Die Welt aus den Fugen
Betrachtungen zu den Wirren der Gegenwart
Seit über 60 Jahren ist Peter Scholl-Latour ein Garant für Qualitätsjournalismus. In seinem neuesten Werk schildert er die aktuellen Gefahrenherde: Der Abzug der USA aus Afghanistan und dem Irak hinterlässt zerrüttete...
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Produktinformationen zu „Die Welt aus den Fugen “
Seit über 60 Jahren ist Peter Scholl-Latour ein Garant für Qualitätsjournalismus. In seinem neuesten Werk schildert er die aktuellen Gefahrenherde: Der Abzug der USA aus Afghanistan und dem Irak hinterlässt zerrüttete Staaten. Pakistan ist ein Pulverfass mit Nuklearwaffen. Der Iran-Konflikt eskaliert!
Klappentext zu „Die Welt aus den Fugen “
Die Weltpolitik gleicht derzeit einem aufziehenden Gewittersturm. Ob in Afrika oder Lateinamerika, in Arabien oder im Mittleren Osten - überall braut sich Unheilvolles zusammen. Und auch der Westen - Europa und die USA -, einst Hort der Stabilität, wird von Krisen heimgesucht wie seit langem nicht. Peter Scholl-Latour, Spezialist für turbulente Großwetterlagen, kennt die Welt wie kein Zweiter. Vor dem Hintergrund seiner sechzigjährigen Erfahrung als Chronist des Weltgeschehens beleuchtet er in seinem neuen Buch die Brennpunkte der aktuellen Weltpolitik. Der Abzug der USA aus dem Irak und Afghanistan hinterlässt zerrüttete Staaten, die in Bürgerkriegen versinken. Der Konflikt um Irans Atompolitik spitzt sich gefährlich zu. Pakistan ist ein Pulverfass. Die arabische Welt befindet sich in Aufruhr, mit ungewissem Ausgang. Die Zahl der "failed states", Brutstätten des Terrorismus, nimmt beständig zu, vor allem in Afrika. Zu allem Überfluss stolpern Europa und Amerika von einer Finanzkrise in die nächste und erweisen sich international zunehmend als handlungsunfähig. Mit dem ihm eigenen Gespür für weltpolitische Umbrüche begibt sich Peter Scholl-Latour auf eine Tour d'Horizon rund um den Globus und schildert eine Welt aus den Fugen.
Lese-Probe zu „Die Welt aus den Fugen “
Die Welt aus den Fugen von Peter Scholl-LatourEL MUQADDIMA - EINFÜHRUNG
Am Rande des Abgrundes
Ulan Bator (Mongolei), im Sommer 2012
Es mag ein seltsamer Einfall sein, Betrachtungen über die Schicksalswende, der unsere Welt ausgesetzt ist, in der Mongolei beginnen zu lassen. Der zentralasiatische Staat - acht Mal so groß wie Deutschland, aber nur von knapp drei Millionen Menschen bevölkert - ist für die meisten Europäer bedeutungslos. Die Mongolei lebt eingeklemmt zwischen zwei Giganten - Rußland und China. Sie war jahrhundertelang der Einflußnahme dieser beiden expansiven Nachbarn ausgeliefert. Aber von der endlosen Gras- und Wüstenlandschaft ist vor 800 Jahren die Gründung des gewaltigsten Imperiums der Geschichte ausgegangen, das sich - wenn auch zeitlich begrenzt - unter der Herrschaft seines legendären Gründers Dschingis Khan den immensen Raum zwischen Mittelmeer und Pazifischem Ozean unterworfen hatte. Die kriegerischen Horden seiner Steppenreiter, denen keine Streitmacht gewachsen war, haben damals fürchterliche Verwüstungen angerichtet, ganze Völkerschaften ausgelöscht. Der persische und arabische Orient hat sich von den Nachwehen dieser Vernichtung bis auf den heutigen Tag nicht erholt. Dem christlichen Abendland erschienen diese gespenstischen Boten des Unheils als Ausgeburten der Hölle, sie waren »ex tartaro« aufgetaucht, weswegen man sie »Tartaren« nannte.
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Ein paar Kilometer von der Hauptstadt Ulan Bator entfernt ragt das kolossale, silbern glänzende Reiterstandbild Dschingis Khans - vierzig Meter hoch, aus 250 Tonnen Edelstahl gegossen - über der Weidelandschaft. Es erinnert die Russen daran, daß die Enkel dieses Gewaltmenschen den ganzen slawischen Siedlungsraum bis zu den Pripjet-Sümpfen Weißrußlands fast drei Jahrhunderte lang unter das Joch der »Goldenen Horde« zwängten. Ein anderer Erbe des in der heutigen Mongolei als Nationalheld verehrten Welteroberers hatte das chinesische Reich der Mitte beherrscht und auf dem Drachenthron von Peking die mongolische Yuan-Dynastie etabliert, über deren Kaiser Kublai Khan und dessen Prachtentfaltung der Venezianer Marco Polo bewundernd und fasziniert berichtete.
Bis an die Schwelle des Heiligen Römischen Reiches waren die unbesiegbaren Bogenschützen vorgedrungen. Im Jahr des Herrn 1241 vernichteten sie nahe der schlesischen Stadt Liegnitz die vereinten Heere der deutschen und polnischen Ritterschaft. Ihr nach Westen vorstürmender Befehlshaber hatte den Feldzug jedoch jäh abgebrochen, um - in Gewaltetappen durch Rußland und Sibirien galoppierend - seine Ansprüche am Hof von Karakorum geltend zu machen, wo ein blutiger Erbfolgestreit ausgetragen wurde. Nur diesen fernen dynastischen Rivalitäten verdankte damals das mittelalterliche Abendland, daß es von der Heimsuchung durch die unheimlichen Krieger verschont blieb, die ihre schamanistischen Kultbräuche sehr bald durch die Bekehrung zum Islam ersetzten.
Es sollte eine lange Frist verstreichen, ehe Europa auf den Karavellen seiner iberischen Conquistadoren zu jener Weltherrschaft des »Weißen Mannes« ausholte, die noch vor wenigen Jahrzehnten mit dem globalen Hegemonialanspruch der Vereinigten Staaten von Amerika einerseits, der weltrevolutionären Sendungsanmaßung der Sowjetunion andererseits ihren triumphalen Gipfel und gleichzeitig ihren Bruchpunkt erreichte.
Vielleicht muß man am Rande der Wüste Gobi vor den Ruinen der Paläste von Karakorum stehen, wo die Großkhane der Mongolen einst ihre Allmacht zelebrierten, um sich des unvermeidlichen Erschöpfungsprozesses, der fatalen Folgen der überdimensionalen Ausdehnung bewußt zu werden, der zunächst die ermatteten europäischen Kolonisatoren, dann die vergreiste Führungsmannschaft der Sowjetunion erlagen, während manche Auguren der USA im Hinblick auf den eigenen Niedergang von bangen Ahnungen heimgesucht werden. Angesichts der sich anbahnenden Verlagerung des globalen Schwerpunktes vom Atlantischen zum Pazifischen Ozean sollten vor allem die Politiker unseres zerstrittenen Kontinents die Bedeutungslosigkeit, die Prekarität der »condition européenne « erkennen. Der Blick auf die Weltkarte, deren fünf Kontinente noch zur Zeit meiner Kindheit in den Farben der europäischen Kolonialmächte koloriert waren, verweist diese erschlafften »Graeculi« der Neuzeit auf die beklemmende Mahnung des französischen Schriftstellers Paul Valéry, daß nämlich Europa nur ein »Kap Asiens« sei.
*
In dem vorliegenden Buch beabsichtige ich nicht, eine ausführliche Schilderung des Schwebezustandes vorzunehmen, in dem sich die heutige Mongolei befindet. Sie sieht sich umringt von der sogenannten Shanghai-Organisation, in der Rußland und China ein opportunistisches Zweckbündnis geschlossen haben. Die Mongolei ist - anders als die zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion - diesem lockeren Verbund nur als Beobachter beigetreten. Gleichzeitig pflegt sie ihre Beziehungen zu jener amerikanisch dominierten Gruppierung, die als Gegengewicht zur Einflußnahme Moskaus und Pekings eine De-facto-Allianz mit Japan, Südkorea und Taiwan eingegangen ist. Die folgenden Kapitel stellen sich wie ein Kaleidoskop dar und reihen eine Serie von Kommentaren, Fernsehdokumentationen und Interviews aneinander. Sie sind in chronologischer Reihenfolge ohne jede nachfolgende Berichtigung abgedruckt. Beim Blättern in früheren Notizen bin ich auf einen Text gestoßen, der - obwohl seine Niederschrift etwa zwanzig Jahre zurückliegt - überaus aktuell klingt.
»Es geht um nichts weniger als um die Überprüfung der Pauschalbegriffe ›Menschenrechte‹ und ›Parlamentarische Demokratie‹«, schrieb ich damals. »Auf diese Grundwerte zivilisatorischen Zusammenlebens sollte in unserem christlichabendländischen Kulturkreis niemand verzichten. Aber die Übertragung dieser westlichen Postulate auf die völlig andersgeartete Staatenvielfalt der sogenannten Dritten Welt verkommt meist zum Zerrbild. Die wirtschaftlich oder strategisch motivierte Heuchelei, eine opportunistisch selektive Einforderung dieser hohen Prinzipien würden von den Betroffenen oft und zu Recht als eine neue Form arroganter Überfremdung, ja des Neo-Imperialismus empfunden.«
»Die Debatte ist angebracht«, so fuhr ich fort, »ob die repräsentative Demokratie, eine Tochter des bürgerlichen 19. Jahrhunderts, nicht ihre Glanzzeit - selbst in Europa und Amerika - hinter sich hat, seit die Omnipräsenz der audio visuellen, aber auch der Printmedien einer betrüblichen Nivel lierung der Meinungs- und Informationsvermittlung Vorschub leistet. Unter dem Druck dieser kollektiven Stimmungsmache, die unseren Volksvertretern oft mehr Furcht einflößt als die Gesinnungsschwankungen ihrer Wähler, könnte der klassische Parlamentarismus eines Tages ersticken oder zum Formalismus werden.«
Seitdem hat eine rasante Fortentwicklung der Elektronik eingesetzt, deren Folgen noch unabsehbar sind. In ihrer umwälzenden Bedeutung hat sie die Erfindung der Buchdruckerei weit hinter sich gelassen und das Tor zu einer unberechenbaren Zukunft aufgestoßen. Seinerzeit erlaubte die Technik Guttenbergs, den Wissens- und Bildungskreis, der bislang auf eine geringe Anzahl von Gelehrten, vornehmlich Kleriker, begrenzt war, auch auf die breiten Volksmassen auszudehnen, was zunächst der rapide um sich greifenden Reformation Luthers und Calvins zugute kam. Heute existiert ein System der totalen Transparenz, die die Schreckensvisionen Orwells in seinem Buch »1984« überflügelt. Es gibt neuerdings keine Privatsphäre mehr, in die man sich flüchten könnte. Die Entwicklung zur absoluten Überwachung - befördert durch den eigenen Hang zum Exhibitionismus, dem nicht nur die sogenannten Prominenten verfallen, sondern in dem sich auch die bedeutungslosen Benutzer von Facebook und Internet zu profilieren suchen - wird gesellschaftliche Verlagerungen nach sich ziehen, die zur Stunde noch unsere Vorstellungskraft überfordern. Schon prophezeien kluge Analytiker eine Verdrängung des Menschen durch die Automatik der Maschinen, eine Vision, die sich bereits zur Zeit der Industrialisierung
- als Gerhart Hauptmann »Die Weber« schrieb - ankündigte, die jedoch demnächst in eine Ära der Roboter einzumünden droht. Der französische Autor André Malraux hatte im Hinblick auf den technischen Durchbruch des 19. Jahrhunderts die Meinung vertreten, daß Napoleon Bonaparte noch mit vergleichbaren Methoden und Konzepten seine Verwaltung ausüben und seine Schlachten schlagen konnte wie der ägyptische Pharao Ramses II. Diese Kontinuität sei jedoch durch den Einbruch des Maschinenalters jäh abgebrochen. Seitdem haben sich die Dinge mit unheimlicher Hast beschleunigt.
Copyright © Propyläen Verlag
Ein paar Kilometer von der Hauptstadt Ulan Bator entfernt ragt das kolossale, silbern glänzende Reiterstandbild Dschingis Khans - vierzig Meter hoch, aus 250 Tonnen Edelstahl gegossen - über der Weidelandschaft. Es erinnert die Russen daran, daß die Enkel dieses Gewaltmenschen den ganzen slawischen Siedlungsraum bis zu den Pripjet-Sümpfen Weißrußlands fast drei Jahrhunderte lang unter das Joch der »Goldenen Horde« zwängten. Ein anderer Erbe des in der heutigen Mongolei als Nationalheld verehrten Welteroberers hatte das chinesische Reich der Mitte beherrscht und auf dem Drachenthron von Peking die mongolische Yuan-Dynastie etabliert, über deren Kaiser Kublai Khan und dessen Prachtentfaltung der Venezianer Marco Polo bewundernd und fasziniert berichtete.
Bis an die Schwelle des Heiligen Römischen Reiches waren die unbesiegbaren Bogenschützen vorgedrungen. Im Jahr des Herrn 1241 vernichteten sie nahe der schlesischen Stadt Liegnitz die vereinten Heere der deutschen und polnischen Ritterschaft. Ihr nach Westen vorstürmender Befehlshaber hatte den Feldzug jedoch jäh abgebrochen, um - in Gewaltetappen durch Rußland und Sibirien galoppierend - seine Ansprüche am Hof von Karakorum geltend zu machen, wo ein blutiger Erbfolgestreit ausgetragen wurde. Nur diesen fernen dynastischen Rivalitäten verdankte damals das mittelalterliche Abendland, daß es von der Heimsuchung durch die unheimlichen Krieger verschont blieb, die ihre schamanistischen Kultbräuche sehr bald durch die Bekehrung zum Islam ersetzten.
Es sollte eine lange Frist verstreichen, ehe Europa auf den Karavellen seiner iberischen Conquistadoren zu jener Weltherrschaft des »Weißen Mannes« ausholte, die noch vor wenigen Jahrzehnten mit dem globalen Hegemonialanspruch der Vereinigten Staaten von Amerika einerseits, der weltrevolutionären Sendungsanmaßung der Sowjetunion andererseits ihren triumphalen Gipfel und gleichzeitig ihren Bruchpunkt erreichte.
Vielleicht muß man am Rande der Wüste Gobi vor den Ruinen der Paläste von Karakorum stehen, wo die Großkhane der Mongolen einst ihre Allmacht zelebrierten, um sich des unvermeidlichen Erschöpfungsprozesses, der fatalen Folgen der überdimensionalen Ausdehnung bewußt zu werden, der zunächst die ermatteten europäischen Kolonisatoren, dann die vergreiste Führungsmannschaft der Sowjetunion erlagen, während manche Auguren der USA im Hinblick auf den eigenen Niedergang von bangen Ahnungen heimgesucht werden. Angesichts der sich anbahnenden Verlagerung des globalen Schwerpunktes vom Atlantischen zum Pazifischen Ozean sollten vor allem die Politiker unseres zerstrittenen Kontinents die Bedeutungslosigkeit, die Prekarität der »condition européenne « erkennen. Der Blick auf die Weltkarte, deren fünf Kontinente noch zur Zeit meiner Kindheit in den Farben der europäischen Kolonialmächte koloriert waren, verweist diese erschlafften »Graeculi« der Neuzeit auf die beklemmende Mahnung des französischen Schriftstellers Paul Valéry, daß nämlich Europa nur ein »Kap Asiens« sei.
*
In dem vorliegenden Buch beabsichtige ich nicht, eine ausführliche Schilderung des Schwebezustandes vorzunehmen, in dem sich die heutige Mongolei befindet. Sie sieht sich umringt von der sogenannten Shanghai-Organisation, in der Rußland und China ein opportunistisches Zweckbündnis geschlossen haben. Die Mongolei ist - anders als die zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion - diesem lockeren Verbund nur als Beobachter beigetreten. Gleichzeitig pflegt sie ihre Beziehungen zu jener amerikanisch dominierten Gruppierung, die als Gegengewicht zur Einflußnahme Moskaus und Pekings eine De-facto-Allianz mit Japan, Südkorea und Taiwan eingegangen ist. Die folgenden Kapitel stellen sich wie ein Kaleidoskop dar und reihen eine Serie von Kommentaren, Fernsehdokumentationen und Interviews aneinander. Sie sind in chronologischer Reihenfolge ohne jede nachfolgende Berichtigung abgedruckt. Beim Blättern in früheren Notizen bin ich auf einen Text gestoßen, der - obwohl seine Niederschrift etwa zwanzig Jahre zurückliegt - überaus aktuell klingt.
»Es geht um nichts weniger als um die Überprüfung der Pauschalbegriffe ›Menschenrechte‹ und ›Parlamentarische Demokratie‹«, schrieb ich damals. »Auf diese Grundwerte zivilisatorischen Zusammenlebens sollte in unserem christlichabendländischen Kulturkreis niemand verzichten. Aber die Übertragung dieser westlichen Postulate auf die völlig andersgeartete Staatenvielfalt der sogenannten Dritten Welt verkommt meist zum Zerrbild. Die wirtschaftlich oder strategisch motivierte Heuchelei, eine opportunistisch selektive Einforderung dieser hohen Prinzipien würden von den Betroffenen oft und zu Recht als eine neue Form arroganter Überfremdung, ja des Neo-Imperialismus empfunden.«
»Die Debatte ist angebracht«, so fuhr ich fort, »ob die repräsentative Demokratie, eine Tochter des bürgerlichen 19. Jahrhunderts, nicht ihre Glanzzeit - selbst in Europa und Amerika - hinter sich hat, seit die Omnipräsenz der audio visuellen, aber auch der Printmedien einer betrüblichen Nivel lierung der Meinungs- und Informationsvermittlung Vorschub leistet. Unter dem Druck dieser kollektiven Stimmungsmache, die unseren Volksvertretern oft mehr Furcht einflößt als die Gesinnungsschwankungen ihrer Wähler, könnte der klassische Parlamentarismus eines Tages ersticken oder zum Formalismus werden.«
Seitdem hat eine rasante Fortentwicklung der Elektronik eingesetzt, deren Folgen noch unabsehbar sind. In ihrer umwälzenden Bedeutung hat sie die Erfindung der Buchdruckerei weit hinter sich gelassen und das Tor zu einer unberechenbaren Zukunft aufgestoßen. Seinerzeit erlaubte die Technik Guttenbergs, den Wissens- und Bildungskreis, der bislang auf eine geringe Anzahl von Gelehrten, vornehmlich Kleriker, begrenzt war, auch auf die breiten Volksmassen auszudehnen, was zunächst der rapide um sich greifenden Reformation Luthers und Calvins zugute kam. Heute existiert ein System der totalen Transparenz, die die Schreckensvisionen Orwells in seinem Buch »1984« überflügelt. Es gibt neuerdings keine Privatsphäre mehr, in die man sich flüchten könnte. Die Entwicklung zur absoluten Überwachung - befördert durch den eigenen Hang zum Exhibitionismus, dem nicht nur die sogenannten Prominenten verfallen, sondern in dem sich auch die bedeutungslosen Benutzer von Facebook und Internet zu profilieren suchen - wird gesellschaftliche Verlagerungen nach sich ziehen, die zur Stunde noch unsere Vorstellungskraft überfordern. Schon prophezeien kluge Analytiker eine Verdrängung des Menschen durch die Automatik der Maschinen, eine Vision, die sich bereits zur Zeit der Industrialisierung
- als Gerhart Hauptmann »Die Weber« schrieb - ankündigte, die jedoch demnächst in eine Ära der Roboter einzumünden droht. Der französische Autor André Malraux hatte im Hinblick auf den technischen Durchbruch des 19. Jahrhunderts die Meinung vertreten, daß Napoleon Bonaparte noch mit vergleichbaren Methoden und Konzepten seine Verwaltung ausüben und seine Schlachten schlagen konnte wie der ägyptische Pharao Ramses II. Diese Kontinuität sei jedoch durch den Einbruch des Maschinenalters jäh abgebrochen. Seitdem haben sich die Dinge mit unheimlicher Hast beschleunigt.
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Autoren-Porträt von Peter Scholl-Latour
Peter Scholl-Latour, geboren 1924 in Bochum. Promotion an der Sorbonne in Paris in den Sciences Politiques, Diplom an der Libanesischen Universität in Beirut in Arabistik und Islamkunde. Seitdem in vielfältigen Funktionen als Journalist und Publizist tätig, unter anderem als ARD-Korrespondent in Afrika und Indochina, als ARD- und ZDF-Studioleiter in Paris, als Programmdirektor des WDR-Fernsehens, als Chefredakteur und Herausgeber des STERN und als Vorstandsmitglied von Gruner + Jahr. Seine TV-Sendungen erreichten höchste Einschaltquoten, seine Bücher haben ihn zu Deutschlands erfolgreichstem Sachbuchautor gemacht. Peter Scholl-Latour verstarb 2014.
Bibliographische Angaben
- Autor: Peter Scholl-Latour
- 2012, 6. Aufl., 400 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Propyläen
- ISBN-10: 354907431X
- ISBN-13: 9783549074312
- Erscheinungsdatum: 05.10.2012
Rezension zu „Die Welt aus den Fugen “
"Schlicht brillant.", ARD, "Druckfrisch", Denis Scheck, 27.01.2013
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