Das Geheimnis von Shangri La / Fargo Adventures Bd.3
Roman. Deutsche Erstausgabe
Der 3. Roman mit dem Schatzsucher-Duo Sam & Remi Fargo
Sam und Remi Fargo sind es gewohnt, nach Schätzen zu jagen, doch diesmal ist das Ziel der Jagd - ein Mensch. Ein Freund wird vermisst, und das Ehepaar verspricht, ihn zu...
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Produktinformationen zu „Das Geheimnis von Shangri La / Fargo Adventures Bd.3 “
Der 3. Roman mit dem Schatzsucher-Duo Sam & Remi Fargo
Sam und Remi Fargo sind es gewohnt, nach Schätzen zu jagen, doch diesmal ist das Ziel der Jagd - ein Mensch. Ein Freund wird vermisst, und das Ehepaar verspricht, ihn zu finden. Sie konnten nicht ahnen, was sie auf ihrer spektakulären Reise erwartet. Schwarzmarktfossilien, ein verlorenes Land in der Nordsee, ein uraltes tibetanisches Königreich, die Bruchstücke eines Straußeneis aus der Steinzeit, überzogen mit seltsamen Zeichen, und ein Skelett, das die Geschichte der menschlichen Evolution auf den Kopf stellen könnte.
Klappentext zu „Das Geheimnis von Shangri La / Fargo Adventures Bd.3 “
Eigentlich suchen Sam und Remi Fargo Schätze, keine Menschen. Doch für ihren Freund Frank Alton machen sie eine Ausnahme. Kaum haben die Fargos den Auftrag angenommen, entgehen sie nur knapp dem ersten Mordanschlag. Halb auf der Flucht, halb auf der Suche folgen sie der Spur zu einem Luftschiff, das einst im Himalaya verschwand. Was hat sich an Bord befunden, dass sich noch heute Killerkommandos an die Fersen der Schatzjäger heften? Verzweifelt suchen die Fargos nach Antworten. Doch die könnten genauso tödlich sein wie die ewige Kälte auf den Gipfeln des Himalayas ...Archäologie, Action und Humor für Indiana-Jones-Fans! Verpassen Sie kein Abenteuer des Schatzjäger-Ehepaars Sam und Remi Fargo. Alle Romane sind einzeln lesbar.
Lese-Probe zu „Das Geheimnis von Shangri La / Fargo Adventures Bd.3 “
Das Geheimnis von Shangri La von Clive Cussler, Grant BlackwoodProlog
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Ein vergessenes Land könnte es sein, dass ich von den einhundertvierzig, die es einmal gegeben hat, vielleicht der letzte Wächter bin? Dieser düstere Gedanke wirbelte durch Dhakals Geist.
Acht Wochen zuvor hatte die Hauptmacht der Eindringlinge sein Land von Osten her in rasender Eile und mit brutaler Grausamkeit überrannt. Kavallerie und Fußsoldaten strömten die Berge herab und schwärmten in die Täler aus, machten die Dörfer dem Erdboden gleich und metzelten jeden nieder, der sich ihnen in den Weg stellte. Mit den Armeen kamen Trupps von Elitesoldaten, die nur eine einzige Aufgabe hatten: den heiligen Theurang zu suchen und zu ihrem König zu bringen.
In weiser Voraussicht entfernten die Wächter, deren Pflicht es war, das heilige Relikt zu beschützen, dieses von seinem Ort der Verehrung und versteckten es.
Dhakal ließ sein Pferd in einen langsamen Trab fallen, verschwand von dem Weg durch eine Lücke zwischen den Bäumen und hielt auf einer kleinen schattigen Lichtung an. Er glitt aus dem Sattel
und gestattete seinem Pferd, zu einem nahen Bach zu trotten und seinen Durst zu stillen.
Er trat hinter das Pferd, um die Ledergurte zu überprüfen, mit denen der würfelförmige Kasten am Bauch des Reittiers befestigt war.
Wie immer befand sich die Last sicher an Ort und Stelle. Der Kasten war ein wahres Wunderding,
derart solide zusammengefügt, dass er einen Sturz aus großer Höhe auf einen Felsen - oder wiederholte heftige Schläge - überstand, ohne nachher auch nur einen Kratzer aufzuweisen.
Er besaß Schlösser in großer Zahl, alle so gut versteckt und genial konstruiert, dass es unmöglich
war, sie aufzubrechen.
Von den zehn Wächtern in Dhakals Kader hatte keiner die Mittel oder die Fähigkeit, diesen einzigartigen Kasten zu öffnen, noch wusste einer von ihnen, ob sein Inhalt echt oder nur eine Nachbildung war. Diese Ehre, oder vielleicht auch dieser Fluch, kam allein Dhakal zu. Wie und warum er ausgewählt worden war, wurde ihm nicht offenbart. Aber er allein wusste, dass sich der verehrte Theurang in dieser heiligen Truhe befand. Schon bald würde er, wenn ihm das Glück hold war, ein sicheres Versteck für die Truhe finden.
Seit fast neun Wochen war er auf der Flucht, nachdem er mit seinem Kader nur wenige Stunden vor den Eindringlingen aus der Hauptstadt hatte entkommen können. Zwei Tage lang, während der Rauch der brennenden Häuser und Felder den Himmel hinter ihnen verdunkelte, waren sie mit hoher Geschwindigkeit nach Süden geritten.
Am dritten Tag trennten sie sich, und jeder Wächter schlug eine vorher bestimmte Richtung ein, die meisten wichen von dem Weg ab, den die Eindringlinge bei ihren weiteren Vorstößen nehmen würden, doch einige wandten sich direkt zurück und den Eindringlingen entgegen.
Diese tapferen Männer waren bereits tot oder wurden von ihren Feinden gefoltert.
Diese, nachdem sie die von jedem Wächter als Köder mitgeführte Truhe in ihren Besitz gebracht hatten, wollten von ihnen wissen, wie die Behälter geöffnet werden konnten.
Wie geplant konnte ihnen keiner diese Frage beantworten.
Was Dhakal betraf, so hatten ihn seine Befehle nach Osten - der aufgehenden Sonne entgegen - geführt, in eine Richtung, die er dann während der vergangenen einundsechzig Tage beibehalten
hatte.
Das Land, in dem er sich nun befand, unterschied sich grundlegend von der wüstenhaften, gebirgigen
Region, in der er aufgewachsen war. Auch hier gab es Berge, doch sie waren dicht bewaldet und wurden durch Täler voneinander getrennt, die mit Seen und Teichen gefüllt waren.
Unsichtbar zu bleiben, war in dieser Gegend viel einfacher, jedoch behinderte sie sein Vorankommen.
Das Terrain war ein zweischneidiges Schwert: Geschickte Verfolger könnten ihn unbemerkt einholen, so dass er keine Chance mehr hätte, ihnen zu entkommen. Bisher war es mehrmals zu heiklen Situationen gekommen, doch seine Erfahrung und sein Training hatten ihm geholfen, sie heil zu überstehen.
Fünf Mal hatte er aus einem Versteck beobachtet, wie seine Verfolger nur wenige Schritte entfernt an ihm vorbeiritten. Und zweimal war er in einen offenen Schlagabtausch mit feindlichen Kavallerieeinheiten geraten.
Wenn auch hoffnungslos in der Unterzahl und erschöpft, hatte er diese Männer getötet, ihre Leichen
und ihre Waffen vergraben und ihre Pferde auseinandergetrieben.
Während der letzten drei Tage hatte er von seinen Verfolgern weder etwas gehört noch gesehen. Auch war er nur wenigen Einheimischen begegnet, und die, mit denen er direkt zusammengetroffen war, hatten ihm kaum Beachtung geschenkt. Dafür war er ihnen, was Gesicht und Statur betraf, zu ähnlich gewesen.
Sein Instinkt riet ihm weiterzureiten, da er nicht genügend Abstand zu ihnen gewonnen hatte und ...
Auf der anderen Seite des Flusses, etwa fünfzig Meter entfernt, knackte in den Bäumen ein Ast. Jedem anderen wäre es nicht aufgefallen, aber Dhakal erkannte es als das typische Geräusch eines Pferdes, das sich durch dichtes Unterholz bewegt. Sein eigenes Pferd hatte aufgehört zu trinken und den Kopf mit zuckenden Ohren wachsam erhoben.
Vom Weg drang ein weiterer Laut herüber, das Scharren eines Pferdehufs auf losem Gestein. Dhakal zog den Bogen aus seinem Futteral, das er auf dem Rücken trug, und dann einen Pfeil aus dem Köcher. Er kauerte sich ins kniehohe Wassergras. Teilweise gedeckt durch die Beine des Pferdes, lugte er unter dem Bauch seines Reittiers hervor und suchte nach Anzeichen für eine verräterische
Bewegung.
Als er nichts dergleichen sah, warf er einen Blick nach rechts. Zwischen den Bäumen konnte er einen Teil des schmalen Pfades überblicken. Er beobachtete und wartete. Dann ein erneutes Hufescharren.
Dhakal legte den Pfeil auf die Sehne und spannte den Bogen. Nur wenige Augenblicke später erschien ein Pferd in kurzem Galopp auf dem Pfad. Das Pferd hielt an. Dhakal konnte nur die Beine des Reiters und seine schwarz behandschuhten Hände erkennen, die auf dem Sattelhorn lagen.
Die Finger hielten die Zügel in lockerem Griff. Die Hand bewegte sich, zog mit leichtem Ruck an den Zügeln.
Das Pferd wieherte leise und stampfte mit einem Huf auf. Eine absichtliche Bewegung, erkannte Dhakal sofort. Eine Störung. Die Angreifer kämen vom Wald. Dhakal spannte den Bogen bis zum Äußersten, zielte und schoss den Pfeil ab. Die Spitze bohrte sich bei dem Mann in die Beuge zwischen
Oberschenkel und Hüfte.
Er schrie auf, griff nach seinem Bein und stürzte vom Pferd. Dhakal wusste sofort, dass er genau getroffen hatte. Der Pfeil war in die Oberschenkelarterie des Kriegers gedrungen; der Mann war nun kampfunfähig und würde innerhalb weniger Minuten sterben.
Immer noch im Gras kauernd, drehte sich Dhakal auf den Hacken, während er gleichzeitig drei weitere Pfeile aus dem Köcher zog. Zwei rammte er vor sich ins Erdreich, den dritten legte er auf die Sehne.
Dort, zehn Meter entfernt, entdeckte er drei Männer, die mit gezückten Schwertern durchs Unterholz auf ihn zukrochen. Dhakal zielte auf die hinterste Gestalt und schoss. Der Mann brach zusammen. In schneller Folge schoss er noch zweimal, traf einen Mann mitten in die Brust und den nächsten in den Hals. Ein vierter Kämpfer stieß einen Kriegsschrei aus und kam aus dem Wald hervorgestürmt. Fast hatte er das Flussufer erreicht, da fällte ihn Dhakals Pfeil.
Im Wald kehrte Stille ein.
Vier, dachte Dhakal irritiert. Sie hatten bisher niemals weniger als ein Dutzend losgeschickt. Wie als Antwort auf seine stumme Frage erklang Hufgetrappel auf dem Weg hinter ihm. Dhakal wirbelte herum und sah mehrere Reiter in einer Linie an ihren toten Gefährten vorbeistürmen.
Drei Pferde... vier ... sieben... zehn Pferde, und immer mehr kamen. Die Übermacht war erdrückend. Dhakal schwang sich auf sein Pferd, legte einen Pfeil auf die Sehne und drehte sich gerade noch rechtzeitig im Sattel, um das erste Pferd der Verfolger durch die Lücke zwischen den Bäumen auf die Lichtung galoppieren zu sehen.
Dhakal schoss. Der Pfeil bohrte sich in das rechte Auge des Reiters. Die Wucht des Aufpralls stieß ihn
rückwärts über den Sattel, wo er vom Hinterteil des Pferdes hochgeworfen und gegen den nachfolgenden Reiter geschleudert wurde. Dessen Pferd bäumte sich auf, wich zurück und versperrte
den Weg. Die nachfolgenden Pferde mitsamt ihren Reitern prallten gegeneinander.
Der Angriff kam ins Stocken. Dhakal rammte seinem Pferd die Fersen in die Flanken. Das Tier sprang vom Flussufer ins Wasser. Dhakal drehte sich, trieb mit den Fersen sein Pferd an und galoppierte
flussabwärts. Er erkannte, dass dies kein Zufallsangriff war. Seine Verfolger waren ihm schon seit einiger Zeit dicht auf den Fersen und hatten es geschafft, ihn zu umzingeln.
Über den Planschgeräuschen der Hufe, die sein Pferd im seichten Wasser verursachte, konnte er sie jetzt hören: Reiter, die rechts von ihm durch den Wald stürmten, und Hufe auf dem Schotterweg zu seiner Linken. Vor ihm krümmte sich der Fluss nach rechts. Dort waren die Bäume und das Unterholz dichter, reichten fast bis ans Ufer, verdeckten die Sonne, so dass er durch einen Halbdämmer ritt. Er hörte einen lauten Ruf und warf einen Blick über die Schulter. Vier Reiter verfolgten ihn. Er sah nach rechts und gewahrte auf gleicher Höhe mit ihm dunkle Pferdeleiber zwischen den Bäumen galoppieren.
Sofort erkannte er, dass sie ihn vor sich hertrieben. Aber wohin? Die Antwort erhielt er nur wenige Sekunden später, als die Bäume sich plötzlich lichteten und er auf eine Wiese
gelangte.
Die Breite des Flusses vervierfachte sich; die Farbe des Wassers verriet ihm außerdem, dass auch seine Tiefe zugenommen hatte. Einer plötzlichen Regung folgend lenkte er sein Pferd nach links, dem sandigen Ufer entgegen.
Unmittelbar vor ihm brachen fünf Reiter in einer Linie zwischen den Bäumen hervor. Zwei hockten tief gebückt in ihren Sätteln und hielten Lanzen vor sich, die anderen drei saßen aufrecht im Sattel
und hatten Bögen in den Händen.
Dhakal legte sich mit dem Oberkörper auf den Hals seines Pferdes und lenkte es mit einem Ruck an den Zügeln zurück nach rechts ins Wasser. Auf dem gegenüberliegenden Ufer waren weitere Reiter in einer Linie zwischen den Bäumen aufgetaucht, auch diese mit Lanzen und Bögen bewaffnet.
Und um den Hinterhalt vollständig zu machen, galoppierte direkt hinter ihm eine weitere Formation
Kavallerie durch den Fluss auf ihn zu.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin fielen alle drei Gruppen gleichzeitig in einen langsamen Trab und blieben dann stehen. Die Lanzen auf ihn gerichtet und die Pfeile auf den Sehnen, beobachteten sie ihn.
Warum folgen sie mir nicht?, fragte er sich.
Und dann hörte er ein ohrenbetäubendes Rauschen. Ein Wasserfall.
Ich bin gefangen. Sitze in der Falle.
Er zügelte sein Pferd und ließ es im Schritt weitergehen, bis sie an eine Flussbiegung kamen. Er hielt an. Hier war das Wasser tiefer, die Strömung nahm beträchtlich zu. In fünfzig Metern Entfernung konnte Dhakal die Dunstwolke erkennen, die sich über dem Fluss sammelte, außerdem sah er das Wasser schäumend über die Kante der Stromschnelle stürzen.
Er wandte sich im Sattel um. Seine Verfolger hatten sich nicht gerührt - bis auf einen einzelnen
Reiter. Seine Rüstung verriet Dhakal, dass er der Anführer der Gruppe war. Der Mann näherte sich ihm bis auf fünf Meter, blieb dann stehen und hob beide Hände, um ihm zu zeigen, dass er nicht bewaffnet war. Er rief etwas.
Dhakal verstand die Sprache nicht, aber die Bedeutung der Worte war unmissverständlich: beschwichtigend.
Es ist aus, sagte der Mann sicherlich. Du hast gut gekämpft, hast deine Pflicht getan. Gib auf, und du wirst anständig behandelt.
Es war eine Lüge. Er würde gefoltert und am Ende getötet werden. Aber lieber wollte er kämpfend
sterben, als den Theurang in die Hände der verfluchten Feinde fallen zu lassen.
Dhakal wendete sein Pferd, bis er seinen Verfolgern in die Augen sah. Mit einer übertrieben langsamen Geste nahm er den Bogen von seinem Rücken und warf ihn in den Fluss. Das Gleiche tat er mit dem Köcher sowie mit seinem langen und seinem kurzen Schwert. Zuletzt folgte der Dolch in seinem Gürtel.
Der Anführer nickte respektvoll, dann wandte er sich im Sattel um und rief seinen Männern etwas zu. Einer nach dem anderen richteten sie die Lanzen auf, ließen die Bögen sinken und schoben sie in ihre Lederhüllen. Der Anführer drehte sich wieder zu Dhakal um, hob eine Hand und bedeutete ihm mit einer Geste, zu ihm zu kommen.
Dhakal lächelte und schüttelte den Kopf. Er zerrte die Zügel nach rechts und riss sein Pferd herum,
dann rammte er ihm die Fersen in die Flanken. Das Pferd bäumtesich auf, spannte die Beine an und sprengte auf die Gischtwolke zu, die vom Wasserfall aufstieg.
Im Grenzland der Provinz Xizang,
Qing-Dynastie,
China, 1677
Noch vor seinem Bruder sah Giuseppe die Staubwolke am östlichen Horizont. Eine Meile breit und durch die Seitenwände eines engen Tals begrenzt, kam die wirbelnde Wand aus Sand und Geröll direkt auf sie zu. Das Spektakel im Auge behaltend, tippte Giuseppe seinem älteren Bruder auf die Schulter.
Francesco Lana de Terzi aus Brescia in der Lombardei erhob sich aus seiner knienden Haltung vom Erdboden, wo er einen Stapel Konstruktionszeichnungen ausgebreitet hatte, um sie zu studieren,
und blickte in die Richtung, in die Giuseppe deutete. Der jüngere Lana de Terzi flüsterte nervös:
»Ist das ein Sturm?«
»Etwas Ähnliches«, antwortete Francesco.
»Aber nicht von der Art, die du meinst.«
Hinter dieser Staubwolke folgte kein weiterer windgepeitschter Sandsturm von der Art, an die sie sich während des letzten halben Jahres gewöhnt hatten, stattdessen waren es Hunderte von stampfenden Pferdehufen. Und auf den Pferden saßen Hunderte von auserlesenen und höchst gefährlichen Soldaten.
Francesco gab Giuseppe einen beruhigenden Klaps auf die Schulter.
»Mach dir keine Sorgen, Bruder, ich habe sie schon erwartet - wenn ich auch zugeben muss, nicht so früh.«
»Ist er es?«, krächzte Giuseppe.
»Kommt er? Das hast du mir nicht gesagt.«
»Ich wollte dich nicht ängstigen. Keine Sorge. Noch haben wir Zeit.«
Francesco hob eine Hand, um die Augen gegen die Sonne abzuschirmen, und studierte die Wolke,
während sie sich weiter näherte.
Entfernungen waren hier trügerisch, wie er gelernt hatte. Die Weiten des Qing-Kaiserreichs lagen hinter dem Horizont. In den zwei Jahren, die sie nun in diesem Land verbrachten, hatten Francesco und sein Bruder eine unendliche Vielfalt von Landschaften kennengelernt - von Urwäldern über Wälder bis zu Wüsten. Von allen war jedoch dieser Ort, diese Region, deren Name auf ein Dutzend
verschiedene Arten ausgesprochen und geschrieben wurde, die gottverlassenste.
Vorwiegend aus Bergen bestehend, einige eher hügelig und mit runden Kuppen, andere steil und zerklüftet, war dieses Land ein Leinwandgemälde in nur zwei Farben: braun und grau.
Selbst das Wasser der Flüsse, das durch die Täler schäumte, war von einem stumpfen Grau. Es machte den Eindruck, als hätte Gott diesen Ort mit einer einzigen Handbewegung verflucht.
An Tagen, wenn sich die Wolken teilten, schien der strahlend blaue Himmel die Eintönigkeit der aschgrauen Landschaft noch zu vertiefen.
Und dann war da noch der Wind, dachte Francesco schaudernd. Dieser scheinbar ewige Wind, der durch die Felsschroffen pfiff und Staubwirbel über den Erdboden trieb, die so lebendig wirkten, dass die Einheimischen in diesem Naturschauspiel Geister sahen, die gekommen schienen, um sie zu holen.
Noch vor einem halben Jahr hatte Francesco, Wissenschaftler von Drang und Ausbildung, über solchen Aberglauben nur gespottet. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Des Nachts hatte er einfach zu viele seltsame Geräusche gehört.
Nur noch ein paar Tage, tröstete er sich, dann haben wir die Mittel, die wir brauchen.
Aber es war nicht nur eine Frage der Zeit, nicht wahr? Er hatte in einen Handel mit dem Teufel
eingewilligt. Dass er es für das höhere Wohl tat, war etwas, von dem er sich erhoffte, dass Gott sich am Tag des Jüngsten Gerichts daran erinnern würde.
Er studierte ein paar weitere Sekunden lang die herannahende Wand aus Staub, ehe er die Hand sinken ließ und zu Giuseppe sagte:
»Sie sind noch gut dreißig Kilometer entfernt. Wir haben also mindestens eine Stunde. Komm, lass
uns fertig werden.«
Francesco wandte sich um und rief einen der Männer mit untersetzter, kräftiger Gestalt in einem schlichten Gewand und einer Hose aus grob gewebtem schwarzem Stoff.
Hao, Francescos wichtigster Verbindungsmann und Dolmetscher, kam im Laufschritt herbei.
»Ja bitte, Sire!«, sagte er in einem passablen Italienisch, das jedoch mit einem starken Akzent gefärbt
war.
Francesco seufzte.
Auch wenn er es schon vor langer Zeit aufgegeben hatte, Hao dazu zu bewegen, ihn nur mit seinem Vornamen anzusprechen, hatte er doch gehofft, dass der Mann wenigstens auf diese
Förmlichkeit verzichtete.
»Sag den Männern, sie sollen sich beeilen. Unser Gast wird in Kürze eintreffen.«
Hao blickte zum Horizont und sah, worauf Giuseppe ein paar Minuten zuvor aufmerksam gemacht
hatte. Seine Augen weiteten sich. Er nickte kurz und sagte:
»Es wird erledigt, Sire!«
Dann machte er kehrt und begann dem Dutzend einheimischer Männer, die auf dem gerodeten Gelände des Hügels herumspazierten, Befehle zuzurufen. Danach eilte er davon, um sich zu beteiligen.
Die Rodung, deren Fläche einhundert Schritte im Quadrat betrug, war eigentlich das Dach über dem Innenhof des Gompa. Auf allen Seiten der Lichtung folgten seine mit Zinnen und Wachtürmen bewehrten Mauern den Berggraten bis zum Grund des Tales hinunter wie die Stachel auf dem Rücken einer Echse. Während Francesco erklärt worden war, dass ein Gompa im Wesentlichen ein befestigtes Zentrum für Erziehung und Ausbildung war, übten die Bewohner dieser Festung anscheinend nur eine einzige Tätigkeit aus: das Kriegshandwerk.
Und dafür war er dankbar. Wie die häufigen Überfälle und Scharmützel bewiesen, die unten auf den weiten Ebenen stattfanden, lebten er und seine Männer an den Grenzen des Reichs. Es war kein Zufall, dass man sie hierhergebracht hatte, um die Arbeit an der Maschine, die ihr Wohltäter Großer Drachen getauft hatte, abzuschließen.
Die Rodung hallte jetzt von den einander überlagernden Hammerschlägen auf Holz wider, als Haos Arbeiter sich beeilten, die letzten Pflöcke in den steinigen Untergrund zu treiben. Überall auf der freien, gerodeten Fläche stiegen braune Staubwolken in die Luft, wo sie vom Wind erfasst wurden
und zu einem Nichts zerstoben.
Nach zehn Minuten verstummten die Hammerschläge.
Hao eilte dorthin zurück, wo Francesco und Giuseppe standen.
»Wir sind fertig, Sire.«
Francesco ging ein paar Schritte zurück und begutachtete das Bauwerk. Er war zufrieden. Es auf Papier zu entwerfen, war eine Sache; es dann aber tatsächlich zum Leben erwachen zu sehen, war etwas vollkommen anderes.
Mit dreizehn Metern Höhe, drei Viertel der Rodung einnehmend und aus schneeweißer Seide
gefertigt, mit außen liegenden Bambusstreben, die blutrot angemalt waren, erschien das Zelt wie eine Burg aus Wolken.
Aus dem Englischen von Michael Kubiak
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Ein vergessenes Land könnte es sein, dass ich von den einhundertvierzig, die es einmal gegeben hat, vielleicht der letzte Wächter bin? Dieser düstere Gedanke wirbelte durch Dhakals Geist.
Acht Wochen zuvor hatte die Hauptmacht der Eindringlinge sein Land von Osten her in rasender Eile und mit brutaler Grausamkeit überrannt. Kavallerie und Fußsoldaten strömten die Berge herab und schwärmten in die Täler aus, machten die Dörfer dem Erdboden gleich und metzelten jeden nieder, der sich ihnen in den Weg stellte. Mit den Armeen kamen Trupps von Elitesoldaten, die nur eine einzige Aufgabe hatten: den heiligen Theurang zu suchen und zu ihrem König zu bringen.
In weiser Voraussicht entfernten die Wächter, deren Pflicht es war, das heilige Relikt zu beschützen, dieses von seinem Ort der Verehrung und versteckten es.
Dhakal ließ sein Pferd in einen langsamen Trab fallen, verschwand von dem Weg durch eine Lücke zwischen den Bäumen und hielt auf einer kleinen schattigen Lichtung an. Er glitt aus dem Sattel
und gestattete seinem Pferd, zu einem nahen Bach zu trotten und seinen Durst zu stillen.
Er trat hinter das Pferd, um die Ledergurte zu überprüfen, mit denen der würfelförmige Kasten am Bauch des Reittiers befestigt war.
Wie immer befand sich die Last sicher an Ort und Stelle. Der Kasten war ein wahres Wunderding,
derart solide zusammengefügt, dass er einen Sturz aus großer Höhe auf einen Felsen - oder wiederholte heftige Schläge - überstand, ohne nachher auch nur einen Kratzer aufzuweisen.
Er besaß Schlösser in großer Zahl, alle so gut versteckt und genial konstruiert, dass es unmöglich
war, sie aufzubrechen.
Von den zehn Wächtern in Dhakals Kader hatte keiner die Mittel oder die Fähigkeit, diesen einzigartigen Kasten zu öffnen, noch wusste einer von ihnen, ob sein Inhalt echt oder nur eine Nachbildung war. Diese Ehre, oder vielleicht auch dieser Fluch, kam allein Dhakal zu. Wie und warum er ausgewählt worden war, wurde ihm nicht offenbart. Aber er allein wusste, dass sich der verehrte Theurang in dieser heiligen Truhe befand. Schon bald würde er, wenn ihm das Glück hold war, ein sicheres Versteck für die Truhe finden.
Seit fast neun Wochen war er auf der Flucht, nachdem er mit seinem Kader nur wenige Stunden vor den Eindringlingen aus der Hauptstadt hatte entkommen können. Zwei Tage lang, während der Rauch der brennenden Häuser und Felder den Himmel hinter ihnen verdunkelte, waren sie mit hoher Geschwindigkeit nach Süden geritten.
Am dritten Tag trennten sie sich, und jeder Wächter schlug eine vorher bestimmte Richtung ein, die meisten wichen von dem Weg ab, den die Eindringlinge bei ihren weiteren Vorstößen nehmen würden, doch einige wandten sich direkt zurück und den Eindringlingen entgegen.
Diese tapferen Männer waren bereits tot oder wurden von ihren Feinden gefoltert.
Diese, nachdem sie die von jedem Wächter als Köder mitgeführte Truhe in ihren Besitz gebracht hatten, wollten von ihnen wissen, wie die Behälter geöffnet werden konnten.
Wie geplant konnte ihnen keiner diese Frage beantworten.
Was Dhakal betraf, so hatten ihn seine Befehle nach Osten - der aufgehenden Sonne entgegen - geführt, in eine Richtung, die er dann während der vergangenen einundsechzig Tage beibehalten
hatte.
Das Land, in dem er sich nun befand, unterschied sich grundlegend von der wüstenhaften, gebirgigen
Region, in der er aufgewachsen war. Auch hier gab es Berge, doch sie waren dicht bewaldet und wurden durch Täler voneinander getrennt, die mit Seen und Teichen gefüllt waren.
Unsichtbar zu bleiben, war in dieser Gegend viel einfacher, jedoch behinderte sie sein Vorankommen.
Das Terrain war ein zweischneidiges Schwert: Geschickte Verfolger könnten ihn unbemerkt einholen, so dass er keine Chance mehr hätte, ihnen zu entkommen. Bisher war es mehrmals zu heiklen Situationen gekommen, doch seine Erfahrung und sein Training hatten ihm geholfen, sie heil zu überstehen.
Fünf Mal hatte er aus einem Versteck beobachtet, wie seine Verfolger nur wenige Schritte entfernt an ihm vorbeiritten. Und zweimal war er in einen offenen Schlagabtausch mit feindlichen Kavallerieeinheiten geraten.
Wenn auch hoffnungslos in der Unterzahl und erschöpft, hatte er diese Männer getötet, ihre Leichen
und ihre Waffen vergraben und ihre Pferde auseinandergetrieben.
Während der letzten drei Tage hatte er von seinen Verfolgern weder etwas gehört noch gesehen. Auch war er nur wenigen Einheimischen begegnet, und die, mit denen er direkt zusammengetroffen war, hatten ihm kaum Beachtung geschenkt. Dafür war er ihnen, was Gesicht und Statur betraf, zu ähnlich gewesen.
Sein Instinkt riet ihm weiterzureiten, da er nicht genügend Abstand zu ihnen gewonnen hatte und ...
Auf der anderen Seite des Flusses, etwa fünfzig Meter entfernt, knackte in den Bäumen ein Ast. Jedem anderen wäre es nicht aufgefallen, aber Dhakal erkannte es als das typische Geräusch eines Pferdes, das sich durch dichtes Unterholz bewegt. Sein eigenes Pferd hatte aufgehört zu trinken und den Kopf mit zuckenden Ohren wachsam erhoben.
Vom Weg drang ein weiterer Laut herüber, das Scharren eines Pferdehufs auf losem Gestein. Dhakal zog den Bogen aus seinem Futteral, das er auf dem Rücken trug, und dann einen Pfeil aus dem Köcher. Er kauerte sich ins kniehohe Wassergras. Teilweise gedeckt durch die Beine des Pferdes, lugte er unter dem Bauch seines Reittiers hervor und suchte nach Anzeichen für eine verräterische
Bewegung.
Als er nichts dergleichen sah, warf er einen Blick nach rechts. Zwischen den Bäumen konnte er einen Teil des schmalen Pfades überblicken. Er beobachtete und wartete. Dann ein erneutes Hufescharren.
Dhakal legte den Pfeil auf die Sehne und spannte den Bogen. Nur wenige Augenblicke später erschien ein Pferd in kurzem Galopp auf dem Pfad. Das Pferd hielt an. Dhakal konnte nur die Beine des Reiters und seine schwarz behandschuhten Hände erkennen, die auf dem Sattelhorn lagen.
Die Finger hielten die Zügel in lockerem Griff. Die Hand bewegte sich, zog mit leichtem Ruck an den Zügeln.
Das Pferd wieherte leise und stampfte mit einem Huf auf. Eine absichtliche Bewegung, erkannte Dhakal sofort. Eine Störung. Die Angreifer kämen vom Wald. Dhakal spannte den Bogen bis zum Äußersten, zielte und schoss den Pfeil ab. Die Spitze bohrte sich bei dem Mann in die Beuge zwischen
Oberschenkel und Hüfte.
Er schrie auf, griff nach seinem Bein und stürzte vom Pferd. Dhakal wusste sofort, dass er genau getroffen hatte. Der Pfeil war in die Oberschenkelarterie des Kriegers gedrungen; der Mann war nun kampfunfähig und würde innerhalb weniger Minuten sterben.
Immer noch im Gras kauernd, drehte sich Dhakal auf den Hacken, während er gleichzeitig drei weitere Pfeile aus dem Köcher zog. Zwei rammte er vor sich ins Erdreich, den dritten legte er auf die Sehne.
Dort, zehn Meter entfernt, entdeckte er drei Männer, die mit gezückten Schwertern durchs Unterholz auf ihn zukrochen. Dhakal zielte auf die hinterste Gestalt und schoss. Der Mann brach zusammen. In schneller Folge schoss er noch zweimal, traf einen Mann mitten in die Brust und den nächsten in den Hals. Ein vierter Kämpfer stieß einen Kriegsschrei aus und kam aus dem Wald hervorgestürmt. Fast hatte er das Flussufer erreicht, da fällte ihn Dhakals Pfeil.
Im Wald kehrte Stille ein.
Vier, dachte Dhakal irritiert. Sie hatten bisher niemals weniger als ein Dutzend losgeschickt. Wie als Antwort auf seine stumme Frage erklang Hufgetrappel auf dem Weg hinter ihm. Dhakal wirbelte herum und sah mehrere Reiter in einer Linie an ihren toten Gefährten vorbeistürmen.
Drei Pferde... vier ... sieben... zehn Pferde, und immer mehr kamen. Die Übermacht war erdrückend. Dhakal schwang sich auf sein Pferd, legte einen Pfeil auf die Sehne und drehte sich gerade noch rechtzeitig im Sattel, um das erste Pferd der Verfolger durch die Lücke zwischen den Bäumen auf die Lichtung galoppieren zu sehen.
Dhakal schoss. Der Pfeil bohrte sich in das rechte Auge des Reiters. Die Wucht des Aufpralls stieß ihn
rückwärts über den Sattel, wo er vom Hinterteil des Pferdes hochgeworfen und gegen den nachfolgenden Reiter geschleudert wurde. Dessen Pferd bäumte sich auf, wich zurück und versperrte
den Weg. Die nachfolgenden Pferde mitsamt ihren Reitern prallten gegeneinander.
Der Angriff kam ins Stocken. Dhakal rammte seinem Pferd die Fersen in die Flanken. Das Tier sprang vom Flussufer ins Wasser. Dhakal drehte sich, trieb mit den Fersen sein Pferd an und galoppierte
flussabwärts. Er erkannte, dass dies kein Zufallsangriff war. Seine Verfolger waren ihm schon seit einiger Zeit dicht auf den Fersen und hatten es geschafft, ihn zu umzingeln.
Über den Planschgeräuschen der Hufe, die sein Pferd im seichten Wasser verursachte, konnte er sie jetzt hören: Reiter, die rechts von ihm durch den Wald stürmten, und Hufe auf dem Schotterweg zu seiner Linken. Vor ihm krümmte sich der Fluss nach rechts. Dort waren die Bäume und das Unterholz dichter, reichten fast bis ans Ufer, verdeckten die Sonne, so dass er durch einen Halbdämmer ritt. Er hörte einen lauten Ruf und warf einen Blick über die Schulter. Vier Reiter verfolgten ihn. Er sah nach rechts und gewahrte auf gleicher Höhe mit ihm dunkle Pferdeleiber zwischen den Bäumen galoppieren.
Sofort erkannte er, dass sie ihn vor sich hertrieben. Aber wohin? Die Antwort erhielt er nur wenige Sekunden später, als die Bäume sich plötzlich lichteten und er auf eine Wiese
gelangte.
Die Breite des Flusses vervierfachte sich; die Farbe des Wassers verriet ihm außerdem, dass auch seine Tiefe zugenommen hatte. Einer plötzlichen Regung folgend lenkte er sein Pferd nach links, dem sandigen Ufer entgegen.
Unmittelbar vor ihm brachen fünf Reiter in einer Linie zwischen den Bäumen hervor. Zwei hockten tief gebückt in ihren Sätteln und hielten Lanzen vor sich, die anderen drei saßen aufrecht im Sattel
und hatten Bögen in den Händen.
Dhakal legte sich mit dem Oberkörper auf den Hals seines Pferdes und lenkte es mit einem Ruck an den Zügeln zurück nach rechts ins Wasser. Auf dem gegenüberliegenden Ufer waren weitere Reiter in einer Linie zwischen den Bäumen aufgetaucht, auch diese mit Lanzen und Bögen bewaffnet.
Und um den Hinterhalt vollständig zu machen, galoppierte direkt hinter ihm eine weitere Formation
Kavallerie durch den Fluss auf ihn zu.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin fielen alle drei Gruppen gleichzeitig in einen langsamen Trab und blieben dann stehen. Die Lanzen auf ihn gerichtet und die Pfeile auf den Sehnen, beobachteten sie ihn.
Warum folgen sie mir nicht?, fragte er sich.
Und dann hörte er ein ohrenbetäubendes Rauschen. Ein Wasserfall.
Ich bin gefangen. Sitze in der Falle.
Er zügelte sein Pferd und ließ es im Schritt weitergehen, bis sie an eine Flussbiegung kamen. Er hielt an. Hier war das Wasser tiefer, die Strömung nahm beträchtlich zu. In fünfzig Metern Entfernung konnte Dhakal die Dunstwolke erkennen, die sich über dem Fluss sammelte, außerdem sah er das Wasser schäumend über die Kante der Stromschnelle stürzen.
Er wandte sich im Sattel um. Seine Verfolger hatten sich nicht gerührt - bis auf einen einzelnen
Reiter. Seine Rüstung verriet Dhakal, dass er der Anführer der Gruppe war. Der Mann näherte sich ihm bis auf fünf Meter, blieb dann stehen und hob beide Hände, um ihm zu zeigen, dass er nicht bewaffnet war. Er rief etwas.
Dhakal verstand die Sprache nicht, aber die Bedeutung der Worte war unmissverständlich: beschwichtigend.
Es ist aus, sagte der Mann sicherlich. Du hast gut gekämpft, hast deine Pflicht getan. Gib auf, und du wirst anständig behandelt.
Es war eine Lüge. Er würde gefoltert und am Ende getötet werden. Aber lieber wollte er kämpfend
sterben, als den Theurang in die Hände der verfluchten Feinde fallen zu lassen.
Dhakal wendete sein Pferd, bis er seinen Verfolgern in die Augen sah. Mit einer übertrieben langsamen Geste nahm er den Bogen von seinem Rücken und warf ihn in den Fluss. Das Gleiche tat er mit dem Köcher sowie mit seinem langen und seinem kurzen Schwert. Zuletzt folgte der Dolch in seinem Gürtel.
Der Anführer nickte respektvoll, dann wandte er sich im Sattel um und rief seinen Männern etwas zu. Einer nach dem anderen richteten sie die Lanzen auf, ließen die Bögen sinken und schoben sie in ihre Lederhüllen. Der Anführer drehte sich wieder zu Dhakal um, hob eine Hand und bedeutete ihm mit einer Geste, zu ihm zu kommen.
Dhakal lächelte und schüttelte den Kopf. Er zerrte die Zügel nach rechts und riss sein Pferd herum,
dann rammte er ihm die Fersen in die Flanken. Das Pferd bäumtesich auf, spannte die Beine an und sprengte auf die Gischtwolke zu, die vom Wasserfall aufstieg.
Im Grenzland der Provinz Xizang,
Qing-Dynastie,
China, 1677
Noch vor seinem Bruder sah Giuseppe die Staubwolke am östlichen Horizont. Eine Meile breit und durch die Seitenwände eines engen Tals begrenzt, kam die wirbelnde Wand aus Sand und Geröll direkt auf sie zu. Das Spektakel im Auge behaltend, tippte Giuseppe seinem älteren Bruder auf die Schulter.
Francesco Lana de Terzi aus Brescia in der Lombardei erhob sich aus seiner knienden Haltung vom Erdboden, wo er einen Stapel Konstruktionszeichnungen ausgebreitet hatte, um sie zu studieren,
und blickte in die Richtung, in die Giuseppe deutete. Der jüngere Lana de Terzi flüsterte nervös:
»Ist das ein Sturm?«
»Etwas Ähnliches«, antwortete Francesco.
»Aber nicht von der Art, die du meinst.«
Hinter dieser Staubwolke folgte kein weiterer windgepeitschter Sandsturm von der Art, an die sie sich während des letzten halben Jahres gewöhnt hatten, stattdessen waren es Hunderte von stampfenden Pferdehufen. Und auf den Pferden saßen Hunderte von auserlesenen und höchst gefährlichen Soldaten.
Francesco gab Giuseppe einen beruhigenden Klaps auf die Schulter.
»Mach dir keine Sorgen, Bruder, ich habe sie schon erwartet - wenn ich auch zugeben muss, nicht so früh.«
»Ist er es?«, krächzte Giuseppe.
»Kommt er? Das hast du mir nicht gesagt.«
»Ich wollte dich nicht ängstigen. Keine Sorge. Noch haben wir Zeit.«
Francesco hob eine Hand, um die Augen gegen die Sonne abzuschirmen, und studierte die Wolke,
während sie sich weiter näherte.
Entfernungen waren hier trügerisch, wie er gelernt hatte. Die Weiten des Qing-Kaiserreichs lagen hinter dem Horizont. In den zwei Jahren, die sie nun in diesem Land verbrachten, hatten Francesco und sein Bruder eine unendliche Vielfalt von Landschaften kennengelernt - von Urwäldern über Wälder bis zu Wüsten. Von allen war jedoch dieser Ort, diese Region, deren Name auf ein Dutzend
verschiedene Arten ausgesprochen und geschrieben wurde, die gottverlassenste.
Vorwiegend aus Bergen bestehend, einige eher hügelig und mit runden Kuppen, andere steil und zerklüftet, war dieses Land ein Leinwandgemälde in nur zwei Farben: braun und grau.
Selbst das Wasser der Flüsse, das durch die Täler schäumte, war von einem stumpfen Grau. Es machte den Eindruck, als hätte Gott diesen Ort mit einer einzigen Handbewegung verflucht.
An Tagen, wenn sich die Wolken teilten, schien der strahlend blaue Himmel die Eintönigkeit der aschgrauen Landschaft noch zu vertiefen.
Und dann war da noch der Wind, dachte Francesco schaudernd. Dieser scheinbar ewige Wind, der durch die Felsschroffen pfiff und Staubwirbel über den Erdboden trieb, die so lebendig wirkten, dass die Einheimischen in diesem Naturschauspiel Geister sahen, die gekommen schienen, um sie zu holen.
Noch vor einem halben Jahr hatte Francesco, Wissenschaftler von Drang und Ausbildung, über solchen Aberglauben nur gespottet. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Des Nachts hatte er einfach zu viele seltsame Geräusche gehört.
Nur noch ein paar Tage, tröstete er sich, dann haben wir die Mittel, die wir brauchen.
Aber es war nicht nur eine Frage der Zeit, nicht wahr? Er hatte in einen Handel mit dem Teufel
eingewilligt. Dass er es für das höhere Wohl tat, war etwas, von dem er sich erhoffte, dass Gott sich am Tag des Jüngsten Gerichts daran erinnern würde.
Er studierte ein paar weitere Sekunden lang die herannahende Wand aus Staub, ehe er die Hand sinken ließ und zu Giuseppe sagte:
»Sie sind noch gut dreißig Kilometer entfernt. Wir haben also mindestens eine Stunde. Komm, lass
uns fertig werden.«
Francesco wandte sich um und rief einen der Männer mit untersetzter, kräftiger Gestalt in einem schlichten Gewand und einer Hose aus grob gewebtem schwarzem Stoff.
Hao, Francescos wichtigster Verbindungsmann und Dolmetscher, kam im Laufschritt herbei.
»Ja bitte, Sire!«, sagte er in einem passablen Italienisch, das jedoch mit einem starken Akzent gefärbt
war.
Francesco seufzte.
Auch wenn er es schon vor langer Zeit aufgegeben hatte, Hao dazu zu bewegen, ihn nur mit seinem Vornamen anzusprechen, hatte er doch gehofft, dass der Mann wenigstens auf diese
Förmlichkeit verzichtete.
»Sag den Männern, sie sollen sich beeilen. Unser Gast wird in Kürze eintreffen.«
Hao blickte zum Horizont und sah, worauf Giuseppe ein paar Minuten zuvor aufmerksam gemacht
hatte. Seine Augen weiteten sich. Er nickte kurz und sagte:
»Es wird erledigt, Sire!«
Dann machte er kehrt und begann dem Dutzend einheimischer Männer, die auf dem gerodeten Gelände des Hügels herumspazierten, Befehle zuzurufen. Danach eilte er davon, um sich zu beteiligen.
Die Rodung, deren Fläche einhundert Schritte im Quadrat betrug, war eigentlich das Dach über dem Innenhof des Gompa. Auf allen Seiten der Lichtung folgten seine mit Zinnen und Wachtürmen bewehrten Mauern den Berggraten bis zum Grund des Tales hinunter wie die Stachel auf dem Rücken einer Echse. Während Francesco erklärt worden war, dass ein Gompa im Wesentlichen ein befestigtes Zentrum für Erziehung und Ausbildung war, übten die Bewohner dieser Festung anscheinend nur eine einzige Tätigkeit aus: das Kriegshandwerk.
Und dafür war er dankbar. Wie die häufigen Überfälle und Scharmützel bewiesen, die unten auf den weiten Ebenen stattfanden, lebten er und seine Männer an den Grenzen des Reichs. Es war kein Zufall, dass man sie hierhergebracht hatte, um die Arbeit an der Maschine, die ihr Wohltäter Großer Drachen getauft hatte, abzuschließen.
Die Rodung hallte jetzt von den einander überlagernden Hammerschlägen auf Holz wider, als Haos Arbeiter sich beeilten, die letzten Pflöcke in den steinigen Untergrund zu treiben. Überall auf der freien, gerodeten Fläche stiegen braune Staubwolken in die Luft, wo sie vom Wind erfasst wurden
und zu einem Nichts zerstoben.
Nach zehn Minuten verstummten die Hammerschläge.
Hao eilte dorthin zurück, wo Francesco und Giuseppe standen.
»Wir sind fertig, Sire.«
Francesco ging ein paar Schritte zurück und begutachtete das Bauwerk. Er war zufrieden. Es auf Papier zu entwerfen, war eine Sache; es dann aber tatsächlich zum Leben erwachen zu sehen, war etwas vollkommen anderes.
Mit dreizehn Metern Höhe, drei Viertel der Rodung einnehmend und aus schneeweißer Seide
gefertigt, mit außen liegenden Bambusstreben, die blutrot angemalt waren, erschien das Zelt wie eine Burg aus Wolken.
Aus dem Englischen von Michael Kubiak
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Clive Cussler, Grant Blackwood
Seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein New-York-Times-Bestseller. Auch auf der deutschen SPIEGEL-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2020 in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.Grant Blackwood ist ein Veteran der U.S. Navy, wo er an Bord einer Fregatte als Chefoperator und Rettungsschwimmer Dienst tat. Er lebt in Colorado. Grant Blackwood ist ein Veteran der U.S. Navy, wo er an Bord einer Fregatte als Chefoperator und Rettungsschwimmer Dienst tat. Er lebt in Colorado.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Clive Cussler , Grant Blackwood
- 2012, Deutsche Erstausgabe, 480 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Michael Kubiak
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442380693
- ISBN-13: 9783442380695
- Erscheinungsdatum: 14.11.2012
Rezension zu „Das Geheimnis von Shangri La / Fargo Adventures Bd.3 “
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