Vergiss mein nicht / Grant County Bd.2
Thriller
Ein schrecklicher Abend in Heartsdale, Georgia: Auf einem Parkplatz droht eine Dreizehnjährige, einen Mitschüler abzuknallen. Vergeblich versucht der Polizeichef, die Situation zu entschärfen - das Mädchen muss erschossen werden, um das...
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Produktinformationen zu „Vergiss mein nicht / Grant County Bd.2 “
Ein schrecklicher Abend in Heartsdale, Georgia: Auf einem Parkplatz droht eine Dreizehnjährige, einen Mitschüler abzuknallen. Vergeblich versucht der Polizeichef, die Situation zu entschärfen - das Mädchen muss erschossen werden, um das Schlimmste zu verhindern. Die ganze Stadt fragt sich ratlos, was die eher unscheinbare Schülerin in eine entschlossene Mörderin verwandelt hat. Da macht Pathologin Sara Linton bei der Obduktion des Kindes eine Entdeckung, die schockierender ist als alles, was sie bis dahin gesehen hat.
Klappentext zu „Vergiss mein nicht / Grant County Bd.2 “
Jeffrey Tolliver und Sara Linton in ihrem zweiten Fall!Heartsdale, Georgia. Auf dem Parkplatz der Rollschuhbahn droht die 13-jährige Jenny, den drei Jahre älteren Mark zu erschießen. Behutsam versucht Polizeichef Tolliver die Situation zu entschärfen. Doch dann kommt es zum entsetzlichen Showdown: Tolliver muss Jennys Leben opfern, um Marks Hinrichtung zu vermeiden. Aber es kommt noch schlimmer. Als Sara Linton die Leiche des Mädchens obduziert, macht sie eine schockierende Entdeckung ...
Lese-Probe zu „Vergiss mein nicht / Grant County Bd.2 “
Vergiss mein nicht von Karin SlaughterEins
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»Dancing Queen«, sang Sara Linton leise mit, während sie ihre Runde auf der Rollerskates-Bahn drehte. »Young and sweet, only seventeen.«
Links neben sich hörte sie das ungestüme Rattern von Skates und konnte sich gerade noch rechtzeitig zur Seite drehen, um ein Kind aufzufangen, bevor es mit ihr zusammenprallte.
»Justin?«, sagte sie, als sie den Siebenjährigen erkannte. Sie hielt ihn am Jackenkragen fest, denn seine Beine wackelten auf den Inlineskates.
»Hallo, Dr. Linton«, bekam Justin japsend heraus. Der Helm war ihm zu groß, und er schob ihn mehrmals nach hinten, um sie ansehen zu können.
Sara erwiderte sein Lächeln und musste sich beherrschen, um nicht laut loszulachen. »Hallo, Justin.«
»Sie stehen auf diese Musik, was? Meine Mum auch.« Er starrte sie unverhohlen und mit offenem Mund an. Wie die meisten von Saras Patienten wirkte auch Justin ein wenig verschreckt, als könnte er sich nicht vorstellen, ihr außerhalb der Kinderklinik zu begegnen. Manchmal fragte sie sich, ob man glaubte, dass sie dort im Keller wohnte und darauf lauerte, dass die Leute von Erkältungen oder Fieber heimgesucht in ihre Sprechstunde kamen.
„Egal.« Justin schob wieder seinen Helm nach hinten und versetzte sich dabei mit dem Ellbogenschoner einen Nasenstüber. „Aber ich hab gemerkt, dass Sie mitgesungen haben.«
»Lass mich mal«, erbot sich Sara. Sie beugte sich hinunter, um seinen Kinnriemen fester zu ziehen. Die Musik auf der Bahn war so laut, dass Sara die Vibrationen der Bässe in der Plastikschnalle spüren konnte, die sie unter seinem Kinn enger stellte.
»Danke«, brüllte Justin und legte aus unerfindlichem Grund beide Hände oben auf den Helm. Diese Bewegung raubte ihm das Gleichgewicht, und er geriet ins Stolpern, konnte sich aber gerade noch an Saras Bein festklammern.
Sara hielt ihn wieder an der Jacke fest und führte ihn hinüber zum Geländer am Außenrand der Bahn. Sie selbst hatte auch ein Paar Inlineskates anprobiert, sich dann aber für die altmodischen Rollschuhe mit vier Rädern entschieden, denn sie wollte sich nicht vor den Augen der halben Stadt auf den Hintern setzen.
»Wow«, kicherte Justin und hängte sich haltsuchend an das Geländer. Er sah auf ihre Skates hinunter. »Mann, haben Sie große Füße!«
Sara blickte ebenfalls hinab und wurde vor Verlegenheit rot. Seit sie sieben Jahre alt war, hatte man sie wegen ihrer großen Füße gehänselt. Obwohl sie sich nun fast dreißig Jahre lang diesen Spott hatte anhören müssen, wäre Sara immer noch am liebsten mit einer Schüssel Schokoladeneis unters Bett gekrochen, wenn sie auf ihre Füße angesprochen wurde.
»Sie haben ja Skates für Jungs an!«, kreischte Justin und ließ das Geländer los, um auf ihre Skates zeigen zu können. Sara konnte ihn gerade noch stützen, bevor er ausglitt und stürzte.
»Mein Lieber«, flüsterte Sara ihm zuckersüß ins Ohr. »Das wirst du spätestens dann bereuen, wenn deine Nachimpfungen fällig werden.«
Justin lächelte seine Kinderärztin unsicher an. »Ich glaube, meine Mum will was von mir«, murmelte er und hangelte sich am Geländer entlang, wobei er argwöhnisch über die Schulter blickte, um sich davon zu überzeugen, dass Sara ihm nicht folgte.
Sie verschränkte die Arme und lehnte sich an die Balustrade, während sie ihm nachschaute. Wie die meisten Kinderärzte liebte Sara ihre Patienten, aber es sprach einiges dafür, am Samstagabend von ihnen unbehelligt zu bleiben.
„Ein Verehrer?«, fragte Tessa, die neben ihr bremste.
Sara warf ihrer Schwester einen strengen Blick zu. „Erklär mir doch bitte mal, wie ich hierhergeraten bin.«
Tessa versuchte ein Schmunzeln. „Aus purer Liebe zu mir?«
»Genau«, erwiderte Sara sarkastisch. Auf der anderen Seite der Bahn erspähte Sara Devon Lockwood, Tessas derzeitigen Freund, der auch im Klempnerbetrieb der Familie Linton arbeitete. Devon führte seinen Neffen auf der Bahn für die Kleinen im Kreis herum, während sein Bruder zuschaute.
»Seine Mutter hasst mich«, murmelte Tessa. »Sobald ich in seine Nähe komme, sieht sie mich giftig an.«
»Daddy ist bei unseren Freunden doch auch nicht besser«, erwiderte Sara.
Devon merkte, dass sie zu ihm hinschauten, und winkte.
„Er kann gut mit Kindern umgehen«, sagte Sara und winkte zurück.
„Er kann auch noch mit was anderem gut umgehen«, sagte Tessa leise. Sie wandte sich wieder Sara zu. »Dabei fällt mir ein - wo ist denn Jeffrey?«
Sara blickte wieder zum Haupteingang und stellte sich dieselbe Frage. und auch, warum es ihr eigentlich nicht egal war, ob ihr Exmann auftauchte oder nicht. »Weiß ich nicht«, antwortete sie. »Seit wann ist es denn in dem Laden hier so voll?«
„Es ist Samstagabend, und die Football-Saison hat noch nicht angefangen. Was sollen die Leute denn sonst machen?«, sagte Tessa, ließ Sara aber nicht das Thema wechseln. „Also, wo bleibt Jeffrey?«
»Vielleicht kommt er ja gar nicht.«
Die Art, wie Tessa grinste, verriet, dass sie sich einen boshaften Kommentar verbiss.
»Mach schon, sprich es aus.«
»Ich wollte gar nichts sagen«, antwortete Tessa, und Sara war nicht ganz klar, ob sie log.
»Wir sehen uns nur ab und zu.« Sara hielt inne und fragte sich, wem sie eigentlich etwas beweisen wollte: Tessa oder sich? Dann fügte sie hinzu: „Es ist ganz und gar nichts Ernstes.«
»Ich weiß.«
»Wir haben uns noch nicht mal richtig geküsst.«
Tessa hob resigniert die Hände. »Ich weiß«, wiederholte sie, ein spöttisches Grinsen um die Mundwinkel.
»Wir sehen uns manchmal. Das ist alles.«
»Mich brauchst du nicht zu überzeugen.«
Sara lehnte sich seufzend ans Geländer. Sie kam sich dämlich vor, eher wie ein Teenager als wie eine erwachsene Frau. Sie hatte sich vor zwei Jahren von Jeffrey scheiden lassen, nachdem sie ihn mit der Inhaberin des Schilderladens im Bett erwischt hatte. Warum sie sich neuerdings wieder mit ihm traf, war sowohl Sara als auch ihrer Familie ein Rätsel.
Ein Schmusesong erklang, und das Licht wurde schwächer. Eine rotierende Spiegelkugel sank von der Decke herab und verteilte blitzende kleine Lichtquadrate im gesamten Raum.
»Ich muss mal«, sagte Sara zu ihrer Schwester. »Pass bitte auf, ob Jeff kommt.«
Tessa schaute über Saras Schulter. »Geht aber gerade jemand rein.«
„Es gibt jetzt zwei Kabinen.« Sara steuerte auf die Damentoilette zu und sah, dass gerade ein dicker Teenager hineinging. Sie erkannte Jenny Weaver, eine ihrer Patientinnen, und winkte ihr zu, aber das Mädchen hatte sie nicht gesehen.
Tessa kommentierte: »Hoffentlich hältst du es noch aus.«
Sara runzelte die Stirn, als sie beobachtete, wie ein weiteres Mädchen, das sie nicht kannte, Jenny auf die Toilette folgte. Wenn das so weiterging, würde Sara noch die Blase platzen.
Tessa deutete mit dem Kopf zur Eingangstür. »Wie war das nochmal? Hochgewachsen, dunkelhaarig und gut aussehend?«
Sara fand es irgendwie albern, dass sie unwillkürlich lächeln musste, als sie Jeffrey auf die Bahn zusteuern sah. Er kam wohl direkt von der Arbeit, denn er trug immer noch seinen anthrazitfarbenen Anzug mit einer burgunderroten Krawatte. Als Polizeichef von Grant County kannte er die meisten Anwesenden. Er sah sich um, und sie hoffte, dass sie es war, nach der er Ausschau hielt. Er lavierte sich durch die Menschenmenge, blieb dabei hier und dort stehen, um Hände zu schütteln. Sie verzichtete darauf, ihn irgendwie auf sich aufmerksam zu machen. In dieser Phase ihrer Beziehung überließ sie Jeffrey die Initiative.
Sara hatte Jeffrey bei einem ihrer ersten Fälle als Coroner der Stadt kennen gelernt. Sie hatte die Stellung als leitende Amtsärztin angenommen, um ihren Partner an der Kinderklinik von Heartsdale auszahlen zu können, der in den Ruhestand gehen wollte. Und Sara hatte diesen Posten behalten, obwohl es inzwischen Jahre her war, dass sie Dr. Barney abgefunden hatte. Ihr gefielen die Herausforderungen der Pathologie: Vor zwölf Jahren, als Sara ihre Zeit als Assistenzärztin in der Notaufnahme des Grady Hospital in Atlanta abgeschlossen hatte, war es eine gewaltige Umstellung von der hektischen Arbeit dort, bei der es oft um Leben und Tod ging, auf Bauchschmerzen und Schnupfen in der hiesigen Kinderklinik gewesen. Und der Job als Coroner stellte Anforderungen, die ihren Verstand hellwach hielten.
Schließlich wurde sie von Jeffrey entdeckt. Abrupt hörte er auf, Betty Reynolds die Hand zu schütteln, und seine Mundwinkel wanderten aufwärts, bevor sie gleich darauf wieder nach unten sanken, als die Besitzerin des Kramladens weiter auf ihn einredete.
Sara konnte sich vorstellen, worüber Betty sprach. Im Laufe der letzten drei Monate war zweimal bei ihr eingebrochen worden. Ihr war anzusehen, dass sie sich beschwerte, und sie merkte gar nicht, dass Jeffreys Aufmerksamkeit nicht mehr ihr galt.
Schließlich nickte Jeffrey, tätschelte Betty die Schulter und gab ihr noch einmal die Hand. Wahrscheinlich hatte er versprochen, sich in den nächsten Tagen mit ihr zu unterhalten. Nachdem er sich befreit hatte, kam er auf Sara zu, ein verschmitztes Lächeln im Gesicht.
»Na, du«, sagte er und gab ihr die Hand. Ehe sie sichs versah, schüttelte Sara sie ihm, so wie fast alle anderen Besucher der Inline-Bahn zuvor.
»Hallo, Jeffrey«, unterbrach Tessa in ungewohnt scharfem Tonfall. Normalerweise erledigt ihr Vater es, Jeffrey anzuraunzen.
Jeffrey lächelte verdutzt. »Hi, Tessie.«
Tessie nuschelte irgendetwas und stieß sich vom Geländer ab. Sie rollte davon, warf aber Sara über die Schulter noch einen vieldeutigen Blick zu.
Jeffrey fragte: »Was war das denn?«
Sara zog die Hand zurück, aber Jeffrey hielt ihre Finger noch lange genug fest, um sie spüren zu lassen, dass er bestimmte, wann er losließ. Er war sich seiner so verdammt sicher. Und mehr als alles andere war es diese Eigenschaft, die Sara so anzog.
Sie verschränkte die Arme und sagte: »Du kommst zu spät.«
„Es war nicht leicht wegzukommen.«
»Ist ihr Ehemann auf Reisen?«
Er sah sie an wie eine Zeugin, von der er wusste, dass sie log. »Ich musste Frank noch sprechen.« So hieß der dienstälteste Detective im Dezernat von Grant County. »Ich habe ihm gesagt, dass er heute Abend das Kommando hat. Ich möchte nämlich nicht, dass jemand uns beide stört.«
»Wobei stört?«
Das Lächeln zupfte wieder an seinen Mundwinkeln. »Na ja, ich dachte, ich verführe dich heute Abend.«
Sie lachte und wich zurück, als er sie zu küssen versuchte.
»Das Küssen hat eigentlich nur dann Sinn, wenn sich die Lippen berühren«, meinte er.
»Nicht vor den Augen meiner halben Patientenschar«, konterte sie.
»Dann komm mit.«
Wider alle Vernunft bückte sich Sara unter dem Geländer hindurch und nahm seine Hand. Er schob sie auf ihren Rollschuhen in den hinteren Bereich der Bahn nahe den Toiletten und drückte sich mit ihr in eine Ecke, wo man sie nicht sehen konnte.
»So besser?«, fragte er.
»Oh, ja«, antwortete Sara. Sie sah auf ihn hinab, denn auf den Skates war sie ein paar Zentimeter größer als er. »Viel besser, ich muss nämlich ganz dringend aufs Klo.«
Sie wollte wegrollen, aber er hielt sie zurück, indem er ihre Taille umfasste.
»Jeff«, sagte sie und wusste nur zu genau, dass das nicht sonderlich abweisend klang.
»Du bist so schön, Sara.«
Sie verdrehte die Augen wie ein Teenager.
Er lachte und wagte es dann: »Gestern habe ich den ganzen Abend nur daran gedacht, dich zu küssen.«
»So?«
»Ich habe Sehnsucht danach, wie du schmeckst.«
Sie versuchte gelangweilt zu klingen. »Immer noch nach Colgate.«
»Von dem Geschmack rede ich nicht.«
Sara war sprachlos, und Jeffrey grinste vergnügt. Sara merkte, wie sich tief in ihr etwas regte, und wollte ihm schnell irgendetwas entgegnen. Aber in diesem Moment ging sein Pieper. Er sah sie weiterhin wie gebannt an, als habe er den Alarmton gar nicht gehört.
Sara räusperte sich und fragte: »Willst du nicht darauf reagieren?«
Jetzt warf er doch einen Blick auf den Pieper, der an seinem Gürtel klemmte, und murmelte nur »Scheiße«, als er die Nachricht sah.
»Was?«
„Einbruch«, antwortete er schroff.
»Ich dachte, Frank soll dich vertreten.«
»Nur bei den Lappalien. Ich muss an ein Münztelefon.«
»Wo ist denn dein Handy?«
„Akku leer.« Jeffrey schien seinen Unmut so weit unter Kontrolle zu bekommen, dass er sie aufmunternd anlächeln konnte. »Nichts kann mir diese Nacht verderben, Sara.« Er legte die Hand auf ihre Wange. »Das ist mir das allerwichtigste.«
»Hast du etwa noch ein heißes Date nach unserem Abendessen?«, neckte sie ihn. »Wir können es auch verschieben, wenn es sein muss.«
Er kniff die Augen zusammen, bevor er sich umdrehte und losging.
Sara schaute ihm nach und flüsterte ein leises »gütiger Himmel«, als sie sich haltsuchend an die Wand lehnte. Sie konnte es einfach nicht fassen, dass er es schaffte, sie innerhalb von drei Minuten völlig willenlos zu machen.
Sie schreckte auf, als die Toilettentür laut zugeschlagen wurde. Dort stand Jenny Weaver und sah wie in Trance hinaus auf die Rollschuhbahn. Im Kontrast zu ihrem langärmeligen schwarzen T-Shirt wirkte die Haut des Mädchens fahl. Jenny trug einen dunkelroten Rucksack in der Hand, den sie über die Schulter schwang, als Sara ihr entgegenfuhr. Der Rucksack beschrieb einen hohen Bogen und streifte Saras Brust.
»Langsam«, sagte Sara und wich zurück.
Jenny blinzelte und erkannte ihre Kinderärztin. Sie flüsterte »'tschuldigung« und wandte den Blick ab.
»Schon gut«, erwiderte Sara und wollte ein Gespräch anfangen. Das Mädchen wirkte verängstigt. »Was hast du denn?«, fragte Sara. „Alles in Ordnung?«
»Ja, Ma'am«, nuschelte Jenny und presste ihren Rucksack an sich.
Bevor Sara noch etwas sagen konnte, verdrückte Jenny sich. Sara beobachtete, wie sie in der Menge verschwand und in der Nähe des Raums mit den Videospielen Zuflucht suchte. Im Widerschein der Bildschirme nahm Jennys Gestalt eine grünliche Färbung an, bevor sie in einer Ecke verschwand. Sara spürte, dass etwas nicht stimmte, aber sie konnte ja schlecht hinter dem Mädchen herrennen, um es streng zu fragen, was denn los sei. In diesem Alter wuchs sich alles zu einem Drama aus. Bestimmt ging es um einen Jungen.
Es wurde wieder heller, als der Schmusesong endete. Dann lärmte ein alter Rocksong aus den Lautsprechern, dessen Bässe Saras Brustkorb vibrieren ließen. Sie sah zu, wie die Skater auf der Bahn immer schneller wurden, und fragte sich, ob sie selbst jemals so behände und geschmeidig gelaufen war. Skatie's hatte zwar seit Saras Jugendzeit mehrmals den Besitzer gewechselt, war aber immer noch der beliebteste Treffpunkt für die Teens in Grant County. Sara hatte damals an den Wochenenden so manchen Abend im hinteren Teil dieses Gebäudes verbracht und dort mit Steve Mann, ihrem ersten richtigen Freund, rumgeknutscht. Ihre Beziehung basierte weniger auf Leidenschaft als auf dem gemeinsamen Ziel, Grant County hinter sich zu lassen. Steves Vater war jedoch während ihres letzten Schuljahrs an einem Herzschlag gestorben, und seither führte Steve den Haushaltswarenladen der Familie. Inzwischen war er längst verheiratet und hatte Kinder. Sara war nach Atlanta entkommen, aber ein paar Jahre später zurückgekehrt.
Schon ein merkwürdiges Gefühl, wieder bei Skatie's zu sein, um mit Jeffrey Tolliver zu knutschen. Oder es zumindest zu versuchen.
Sara schüttelte den Gedanken ab und steuerte auf die Toilette zu. Sie fasste nach dem Türknauf, ließ ihn aber sofort wieder los, weil sie etwas Klebriges spürte. In diesem Bereich der Bahn war es noch immer recht dunkel, und Sara musste die Hand dicht vors Gesicht halten, um erkennen zu können, was daran klebte. Sie erkannte den Geruch zuerst. Dann sah sie an ihrem Hemd hinunter, wo Jenny Weavers Rucksack es gestreift hatte.
Ein schmaler Blutstreifen zog sich über ihre Brust.
Übersetzung: Teja Schwaner
© der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by Blanvalet Verlag, München
»Dancing Queen«, sang Sara Linton leise mit, während sie ihre Runde auf der Rollerskates-Bahn drehte. »Young and sweet, only seventeen.«
Links neben sich hörte sie das ungestüme Rattern von Skates und konnte sich gerade noch rechtzeitig zur Seite drehen, um ein Kind aufzufangen, bevor es mit ihr zusammenprallte.
»Justin?«, sagte sie, als sie den Siebenjährigen erkannte. Sie hielt ihn am Jackenkragen fest, denn seine Beine wackelten auf den Inlineskates.
»Hallo, Dr. Linton«, bekam Justin japsend heraus. Der Helm war ihm zu groß, und er schob ihn mehrmals nach hinten, um sie ansehen zu können.
Sara erwiderte sein Lächeln und musste sich beherrschen, um nicht laut loszulachen. »Hallo, Justin.«
»Sie stehen auf diese Musik, was? Meine Mum auch.« Er starrte sie unverhohlen und mit offenem Mund an. Wie die meisten von Saras Patienten wirkte auch Justin ein wenig verschreckt, als könnte er sich nicht vorstellen, ihr außerhalb der Kinderklinik zu begegnen. Manchmal fragte sie sich, ob man glaubte, dass sie dort im Keller wohnte und darauf lauerte, dass die Leute von Erkältungen oder Fieber heimgesucht in ihre Sprechstunde kamen.
„Egal.« Justin schob wieder seinen Helm nach hinten und versetzte sich dabei mit dem Ellbogenschoner einen Nasenstüber. „Aber ich hab gemerkt, dass Sie mitgesungen haben.«
»Lass mich mal«, erbot sich Sara. Sie beugte sich hinunter, um seinen Kinnriemen fester zu ziehen. Die Musik auf der Bahn war so laut, dass Sara die Vibrationen der Bässe in der Plastikschnalle spüren konnte, die sie unter seinem Kinn enger stellte.
»Danke«, brüllte Justin und legte aus unerfindlichem Grund beide Hände oben auf den Helm. Diese Bewegung raubte ihm das Gleichgewicht, und er geriet ins Stolpern, konnte sich aber gerade noch an Saras Bein festklammern.
Sara hielt ihn wieder an der Jacke fest und führte ihn hinüber zum Geländer am Außenrand der Bahn. Sie selbst hatte auch ein Paar Inlineskates anprobiert, sich dann aber für die altmodischen Rollschuhe mit vier Rädern entschieden, denn sie wollte sich nicht vor den Augen der halben Stadt auf den Hintern setzen.
»Wow«, kicherte Justin und hängte sich haltsuchend an das Geländer. Er sah auf ihre Skates hinunter. »Mann, haben Sie große Füße!«
Sara blickte ebenfalls hinab und wurde vor Verlegenheit rot. Seit sie sieben Jahre alt war, hatte man sie wegen ihrer großen Füße gehänselt. Obwohl sie sich nun fast dreißig Jahre lang diesen Spott hatte anhören müssen, wäre Sara immer noch am liebsten mit einer Schüssel Schokoladeneis unters Bett gekrochen, wenn sie auf ihre Füße angesprochen wurde.
»Sie haben ja Skates für Jungs an!«, kreischte Justin und ließ das Geländer los, um auf ihre Skates zeigen zu können. Sara konnte ihn gerade noch stützen, bevor er ausglitt und stürzte.
»Mein Lieber«, flüsterte Sara ihm zuckersüß ins Ohr. »Das wirst du spätestens dann bereuen, wenn deine Nachimpfungen fällig werden.«
Justin lächelte seine Kinderärztin unsicher an. »Ich glaube, meine Mum will was von mir«, murmelte er und hangelte sich am Geländer entlang, wobei er argwöhnisch über die Schulter blickte, um sich davon zu überzeugen, dass Sara ihm nicht folgte.
Sie verschränkte die Arme und lehnte sich an die Balustrade, während sie ihm nachschaute. Wie die meisten Kinderärzte liebte Sara ihre Patienten, aber es sprach einiges dafür, am Samstagabend von ihnen unbehelligt zu bleiben.
„Ein Verehrer?«, fragte Tessa, die neben ihr bremste.
Sara warf ihrer Schwester einen strengen Blick zu. „Erklär mir doch bitte mal, wie ich hierhergeraten bin.«
Tessa versuchte ein Schmunzeln. „Aus purer Liebe zu mir?«
»Genau«, erwiderte Sara sarkastisch. Auf der anderen Seite der Bahn erspähte Sara Devon Lockwood, Tessas derzeitigen Freund, der auch im Klempnerbetrieb der Familie Linton arbeitete. Devon führte seinen Neffen auf der Bahn für die Kleinen im Kreis herum, während sein Bruder zuschaute.
»Seine Mutter hasst mich«, murmelte Tessa. »Sobald ich in seine Nähe komme, sieht sie mich giftig an.«
»Daddy ist bei unseren Freunden doch auch nicht besser«, erwiderte Sara.
Devon merkte, dass sie zu ihm hinschauten, und winkte.
„Er kann gut mit Kindern umgehen«, sagte Sara und winkte zurück.
„Er kann auch noch mit was anderem gut umgehen«, sagte Tessa leise. Sie wandte sich wieder Sara zu. »Dabei fällt mir ein - wo ist denn Jeffrey?«
Sara blickte wieder zum Haupteingang und stellte sich dieselbe Frage. und auch, warum es ihr eigentlich nicht egal war, ob ihr Exmann auftauchte oder nicht. »Weiß ich nicht«, antwortete sie. »Seit wann ist es denn in dem Laden hier so voll?«
„Es ist Samstagabend, und die Football-Saison hat noch nicht angefangen. Was sollen die Leute denn sonst machen?«, sagte Tessa, ließ Sara aber nicht das Thema wechseln. „Also, wo bleibt Jeffrey?«
»Vielleicht kommt er ja gar nicht.«
Die Art, wie Tessa grinste, verriet, dass sie sich einen boshaften Kommentar verbiss.
»Mach schon, sprich es aus.«
»Ich wollte gar nichts sagen«, antwortete Tessa, und Sara war nicht ganz klar, ob sie log.
»Wir sehen uns nur ab und zu.« Sara hielt inne und fragte sich, wem sie eigentlich etwas beweisen wollte: Tessa oder sich? Dann fügte sie hinzu: „Es ist ganz und gar nichts Ernstes.«
»Ich weiß.«
»Wir haben uns noch nicht mal richtig geküsst.«
Tessa hob resigniert die Hände. »Ich weiß«, wiederholte sie, ein spöttisches Grinsen um die Mundwinkel.
»Wir sehen uns manchmal. Das ist alles.«
»Mich brauchst du nicht zu überzeugen.«
Sara lehnte sich seufzend ans Geländer. Sie kam sich dämlich vor, eher wie ein Teenager als wie eine erwachsene Frau. Sie hatte sich vor zwei Jahren von Jeffrey scheiden lassen, nachdem sie ihn mit der Inhaberin des Schilderladens im Bett erwischt hatte. Warum sie sich neuerdings wieder mit ihm traf, war sowohl Sara als auch ihrer Familie ein Rätsel.
Ein Schmusesong erklang, und das Licht wurde schwächer. Eine rotierende Spiegelkugel sank von der Decke herab und verteilte blitzende kleine Lichtquadrate im gesamten Raum.
»Ich muss mal«, sagte Sara zu ihrer Schwester. »Pass bitte auf, ob Jeff kommt.«
Tessa schaute über Saras Schulter. »Geht aber gerade jemand rein.«
„Es gibt jetzt zwei Kabinen.« Sara steuerte auf die Damentoilette zu und sah, dass gerade ein dicker Teenager hineinging. Sie erkannte Jenny Weaver, eine ihrer Patientinnen, und winkte ihr zu, aber das Mädchen hatte sie nicht gesehen.
Tessa kommentierte: »Hoffentlich hältst du es noch aus.«
Sara runzelte die Stirn, als sie beobachtete, wie ein weiteres Mädchen, das sie nicht kannte, Jenny auf die Toilette folgte. Wenn das so weiterging, würde Sara noch die Blase platzen.
Tessa deutete mit dem Kopf zur Eingangstür. »Wie war das nochmal? Hochgewachsen, dunkelhaarig und gut aussehend?«
Sara fand es irgendwie albern, dass sie unwillkürlich lächeln musste, als sie Jeffrey auf die Bahn zusteuern sah. Er kam wohl direkt von der Arbeit, denn er trug immer noch seinen anthrazitfarbenen Anzug mit einer burgunderroten Krawatte. Als Polizeichef von Grant County kannte er die meisten Anwesenden. Er sah sich um, und sie hoffte, dass sie es war, nach der er Ausschau hielt. Er lavierte sich durch die Menschenmenge, blieb dabei hier und dort stehen, um Hände zu schütteln. Sie verzichtete darauf, ihn irgendwie auf sich aufmerksam zu machen. In dieser Phase ihrer Beziehung überließ sie Jeffrey die Initiative.
Sara hatte Jeffrey bei einem ihrer ersten Fälle als Coroner der Stadt kennen gelernt. Sie hatte die Stellung als leitende Amtsärztin angenommen, um ihren Partner an der Kinderklinik von Heartsdale auszahlen zu können, der in den Ruhestand gehen wollte. Und Sara hatte diesen Posten behalten, obwohl es inzwischen Jahre her war, dass sie Dr. Barney abgefunden hatte. Ihr gefielen die Herausforderungen der Pathologie: Vor zwölf Jahren, als Sara ihre Zeit als Assistenzärztin in der Notaufnahme des Grady Hospital in Atlanta abgeschlossen hatte, war es eine gewaltige Umstellung von der hektischen Arbeit dort, bei der es oft um Leben und Tod ging, auf Bauchschmerzen und Schnupfen in der hiesigen Kinderklinik gewesen. Und der Job als Coroner stellte Anforderungen, die ihren Verstand hellwach hielten.
Schließlich wurde sie von Jeffrey entdeckt. Abrupt hörte er auf, Betty Reynolds die Hand zu schütteln, und seine Mundwinkel wanderten aufwärts, bevor sie gleich darauf wieder nach unten sanken, als die Besitzerin des Kramladens weiter auf ihn einredete.
Sara konnte sich vorstellen, worüber Betty sprach. Im Laufe der letzten drei Monate war zweimal bei ihr eingebrochen worden. Ihr war anzusehen, dass sie sich beschwerte, und sie merkte gar nicht, dass Jeffreys Aufmerksamkeit nicht mehr ihr galt.
Schließlich nickte Jeffrey, tätschelte Betty die Schulter und gab ihr noch einmal die Hand. Wahrscheinlich hatte er versprochen, sich in den nächsten Tagen mit ihr zu unterhalten. Nachdem er sich befreit hatte, kam er auf Sara zu, ein verschmitztes Lächeln im Gesicht.
»Na, du«, sagte er und gab ihr die Hand. Ehe sie sichs versah, schüttelte Sara sie ihm, so wie fast alle anderen Besucher der Inline-Bahn zuvor.
»Hallo, Jeffrey«, unterbrach Tessa in ungewohnt scharfem Tonfall. Normalerweise erledigt ihr Vater es, Jeffrey anzuraunzen.
Jeffrey lächelte verdutzt. »Hi, Tessie.«
Tessie nuschelte irgendetwas und stieß sich vom Geländer ab. Sie rollte davon, warf aber Sara über die Schulter noch einen vieldeutigen Blick zu.
Jeffrey fragte: »Was war das denn?«
Sara zog die Hand zurück, aber Jeffrey hielt ihre Finger noch lange genug fest, um sie spüren zu lassen, dass er bestimmte, wann er losließ. Er war sich seiner so verdammt sicher. Und mehr als alles andere war es diese Eigenschaft, die Sara so anzog.
Sie verschränkte die Arme und sagte: »Du kommst zu spät.«
„Es war nicht leicht wegzukommen.«
»Ist ihr Ehemann auf Reisen?«
Er sah sie an wie eine Zeugin, von der er wusste, dass sie log. »Ich musste Frank noch sprechen.« So hieß der dienstälteste Detective im Dezernat von Grant County. »Ich habe ihm gesagt, dass er heute Abend das Kommando hat. Ich möchte nämlich nicht, dass jemand uns beide stört.«
»Wobei stört?«
Das Lächeln zupfte wieder an seinen Mundwinkeln. »Na ja, ich dachte, ich verführe dich heute Abend.«
Sie lachte und wich zurück, als er sie zu küssen versuchte.
»Das Küssen hat eigentlich nur dann Sinn, wenn sich die Lippen berühren«, meinte er.
»Nicht vor den Augen meiner halben Patientenschar«, konterte sie.
»Dann komm mit.«
Wider alle Vernunft bückte sich Sara unter dem Geländer hindurch und nahm seine Hand. Er schob sie auf ihren Rollschuhen in den hinteren Bereich der Bahn nahe den Toiletten und drückte sich mit ihr in eine Ecke, wo man sie nicht sehen konnte.
»So besser?«, fragte er.
»Oh, ja«, antwortete Sara. Sie sah auf ihn hinab, denn auf den Skates war sie ein paar Zentimeter größer als er. »Viel besser, ich muss nämlich ganz dringend aufs Klo.«
Sie wollte wegrollen, aber er hielt sie zurück, indem er ihre Taille umfasste.
»Jeff«, sagte sie und wusste nur zu genau, dass das nicht sonderlich abweisend klang.
»Du bist so schön, Sara.«
Sie verdrehte die Augen wie ein Teenager.
Er lachte und wagte es dann: »Gestern habe ich den ganzen Abend nur daran gedacht, dich zu küssen.«
»So?«
»Ich habe Sehnsucht danach, wie du schmeckst.«
Sie versuchte gelangweilt zu klingen. »Immer noch nach Colgate.«
»Von dem Geschmack rede ich nicht.«
Sara war sprachlos, und Jeffrey grinste vergnügt. Sara merkte, wie sich tief in ihr etwas regte, und wollte ihm schnell irgendetwas entgegnen. Aber in diesem Moment ging sein Pieper. Er sah sie weiterhin wie gebannt an, als habe er den Alarmton gar nicht gehört.
Sara räusperte sich und fragte: »Willst du nicht darauf reagieren?«
Jetzt warf er doch einen Blick auf den Pieper, der an seinem Gürtel klemmte, und murmelte nur »Scheiße«, als er die Nachricht sah.
»Was?«
„Einbruch«, antwortete er schroff.
»Ich dachte, Frank soll dich vertreten.«
»Nur bei den Lappalien. Ich muss an ein Münztelefon.«
»Wo ist denn dein Handy?«
„Akku leer.« Jeffrey schien seinen Unmut so weit unter Kontrolle zu bekommen, dass er sie aufmunternd anlächeln konnte. »Nichts kann mir diese Nacht verderben, Sara.« Er legte die Hand auf ihre Wange. »Das ist mir das allerwichtigste.«
»Hast du etwa noch ein heißes Date nach unserem Abendessen?«, neckte sie ihn. »Wir können es auch verschieben, wenn es sein muss.«
Er kniff die Augen zusammen, bevor er sich umdrehte und losging.
Sara schaute ihm nach und flüsterte ein leises »gütiger Himmel«, als sie sich haltsuchend an die Wand lehnte. Sie konnte es einfach nicht fassen, dass er es schaffte, sie innerhalb von drei Minuten völlig willenlos zu machen.
Sie schreckte auf, als die Toilettentür laut zugeschlagen wurde. Dort stand Jenny Weaver und sah wie in Trance hinaus auf die Rollschuhbahn. Im Kontrast zu ihrem langärmeligen schwarzen T-Shirt wirkte die Haut des Mädchens fahl. Jenny trug einen dunkelroten Rucksack in der Hand, den sie über die Schulter schwang, als Sara ihr entgegenfuhr. Der Rucksack beschrieb einen hohen Bogen und streifte Saras Brust.
»Langsam«, sagte Sara und wich zurück.
Jenny blinzelte und erkannte ihre Kinderärztin. Sie flüsterte »'tschuldigung« und wandte den Blick ab.
»Schon gut«, erwiderte Sara und wollte ein Gespräch anfangen. Das Mädchen wirkte verängstigt. »Was hast du denn?«, fragte Sara. „Alles in Ordnung?«
»Ja, Ma'am«, nuschelte Jenny und presste ihren Rucksack an sich.
Bevor Sara noch etwas sagen konnte, verdrückte Jenny sich. Sara beobachtete, wie sie in der Menge verschwand und in der Nähe des Raums mit den Videospielen Zuflucht suchte. Im Widerschein der Bildschirme nahm Jennys Gestalt eine grünliche Färbung an, bevor sie in einer Ecke verschwand. Sara spürte, dass etwas nicht stimmte, aber sie konnte ja schlecht hinter dem Mädchen herrennen, um es streng zu fragen, was denn los sei. In diesem Alter wuchs sich alles zu einem Drama aus. Bestimmt ging es um einen Jungen.
Es wurde wieder heller, als der Schmusesong endete. Dann lärmte ein alter Rocksong aus den Lautsprechern, dessen Bässe Saras Brustkorb vibrieren ließen. Sie sah zu, wie die Skater auf der Bahn immer schneller wurden, und fragte sich, ob sie selbst jemals so behände und geschmeidig gelaufen war. Skatie's hatte zwar seit Saras Jugendzeit mehrmals den Besitzer gewechselt, war aber immer noch der beliebteste Treffpunkt für die Teens in Grant County. Sara hatte damals an den Wochenenden so manchen Abend im hinteren Teil dieses Gebäudes verbracht und dort mit Steve Mann, ihrem ersten richtigen Freund, rumgeknutscht. Ihre Beziehung basierte weniger auf Leidenschaft als auf dem gemeinsamen Ziel, Grant County hinter sich zu lassen. Steves Vater war jedoch während ihres letzten Schuljahrs an einem Herzschlag gestorben, und seither führte Steve den Haushaltswarenladen der Familie. Inzwischen war er längst verheiratet und hatte Kinder. Sara war nach Atlanta entkommen, aber ein paar Jahre später zurückgekehrt.
Schon ein merkwürdiges Gefühl, wieder bei Skatie's zu sein, um mit Jeffrey Tolliver zu knutschen. Oder es zumindest zu versuchen.
Sara schüttelte den Gedanken ab und steuerte auf die Toilette zu. Sie fasste nach dem Türknauf, ließ ihn aber sofort wieder los, weil sie etwas Klebriges spürte. In diesem Bereich der Bahn war es noch immer recht dunkel, und Sara musste die Hand dicht vors Gesicht halten, um erkennen zu können, was daran klebte. Sie erkannte den Geruch zuerst. Dann sah sie an ihrem Hemd hinunter, wo Jenny Weavers Rucksack es gestreift hatte.
Ein schmaler Blutstreifen zog sich über ihre Brust.
Übersetzung: Teja Schwaner
© der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by Blanvalet Verlag, München
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Autoren-Porträt von Karin Slaughter
Slaughter, KarinKarin Slaughter, Jahrgang 1971, stammt aus Atlanta, Georgia. 2003 erschien ihr Debütroman Belladonna, der sie sofort an die Spitze der internationalen Bestsellerlisten und auf den Thriller-Olymp katapultierte. Ihre Romane um Rechtsmedizinerin Sara Linton, Polizeichef Jeffrey Tolliver und Ermittler Will Trent sind inzwischen in 37 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als 35 Millionen Mal verkauft worden.
Bibliographische Angaben
- Autor: Karin Slaughter
- 2012, 512 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Schwaner, Teja
- Übersetzer: Teja Schwaner
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442379075
- ISBN-13: 9783442379071
- Erscheinungsdatum: 19.11.2012
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