Gelassen im Stress
Stellen Sie mit Fragebögen, Checklisten und Übungen Ihr persönliches Stressbewältigungsprogramm zusammen!
Wie bekommt man die alltäglichen Belastungen besser in den Griff? Am Anfang, so die...
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Produktinformationen zu „Gelassen im Stress “
Stellen Sie mit Fragebögen, Checklisten und Übungen Ihr persönliches Stressbewältigungsprogramm zusammen!
Wie bekommt man die alltäglichen Belastungen besser in den Griff? Am Anfang, so die Stressspezialistin Diana Drexler, sollte eine persönliche Stressanalyse stehen. Denn sie zeigt am besten, was Stress verursacht und wo wir vielleicht etwas an unserem Leben ändern müssen.
Lese-Probe zu „Gelassen im Stress “
Gelassen im Stress von Diana DrexlerEinleitung
Bitte nicht helfen, das Leben ist schon schwer genug.
Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Stress und habe zahlreiche Gruppenseminare in Kliniken, in der betrieblichen Gesundheitsförderung und in Weiterbildungsinstituten für Kollegen durchgeführt. In diesem Frühjahr ist dazu ein Handbuch mit Übungen und Materialien für Therapeuten und Berater erschienen (Integriertes Stressbewältigungsprogramm, ISP, Drexler 2006), und nun halten Sie ein Buch für den Alltags- gebrauch in Händen. Dies ist gar nicht so folgerichtig, wie es klingt, denn eigentlich bin ich überzeugt, dass dieses Thema für einen Ratgeber nicht taugt. Das klingt für Sie vielleicht kokett angesichts der Flut von Literatur, die es zu den Themen Stress und Gesundheit, Fit- und Wellness ohnehin schon gibt. Der Bedarf und somit ein Markt für solche Produkte und Dienstleistungen ist jedenfalls da - und fast jeder von uns, einschließlich ich selbst, hat schon einmal eines dieser Bücher erworben. Warum dann meine Vorsicht und Zurückhaltung?
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Zunächst einmal legt das Anti vor einem Begriff (wie Anti- Stress, Anti-Fett, Anti-Aging) nahe, dass dieser etwas Schlimmes benennt, das folglich zu ändern oder gar auszuschalten ist. Dabei wird in vielen Ratgebern ganz selbstverständlich unterstellt, dass dies möglich ist und dass danach alles viel besser wird. Erfahrungsgemäß stimmt jedoch beides nicht. Um beim Thema Stress zu bleiben: Stress per se ist nichts Schlimmes. In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnet der Begriff eine Aktivierungsreaktion auf Anforderungen. So gesehen ist Stress lebensnotwendig für die menschliche Entwicklung und ein Motor für Veränderung. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Stress gesundheitsförderlich ist - sofern Sie passende Bewältigungsmöglichkeiten und soziale Unterstützung haben und wenn Sie die Anforderungen als Herausforderung sehen können, für die sich die Anstrengung lohnt. Darüber hinaus wartet unser Leben ständig und reichlich mit Ereignissen auf, auf die wir nicht sofort eine Antwort haben oder zu reagieren wissen. Schicksalsschläge, Krankheit, Alter, aber auch die alltäglichen, belastenden Vorkommnisse sind durch den richtigen Lebensstil nicht zu vermeiden. Selbst glückliche Ereignisse können stressig sein, zum Beispiel eine Beförderung, Verliebtsein oder der lang ersehnte Familienzuwachs. Und schließlich kann man Gelassenheit, Gesundheit oder gar Glück nicht erwerben wie ein Reihenhaus. Genau das aber steckt hinter der Wunschvorstellung, ein problem- und leidensfreies Leben führen zu wollen oder zu können. In unserer so genannten Wohlstandsgesellschaft wird Gesundheit gehandelt wie ein Produkt, das man herstellen, erwerben oder kaufen kann und das, als höchstes Gut, natürlich seinen Preis hat. Entsprechend boomt der Markt für Ratgeber, Nahrungsergänzungsmittel und Gesundheitsseminare. Fit und fun, forever young und simplify ist die Devise, und es gibt kaum eine Werbung ohne Gesundheits- oder Glücksversprechen. Spannend daran ist, dass mit den fundamentalen Fortschritten der Wissenschaft und der medizinischen Versorgung keine Verbesserung des individuellen Gesundheitserlebens einhergegangen ist, im Gegenteil: Noch nie waren emotionale Befindlichkeitsstörungen verbreiteter. Stress ist in aller Munde, und die damit verbundenen Beschwerden nehmen zu. Viele Menschen - oft gerade solche, die besonders gesundheitsbewusst sind und viel für ihre körperliche Fitness tun - fühlen sich trotz ihrer Bemühungen keineswegs gesünder, im Gegenteil: Sie haben das Vertrauen in ihren Körper verloren und reagieren schon bei Unbehagen oder bei altersbedingt zu erwartenden körperlichen Veränderungen mit Krankheitsängsten und Verunsicherung. Die Toleranz gegenüber Beschwerden, Symptomen und Belastungen ist erheblich geringer als vor hundert Jahren, und sobald ein Leiden auftaucht, muss seine Ursache ausfindig gemacht, muss es abgeschafft werden. Im Gefolge des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts werden lebensfremde Machbarkeits- und Allmachtsphantasien begünstigt und immer neue Bedürfnisse produziert. Wenn immer schnellere Lösungen für bzw. Ablenkungen von Problemen verlangt werden, dann soll auch emotionale Befindlichkeit reguliert werden können, wie man es von unserer hoch technisierten Umgebung gewohnt ist. Dadurch entstehen statt Zufriedenheit und Befriedigung eher neue Ängste einerseits und Übersättigung andererseits. Außerdem richtet sich das Leben nicht nur nach unseren Wünschen. Es wird immer Risiken, unausweichliche Krisen, unplanbare Ereignisse und Probleme bergen, viele davon werden wir nicht lösen und wir werden sie nicht los. Diese Probleme werden mit dem Auftreten von Krankheit und spätestens mit dem Alter unweigerlich zunehmen, und sie werden mit dem Tod enden. Deshalb vertritt dieses Buch nicht den Anspruch, dass »völliges körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden« (WHO) erreichbar sei, wenn man nur gesund genug lebe. Der hier vertretene Anspruch ist aber vielleicht sogar höher: Seelisches und soziales Wohlbefinden ist auf direktem Weg gar nicht zu erreichen, es ist das Ergebnis lebenslangen Stressmanagements und erfordert die Bereitschaft und Fähigkeit, sich den Widernissen, Unsicherheiten und der Endlichkeit auch des heutigen Lebens zu stellen, achtsam und bescheidener mit unseren Wünschen nach anhaltender Gesundheit, Fitness und Wohlstand umzugehen, schicksals- und chaostauglich zu sein.
Dies ist kein Anti-Stressbuch und kein Gesundheitsratgeber, sondern?
1. Warum Ratschläge selten helfen Ich gebe Ratschläge immer weiter. Es ist das einzige, was man damit anfangen kann.
Oscar Wilde
Ich selbst habe mich immer dann für schnelle und effektive Methoden zur Belastungsbewältigung oder Verhaltensänderung interessiert, wenn ich mich wieder besonders gestresst, dick oder ausgelaugt fühlte und diesbezüglich rat-los war. In solchen Phasen nahm ich mir meistens weder die Zeit noch hatte ich die Nerven für Entspannungsübungen, ausgeklügelte Rezeptideen, Sport oder gar ein paar Tage Erholung. Der Griff ins Bücherregal mit viel versprechenden Titeln nach dem Motto leistungsfähig in drei Tagen und in fünf Schritten zum Lebenskünstler liegt da erst einmal nahe. Allerdings gingen meine Veränderungsbemühungen selten über ein Durchblättern dieser Bücher hinaus, und oft hatte ich danach noch mehr Druck, bekam ich doch in Wort und Bild vorgeführt, wie schlecht es um mich und meine Motivation bestellt war. Um fair zu sein: Es lag ja gar nicht an den Tipps und Ratschlägen, die gegeben wurden, und eigentlich wissen wir alle inzwischen ziemlich gut Bescheid darüber, was wir tun oder lassen könnten, um uns wohler zu fühlen. Vielmehr lag es an meiner eigenen Ungeduld, dieses Wissen auch im Alltag konsequent umzusetzen, bewährte Techniken wenigstens mittelfristig zu praktizieren oder gar in meinen Alltag zu integrieren. Dies ist aber eine wichtige Voraussetzung für die Wirksamkeit bekannter Entspannungsverfahren wie Yoga, Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung etc. Viele Teilnehmer in Stressseminaren geben an, diese Methoden probiert zu haben, aber in vielen Fällen ohne anhaltenden Erfolg. Und es stimmt: Probieren hilft tatsächlich nichts. Wir haben es hier zwar mit hoch effektiven Methoden zu tun, diese sind ohne längere Erfahrung jedoch nicht einzusetzen wie eine schnell wirkende Tablette oder eine Injektion. Sie sind hoch wirksam in dem Sinn, dass bei kontinuierlicher Praxis bestimmte körperliche und psychische Probleme gar nicht erst auftreten oder zumindest in deutlich abgeschwächter Form (z. B. Muskelschmerzen, Schlafprobleme, Nervosität, Erschöpfungszustände). Es gilt hier also auch, was für alle Arten von Lernen gilt, sei es eine Fremdsprache, ein Musikinstrument, ein Handwerk: Ohne Ausdauer, Mühe, Rückschläge und längere Praxis kommen wir höchst selten zur Könnerschaft, auch wenn wir die Begabung dazu haben.
Zusammengefasst sind es also nicht die richtigen Tipps oder Methoden, die uns fehlen, sondern die Zeit, der Entschluss, die Umsetzung. Hier wird allzu oft ein weiteres Modewort bemüht, die (fehlende) Motivation - und auch dafür gibt es wieder Seminare. Wenn Sie zu diesem Thema kurz innehalten wollen:
Motiviert?
Übung
Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem endlosen, weiten Meer.
Antoine de Saint-Exupéry
Fallen Ihnen Situationen oder Phasen in Ihrem Leben ein, in denen Sie leidenschaftlich involviert waren, sich eingesetzt oder engagiert haben und in denen anhaltende Anstrengung für Sie selbstverständlich war? Womit hing das zusammen, wie kam es, dass Sie sich motiviert, vital und energisch gefühlt haben?
Ich nehme an, dass Ihnen die Dinge, um die es ging, emotional wichtig und eine persönliche Herausforderung waren, dass Ihnen die beabsichtigten Ergebnisse damals wirklich etwas bedeuteten und dass Sie davon ausgingen, dass sich Ihr Einsatz lohnte. Bei Motivationsfragen geht es letztlich nämlich darum, ob mir etwas wirklich Sinn macht (ein interessanter Aspekt für Führungskräfte, die das Engagement und die Gesundheit ihrer Mitarbeiter im Auge haben wollen . . .). Mit Beispielen aus der eigenen Lebensgeschichte vor Augen, in denen Wollen, Kompetenz und Herausforderung in idealem Verhältnis zueinander standen und ich mehr leisten konnte, als ich mir selbst zugetraut hatte, gehe ich heute nachsichtiger bzw. gelassener mit Veränderungswünschen an mich selbst und meine Klienten um:
• Veränderung ist möglich, wenn ich etwas als zentral und wichtig für mich und mein Leben bewerte und wenn ich an meine Kompetenzen glaube. Ist das nicht oder noch nicht der Fall, werde ich mich schwerer damit tun.
• Operative Hektik ist kein Ersatz für eine gelassene Hinwendung zu dem, worum es eigentlich geht.
• Jeder von uns hat zahlreiche eigene Ressourcen und solche von Menschen in seiner Umgebung zur Verfügung, um die Probleme des Alltags lösbar oder erträglicher zu machen. Sie gilt es zu kennen und auszubauen.
Leider machen wir uns im Chaos des Alltags selten bewusst, was wir wirklich wollen (Lösungsanalyse), was uns eigentlich daran hindert (Problemanalyse) und welche Möglichkeiten uns überhaupt zur Verfügung stehen (Ressourcenanalyse). Darum geht es unter anderem in diesem Buch.
Manchmal haben auch Probleme ihren Sinn
Bevor Sie so genannte Defizite und Verhaltensmängel bei sich selbst und anderen verändern oder beseitigen wollen, lohnt sich vielleicht eine bewusste Zuwendung zum Problem: Worum geht es eigentlich, wenn ich jeden Abend den Kühlschrank im Stehen plündere? Wie kommt es, dass ich keine Lust auf Kino, geschweige denn auf einen erotischen Abend mit meiner Partnerin habe? Was würde ich stattdessen gerne tun? Vielleicht dienen solche Argumente wie Erschöpfung, Zeitmangel und Prioritätenzwänge ja nur der Selbstberuhigung, und es gibt im Grunde Ihres Herzens noch weitere »gute« Gründe für Ihr Tun bzw. Lassen? Das Interesse für die Hintergründe von so genannten Fehlern und Mängeln soll diese nicht rechtfertigen, es eröffnet jedoch einen neuen Blick auf das paradox erscheinende Phänomen, dass Leiden manchmal leichter ist als Lösen und dass eine achtsame Zuwendung zu den Dingen Bewegung erst möglich macht.
Fallbeispiel
Hierzu ein Beispiel:
In einem fachlich gut geleiteten Entspannungskurs werden die Teilnehmer die Erfahrung tiefer Entspannung machen, und sie fassen beherzte Vorsätze, regelmäßig zu üben. Viele scheitern dann an diesen Vorsätzen: Trotz schlechten Gewissens kommen sie nicht zum Üben oder es fällt ihnen erst kurz vor der nächsten Kursstunde wieder ein. Einige verbuchen diese Erfahrung als weitere Frustration und bleiben fortan dem Kurs fern. Andere können davon überzeugt werden, den Kurs auch ohne den selbst auferlegten Druck, unbedingt üben zu müssen, weiter zu besuchen. Sie sollen dann lediglich aufmerksamer dafür werden, was sie eigentlich von ihrem Ansinnen abhält, täglich zehn Minuten nur mit sich selbst, ohne Ablenkung, ohne Hilfsmittel, ohne schnelle Bereitschaft zur Unterbrechung zu verbringen. Was ist dringender, wichtiger, interessanter als die Übungen? Der eigentliche Effekt eines solchen Kurses ist dann zunächst nicht primär das Beherrschen der Methode, sondern ein bewussterer Umgang mit der eigenen Zeit.
Natürlich ist Verhaltensänderung auch typenabhängig, und bei existenziell bedrohlichen Verhaltensweisen wie exzessivem Trinken oder Rauchen ist radikales Aufhören oft die einzige Chance. Trockene Alkoholiker jedoch wissen am besten, dass für dieses »Nicht« ein Ersatz gefunden werden muss, will man nicht »vertrocknen «. Auch oder gerade eine radikale Verhaltensänderung bringt noch keine Veränderung eines lang praktizierten Lebensstils oder einer anhaltenden Neigung mit sich. Der so genannte Jojoeffekt von Blitz- und Radikaldiäten ist den meisten bekannt. Durch Brachialsportprogramme in den Ferien steigt nicht die körperliche Kondition, sondern es treten häufiger Verletzungen auf. Und - last but not least -
Es gibt keine Fünfminutenterrine gegen Stress.
Die Ungeduld verlangt das Unmögliche, nämlich die Erreichung des Ziels ohne die Mittel.
Georg F. W. Hegel
Eigentlich finde ich diese Erkenntnis entlastend. Haftet doch den Power-, Erfolgs- und Motivationsseminaren, den Fitness- und Zeitmanagementangeboten meistens die Botschaft an, alles sei leicht, wenn Mann oder Frau es nur richtig mache. Ganz nebenbei wird auch noch propagiert, die Tipps und Regeln gälten zeitlos für alle. Nichts davon ist der Fall. Seien Sie sicher, Sie werden mit dem »Erledigen« nie nachkommen, denn das Leben wartet täglich mit neuen Anforderungen auf, plötzlichen oder anhaltenden, inneren und äußeren, mehr oder weniger kontrollierbaren. Und Problemlösungen für längere Belastungen sind meistens komplexe, fortlaufende Prozesse. Es gibt keine Bewältigungsstrategie, die universell im Umgang mit Belastungen effektiv ist, jeder Mensch und seine Herausforderungen sind anders. Jede Handlung oder Aktivität zieht neue Erfordernisse und eventuell auch wieder neue Anforderungen nach sich, und jede Aktion kann je nach Person, Situation und Zeitpunkt sowohl sinnvoll und hilfreich als auch ungünstig sein. Gerade in verfahrenen Situationen kann es sogar weiterhelfen, entgegen den Erwartungen und Gepflogenheiten unkonventionell und intuitiv zu denken und zu handeln. Gesundheit ist also kein Zustand, sondern ein lebenslang immer neu auszulotender Prozess, der mit den persönlichen Lebensphasen, Wertvorstellungen und Lebenskonzepten variiert. Deshalb kann es in dem hier vertretenen Konzept nicht um von außen vorgegebene Ziele und schon gar nicht um Rezepte gehen.
2. Worum geht es in diesem Buch?
Sag es mir, und ich vergesse es; zeige es mir, und ich erinnere mich; lass es mich tun, und ich behalte es.
Konfuzius
Warum schreibt sie das, wozu dann dieses Buch? werden Sie mit Recht fragen. Ich bin davon überzeugt, dass es bei Themen wie Gelassenheit und Belastungsbewältigung um prinzipielle Fragen einer persönlichen Ziele- und Wertebestimmung und um eine bestimmte Haltung zu meinem Leben geht, wie ich dieses führen möchte - und eine solche Haltung ist über Bücher und Kurse tatsächlich schwer zu vermitteln. Überhaupt gibt es selten einen direkten Weg dahin, sondern dieses Selbstverständnis wächst kontinuierlich aus einer persönlichen Sehnsucht und Suche nach dem, was mir jetzt und letztlich wichtig ist. Dieser anhaltende Versuch, der eigenen Existenz Sinn und Gestalt zu geben, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Seine Erfüllung setzt wesentlich Bereitschaft, Zeit und manchmal sogar professionelle Begleitung voraus, um eigene und eigenständige Erfahrungen zu machen. Was Bücher und Kurse hier manchmal vermögen, sind Anstöße, Ermutigungen, sozusagen Rückenwind für eine solche Suchhaltung zu geben und die Einstellung zu stärken, dass dieser persönliche Weg neben und gegen Trends und Mainstream lohnenswert ist.
Im besten Fall könnte es Ziel dieses Buches sein, über die Beschäftigung mit einigen Themen, die mit Stress zu tun haben, mehr zu sich zu kommen und eigen-willig zu entscheiden, welche Haltung Sie zu bestimmten Problemen einnehmen und wo Sie selbst etwas tun wollen. Vielleicht werden Sie ja einige Tätigkeiten, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten wieder aufnehmen oder ausprobieren, die Ihnen den Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens leichter machen. Um in den »hauseigenen« Fundus an Kompetenzen und Ressourcen zu greifen und je nach Bedarf und Erfordernissen mit verschiedenen Strategien und Fertigkeiten zu jonglieren, bedarf es jedenfalls der Auseinandersetzung mit dem, was ansteht, der Kooperation mit und nicht selten Unterstützung durch andere und Mut, gerade in schwierigen Situationen nicht nach gängigen Rezepten zu greifen.
Kein Ratgeber also und kein Buch gegen Stress, sondern eine Einladung an Sie, sich ab und zu etwas Zeit zu nehmen, um sich selbst auf die Suche zu begeben nach hilfreichen Ideen und Handlungsimpulsen, damit das Handling Ihrer Probleme leichter wird.
Individuumzentrierte Belastungsbewältigung
Es sind nicht die Umstände, die den Menschen schaffen. Es ist der Mensch, der die Umstände schafft.
Benjamin Disraeli
Wenn Sie jetzt an Ihre gegenwärtigen Belastungen denken, sind Sie vielleicht enttäuscht und geneigt, das Buch gleich wegzulegen. Wusste ich's doch - in meiner Situation bringt das alles gar nichts, könnten Sie sagen, denn:
• Was nützt mir das alles, wenn es eigentlich ausschließlich mein Mann (Kollege, Chef, die Schwiegermutter etc.) ist, der/die sich ändern müsste? oder:
• Was bedeutet das für jemand, der erfährt, dass seine Abteilung geschlossen und dass er unverschuldet seine Arbeit verlieren wird?
Stimmt, da haben Sie tatsächlich ein Problem, denn Sie lesen nun mal dieses Buch und nicht der/die anderen. Die hier gemachten Bewältigungsvorschläge beziehen sich ausschließlich auf Ihren ganz persönlichen Handlungsspielraum und auf die Frage, ob Sie in einer bestimmten Situation handeln können und wollen oder ob Sie mit der Situation zurechtkommen wollen bzw. müssen. Der Leitsatz der Anonymen Alkoholiker ist hier ganz hilfreich: Gott gebe mir die Gelassenheit, die Dinge hin zunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Im ersten Beispiel könnte »Handeln« zum Beispiel bedeuten: Aussprache, Auseinandersetzung, Verhandlung, Trennung, Kündigung. »Klarkommen« hieße: Möglichkeiten finden, die Situation anders oder gelassener zu sehen und besser auszuhalten. Sie können davon ausgehen, dass jeder Beteiligte an zwischenmenschlichen Aktionen einen Anteil an deren Gelingen oder Scheitern hat - also werden Sie in diesem Buch vor allem Anregungen finden, was Ihr eigener Beitrag zur Veränderung einer Situation sein könnte.
Aber wer unverschuldet seinen Arbeitsplatz verliert, hat daran doch keinen eigenen Anteil? Das stimmt natürlich, und ein individuumzentrierter Ansatz stößt da an seine Grenzen, wo strukturelle, ökonomische und ökologische Faktoren ausschlaggebend und Aktionen von Gruppen bzw. Kollektiven (Kollegen, Betriebsrat, Gewerkschaft, Politiker) erforderlich sind, um et was zu erreichen. Dennoch wird jemand, der ohne eigene Verantwortung und Entscheidung mit einer schwierigen Situation konfrontiert ist, der sich aber aktiv mit dieser Situation auseinander setzt und eine Vielzahl von Ressourcen aktivieren kann, diese Situation wahrscheinlich besser und gesünder überstehen als jemand, der sich komplett ausgeliefert, überwältigt und hilflos fühlt. Er wird in einem fortlaufenden und wahrscheinlich länger dauernden Prozess unter sich ständig ändernden Bedingungen (Kampflust, Verzweiflung, familiäre Krisen) gleichzeitig oder ab wechselnd sowohl verschiedene Strategien anwenden
(z. B. rechtliche Abklärung, Demonstration, Abfindungsverhandlungen, Arbeitsplatzsuche) als auch Möglichkeiten suchen, die Belastung emotional besser zu ertragen (Gespräche, Rückzug, neue Perspektiven suchen). Es folgt nun ein kurzer Überblick, wie dieses Buch aufgebaut ist und genutzt werden kann.
3. Wie dieses Buch aufgebaut und nutzbar ist
Zur Gliederung des Buches
Nach der Diskussion einiger Begriffe, die in diesem Buch immer wieder verwendet werden (Stress, Stressoren, Gesundheit, im zweiten Kapitel), werden im dritten Kapitel einige hilfreiche Prinzipien vorgestellt, die den Umgang mit täglichen Belastungen erleichtern können. Die Kapitel vier bis sieben beziehen sich auf wesentliche Aspekte menschlichen Erlebens und Verhaltens: Körper, Gedanken, Gefühle, Verhalten sowie Leistung und Beziehungen. Wir werden uns mit jeder dieser Ebenen befassen, Ideen zur Veränderung und Strategien zur besseren Belastungsbewältigung sammeln, wohl wissend, dass sie alle eng miteinander verwoben sind und sich ständig gegenseitig beeinfl ussen. Jeder wird eigene Erfahrungen haben und machen, welche Form der Bewältigung in welcher Situation für ihn stimmig ist. Am Schluss des Buches geht es noch um die Frage, wie Sie mit Abschied, Neuanfang und Übergängen in Ihrem Leben umgehen wollen.
Auch innerhalb der Kapitel...
wurde auf eine gewisse Ordnung Wert gelegt, damit Sie schneller finden, was Sie gerade lesen wollen, und damit Sie nicht der Reihe nach vorzugehen brauchen.
Am Anfang finden Sie jeweils einen Überblick, worum es in diesem Kapitel geht.
Im Text werden immer wieder konkrete Vorschläge zum Innehalten und Nachdenken im Sinne kleiner Übungen gemacht. An manchen Stellen ist hierfür Platz für eigene Notizen freigehalten. Auf diese Weise bekommt das Buch einen persönlichen Charakter, was es erfahrungsgemäß erleichtert, Informationen abzuspeichern und zu verarbeiten. Sie können natürlich auch mit losen Zetteln oder einem eigenen Heft arbeiten. Wahrscheinlich werden bei manchen Übungen neue Fragen oder Probleme bei der Durchführung entstehen. Hier ist es natürlich günstig, wenn Sie diese mit anderen Personen oder gar im Rahmen eines Kurses oder einer Beratungssituation besprechen können. Außerdem gibt es immer wieder Anmerkungen zu Erfahrungen mit der Übung aus meinen Seminaren.
Wie oben schon angedeutet, werden Sie in diesem Buch keine ausführlichen Anleitungen für Entspannungs- und Bewegungsübungen und keine Ernährungshinweise finden. Einerseits gibt es eine Fülle von Literatur dazu, außerdem bin ich der Meinung, dass ernst zu nehmende Verfahren wie zum Beispiel Progressive Muskelrelaxation oder Autogenes Training nur nach kompetenter Anleitung dauerhaft hilfreich anzuwenden sind. Vielleicht können Ihnen jedoch die Informationen zumindest die Entscheidung erleichtern, wenn Sie ein Entspannungsverfahren erlernen möchten.
An manchen Stellen sind Anekdoten, Geschichten oder Text- ausschnitte eingefügt, die direkt oder indirekt zum Thema passen könnten, die für das Buch verwendete und zum Weiterlesen empfohlene Literatur finden Sie im Anhang. Um die Lesbarkeit des Textes nicht zu komplizieren, wurde meistens die männliche Form verwendet. Bei einigen Übungen habe ich mir erlaubt, persönlicher zu werden, indem ich vorübergehend vom »Sie« zum persönlicheren »du« gewechselt habe.
Was hat es mit den Bausteinen auf sich?
Im Titel dieses Buchs ist von Bausteinen für ein achtsames Leben die Rede. Nun kann man mit Bausteinen Verschiedenes assoziieren: Zunächst einmal sind Bausteine noch kein Gebäude. Sie sind etwas Fragmentarisches, Teile eines möglichen Ganzen und können entsprechend erweitert, reduziert, ergänzt werden. Dies ist auch das Prinzip von Baukastensystemen für Kinder, ob es sich um Legobausteine, Holzspielzeug oder modernere Spielsysteme handelt. Auch Bausteine im Rahmen von Aus- und Fortbildung betonen einen modulartigen Aufbau, bei dem sich im optimalen Fall je nach Bedarf und Interesse individuelle Fortbildungssysteme zusammenstellen lassen. In jedem Fall klingt Baustein klar umgrenzt und etwas sperrig. Wenn dann im Inhaltsverzeichnis eine Trennung von Körper, Gedanken, Gefühlen und Verhalten im Sinne solcher Bausteine getroffen wird, dann wird dies dem komplexen Zusammenspiel dieser menschlichen Erlebensbereiche natürlich nicht eigentlich gerecht. Alle Aspekte bilden und differenzieren sich vom ersten Lebenstag an immer weiter aus und beeinflussen sich in ständigem Wechselspiel gegen seitig. Stressphänomene werden ebenfalls auf allen Ebenen manifest und stehen immer in Zusammenhang mit körperlichen und innerpsychischen Vorgängen und mit sozialen Verhaltensweisen. Veränderungen auf einer Ebene werden immer auch Auswirkungen auf den anderen Ebenen haben. Wenn hier also nach einem Baukastenprinzip vorgegangen wird, dann geschieht dies ausschließlich der Übersichtlichkeit halber und in der Hoffnung, das Buch dadurch benutzerfreundlich zu machen. Viele Übungen sind aus dem ISP (Drexler 2006), und das vorliegende Buch ist gut als Ergänzungsliteratur geeignet, wenn Sie sich in einem Kurs, einem Coaching oder einer Therapie systematisch mit dem Thema »Stress« befassen. Sie können aber auch einfach ab und zu reinschauen und das lesen, was Ihnen gerade ins Auge fällt oder was Sie interessiert.
Work in Progress
Mit dem Bausteinmodell soll auch das Unfertige und Fragmentarische dieser Unternehmung betont werden. Die hier gemachten Vorschläge können natürlich nicht auf Ihre individuellen Probleme zugeschnitten sein, und nicht jede Methode ist für jedes Problem geeignet! Die Viabilität (Passung) wird von Ihnen selbst bestimmt und hergestellt. Manche Bausteine wollen Sie vielleicht weglassen, kürzen oder kombinieren, andere passen nicht für Ihre Anliegen, und weitere wichtige, tragende Bausteine stehen vielleicht in diesem Konzept noch aus. Natürlich sind fast beliebig viele Zusatzbausteine denkbar, die zu einer besseren Stresskompetenz beitragen könnten, zum Beispiel Problemlösestrategien, Soziale Kompetenz, Konfliktmanagement usw. Auf ihre Darstellung wird hier - ebenfalls zugunsten der Übersichtlichkeit - verzichtet. Sie stellen zum Teil eigenständige Verfahren dar, um die sich das vorliegende Konzept natürlich ergänzen lässt.
Ich kann Sie nur einladen, einige der hier vorgeschlagenen Strategien zu erproben und sich vielleicht sogar mit anderen da rüber auszutauschen, welche Methode für welche Person und in welcher Situation hilfreich sein könnte.
Was ist mit Achtsamkeit gemeint?
O wünsche nichts vorbei und wünsche nichts zurück! Nur ruhiges Gefühl der Gegenwart ist Glück.
Friedrich Rückert
Eine Besonderheit dieses Programms ist es, das Prinzip der Achtsamkeit (mindfulness) als festen Bestandteil in jeden Baustein zu integrieren. Der Begriff stammt ursprünglich aus östlichen Meditationspraktiken und ist ein wesentlicher Bestandteil körperorientierter Therapieformen, zum Beispiel von Gestalttherapie, Focusing oder Hakomi. In jüngster Zeit wird das Achtsamkeitstraining nicht nur von psychosomatischen Kliniken, sondern auch von Gesundheitscoachs als fester Bestandteil in ihr Angebot integriert. In unserem Zusammenhang meint Achtsamkeit, auf besondere Weise aufmerksam zu sein und sich ganz auf das zu konzentrieren, was jetzt im Augenblick gerade da ist, seien dies Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen oder Geräusche, ohne Urteil und ohne Tun. Das widerspricht zunächst unserem Alltagsbewusstsein, das zielgerichtet und auf Aktivität fokussiert ist. Achtsamkeit ist »gewollt passiv« darauf ausgerichtet, fortlaufend und ohne einzuschreiten die gegenwärtige Erfahrung zu beobachten. Schon das Bewusstmachen dessen, was innerlich und äußerlich da ist, schafft einen gewissen Abstand und hilft dabei, die Dinge klarer zu sehen. Das macht Sie vielleicht ungeduldig, steht dieses Konzept doch in Widerspruch zu Ihrem Handlungsdruck: Wozu soll ich meinen Stress noch besser wahrnehmen, ich merke doch schon überdeutlich, dass ich im Stress bin! Wesentliche Voraussetzung für Veränderung ist jedoch die Wahrnehmung dessen, was überhaupt ist, und tatsächlich nimmt das Erleben manchmal schon eine positive Richtung, wenn nicht sofort Druck zu Veränderung besteht. Zumindest werden der Teufelskreis von negativen Gedanken und Gefühlen unterbrochen und ein vorübergehendes Loslassen erleichtert.
Achtsamkeit
Folgendes Bild kann vielleicht Achtsamkeit veranschaulichen: Vergleichen wir den Geist mit der Oberfläche eines Sees oder Meeres. Auf ihr gibt es immer Wellen, manchmal große, manchmal kleine. Viele Leute denken, dass das Ziel der Meditation darin bestünde, die Wellen zu verhindern, sodass die Oberfläche flach, friedlich und ruhig wird. Doch dies ist eine irreführende Vorstellung. Viel besser wird der wahre Geist der Achtsamkeitspraxis von folgendem Bild illustriert, das mir einst jemand beschrieb: Es zeigt einen etwa siebzigjährigen Yogi, Swami Satchidananda, wie er, mit weißem Rauschebart und wehenden Roben, auf einem Surfbrett stehend in Hawaii auf einer Welle reitet. Die Überschrift lautete: »Du kannst die Wellen nicht stoppen, aber du kannst lernen, sie zu reiten.« Jon Kabat-Zinn: Stressbewältigung durch die Praxis der Achtsamkeit. Freiamt: Arbor. S. 13 - 14. 24
II Zum Anwärmen
Zur Annäherung an das Thema wird in diesem Kapitel eine Bestandsaufnahme vorgeschlagen, wo Sie hinsichtlich Ihres Stresserlebens gerade stehen und was überhaupt Ihre Veränderungswünsche sind. Dabei können einige Begriffe geklärt werden, die auch im Alltag relativ häufig vorkommen (allen voran natürlich Stress), aber selbst in der Fachliteratur immer noch unterschiedlich verwendet werden. Zum Schluss werden einige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Belastungsbewältigung zusammengefasst.
Überblick
1. Mein Stress und wie ich darauf reagiere Übung: Hinwendung zum Thema: Bestandsaufnahme Stressoren, Stressreaktionen und Flow
2. Wann bin ich eigentlich gesund? Übung: Hinwendung zum Thema: Was fällt Ihnen zu Gesundheit ein? Gesundheit, Salutogenese, Resilienz
3. Persönliche Zielbestimmung Die Formulierung von Zielen Übung: Nun sind Sie dran: Was sind Ihre persönlichen Ziele hinsichtlich einer besseren Stressbewältigung?
4. Möglichkeiten einer individuellen Belastungsbewältigung
1. Mein Stress und wie ich darauf reagiere
Veränderungen im Umgang mit Belastungen oder gar in der Lebensführung setzen eine achtsame Bestandsaufnahme dessen voraus, was gerade da ist, wo Sie stehen und was Ihre Motive und Wünsche sind. Dazu im Folgenden einige Fragen:
Übung
Hinwendung zum Thema: Bestandsaufnahme
1. Was waren Ihre Hauptbelastungen im letzten halben Jahr?
Wo lag der Hauptanteil Ihrer Belastungen (in Prozent): Im Privatbereich, im beruflichen Kontext oder waren Sie in beiden Bereichen gleichermaßen belastet?
2. Bei der ersten Frage sind Ihnen wahrscheinlich einige Problembereiche eingefallen. Lassen Sie nun eine oder mehrere typische Stresssituationen Revue passieren, in denen sich diese Probleme äußern. Woran merken Sie überhaupt, dass Sie gestresst sind? Was sind Ihre Stressreaktionen?
3. Was tun Sie zurzeit zur Bewältigung Ihrer Belastungen? Praktizieren Sie spezielle Techniken oder Tätigkeiten zur Stressbewältigung? Was sind Ihre allgemeinen Strategien zur Entlastung?
Haben Sie früher Techniken oder Tätigkeiten ausgeübt, die hilfreich waren? Was war das?
4. Womit sind Sie im letzten halben Jahr besonders zufrieden? Worauf können Sie stolz sein, was läuft gut?
Anmerkungen zur Übung:
Zu (1): Wenn jemand sagt, ich bin im Stress, scheinen zwar alle zu wissen, was gemeint ist, aber letztlich versteht jeder darunter etwas sehr Persönliches. So kann es für den einen stressig sein, unter ständigem Termindruck zu stehen, der andere leidet unter Langeweile. Einer könnte Lärm, die andere Stille als belastend erleben. Für das persönliche Stresserleben gibt es keine objektiven Kriterien, es zählt allein die subjektive Bewertung einer Situation. Als Definition für Stress schlage ich hier vor, dass es sich um ein subjektiv erlebtes Übermaß an Belastung handelt - was immer vom Einzelnen als belastend erlebt wird (Stress ist für jeden etwas anderes). Damit erübrigt es sich, das eigene oder das Stresserleben eines anderen herunterspielen zu wollen nach dem Motto: Das ist doch gar kein Stress! Ähnlich persönlichkeitsabhängig ist auch die Bewältigung. Der eine mag seinen Stress am Arbeitsplatz dadurch leichter ertragen, dass er jede Nacht in die Disco geht, für den anderen wäre dies schon wieder neuer Stress.
Zu (2): Vielleicht haben Sie sich so gut in eine Stresssituation hineinversetzt, dass Sie sich nicht nur an Ihre Reaktionen erinnerten, sondern dass diese allein bei der Vorstellung dieser Situation wieder aufgetaucht sind. Für die Auslösung von Stressreaktionen ist es nämlich keineswegs erforderlich, dass wir uns in der realen Belastungssituation befinden. Schon die lebhafte Vorstellung einer solchen Situation kann dafür völlig ausreichen. Unser Stresserleben hängt also ganz wesentlich von den Einschätzungen und Bewertungen ab, die wir über bestimmte Ereignisse haben (Stress findet im Kopf statt).
Auf innere und äußere Ereignisse reagieren wir mehr oder weniger stark mit allen Aspekten unseres Organismus: mit Körperreaktionen, Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen (wir reagieren mit unserer ganzen Person). Die individuellen Stressreaktionen auf die gleiche Belastung unterscheiden sich je nachdem, wie das Erlebte bewertet wird und wie der Betroffene seine Bewältigungsmöglichkeiten einschätzt. Selbst eindeutig schwerwiegende Lebensereignisse wie zum Beispiel der Tod eines An gehörigen oder Arbeitsplatzverlust werden je nach Bedeutungsgebung und Bewältigungskompetenzen unterschiedlich verarbeitet - von Erleichterung bis hin zu gesundheitlichen Störungen. Dieser individuelle Umgang mit Belastungen hängt von biologischen Faktoren, von der Lebensgeschichte, von Motiven und Einstellungen ab. Deshalb gibt es keine einfachen Rezepte zur Stressbewältigung.
Zu (3): Beim Ausfüllen der Fragen fiel Ihnen vielleicht auf, dass Sie - wie die meisten von uns - unter Stress befriedigende und entlastende Tätigkeiten einschränken oder ganz unterbrechen, obwohl diese für die Bewältigung der Belastung eigentlich vorteilhaft sind. Manchmal werden solche Aktivitäten auch nicht wieder aufgenommen, wenn die Belastung vorbei ist. Es fehlt also genau der Ausgleich, der notwendig ist, um alltägliche Anforderungen langfristig bewältigen zu können. So kann ein Teufelskreis von Überforderung und fehlendem Ausgleich entstehen, der übrigens als Bedingungsfaktor für Depressionen gilt. Die Unterbrechung befriedigender Aktivitäten ist also sowohl Konsequenz als auch Bedingung für Belastungserleben.
Zu (4): In schweren Zeiten neigen wir dazu, uns ausschließlich mit allen Aspekten des Problems zu beschäftigen. Daraus erwachsen jedoch selten nützliche Ideen, was zu tun ist. Gerade hier ist es hilfreich, sich der Möglichkeiten und Ressourcen zu besinnen, die eben auch da und hilfreich für Veränderungen sind.
Stressoren, Stressreaktionen und Flow
Der englische Begriff Stress (Verbiegung, Spannung) bezeichnete ursprünglich eine mechanische Kraft von außen, die Materialveränderungen bewirkt. In den 50er-Jahren hat der Mediziner Hans Selye (1907 - 1982) diesen Begriff auf den Menschen übertragen und meinte damit Reizimpulse von innen oder außen, auf die der Körper mit einer Anpassungsleistung reagieren muss. Diese Aktivierung ist per se nicht belastend - sie hält den Organismus sogar in Schwung und ist die Voraussetzung für Entwicklung und Leistungsfähigkeit. Für eine als positiv erlebte Anspannung hat sich in der Fachsprache der Begriff Eustress eingebürgert. Wenn die Fähigkeiten eines Individuums sogar optimal zu den Herausforderungen einer Tätigkeit passen, wenn die aufgewendete Zeit wie im Flug vergeht und das Gefühl entsteht, fast eins mit der Handlung zu werden, dann wird diese sogar immer wieder gesucht, um die Hochstimmung und das Glücksgefühl wieder zu erleben. Dieser Zustand des so genannten Flow (Csikszentmihalyi 1992) ist am ehesten erreichbar, wenn unsere Herausforderungen selbst gewählt sind und wenn wir uns persönliche und realistische, das heißt bewältigbare Ziele gesetzt haben.
Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich für Stress die negativ getönte Bedeutung des Wortes als ein subjektiv empfundenes Übermaß an Belastung durchgesetzt. Zum gesundheitsgefährdenden Distress wird eine Aktivierungsreaktion dann, wenn sie länger bestehen bleibt oder immer wieder auftritt. Dieses Überlastungserleben setzt meistens dann ein, wenn die erlebten Anforderungen nach Einschätzung des Betroffenen die verfügbaren Möglichkeiten der Bewältigung übersteigen.
Es gibt ganz unterschiedliche innere und äußere Belastungsfaktoren (so genannte Stressoren): physikalische und chemische Stressoren wie Hitze, Kälte, Lärm, Vergiftung, körperliche Stressoren wie Hunger, Schmerz, Krankheit, soziale Stressoren wie Konkurrenz, Auseinandersetzungen, aber auch besondere Lebensereignisse wie Scheidung, Krankheit, Ortswechsel etc. Auch wenn die Unterscheidung im Alltag nicht immer einfach ist, sollte dennoch zwischen akuten (klarer Anfang, klares Ende) und chronischen Stressoren unterschieden werden. Menschen in schwierigen gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Verhältnissen sind fast immer chronischen Belastungen und Stressrisiken ausgesetzt. Aber auch individuelle Alltagsbelastungen, die dayly hazzles, chronifizieren und sind auf Dauer schädlicher als einzelne, schwerwiegende Ereignisse.
Beim Stresserleben gibt es also immer situative (externe) und persönliche (interne) Anteile. Aus den realen oder vermuteten Beanspruchungen können langfristig negative Beanspruchungsfolgen körperlicher, psychischer und verhaltensmäßiger Art bis hin zu Befindlichkeitsstörungen und Krankheitssymptomen resultieren, auf die wir später noch eingehen werden (siehe Kap. IV).
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Zunächst einmal legt das Anti vor einem Begriff (wie Anti- Stress, Anti-Fett, Anti-Aging) nahe, dass dieser etwas Schlimmes benennt, das folglich zu ändern oder gar auszuschalten ist. Dabei wird in vielen Ratgebern ganz selbstverständlich unterstellt, dass dies möglich ist und dass danach alles viel besser wird. Erfahrungsgemäß stimmt jedoch beides nicht. Um beim Thema Stress zu bleiben: Stress per se ist nichts Schlimmes. In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnet der Begriff eine Aktivierungsreaktion auf Anforderungen. So gesehen ist Stress lebensnotwendig für die menschliche Entwicklung und ein Motor für Veränderung. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Stress gesundheitsförderlich ist - sofern Sie passende Bewältigungsmöglichkeiten und soziale Unterstützung haben und wenn Sie die Anforderungen als Herausforderung sehen können, für die sich die Anstrengung lohnt. Darüber hinaus wartet unser Leben ständig und reichlich mit Ereignissen auf, auf die wir nicht sofort eine Antwort haben oder zu reagieren wissen. Schicksalsschläge, Krankheit, Alter, aber auch die alltäglichen, belastenden Vorkommnisse sind durch den richtigen Lebensstil nicht zu vermeiden. Selbst glückliche Ereignisse können stressig sein, zum Beispiel eine Beförderung, Verliebtsein oder der lang ersehnte Familienzuwachs. Und schließlich kann man Gelassenheit, Gesundheit oder gar Glück nicht erwerben wie ein Reihenhaus. Genau das aber steckt hinter der Wunschvorstellung, ein problem- und leidensfreies Leben führen zu wollen oder zu können. In unserer so genannten Wohlstandsgesellschaft wird Gesundheit gehandelt wie ein Produkt, das man herstellen, erwerben oder kaufen kann und das, als höchstes Gut, natürlich seinen Preis hat. Entsprechend boomt der Markt für Ratgeber, Nahrungsergänzungsmittel und Gesundheitsseminare. Fit und fun, forever young und simplify ist die Devise, und es gibt kaum eine Werbung ohne Gesundheits- oder Glücksversprechen. Spannend daran ist, dass mit den fundamentalen Fortschritten der Wissenschaft und der medizinischen Versorgung keine Verbesserung des individuellen Gesundheitserlebens einhergegangen ist, im Gegenteil: Noch nie waren emotionale Befindlichkeitsstörungen verbreiteter. Stress ist in aller Munde, und die damit verbundenen Beschwerden nehmen zu. Viele Menschen - oft gerade solche, die besonders gesundheitsbewusst sind und viel für ihre körperliche Fitness tun - fühlen sich trotz ihrer Bemühungen keineswegs gesünder, im Gegenteil: Sie haben das Vertrauen in ihren Körper verloren und reagieren schon bei Unbehagen oder bei altersbedingt zu erwartenden körperlichen Veränderungen mit Krankheitsängsten und Verunsicherung. Die Toleranz gegenüber Beschwerden, Symptomen und Belastungen ist erheblich geringer als vor hundert Jahren, und sobald ein Leiden auftaucht, muss seine Ursache ausfindig gemacht, muss es abgeschafft werden. Im Gefolge des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts werden lebensfremde Machbarkeits- und Allmachtsphantasien begünstigt und immer neue Bedürfnisse produziert. Wenn immer schnellere Lösungen für bzw. Ablenkungen von Problemen verlangt werden, dann soll auch emotionale Befindlichkeit reguliert werden können, wie man es von unserer hoch technisierten Umgebung gewohnt ist. Dadurch entstehen statt Zufriedenheit und Befriedigung eher neue Ängste einerseits und Übersättigung andererseits. Außerdem richtet sich das Leben nicht nur nach unseren Wünschen. Es wird immer Risiken, unausweichliche Krisen, unplanbare Ereignisse und Probleme bergen, viele davon werden wir nicht lösen und wir werden sie nicht los. Diese Probleme werden mit dem Auftreten von Krankheit und spätestens mit dem Alter unweigerlich zunehmen, und sie werden mit dem Tod enden. Deshalb vertritt dieses Buch nicht den Anspruch, dass »völliges körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden« (WHO) erreichbar sei, wenn man nur gesund genug lebe. Der hier vertretene Anspruch ist aber vielleicht sogar höher: Seelisches und soziales Wohlbefinden ist auf direktem Weg gar nicht zu erreichen, es ist das Ergebnis lebenslangen Stressmanagements und erfordert die Bereitschaft und Fähigkeit, sich den Widernissen, Unsicherheiten und der Endlichkeit auch des heutigen Lebens zu stellen, achtsam und bescheidener mit unseren Wünschen nach anhaltender Gesundheit, Fitness und Wohlstand umzugehen, schicksals- und chaostauglich zu sein.
Dies ist kein Anti-Stressbuch und kein Gesundheitsratgeber, sondern?
1. Warum Ratschläge selten helfen Ich gebe Ratschläge immer weiter. Es ist das einzige, was man damit anfangen kann.
Oscar Wilde
Ich selbst habe mich immer dann für schnelle und effektive Methoden zur Belastungsbewältigung oder Verhaltensänderung interessiert, wenn ich mich wieder besonders gestresst, dick oder ausgelaugt fühlte und diesbezüglich rat-los war. In solchen Phasen nahm ich mir meistens weder die Zeit noch hatte ich die Nerven für Entspannungsübungen, ausgeklügelte Rezeptideen, Sport oder gar ein paar Tage Erholung. Der Griff ins Bücherregal mit viel versprechenden Titeln nach dem Motto leistungsfähig in drei Tagen und in fünf Schritten zum Lebenskünstler liegt da erst einmal nahe. Allerdings gingen meine Veränderungsbemühungen selten über ein Durchblättern dieser Bücher hinaus, und oft hatte ich danach noch mehr Druck, bekam ich doch in Wort und Bild vorgeführt, wie schlecht es um mich und meine Motivation bestellt war. Um fair zu sein: Es lag ja gar nicht an den Tipps und Ratschlägen, die gegeben wurden, und eigentlich wissen wir alle inzwischen ziemlich gut Bescheid darüber, was wir tun oder lassen könnten, um uns wohler zu fühlen. Vielmehr lag es an meiner eigenen Ungeduld, dieses Wissen auch im Alltag konsequent umzusetzen, bewährte Techniken wenigstens mittelfristig zu praktizieren oder gar in meinen Alltag zu integrieren. Dies ist aber eine wichtige Voraussetzung für die Wirksamkeit bekannter Entspannungsverfahren wie Yoga, Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung etc. Viele Teilnehmer in Stressseminaren geben an, diese Methoden probiert zu haben, aber in vielen Fällen ohne anhaltenden Erfolg. Und es stimmt: Probieren hilft tatsächlich nichts. Wir haben es hier zwar mit hoch effektiven Methoden zu tun, diese sind ohne längere Erfahrung jedoch nicht einzusetzen wie eine schnell wirkende Tablette oder eine Injektion. Sie sind hoch wirksam in dem Sinn, dass bei kontinuierlicher Praxis bestimmte körperliche und psychische Probleme gar nicht erst auftreten oder zumindest in deutlich abgeschwächter Form (z. B. Muskelschmerzen, Schlafprobleme, Nervosität, Erschöpfungszustände). Es gilt hier also auch, was für alle Arten von Lernen gilt, sei es eine Fremdsprache, ein Musikinstrument, ein Handwerk: Ohne Ausdauer, Mühe, Rückschläge und längere Praxis kommen wir höchst selten zur Könnerschaft, auch wenn wir die Begabung dazu haben.
Zusammengefasst sind es also nicht die richtigen Tipps oder Methoden, die uns fehlen, sondern die Zeit, der Entschluss, die Umsetzung. Hier wird allzu oft ein weiteres Modewort bemüht, die (fehlende) Motivation - und auch dafür gibt es wieder Seminare. Wenn Sie zu diesem Thema kurz innehalten wollen:
Motiviert?
Übung
Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem endlosen, weiten Meer.
Antoine de Saint-Exupéry
Fallen Ihnen Situationen oder Phasen in Ihrem Leben ein, in denen Sie leidenschaftlich involviert waren, sich eingesetzt oder engagiert haben und in denen anhaltende Anstrengung für Sie selbstverständlich war? Womit hing das zusammen, wie kam es, dass Sie sich motiviert, vital und energisch gefühlt haben?
Ich nehme an, dass Ihnen die Dinge, um die es ging, emotional wichtig und eine persönliche Herausforderung waren, dass Ihnen die beabsichtigten Ergebnisse damals wirklich etwas bedeuteten und dass Sie davon ausgingen, dass sich Ihr Einsatz lohnte. Bei Motivationsfragen geht es letztlich nämlich darum, ob mir etwas wirklich Sinn macht (ein interessanter Aspekt für Führungskräfte, die das Engagement und die Gesundheit ihrer Mitarbeiter im Auge haben wollen . . .). Mit Beispielen aus der eigenen Lebensgeschichte vor Augen, in denen Wollen, Kompetenz und Herausforderung in idealem Verhältnis zueinander standen und ich mehr leisten konnte, als ich mir selbst zugetraut hatte, gehe ich heute nachsichtiger bzw. gelassener mit Veränderungswünschen an mich selbst und meine Klienten um:
• Veränderung ist möglich, wenn ich etwas als zentral und wichtig für mich und mein Leben bewerte und wenn ich an meine Kompetenzen glaube. Ist das nicht oder noch nicht der Fall, werde ich mich schwerer damit tun.
• Operative Hektik ist kein Ersatz für eine gelassene Hinwendung zu dem, worum es eigentlich geht.
• Jeder von uns hat zahlreiche eigene Ressourcen und solche von Menschen in seiner Umgebung zur Verfügung, um die Probleme des Alltags lösbar oder erträglicher zu machen. Sie gilt es zu kennen und auszubauen.
Leider machen wir uns im Chaos des Alltags selten bewusst, was wir wirklich wollen (Lösungsanalyse), was uns eigentlich daran hindert (Problemanalyse) und welche Möglichkeiten uns überhaupt zur Verfügung stehen (Ressourcenanalyse). Darum geht es unter anderem in diesem Buch.
Manchmal haben auch Probleme ihren Sinn
Bevor Sie so genannte Defizite und Verhaltensmängel bei sich selbst und anderen verändern oder beseitigen wollen, lohnt sich vielleicht eine bewusste Zuwendung zum Problem: Worum geht es eigentlich, wenn ich jeden Abend den Kühlschrank im Stehen plündere? Wie kommt es, dass ich keine Lust auf Kino, geschweige denn auf einen erotischen Abend mit meiner Partnerin habe? Was würde ich stattdessen gerne tun? Vielleicht dienen solche Argumente wie Erschöpfung, Zeitmangel und Prioritätenzwänge ja nur der Selbstberuhigung, und es gibt im Grunde Ihres Herzens noch weitere »gute« Gründe für Ihr Tun bzw. Lassen? Das Interesse für die Hintergründe von so genannten Fehlern und Mängeln soll diese nicht rechtfertigen, es eröffnet jedoch einen neuen Blick auf das paradox erscheinende Phänomen, dass Leiden manchmal leichter ist als Lösen und dass eine achtsame Zuwendung zu den Dingen Bewegung erst möglich macht.
Fallbeispiel
Hierzu ein Beispiel:
In einem fachlich gut geleiteten Entspannungskurs werden die Teilnehmer die Erfahrung tiefer Entspannung machen, und sie fassen beherzte Vorsätze, regelmäßig zu üben. Viele scheitern dann an diesen Vorsätzen: Trotz schlechten Gewissens kommen sie nicht zum Üben oder es fällt ihnen erst kurz vor der nächsten Kursstunde wieder ein. Einige verbuchen diese Erfahrung als weitere Frustration und bleiben fortan dem Kurs fern. Andere können davon überzeugt werden, den Kurs auch ohne den selbst auferlegten Druck, unbedingt üben zu müssen, weiter zu besuchen. Sie sollen dann lediglich aufmerksamer dafür werden, was sie eigentlich von ihrem Ansinnen abhält, täglich zehn Minuten nur mit sich selbst, ohne Ablenkung, ohne Hilfsmittel, ohne schnelle Bereitschaft zur Unterbrechung zu verbringen. Was ist dringender, wichtiger, interessanter als die Übungen? Der eigentliche Effekt eines solchen Kurses ist dann zunächst nicht primär das Beherrschen der Methode, sondern ein bewussterer Umgang mit der eigenen Zeit.
Natürlich ist Verhaltensänderung auch typenabhängig, und bei existenziell bedrohlichen Verhaltensweisen wie exzessivem Trinken oder Rauchen ist radikales Aufhören oft die einzige Chance. Trockene Alkoholiker jedoch wissen am besten, dass für dieses »Nicht« ein Ersatz gefunden werden muss, will man nicht »vertrocknen «. Auch oder gerade eine radikale Verhaltensänderung bringt noch keine Veränderung eines lang praktizierten Lebensstils oder einer anhaltenden Neigung mit sich. Der so genannte Jojoeffekt von Blitz- und Radikaldiäten ist den meisten bekannt. Durch Brachialsportprogramme in den Ferien steigt nicht die körperliche Kondition, sondern es treten häufiger Verletzungen auf. Und - last but not least -
Es gibt keine Fünfminutenterrine gegen Stress.
Die Ungeduld verlangt das Unmögliche, nämlich die Erreichung des Ziels ohne die Mittel.
Georg F. W. Hegel
Eigentlich finde ich diese Erkenntnis entlastend. Haftet doch den Power-, Erfolgs- und Motivationsseminaren, den Fitness- und Zeitmanagementangeboten meistens die Botschaft an, alles sei leicht, wenn Mann oder Frau es nur richtig mache. Ganz nebenbei wird auch noch propagiert, die Tipps und Regeln gälten zeitlos für alle. Nichts davon ist der Fall. Seien Sie sicher, Sie werden mit dem »Erledigen« nie nachkommen, denn das Leben wartet täglich mit neuen Anforderungen auf, plötzlichen oder anhaltenden, inneren und äußeren, mehr oder weniger kontrollierbaren. Und Problemlösungen für längere Belastungen sind meistens komplexe, fortlaufende Prozesse. Es gibt keine Bewältigungsstrategie, die universell im Umgang mit Belastungen effektiv ist, jeder Mensch und seine Herausforderungen sind anders. Jede Handlung oder Aktivität zieht neue Erfordernisse und eventuell auch wieder neue Anforderungen nach sich, und jede Aktion kann je nach Person, Situation und Zeitpunkt sowohl sinnvoll und hilfreich als auch ungünstig sein. Gerade in verfahrenen Situationen kann es sogar weiterhelfen, entgegen den Erwartungen und Gepflogenheiten unkonventionell und intuitiv zu denken und zu handeln. Gesundheit ist also kein Zustand, sondern ein lebenslang immer neu auszulotender Prozess, der mit den persönlichen Lebensphasen, Wertvorstellungen und Lebenskonzepten variiert. Deshalb kann es in dem hier vertretenen Konzept nicht um von außen vorgegebene Ziele und schon gar nicht um Rezepte gehen.
2. Worum geht es in diesem Buch?
Sag es mir, und ich vergesse es; zeige es mir, und ich erinnere mich; lass es mich tun, und ich behalte es.
Konfuzius
Warum schreibt sie das, wozu dann dieses Buch? werden Sie mit Recht fragen. Ich bin davon überzeugt, dass es bei Themen wie Gelassenheit und Belastungsbewältigung um prinzipielle Fragen einer persönlichen Ziele- und Wertebestimmung und um eine bestimmte Haltung zu meinem Leben geht, wie ich dieses führen möchte - und eine solche Haltung ist über Bücher und Kurse tatsächlich schwer zu vermitteln. Überhaupt gibt es selten einen direkten Weg dahin, sondern dieses Selbstverständnis wächst kontinuierlich aus einer persönlichen Sehnsucht und Suche nach dem, was mir jetzt und letztlich wichtig ist. Dieser anhaltende Versuch, der eigenen Existenz Sinn und Gestalt zu geben, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Seine Erfüllung setzt wesentlich Bereitschaft, Zeit und manchmal sogar professionelle Begleitung voraus, um eigene und eigenständige Erfahrungen zu machen. Was Bücher und Kurse hier manchmal vermögen, sind Anstöße, Ermutigungen, sozusagen Rückenwind für eine solche Suchhaltung zu geben und die Einstellung zu stärken, dass dieser persönliche Weg neben und gegen Trends und Mainstream lohnenswert ist.
Im besten Fall könnte es Ziel dieses Buches sein, über die Beschäftigung mit einigen Themen, die mit Stress zu tun haben, mehr zu sich zu kommen und eigen-willig zu entscheiden, welche Haltung Sie zu bestimmten Problemen einnehmen und wo Sie selbst etwas tun wollen. Vielleicht werden Sie ja einige Tätigkeiten, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten wieder aufnehmen oder ausprobieren, die Ihnen den Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens leichter machen. Um in den »hauseigenen« Fundus an Kompetenzen und Ressourcen zu greifen und je nach Bedarf und Erfordernissen mit verschiedenen Strategien und Fertigkeiten zu jonglieren, bedarf es jedenfalls der Auseinandersetzung mit dem, was ansteht, der Kooperation mit und nicht selten Unterstützung durch andere und Mut, gerade in schwierigen Situationen nicht nach gängigen Rezepten zu greifen.
Kein Ratgeber also und kein Buch gegen Stress, sondern eine Einladung an Sie, sich ab und zu etwas Zeit zu nehmen, um sich selbst auf die Suche zu begeben nach hilfreichen Ideen und Handlungsimpulsen, damit das Handling Ihrer Probleme leichter wird.
Individuumzentrierte Belastungsbewältigung
Es sind nicht die Umstände, die den Menschen schaffen. Es ist der Mensch, der die Umstände schafft.
Benjamin Disraeli
Wenn Sie jetzt an Ihre gegenwärtigen Belastungen denken, sind Sie vielleicht enttäuscht und geneigt, das Buch gleich wegzulegen. Wusste ich's doch - in meiner Situation bringt das alles gar nichts, könnten Sie sagen, denn:
• Was nützt mir das alles, wenn es eigentlich ausschließlich mein Mann (Kollege, Chef, die Schwiegermutter etc.) ist, der/die sich ändern müsste? oder:
• Was bedeutet das für jemand, der erfährt, dass seine Abteilung geschlossen und dass er unverschuldet seine Arbeit verlieren wird?
Stimmt, da haben Sie tatsächlich ein Problem, denn Sie lesen nun mal dieses Buch und nicht der/die anderen. Die hier gemachten Bewältigungsvorschläge beziehen sich ausschließlich auf Ihren ganz persönlichen Handlungsspielraum und auf die Frage, ob Sie in einer bestimmten Situation handeln können und wollen oder ob Sie mit der Situation zurechtkommen wollen bzw. müssen. Der Leitsatz der Anonymen Alkoholiker ist hier ganz hilfreich: Gott gebe mir die Gelassenheit, die Dinge hin zunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Im ersten Beispiel könnte »Handeln« zum Beispiel bedeuten: Aussprache, Auseinandersetzung, Verhandlung, Trennung, Kündigung. »Klarkommen« hieße: Möglichkeiten finden, die Situation anders oder gelassener zu sehen und besser auszuhalten. Sie können davon ausgehen, dass jeder Beteiligte an zwischenmenschlichen Aktionen einen Anteil an deren Gelingen oder Scheitern hat - also werden Sie in diesem Buch vor allem Anregungen finden, was Ihr eigener Beitrag zur Veränderung einer Situation sein könnte.
Aber wer unverschuldet seinen Arbeitsplatz verliert, hat daran doch keinen eigenen Anteil? Das stimmt natürlich, und ein individuumzentrierter Ansatz stößt da an seine Grenzen, wo strukturelle, ökonomische und ökologische Faktoren ausschlaggebend und Aktionen von Gruppen bzw. Kollektiven (Kollegen, Betriebsrat, Gewerkschaft, Politiker) erforderlich sind, um et was zu erreichen. Dennoch wird jemand, der ohne eigene Verantwortung und Entscheidung mit einer schwierigen Situation konfrontiert ist, der sich aber aktiv mit dieser Situation auseinander setzt und eine Vielzahl von Ressourcen aktivieren kann, diese Situation wahrscheinlich besser und gesünder überstehen als jemand, der sich komplett ausgeliefert, überwältigt und hilflos fühlt. Er wird in einem fortlaufenden und wahrscheinlich länger dauernden Prozess unter sich ständig ändernden Bedingungen (Kampflust, Verzweiflung, familiäre Krisen) gleichzeitig oder ab wechselnd sowohl verschiedene Strategien anwenden
(z. B. rechtliche Abklärung, Demonstration, Abfindungsverhandlungen, Arbeitsplatzsuche) als auch Möglichkeiten suchen, die Belastung emotional besser zu ertragen (Gespräche, Rückzug, neue Perspektiven suchen). Es folgt nun ein kurzer Überblick, wie dieses Buch aufgebaut ist und genutzt werden kann.
3. Wie dieses Buch aufgebaut und nutzbar ist
Zur Gliederung des Buches
Nach der Diskussion einiger Begriffe, die in diesem Buch immer wieder verwendet werden (Stress, Stressoren, Gesundheit, im zweiten Kapitel), werden im dritten Kapitel einige hilfreiche Prinzipien vorgestellt, die den Umgang mit täglichen Belastungen erleichtern können. Die Kapitel vier bis sieben beziehen sich auf wesentliche Aspekte menschlichen Erlebens und Verhaltens: Körper, Gedanken, Gefühle, Verhalten sowie Leistung und Beziehungen. Wir werden uns mit jeder dieser Ebenen befassen, Ideen zur Veränderung und Strategien zur besseren Belastungsbewältigung sammeln, wohl wissend, dass sie alle eng miteinander verwoben sind und sich ständig gegenseitig beeinfl ussen. Jeder wird eigene Erfahrungen haben und machen, welche Form der Bewältigung in welcher Situation für ihn stimmig ist. Am Schluss des Buches geht es noch um die Frage, wie Sie mit Abschied, Neuanfang und Übergängen in Ihrem Leben umgehen wollen.
Auch innerhalb der Kapitel...
wurde auf eine gewisse Ordnung Wert gelegt, damit Sie schneller finden, was Sie gerade lesen wollen, und damit Sie nicht der Reihe nach vorzugehen brauchen.
Am Anfang finden Sie jeweils einen Überblick, worum es in diesem Kapitel geht.
Im Text werden immer wieder konkrete Vorschläge zum Innehalten und Nachdenken im Sinne kleiner Übungen gemacht. An manchen Stellen ist hierfür Platz für eigene Notizen freigehalten. Auf diese Weise bekommt das Buch einen persönlichen Charakter, was es erfahrungsgemäß erleichtert, Informationen abzuspeichern und zu verarbeiten. Sie können natürlich auch mit losen Zetteln oder einem eigenen Heft arbeiten. Wahrscheinlich werden bei manchen Übungen neue Fragen oder Probleme bei der Durchführung entstehen. Hier ist es natürlich günstig, wenn Sie diese mit anderen Personen oder gar im Rahmen eines Kurses oder einer Beratungssituation besprechen können. Außerdem gibt es immer wieder Anmerkungen zu Erfahrungen mit der Übung aus meinen Seminaren.
Wie oben schon angedeutet, werden Sie in diesem Buch keine ausführlichen Anleitungen für Entspannungs- und Bewegungsübungen und keine Ernährungshinweise finden. Einerseits gibt es eine Fülle von Literatur dazu, außerdem bin ich der Meinung, dass ernst zu nehmende Verfahren wie zum Beispiel Progressive Muskelrelaxation oder Autogenes Training nur nach kompetenter Anleitung dauerhaft hilfreich anzuwenden sind. Vielleicht können Ihnen jedoch die Informationen zumindest die Entscheidung erleichtern, wenn Sie ein Entspannungsverfahren erlernen möchten.
An manchen Stellen sind Anekdoten, Geschichten oder Text- ausschnitte eingefügt, die direkt oder indirekt zum Thema passen könnten, die für das Buch verwendete und zum Weiterlesen empfohlene Literatur finden Sie im Anhang. Um die Lesbarkeit des Textes nicht zu komplizieren, wurde meistens die männliche Form verwendet. Bei einigen Übungen habe ich mir erlaubt, persönlicher zu werden, indem ich vorübergehend vom »Sie« zum persönlicheren »du« gewechselt habe.
Was hat es mit den Bausteinen auf sich?
Im Titel dieses Buchs ist von Bausteinen für ein achtsames Leben die Rede. Nun kann man mit Bausteinen Verschiedenes assoziieren: Zunächst einmal sind Bausteine noch kein Gebäude. Sie sind etwas Fragmentarisches, Teile eines möglichen Ganzen und können entsprechend erweitert, reduziert, ergänzt werden. Dies ist auch das Prinzip von Baukastensystemen für Kinder, ob es sich um Legobausteine, Holzspielzeug oder modernere Spielsysteme handelt. Auch Bausteine im Rahmen von Aus- und Fortbildung betonen einen modulartigen Aufbau, bei dem sich im optimalen Fall je nach Bedarf und Interesse individuelle Fortbildungssysteme zusammenstellen lassen. In jedem Fall klingt Baustein klar umgrenzt und etwas sperrig. Wenn dann im Inhaltsverzeichnis eine Trennung von Körper, Gedanken, Gefühlen und Verhalten im Sinne solcher Bausteine getroffen wird, dann wird dies dem komplexen Zusammenspiel dieser menschlichen Erlebensbereiche natürlich nicht eigentlich gerecht. Alle Aspekte bilden und differenzieren sich vom ersten Lebenstag an immer weiter aus und beeinflussen sich in ständigem Wechselspiel gegen seitig. Stressphänomene werden ebenfalls auf allen Ebenen manifest und stehen immer in Zusammenhang mit körperlichen und innerpsychischen Vorgängen und mit sozialen Verhaltensweisen. Veränderungen auf einer Ebene werden immer auch Auswirkungen auf den anderen Ebenen haben. Wenn hier also nach einem Baukastenprinzip vorgegangen wird, dann geschieht dies ausschließlich der Übersichtlichkeit halber und in der Hoffnung, das Buch dadurch benutzerfreundlich zu machen. Viele Übungen sind aus dem ISP (Drexler 2006), und das vorliegende Buch ist gut als Ergänzungsliteratur geeignet, wenn Sie sich in einem Kurs, einem Coaching oder einer Therapie systematisch mit dem Thema »Stress« befassen. Sie können aber auch einfach ab und zu reinschauen und das lesen, was Ihnen gerade ins Auge fällt oder was Sie interessiert.
Work in Progress
Mit dem Bausteinmodell soll auch das Unfertige und Fragmentarische dieser Unternehmung betont werden. Die hier gemachten Vorschläge können natürlich nicht auf Ihre individuellen Probleme zugeschnitten sein, und nicht jede Methode ist für jedes Problem geeignet! Die Viabilität (Passung) wird von Ihnen selbst bestimmt und hergestellt. Manche Bausteine wollen Sie vielleicht weglassen, kürzen oder kombinieren, andere passen nicht für Ihre Anliegen, und weitere wichtige, tragende Bausteine stehen vielleicht in diesem Konzept noch aus. Natürlich sind fast beliebig viele Zusatzbausteine denkbar, die zu einer besseren Stresskompetenz beitragen könnten, zum Beispiel Problemlösestrategien, Soziale Kompetenz, Konfliktmanagement usw. Auf ihre Darstellung wird hier - ebenfalls zugunsten der Übersichtlichkeit - verzichtet. Sie stellen zum Teil eigenständige Verfahren dar, um die sich das vorliegende Konzept natürlich ergänzen lässt.
Ich kann Sie nur einladen, einige der hier vorgeschlagenen Strategien zu erproben und sich vielleicht sogar mit anderen da rüber auszutauschen, welche Methode für welche Person und in welcher Situation hilfreich sein könnte.
Was ist mit Achtsamkeit gemeint?
O wünsche nichts vorbei und wünsche nichts zurück! Nur ruhiges Gefühl der Gegenwart ist Glück.
Friedrich Rückert
Eine Besonderheit dieses Programms ist es, das Prinzip der Achtsamkeit (mindfulness) als festen Bestandteil in jeden Baustein zu integrieren. Der Begriff stammt ursprünglich aus östlichen Meditationspraktiken und ist ein wesentlicher Bestandteil körperorientierter Therapieformen, zum Beispiel von Gestalttherapie, Focusing oder Hakomi. In jüngster Zeit wird das Achtsamkeitstraining nicht nur von psychosomatischen Kliniken, sondern auch von Gesundheitscoachs als fester Bestandteil in ihr Angebot integriert. In unserem Zusammenhang meint Achtsamkeit, auf besondere Weise aufmerksam zu sein und sich ganz auf das zu konzentrieren, was jetzt im Augenblick gerade da ist, seien dies Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen oder Geräusche, ohne Urteil und ohne Tun. Das widerspricht zunächst unserem Alltagsbewusstsein, das zielgerichtet und auf Aktivität fokussiert ist. Achtsamkeit ist »gewollt passiv« darauf ausgerichtet, fortlaufend und ohne einzuschreiten die gegenwärtige Erfahrung zu beobachten. Schon das Bewusstmachen dessen, was innerlich und äußerlich da ist, schafft einen gewissen Abstand und hilft dabei, die Dinge klarer zu sehen. Das macht Sie vielleicht ungeduldig, steht dieses Konzept doch in Widerspruch zu Ihrem Handlungsdruck: Wozu soll ich meinen Stress noch besser wahrnehmen, ich merke doch schon überdeutlich, dass ich im Stress bin! Wesentliche Voraussetzung für Veränderung ist jedoch die Wahrnehmung dessen, was überhaupt ist, und tatsächlich nimmt das Erleben manchmal schon eine positive Richtung, wenn nicht sofort Druck zu Veränderung besteht. Zumindest werden der Teufelskreis von negativen Gedanken und Gefühlen unterbrochen und ein vorübergehendes Loslassen erleichtert.
Achtsamkeit
Folgendes Bild kann vielleicht Achtsamkeit veranschaulichen: Vergleichen wir den Geist mit der Oberfläche eines Sees oder Meeres. Auf ihr gibt es immer Wellen, manchmal große, manchmal kleine. Viele Leute denken, dass das Ziel der Meditation darin bestünde, die Wellen zu verhindern, sodass die Oberfläche flach, friedlich und ruhig wird. Doch dies ist eine irreführende Vorstellung. Viel besser wird der wahre Geist der Achtsamkeitspraxis von folgendem Bild illustriert, das mir einst jemand beschrieb: Es zeigt einen etwa siebzigjährigen Yogi, Swami Satchidananda, wie er, mit weißem Rauschebart und wehenden Roben, auf einem Surfbrett stehend in Hawaii auf einer Welle reitet. Die Überschrift lautete: »Du kannst die Wellen nicht stoppen, aber du kannst lernen, sie zu reiten.« Jon Kabat-Zinn: Stressbewältigung durch die Praxis der Achtsamkeit. Freiamt: Arbor. S. 13 - 14. 24
II Zum Anwärmen
Zur Annäherung an das Thema wird in diesem Kapitel eine Bestandsaufnahme vorgeschlagen, wo Sie hinsichtlich Ihres Stresserlebens gerade stehen und was überhaupt Ihre Veränderungswünsche sind. Dabei können einige Begriffe geklärt werden, die auch im Alltag relativ häufig vorkommen (allen voran natürlich Stress), aber selbst in der Fachliteratur immer noch unterschiedlich verwendet werden. Zum Schluss werden einige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Belastungsbewältigung zusammengefasst.
Überblick
1. Mein Stress und wie ich darauf reagiere Übung: Hinwendung zum Thema: Bestandsaufnahme Stressoren, Stressreaktionen und Flow
2. Wann bin ich eigentlich gesund? Übung: Hinwendung zum Thema: Was fällt Ihnen zu Gesundheit ein? Gesundheit, Salutogenese, Resilienz
3. Persönliche Zielbestimmung Die Formulierung von Zielen Übung: Nun sind Sie dran: Was sind Ihre persönlichen Ziele hinsichtlich einer besseren Stressbewältigung?
4. Möglichkeiten einer individuellen Belastungsbewältigung
1. Mein Stress und wie ich darauf reagiere
Veränderungen im Umgang mit Belastungen oder gar in der Lebensführung setzen eine achtsame Bestandsaufnahme dessen voraus, was gerade da ist, wo Sie stehen und was Ihre Motive und Wünsche sind. Dazu im Folgenden einige Fragen:
Übung
Hinwendung zum Thema: Bestandsaufnahme
1. Was waren Ihre Hauptbelastungen im letzten halben Jahr?
Wo lag der Hauptanteil Ihrer Belastungen (in Prozent): Im Privatbereich, im beruflichen Kontext oder waren Sie in beiden Bereichen gleichermaßen belastet?
2. Bei der ersten Frage sind Ihnen wahrscheinlich einige Problembereiche eingefallen. Lassen Sie nun eine oder mehrere typische Stresssituationen Revue passieren, in denen sich diese Probleme äußern. Woran merken Sie überhaupt, dass Sie gestresst sind? Was sind Ihre Stressreaktionen?
3. Was tun Sie zurzeit zur Bewältigung Ihrer Belastungen? Praktizieren Sie spezielle Techniken oder Tätigkeiten zur Stressbewältigung? Was sind Ihre allgemeinen Strategien zur Entlastung?
Haben Sie früher Techniken oder Tätigkeiten ausgeübt, die hilfreich waren? Was war das?
4. Womit sind Sie im letzten halben Jahr besonders zufrieden? Worauf können Sie stolz sein, was läuft gut?
Anmerkungen zur Übung:
Zu (1): Wenn jemand sagt, ich bin im Stress, scheinen zwar alle zu wissen, was gemeint ist, aber letztlich versteht jeder darunter etwas sehr Persönliches. So kann es für den einen stressig sein, unter ständigem Termindruck zu stehen, der andere leidet unter Langeweile. Einer könnte Lärm, die andere Stille als belastend erleben. Für das persönliche Stresserleben gibt es keine objektiven Kriterien, es zählt allein die subjektive Bewertung einer Situation. Als Definition für Stress schlage ich hier vor, dass es sich um ein subjektiv erlebtes Übermaß an Belastung handelt - was immer vom Einzelnen als belastend erlebt wird (Stress ist für jeden etwas anderes). Damit erübrigt es sich, das eigene oder das Stresserleben eines anderen herunterspielen zu wollen nach dem Motto: Das ist doch gar kein Stress! Ähnlich persönlichkeitsabhängig ist auch die Bewältigung. Der eine mag seinen Stress am Arbeitsplatz dadurch leichter ertragen, dass er jede Nacht in die Disco geht, für den anderen wäre dies schon wieder neuer Stress.
Zu (2): Vielleicht haben Sie sich so gut in eine Stresssituation hineinversetzt, dass Sie sich nicht nur an Ihre Reaktionen erinnerten, sondern dass diese allein bei der Vorstellung dieser Situation wieder aufgetaucht sind. Für die Auslösung von Stressreaktionen ist es nämlich keineswegs erforderlich, dass wir uns in der realen Belastungssituation befinden. Schon die lebhafte Vorstellung einer solchen Situation kann dafür völlig ausreichen. Unser Stresserleben hängt also ganz wesentlich von den Einschätzungen und Bewertungen ab, die wir über bestimmte Ereignisse haben (Stress findet im Kopf statt).
Auf innere und äußere Ereignisse reagieren wir mehr oder weniger stark mit allen Aspekten unseres Organismus: mit Körperreaktionen, Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen (wir reagieren mit unserer ganzen Person). Die individuellen Stressreaktionen auf die gleiche Belastung unterscheiden sich je nachdem, wie das Erlebte bewertet wird und wie der Betroffene seine Bewältigungsmöglichkeiten einschätzt. Selbst eindeutig schwerwiegende Lebensereignisse wie zum Beispiel der Tod eines An gehörigen oder Arbeitsplatzverlust werden je nach Bedeutungsgebung und Bewältigungskompetenzen unterschiedlich verarbeitet - von Erleichterung bis hin zu gesundheitlichen Störungen. Dieser individuelle Umgang mit Belastungen hängt von biologischen Faktoren, von der Lebensgeschichte, von Motiven und Einstellungen ab. Deshalb gibt es keine einfachen Rezepte zur Stressbewältigung.
Zu (3): Beim Ausfüllen der Fragen fiel Ihnen vielleicht auf, dass Sie - wie die meisten von uns - unter Stress befriedigende und entlastende Tätigkeiten einschränken oder ganz unterbrechen, obwohl diese für die Bewältigung der Belastung eigentlich vorteilhaft sind. Manchmal werden solche Aktivitäten auch nicht wieder aufgenommen, wenn die Belastung vorbei ist. Es fehlt also genau der Ausgleich, der notwendig ist, um alltägliche Anforderungen langfristig bewältigen zu können. So kann ein Teufelskreis von Überforderung und fehlendem Ausgleich entstehen, der übrigens als Bedingungsfaktor für Depressionen gilt. Die Unterbrechung befriedigender Aktivitäten ist also sowohl Konsequenz als auch Bedingung für Belastungserleben.
Zu (4): In schweren Zeiten neigen wir dazu, uns ausschließlich mit allen Aspekten des Problems zu beschäftigen. Daraus erwachsen jedoch selten nützliche Ideen, was zu tun ist. Gerade hier ist es hilfreich, sich der Möglichkeiten und Ressourcen zu besinnen, die eben auch da und hilfreich für Veränderungen sind.
Stressoren, Stressreaktionen und Flow
Der englische Begriff Stress (Verbiegung, Spannung) bezeichnete ursprünglich eine mechanische Kraft von außen, die Materialveränderungen bewirkt. In den 50er-Jahren hat der Mediziner Hans Selye (1907 - 1982) diesen Begriff auf den Menschen übertragen und meinte damit Reizimpulse von innen oder außen, auf die der Körper mit einer Anpassungsleistung reagieren muss. Diese Aktivierung ist per se nicht belastend - sie hält den Organismus sogar in Schwung und ist die Voraussetzung für Entwicklung und Leistungsfähigkeit. Für eine als positiv erlebte Anspannung hat sich in der Fachsprache der Begriff Eustress eingebürgert. Wenn die Fähigkeiten eines Individuums sogar optimal zu den Herausforderungen einer Tätigkeit passen, wenn die aufgewendete Zeit wie im Flug vergeht und das Gefühl entsteht, fast eins mit der Handlung zu werden, dann wird diese sogar immer wieder gesucht, um die Hochstimmung und das Glücksgefühl wieder zu erleben. Dieser Zustand des so genannten Flow (Csikszentmihalyi 1992) ist am ehesten erreichbar, wenn unsere Herausforderungen selbst gewählt sind und wenn wir uns persönliche und realistische, das heißt bewältigbare Ziele gesetzt haben.
Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich für Stress die negativ getönte Bedeutung des Wortes als ein subjektiv empfundenes Übermaß an Belastung durchgesetzt. Zum gesundheitsgefährdenden Distress wird eine Aktivierungsreaktion dann, wenn sie länger bestehen bleibt oder immer wieder auftritt. Dieses Überlastungserleben setzt meistens dann ein, wenn die erlebten Anforderungen nach Einschätzung des Betroffenen die verfügbaren Möglichkeiten der Bewältigung übersteigen.
Es gibt ganz unterschiedliche innere und äußere Belastungsfaktoren (so genannte Stressoren): physikalische und chemische Stressoren wie Hitze, Kälte, Lärm, Vergiftung, körperliche Stressoren wie Hunger, Schmerz, Krankheit, soziale Stressoren wie Konkurrenz, Auseinandersetzungen, aber auch besondere Lebensereignisse wie Scheidung, Krankheit, Ortswechsel etc. Auch wenn die Unterscheidung im Alltag nicht immer einfach ist, sollte dennoch zwischen akuten (klarer Anfang, klares Ende) und chronischen Stressoren unterschieden werden. Menschen in schwierigen gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Verhältnissen sind fast immer chronischen Belastungen und Stressrisiken ausgesetzt. Aber auch individuelle Alltagsbelastungen, die dayly hazzles, chronifizieren und sind auf Dauer schädlicher als einzelne, schwerwiegende Ereignisse.
Beim Stresserleben gibt es also immer situative (externe) und persönliche (interne) Anteile. Aus den realen oder vermuteten Beanspruchungen können langfristig negative Beanspruchungsfolgen körperlicher, psychischer und verhaltensmäßiger Art bis hin zu Befindlichkeitsstörungen und Krankheitssymptomen resultieren, auf die wir später noch eingehen werden (siehe Kap. IV).
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Diana Drexler
- 160 Seiten, Maße: 13 x 20,5 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828954464
- ISBN-13: 9783828954465
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