Die Insel der roten Mangroven
Roman
Tropisches Flair und Romantik pur: der neue Bestseller von Sarah Lark! Entfliehen Sie den grauen Wintertagen und träumen Sie sich davon.
Jamaika, 1754: Deirdre, die Tochter der Engländerin Nora und des Sklaven...
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Produktinformationen zu „Die Insel der roten Mangroven “
Tropisches Flair und Romantik pur: der neue Bestseller von Sarah Lark! Entfliehen Sie den grauen Wintertagen und träumen Sie sich davon.
Jamaika, 1754: Deirdre, die Tochter der Engländerin Nora und des Sklaven Akwasi, lebt behütet auf der Plantage ihrer Mutter. Männer waren bisher kein Thema bis der Arzt Patrick um ihre Hand anhält. Gemeinsam reisen sie nach Saint Domingue. Doch dort stellt sie das Schicksal vor große Prüfungen.
Klappentext zu „Die Insel der roten Mangroven “
Jamaika, 1753: Deirdre, die Tochter der Engländerin Nora Fortnam und des Sklaven Akwasi, lebt behütet auf der Plantage ihrer Mutter und ihres Stiefvaters. Die jungen Männer der Insel umschwärmen sie trotz ihrer anrüchigen Herkunft. Doch Deirdre zeigt an keinem Interesse - bis der junge Arzt Victor Dufresne um ihre Hand anhält. Nach einer prunkvollen Hochzeitsfeier schiffen sich Victor und Deirdre ein nach Saint-Domingue auf der Insel Hispaniola - und was dort geschehen
wird, soll alles verändern - Fesselnder Roman vor historischem Hintergrund. Bewegende Geschichte in grandioser Landschaft von der internationalen Bestsellerautorin Sarah Lark.
Lese-Probe zu „Die Insel der roten Mangroven “
Die Insel der roten Mangroven von SARAH LARKKAPITEL 1
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Eigentlich sollten wir das ja nicht unterstützen ...« Lady Lucille Hornby-Warrington schaute missmutig aus ihrer offenen Kutsche hinaus in den sonnigen Sommertag. Dabei gab es nicht viel zu sehen, die Wege zwischen der Hollister- und der Fortnam-Plantage waren staubig und gesäumt von Zuckerrohrpflanzungen. Die schilfähnlichen Gräser erreichten eine Höhe von bis zu sechs Metern - die Straßen erschienen wie frisch geschlagene Schneisen durch das üppige Grün. Die Lady war zwangsläufig gelangweilt. Lord Warrington, ihr Gatte, taxierte die Höhe und den Umfang der Pflanzen dafür umso interessierter. Schließlich bezog die Plantage, die er für den Onkel seiner Frau verwaltete, ihren Reichtum ebenfalls aus dem Zuckerrohr, und dieses Jahr deutete alles auf eine gute Ernte hin. Warrington wirkte denn auch erheblich besser gelaunt als seine Frau.
»Das meinst du nicht ernst«, beschied er die Lady gelassen und auch ein wenig spöttisch. »Ein Fest bei den Fortnams auslassen, nur weil dir der Anlass nicht passt? Darf ich dich daran erinnern, dass Nora und Doug die beste Köchin der Gegend haben, den schönsten Tanzsaal besitzen und stets die begabtesten Musikanten engagieren? Und das Mädchen ist doch auch ganz reizend.«
»Das Mädchen ist ein Halbblut!«, erklärte seine Gattin mit verkniffenem Gesicht. »Eine Mulattin. So was gehört ins Sklavenquartier. Man zieht es nicht als ›Tochter des Hauses‹ auf, und man feiert nicht groß seine ›Volljährigkeit‹. Aber Doug Fortnam tut ja so, als hätte er mit Zeugung und Aufzucht dieses Bastards eine Glanzleistung vollbracht!«
Warrington lächelte. Bekannt für die Zeugung von Bastarden mit schwarzen Sklavinnen war eigentlich eher Lord Hollister, Lucilles Onkel. Lucille und ihre Tante sahen zwar darüber hinweg, tatsächlich bevölkerten immer noch Dutzende ihrer Halbcousinen und -cousins die Hollister-Plantage. Auch ihr Kutscher Jimmy zeigte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Besitzer der Plantage, der sich seit einigen Jahren in sein Stadthaus in Kingston zurückgezogen hatte. Die Plantage hatte er Lucilles Gatten überlassen, nachdem er die junge Frau, die aus der mittellosen Beamtenfamilie Hornby in London stammte, an Kindes statt angenommen hatte. Mit seiner Gattin hatte Lord Hollister keine Kinder. Doug und Nora Fortnam dagegen hatten neben der heutigen Debütantin noch zwei jüngere Söhne.
»Ist das Mädchen nicht tatsächlich Noras außereheliche Tochter?«, fragte Lord Warrington.
So ganz durchschaute er die Verhältnisse auf der Nachbarplantage Cascarilla Gardens noch nicht, obwohl er inzwischen bereits fünf Jahre mit Lucille hier lebte. Aber die Fortnams hatten keinen sehr engen Kontakt zu ihren Nachbarn. Sie waren höflich und luden auch immer mal wieder zu Festlichkeiten ein, Freundschaften suchten sie hingegen nicht. Auch die anderen Pflanzer hielten eher Abstand zu den Besitzern von Cascarilla Gardens. Doug und Nora Fortnam pflegten einen sehr eigenwilligen Umgang mit ihren schwarzen Plantagenarbeitern. Zwar hielten auch sie Sklaven, wie alle hier auf Jamaika, aber sie beschäftigten kaum weiße Aufseher, gaben den Leuten häufiger frei als andere und setzten auf eine Art Selbstverwaltung unter Leitung eines schwarzen Vormanns.
Anfänglich hatten die Nachbarn deshalb mit einer Katastrophe gerechnet. Schließlich galt es als erwiesen, dass die Schwarzen faul und nicht selten gewalttätig waren, wenn man sie nicht streng unter Kontrolle hielt. Cascarilla Gardens florierte allerdings trotz des eigenwilligen Führungsstils seines Besitzers. Tatsächlich gehörte die Plantage sogar zu den reichsten Jamaikas, inzwischen brachten viele der anderen Pflanzer Doug Fortnam Neid entgegen. Allein, was er an den Gehältern der Aufseher sparte! Allerdings wäre keiner auf die Idee gekommen, sein Modell für die eigene Plantage zu übernehmen.
Lady Warrington stieß scharf die Luft aus. »Umso schlimmer!«, erklärte sie. Im Gegensatz zu ihrem Mann erinnerte sie sich sehr gut an die Einzelheiten. »Na ja, es war nicht Miss Noras Schuld, sie ist entführt worden und ... und einer der Kerle hat ihr wohl Gewalt angetan. Doch gerade deshalb! Wer will denn die ... die Frucht eines solchen Unglücks um sich haben?«
Warrington zuckte die Achseln. Auch für ihn war es befremdlich, dass Doug Fortnam die nach Jahren der Gefangenschaft in einem Widerstandsnest entlaufener Sklaven endlich befreite Nora nicht nur geheiratet, sondern auch ihre Tochter, die von einem der Aufständischen gezeugt worden war, adoptiert hatte. Das Mädchen selbst fand er allerdings ganz reizend, wahrscheinlich war es schon als Kind entzückend gewesen. Doug mochte es schlicht nicht übers Herz gebracht haben, Mutter und Tochter zu trennen. Der Mann hatte ein zu weiches Herz, doch darüber war man sich in der Umgebung von Kingston ja seit Jahren einig. Und irgendwann würde sich das auch rächen mit dieser laschen Haltung gegenüber seinen Schwarzen ...
Die Kutsche passierte jetzt eines der letzten Felder der Hollister-Plantage, auf der eben eine Gruppe Sklaven damit beschäftigt war, neue Zuckerrohrpflanzen zu setzen. Die Männer sahen dabei kaum auf, was Warrington zufrieden vermerkte. Die Kerle sollten schließlich keine Maulaffen feilhalten und seiner Kutsche nachschauen, sondern arbeiten. Er nickte dem Aufseher anerkennend zu. Der stämmige Schotte saß auf seinem Pferd, Gewehr und Peitsche griffbereit, aber nicht im Dauereinsatz. Der Mann machte einen guten Job, anscheinend genügte seine Anwesenheit, um den Schwarzen eine Höllenangst einzujagen. Und offensichtlich unterstützte er nicht diese Singerei der Sklaven! Manche Aufseher versprachen sich höhere Erträge, wenn die Männer die Macheten im Takt eines Liedes schwangen. Auch aus Cascarilla Gardens klang mitunter Gesang herüber. Warrington schätzte das jedoch nicht, er liebte es eher ruhig - schon weil seine Frau zu viel redete. Jetzt allerdings schwieg sie indigniert. Anscheinend haderte sie nach wie vor mit ihrer Teilnahme an diesem Fest, gefangen zwischen Missfallen und Neugier.
Dann wurde die Stille jedoch unterbrochen. Als die Kutsche der Warringtons die Grenze nach Cascarilla Gardens überquerte, schallten schnelle Hufschläge und helles Lachen aus einem der Seitenwege. Der Kutscher Jimmy verhielt die Pferde abrupt. Lady Lucille fuhr ihn empört an, sie wäre beinahe vom Sitz gerutscht.
Warrington sah das gelassener. Ohne die scharfe Bremsung wäre es dem Mann wohl kaum gelungen, einen Zusammenstoß mit den beiden Reitern zu vermeiden, deren Pferde nun vor ihnen über den Weg preschten. Ein zierlicher Schimmel, geritten von einer jungen Frau im Damensattel, überholte eben einen wesentlich größeren Braunen. Der junge Mann, der ihn verzweifelt zu einer rascheren Gangart anfeuerte, rief den Warringtons eine flüchtige Entschuldigung zu. Der Schimmel war schon zwischen den Pflanzungen verschwunden.
Warrington schnaubte. »Der junge Keensley«, murmelte er.
»Und die Bastard -Tochter der Fortnams«, fügte Lucille gallig hinzu. »Skandalös! Ich sagte ja ... wir sollten das nicht unterstützen!«
Warrington zuckte die Schultern. »Und dennoch werden wir den Abend genießen«, begütigte er. »Jetzt fahr zu, Jimmy!
Auf den Schreck brauche ich einen guten Schluck Zuckerrohr-schnaps. Oder Rumpunsch.«
Das Punschrezept von Fortnams Köchin war legendär, Warrington lief schon das Wasser im Munde zusammen. Und die Fortnam -Tochter bot wirklich einen höchst erfreulichen Anblick. Selbst wenn sie nur auf einem Pferd vorbeigaloppierte. Es würde zweifellos noch anregender sein, sie später beim Tanzen zu beobachten. Warrington fragte sich, ob es als väterlich durchginge oder einfach nur albern wirken würde, wenn er sich anbot, das Mädchen selbst durch ein Menuett zu führen ...
»Hab ich's Ihnen nicht gesagt? Alegría ist schneller als Ihr Brauner. Auch wenn er Rennpferdeahnen hat. Aber Alegría hat orientalisches Blut, sie ist eine Enkelin von Darley Arabian ...«
Deirdre Fortnam begann sofort, auf ihren Begleiter einzureden, als sie die Pferde nach Überschreiten der Ziellinie - der Übergang der Plantagenwege in die befestigte Auffahrt von Cascarilla Gardens - zum Schritt durchparierten. Die kleine Schimmelstute hatte das improvisierte Rennen überlegen gewonnen.
Quentin Keensley, ihr hoch aufgeschossener rothaariger Begleiter, verzog leicht den Mund. Es fiel ihm schwer, sich mit der Niederlage abzufinden.
»Wobei sicher auch eine Rolle spielt, dass sie nicht viel Gewicht mit sich herumträgt«, konterte er. »Denn Sie, Miss Fortnam, wiegen ja kaum mehr als eine Feder. Die reizendste Feder des entzückendsten Kolibris, den unsere gesamte Inselwelt je hervorgebracht hat ...«
Der junge Keensley zwirbelte seinen zur modischen »Fliege« gestutzten Bart und schenkte dem Mädchen ein Lächeln. Die geschliffene Rede lag ihm deutlich mehr als das Reiten - Pferde interessierten ihn nicht wirklich. Was ihn anzog, war allein Deirdre Fortnam.
Quentin war weit gereist. Seine Familie hatte ihm eine traditionell englische Erziehung angedeihen lassen und obendrein eine Europareise geschenkt, bevor er nach Jamaika zurückgekehrt war. Aber nie hatte er irgendwo ein schöneres Mädchen gesehen als die Tochter seiner Nachbarn. Allein diese Haut - Sahne mit einem Schuss Kaffee darin, zart und seidig. Quentin sehnte sich danach, sie zu berühren. Und ihr seltsames Haar ... es war schwarz, jedoch weder glatt oder großlockig, noch wirklich kraus. Sehr viel feiner als das aller anderen Schwarzhaarigen, die er kannte, fiel es kaskadenartig in winzigen Ringellocken über ihren Rücken. Und dann ihre Augen! Sie wirkten wie Smaragde, geschützt von irritierend langen tiefschwarzen Wimpern. Dazu sprühten sie Feuer! Wie jetzt, als Deirdre ihn anblitzte.
»He, das klingt ja, als wäre ich nur Dekoration auf meinem Pferd!«, rügte sie. »Dabei will Alegría geritten sein! Können Sie gern mal ausprobieren, aber ich sag's Ihnen, wenn Sie nicht wirklich reiten können, schaffen Sie es nicht, Alegría vor Kingston wieder anzuhalten!«
Die junge Frau streichelte den Hals ihrer Stute, die eigentlich ganz entspannt und umgänglich schien. Keensley war sich sicher, dass Deirdre übertrieb. Tatsächlich hätte er dem kleinen Pferd aber auch kein solches Höllentempo zugetraut, wie es eben vorgelegt hatte.
»Ich verbeuge mich vor Ihrer Reitkunst wie vor Ihrer Schönheit!«, erklärte er jetzt mit entschuldigendem Lächeln und senkte den Kopf.
Er hätte gern noch den Hut gezogen, aber sein Dreispitz war ihm schon zu Anfang des wilden Rittes verloren gegangen. Er würde gleich einen Sklaven hinausschicken müssen, um das gute Stück zu suchen.
Deirdre lenkte ihr Pferd nun um das Haus ihrer Eltern herum, einen verspielten Bau im Kolonialstil, der sie als Kind an ein Schloss erinnert hatte. Es gab Türmchen, Veranden und Balkone, gestrichen in Blau und Gelb, den Lieblingsfarben ihrer Mutter, und mit kunstvollen Schnitzereien verziert. Cascarilla Gardens bildete selbst Tischler und Holzschnitzer aus. Die Sklaven hier hatten sehr viel mehr Kinder als auf anderen Pflanzungen - Doug Fortnam akzeptierte Ehen unter seinen Leuten. Er riss keine Familien auseinander, indem er Männer, Frauen und Kinder einzeln verkaufte. Genau genommen verkaufte Doug überhaupt keine Sklaven. Wer auf Cascarilla Gardens geboren wurde, hatte hier Heimatrecht. Das war gut, da unter diesen Bedingungen fast nie jemand fortlief. Für all die jungen Schwarzen mussten jedoch Beschäftigungen gefunden werden.
Deirdre und Quentin trabten am Gartenzaun der Fortnams entlang, der ein weitläufiges, schon festlich geschmücktes Anwesen umgab. Die Gesellschaftsräume von Cascarilla Gardens gingen in die Gartenanlagen über, bei schönem Wetter wurden die weiten Türen des Tanzsaals geöffnet, und die Gäste konnten draußen sitzen oder sich zwischen den Bäumen und Blumenbeeten ergehen. Nora Fortnam war eine große Freundin der jamaikanischen Pflanzenwelt. Sie legte all ihren Stolz darein, möglichst viele Orchideenarten der Insel in ihrem Garten zu züchten, hätschelte ihre Accarabüsche und duldete auch die allgegenwärtigen bis zu zehn Meter hohen Cascarillas, die der Plantage ihren Namen gegeben hatten. Ein riesiger Blauer Mahoe beherrschte den Garten und bot im Sommer Schatten. Jetzt hingen Lampions in seinen Zweigen.
»Ist das nicht schön?«, freute sich Deirdre und wies auf die Dekoration. »Den Garten habe ich gestern mit den Hausmädchen und meinen Brüdern zusammen geschmückt. Sehen Sie den roten Lampion da oben? Das ist meiner, den habe ich ge- bastelt!«
»Sehr ... hübsch ...«, kommentierte Keensley verhalten. »Sie sollten sich Ihre Hände jedoch nicht durch Hausarbeit verderben ...« In Quentins Familie hätte eine Lady die Sklaven allen- falls dabei beaufsichtigt, den Garten zu dekorieren. Und ganz sicher hätte sie sich nicht an der Herstellung der Lampions beteiligt.
Deirdre seufzte. »... und ich sollte beim Reiten Handschuhe tragen«, meinte sie mit einem schuldbewussten Blick auf ihre Finger, die Alegrias Zügel fast ständig leicht anspielten und die Stute dadurch aufmerksam hielten. »Ich vergesse es bloß immer wieder. Wobei Reiten und Gartenarbeit eher Schwielen machen als ein bisschen Papierfalten. Ist aber auch egal. >Arbeit schändet nicht<, sagt mein Vater immer ... «
Doug Fortnam hatte sich seine Europareise in jungen Jahren durch Schuften in der Landwirtschaft und in Steinbrüchen selbst finanziert. Zuletzt hatte er sich sogar als Matrose verdingt, um die Rückfahrt nach Jamaika zu bezahlen.
Deirdre ließ ihr Pferd noch einmal kurz angaloppieren, um die Ställe schneller zu erreichen. Der Blick auf den geschmückten Garten hatte ihr ins Gedächtnis gerufen, dass sie längst nicht mehr auf dem Pferd sitzen, sondern sich umziehen und für den Abend zurechtmachen sollte. Dies war schließlich ihr Fest - die Fortnams feierten ihren achtzehnten Geburtstag.
Im Stallbereich war man längst auf den Empfang der Gäste vorbereitet. Kwadwo, der alte Stallmeister, erwartete die Kutschen vor dem Eingang, bereit, die Gäste zu begrüßen und ihnen ihre Pferde abzunehmen. Dabei hatte er es sich nicht nehmen lassen, sich in die traditionelle Livree des hochherrschaftlichen Hausdieners zu kleiden: hellblau mit gelben Aufschlägen am Kragen und an den Ärmeln. Dazu trug er eine weiße, gepuderte Perücke. Deirdre fand, dass er darin eher komisch wirkte, aber Kwadwo schien der Aufzug zu gefallen. Er pflegte würdevoll einherzuschreiten und den Damen und Herren mit elegantem Schwung die Kutschentüren zu öffnen. Dazu verbeugte er sich in der Manier eines Lakaien am Hofe des Sonnenkönigs. Irgendjemand musste ihm das einmal gezeigt haben, und Kwadwo hatte Gefallen daran gefunden, obwohl seine Herrschaft gar nicht so sehr auf Förmlichkeiten hielt.
Ansonsten war sein Verhalten allerdings keineswegs besonders unterwürfig. Im Gegenteil, als Busha, wie man einen schwarzen Vorsteher einer Plantage auf Jamaika nannte, vertrat er die Interessen der ihm untergeordneten Sklaven. Doug Fortnam schätzte ihn als Mittler zwischen Sklavenquartier und Herrenhaus. Außerdem hatte Kwadwo die Stellung des Obeah-Mannes inne, des spirituellen Führers der Sklaven seiner Plantage. Das war allerdings streng geheim. Unter den Weißen war der Obeah-Kult verpönt und auf den Plantagen gewöhnlich verboten. Die Sklaven schlichen sich nachts heimlich zu den Zeremonien. Doug und Nora Fortnam hätten ihren Nachbarn gegenüber nie zugegeben, dass sie die Obeah-Zusammenkünfte ihrer Leute duldeten. Aber tatsächlich drückten sie beide Augen zu und sahen großzügig darüber hinweg, wenn mal ein Huhn als Opfer für die Obeah-Götter verschwand ...
Als Deirdre und ihr Begleiter nun ihre Pferde vor den Ställen verhielten, kam Kwadwo sofort zu ihnen. Allerdings sparte er sich bei der Tochter des Hauses die ehrerbietige Begrüßung. Im Gegenteil. Nach einem Blick auf den Stand der Sonne und die erhitzte Deirdre flog ein Ausdruck des Missfallens über sein breites, runzeliges Gesicht.
»Gute Güte, Missis Dede, was machst du ... was machen Sie denn hier? Sie müssten längst im Haus sein. Ihre Mommy wird schimpfen! Und allein ausgeritten mit einem Herrn! Benimmt sich so eine Lady? Gib's zu, du hast das Pferd allein aus dem Stall geschmuggelt, ich hätte dich nicht ohne Begleitung losreiten lassen ...«
Deirdre lachte. »Dem Knecht wäre ich doch sowieso weggeritten!«, bemerkte sie.
Kwadwo wandte die runden, dunklen Augen theatralisch gen Himmel. »Und Mr. Keensley hast du wohl auch gleich abgehängt, oder? Wenn ich mir dein Haar so anschaue ...«
Deirdre hatte ihre Locken vor dem Reiten sicher aufgesteckt und unter ihrem Hut versteckt, wie es sich gehörte. Aber bei ihrem wilden Ritt hatten sie sich gelöst. Deirdre wollte eben zu einer Entgegnung ansetzen, als Quentin sein Pferd zwischen den Diener und ihre Stute trieb. Der junge Mann neigte zum Aufbrausen. Schon das Ausbleiben der ehrerbietigen Begrüßung hatte ihn erzürnt - und jetzt erwies sich der Sklave auch noch als erstaunlich scharfsinnig in Bezug auf seine Niederlage beim Rennen.
»Wie sprichst du mit deiner Herrin, Nigger?«, fuhr er Kwadwo an. »Hab ich da eine unziemliche Anrede gehört?«
Die Reitgerte des jungen Mannes durchschnitt die Luft - doch der alte Stallknecht fing den Schlag mit seiner großen, schwieligen Hand ab.
»Nicht so, junger Herr!«, sagte er ruhig. »Ich bin kein Sklave, ich bin ein freier Mann. Und wie ich rede, darüber hab ich nur dem Backra Rechenschaft abzulegen und keinem ...«
Kwadwo brach ab. Frei oder nicht frei, es ziemte sich nicht für ihn, den jungen Mann zu tadeln. Dabei hatte Keensley die Rüge durchaus verdient. Es war eines Gentlemans nicht würdig, ein Mädchen ohne Anstandsdame auf einen Ausritt zu locken. Deirdre war manchmal etwas unbedacht, aber Quentin Keensley hätte das nicht ausnutzen dürfen.
Quentin ließ die Blicke jetzt wütend und hilflos zwischen dem alten Schwarzen und der erschrockenen Deirdre hin- und herwandern.
»Wie redet der überhaupt?«, wandte er sich verwirrt an die junge Frau. »Das klingt ja, als ... das klingt wie richtiges Englisch.«
Die meisten der aus Afrika verschleppten Sklaven sprachen die Sprache ihrer Herren nur gebrochen oder taten zumindest so, als wüssten sie sich nicht flüssig auszudrücken. Kwadwo und die anderen Sklaven auf Cascarilla Gardens verzichteten allerdings zumindest auf Letzteres, und die jungen Schwarzen hielt Nora Fortnam dazu an, in ganzen Sätzen zu sprechen. Kwadwo, der als junger Mann nach Jamaika gekommen war, hatte sich die Sprache schnell angeeignet. Seine früheren Herren durfte er das allerdings nie wissen lassen. Auch heute noch sprach er Pidgin, wenn Gäste kamen. Nur gegenüber Quentin hatte er sich eben vergessen.
»Kwadwo ist seit fünfzig Jahren hier«, gab Deirdre zurück und schaute ihren Kavalier böse an. Erst jetzt bemerkte Quentin ihre Empörung. »Da ist es ja wohl normal, dass er Englisch spricht. Aber Sie sollten sich schämen, alte Männer zu schlagen! Ich meine ... junge Männer schlägt man natürlich auch nicht ... Also, Sklaven überhaupt. Wobei Kwadwo kein Sklave ist, mein Vater hat ihm schon vor langer Zeit die Freiheit geschenkt. Kwadwo ist unser Busha. Und er gehört zur Familie!« Sie errötete leicht. »Also für mich ist er so was wie mein Großpapa ...« Deirdre lächelte den alten Obeah-Mann verschwörerisch an.
Über Kwadwos Gesicht zog ein Strahlen. »Na, na, Missis, dafür bin ich wohl zu schwarz ...«, wehrte er gutmütig ab, wohl wissend, dass Deirdres Großeltern väterlicherseits nicht weniger dunkelhäutig gewesen waren als er.
Aber Deirdre kam stark nach ihrer Mutter, und die Fortnams hängten ihre Abstammung nicht an die große Glocke. Sie galt als Noras und Dougs Kind - wenn über anderes getuschelt wurde, so nur unter der Hand. Wer die Geschichte damals nicht mitbekommen hatte, bezweifelte denn auch oft den Wahrheitsgehalt dieses Geredes.
»Du bist genau richtig, Kwadwo!« Deirdre lachte. »Hast du dir wehgetan?«
Sie wies auf seine Hand und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Quentins Angebot, ihr dabei Hilfestellung zu leisten, übersah sie geflissentlich.
Der Stallmeister schüttelte den Kopf, wobei er die langen Kräusellocken seiner Perücke in lebhafte Schwingungen versetzte.
»Aber nein, Missis. Ich hab schwielige, unempfindliche Hände ... so wie du ... wie Sie bald auch, wenn Sie nicht endlich Handschuhe anziehen beim Reiten ... «
Wahrscheinlich hätte Kwadwo seine Schimpftirade gleich wieder aufgenommen, wäre jetzt nicht der Wagen der Warringtons die Auffahrt heraufgekommen. Kwadwo rief rasch nach ein paar Stallburschen, die Alegría und Keensleys Braunen in die Ställe führten, während er selbst sich um die Gäste bemühte.
»Mrs. Warrington, Backra Lord Warrington!« Kwadwo vollführte seine berühmte Verbeugung. »Willkommen auf Cascarilla Gardens! Sie gehabt gute Reise? Nicht zu heiß ohne Dach von Kutsche? Jimmy, Nichtsnutz, nicht hast gedacht, dass deine Missis sich wird verderben Teint bei Sonne ...«
Deirdre lächelte, als sie sah, dass Quentin missmutig guckte. Kwadwo spielte erneut virtuos seine Rolle, aber Quentin schien die Komik darin nicht zu sehen. Überhaupt, dieser Quentin Keensley ... Deirdre schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit. Wie hatte sie sich mit ihm abgeben können! Sie schenkte ihm keinen Blick mehr, als er sie jetzt zum Haupthaus begleitete. Auf einen aufgeschlossenen, klugen Begleiter hatte sie gehofft, als er von seinen Europareisen erzählt hatte. Aber jetzt erwies er sich doch nur als aufgeblasener kleiner Zuckerbaron: Immer schnell mit der Peitsche bei der Hand, wenn ein Sklave sich nicht wehren konnte. Jederzeit bereit, alle Menschen mit schwarzer Haut für dumm zu halten.
Und anständig reiten konnte er auch nicht!
© 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Eigentlich sollten wir das ja nicht unterstützen ...« Lady Lucille Hornby-Warrington schaute missmutig aus ihrer offenen Kutsche hinaus in den sonnigen Sommertag. Dabei gab es nicht viel zu sehen, die Wege zwischen der Hollister- und der Fortnam-Plantage waren staubig und gesäumt von Zuckerrohrpflanzungen. Die schilfähnlichen Gräser erreichten eine Höhe von bis zu sechs Metern - die Straßen erschienen wie frisch geschlagene Schneisen durch das üppige Grün. Die Lady war zwangsläufig gelangweilt. Lord Warrington, ihr Gatte, taxierte die Höhe und den Umfang der Pflanzen dafür umso interessierter. Schließlich bezog die Plantage, die er für den Onkel seiner Frau verwaltete, ihren Reichtum ebenfalls aus dem Zuckerrohr, und dieses Jahr deutete alles auf eine gute Ernte hin. Warrington wirkte denn auch erheblich besser gelaunt als seine Frau.
»Das meinst du nicht ernst«, beschied er die Lady gelassen und auch ein wenig spöttisch. »Ein Fest bei den Fortnams auslassen, nur weil dir der Anlass nicht passt? Darf ich dich daran erinnern, dass Nora und Doug die beste Köchin der Gegend haben, den schönsten Tanzsaal besitzen und stets die begabtesten Musikanten engagieren? Und das Mädchen ist doch auch ganz reizend.«
»Das Mädchen ist ein Halbblut!«, erklärte seine Gattin mit verkniffenem Gesicht. »Eine Mulattin. So was gehört ins Sklavenquartier. Man zieht es nicht als ›Tochter des Hauses‹ auf, und man feiert nicht groß seine ›Volljährigkeit‹. Aber Doug Fortnam tut ja so, als hätte er mit Zeugung und Aufzucht dieses Bastards eine Glanzleistung vollbracht!«
Warrington lächelte. Bekannt für die Zeugung von Bastarden mit schwarzen Sklavinnen war eigentlich eher Lord Hollister, Lucilles Onkel. Lucille und ihre Tante sahen zwar darüber hinweg, tatsächlich bevölkerten immer noch Dutzende ihrer Halbcousinen und -cousins die Hollister-Plantage. Auch ihr Kutscher Jimmy zeigte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Besitzer der Plantage, der sich seit einigen Jahren in sein Stadthaus in Kingston zurückgezogen hatte. Die Plantage hatte er Lucilles Gatten überlassen, nachdem er die junge Frau, die aus der mittellosen Beamtenfamilie Hornby in London stammte, an Kindes statt angenommen hatte. Mit seiner Gattin hatte Lord Hollister keine Kinder. Doug und Nora Fortnam dagegen hatten neben der heutigen Debütantin noch zwei jüngere Söhne.
»Ist das Mädchen nicht tatsächlich Noras außereheliche Tochter?«, fragte Lord Warrington.
So ganz durchschaute er die Verhältnisse auf der Nachbarplantage Cascarilla Gardens noch nicht, obwohl er inzwischen bereits fünf Jahre mit Lucille hier lebte. Aber die Fortnams hatten keinen sehr engen Kontakt zu ihren Nachbarn. Sie waren höflich und luden auch immer mal wieder zu Festlichkeiten ein, Freundschaften suchten sie hingegen nicht. Auch die anderen Pflanzer hielten eher Abstand zu den Besitzern von Cascarilla Gardens. Doug und Nora Fortnam pflegten einen sehr eigenwilligen Umgang mit ihren schwarzen Plantagenarbeitern. Zwar hielten auch sie Sklaven, wie alle hier auf Jamaika, aber sie beschäftigten kaum weiße Aufseher, gaben den Leuten häufiger frei als andere und setzten auf eine Art Selbstverwaltung unter Leitung eines schwarzen Vormanns.
Anfänglich hatten die Nachbarn deshalb mit einer Katastrophe gerechnet. Schließlich galt es als erwiesen, dass die Schwarzen faul und nicht selten gewalttätig waren, wenn man sie nicht streng unter Kontrolle hielt. Cascarilla Gardens florierte allerdings trotz des eigenwilligen Führungsstils seines Besitzers. Tatsächlich gehörte die Plantage sogar zu den reichsten Jamaikas, inzwischen brachten viele der anderen Pflanzer Doug Fortnam Neid entgegen. Allein, was er an den Gehältern der Aufseher sparte! Allerdings wäre keiner auf die Idee gekommen, sein Modell für die eigene Plantage zu übernehmen.
Lady Warrington stieß scharf die Luft aus. »Umso schlimmer!«, erklärte sie. Im Gegensatz zu ihrem Mann erinnerte sie sich sehr gut an die Einzelheiten. »Na ja, es war nicht Miss Noras Schuld, sie ist entführt worden und ... und einer der Kerle hat ihr wohl Gewalt angetan. Doch gerade deshalb! Wer will denn die ... die Frucht eines solchen Unglücks um sich haben?«
Warrington zuckte die Achseln. Auch für ihn war es befremdlich, dass Doug Fortnam die nach Jahren der Gefangenschaft in einem Widerstandsnest entlaufener Sklaven endlich befreite Nora nicht nur geheiratet, sondern auch ihre Tochter, die von einem der Aufständischen gezeugt worden war, adoptiert hatte. Das Mädchen selbst fand er allerdings ganz reizend, wahrscheinlich war es schon als Kind entzückend gewesen. Doug mochte es schlicht nicht übers Herz gebracht haben, Mutter und Tochter zu trennen. Der Mann hatte ein zu weiches Herz, doch darüber war man sich in der Umgebung von Kingston ja seit Jahren einig. Und irgendwann würde sich das auch rächen mit dieser laschen Haltung gegenüber seinen Schwarzen ...
Die Kutsche passierte jetzt eines der letzten Felder der Hollister-Plantage, auf der eben eine Gruppe Sklaven damit beschäftigt war, neue Zuckerrohrpflanzen zu setzen. Die Männer sahen dabei kaum auf, was Warrington zufrieden vermerkte. Die Kerle sollten schließlich keine Maulaffen feilhalten und seiner Kutsche nachschauen, sondern arbeiten. Er nickte dem Aufseher anerkennend zu. Der stämmige Schotte saß auf seinem Pferd, Gewehr und Peitsche griffbereit, aber nicht im Dauereinsatz. Der Mann machte einen guten Job, anscheinend genügte seine Anwesenheit, um den Schwarzen eine Höllenangst einzujagen. Und offensichtlich unterstützte er nicht diese Singerei der Sklaven! Manche Aufseher versprachen sich höhere Erträge, wenn die Männer die Macheten im Takt eines Liedes schwangen. Auch aus Cascarilla Gardens klang mitunter Gesang herüber. Warrington schätzte das jedoch nicht, er liebte es eher ruhig - schon weil seine Frau zu viel redete. Jetzt allerdings schwieg sie indigniert. Anscheinend haderte sie nach wie vor mit ihrer Teilnahme an diesem Fest, gefangen zwischen Missfallen und Neugier.
Dann wurde die Stille jedoch unterbrochen. Als die Kutsche der Warringtons die Grenze nach Cascarilla Gardens überquerte, schallten schnelle Hufschläge und helles Lachen aus einem der Seitenwege. Der Kutscher Jimmy verhielt die Pferde abrupt. Lady Lucille fuhr ihn empört an, sie wäre beinahe vom Sitz gerutscht.
Warrington sah das gelassener. Ohne die scharfe Bremsung wäre es dem Mann wohl kaum gelungen, einen Zusammenstoß mit den beiden Reitern zu vermeiden, deren Pferde nun vor ihnen über den Weg preschten. Ein zierlicher Schimmel, geritten von einer jungen Frau im Damensattel, überholte eben einen wesentlich größeren Braunen. Der junge Mann, der ihn verzweifelt zu einer rascheren Gangart anfeuerte, rief den Warringtons eine flüchtige Entschuldigung zu. Der Schimmel war schon zwischen den Pflanzungen verschwunden.
Warrington schnaubte. »Der junge Keensley«, murmelte er.
»Und die Bastard -Tochter der Fortnams«, fügte Lucille gallig hinzu. »Skandalös! Ich sagte ja ... wir sollten das nicht unterstützen!«
Warrington zuckte die Schultern. »Und dennoch werden wir den Abend genießen«, begütigte er. »Jetzt fahr zu, Jimmy!
Auf den Schreck brauche ich einen guten Schluck Zuckerrohr-schnaps. Oder Rumpunsch.«
Das Punschrezept von Fortnams Köchin war legendär, Warrington lief schon das Wasser im Munde zusammen. Und die Fortnam -Tochter bot wirklich einen höchst erfreulichen Anblick. Selbst wenn sie nur auf einem Pferd vorbeigaloppierte. Es würde zweifellos noch anregender sein, sie später beim Tanzen zu beobachten. Warrington fragte sich, ob es als väterlich durchginge oder einfach nur albern wirken würde, wenn er sich anbot, das Mädchen selbst durch ein Menuett zu führen ...
»Hab ich's Ihnen nicht gesagt? Alegría ist schneller als Ihr Brauner. Auch wenn er Rennpferdeahnen hat. Aber Alegría hat orientalisches Blut, sie ist eine Enkelin von Darley Arabian ...«
Deirdre Fortnam begann sofort, auf ihren Begleiter einzureden, als sie die Pferde nach Überschreiten der Ziellinie - der Übergang der Plantagenwege in die befestigte Auffahrt von Cascarilla Gardens - zum Schritt durchparierten. Die kleine Schimmelstute hatte das improvisierte Rennen überlegen gewonnen.
Quentin Keensley, ihr hoch aufgeschossener rothaariger Begleiter, verzog leicht den Mund. Es fiel ihm schwer, sich mit der Niederlage abzufinden.
»Wobei sicher auch eine Rolle spielt, dass sie nicht viel Gewicht mit sich herumträgt«, konterte er. »Denn Sie, Miss Fortnam, wiegen ja kaum mehr als eine Feder. Die reizendste Feder des entzückendsten Kolibris, den unsere gesamte Inselwelt je hervorgebracht hat ...«
Der junge Keensley zwirbelte seinen zur modischen »Fliege« gestutzten Bart und schenkte dem Mädchen ein Lächeln. Die geschliffene Rede lag ihm deutlich mehr als das Reiten - Pferde interessierten ihn nicht wirklich. Was ihn anzog, war allein Deirdre Fortnam.
Quentin war weit gereist. Seine Familie hatte ihm eine traditionell englische Erziehung angedeihen lassen und obendrein eine Europareise geschenkt, bevor er nach Jamaika zurückgekehrt war. Aber nie hatte er irgendwo ein schöneres Mädchen gesehen als die Tochter seiner Nachbarn. Allein diese Haut - Sahne mit einem Schuss Kaffee darin, zart und seidig. Quentin sehnte sich danach, sie zu berühren. Und ihr seltsames Haar ... es war schwarz, jedoch weder glatt oder großlockig, noch wirklich kraus. Sehr viel feiner als das aller anderen Schwarzhaarigen, die er kannte, fiel es kaskadenartig in winzigen Ringellocken über ihren Rücken. Und dann ihre Augen! Sie wirkten wie Smaragde, geschützt von irritierend langen tiefschwarzen Wimpern. Dazu sprühten sie Feuer! Wie jetzt, als Deirdre ihn anblitzte.
»He, das klingt ja, als wäre ich nur Dekoration auf meinem Pferd!«, rügte sie. »Dabei will Alegría geritten sein! Können Sie gern mal ausprobieren, aber ich sag's Ihnen, wenn Sie nicht wirklich reiten können, schaffen Sie es nicht, Alegría vor Kingston wieder anzuhalten!«
Die junge Frau streichelte den Hals ihrer Stute, die eigentlich ganz entspannt und umgänglich schien. Keensley war sich sicher, dass Deirdre übertrieb. Tatsächlich hätte er dem kleinen Pferd aber auch kein solches Höllentempo zugetraut, wie es eben vorgelegt hatte.
»Ich verbeuge mich vor Ihrer Reitkunst wie vor Ihrer Schönheit!«, erklärte er jetzt mit entschuldigendem Lächeln und senkte den Kopf.
Er hätte gern noch den Hut gezogen, aber sein Dreispitz war ihm schon zu Anfang des wilden Rittes verloren gegangen. Er würde gleich einen Sklaven hinausschicken müssen, um das gute Stück zu suchen.
Deirdre lenkte ihr Pferd nun um das Haus ihrer Eltern herum, einen verspielten Bau im Kolonialstil, der sie als Kind an ein Schloss erinnert hatte. Es gab Türmchen, Veranden und Balkone, gestrichen in Blau und Gelb, den Lieblingsfarben ihrer Mutter, und mit kunstvollen Schnitzereien verziert. Cascarilla Gardens bildete selbst Tischler und Holzschnitzer aus. Die Sklaven hier hatten sehr viel mehr Kinder als auf anderen Pflanzungen - Doug Fortnam akzeptierte Ehen unter seinen Leuten. Er riss keine Familien auseinander, indem er Männer, Frauen und Kinder einzeln verkaufte. Genau genommen verkaufte Doug überhaupt keine Sklaven. Wer auf Cascarilla Gardens geboren wurde, hatte hier Heimatrecht. Das war gut, da unter diesen Bedingungen fast nie jemand fortlief. Für all die jungen Schwarzen mussten jedoch Beschäftigungen gefunden werden.
Deirdre und Quentin trabten am Gartenzaun der Fortnams entlang, der ein weitläufiges, schon festlich geschmücktes Anwesen umgab. Die Gesellschaftsräume von Cascarilla Gardens gingen in die Gartenanlagen über, bei schönem Wetter wurden die weiten Türen des Tanzsaals geöffnet, und die Gäste konnten draußen sitzen oder sich zwischen den Bäumen und Blumenbeeten ergehen. Nora Fortnam war eine große Freundin der jamaikanischen Pflanzenwelt. Sie legte all ihren Stolz darein, möglichst viele Orchideenarten der Insel in ihrem Garten zu züchten, hätschelte ihre Accarabüsche und duldete auch die allgegenwärtigen bis zu zehn Meter hohen Cascarillas, die der Plantage ihren Namen gegeben hatten. Ein riesiger Blauer Mahoe beherrschte den Garten und bot im Sommer Schatten. Jetzt hingen Lampions in seinen Zweigen.
»Ist das nicht schön?«, freute sich Deirdre und wies auf die Dekoration. »Den Garten habe ich gestern mit den Hausmädchen und meinen Brüdern zusammen geschmückt. Sehen Sie den roten Lampion da oben? Das ist meiner, den habe ich ge- bastelt!«
»Sehr ... hübsch ...«, kommentierte Keensley verhalten. »Sie sollten sich Ihre Hände jedoch nicht durch Hausarbeit verderben ...« In Quentins Familie hätte eine Lady die Sklaven allen- falls dabei beaufsichtigt, den Garten zu dekorieren. Und ganz sicher hätte sie sich nicht an der Herstellung der Lampions beteiligt.
Deirdre seufzte. »... und ich sollte beim Reiten Handschuhe tragen«, meinte sie mit einem schuldbewussten Blick auf ihre Finger, die Alegrias Zügel fast ständig leicht anspielten und die Stute dadurch aufmerksam hielten. »Ich vergesse es bloß immer wieder. Wobei Reiten und Gartenarbeit eher Schwielen machen als ein bisschen Papierfalten. Ist aber auch egal. >Arbeit schändet nicht<, sagt mein Vater immer ... «
Doug Fortnam hatte sich seine Europareise in jungen Jahren durch Schuften in der Landwirtschaft und in Steinbrüchen selbst finanziert. Zuletzt hatte er sich sogar als Matrose verdingt, um die Rückfahrt nach Jamaika zu bezahlen.
Deirdre ließ ihr Pferd noch einmal kurz angaloppieren, um die Ställe schneller zu erreichen. Der Blick auf den geschmückten Garten hatte ihr ins Gedächtnis gerufen, dass sie längst nicht mehr auf dem Pferd sitzen, sondern sich umziehen und für den Abend zurechtmachen sollte. Dies war schließlich ihr Fest - die Fortnams feierten ihren achtzehnten Geburtstag.
Im Stallbereich war man längst auf den Empfang der Gäste vorbereitet. Kwadwo, der alte Stallmeister, erwartete die Kutschen vor dem Eingang, bereit, die Gäste zu begrüßen und ihnen ihre Pferde abzunehmen. Dabei hatte er es sich nicht nehmen lassen, sich in die traditionelle Livree des hochherrschaftlichen Hausdieners zu kleiden: hellblau mit gelben Aufschlägen am Kragen und an den Ärmeln. Dazu trug er eine weiße, gepuderte Perücke. Deirdre fand, dass er darin eher komisch wirkte, aber Kwadwo schien der Aufzug zu gefallen. Er pflegte würdevoll einherzuschreiten und den Damen und Herren mit elegantem Schwung die Kutschentüren zu öffnen. Dazu verbeugte er sich in der Manier eines Lakaien am Hofe des Sonnenkönigs. Irgendjemand musste ihm das einmal gezeigt haben, und Kwadwo hatte Gefallen daran gefunden, obwohl seine Herrschaft gar nicht so sehr auf Förmlichkeiten hielt.
Ansonsten war sein Verhalten allerdings keineswegs besonders unterwürfig. Im Gegenteil, als Busha, wie man einen schwarzen Vorsteher einer Plantage auf Jamaika nannte, vertrat er die Interessen der ihm untergeordneten Sklaven. Doug Fortnam schätzte ihn als Mittler zwischen Sklavenquartier und Herrenhaus. Außerdem hatte Kwadwo die Stellung des Obeah-Mannes inne, des spirituellen Führers der Sklaven seiner Plantage. Das war allerdings streng geheim. Unter den Weißen war der Obeah-Kult verpönt und auf den Plantagen gewöhnlich verboten. Die Sklaven schlichen sich nachts heimlich zu den Zeremonien. Doug und Nora Fortnam hätten ihren Nachbarn gegenüber nie zugegeben, dass sie die Obeah-Zusammenkünfte ihrer Leute duldeten. Aber tatsächlich drückten sie beide Augen zu und sahen großzügig darüber hinweg, wenn mal ein Huhn als Opfer für die Obeah-Götter verschwand ...
Als Deirdre und ihr Begleiter nun ihre Pferde vor den Ställen verhielten, kam Kwadwo sofort zu ihnen. Allerdings sparte er sich bei der Tochter des Hauses die ehrerbietige Begrüßung. Im Gegenteil. Nach einem Blick auf den Stand der Sonne und die erhitzte Deirdre flog ein Ausdruck des Missfallens über sein breites, runzeliges Gesicht.
»Gute Güte, Missis Dede, was machst du ... was machen Sie denn hier? Sie müssten längst im Haus sein. Ihre Mommy wird schimpfen! Und allein ausgeritten mit einem Herrn! Benimmt sich so eine Lady? Gib's zu, du hast das Pferd allein aus dem Stall geschmuggelt, ich hätte dich nicht ohne Begleitung losreiten lassen ...«
Deirdre lachte. »Dem Knecht wäre ich doch sowieso weggeritten!«, bemerkte sie.
Kwadwo wandte die runden, dunklen Augen theatralisch gen Himmel. »Und Mr. Keensley hast du wohl auch gleich abgehängt, oder? Wenn ich mir dein Haar so anschaue ...«
Deirdre hatte ihre Locken vor dem Reiten sicher aufgesteckt und unter ihrem Hut versteckt, wie es sich gehörte. Aber bei ihrem wilden Ritt hatten sie sich gelöst. Deirdre wollte eben zu einer Entgegnung ansetzen, als Quentin sein Pferd zwischen den Diener und ihre Stute trieb. Der junge Mann neigte zum Aufbrausen. Schon das Ausbleiben der ehrerbietigen Begrüßung hatte ihn erzürnt - und jetzt erwies sich der Sklave auch noch als erstaunlich scharfsinnig in Bezug auf seine Niederlage beim Rennen.
»Wie sprichst du mit deiner Herrin, Nigger?«, fuhr er Kwadwo an. »Hab ich da eine unziemliche Anrede gehört?«
Die Reitgerte des jungen Mannes durchschnitt die Luft - doch der alte Stallknecht fing den Schlag mit seiner großen, schwieligen Hand ab.
»Nicht so, junger Herr!«, sagte er ruhig. »Ich bin kein Sklave, ich bin ein freier Mann. Und wie ich rede, darüber hab ich nur dem Backra Rechenschaft abzulegen und keinem ...«
Kwadwo brach ab. Frei oder nicht frei, es ziemte sich nicht für ihn, den jungen Mann zu tadeln. Dabei hatte Keensley die Rüge durchaus verdient. Es war eines Gentlemans nicht würdig, ein Mädchen ohne Anstandsdame auf einen Ausritt zu locken. Deirdre war manchmal etwas unbedacht, aber Quentin Keensley hätte das nicht ausnutzen dürfen.
Quentin ließ die Blicke jetzt wütend und hilflos zwischen dem alten Schwarzen und der erschrockenen Deirdre hin- und herwandern.
»Wie redet der überhaupt?«, wandte er sich verwirrt an die junge Frau. »Das klingt ja, als ... das klingt wie richtiges Englisch.«
Die meisten der aus Afrika verschleppten Sklaven sprachen die Sprache ihrer Herren nur gebrochen oder taten zumindest so, als wüssten sie sich nicht flüssig auszudrücken. Kwadwo und die anderen Sklaven auf Cascarilla Gardens verzichteten allerdings zumindest auf Letzteres, und die jungen Schwarzen hielt Nora Fortnam dazu an, in ganzen Sätzen zu sprechen. Kwadwo, der als junger Mann nach Jamaika gekommen war, hatte sich die Sprache schnell angeeignet. Seine früheren Herren durfte er das allerdings nie wissen lassen. Auch heute noch sprach er Pidgin, wenn Gäste kamen. Nur gegenüber Quentin hatte er sich eben vergessen.
»Kwadwo ist seit fünfzig Jahren hier«, gab Deirdre zurück und schaute ihren Kavalier böse an. Erst jetzt bemerkte Quentin ihre Empörung. »Da ist es ja wohl normal, dass er Englisch spricht. Aber Sie sollten sich schämen, alte Männer zu schlagen! Ich meine ... junge Männer schlägt man natürlich auch nicht ... Also, Sklaven überhaupt. Wobei Kwadwo kein Sklave ist, mein Vater hat ihm schon vor langer Zeit die Freiheit geschenkt. Kwadwo ist unser Busha. Und er gehört zur Familie!« Sie errötete leicht. »Also für mich ist er so was wie mein Großpapa ...« Deirdre lächelte den alten Obeah-Mann verschwörerisch an.
Über Kwadwos Gesicht zog ein Strahlen. »Na, na, Missis, dafür bin ich wohl zu schwarz ...«, wehrte er gutmütig ab, wohl wissend, dass Deirdres Großeltern väterlicherseits nicht weniger dunkelhäutig gewesen waren als er.
Aber Deirdre kam stark nach ihrer Mutter, und die Fortnams hängten ihre Abstammung nicht an die große Glocke. Sie galt als Noras und Dougs Kind - wenn über anderes getuschelt wurde, so nur unter der Hand. Wer die Geschichte damals nicht mitbekommen hatte, bezweifelte denn auch oft den Wahrheitsgehalt dieses Geredes.
»Du bist genau richtig, Kwadwo!« Deirdre lachte. »Hast du dir wehgetan?«
Sie wies auf seine Hand und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Quentins Angebot, ihr dabei Hilfestellung zu leisten, übersah sie geflissentlich.
Der Stallmeister schüttelte den Kopf, wobei er die langen Kräusellocken seiner Perücke in lebhafte Schwingungen versetzte.
»Aber nein, Missis. Ich hab schwielige, unempfindliche Hände ... so wie du ... wie Sie bald auch, wenn Sie nicht endlich Handschuhe anziehen beim Reiten ... «
Wahrscheinlich hätte Kwadwo seine Schimpftirade gleich wieder aufgenommen, wäre jetzt nicht der Wagen der Warringtons die Auffahrt heraufgekommen. Kwadwo rief rasch nach ein paar Stallburschen, die Alegría und Keensleys Braunen in die Ställe führten, während er selbst sich um die Gäste bemühte.
»Mrs. Warrington, Backra Lord Warrington!« Kwadwo vollführte seine berühmte Verbeugung. »Willkommen auf Cascarilla Gardens! Sie gehabt gute Reise? Nicht zu heiß ohne Dach von Kutsche? Jimmy, Nichtsnutz, nicht hast gedacht, dass deine Missis sich wird verderben Teint bei Sonne ...«
Deirdre lächelte, als sie sah, dass Quentin missmutig guckte. Kwadwo spielte erneut virtuos seine Rolle, aber Quentin schien die Komik darin nicht zu sehen. Überhaupt, dieser Quentin Keensley ... Deirdre schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit. Wie hatte sie sich mit ihm abgeben können! Sie schenkte ihm keinen Blick mehr, als er sie jetzt zum Haupthaus begleitete. Auf einen aufgeschlossenen, klugen Begleiter hatte sie gehofft, als er von seinen Europareisen erzählt hatte. Aber jetzt erwies er sich doch nur als aufgeblasener kleiner Zuckerbaron: Immer schnell mit der Peitsche bei der Hand, wenn ein Sklave sich nicht wehren konnte. Jederzeit bereit, alle Menschen mit schwarzer Haut für dumm zu halten.
Und anständig reiten konnte er auch nicht!
© 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
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Autoren-Porträt von Sarah Lark
Sarah Lark, geb. 1958, studierte Psychologie und promovierte über das Thema 'agträume'. Nebenbei arbeitete sie lange Jahre als Reiseleiterin. Schon immer war sie fasziniert von den Sehnsuchtsorten dieser Erde. Ihre fesselnden Neuseelandromane fanden sofort ein großes Lesepublikum und sind Dauerbrenner auf der Bestsellerliste. Sarah Lark ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Schriftstellerin. Sie lebt in Spanien. Unter dem Autorennamen Ricarda Jordan entführt sie ihre Leser auch ins farbenprächtige Mittelalter.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sarah Lark
- 2012, 668 Seiten, Geb. mit Su., Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3785724608
- ISBN-13: 9783785724606
- Erscheinungsdatum: 16.11.2012
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