanden. Jedoch, ich hielt das für unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher war, dass ich etwas falsch gemacht hatte oder es sich um ein fehlerhaftes Fabrikat handelte. Womöglich war sogar die ganze Baureihe kontaminiert?
Ich beschloss, in der Apotheke meines Vertrauens vier weitere Tests jeweils unterschiedlicher Hersteller zu kaufen, bloß um ganz sicherzugehen. «Ist für eine zwangneurotische Freundin», murmelte ich an der Kasse, nicht, ohne rot zu werden.
Wenig später war ich mit fünf positiven Ergebnissen verschiedenster Form konfrontiert, darunter besagte rosa Linien, ein Smiley und eine Zahlenfolge, die nur Eingeweihten etwas sagen dürfte: «2-3». Der Mercedes unter den Testmodellen hatte mir bereits ausgerechnet, wie lange die Empfängnis in etwa zurücklag, nämlich zwei bis drei Wochen.
Das konnte ich mir jedoch leicht selber und auch sehr viel genauer ausrechnen. Denn der Ehrlichkeit halber möchte ich hier festhalten, dass ich weder den Erzeuger des Kindes noch den Zeugungstermin mühsam recherchieren musste. Ein in Frage kommender Vater. Ein in Frage kommendes Datum, sogar mit genauer Uhrzeit.
Herrje, muss ich mich da wirklich rechtfertigen? Ich bin seit zehn Jahren verheiratet und habe es in diesem Jahr wieder nicht geschafft, meinen Mann zu betrügen. Bin irgendwie nicht dazu gekommen. Ich hatte genug andere Baustellen.
In einem Magazin habe ich gelesen, dass das vergangene Jahr das Jahr der prominenten Seitensprünge war. Erneut ein Trend, den ich verpasst habe - ähnlich wie Crocs, Clogs und Jodhpurhosen.
Auch in meinem Freundeskreis war die Hölle los: Affären flogen auf. Heimliche Liebschaften wurden begonnen. Dunkle, erregende Geheimnisse wurden nach drei Flaschen Wein im Freundinnenkreis ausgetauscht. «Treueschwüre und Gewissensbisse sind was für junge Leute», lautet die Ansicht meiner Freundin Uta. «Ich finde, wer sich in unserem Alter noch über Untreue aufregt, macht sich lächerlich.»
Uta, die beinahe fünfzig und schon sehr lange verheiratet ist, hat jetzt einen Liebhaber und zwei Konfektionsgrößen weniger und fragte mich erst neulich mit glänzenden Äuglein, ob ich beim Sex schon mal auf Latexlaken eingeölt worden sei. Darauf habe ich still geschwiegen, mich aber klammheimlich gefragt, ob man Latex eigentlich in der Maschine waschen kann.
Selbst beim Kurzurlaub im Robinson-Club Çamyuva mit drei bedürftigen Freundinnen war ich wohl der einzige Gast seit Bestehen der Clubanlage, der unberührt wieder nach Hause reiste.
In Çamyuva gibt es angeblich eine Fachkraft, die nur dazu da ist, morgens früh die Kondome vom Strand einzusammeln. Eine Schwäbin, die ich am ersten Abend kennenlernte, kurz bevor sie mit einem Typen Richtung Strand verschwand, hatte mir gesagt: «Wenn du hier keinen abschleppst, dann schaffst du's nirgendwo. Hier geht alles. Ich hab's auf sechs Kerle in fünf Tagen gebracht.
...
Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek
... weniger
Autoren-Porträt von Ildikó von Kürthy
Ildikó von Kürthy ist Rheinländerin, Mutter von zwei Söhnen, Journalistin und Kolumnistin bei der Brigitte. Sie lebt mit ihrem Mann und den Kindern in Hamburg, und besonders an Karneval hat sie schlimme Sehnsucht nach ihrer alten Heimat. Ildikó von Kürthys Romane wurden mehr als sechs Millionen Mal gekauft und in 21 Sprachen übersetzt. Sie ist eine der meistgelesenen deutschen Schriftstellerinnen, ihr erster Roman «Mondscheintarif» wurde fürs Kino verfilmt, und auch ihre Sachbücher, «Unter dem Herzen», «Neuland» und «Hilde» waren allesamt Bestseller. Zuletzt erschien ihr Roman und Nummer-1-Bestseller «Es wird Zeit».
Bibliographische Angaben
- Autor: Ildikó von Kürthy
- 2012, 7. Aufl., 304 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Maße: 14 x 21,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Illustration:Werthmüller, Stefan
- Verlag: Wunderlich
- ISBN-10: 3805250436
- ISBN-13: 9783805250436
Rezension zu „Unter dem Herzen “
Ildikó von Kürthy ist die Seelen-Sanitäterin deutscher Frauen. Mit einem Buch von ihr lässt sich jede Problemzone besser ertragen. Stern
Kommentare zu "Unter dem Herzen"
0 Gebrauchte Artikel zu „Unter dem Herzen“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 20Schreiben Sie einen Kommentar zu "Unter dem Herzen".
Kommentar verfassen