So bitterkalt
Ein seltsamer junger Erzieher in der Einsamkeit eines westschwedischen Ortes. Und ein mehrfacher Mörder mit einem irrwitzigen Plan - der schwedische Bestsellerautor Johan Theorin liefert psychologische Hochspannung und ein Duell, das erst auf der...
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Produktinformationen zu „So bitterkalt “
Ein seltsamer junger Erzieher in der Einsamkeit eines westschwedischen Ortes. Und ein mehrfacher Mörder mit einem irrwitzigen Plan - der schwedische Bestsellerautor Johan Theorin liefert psychologische Hochspannung und ein Duell, das erst auf der allerletzten Seite sein dramatisches Finale findet. Kaum ein Bewerber findet den Weg nach Valla an die schwedische Westküste.Jan Hauger besitzt viel Erfahrung und glänzende Zeugnisse. Doch es ist keinZufall, dass sich der junge Erzieher in dem abgelegenen Kinderhort vorstellt.Durch einen unterirdischen Gang ist der Hort mit der psychiatrischen Klinikverbunden. So sollen selbst die als gefährlich eingestuften Insassen durch den Kontakt zu ihren Kindern schneller ins Leben zurückfinden. Damit hat Jan kein Problem - aber er hat auch ein unliebsames Geheimnis. Denn unter seiner Aufsicht ging ein Kind verloren, das erst nach Tagen auf noch immer ungeklärte Weise wieder auftauchte. Und das ist nicht der einzige Fleck auf Jan Haugers Weste. Warum will er ausgerechnet in Valla arbeiten? Und was verbindet ihn mit dem psychopathischen Mörder Ivan Rössl, der seit Jahren in der Klinik behandelt wird? Johan Theorins Thriller jagt eiskalte Schauer über den Rücken und lässt nicht nur seine Opfer vor Angst über die Dunkelheit der menschlichen Psyche erstarren.
Klappentext zu „So bitterkalt “
Ein seltsamer junger Erzieher in der Einsamkeit eines westschwedischen Ortes. Und ein mehrfacher Mördermit einem irrwitzigen Plan der schwedische Bestsellerautor Johan Theorin liefert psychologische Hochspannung und ein Duell, das erst auf der allerletzten Seite sein dramatisches Finale findet.
Kaum ein Bewerber findet den Weg nach Valla an die schwedische Westküste.Jan Hauger besitzt viel Erfahrung und glänzende Zeugnisse. Doch es ist keinZufall, dass sich der junge Erzieher in dem abgelegenen Kinderhort vorstellt.Durch einen unterirdischen Gang ist der Hort mit der psychiatrischen Klinikverbunden. So sollen selbst die als gefährlich eingestuften Insassen durchden Kontakt zu ihren Kindern schneller ins Leben zurückfinden. Damit hatJan kein Problem aber er hat auch ein unliebsames Geheimnis. Denn unterseiner Aufsicht ging ein Kind verloren, das erst nach Tagen auf noch immerungeklärte Weise wieder auftauchte. Und das ist nicht der einzige Fleckauf Jan Haugers Weste. Warum will erausgerechnet in Valla arbeiten? Undwas verbindet ihn mit dem psychopathischen Mörder Ivan Rössl, der seitJahren in der Klinik behandelt wird? Johan Theorins Thriller jagt eiskalte Schauer über den Rücken und lässtnicht nur seine Opfer vor Angst über die Dunkelheit der menschlichen Psycheerstarren.
Lese-Probe zu „So bitterkalt “
So bitter kalt von Johan TheorinAus dem Schwedischen von Susanne Dahmann
1
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» Achtet auf unsere spielenden Kinder! «, liest Jan durch das Seitenfenster des Taxis. Der Text ist auf ein blaues Plastikschild gemalt, und darunter steht die Ermahnung : LANGSAM FAHREN.
» Verdammte Kinder! «, ruft der Fahrer.
Jan fällt nach vorn. Das Taxi ist um eine Ecke gebogen und musste abrupt vor einem Dreirad bremsen, das ein Kind mitten auf der Straße hat stehen lassen.
Die Straße liegt in einem Wohnviertel mit Einfamilienhäusern in der Stadt Valla. Jan sieht niedrige Holzzäune vor weißen Steinhäusern und dann das große Warnschild.
Achtet auf unsere spielenden Kinder. Doch obwohl da ein Dreirad steht, sind die Straßen leer. Hier gibt es keine Kinder, auf die man achten könnte.
Vielleicht sind sie alle in den Häusern, denkt Jan. Eingesperrt.
Der Fahrer, der mit seiner zerfurchten Stirn, dem weißen Weihnachtsmannbart und einem müden Blick aussieht, als stünde er kurz vor der Rente, mustert ihn im Rückspiegel. Jan ist diese müden Blicke gewohnt, die gibt es überall.
Bis zu der Vollbremsung und dem Fluch hat der Fahrer so gut wie nichts gesagt, doch als er wieder anfährt, stellt er plötzlich eine Frage: » Sankt Patricia . . . arbeiten Sie da oben?«
Jan schüttelt den Kopf. » Nein, noch nicht. «
» Aha. Wollen Sie sich bewerben? «
»Ja.«
» Ach so «, erwidert der Fahrer.
Jan sagt nichts weiter, sondern senkt den Blick. Er will nicht zu viel von sich erzählen, und er weiß nicht, was er über das Krankenhaus sagen darf.
Der Fahrer plaudert weiter: » Sie wissen sicher, dass es noch einen anderen Namen für das Haus gibt, oder? «
Jan blickt wieder auf. » Nein. Welchen denn? «
Der Fahrer lächelt ein wenig über sein Lenkrad hinweg.
» Das erzählen die Ihnen da oben bestimmt selbst. «
Jan sieht zur Seite, auf die Reihen der Einfamilienhäuser, und denkt an den Mann, den er bald treffen wird. Doktor Patrik Högsmed, Chefarzt. Sein Name stand unter einer Stellenanzeige, die Jan Mitte Juni entdeckt hatte:
ERZIEHER(IN)/VORSCHULLEHRER(IN)
für » Die Lichtung « als Vertretung gesucht.
Der Text unter der Überschrift ähnelte vielen anderen, die er bereits gelesen hatte:
Sie sind Erzieher(in) und/oder Vorschullehrer(in), gerne männlich und jünger, da wir eine gleichberechtigte und gemischte Personalgruppe anstreben.
Als Mensch ruhen Sie in sich selbst und sind offen und ehrlich. Sie mögen Spiele und Musik und alle Arten kreativer Tätigkeit. Unsere Vorschule liegt in einer reizvollen Umgebung, deshalb sollten Sie Ausflüge in Wald und Flur schätzen.
Sie wollen aktiv für eine positive Stimmung in der Vorschule sorgen und sich gegen alle Formen von Diskriminierung stellen.
Vieles davon traf auf Jan zu. Er war ein junger Mann, ausgebildeter Vorschullehrer, er mochte Spiele, und er hatte in seiner Jugend eine Weile Schlagzeug gespielt, allerdings meist für sich allein.
Diskriminierungen konnte er aus persönlichen Gründen nicht leiden.
Aber war er offen und ehrlich? Je nachdem. Auf jeden Fall war er gut darin, offen zu wirken.
Schlussendlich war es die Adresse der Kontaktperson, die Jan dazu veranlasst hatte, die Anzeige auszuschneiden. Der Ansprechpartner hieß Oberarzt Dr. Patrik Högsmed, und seine Anschrift lautete: Geschäftsleitung, Forensische Psychiatrische Klinik Sankt Patricia, Valla.
Es war Jan schon immer schwergefallen, sich selbst anzupreisen, doch die Anzeige hatte mehrere Tage auf dem Küchentisch gelegen und ihn angestarrt, und irgendwann hatte er doch dort angerufen.
» Högsmed «, sagte eine leise Männerstimme.
»Doktor Högsmed?«
»Ja?«
» Ich heiße Jan Hauger, und ich interessiere mich für die freie Stelle. «
»Welche Stelle?«
» Die Stelle als Vorschullehrer bei Ihnen. Ab September.«
In der Leitung war es kurz still, ehe Högsmed antwortete: »Aha, ja, die ... «
Högsmed sprach leise, er wirkte zerstreut. Doch dann antwortete er mit einer Frage: » Und warum interessieren Sie sich für die Stelle? «
» Nun . . . « Die Wahrheit konnte Jan nicht sagen, also hätte er jetzt anfangen müssen, zu lügen oder zumindest Dinge zu verschweigen. » Ich bin neugierig «, erwiderte er deshalb einfach nur.
»Neugierig«, echote Högsmed.
» Ja . . . auf den Arbeitsplatz und auf die Stadt. Ich habe hauptsächlich in Einrichtungen in größeren Städten gearbeitet, und ich fände es spannend, an einen kleineren Ort zu ziehen und zu sehen, wie es dort in einer Vorschule zugeht.«
» Gut «, hatte Högsmed gesagt. » Allerdings ist das hier eine etwas spezielle Einrichtung für Kinder, weil deren Eltern bei uns Patienten sind . . . «
Dann hatte er ausgeführt, warum Sankt Patricia überhaupt eine Vorschule hatte : » Wir haben sie vor einigen Jahren als Versuchseinrichtung eröffnet. Die Grundidee beruht auf Forschungsergebnissen, wonach die Beziehung zu den Eltern absolut entscheidend für die Entwicklung kleiner Kinder ist, um sozial reife Individuen werden zu können. Sowohl temporäre als auch dauerhafte Aufenthalte in Kinderheimen bringen immer gewisse Probleme mit sich, und hier in Sankt Patricia wissen wir, wie wichtig es ist, dass Kinder einen regelmäßigen und stabilen Kontakt zu beiden biologischen Eltern haben, und zwar trotz der speziellen Umstände. Und auch für den betroffenen Elternteil ist der Kontakt zum Kind natürlich wichtiger Bestandteil der Behandlung. « Der Doktor machte eine Pause und fügte dann hinzu : » Das ist es schließlich, was wir hier in der Klinik machen : Wir behandeln. Wir bestrafen nicht, egal, was unsere Patienten auch immer getan haben.«
Jan hatte zugehört und dabei bemerkt, dass der Doktor nicht das Wort » heilen « verwendet hatte.
Högsmed hatte das Gespräch mit einer raschen Frage beendet : » Wie klingt das für Sie? «
Jan fand, dass es interessant klang, und er hatte eine Bewerbung mit einem beigefügten Lebenslauf geschickt.
Anfang August hatte Högsmed dann zurückgerufen. Jan war in der Auswahl eine Runde weitergekommen, und der Doktor wollte ihn kennenlernen. Sie hatten einen Termin in der Klinik vereinbart, und gegen Ende des Gesprächs sagte Högsmed : » Eine Bitte habe ich noch, Herr Hauger.«
»Ja?«
» Bringen Sie einen Ausweis mit, Ihren Führerschein oder Ihren Pass, damit wir uns versichern können, wer Sie sind.«
» Ja, ja, natürlich. «
» Und noch eine letzte Sache, Herr Hauger . . . tragen Sie keine scharfen Gegenstände bei sich, denn dann werden Sie bei uns nicht in die Klinik gelassen. «
»Scharfe Gegenstände?«
» Scharfe Gegenstände aus Metall, also . . . keine Messer. «
Jan kam - ohne scharfe Gegenstände - gegen dreizehn Uhr, eine halbe Stunde vor dem Bewerbungsgespräch, mit dem Zug in Valla an. Er behielt die Zeit im Auge, war aber immer noch ganz ruhig. Er würde ja keinen Berg besteigen müssen, sondern hatte nur ein Bewerbungsgespräch vor sich.
Es war ein sonniger Dienstag Anfang September, und die Straßen der Stadt um den Bahnhof herum waren hell und trocken, aber menschenleer. Er war zum ersten Mal in Valla, und als er auf den Bahnhofsvorplatz trat, wurde ihm klar, dass niemand wusste, dass er hier war. Niemand. Der Oberarzt von Sankt Patricia wartete natürlich auf ihn, doch für Doktor Högsmed war er nur ein Name und ein Lebenslauf.
War er bereit? Natürlich. Er zog die Jackettärmel herunter und glättete seinen blonden Haarschopf, dann ging er zum Taxistand. Dort wartete ein einziger Wagen.
» Klinik Sankt Patricia. Wissen Sie, wo das ist? «
»Aberja.«
Der Fahrer sah zwar aus wie der Weihnachtsmann, war aber nicht ebenso freundlich ; er faltete wortlos seine Zeitung zusammen und ließ den Motor an. Als Jan sich auf dem Rücksitz niedergelassen hatte, begegneten sich ihre Blicke für eine halbe Sekunde im Rückspiegel, als wollte der Weihnachtsmann prüfen, ob Jan auch gesund sei.
Er hatte erwogen, den Fahrer zu fragen, ob er denn wisse, was für eine Art Klinik Sankt Patricia sei, doch sein Blick war eindeutig.
Sie fuhren vom Bahnhofsvorplatz auf eine Straße, die parallel zu den Zuggleisen verlief, dann nahmen sie eine kurze Unterführung unter den Gleisen hindurch. Auf der anderen Seite standen mehrere große braune Ziegelbauten mit Fassaden aus Stahl und Glas, die wie ein Krankenhaus aussahen. Vor dem breiten Eingang sah Jan zwei gelbe Notarztwagen stehen.
» Ist das hier Sankt Patricia? «
Doch der Weihnachtsmann schüttelte den Kopf. » Nee, hier sind die Leute normal krank, nicht verrückt. Das ist das Bezirkskrankenhaus. «
Die Sonne schien noch immer, keine Wolke stand am Himmel. Nach dem Krankenhaus bogen sie links ab, fuhren einen steilen Hügel hinauf und rollten in das Wohnviertel, wo ein Schild um Rücksicht auf die Kinder bat.
Achtet auf unsere spielenden Kinder.
Jan muss an all die Kinder denken, auf die er im Laufe der Jahre geachtet hat. Keines war je sein eigenes gewesen, sondern er war dafür angestellt, sich um sie zu kümmern. Doch sie wurden in gewisser Weise zu seinen Kindern, und wenn seine Vertretungszeit beendet war, war es immer schwer, sich von ihnen zu trennen. Oft weinten sie beim Abschied. Manchmal weinte er auch.
Plötzlich fällt sein Blick auf ein paar Kinder zwischen den Häusern - vor einer Garage spielen vier Jungs von ungefähr zwölf Jahren Feldhockey.
Sind Zwölfjährige denn wirklich noch Kinder? Wann hören Kinder auf, Kinder zu sein?
Jan lehnt sich in den Autositz zurück und schiebt alle tiefer gehenden Fragen beiseite. Jetzt muss er sich darauf konzentrieren, klare Antworten zu geben. Bewerbungsgespräche sind anstrengend, wenn man etwas zu verbergen hat, und wer hat das nicht? Jeder hat seine kleinen Geheimnisse, über die er nicht sprechen möchte. Auch Jan. Aber gerade heute dürfen sie nicht zum Vorschein kommen.
Vergiss nicht, dass Högsmed Psychiater ist.
Das Taxi verlässt das Wohngebiet und fährt durch einige Viertel mit niedrigen Reihenhäusern. Dahinter erstreckt sich eine große Wiese, die an eine mindestens fünf Meter hohe, grüne Betonmauer grenzt. Auf der Mauerkrone verläuft in dünnen Linien fest gespannter Stacheldraht.
Fehlen nur noch hohe Türme mit bewaffneten Wachleuten.
Hinter der Mauer erhebt sich fast wie ein Schloss ein großes, graues Steinhaus. Jan sieht nur den oberen Teil, schmale Fensterreihen unter einem langen Ziegeldach. Viele der Fenster sind mit Gittern versehen.
Dort hinter den Gittern sitzen sie, denkt Jan, die Gefährlichsten der Gefährlichen. Die man nicht auf die Straße lassen kann. Und dorthinein gehst du jetzt.
Er spürt, wie ihm das Herz in der Brust schneller schlägt, als er an Alice Rami denkt und an die Möglichkeit, dass sie in diesem Moment da sitzt und durch eines der Gitter zu ihm herübersieht.
Ruhig, ganz ruhig.
Jan ist ein Mensch, der in sich selbst ruht, und er liebt Kinder wirklich. Das wird Doktor Högsmed schon begreifen.
In die Betonmauer ist ein breites Stahltor eingelassen, doch davor herrscht Halteverbot, also bleibt das Taxi auf der Wendeplatte stehen. Jan ist angekommen. Das Taxameter zeigt sechsundneunzig Kronen. Er gibt einen Hunderter nach vorn.
» Stimmt so. «
»Aha.«
Der Weihnachtsmann scheint nicht sonderlich begeistert über das Trinkgeld, von vier Kronen kann man keine Weihnachtsgeschenke für die Kinder kaufen. Daher steigt er nicht aus dem Wagen, um Jan die Tür zu öffnen.
» Viel Glück mit dem Job «, brummt der Fahrer nur, als er die Quittung durch das halb heruntergekurbelte Seitenfenster reicht.
Jan nickt und rückt sein Jackett zurecht.
» Kennen Sie jemanden, der dort arbeitet? «, fragt er noch schnell.
» Nicht, dass ich wüsste «, erwidert der Weihnachtsmann. » Aber die meisten, die da oben arbeiten, halten sowieso die Klappe, damit ersparen sie sich eine Menge Fragen über die Leute da drin. «
Jan sieht, dass sich in der Mauer neben dem breiten Tor eine kleinere Tür geöffnet hat. Dort steht jemand und wartet auf ihn, ein Mann um die vierzig mit schwarzer Drahtbrille und dickem braunem Haar. Auf die Entfernung erinnert er ein wenig an John Lennon.
Lennon ist von Mark Chapman erschossen worden, denkt Jan. Warum erinnert er sich jetzt daran? Weil dieser Mord Chapman über Nacht weltbekannt machte.
Wenn Rami in Sankt Patricia ist, welche Berühmtheiten werden dann wohl noch dort weggeschlossen sein?
Vergiss es, sagt eine innere Stimme. Und vergiss auch den » Luchs«. Konzentriere dich auf das Bewerbungsgespräch.
Der Mann an der Mauer trägt keinen weißen Arztkittel, sondern nur eine schwarze Hose und ein braunes Jackett, trotzdem ist es offensichtlich, um wen es sich handelt.
Doktor Högsmed rückt seine Brille zurecht und konzentriert sich auf Jan. Die Beurteilung hat bereits begonnen.
Jan wendet sich ein letztes Mal an den Taxifahrer. » Können Sie jetzt den Namen sagen? «
»Welchen Namen?«
Jan deutet mit einem Nicken auf die Betonmauer. » Den Namen des Krankenhauses . . . Wie nennen es die Leute? «
Der Weihnachtsmann antwortet nicht gleich, sondern lächelt amüsiert über Jans Neugier.
» Sankt Psycho «, sagte er schließlich.
»Was?«
Der Taxifahrer zuckt die Schultern. » Grüße an Ivan Rössel . . . Der soll doch hier einsitzen. «
Dann wird das Fenster hochgekurbelt, und das Taxi fährt davon.
Copyright © Piper Verlag GmbH, München 2012
» Achtet auf unsere spielenden Kinder! «, liest Jan durch das Seitenfenster des Taxis. Der Text ist auf ein blaues Plastikschild gemalt, und darunter steht die Ermahnung : LANGSAM FAHREN.
» Verdammte Kinder! «, ruft der Fahrer.
Jan fällt nach vorn. Das Taxi ist um eine Ecke gebogen und musste abrupt vor einem Dreirad bremsen, das ein Kind mitten auf der Straße hat stehen lassen.
Die Straße liegt in einem Wohnviertel mit Einfamilienhäusern in der Stadt Valla. Jan sieht niedrige Holzzäune vor weißen Steinhäusern und dann das große Warnschild.
Achtet auf unsere spielenden Kinder. Doch obwohl da ein Dreirad steht, sind die Straßen leer. Hier gibt es keine Kinder, auf die man achten könnte.
Vielleicht sind sie alle in den Häusern, denkt Jan. Eingesperrt.
Der Fahrer, der mit seiner zerfurchten Stirn, dem weißen Weihnachtsmannbart und einem müden Blick aussieht, als stünde er kurz vor der Rente, mustert ihn im Rückspiegel. Jan ist diese müden Blicke gewohnt, die gibt es überall.
Bis zu der Vollbremsung und dem Fluch hat der Fahrer so gut wie nichts gesagt, doch als er wieder anfährt, stellt er plötzlich eine Frage: » Sankt Patricia . . . arbeiten Sie da oben?«
Jan schüttelt den Kopf. » Nein, noch nicht. «
» Aha. Wollen Sie sich bewerben? «
»Ja.«
» Ach so «, erwidert der Fahrer.
Jan sagt nichts weiter, sondern senkt den Blick. Er will nicht zu viel von sich erzählen, und er weiß nicht, was er über das Krankenhaus sagen darf.
Der Fahrer plaudert weiter: » Sie wissen sicher, dass es noch einen anderen Namen für das Haus gibt, oder? «
Jan blickt wieder auf. » Nein. Welchen denn? «
Der Fahrer lächelt ein wenig über sein Lenkrad hinweg.
» Das erzählen die Ihnen da oben bestimmt selbst. «
Jan sieht zur Seite, auf die Reihen der Einfamilienhäuser, und denkt an den Mann, den er bald treffen wird. Doktor Patrik Högsmed, Chefarzt. Sein Name stand unter einer Stellenanzeige, die Jan Mitte Juni entdeckt hatte:
ERZIEHER(IN)/VORSCHULLEHRER(IN)
für » Die Lichtung « als Vertretung gesucht.
Der Text unter der Überschrift ähnelte vielen anderen, die er bereits gelesen hatte:
Sie sind Erzieher(in) und/oder Vorschullehrer(in), gerne männlich und jünger, da wir eine gleichberechtigte und gemischte Personalgruppe anstreben.
Als Mensch ruhen Sie in sich selbst und sind offen und ehrlich. Sie mögen Spiele und Musik und alle Arten kreativer Tätigkeit. Unsere Vorschule liegt in einer reizvollen Umgebung, deshalb sollten Sie Ausflüge in Wald und Flur schätzen.
Sie wollen aktiv für eine positive Stimmung in der Vorschule sorgen und sich gegen alle Formen von Diskriminierung stellen.
Vieles davon traf auf Jan zu. Er war ein junger Mann, ausgebildeter Vorschullehrer, er mochte Spiele, und er hatte in seiner Jugend eine Weile Schlagzeug gespielt, allerdings meist für sich allein.
Diskriminierungen konnte er aus persönlichen Gründen nicht leiden.
Aber war er offen und ehrlich? Je nachdem. Auf jeden Fall war er gut darin, offen zu wirken.
Schlussendlich war es die Adresse der Kontaktperson, die Jan dazu veranlasst hatte, die Anzeige auszuschneiden. Der Ansprechpartner hieß Oberarzt Dr. Patrik Högsmed, und seine Anschrift lautete: Geschäftsleitung, Forensische Psychiatrische Klinik Sankt Patricia, Valla.
Es war Jan schon immer schwergefallen, sich selbst anzupreisen, doch die Anzeige hatte mehrere Tage auf dem Küchentisch gelegen und ihn angestarrt, und irgendwann hatte er doch dort angerufen.
» Högsmed «, sagte eine leise Männerstimme.
»Doktor Högsmed?«
»Ja?«
» Ich heiße Jan Hauger, und ich interessiere mich für die freie Stelle. «
»Welche Stelle?«
» Die Stelle als Vorschullehrer bei Ihnen. Ab September.«
In der Leitung war es kurz still, ehe Högsmed antwortete: »Aha, ja, die ... «
Högsmed sprach leise, er wirkte zerstreut. Doch dann antwortete er mit einer Frage: » Und warum interessieren Sie sich für die Stelle? «
» Nun . . . « Die Wahrheit konnte Jan nicht sagen, also hätte er jetzt anfangen müssen, zu lügen oder zumindest Dinge zu verschweigen. » Ich bin neugierig «, erwiderte er deshalb einfach nur.
»Neugierig«, echote Högsmed.
» Ja . . . auf den Arbeitsplatz und auf die Stadt. Ich habe hauptsächlich in Einrichtungen in größeren Städten gearbeitet, und ich fände es spannend, an einen kleineren Ort zu ziehen und zu sehen, wie es dort in einer Vorschule zugeht.«
» Gut «, hatte Högsmed gesagt. » Allerdings ist das hier eine etwas spezielle Einrichtung für Kinder, weil deren Eltern bei uns Patienten sind . . . «
Dann hatte er ausgeführt, warum Sankt Patricia überhaupt eine Vorschule hatte : » Wir haben sie vor einigen Jahren als Versuchseinrichtung eröffnet. Die Grundidee beruht auf Forschungsergebnissen, wonach die Beziehung zu den Eltern absolut entscheidend für die Entwicklung kleiner Kinder ist, um sozial reife Individuen werden zu können. Sowohl temporäre als auch dauerhafte Aufenthalte in Kinderheimen bringen immer gewisse Probleme mit sich, und hier in Sankt Patricia wissen wir, wie wichtig es ist, dass Kinder einen regelmäßigen und stabilen Kontakt zu beiden biologischen Eltern haben, und zwar trotz der speziellen Umstände. Und auch für den betroffenen Elternteil ist der Kontakt zum Kind natürlich wichtiger Bestandteil der Behandlung. « Der Doktor machte eine Pause und fügte dann hinzu : » Das ist es schließlich, was wir hier in der Klinik machen : Wir behandeln. Wir bestrafen nicht, egal, was unsere Patienten auch immer getan haben.«
Jan hatte zugehört und dabei bemerkt, dass der Doktor nicht das Wort » heilen « verwendet hatte.
Högsmed hatte das Gespräch mit einer raschen Frage beendet : » Wie klingt das für Sie? «
Jan fand, dass es interessant klang, und er hatte eine Bewerbung mit einem beigefügten Lebenslauf geschickt.
Anfang August hatte Högsmed dann zurückgerufen. Jan war in der Auswahl eine Runde weitergekommen, und der Doktor wollte ihn kennenlernen. Sie hatten einen Termin in der Klinik vereinbart, und gegen Ende des Gesprächs sagte Högsmed : » Eine Bitte habe ich noch, Herr Hauger.«
»Ja?«
» Bringen Sie einen Ausweis mit, Ihren Führerschein oder Ihren Pass, damit wir uns versichern können, wer Sie sind.«
» Ja, ja, natürlich. «
» Und noch eine letzte Sache, Herr Hauger . . . tragen Sie keine scharfen Gegenstände bei sich, denn dann werden Sie bei uns nicht in die Klinik gelassen. «
»Scharfe Gegenstände?«
» Scharfe Gegenstände aus Metall, also . . . keine Messer. «
Jan kam - ohne scharfe Gegenstände - gegen dreizehn Uhr, eine halbe Stunde vor dem Bewerbungsgespräch, mit dem Zug in Valla an. Er behielt die Zeit im Auge, war aber immer noch ganz ruhig. Er würde ja keinen Berg besteigen müssen, sondern hatte nur ein Bewerbungsgespräch vor sich.
Es war ein sonniger Dienstag Anfang September, und die Straßen der Stadt um den Bahnhof herum waren hell und trocken, aber menschenleer. Er war zum ersten Mal in Valla, und als er auf den Bahnhofsvorplatz trat, wurde ihm klar, dass niemand wusste, dass er hier war. Niemand. Der Oberarzt von Sankt Patricia wartete natürlich auf ihn, doch für Doktor Högsmed war er nur ein Name und ein Lebenslauf.
War er bereit? Natürlich. Er zog die Jackettärmel herunter und glättete seinen blonden Haarschopf, dann ging er zum Taxistand. Dort wartete ein einziger Wagen.
» Klinik Sankt Patricia. Wissen Sie, wo das ist? «
»Aberja.«
Der Fahrer sah zwar aus wie der Weihnachtsmann, war aber nicht ebenso freundlich ; er faltete wortlos seine Zeitung zusammen und ließ den Motor an. Als Jan sich auf dem Rücksitz niedergelassen hatte, begegneten sich ihre Blicke für eine halbe Sekunde im Rückspiegel, als wollte der Weihnachtsmann prüfen, ob Jan auch gesund sei.
Er hatte erwogen, den Fahrer zu fragen, ob er denn wisse, was für eine Art Klinik Sankt Patricia sei, doch sein Blick war eindeutig.
Sie fuhren vom Bahnhofsvorplatz auf eine Straße, die parallel zu den Zuggleisen verlief, dann nahmen sie eine kurze Unterführung unter den Gleisen hindurch. Auf der anderen Seite standen mehrere große braune Ziegelbauten mit Fassaden aus Stahl und Glas, die wie ein Krankenhaus aussahen. Vor dem breiten Eingang sah Jan zwei gelbe Notarztwagen stehen.
» Ist das hier Sankt Patricia? «
Doch der Weihnachtsmann schüttelte den Kopf. » Nee, hier sind die Leute normal krank, nicht verrückt. Das ist das Bezirkskrankenhaus. «
Die Sonne schien noch immer, keine Wolke stand am Himmel. Nach dem Krankenhaus bogen sie links ab, fuhren einen steilen Hügel hinauf und rollten in das Wohnviertel, wo ein Schild um Rücksicht auf die Kinder bat.
Achtet auf unsere spielenden Kinder.
Jan muss an all die Kinder denken, auf die er im Laufe der Jahre geachtet hat. Keines war je sein eigenes gewesen, sondern er war dafür angestellt, sich um sie zu kümmern. Doch sie wurden in gewisser Weise zu seinen Kindern, und wenn seine Vertretungszeit beendet war, war es immer schwer, sich von ihnen zu trennen. Oft weinten sie beim Abschied. Manchmal weinte er auch.
Plötzlich fällt sein Blick auf ein paar Kinder zwischen den Häusern - vor einer Garage spielen vier Jungs von ungefähr zwölf Jahren Feldhockey.
Sind Zwölfjährige denn wirklich noch Kinder? Wann hören Kinder auf, Kinder zu sein?
Jan lehnt sich in den Autositz zurück und schiebt alle tiefer gehenden Fragen beiseite. Jetzt muss er sich darauf konzentrieren, klare Antworten zu geben. Bewerbungsgespräche sind anstrengend, wenn man etwas zu verbergen hat, und wer hat das nicht? Jeder hat seine kleinen Geheimnisse, über die er nicht sprechen möchte. Auch Jan. Aber gerade heute dürfen sie nicht zum Vorschein kommen.
Vergiss nicht, dass Högsmed Psychiater ist.
Das Taxi verlässt das Wohngebiet und fährt durch einige Viertel mit niedrigen Reihenhäusern. Dahinter erstreckt sich eine große Wiese, die an eine mindestens fünf Meter hohe, grüne Betonmauer grenzt. Auf der Mauerkrone verläuft in dünnen Linien fest gespannter Stacheldraht.
Fehlen nur noch hohe Türme mit bewaffneten Wachleuten.
Hinter der Mauer erhebt sich fast wie ein Schloss ein großes, graues Steinhaus. Jan sieht nur den oberen Teil, schmale Fensterreihen unter einem langen Ziegeldach. Viele der Fenster sind mit Gittern versehen.
Dort hinter den Gittern sitzen sie, denkt Jan, die Gefährlichsten der Gefährlichen. Die man nicht auf die Straße lassen kann. Und dorthinein gehst du jetzt.
Er spürt, wie ihm das Herz in der Brust schneller schlägt, als er an Alice Rami denkt und an die Möglichkeit, dass sie in diesem Moment da sitzt und durch eines der Gitter zu ihm herübersieht.
Ruhig, ganz ruhig.
Jan ist ein Mensch, der in sich selbst ruht, und er liebt Kinder wirklich. Das wird Doktor Högsmed schon begreifen.
In die Betonmauer ist ein breites Stahltor eingelassen, doch davor herrscht Halteverbot, also bleibt das Taxi auf der Wendeplatte stehen. Jan ist angekommen. Das Taxameter zeigt sechsundneunzig Kronen. Er gibt einen Hunderter nach vorn.
» Stimmt so. «
»Aha.«
Der Weihnachtsmann scheint nicht sonderlich begeistert über das Trinkgeld, von vier Kronen kann man keine Weihnachtsgeschenke für die Kinder kaufen. Daher steigt er nicht aus dem Wagen, um Jan die Tür zu öffnen.
» Viel Glück mit dem Job «, brummt der Fahrer nur, als er die Quittung durch das halb heruntergekurbelte Seitenfenster reicht.
Jan nickt und rückt sein Jackett zurecht.
» Kennen Sie jemanden, der dort arbeitet? «, fragt er noch schnell.
» Nicht, dass ich wüsste «, erwidert der Weihnachtsmann. » Aber die meisten, die da oben arbeiten, halten sowieso die Klappe, damit ersparen sie sich eine Menge Fragen über die Leute da drin. «
Jan sieht, dass sich in der Mauer neben dem breiten Tor eine kleinere Tür geöffnet hat. Dort steht jemand und wartet auf ihn, ein Mann um die vierzig mit schwarzer Drahtbrille und dickem braunem Haar. Auf die Entfernung erinnert er ein wenig an John Lennon.
Lennon ist von Mark Chapman erschossen worden, denkt Jan. Warum erinnert er sich jetzt daran? Weil dieser Mord Chapman über Nacht weltbekannt machte.
Wenn Rami in Sankt Patricia ist, welche Berühmtheiten werden dann wohl noch dort weggeschlossen sein?
Vergiss es, sagt eine innere Stimme. Und vergiss auch den » Luchs«. Konzentriere dich auf das Bewerbungsgespräch.
Der Mann an der Mauer trägt keinen weißen Arztkittel, sondern nur eine schwarze Hose und ein braunes Jackett, trotzdem ist es offensichtlich, um wen es sich handelt.
Doktor Högsmed rückt seine Brille zurecht und konzentriert sich auf Jan. Die Beurteilung hat bereits begonnen.
Jan wendet sich ein letztes Mal an den Taxifahrer. » Können Sie jetzt den Namen sagen? «
»Welchen Namen?«
Jan deutet mit einem Nicken auf die Betonmauer. » Den Namen des Krankenhauses . . . Wie nennen es die Leute? «
Der Weihnachtsmann antwortet nicht gleich, sondern lächelt amüsiert über Jans Neugier.
» Sankt Psycho «, sagte er schließlich.
»Was?«
Der Taxifahrer zuckt die Schultern. » Grüße an Ivan Rössel . . . Der soll doch hier einsitzen. «
Dann wird das Fenster hochgekurbelt, und das Taxi fährt davon.
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Autoren-Porträt von Johan Theorin
Johan Theorin, geb. 1963 in Göteborg, gehört zu den meistgelesenen Krimiautoren seines Landes. Die ersten drei Bände seines Öland-Quartetts, ausgezeichnet führten regelmäßig die schwedischen Bestsellerlisten an.
Bibliographische Angaben
- Autor: Johan Theorin
- 2012, 471 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Susanne Dahmann
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492055516
- ISBN-13: 9783492055512
Rezension zu „So bitterkalt “
"Superspannender Schweden-Krimi über Psychatrie und Gutmenschentum.", Format, 07.12.2012
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