Dragon Love 1-4
"Feuer und Flamme für diesen Mann", "Manche lieben's heiss", " Rendezvous am Höllentor", "Höllische Hochzeitsglocken"
Romantisch und mystisch: die New-York-Times-Bestseller nur bei Weltbild im Set!
Feuer und Flamme für diesen Mann
Die junge Amerikanerin Aisling Grey soll eine wertvolle Antiquität an eine Sammlerin in Paris liefern. Zu...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Dragon Love 1-4 “
Romantisch und mystisch: die New-York-Times-Bestseller nur bei Weltbild im Set!
Feuer und Flamme für diesen Mann
Die junge Amerikanerin Aisling Grey soll eine wertvolle Antiquität an eine Sammlerin in Paris liefern. Zu ihrem Entsetzen findet sie die Frau tot in ihrer Wohnung vor. Geheimnisvolle Zeichen weisen auf ein Verbrechen mit okkultem Hintergrund hin. Da taucht unvermutet ein gut aussehender Mann am Tatort auf, der sich als Drake Vireo von Interpol vorstellt. Aisling ist fasziniert von seiner Ausstrahlung, doch sie muss bald erfahren, dass der Schein trügt. Denn Drake gehört zu einem uralten Geschlecht von Drachen, die menschliche Gestalt annehmen können ...
"Katie MacAlisters Romane sind irre witzig und super sexy!"
BOOKLIST
Manche lieben's heiss
Aisling Grey, frischgebackene Hüterin des Höllentors, will mehr über ihre magischen Fähigkeiten in Erfahrung bringen. Deshalb besucht sie einen Kongress für übernatürliche Wesen in Budapest. Im Tagungshotel trifft sie auf Drake Vireo, den unwiderstehlichen Anführer der grünen Werdrachen. Der will Aisling mit allen Mitteln überzeugen, dass sie füreinander bestimmt sind. Kann sie sich seinem feurigen Charme entziehen? Und will sie es überhaupt?
"Dieses unglaublich komische Buch ist ein echtes Vergnügen ... Sie werden es nicht mehr aus der Hand legen können!"
ROMANTIC TIMES
Rendezvous am Höllentor
Nachdem Drake Vireo ihr das Herz gebrochen hat, beschließt Aisling Grey, einen neuen Anfang zu machen. Doch offiziell ist sie immer noch die Gefährtin des attraktiven Werdrachen. Daher wird auch Aislings Anwesenheit beim Treffen der Grünen Drachen gewünscht, wo sie in einen Machtkampf um die Führung des Drachenclans verwickelt wird. Vor allem aber erweist es sich als unmöglich, Drake aus dem Weg zu gehen ...
Höllische Hochzeitsglocken
Endlich ist für Aisling Grey der große Tag gekommen - der attraktive Werdrache Drake will sie heiraten. Doch als sie vor dem Altar steht, fehlt der Bräutigam! Drake ist spurlos verschwunden. Auf der Suche nach ihm muss sich Aisling mit verfeindeten Drachenclans und Dämonen herumschlagen. Doch auf dem Weg zu ihrer Traumhochzeit - mitsamt Bräutigam - lässt sich Aisling von nichts und niemandem aufhalten.
Katie MacAlisters Romane sind einfach unwiderstehlich!
ROMANTIC TIMES
Lese-Probe zu „Dragon Love 1-4 “
Dragon Love von Katie MacAlister Aus dem Amerikanischen von Margarethe van Pée
1
„Esling."
„Nein, Aisling."
„Ashlee?"
„Aisling. Das ist Irisch."
Der Mann an der Passkontrolle in Orly blickte mich über den Rand meines Passes misstrauisch an. „In Ihrem Pass steht aber, Sie sind Amerikanerin."
Ich rang mir ein Lächeln ab, obwohl ich am liebsten vor Ärger laut geschrien hätte. „Das bin ich auch. Meine Mutter war Irin, und deshalb heiße ich Aisling."
Stirnrunzelnd widmete er sich wieder meinem Pass. „A-sling."
Ich versuchte, nicht zu offensichtlich zu seufzen. Ich war zwar brandneu im Kuriergeschäft, aber ich wusste instinktiv, dass Antoine, der Passbeamte, seine Befragung ausdehnen würde, wenn ich auch nur das leiseste Zeichen von Ungeduld erkennen ließ, weil er mich mit der Aussprache meines Namens nervte. Also lächelte ich noch eine Spur süßer, schluckte tapfer die Sorge hinunter, dass mit dem Job etwas schiefgehen könnte, und sagte ganz langsam: „Es wird Äsch-ling ausgesprochen."
„Äsch-leen", wiederholte Antoine und kniff konzentriert die Augen zusammen.
Ich nickte. Er war ganz nahe dran.
„Bon, sehen wir weiter", sagte er und blätterte in meinem Pass. „Sie sind einsfünfundsiebzig groß, haben graue Augen, sind einunddreißig Jahre alt, unverheiratet und leben in Seattle im Staat Washington in Amerika. Das ist alles korrekt, ja?"
„Ja, schon, obwohl meine Augen eigentlich ein bisschen mehr haselnussbraun als grau sind, aber der Typ im Passamt wollte unbedingt ‚grau‘ schreiben. Haselnussbraun klingt viel exotischer, finden Sie nicht auch?"
... mehr
Antoine zog die Augenbrauen hoch, überflog das Visum, das mich als Kurierin von Bell & Sons auswies, und wandte dann seine Aufmerksamkeit den Dokumenten für das Aquamanile zu.
Ich blickte mich rasch um, weil mir Onkel Damians Sicherheitsanweisungen durch den Kopf gingen: Du bist für deine persönliche Sicherheit selbst verantwortlich; sie liegt nicht in der Verantwortung der Polizei, der Regierung oder sonstiger Behörden - du bist selbst deine erste und letzte Sicherheitsvorkehrung. Sei wachsam und achte aufmerksam auf deine Umgebung. Du musst Selbstbewusstsein ausstrahlen. Tu niemals etwas, das auf dich als Beute aufmerksam machen könnte.
Leichter gesagt als getan, dachte ich, während ich die vielen Menschen betrachtete, die durch die Flughafenhallen strömten. Zum Glück achtete niemand auf mich und meinen Koffer. Ich atmete erleichtert auf und hob das Kinn, um selbstbewusst und überlegen auszusehen, auf jeden Fall nicht wie eine Kurierin mit einer sechshundert Jahre alten, kleinen goldenen Statue in Form eines Drachen, die wesentlich mehr wert war, als ich in den letzten zehn Jahren insgesamt verdient hatte.
Antoines Blick schweifte zu dem kleinen schwarzen Hartschalenkoffer aus Plastik, den ich fest mit der rechten Hand umklammert hielt. „Haben Sie das Inventaire detaillé?"
„Selbstverständlich." Ich reichte ihm die Blätter, auf denen das goldene Aquamanile auf Französisch bis ins Kleinste beschrieben war. Das Dokument war vom französischen Konsulat in San Francisco abgestempelt und enthielt sowohl ein Echtheitszertifikat als auch eine Kopie der Rechnung über den Verkauf an Mme Aurora Deauxville, französische Staatsbürgerin und wohnhaft in Paris.
Antoine tippte mit dem Finger auf das Dokument. „Was ist das ... ein Aquamanile?"
Ich nahm den Koffer in die linke Hand und bog die Finger meiner rechten Hand, wobei ich sorgfältig darauf achtete, den Koffer zwischen mich und den Zolltisch zu halten, damit ihn niemand sah. „Ein Aquamanile ist eine Art Krug, zumeist aus Metall, ein Gefäß für die rituelle Handwaschung des Priesters oder einer anderen kirchlichen Person. Im Mittelalter wurde es sehr häufig benutzt."
Antoine riss die Augen auf. „Sie haben ein religiöses Artefakt dabei?"
Ich lächelte ihn ein wenig schief an. „Nein, eigentlich nicht. Es heißt, dass Aquamaniles manchmal auch für ... äh ... dunkle Praktiken verwendet wurden."
Er starrte mich an. „Dunkle Praktiken?"
Ich schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln. „Dämonen", erwiderte ich lakonisch. „Aquamaniles, so wie dieses hier, sollen angeblich von mächtigen Magiern benutzt worden sein, um Dämonenfürsten zu beschwören."
Ich hatte geglaubt, er könnte seine Augen nicht weiter aufreißen, aber bei dem Wort Dämon traten sie ihm fast aus dem Kopf. „Dämonenfürsten?", fragte er. Seine Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern.
Ich nahm den Koffer wieder in die andere Hand und beugte mich vor. Leise Verzweiflung schwang in meiner Stimme mit, als ich erwiderte: „Sie wissen schon, Satans Abgesandte. Die großen Tiere aus der Hölle. Die Dämonenfürsten eben. Jeder kann einen Dämon rufen, aber um einen Fürsten zu beschwören, braucht man schon besondere Kräfte."
Antoine blinzelte verwirrt.
„Ja, ich weiß, ich halte es ja auch für ein bisschen daneben, aber Sie würden sich wundern, was die Leute so alles glauben. Trotzdem, es ist ein faszinierendes Thema. Ich habe alles Mögliche über Dämonen gelesen - nicht dass ich glaube, dass sie tat sächlich existieren - und herausgefunden, dass es sogar richtige Kulte um Dämonen und die Macht, die sie über Sterbliche haben, gibt. In San Francisco soll es zum Beispiel eine Gruppe geben, die versucht, einen Dämon in ein öffentliches Amt wählen zu lassen. Ha, ha, als ob das einer merken würde!"
Das Blinzeln hörte auf, und Antoine sah mich mit ausdrucksloser Miene an. Wahrscheinlich hatte mein kleiner Ausflug ins Land der Witze die anglo-französischen Grenzen überschritten. Ganz zu schweigen von den Minuten, die mit rasender Geschwindigkeit dahintickten. „Ja nun, ich gebe keine Garantie für die Nützlichkeit derartiger Gegenstände. Ich bin nur die Kurierin. Also, meinen Sie, ich könnte dann gehen? Ich soll dieses Aquamanile um fünf bei seiner Besitzerin abgeben, und es ist schon nach drei. Das ist mein erster Auftrag als Kurierin, wissen Sie, und mein Onkel - er ist mein Chef - hat mir gesagt, wenn ich es nicht pünktlich abliefere, dann wirft er mich raus, und da ein äußerst dummer Richter in Kalifornien mich dazu verdonnert hat, meinem Exmann Unterhalt zu zahlen, weil Alan, das ist mein Ex, ein fauler Hund ist, der lieber am Strand rumhängt und den Mädchen auf den operierten Busen glotzt, anstatt seinen Surfer- Arsch hochzukriegen und wie wir alle zu arbeiten, um Geld zu verdienen, ist es ziemlich wichtig, dass ich diesen Job behalte, und wenn ich ihn behalten will, muss ich das Aquamanile bei der Frau abliefern, die es von Onkel Damian gekauft hat."
Antoine wirkte ein wenig erschöpft, als ich sanft gegen seine Hand klopfte, in der er meine Dokumente hielt. Er warf mir einen vernichtenden Blick zu und wies unbeirrt mit dem Kinn auf meinen Koffer. „Sie müssen ihn öffnen. Ich muss das Objekt in Augenschein nehmen und mich vergewissern, dass es mit den Fotos übereinstimmt."
Ich unterdrückte einen weiteren Seufzer und kramte den Schlüssel aus meinem Brustbeutel, um den Koffer aufzuschließen. Antoine blieb der Mund vor Staunen offen stehen, als ich die schützende Schaumstoffhülle zurückschlug und das weiche Leinentuch enthüllte, das um das Aquamanile gewickelt war. „Sacre futur du bordel de Dieu!"
„Ja, ganz schön beeindruckend, was?" Stolz blickte ich auf den Drachen. Er war ungefähr fünfzehn Zentimeter hoch und bestand hauptsächlich aus einem geringelten Schwanz, glänzenden Schuppen und blitzenden Smaragdaugen. Es war einer der seltenen Drachen ohne Flügel.
Antoine streckte die Hand aus, um den goldenen Drachen zu berühren, aber ich schlug hastig wieder das Tuch darüber. „Tut mir leid - Sie dürfen ihn anschauen, aber nicht berühren." Seine Nüstern blähten sich dramatisch, und ich sprach schnell weiter. „Noch nicht einmal die Typen an der Röntgenkontrolle durften ihn berühren. Wenn Sie mal einen Blick auf das Echtheitszertifikat werfen, dann sehen Sie auch, warum Sie es lieber lassen sollten."
Er sah auf das Zertifikat und stieß einen leisen Fluch aus, bevor er seinen Stempel auf meinen Pass und die Dokumente des Drachen drückte. „Alles in Ordnung. Sie können gehen."
Ich schloss den Koffer, sperrte ihn ab, steckte den Schlüssel wieder in den Beutel zurück und schenkte Antoine ein fröhliches Lächeln, während ich die Reisetasche mit meinen Kleidern wieder über die Schulter warf. „Danke."
„Einen Moment ...", sagte er und hob die Hand. Ich hielt den Atem an. Hoffentlich fiel ihm nicht noch etwas ein, das mich von meiner Verabredung mit Madame Deauxville abhielt. Bei meinem Glück bestand er jetzt sicher noch auf einer Leibesvisitation.
Ich versuchte unschuldig und freundlich dreinzuschauen und auf keinen Fall wie jemand, der etwas in einer Körperöffnung in ein Land schmuggelt.
Antoine blickte sich rasch um, dann trat er dichter an mich heran und fragte leise: „Sie sind Expertin für Dämonen, glauben aber nicht daran?"
Ich schüttelte den Kopf. An einer philosophischen Unterhaltung hatte ich jetzt absolut kein Interesse. „Ich bin keine wirkliche Expertin - ich habe nur ein paar mittelalterliche Texte studiert."
„Dämonen sind sehr böse."
Ich zuckte mit den Schultern und ging einen Schritt zur Seite. „Eigentlich nicht. In den Texten stand, dass sie an sich ziemlich dumm sind. Ich glaube, die Leute fürchten sich nur vor ihnen, weil sie nicht wissen, wie sie sie in Schach halten sollen."
Er beugte sich noch dichter zu mir. Der abgestandene Geruch von Zigarettenrauch streifte mich, und ich rümpfte die Nase. „Und Sie haben keine Angst vor ihnen?"
Ich schüttelte erneut den Kopf und wich noch einen Schritt weiter zurück.
Seine dunklen Augen leuchteten einen Moment lang tiefrot auf, wodurch er auf einmal viel unheimlicher wirkte als ein einfacher Zollbeamter. „Das sollten Sie aber", sagte er. Dann wandte er sich ab und winkte den Nächsten aus der Warteschlange an seinen Tisch.
„Puh, es gibt wohl überall auf der Welt komische Typen", murmelte ich vor mich hin, während ich mich durch die Menge zum Ausgang drängte. Meinen Koffer hielt ich dabei mit beiden Händen umklammert. Ich konnte es mir zwar leisten, meine Kleider und meine persönlichen Gegenstände zu verlieren, aber dieser Job war meine Chance - meine einzige Chance zu überleben, da das Unternehmen, für das ich gearbeitet hatte, pleitegegangen war. Wenn ich den Auftrag vermasselte, würde ich wieder arbeitslos sein. Da ich kein Arbeitslosengeld bekam und einen Strandheini am Bein hatte, musste ich arbeiten, damit mir auch noch was zum Leben übrig blieb, während ich Alan den Riesenbatzen Geld in den Rachen warf, den das Gericht für angemessen gehalten hatte.
Männer!
Es dauerte fünfzehn Minuten, bis ich die Schilder verstanden und herausgefunden hatte, wo sich die Taxis befanden. Beth, Onkel Damians Sekretärin, hatte behauptet, in Orly seien die Beschilderungen auch in englischer Sprache, aber sie hatte gelogen - sie waren nicht nur nicht auf Englisch, sondern was daraufstand, passte auch überhaupt nicht zu den praktischen kleinen Sätzen in dem Buch French for Francophobes, das ich mir gekauft hatte, um die nächsten anderthalb Tage zu überstehen.
„Äh ... bonjour", sagte ich zu einem gelangweilt aussehenden Taxifahrer, der an seinem Auto lehnte und sich in den Zähnen herumstocherte. „Parlez-vous anglais?"
„Non", erwiderte er, ohne den Zahnstocher herauszunehmen.
„Oh. Hm. Wissen Sie zufällig, ob einer der anderen Taxifahrer parlez anglais? Wissen vous, ob le Taxifahrer parlez anglais?"
Er warf mir einen Blick zu, der mir die Schamesröte ins Gesicht hätte treiben müssen, aber ich hatte keine Lust, mich zu schämen, weil ich nach Frankreich gefahren war, ohne ein einziges Wort Französisch zu sprechen, abgesehen von dem, was ich in meinem Reiseführer fand. Ich hatte einen Job zu erledigen - ich wollte ihn nur schnell hinter mich bringen.
„Hören Sie, ich tue mein Bestes, okay? Ich möchte in die Rue ... Oh, warten Sie mal - lassen Sie mich mal nachschauen ..." Mit einem Arm drückte ich den schwarzen Koffer an die Brust, während ich in meiner Tasche nach dem Reiseführer kramte. „Je veux aller à la Rue Sang des Innocents."
Der Taxifahrer hörte auf, in seinen Zähnen herumzustochern, und verzog das Gesicht. „Das ist das schlechteste Französisch, das ich je gehört habe, und ich habe schon viel schlechtes Französisch gehört."
„Sie sprechen ja doch Englisch", sagte ich empört und schlug den Reiseführer zu. „Ich kann nichts dafür, wenn ich etwas Falsches gesagt habe. So steht es im Buch."
„Es war nicht falsch, aber Ihr Akzent ..." Er schauderte, dann verbeugte er sich schwungvoll und öffnete die Wagentür. „Nun gut, ich werde Sie in die Rue Sang des Innocents bringen, aber es wird Sie einiges kosten."
„Wie viel?", fragte ich und nahm auf dem Rücksitz Platz. Meinen Koffer hielt ich fest umklammert.
Onkel Damian hatte mir zwar Euro mitgegeben, aber ich wusste, dass sie gerade reichten, um die Hotelrechnung für die Nacht, zwei Mahlzeiten und kleinere Ausgaben wie Taxifahrten zu bestreiten.
Der Taxifahrer warf meine Reisetasche auf die andere Seite des Rücksitzes und setzte sich ans Steuer. „Die Fahrt kostet Sie sechsunddreißig Euro, aber die Fahrt mit mir kostet Sie mehr."
„Was?"
Er lächelte mich im Rückspiegel an. „Bis wir in der Rue Sang des Innocents ankommen, können Sie drei Sätze auf Französisch sagen. Mit den drei Sätzen kommen Sie in Paris überall durch."
Ich war einverstanden, und da mir noch Zeit blieb bis zu meinem Termin mit Madame Deauxville, ließ ich ihn warten, während ich rasch in das Hotel ging, in dem Beth mir ein Zimmer reserviert hatte. Ich checkte ein, warf meine Tasche aufs Bett, fuhr mir in Windeseile mit dem Kamm durchs Haar, sodass ich weniger wie eine Verrückte und eher wie eine Kurierin aussah, und stürmte wieder nach unten, wo René und sein Taxi auf mich warteten.
Um fünf vor fünf hielt das Taxi vor einem sechsstöckigen, mattweißen Gebäude mit hohen Tür- und Fensterbögen, vor denen sich ziselierte schwarze Metallgitter befanden.
„Unglaublich!", hauchte ich und beugte mich aus dem Seitenfenster, um das Haus zu betrachten. „Was für ein tolles Gebäude. Es sieht so ... so französisch aus!"
René griff durch sein Fenster nach hinten und öffnete mir die Tür. Ich nahm meine Sachen, stieg aus und stand auf altem Kopfsteinpflaster. Mir stand immer noch der Mund offen, als ich zu dem Haus emporblickte.
„Hier stehen nur herrschaftliche Häuser. Es ist eine sehr vornehme Gegend. Die Île Saint-Louis ist nur sechs Häuserreihen lang und zwei breit. Und jetzt geben Sie mir genau sechsunddreißig Euro und sagen mir bitte noch einmal die Sätze, die ich Ihnen beigebracht habe."
Ich riss meinen Blick von dem Haus los und reichte René lächelnd seinen Lohn. „Wenn jemand mich ärgert, sage ich: Voulez- vous cesser de me cracher dessus pendant que vous parlez."
„Hören Sie auf, mich beim Reden anzuspucken", übersetzte René und nickte.
„Und wenn ich bei irgendetwas Hilfe brauche, sage ich: J'ai une grenouille dans mon bidet."
„Ich habe einen Frosch im Bidet. Ja, sehr gut. Und der letzte?"
„Den letzten Satz sollte ich mir für jeden Typen aufheben, der mich anmacht, wenn ich es nicht will: Tu as une tête à faire sauter les plaques des égouts."
„Du hast ein Gesicht, mit dem man Kanaldeckel sprengen könnte. Oui, très bon. Das müsste eigentlich reichen. Und für Ihr Treffen mit der wichtigen Dame: bonne chance!"
„Danke, René. Ich weiß die Lektion sehr zu schätzen. Man sollte schließlich jederzeit in der Lage sein, jemandem zu sagen, dass sich eine Amphibie im Bidet befindet."
„Einen Moment, ich habe noch etwas für Sie." Er kramte in einer kleinen braunen Tasche und zog eine zerknitterte Visitenkarte heraus, die er mir mit großartiger Geste, als handele es sich um ein wertvolles Objekt, überreichte. „Sie können mich als Fahrer mieten. Sie bezahlen mich, und ich fahre Sie durch Paris und zeige Ihnen alles, was Sie sehen müssen. Sie können mich jederzeit auf dem Handy erreichen."
„Danke. Ich werde leider keine Zeit zum Besichtigen haben, aber wenn ich jemals einen Fahrer brauchen sollte, rufe ich natürlich Sie an." Ich salutierte mit der Karte und steckte sie in meine Brieftasche.
Freundlich winkend fuhr er in einer schwarzen Auspuffgaswolke davon. Ich wandte mich wieder dem eindrucksvollen Gebäude zu und straffte die Schultern. Nachdem ich mich mit einem raschen Blick vergewissert hatte, dass mich niemand beobachtete, trat ich zur Tür, um auf den Klingelknopf zu drücken, unter dem „Deauxville" stand.
„Ich bin selbstbewusst", murmelte ich vor mich hin. „Ich bin ein Profi. Ich weiß genau, was ich tue. Ich habe überhaupt keine Angst, weil ich mich in einem fremden Land befinde, in dem ich mich lediglich über Frösche beschweren und Leute beleidigen kann. Ich bin ganz ruhig und konzentriert. Ich bin ... Da macht ja keiner auf."
Ich läutete erneut. Nichts passierte. Ein rascher Blick auf meine Armbanduhr bestätigte mir, dass ich zwei Minuten zu früh war. Aber Madame Deauxville war doch bestimmt zu Hause.
Ich läutete noch einmal, dieses Mal länger und nachdrücklicher. Ich legte auch das Ohr an die Tür, konnte aber nichts hören. Ein Blick auf die Fenster zeigte mir auch, warum - die Wände des Hauses waren mindestens einen Meter dick.
„Verdammt", fluchte ich und trat einen Schritt zurück, damit ich hinaufsehen konnte. Onkel Damian hatte mir gesagt, Madame Deauxville wohne im ersten Stock. Die roten und beigefarbenen Vorhänge, die durch das geöffnete Fenster sichtbar waren, bewegten sich überhaupt nicht. Nichts bewegte sich im ersten Stock ... und in den anderen Stockwerken auch nicht. Da es ein schöner Juninachmittag war, hatte ich eigentlich erwartet, dass die Leute jetzt nach Hause kommen, ihre Abendeinkäufe erledigen, durch die Straßen und an der Seine entlangschlendern würden und so weiter, aber hier war es völlig still.
Ich blickte die Straße hinunter, und so langsam richteten sich die Härchen in meinem Nacken auf. Die Straße war ebenfalls ganz still. Keine Menschen, keine Autos, keine Vögel ... nichts. Noch nicht einmal eine Blüte wippte in der leichten Brise, die vom Fluss her kam. Die Straße gegenüber war die Rue Saint- Louis en l'Île, eine belebte Straße mit Geschäften und Restaurants. René hatte zehn Minuten für zwei Straßen gebraucht, weil es von Autos und Menschen nur so gewimmelt hatte, aber hier klang der Lärm auf einmal seltsam gefiltert, als ob die gesamte Rue Sang des Innocents in Baumwolle gehüllt und mitten in der Stadt eine Oase der Stille entstanden wäre.
„Das hier unheimlich zu finden wäre noch untertrieben", sagte ich laut, um wenigstens meine Stimme zu hören. Ich packte meinen Koffer fester und läutete erneut bei Madame Deauxville. Ich bekam Gänsehaut, als ich feststellte, dass die Haustür gar nicht richtig verschlossen war.
„Anscheinend hat jemand heute früh das Haus hastig verlassen", sagte ich zu der Tür, um die Angstschauer zu vertreiben, die mir die stille Straße einjagte. „Und um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen, hat er die Tür nicht richtig zugemacht. Mehr nicht. Es ist doch nicht schlimm, wenn eine Tür nicht ganz zu ist. Und es ist auch nichts Unheimliches an einer Straße ... ach, Quatsch. Hallo?" Ich stieß die Tür auf und machte einen Schritt vorwärts in eine kleine Eingangshalle, die sich zu einem dunklen Gang verengte, von dem aus eine Treppe an brauner Holztäfelung entlang nach oben führte. „Ist hier jemand? Ich möchte zu Madame Deauxville. Halllooo?"
Fast erwartete ich das Echo meiner Stimme zu hören, aber seltsamerweise klangen meine Worte gedämpft, als ob die Wände sie verschluckten und mit dem gleichen merkwürdigen Effekt aufsaugten, der die Straße draußen so still wie ein Grab machte.
„Mir fällt mal wieder nichts anderes als ein Grab ein", grummelte ich vor mich hin, während ich sorgfältig die Tür hinter mir schloss und begann, die Treppe zum ersten Stock hinaufzusteigen. „Manchmal zahlt es sich absolut nicht aus, viel Fantasie zu haben."
Von dem schmalen Flur im ersten Stock gingen zwei Türen ab. Eine davon trug ein silbernes Schild mit dem Schriftzug „Deauxville", der so verschnörkelt und verziert war, dass er sehr edel wirkte. Die andere Tür war wahrscheinlich ein zweiter Eingang zu der Wohnung. Den Koffer fest an die Brust gedrückt, trat ich vor die Haupttür und hob die Hand, um zu klopfen. Gerade als meine Knöchel die polierte Eiche der Tür berühren wollten, überkam mich eine Welle von Furcht und Vorahnung, ein Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Empfindung war so stark, dass ich rückwärts an das Wandpaneel des Ganges zurückwich. Ich umklammerte den Koffer und rang nach Luft. Ein Gefühl der Angst und des Unbehagens hatte schon in dem Moment eingesetzt, als René davongefahren war, und sich in der Zwischenzeit noch verstärkt. Ich hatte Gänsehaut auf den Armen bekommen, und eine warnende Stimme in meinem Kopf hatte gerufen, ich solle sofort das Gebäude verlassen.
In der Wohnung war etwas Schreckliches geschehen. Etwas ... Unnatürliches.
„Jetzt stell dich nicht so an", stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und zwang mich, auf die Tür zuzugehen.
„Hier gibt es nur eine exzentrische Sammlerin, nichts Böses. Nichts, wovor du Angst haben müsstest. Du bist ein Profi. Du schaffst das."
Ich hatte die Tür noch nicht richtig berührt, da schwang sie schon auf.
Wie erstarrt stand ich auf der Schwelle, und es lief mir kalt den Rücken hinunter, als ich durch die kleine Diele in ein Zimmer blickte, das wahrscheinlich der Wohnraum war. Winzige Staubflocken tanzten träge in der Nachmittagssonne, die durch die hohen Bogenfenster drang und den dunkelroten Teppich zum Leuchten brachte. Ein Strauß frischer Blumen stand auf einem antiken Tisch zwischen zwei Fenstern. Ich konnte ihren köstlichen Duft sogar von der Tür aus riechen. Die Decken waren hoch, in gebrochenem Weiß, und die Wände so blau wie die Eier des Zaunkönigs, mit Stuck in den Ecken. An einer Wand stand ein auf Hochglanz polierter ehrwürdiger alter Schreibtisch mit einem dazu passenden rot gepolsterten Sessel, der zurückgeschoben war, als habe sich gerade jemand daraus erhoben.
Alles war wundervoll, schön und kostbar, genauso, wie man es in der Wohnung einer reichen Frau, die in einer exklusiven Gegend von Paris lebt, erwartete.
Alles, bis auf die Leiche. An einem Kronleuchter hing die Leiche einer Frau, aufgeknüpft an ihren auf dem Rücken gefesselten Händen. Der Körper schaukelte leicht hin und her, über einem schwarzen Kreis aus Asche, der auf dem hübschen dunkelroten Teppich gezogen worden war, ein Kreis mit zwölf Symbolen. Die tote Frau war Madame Deauxville, daran hegte ich nicht den geringsten Zweifel.
„J'ai une grenouille dans mon bidet", sagte ich, wobei ich mir glühend wünschte, dass Frösche mein größtes Problem wären.
2
Ich hoffe, ich bekomme ordentlich Bonuspunkte, weil ich nicht schreiend aus dem Haus gerast bin, als mein Blick auf die tote Frau fiel, deretwegen ich um die halbe Welt geflogen war. Wer auch immer für das Karma zuständig ist, belohnt mich hoffentlich dafür, dass ich nicht Fersengeld gegeben habe, solange ich noch die Möglichkeit dazu hatte, denn Madame Deauxvilles Wohnung zu betreten, obwohl ihre Leiche sanft in der warmen Nachmittagssonne hin und her schaukelte, hat mich so viel Kraft gekostet wie nichts sonst in meinem Leben.
Okay, ich gebe es zu, ich habe leise vor mich hingewimmert, und ich habe die Tür angelehnt gelassen, weil etwas in meinem Hinterkopf darauf bestand, einen Fluchtweg offen zu lassen, falls die Tote auf einmal wieder lebendig würde und mich packen wollte (in bester Horrorfilm-Manier), aber das Wimmern war nur leise, und als ich merkte, dass es aus meinem eigenen Mund kam, hörte ich sofort auf.
„Reiß dich zusammen", sagte ich streng zu mir. Der Klang meiner Stimme in der stillen Wohnung ließ mich zusammenzucken. „Wenn sie tatsächlich tot ist, kann sie dir nichts tun. Oh, Mist, wenn sie tot ist ... du liebes bisschen. Am besten, ich prüfe das mal nach."
Mir kam es so vor, als ob ich für die sieben Schritte, die nötig waren, um die kleine Diele zu durchqueren, Stunden brauchte. Ich trat um den Aschekreis herum, um ihn nicht zu zerstören und auch, um den Körper nicht anfassen zu müssen. Die Frau konnte doch nicht mehr am Leben sein, wenn sie so aufgeknüpft worden war, nicht wahr? Und es war doch auch sicher ein Zeichen für ihren Tod, dass sie sich so gar nicht bewegte. Ich brauchte bestimmt gar nicht nachzuprüfen, ob sie wirklich tot war.
„Quatsch", sagte ich und stellte meinen Koffer vorsichtig auf das wunderschön bestickte Polster eines kostbaren alten Stuhls. Bemüht, nur ja nichts zu berühren, trat ich näher, bis meine Zehen die äußere Kante des Aschekreises berührten. Ich holte tief Luft, ignorierte das schreckliche Gefühl, dass ich nicht tun sollte, was ich gerade tun wollte, und beugte mich vor, um an Madame Deauxvilles Hals den Puls zu fühlen.
„Non!"
Die Stimme hinter mir erschreckte mich so, dass ich das Gleichgewicht verlor und mit wild rudernden Armen auf die Leiche zusteuerte. Ich schrie und versuchte ihr auszuweichen, aber zum Glück hielt mich jemand fest, sodass ich nicht in den Kreis fiel.
„Ne la touchez pas!"
„Was?" Ich rieb mir die Gänsehaut, die meine Arme bedeckte, und blinzelte den Mann an, der vor mir stand. „Ich ... äh ... tut mir leid, non ich parlez Französisch."
„Amerikanerin?", fragte der Mann und blähte die Nüstern, als ob er etwas riechen würde.
„Ja", erwiderte ich. Ich blickte von ihm zu der Leiche, dann wieder zurück zu ihm, und plötzlich schoss mir durch den Kopf, dass ich allein in einer Wohnung mit einem Fremden und einer toten Frau war, was wahrscheinlich bedeutete, dass er ...
„Ich habe sie nicht umgebracht", sagte er hastig. Anscheinend konnte er Gedanken lesen. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit der Leiche zu.
Ich nutzte den Moment, um ihm einen prüfenden Blick zuzuwerfen. Ich bin ja nicht blöd - wenn ich mich in einem Zimmer mit einem Mordopfer befinde, dann steht ein großer, dunkelhaariger, äußerst gut aussehender, schwarz gekleideter Typ, der nach Gefahr riecht und wie aus dem Nichts plötzlich auftaucht, natürlich ganz oben auf meiner Liste der potenziellen Mörder.
Und das bedeutete, ich musste mit meinem Drachen verschwinden, bevor Mr Killer sich noch einen Mord gönnte.
Ich verzog gerade das Gesicht zu einer kleinen Grimasse, als sich der Mann wieder zu mir umdrehte. In seinen dunkelgrünen Augen blitzte es auf. „Fühlen Sie sich nicht wohl? Sie werden sich doch hier wohl nicht übergeben?"
„Das hatte ich heute Nachmittag eigentlich nicht vor, aber wenn Sie darauf bestehen, könnte ich es durchaus versuchen."
Er legte den Kopf schräg und musterte mich von oben bis unten. „Ich hatte noch nie viel übrig für amerikanischen Humor. Das sollte doch wohl ein Witz sein, oder?"
„Ja, genau." Oh, brillant, Aisling, einfach brillant. Du sitzt hier in einem Zimmer in einem fremden Land mit einem Mörder fest, und dir fällt nichts Besseres ein, als Witze zu reißen, anstatt lieber abzuhauen. Er trat einen Schritt zurück und versperrte mir dadurch den Ausgang. In mir stieg Panik auf, und mir wurde klar, dass ich den grünäugigen Mörder ablenken musste, damit ich fliehen konnte.
Seine Augen glitzerten dunkel, was mir noch zusätzlich Angst einjagte, gleichzeitig jedoch auch den Wunsch in mir auslöste, mich ihm an den Hals zu werfen. „Ah. Ja. Ein Witz. Das habe ich mir doch gedacht."
Ablenkung, Mädel. Lass dich nicht von seinen schönen Augen beeindrucken, schließlich gehören sie einem kaltblütigen Mörder. „Äh, ich wollte gerade nachprüfen, ob Madame Deauxville wirklich tot ist." Einen Moment lang schloss ich die Augen. Das klang ja fürchterlich. „Das heißt, ich wollte mich vergewissern, ob sie nicht noch lebt. Natürlich wollte ich nicht, dass sie tot ist, verstehen Sie. Ich wollte nur sicher sein, dass sie es nicht ist. Oh, Mist, das hört sich alles so falsch an."
„Sie wollten sich vergewissern, dass Sie nichts mehr für sie tun können", sagte der dunkelhaarige Mann neutral. Seine Stimme - sehr sexy, eine Mischung aus englischem Akzent und etwas, das in meinen Ohren irgendwie deutsch klang - war seltsam monoton. Sie klang so, wie ich es von jemandem erwarten würde, der mich für einen gestörten Killer hält.
„Obwohl das eigentlich ein Oxymoron ist. Ich meine, welcher Killer ist denn nicht gestört?"
Die grünen Augen betrachteten mich nachdenklich. „Ist das eine rhetorische Frage, oder möchten Sie die Denkweise von Mördern analysieren?"
Ich stöhnte. „Entschuldigung, das ist mir nur so herausgerutscht. Meinen Sie nicht auch, dass einer von uns ... Sie wissen schon, mal nachsehen sollte? Um herauszufinden, ob sie nicht nur schwer verletzt ist?"
Er warf einen Blick auf den Körper. Ich ebenfalls. „Sie glauben nicht, dass sie wirklich tot ist?"
Ich musste zugeben, dass er recht hatte. Die Frau war zu stumm, und die schwere Atmosphäre in der Wohnung (im Haus, auf der Straße, womöglich auf der ganzen Welt) war bedrückend. Ich wusste, ohne nachzudenken, dass sich nur zwei lebende Personen in der Wohnung befanden, und die Frau, die an dem Kronleuchter hing, gehörte nicht dazu.
Der Mann legte wieder den Kopf schief, dann drehte er sich abrupt um und schloss die Tür, die immer noch offen stand. Erneut überfiel mich Angst. Er würde mich töten! Panisch blickte ich mich nach einer Waffe um und schrie auf, als er mich am Arm packte.
„Was ist denn los mit Ihnen? Sie sehen so aus, als wollten Sie jeden Moment in Ohnmacht fallen."
„Ich? Nein, es ist alles in Ordnung. Mir geht es gut. Obwohl, wenn ich so darüber nachdenke, dann fällt mir ein, dass ich schreckliche Gedächtnisprobleme habe. Ich kann mich nie erinnern, wie Leute aussehen. Oder was sie zu mir gesagt haben, oder ... oder ... oder so. Also, es braucht sich niemand Sorgen zu machen, dass ich etwas gesehen oder gehört haben könnte, wegen dieses Gedächtnisproblems. Und es ist auch dauerhaft."
Er warf mir einen langen, nachdenklichen Blick zu, schnaubte kurz und ließ meinen Arm los. Dann ging er vor dem Aschekreis in die Hocke und betrachtete ihn eingehend. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich sie nicht getötet habe. Und ich werde auch Ihnen nichts tun. Sie brauchen keine Angst zu haben."
Verächtlich reckte ich das Kinn bei dem arroganten Tonfall in seiner wieder sexy klingenden Stimme. „Ach ja? Wer hat denn behauptet, dass ich Angst vor Ihnen habe?"
„Ich kann Ihre Angst riechen. Was halten Sie davon?"
Er wies auf den Aschekreis. Ich verschränkte die Arme über der Brust und versuchte an meinen Achselhöhlen zu schnüffeln, ohne dass es zu sehr auffiel. „Das ist ein Aschekreis mit den zwölf Symbolen Ashtaroths. Wie riecht Furcht denn eigentlich?"
Stirnrunzelnd musterte er den Kreis, berührte ihn aber nicht. „Erregend."
Ich blinzelte verwirrt. „Was?"
Er richtete sich auf und drehte sich zu mir, und wieder einmal wurde mir sehr bewusst, dass ich allein in einer Wohnung mit einer toten Frau und einem geheimnisvollen Mann war, der für meinen Seelenfrieden viel zu gut aussah. „Dann erwacht das Raubtier in mir."
Ich riss die Augen auf, als er sich zu mir beugte. Seine faszinierenden grünen Augen schienen mich förmlich einzusaugen. Er war ein Mann, und ich war eine Frau, und es gab gewisse fundamentale Unterschiede zwischen uns, die mein Körper nur zu gerne erforscht hätte, ungeachtet der Tatsache, dass er möglicherweise ein Mörder war. „Oh."
Er nickte. Seine dichten schwarzen Wimpern betonten noch das klare Grün seiner Augen. „Und weil ich so männlich reagiere, fühlen Sie sich auf weiblicher Ebene bedroht. Deshalb machen Sie auch Witze, die andere in solch einer Situation als unpassend empfinden würden."
„Wollen Sie etwa sagen, dass zwischen uns eine Art Anziehungskraft besteht?" Verschiedene Teile meines Körpers bettelten geradezu darum, aber ich forderte sie streng auf, sich zu benehmen und daran zu denken, dass der Mann, den sie begehrten, wahrscheinlich ein Krimineller war. „Wollen Sie etwa behaupten, ich hätte Angst vor Ihnen, weil Sie ein Mann sind und ich eine Frau bin, und nicht, weil wir uns hier in einem Raum mit einer Frau befinden, die offensichtlich ermordet worden ist?"
Seine Lippen zuckten. Er warf einen Blick auf Madame Deauxville. „Nein, das behaupte ich nicht. Ist dieser Kreis offen oder geschlossen?"
Ich sah ihn mir genau an. Er sah geschlossen aus. „Meiner Meinung nach ist er geschlossen. Hmm. Wer sind Sie?"
Sein Blick flackerte. „Das könnte ich Sie genauso gut fragen."
„Ja, das könnten Sie", sagte ich und sah zu, wie er einen großen Bogen um den Kreis machte. Auf der anderen Seite der Leiche blieb er stehen, vor einer Couch in Gold und Scharlachrot, die zu den beiden Stühlen im Zimmer passte. Stirnrunzelnd betrachtete er sie. „Aber ich habe als Erster gefragt. Sie müssen es mir nicht sagen, aber ich nehme an, dass die Polizei es wissen will, deshalb können Sie ja Ihr Alibi schon mal an mir üben."
Wieder warf er mir einen ungeduldigen Blick zu, dann griff er in die Brusttasche seiner schwarzen Lederjacke und zückte einen offiziell aussehenden Ausweis, den er mir hinhielt. „Drake Vireo. Interpol."
Einen Moment lang blieb mir der Mund offen stehen. „Interpol? So was wie der internationale Scotland Yard? Sie sind Detective?"
„So ungefähr." Er wollte seinen Ausweis wieder zuklappen.
„Warten Sie", sagte ich und trat vorsichtig um den Kreis und Madame Deauxville auf ihn zu. „Ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen. Das möchte ich mir gern etwas genauer ansehen."
Er schwenkte ihn in Richtung Couch, als ich neben ihn trat. „Wenn der Kreis noch geschlossen ist, wie ist der Dämon dann entkommen?"
Ich starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. „Was ist eigentlich hier in dem Land los? Seid ihr alle von Dämonen besessen, oder was? Was für ein Dämon? Von was reden Sie überhaupt?"
Erneut gab er ein Zeichen von Ungeduld von sich. Ich meinte zu sehen, wie er ganz leicht entnervt die Augen verdrehte. „Ich frage Sie doch bloß, was mit dem Dämon passiert ist, den derjenige, der diesen Kreis gezogen hat, gerufen hat. Wenn der Kreis nämlich geschlossen ist, wie Sie ja selber sagen, dann kann der Dämon nicht weg. Und trotzdem haben wir dort den Beweis dafür."
Ich blickte in die Richtung, in die er mit seinem Ausweis zeigte. Zwischen Couch und Wand war ein schwarzer Fleck auf dem Boden, als ob jemand dort Kohlenstaub verrieben hätte. Langsam schwirrte mir der Kopf. War ich nun völlig durchgedreht oder er? Da ich ihn erst seit Kurzem kannte, musste er es wohl sein. „Das meinen Sie ernst, nicht wahr? Sie glauben wirklich, dass ein Dämon etwas damit zu tun hat? Ich muss zwar zugeben, dass es so aussieht, als handle es sich um einen Ritualmord, aber das bedeutet doch nicht zwangsläufig, dass ein Dämon im Spiel ist."
Er zog eine schwarze Augenbraue hoch. „Ritualmord? Wie kommen Sie denn darauf?"
Ich wies auf die Leiche. Endlich zahlten sich all die Jahre aus, die ich auf mein kleines Hobby verwendet hatte. „Der Kreis des Ashtaroth unter ihren Füßen mit den zwölf Rufsymbolen, die Art und Weise, wie ihr Körper an den auf dem Rücken gefesselten Händen aufgeknüpft ist, und ich könnte wetten, dass ihr mit etwas Silbernem das Herz durchbohrt wurde. Mit anderen Worten, sie ist im Stil des ersten der Drei Dämonentode ermordet worden. Nur dass diese Frau keine Dämonin war. Was im Übrigen nicht weiter überraschend ist, da es Dämonen nur im Reich der Fantasie gibt."
Drake blickte mich amüsiert an. „Sie glauben nicht an Dämonen?"
„Nein, keineswegs. Dämonen gibt es nur in den Köpfen ziemlich verwirrter Menschen."
Wieder blähten sich seine Nasenflügel. Wenn ich nicht so überzeugt gewesen wäre, dass er völlig verrückt war, hätte ich mir eingestehen müssen, dass er selbst das toll machte. „Wollen Sie etwa behaupten, dass Sie trotz der eindeutigen Beweise nicht glauben, dass kürzlich ein Dämon in diese Wohnung gerufen worden ist?"
Ich wich vorsichtig einen Schritt zurück. Nur keine schnellen Bewegungen; man durfte gefährliche Wahnsinnige nicht erschrecken. „Okay, wissen Sie was? Ich trete jetzt dort an den Schreibtisch, wo das Telefon steht, und rufe die Polizei. Und während ich anrufe, können Sie Ihrer Arbeit als Detective nachgehen."
„Ich habe schon die Polizei gerufen. Sie müsste in etwa vier Minuten hier sein. Warum wollen Sie mir nicht erzählen, was aus dem Dämon geworden ist? Haben Sie etwas mit Aurora Deauxvilles Tod zu tun?"
Ich blieb vor dem Schreibtisch stehen und überlegte, ob ich es wohl bis zur Tür schaffen konnte, bevor er mich einholte.
Aber dann fiel mein Blick auf den Koffer, der auf dem Stuhl stand. Mist. Ohne das Aquamanile konnte ich nicht weg. „Nein, ich bin eben erst angekommen. Ich bin Kurierin und sollte hier ein Päckchen abliefern. Ich habe keine Ahnung von Dämonen und weiß auch nicht, wer ein Interesse an Madame Deauxvilles Tod haben könnte. Aber da wir gerade dabei sind, was machen Sie denn eigentlich hier? Sie sind ja wohl nicht aus beruflichen Gründen hier, denn sonst wäre die Mordkommission ja auch schon da. Also, wenn Sie sie nicht umgebracht haben, dann müssen Sie gesehen haben, wer es war. Sie sieht nämlich nicht so aus, als ob sie schon lange tot wäre."
„Sie sieht nicht so aus, als ob sie schon lange tot wäre?"
Ich zeigte auf Madame Deauxvilles Arme. „Die Totenstarre hat noch nicht eingesetzt, weil sonst der Winkel zwischen ihren Armen und dem Rücken kleiner wäre. Das bedeutet, sie ist entweder länger als zwölf Stunden tot, und die Totenstarre lässt langsam schon wieder nach, oder sie setzt gerade ein, was bedeutet, sie ist seit ... ach, vielleicht fünfzehn Minuten tot. Aber das brauche ich Ihnen ja nicht zu erzählen - Sie sind ja vom Fach."
„Ich bin auf verlorene Gegenstände spezialisiert, nicht auf Mord", erwiderte Drake. „Woher wissen Sie so gut über die verschiedenen Zerfallstadien Bescheid?"
„Aus dem Fernsehen. Es gibt da so eine Sendung über Gerichtsmedizin, von der ich keine Folge verpasse. Es ist wirklich interessant. Sie machen Autopsien und so weiter. Wissen Sie, was mit Knochen passiert, die den Elementen ausgesetzt sind?"
„Ja, sie werden braun."
„Das stimmt. Haben Sie nicht gesagt, Sie bearbeiten keine Mordfälle?"
Wieder blickte er sich im Zimmer um, als ob er etwas suchte. Er ignorierte meine letzte Frage völlig, was mir auch recht war, denn mir wäre lieber gewesen, wenn er die wichtigere Frage beantworten würde. „Ich bin höchstens fünf Minuten vor Ihnen hier eingetroffen. Es geht Sie nichts an, was ich mit ihr zu schaffen hatte. Als ich in die Wohnung kam, war sie schon tot."
„Dann müssen Sie gehört haben, wie ich geläutet habe."
„Ja."
„Aber Sie haben mich nicht hereingelassen!", sagte ich erbost.
Er legte den Kopf in den Nacken, als ob er Witterung aufnehmen wollte. „Hätten Sie das denn an meiner Stelle getan?"
„Vermutlich nicht. Und, warum waren Sie bei Madame Deauxville?"
Er schaute mich eindringlich an. „Ich finde die Frage viel wichtiger, warum Sie mich anlügen. Sie sind eine Hüterin, und doch leugnen Sie die Tatsachen. Sie streiten ab, dass ein Dämon hier gewesen ist. Ich spüre doch, dass die Luft von ihm verunreinigt wurde, und trotzdem leugnen Sie es." Er schüttelte den Kopf und trat langsam auf mich zu. „Ich begreife einfach nicht, warum eine Hüterin etwas so Augenscheinliches abstreitet. Das werden Sie mir erklären müssen."
Ich wich ein paar Schritte gegen den Schreibtisch zurück. „Sie irren sich. Ich bin Kurierin - das habe ich Ihnen doch bereits gesagt. Und ich habe keine Kinder, weder meine eigenen noch die von irgendjemand anderem, für die ich als Hüterin fungiere."
Er runzelte die Stirn. „Was?"
„Ich bin Kurierin. K-u-r-i-e-r-i-n. Jemand, der Objekte transportiert. Das ist mein Job oder war es zumindest. Ich weiß noch nicht, wie ich Onkel Damian beibringen soll, dass meine erste Lieferung so in die Hose gegangen ist, aber ich habe das dumpfe Gefühl, ich sollte in der nächsten Zeit nicht auf eine Gehaltserhöhung oder eine Beförderung hoffen."
Drake ging auf die andere Seite des Kreises und blickte mich verwirrt an. „Sie riechen, als ob Sie die Wahrheit sagen, aber auf der anderen Seite kennen Sie die Symbole von Ashtaroth. Sie wussten, dass der Kreis ungebrochen war, und das kann nicht einmal ich mit Gewissheit sagen. Außerdem kennen Sie sich mit den Ritualen zur Zerstörung eines Dämons aus. Solche Dinge weiß nur eine Hüterin. Was für ein Spiel spielen Sie?"
Ich hob die Hände, um meine Unschuld zu beteuern. „Warum erzählen Sie mir dauernd, wonach ich rieche? Ich habe heute früh geduscht! Und was das andere angeht - ich versuche nur, meinen Job zu machen."
„Und was sollen Sie abliefern?"
Ich zuckte mit den Schultern. Das brauchte ich ihm ja nun wirklich nicht auf die Nase zu binden, schließlich wusste ich ja immer noch nicht genau, ob er Madame Deauxville nicht doch ermordet hatte. Seine faszinierend gefährliche Ausstrahlung schien darauf hinzuweisen, ebenso wie das ganze Gerede über Dämonen und ihre Hüterinnen. Und dann schnüffelte er auch noch die ganze Zeit in der Luft herum ... „Es ist nur eine kleine Statue. Auch wenn Sie nicht von der Mordkommission sind, sollten Sie dann nicht trotzdem die Leiche untersuchen?"
„Ich verhöre eine Verdächtige", erwiderte er und trat auf mich zu. Der ruhige Teil meines Verstandes genoss es, ihm beim Gehen zuzusehen. Es war eher eine Art Gleiten, hinter dem Kraft steckte, die aber seine geschmeidigen Bewegungen nicht beeinträchtigte. „Was für eine Statue? Woraus besteht sie?"
„Aus Metall. Es ist eine Figur, nichts Besonderes, nichts Wichtiges", log ich.
Er hob wieder den Kopf, und ich hätte schwören können, dass er prüfend die Luft einsog. „Gold. Die Statue ist aus Gold."
Ich stürzte auf den Stuhl zu und kam knapp vor ihm dort an. „Wissen Sie was? Ich glaube, Sie müssen mir noch mal Ihren Ausweis zeigen. Sie machen das alles nicht richtig. Eigentlich müssten Sie mich nach meinem Namen fragen, wo ich wohne, ob ich Madame Deauxville kenne und so, und stattdessen quatschen Sie von Dämonen und warum jemand mit dem Kreis von Ashtaroth einen der Dämonenfürsten ruft und woraus die kleine, unbedeutende Statue besteht, die ich mitgebracht habe."
„Für jemanden, der angeblich keine Hüterin ist, scheinen Sie ziemlich viel Ahnung von Dämonen zu haben", sagte er in einem leise grollenden Tonfall, bei dem mir ein Schauer über den Rücken lief. Mit einer raschen Bewegung packte er mich am Arm und zog mich an seine Brust. Eine Hand drückte er auf meinen Rücken und mit der anderen zog er mir an den Haaren den Kopf zurück. „Nun gut. Dann spielen wir eben das Spiel, wie Sie es wünschen. Wie heißen Sie?"
„Aisling", erwiderte ich unwillkürlich. Dann jedoch wurde mir klar, dass mein Körper - dieser Verräter - es genoss, an ihn gedrückt zu sein, und mein gesunder Menschenverstand machte sich wieder bemerkbar. „He! Was soll das? Sie können mich doch nicht so anfassen! Lassen Sie mich los!"
„Sie wollten doch, dass ich Fragen stelle - ich komme bloß Ihrem Wunsch nach. Wo wohnen Sie?"
„Im Hôtel de la Femme Sans Tête. Lassen Sie mich los!"
„Noch nicht. Kannten Sie Madame Deauxville?"
„Nein, ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Kurierin bin. Lassen Sie mich endlich los, das ist keineswegs p. c."
„P. c.?"
„Politically correct. Lassen Sie mich los!"
Er kniff die Augen zusammen. „Eine Hüterin, die behauptet, keine Hüterin zu sein, und die trotzdem die notwendigen Schritte kennt, um einen Dämon zu rufen. Sie sind mir ein Rätsel, aber es lohnt sich wahrscheinlich, dieses Rätsel zu ergründen." Anstatt mich loszulassen, vergrub er seinen Kopf an meinem Hals und holte tief Luft.
„Was machen Sie da?", kreischte ich und versuchte mich aus seiner Umklammerung zu befreien.
„Ich präge mir Ihren Duft ein."
„Was?", schrie ich. Auf einmal wurde mir klar, dass nicht nur meine Stimme zu hören war, sondern auch immer näher kommende Polizeisirenen.
Drake hob den Kopf und warf mir einen Blick zu, bei dem mir die Knie weich wurden. An seinen schönen grünen Augen war irgendetwas anders als bei anderen. Die Pupillen waren eher länglich als rund, fast wie bei einer Katze, aber nicht ganz so ausgeprägt. Aber es lag auch nicht nur an seinen Augen, sondern daran, wie er mich anfasste, wie er sprach, wie er ... an mir roch. Irgendetwas an ihm war nicht ganz menschlich, und mein Herz schlug schneller. Ich verstand jetzt, was er mit meiner Angst vor ihm meinte - sie war tatsächlich sexuell gefärbt, aber darunter lag eine tiefere Emotion: die Angst davor, verzehrt zu werden, von einem Wesen zerstört zu werden, das stärker war als ich.
Mit einer sanften Berührung, die seinen bedrohlichen Tonfall Lügen strafte, schob er mir eine Haarsträhne hinters Ohr und sagte: „Die Polizei ist da, Aisling. Deshalb muss ich Ihnen Adieu sagen. Ich weiß zwar nicht, warum Sie die Wahrheit abstreiten, aber ich rate Ihnen, mit der französischen Polizei vorsichtiger umzugehen. Sie sind nicht besonders tolerant den Personen gegenüber, die sich mit dunklen Mächten eingelassen haben."
Seine Lippen streiften die meinen, aber die Berührung war vorbei, bevor ich die Sprache wiedergefunden hatte.
„He, was soll das? Sie können mich doch nicht einfach küssen! Und was meinen Sie mit vorsichtiger? Und mit dunklen Mächten? Wohin gehen Sie ...? Nein! Stopp! Der gehört mir!"
Ich sprang vor, aber es war zu spät. Drake hatte meinen Koffer ergriffen und war aus der Wohnung gerannt, bevor ich noch drei Schritte getan hatte.
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Antoine zog die Augenbrauen hoch, überflog das Visum, das mich als Kurierin von Bell & Sons auswies, und wandte dann seine Aufmerksamkeit den Dokumenten für das Aquamanile zu.
Ich blickte mich rasch um, weil mir Onkel Damians Sicherheitsanweisungen durch den Kopf gingen: Du bist für deine persönliche Sicherheit selbst verantwortlich; sie liegt nicht in der Verantwortung der Polizei, der Regierung oder sonstiger Behörden - du bist selbst deine erste und letzte Sicherheitsvorkehrung. Sei wachsam und achte aufmerksam auf deine Umgebung. Du musst Selbstbewusstsein ausstrahlen. Tu niemals etwas, das auf dich als Beute aufmerksam machen könnte.
Leichter gesagt als getan, dachte ich, während ich die vielen Menschen betrachtete, die durch die Flughafenhallen strömten. Zum Glück achtete niemand auf mich und meinen Koffer. Ich atmete erleichtert auf und hob das Kinn, um selbstbewusst und überlegen auszusehen, auf jeden Fall nicht wie eine Kurierin mit einer sechshundert Jahre alten, kleinen goldenen Statue in Form eines Drachen, die wesentlich mehr wert war, als ich in den letzten zehn Jahren insgesamt verdient hatte.
Antoines Blick schweifte zu dem kleinen schwarzen Hartschalenkoffer aus Plastik, den ich fest mit der rechten Hand umklammert hielt. „Haben Sie das Inventaire detaillé?"
„Selbstverständlich." Ich reichte ihm die Blätter, auf denen das goldene Aquamanile auf Französisch bis ins Kleinste beschrieben war. Das Dokument war vom französischen Konsulat in San Francisco abgestempelt und enthielt sowohl ein Echtheitszertifikat als auch eine Kopie der Rechnung über den Verkauf an Mme Aurora Deauxville, französische Staatsbürgerin und wohnhaft in Paris.
Antoine tippte mit dem Finger auf das Dokument. „Was ist das ... ein Aquamanile?"
Ich nahm den Koffer in die linke Hand und bog die Finger meiner rechten Hand, wobei ich sorgfältig darauf achtete, den Koffer zwischen mich und den Zolltisch zu halten, damit ihn niemand sah. „Ein Aquamanile ist eine Art Krug, zumeist aus Metall, ein Gefäß für die rituelle Handwaschung des Priesters oder einer anderen kirchlichen Person. Im Mittelalter wurde es sehr häufig benutzt."
Antoine riss die Augen auf. „Sie haben ein religiöses Artefakt dabei?"
Ich lächelte ihn ein wenig schief an. „Nein, eigentlich nicht. Es heißt, dass Aquamaniles manchmal auch für ... äh ... dunkle Praktiken verwendet wurden."
Er starrte mich an. „Dunkle Praktiken?"
Ich schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln. „Dämonen", erwiderte ich lakonisch. „Aquamaniles, so wie dieses hier, sollen angeblich von mächtigen Magiern benutzt worden sein, um Dämonenfürsten zu beschwören."
Ich hatte geglaubt, er könnte seine Augen nicht weiter aufreißen, aber bei dem Wort Dämon traten sie ihm fast aus dem Kopf. „Dämonenfürsten?", fragte er. Seine Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern.
Ich nahm den Koffer wieder in die andere Hand und beugte mich vor. Leise Verzweiflung schwang in meiner Stimme mit, als ich erwiderte: „Sie wissen schon, Satans Abgesandte. Die großen Tiere aus der Hölle. Die Dämonenfürsten eben. Jeder kann einen Dämon rufen, aber um einen Fürsten zu beschwören, braucht man schon besondere Kräfte."
Antoine blinzelte verwirrt.
„Ja, ich weiß, ich halte es ja auch für ein bisschen daneben, aber Sie würden sich wundern, was die Leute so alles glauben. Trotzdem, es ist ein faszinierendes Thema. Ich habe alles Mögliche über Dämonen gelesen - nicht dass ich glaube, dass sie tat sächlich existieren - und herausgefunden, dass es sogar richtige Kulte um Dämonen und die Macht, die sie über Sterbliche haben, gibt. In San Francisco soll es zum Beispiel eine Gruppe geben, die versucht, einen Dämon in ein öffentliches Amt wählen zu lassen. Ha, ha, als ob das einer merken würde!"
Das Blinzeln hörte auf, und Antoine sah mich mit ausdrucksloser Miene an. Wahrscheinlich hatte mein kleiner Ausflug ins Land der Witze die anglo-französischen Grenzen überschritten. Ganz zu schweigen von den Minuten, die mit rasender Geschwindigkeit dahintickten. „Ja nun, ich gebe keine Garantie für die Nützlichkeit derartiger Gegenstände. Ich bin nur die Kurierin. Also, meinen Sie, ich könnte dann gehen? Ich soll dieses Aquamanile um fünf bei seiner Besitzerin abgeben, und es ist schon nach drei. Das ist mein erster Auftrag als Kurierin, wissen Sie, und mein Onkel - er ist mein Chef - hat mir gesagt, wenn ich es nicht pünktlich abliefere, dann wirft er mich raus, und da ein äußerst dummer Richter in Kalifornien mich dazu verdonnert hat, meinem Exmann Unterhalt zu zahlen, weil Alan, das ist mein Ex, ein fauler Hund ist, der lieber am Strand rumhängt und den Mädchen auf den operierten Busen glotzt, anstatt seinen Surfer- Arsch hochzukriegen und wie wir alle zu arbeiten, um Geld zu verdienen, ist es ziemlich wichtig, dass ich diesen Job behalte, und wenn ich ihn behalten will, muss ich das Aquamanile bei der Frau abliefern, die es von Onkel Damian gekauft hat."
Antoine wirkte ein wenig erschöpft, als ich sanft gegen seine Hand klopfte, in der er meine Dokumente hielt. Er warf mir einen vernichtenden Blick zu und wies unbeirrt mit dem Kinn auf meinen Koffer. „Sie müssen ihn öffnen. Ich muss das Objekt in Augenschein nehmen und mich vergewissern, dass es mit den Fotos übereinstimmt."
Ich unterdrückte einen weiteren Seufzer und kramte den Schlüssel aus meinem Brustbeutel, um den Koffer aufzuschließen. Antoine blieb der Mund vor Staunen offen stehen, als ich die schützende Schaumstoffhülle zurückschlug und das weiche Leinentuch enthüllte, das um das Aquamanile gewickelt war. „Sacre futur du bordel de Dieu!"
„Ja, ganz schön beeindruckend, was?" Stolz blickte ich auf den Drachen. Er war ungefähr fünfzehn Zentimeter hoch und bestand hauptsächlich aus einem geringelten Schwanz, glänzenden Schuppen und blitzenden Smaragdaugen. Es war einer der seltenen Drachen ohne Flügel.
Antoine streckte die Hand aus, um den goldenen Drachen zu berühren, aber ich schlug hastig wieder das Tuch darüber. „Tut mir leid - Sie dürfen ihn anschauen, aber nicht berühren." Seine Nüstern blähten sich dramatisch, und ich sprach schnell weiter. „Noch nicht einmal die Typen an der Röntgenkontrolle durften ihn berühren. Wenn Sie mal einen Blick auf das Echtheitszertifikat werfen, dann sehen Sie auch, warum Sie es lieber lassen sollten."
Er sah auf das Zertifikat und stieß einen leisen Fluch aus, bevor er seinen Stempel auf meinen Pass und die Dokumente des Drachen drückte. „Alles in Ordnung. Sie können gehen."
Ich schloss den Koffer, sperrte ihn ab, steckte den Schlüssel wieder in den Beutel zurück und schenkte Antoine ein fröhliches Lächeln, während ich die Reisetasche mit meinen Kleidern wieder über die Schulter warf. „Danke."
„Einen Moment ...", sagte er und hob die Hand. Ich hielt den Atem an. Hoffentlich fiel ihm nicht noch etwas ein, das mich von meiner Verabredung mit Madame Deauxville abhielt. Bei meinem Glück bestand er jetzt sicher noch auf einer Leibesvisitation.
Ich versuchte unschuldig und freundlich dreinzuschauen und auf keinen Fall wie jemand, der etwas in einer Körperöffnung in ein Land schmuggelt.
Antoine blickte sich rasch um, dann trat er dichter an mich heran und fragte leise: „Sie sind Expertin für Dämonen, glauben aber nicht daran?"
Ich schüttelte den Kopf. An einer philosophischen Unterhaltung hatte ich jetzt absolut kein Interesse. „Ich bin keine wirkliche Expertin - ich habe nur ein paar mittelalterliche Texte studiert."
„Dämonen sind sehr böse."
Ich zuckte mit den Schultern und ging einen Schritt zur Seite. „Eigentlich nicht. In den Texten stand, dass sie an sich ziemlich dumm sind. Ich glaube, die Leute fürchten sich nur vor ihnen, weil sie nicht wissen, wie sie sie in Schach halten sollen."
Er beugte sich noch dichter zu mir. Der abgestandene Geruch von Zigarettenrauch streifte mich, und ich rümpfte die Nase. „Und Sie haben keine Angst vor ihnen?"
Ich schüttelte erneut den Kopf und wich noch einen Schritt weiter zurück.
Seine dunklen Augen leuchteten einen Moment lang tiefrot auf, wodurch er auf einmal viel unheimlicher wirkte als ein einfacher Zollbeamter. „Das sollten Sie aber", sagte er. Dann wandte er sich ab und winkte den Nächsten aus der Warteschlange an seinen Tisch.
„Puh, es gibt wohl überall auf der Welt komische Typen", murmelte ich vor mich hin, während ich mich durch die Menge zum Ausgang drängte. Meinen Koffer hielt ich dabei mit beiden Händen umklammert. Ich konnte es mir zwar leisten, meine Kleider und meine persönlichen Gegenstände zu verlieren, aber dieser Job war meine Chance - meine einzige Chance zu überleben, da das Unternehmen, für das ich gearbeitet hatte, pleitegegangen war. Wenn ich den Auftrag vermasselte, würde ich wieder arbeitslos sein. Da ich kein Arbeitslosengeld bekam und einen Strandheini am Bein hatte, musste ich arbeiten, damit mir auch noch was zum Leben übrig blieb, während ich Alan den Riesenbatzen Geld in den Rachen warf, den das Gericht für angemessen gehalten hatte.
Männer!
Es dauerte fünfzehn Minuten, bis ich die Schilder verstanden und herausgefunden hatte, wo sich die Taxis befanden. Beth, Onkel Damians Sekretärin, hatte behauptet, in Orly seien die Beschilderungen auch in englischer Sprache, aber sie hatte gelogen - sie waren nicht nur nicht auf Englisch, sondern was daraufstand, passte auch überhaupt nicht zu den praktischen kleinen Sätzen in dem Buch French for Francophobes, das ich mir gekauft hatte, um die nächsten anderthalb Tage zu überstehen.
„Äh ... bonjour", sagte ich zu einem gelangweilt aussehenden Taxifahrer, der an seinem Auto lehnte und sich in den Zähnen herumstocherte. „Parlez-vous anglais?"
„Non", erwiderte er, ohne den Zahnstocher herauszunehmen.
„Oh. Hm. Wissen Sie zufällig, ob einer der anderen Taxifahrer parlez anglais? Wissen vous, ob le Taxifahrer parlez anglais?"
Er warf mir einen Blick zu, der mir die Schamesröte ins Gesicht hätte treiben müssen, aber ich hatte keine Lust, mich zu schämen, weil ich nach Frankreich gefahren war, ohne ein einziges Wort Französisch zu sprechen, abgesehen von dem, was ich in meinem Reiseführer fand. Ich hatte einen Job zu erledigen - ich wollte ihn nur schnell hinter mich bringen.
„Hören Sie, ich tue mein Bestes, okay? Ich möchte in die Rue ... Oh, warten Sie mal - lassen Sie mich mal nachschauen ..." Mit einem Arm drückte ich den schwarzen Koffer an die Brust, während ich in meiner Tasche nach dem Reiseführer kramte. „Je veux aller à la Rue Sang des Innocents."
Der Taxifahrer hörte auf, in seinen Zähnen herumzustochern, und verzog das Gesicht. „Das ist das schlechteste Französisch, das ich je gehört habe, und ich habe schon viel schlechtes Französisch gehört."
„Sie sprechen ja doch Englisch", sagte ich empört und schlug den Reiseführer zu. „Ich kann nichts dafür, wenn ich etwas Falsches gesagt habe. So steht es im Buch."
„Es war nicht falsch, aber Ihr Akzent ..." Er schauderte, dann verbeugte er sich schwungvoll und öffnete die Wagentür. „Nun gut, ich werde Sie in die Rue Sang des Innocents bringen, aber es wird Sie einiges kosten."
„Wie viel?", fragte ich und nahm auf dem Rücksitz Platz. Meinen Koffer hielt ich fest umklammert.
Onkel Damian hatte mir zwar Euro mitgegeben, aber ich wusste, dass sie gerade reichten, um die Hotelrechnung für die Nacht, zwei Mahlzeiten und kleinere Ausgaben wie Taxifahrten zu bestreiten.
Der Taxifahrer warf meine Reisetasche auf die andere Seite des Rücksitzes und setzte sich ans Steuer. „Die Fahrt kostet Sie sechsunddreißig Euro, aber die Fahrt mit mir kostet Sie mehr."
„Was?"
Er lächelte mich im Rückspiegel an. „Bis wir in der Rue Sang des Innocents ankommen, können Sie drei Sätze auf Französisch sagen. Mit den drei Sätzen kommen Sie in Paris überall durch."
Ich war einverstanden, und da mir noch Zeit blieb bis zu meinem Termin mit Madame Deauxville, ließ ich ihn warten, während ich rasch in das Hotel ging, in dem Beth mir ein Zimmer reserviert hatte. Ich checkte ein, warf meine Tasche aufs Bett, fuhr mir in Windeseile mit dem Kamm durchs Haar, sodass ich weniger wie eine Verrückte und eher wie eine Kurierin aussah, und stürmte wieder nach unten, wo René und sein Taxi auf mich warteten.
Um fünf vor fünf hielt das Taxi vor einem sechsstöckigen, mattweißen Gebäude mit hohen Tür- und Fensterbögen, vor denen sich ziselierte schwarze Metallgitter befanden.
„Unglaublich!", hauchte ich und beugte mich aus dem Seitenfenster, um das Haus zu betrachten. „Was für ein tolles Gebäude. Es sieht so ... so französisch aus!"
René griff durch sein Fenster nach hinten und öffnete mir die Tür. Ich nahm meine Sachen, stieg aus und stand auf altem Kopfsteinpflaster. Mir stand immer noch der Mund offen, als ich zu dem Haus emporblickte.
„Hier stehen nur herrschaftliche Häuser. Es ist eine sehr vornehme Gegend. Die Île Saint-Louis ist nur sechs Häuserreihen lang und zwei breit. Und jetzt geben Sie mir genau sechsunddreißig Euro und sagen mir bitte noch einmal die Sätze, die ich Ihnen beigebracht habe."
Ich riss meinen Blick von dem Haus los und reichte René lächelnd seinen Lohn. „Wenn jemand mich ärgert, sage ich: Voulez- vous cesser de me cracher dessus pendant que vous parlez."
„Hören Sie auf, mich beim Reden anzuspucken", übersetzte René und nickte.
„Und wenn ich bei irgendetwas Hilfe brauche, sage ich: J'ai une grenouille dans mon bidet."
„Ich habe einen Frosch im Bidet. Ja, sehr gut. Und der letzte?"
„Den letzten Satz sollte ich mir für jeden Typen aufheben, der mich anmacht, wenn ich es nicht will: Tu as une tête à faire sauter les plaques des égouts."
„Du hast ein Gesicht, mit dem man Kanaldeckel sprengen könnte. Oui, très bon. Das müsste eigentlich reichen. Und für Ihr Treffen mit der wichtigen Dame: bonne chance!"
„Danke, René. Ich weiß die Lektion sehr zu schätzen. Man sollte schließlich jederzeit in der Lage sein, jemandem zu sagen, dass sich eine Amphibie im Bidet befindet."
„Einen Moment, ich habe noch etwas für Sie." Er kramte in einer kleinen braunen Tasche und zog eine zerknitterte Visitenkarte heraus, die er mir mit großartiger Geste, als handele es sich um ein wertvolles Objekt, überreichte. „Sie können mich als Fahrer mieten. Sie bezahlen mich, und ich fahre Sie durch Paris und zeige Ihnen alles, was Sie sehen müssen. Sie können mich jederzeit auf dem Handy erreichen."
„Danke. Ich werde leider keine Zeit zum Besichtigen haben, aber wenn ich jemals einen Fahrer brauchen sollte, rufe ich natürlich Sie an." Ich salutierte mit der Karte und steckte sie in meine Brieftasche.
Freundlich winkend fuhr er in einer schwarzen Auspuffgaswolke davon. Ich wandte mich wieder dem eindrucksvollen Gebäude zu und straffte die Schultern. Nachdem ich mich mit einem raschen Blick vergewissert hatte, dass mich niemand beobachtete, trat ich zur Tür, um auf den Klingelknopf zu drücken, unter dem „Deauxville" stand.
„Ich bin selbstbewusst", murmelte ich vor mich hin. „Ich bin ein Profi. Ich weiß genau, was ich tue. Ich habe überhaupt keine Angst, weil ich mich in einem fremden Land befinde, in dem ich mich lediglich über Frösche beschweren und Leute beleidigen kann. Ich bin ganz ruhig und konzentriert. Ich bin ... Da macht ja keiner auf."
Ich läutete erneut. Nichts passierte. Ein rascher Blick auf meine Armbanduhr bestätigte mir, dass ich zwei Minuten zu früh war. Aber Madame Deauxville war doch bestimmt zu Hause.
Ich läutete noch einmal, dieses Mal länger und nachdrücklicher. Ich legte auch das Ohr an die Tür, konnte aber nichts hören. Ein Blick auf die Fenster zeigte mir auch, warum - die Wände des Hauses waren mindestens einen Meter dick.
„Verdammt", fluchte ich und trat einen Schritt zurück, damit ich hinaufsehen konnte. Onkel Damian hatte mir gesagt, Madame Deauxville wohne im ersten Stock. Die roten und beigefarbenen Vorhänge, die durch das geöffnete Fenster sichtbar waren, bewegten sich überhaupt nicht. Nichts bewegte sich im ersten Stock ... und in den anderen Stockwerken auch nicht. Da es ein schöner Juninachmittag war, hatte ich eigentlich erwartet, dass die Leute jetzt nach Hause kommen, ihre Abendeinkäufe erledigen, durch die Straßen und an der Seine entlangschlendern würden und so weiter, aber hier war es völlig still.
Ich blickte die Straße hinunter, und so langsam richteten sich die Härchen in meinem Nacken auf. Die Straße war ebenfalls ganz still. Keine Menschen, keine Autos, keine Vögel ... nichts. Noch nicht einmal eine Blüte wippte in der leichten Brise, die vom Fluss her kam. Die Straße gegenüber war die Rue Saint- Louis en l'Île, eine belebte Straße mit Geschäften und Restaurants. René hatte zehn Minuten für zwei Straßen gebraucht, weil es von Autos und Menschen nur so gewimmelt hatte, aber hier klang der Lärm auf einmal seltsam gefiltert, als ob die gesamte Rue Sang des Innocents in Baumwolle gehüllt und mitten in der Stadt eine Oase der Stille entstanden wäre.
„Das hier unheimlich zu finden wäre noch untertrieben", sagte ich laut, um wenigstens meine Stimme zu hören. Ich packte meinen Koffer fester und läutete erneut bei Madame Deauxville. Ich bekam Gänsehaut, als ich feststellte, dass die Haustür gar nicht richtig verschlossen war.
„Anscheinend hat jemand heute früh das Haus hastig verlassen", sagte ich zu der Tür, um die Angstschauer zu vertreiben, die mir die stille Straße einjagte. „Und um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen, hat er die Tür nicht richtig zugemacht. Mehr nicht. Es ist doch nicht schlimm, wenn eine Tür nicht ganz zu ist. Und es ist auch nichts Unheimliches an einer Straße ... ach, Quatsch. Hallo?" Ich stieß die Tür auf und machte einen Schritt vorwärts in eine kleine Eingangshalle, die sich zu einem dunklen Gang verengte, von dem aus eine Treppe an brauner Holztäfelung entlang nach oben führte. „Ist hier jemand? Ich möchte zu Madame Deauxville. Halllooo?"
Fast erwartete ich das Echo meiner Stimme zu hören, aber seltsamerweise klangen meine Worte gedämpft, als ob die Wände sie verschluckten und mit dem gleichen merkwürdigen Effekt aufsaugten, der die Straße draußen so still wie ein Grab machte.
„Mir fällt mal wieder nichts anderes als ein Grab ein", grummelte ich vor mich hin, während ich sorgfältig die Tür hinter mir schloss und begann, die Treppe zum ersten Stock hinaufzusteigen. „Manchmal zahlt es sich absolut nicht aus, viel Fantasie zu haben."
Von dem schmalen Flur im ersten Stock gingen zwei Türen ab. Eine davon trug ein silbernes Schild mit dem Schriftzug „Deauxville", der so verschnörkelt und verziert war, dass er sehr edel wirkte. Die andere Tür war wahrscheinlich ein zweiter Eingang zu der Wohnung. Den Koffer fest an die Brust gedrückt, trat ich vor die Haupttür und hob die Hand, um zu klopfen. Gerade als meine Knöchel die polierte Eiche der Tür berühren wollten, überkam mich eine Welle von Furcht und Vorahnung, ein Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Empfindung war so stark, dass ich rückwärts an das Wandpaneel des Ganges zurückwich. Ich umklammerte den Koffer und rang nach Luft. Ein Gefühl der Angst und des Unbehagens hatte schon in dem Moment eingesetzt, als René davongefahren war, und sich in der Zwischenzeit noch verstärkt. Ich hatte Gänsehaut auf den Armen bekommen, und eine warnende Stimme in meinem Kopf hatte gerufen, ich solle sofort das Gebäude verlassen.
In der Wohnung war etwas Schreckliches geschehen. Etwas ... Unnatürliches.
„Jetzt stell dich nicht so an", stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und zwang mich, auf die Tür zuzugehen.
„Hier gibt es nur eine exzentrische Sammlerin, nichts Böses. Nichts, wovor du Angst haben müsstest. Du bist ein Profi. Du schaffst das."
Ich hatte die Tür noch nicht richtig berührt, da schwang sie schon auf.
Wie erstarrt stand ich auf der Schwelle, und es lief mir kalt den Rücken hinunter, als ich durch die kleine Diele in ein Zimmer blickte, das wahrscheinlich der Wohnraum war. Winzige Staubflocken tanzten träge in der Nachmittagssonne, die durch die hohen Bogenfenster drang und den dunkelroten Teppich zum Leuchten brachte. Ein Strauß frischer Blumen stand auf einem antiken Tisch zwischen zwei Fenstern. Ich konnte ihren köstlichen Duft sogar von der Tür aus riechen. Die Decken waren hoch, in gebrochenem Weiß, und die Wände so blau wie die Eier des Zaunkönigs, mit Stuck in den Ecken. An einer Wand stand ein auf Hochglanz polierter ehrwürdiger alter Schreibtisch mit einem dazu passenden rot gepolsterten Sessel, der zurückgeschoben war, als habe sich gerade jemand daraus erhoben.
Alles war wundervoll, schön und kostbar, genauso, wie man es in der Wohnung einer reichen Frau, die in einer exklusiven Gegend von Paris lebt, erwartete.
Alles, bis auf die Leiche. An einem Kronleuchter hing die Leiche einer Frau, aufgeknüpft an ihren auf dem Rücken gefesselten Händen. Der Körper schaukelte leicht hin und her, über einem schwarzen Kreis aus Asche, der auf dem hübschen dunkelroten Teppich gezogen worden war, ein Kreis mit zwölf Symbolen. Die tote Frau war Madame Deauxville, daran hegte ich nicht den geringsten Zweifel.
„J'ai une grenouille dans mon bidet", sagte ich, wobei ich mir glühend wünschte, dass Frösche mein größtes Problem wären.
2
Ich hoffe, ich bekomme ordentlich Bonuspunkte, weil ich nicht schreiend aus dem Haus gerast bin, als mein Blick auf die tote Frau fiel, deretwegen ich um die halbe Welt geflogen war. Wer auch immer für das Karma zuständig ist, belohnt mich hoffentlich dafür, dass ich nicht Fersengeld gegeben habe, solange ich noch die Möglichkeit dazu hatte, denn Madame Deauxvilles Wohnung zu betreten, obwohl ihre Leiche sanft in der warmen Nachmittagssonne hin und her schaukelte, hat mich so viel Kraft gekostet wie nichts sonst in meinem Leben.
Okay, ich gebe es zu, ich habe leise vor mich hingewimmert, und ich habe die Tür angelehnt gelassen, weil etwas in meinem Hinterkopf darauf bestand, einen Fluchtweg offen zu lassen, falls die Tote auf einmal wieder lebendig würde und mich packen wollte (in bester Horrorfilm-Manier), aber das Wimmern war nur leise, und als ich merkte, dass es aus meinem eigenen Mund kam, hörte ich sofort auf.
„Reiß dich zusammen", sagte ich streng zu mir. Der Klang meiner Stimme in der stillen Wohnung ließ mich zusammenzucken. „Wenn sie tatsächlich tot ist, kann sie dir nichts tun. Oh, Mist, wenn sie tot ist ... du liebes bisschen. Am besten, ich prüfe das mal nach."
Mir kam es so vor, als ob ich für die sieben Schritte, die nötig waren, um die kleine Diele zu durchqueren, Stunden brauchte. Ich trat um den Aschekreis herum, um ihn nicht zu zerstören und auch, um den Körper nicht anfassen zu müssen. Die Frau konnte doch nicht mehr am Leben sein, wenn sie so aufgeknüpft worden war, nicht wahr? Und es war doch auch sicher ein Zeichen für ihren Tod, dass sie sich so gar nicht bewegte. Ich brauchte bestimmt gar nicht nachzuprüfen, ob sie wirklich tot war.
„Quatsch", sagte ich und stellte meinen Koffer vorsichtig auf das wunderschön bestickte Polster eines kostbaren alten Stuhls. Bemüht, nur ja nichts zu berühren, trat ich näher, bis meine Zehen die äußere Kante des Aschekreises berührten. Ich holte tief Luft, ignorierte das schreckliche Gefühl, dass ich nicht tun sollte, was ich gerade tun wollte, und beugte mich vor, um an Madame Deauxvilles Hals den Puls zu fühlen.
„Non!"
Die Stimme hinter mir erschreckte mich so, dass ich das Gleichgewicht verlor und mit wild rudernden Armen auf die Leiche zusteuerte. Ich schrie und versuchte ihr auszuweichen, aber zum Glück hielt mich jemand fest, sodass ich nicht in den Kreis fiel.
„Ne la touchez pas!"
„Was?" Ich rieb mir die Gänsehaut, die meine Arme bedeckte, und blinzelte den Mann an, der vor mir stand. „Ich ... äh ... tut mir leid, non ich parlez Französisch."
„Amerikanerin?", fragte der Mann und blähte die Nüstern, als ob er etwas riechen würde.
„Ja", erwiderte ich. Ich blickte von ihm zu der Leiche, dann wieder zurück zu ihm, und plötzlich schoss mir durch den Kopf, dass ich allein in einer Wohnung mit einem Fremden und einer toten Frau war, was wahrscheinlich bedeutete, dass er ...
„Ich habe sie nicht umgebracht", sagte er hastig. Anscheinend konnte er Gedanken lesen. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit der Leiche zu.
Ich nutzte den Moment, um ihm einen prüfenden Blick zuzuwerfen. Ich bin ja nicht blöd - wenn ich mich in einem Zimmer mit einem Mordopfer befinde, dann steht ein großer, dunkelhaariger, äußerst gut aussehender, schwarz gekleideter Typ, der nach Gefahr riecht und wie aus dem Nichts plötzlich auftaucht, natürlich ganz oben auf meiner Liste der potenziellen Mörder.
Und das bedeutete, ich musste mit meinem Drachen verschwinden, bevor Mr Killer sich noch einen Mord gönnte.
Ich verzog gerade das Gesicht zu einer kleinen Grimasse, als sich der Mann wieder zu mir umdrehte. In seinen dunkelgrünen Augen blitzte es auf. „Fühlen Sie sich nicht wohl? Sie werden sich doch hier wohl nicht übergeben?"
„Das hatte ich heute Nachmittag eigentlich nicht vor, aber wenn Sie darauf bestehen, könnte ich es durchaus versuchen."
Er legte den Kopf schräg und musterte mich von oben bis unten. „Ich hatte noch nie viel übrig für amerikanischen Humor. Das sollte doch wohl ein Witz sein, oder?"
„Ja, genau." Oh, brillant, Aisling, einfach brillant. Du sitzt hier in einem Zimmer in einem fremden Land mit einem Mörder fest, und dir fällt nichts Besseres ein, als Witze zu reißen, anstatt lieber abzuhauen. Er trat einen Schritt zurück und versperrte mir dadurch den Ausgang. In mir stieg Panik auf, und mir wurde klar, dass ich den grünäugigen Mörder ablenken musste, damit ich fliehen konnte.
Seine Augen glitzerten dunkel, was mir noch zusätzlich Angst einjagte, gleichzeitig jedoch auch den Wunsch in mir auslöste, mich ihm an den Hals zu werfen. „Ah. Ja. Ein Witz. Das habe ich mir doch gedacht."
Ablenkung, Mädel. Lass dich nicht von seinen schönen Augen beeindrucken, schließlich gehören sie einem kaltblütigen Mörder. „Äh, ich wollte gerade nachprüfen, ob Madame Deauxville wirklich tot ist." Einen Moment lang schloss ich die Augen. Das klang ja fürchterlich. „Das heißt, ich wollte mich vergewissern, ob sie nicht noch lebt. Natürlich wollte ich nicht, dass sie tot ist, verstehen Sie. Ich wollte nur sicher sein, dass sie es nicht ist. Oh, Mist, das hört sich alles so falsch an."
„Sie wollten sich vergewissern, dass Sie nichts mehr für sie tun können", sagte der dunkelhaarige Mann neutral. Seine Stimme - sehr sexy, eine Mischung aus englischem Akzent und etwas, das in meinen Ohren irgendwie deutsch klang - war seltsam monoton. Sie klang so, wie ich es von jemandem erwarten würde, der mich für einen gestörten Killer hält.
„Obwohl das eigentlich ein Oxymoron ist. Ich meine, welcher Killer ist denn nicht gestört?"
Die grünen Augen betrachteten mich nachdenklich. „Ist das eine rhetorische Frage, oder möchten Sie die Denkweise von Mördern analysieren?"
Ich stöhnte. „Entschuldigung, das ist mir nur so herausgerutscht. Meinen Sie nicht auch, dass einer von uns ... Sie wissen schon, mal nachsehen sollte? Um herauszufinden, ob sie nicht nur schwer verletzt ist?"
Er warf einen Blick auf den Körper. Ich ebenfalls. „Sie glauben nicht, dass sie wirklich tot ist?"
Ich musste zugeben, dass er recht hatte. Die Frau war zu stumm, und die schwere Atmosphäre in der Wohnung (im Haus, auf der Straße, womöglich auf der ganzen Welt) war bedrückend. Ich wusste, ohne nachzudenken, dass sich nur zwei lebende Personen in der Wohnung befanden, und die Frau, die an dem Kronleuchter hing, gehörte nicht dazu.
Der Mann legte wieder den Kopf schief, dann drehte er sich abrupt um und schloss die Tür, die immer noch offen stand. Erneut überfiel mich Angst. Er würde mich töten! Panisch blickte ich mich nach einer Waffe um und schrie auf, als er mich am Arm packte.
„Was ist denn los mit Ihnen? Sie sehen so aus, als wollten Sie jeden Moment in Ohnmacht fallen."
„Ich? Nein, es ist alles in Ordnung. Mir geht es gut. Obwohl, wenn ich so darüber nachdenke, dann fällt mir ein, dass ich schreckliche Gedächtnisprobleme habe. Ich kann mich nie erinnern, wie Leute aussehen. Oder was sie zu mir gesagt haben, oder ... oder ... oder so. Also, es braucht sich niemand Sorgen zu machen, dass ich etwas gesehen oder gehört haben könnte, wegen dieses Gedächtnisproblems. Und es ist auch dauerhaft."
Er warf mir einen langen, nachdenklichen Blick zu, schnaubte kurz und ließ meinen Arm los. Dann ging er vor dem Aschekreis in die Hocke und betrachtete ihn eingehend. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich sie nicht getötet habe. Und ich werde auch Ihnen nichts tun. Sie brauchen keine Angst zu haben."
Verächtlich reckte ich das Kinn bei dem arroganten Tonfall in seiner wieder sexy klingenden Stimme. „Ach ja? Wer hat denn behauptet, dass ich Angst vor Ihnen habe?"
„Ich kann Ihre Angst riechen. Was halten Sie davon?"
Er wies auf den Aschekreis. Ich verschränkte die Arme über der Brust und versuchte an meinen Achselhöhlen zu schnüffeln, ohne dass es zu sehr auffiel. „Das ist ein Aschekreis mit den zwölf Symbolen Ashtaroths. Wie riecht Furcht denn eigentlich?"
Stirnrunzelnd musterte er den Kreis, berührte ihn aber nicht. „Erregend."
Ich blinzelte verwirrt. „Was?"
Er richtete sich auf und drehte sich zu mir, und wieder einmal wurde mir sehr bewusst, dass ich allein in einer Wohnung mit einer toten Frau und einem geheimnisvollen Mann war, der für meinen Seelenfrieden viel zu gut aussah. „Dann erwacht das Raubtier in mir."
Ich riss die Augen auf, als er sich zu mir beugte. Seine faszinierenden grünen Augen schienen mich förmlich einzusaugen. Er war ein Mann, und ich war eine Frau, und es gab gewisse fundamentale Unterschiede zwischen uns, die mein Körper nur zu gerne erforscht hätte, ungeachtet der Tatsache, dass er möglicherweise ein Mörder war. „Oh."
Er nickte. Seine dichten schwarzen Wimpern betonten noch das klare Grün seiner Augen. „Und weil ich so männlich reagiere, fühlen Sie sich auf weiblicher Ebene bedroht. Deshalb machen Sie auch Witze, die andere in solch einer Situation als unpassend empfinden würden."
„Wollen Sie etwa sagen, dass zwischen uns eine Art Anziehungskraft besteht?" Verschiedene Teile meines Körpers bettelten geradezu darum, aber ich forderte sie streng auf, sich zu benehmen und daran zu denken, dass der Mann, den sie begehrten, wahrscheinlich ein Krimineller war. „Wollen Sie etwa behaupten, ich hätte Angst vor Ihnen, weil Sie ein Mann sind und ich eine Frau bin, und nicht, weil wir uns hier in einem Raum mit einer Frau befinden, die offensichtlich ermordet worden ist?"
Seine Lippen zuckten. Er warf einen Blick auf Madame Deauxville. „Nein, das behaupte ich nicht. Ist dieser Kreis offen oder geschlossen?"
Ich sah ihn mir genau an. Er sah geschlossen aus. „Meiner Meinung nach ist er geschlossen. Hmm. Wer sind Sie?"
Sein Blick flackerte. „Das könnte ich Sie genauso gut fragen."
„Ja, das könnten Sie", sagte ich und sah zu, wie er einen großen Bogen um den Kreis machte. Auf der anderen Seite der Leiche blieb er stehen, vor einer Couch in Gold und Scharlachrot, die zu den beiden Stühlen im Zimmer passte. Stirnrunzelnd betrachtete er sie. „Aber ich habe als Erster gefragt. Sie müssen es mir nicht sagen, aber ich nehme an, dass die Polizei es wissen will, deshalb können Sie ja Ihr Alibi schon mal an mir üben."
Wieder warf er mir einen ungeduldigen Blick zu, dann griff er in die Brusttasche seiner schwarzen Lederjacke und zückte einen offiziell aussehenden Ausweis, den er mir hinhielt. „Drake Vireo. Interpol."
Einen Moment lang blieb mir der Mund offen stehen. „Interpol? So was wie der internationale Scotland Yard? Sie sind Detective?"
„So ungefähr." Er wollte seinen Ausweis wieder zuklappen.
„Warten Sie", sagte ich und trat vorsichtig um den Kreis und Madame Deauxville auf ihn zu. „Ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen. Das möchte ich mir gern etwas genauer ansehen."
Er schwenkte ihn in Richtung Couch, als ich neben ihn trat. „Wenn der Kreis noch geschlossen ist, wie ist der Dämon dann entkommen?"
Ich starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. „Was ist eigentlich hier in dem Land los? Seid ihr alle von Dämonen besessen, oder was? Was für ein Dämon? Von was reden Sie überhaupt?"
Erneut gab er ein Zeichen von Ungeduld von sich. Ich meinte zu sehen, wie er ganz leicht entnervt die Augen verdrehte. „Ich frage Sie doch bloß, was mit dem Dämon passiert ist, den derjenige, der diesen Kreis gezogen hat, gerufen hat. Wenn der Kreis nämlich geschlossen ist, wie Sie ja selber sagen, dann kann der Dämon nicht weg. Und trotzdem haben wir dort den Beweis dafür."
Ich blickte in die Richtung, in die er mit seinem Ausweis zeigte. Zwischen Couch und Wand war ein schwarzer Fleck auf dem Boden, als ob jemand dort Kohlenstaub verrieben hätte. Langsam schwirrte mir der Kopf. War ich nun völlig durchgedreht oder er? Da ich ihn erst seit Kurzem kannte, musste er es wohl sein. „Das meinen Sie ernst, nicht wahr? Sie glauben wirklich, dass ein Dämon etwas damit zu tun hat? Ich muss zwar zugeben, dass es so aussieht, als handle es sich um einen Ritualmord, aber das bedeutet doch nicht zwangsläufig, dass ein Dämon im Spiel ist."
Er zog eine schwarze Augenbraue hoch. „Ritualmord? Wie kommen Sie denn darauf?"
Ich wies auf die Leiche. Endlich zahlten sich all die Jahre aus, die ich auf mein kleines Hobby verwendet hatte. „Der Kreis des Ashtaroth unter ihren Füßen mit den zwölf Rufsymbolen, die Art und Weise, wie ihr Körper an den auf dem Rücken gefesselten Händen aufgeknüpft ist, und ich könnte wetten, dass ihr mit etwas Silbernem das Herz durchbohrt wurde. Mit anderen Worten, sie ist im Stil des ersten der Drei Dämonentode ermordet worden. Nur dass diese Frau keine Dämonin war. Was im Übrigen nicht weiter überraschend ist, da es Dämonen nur im Reich der Fantasie gibt."
Drake blickte mich amüsiert an. „Sie glauben nicht an Dämonen?"
„Nein, keineswegs. Dämonen gibt es nur in den Köpfen ziemlich verwirrter Menschen."
Wieder blähten sich seine Nasenflügel. Wenn ich nicht so überzeugt gewesen wäre, dass er völlig verrückt war, hätte ich mir eingestehen müssen, dass er selbst das toll machte. „Wollen Sie etwa behaupten, dass Sie trotz der eindeutigen Beweise nicht glauben, dass kürzlich ein Dämon in diese Wohnung gerufen worden ist?"
Ich wich vorsichtig einen Schritt zurück. Nur keine schnellen Bewegungen; man durfte gefährliche Wahnsinnige nicht erschrecken. „Okay, wissen Sie was? Ich trete jetzt dort an den Schreibtisch, wo das Telefon steht, und rufe die Polizei. Und während ich anrufe, können Sie Ihrer Arbeit als Detective nachgehen."
„Ich habe schon die Polizei gerufen. Sie müsste in etwa vier Minuten hier sein. Warum wollen Sie mir nicht erzählen, was aus dem Dämon geworden ist? Haben Sie etwas mit Aurora Deauxvilles Tod zu tun?"
Ich blieb vor dem Schreibtisch stehen und überlegte, ob ich es wohl bis zur Tür schaffen konnte, bevor er mich einholte.
Aber dann fiel mein Blick auf den Koffer, der auf dem Stuhl stand. Mist. Ohne das Aquamanile konnte ich nicht weg. „Nein, ich bin eben erst angekommen. Ich bin Kurierin und sollte hier ein Päckchen abliefern. Ich habe keine Ahnung von Dämonen und weiß auch nicht, wer ein Interesse an Madame Deauxvilles Tod haben könnte. Aber da wir gerade dabei sind, was machen Sie denn eigentlich hier? Sie sind ja wohl nicht aus beruflichen Gründen hier, denn sonst wäre die Mordkommission ja auch schon da. Also, wenn Sie sie nicht umgebracht haben, dann müssen Sie gesehen haben, wer es war. Sie sieht nämlich nicht so aus, als ob sie schon lange tot wäre."
„Sie sieht nicht so aus, als ob sie schon lange tot wäre?"
Ich zeigte auf Madame Deauxvilles Arme. „Die Totenstarre hat noch nicht eingesetzt, weil sonst der Winkel zwischen ihren Armen und dem Rücken kleiner wäre. Das bedeutet, sie ist entweder länger als zwölf Stunden tot, und die Totenstarre lässt langsam schon wieder nach, oder sie setzt gerade ein, was bedeutet, sie ist seit ... ach, vielleicht fünfzehn Minuten tot. Aber das brauche ich Ihnen ja nicht zu erzählen - Sie sind ja vom Fach."
„Ich bin auf verlorene Gegenstände spezialisiert, nicht auf Mord", erwiderte Drake. „Woher wissen Sie so gut über die verschiedenen Zerfallstadien Bescheid?"
„Aus dem Fernsehen. Es gibt da so eine Sendung über Gerichtsmedizin, von der ich keine Folge verpasse. Es ist wirklich interessant. Sie machen Autopsien und so weiter. Wissen Sie, was mit Knochen passiert, die den Elementen ausgesetzt sind?"
„Ja, sie werden braun."
„Das stimmt. Haben Sie nicht gesagt, Sie bearbeiten keine Mordfälle?"
Wieder blickte er sich im Zimmer um, als ob er etwas suchte. Er ignorierte meine letzte Frage völlig, was mir auch recht war, denn mir wäre lieber gewesen, wenn er die wichtigere Frage beantworten würde. „Ich bin höchstens fünf Minuten vor Ihnen hier eingetroffen. Es geht Sie nichts an, was ich mit ihr zu schaffen hatte. Als ich in die Wohnung kam, war sie schon tot."
„Dann müssen Sie gehört haben, wie ich geläutet habe."
„Ja."
„Aber Sie haben mich nicht hereingelassen!", sagte ich erbost.
Er legte den Kopf in den Nacken, als ob er Witterung aufnehmen wollte. „Hätten Sie das denn an meiner Stelle getan?"
„Vermutlich nicht. Und, warum waren Sie bei Madame Deauxville?"
Er schaute mich eindringlich an. „Ich finde die Frage viel wichtiger, warum Sie mich anlügen. Sie sind eine Hüterin, und doch leugnen Sie die Tatsachen. Sie streiten ab, dass ein Dämon hier gewesen ist. Ich spüre doch, dass die Luft von ihm verunreinigt wurde, und trotzdem leugnen Sie es." Er schüttelte den Kopf und trat langsam auf mich zu. „Ich begreife einfach nicht, warum eine Hüterin etwas so Augenscheinliches abstreitet. Das werden Sie mir erklären müssen."
Ich wich ein paar Schritte gegen den Schreibtisch zurück. „Sie irren sich. Ich bin Kurierin - das habe ich Ihnen doch bereits gesagt. Und ich habe keine Kinder, weder meine eigenen noch die von irgendjemand anderem, für die ich als Hüterin fungiere."
Er runzelte die Stirn. „Was?"
„Ich bin Kurierin. K-u-r-i-e-r-i-n. Jemand, der Objekte transportiert. Das ist mein Job oder war es zumindest. Ich weiß noch nicht, wie ich Onkel Damian beibringen soll, dass meine erste Lieferung so in die Hose gegangen ist, aber ich habe das dumpfe Gefühl, ich sollte in der nächsten Zeit nicht auf eine Gehaltserhöhung oder eine Beförderung hoffen."
Drake ging auf die andere Seite des Kreises und blickte mich verwirrt an. „Sie riechen, als ob Sie die Wahrheit sagen, aber auf der anderen Seite kennen Sie die Symbole von Ashtaroth. Sie wussten, dass der Kreis ungebrochen war, und das kann nicht einmal ich mit Gewissheit sagen. Außerdem kennen Sie sich mit den Ritualen zur Zerstörung eines Dämons aus. Solche Dinge weiß nur eine Hüterin. Was für ein Spiel spielen Sie?"
Ich hob die Hände, um meine Unschuld zu beteuern. „Warum erzählen Sie mir dauernd, wonach ich rieche? Ich habe heute früh geduscht! Und was das andere angeht - ich versuche nur, meinen Job zu machen."
„Und was sollen Sie abliefern?"
Ich zuckte mit den Schultern. Das brauchte ich ihm ja nun wirklich nicht auf die Nase zu binden, schließlich wusste ich ja immer noch nicht genau, ob er Madame Deauxville nicht doch ermordet hatte. Seine faszinierend gefährliche Ausstrahlung schien darauf hinzuweisen, ebenso wie das ganze Gerede über Dämonen und ihre Hüterinnen. Und dann schnüffelte er auch noch die ganze Zeit in der Luft herum ... „Es ist nur eine kleine Statue. Auch wenn Sie nicht von der Mordkommission sind, sollten Sie dann nicht trotzdem die Leiche untersuchen?"
„Ich verhöre eine Verdächtige", erwiderte er und trat auf mich zu. Der ruhige Teil meines Verstandes genoss es, ihm beim Gehen zuzusehen. Es war eher eine Art Gleiten, hinter dem Kraft steckte, die aber seine geschmeidigen Bewegungen nicht beeinträchtigte. „Was für eine Statue? Woraus besteht sie?"
„Aus Metall. Es ist eine Figur, nichts Besonderes, nichts Wichtiges", log ich.
Er hob wieder den Kopf, und ich hätte schwören können, dass er prüfend die Luft einsog. „Gold. Die Statue ist aus Gold."
Ich stürzte auf den Stuhl zu und kam knapp vor ihm dort an. „Wissen Sie was? Ich glaube, Sie müssen mir noch mal Ihren Ausweis zeigen. Sie machen das alles nicht richtig. Eigentlich müssten Sie mich nach meinem Namen fragen, wo ich wohne, ob ich Madame Deauxville kenne und so, und stattdessen quatschen Sie von Dämonen und warum jemand mit dem Kreis von Ashtaroth einen der Dämonenfürsten ruft und woraus die kleine, unbedeutende Statue besteht, die ich mitgebracht habe."
„Für jemanden, der angeblich keine Hüterin ist, scheinen Sie ziemlich viel Ahnung von Dämonen zu haben", sagte er in einem leise grollenden Tonfall, bei dem mir ein Schauer über den Rücken lief. Mit einer raschen Bewegung packte er mich am Arm und zog mich an seine Brust. Eine Hand drückte er auf meinen Rücken und mit der anderen zog er mir an den Haaren den Kopf zurück. „Nun gut. Dann spielen wir eben das Spiel, wie Sie es wünschen. Wie heißen Sie?"
„Aisling", erwiderte ich unwillkürlich. Dann jedoch wurde mir klar, dass mein Körper - dieser Verräter - es genoss, an ihn gedrückt zu sein, und mein gesunder Menschenverstand machte sich wieder bemerkbar. „He! Was soll das? Sie können mich doch nicht so anfassen! Lassen Sie mich los!"
„Sie wollten doch, dass ich Fragen stelle - ich komme bloß Ihrem Wunsch nach. Wo wohnen Sie?"
„Im Hôtel de la Femme Sans Tête. Lassen Sie mich los!"
„Noch nicht. Kannten Sie Madame Deauxville?"
„Nein, ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Kurierin bin. Lassen Sie mich endlich los, das ist keineswegs p. c."
„P. c.?"
„Politically correct. Lassen Sie mich los!"
Er kniff die Augen zusammen. „Eine Hüterin, die behauptet, keine Hüterin zu sein, und die trotzdem die notwendigen Schritte kennt, um einen Dämon zu rufen. Sie sind mir ein Rätsel, aber es lohnt sich wahrscheinlich, dieses Rätsel zu ergründen." Anstatt mich loszulassen, vergrub er seinen Kopf an meinem Hals und holte tief Luft.
„Was machen Sie da?", kreischte ich und versuchte mich aus seiner Umklammerung zu befreien.
„Ich präge mir Ihren Duft ein."
„Was?", schrie ich. Auf einmal wurde mir klar, dass nicht nur meine Stimme zu hören war, sondern auch immer näher kommende Polizeisirenen.
Drake hob den Kopf und warf mir einen Blick zu, bei dem mir die Knie weich wurden. An seinen schönen grünen Augen war irgendetwas anders als bei anderen. Die Pupillen waren eher länglich als rund, fast wie bei einer Katze, aber nicht ganz so ausgeprägt. Aber es lag auch nicht nur an seinen Augen, sondern daran, wie er mich anfasste, wie er sprach, wie er ... an mir roch. Irgendetwas an ihm war nicht ganz menschlich, und mein Herz schlug schneller. Ich verstand jetzt, was er mit meiner Angst vor ihm meinte - sie war tatsächlich sexuell gefärbt, aber darunter lag eine tiefere Emotion: die Angst davor, verzehrt zu werden, von einem Wesen zerstört zu werden, das stärker war als ich.
Mit einer sanften Berührung, die seinen bedrohlichen Tonfall Lügen strafte, schob er mir eine Haarsträhne hinters Ohr und sagte: „Die Polizei ist da, Aisling. Deshalb muss ich Ihnen Adieu sagen. Ich weiß zwar nicht, warum Sie die Wahrheit abstreiten, aber ich rate Ihnen, mit der französischen Polizei vorsichtiger umzugehen. Sie sind nicht besonders tolerant den Personen gegenüber, die sich mit dunklen Mächten eingelassen haben."
Seine Lippen streiften die meinen, aber die Berührung war vorbei, bevor ich die Sprache wiedergefunden hatte.
„He, was soll das? Sie können mich doch nicht einfach küssen! Und was meinen Sie mit vorsichtiger? Und mit dunklen Mächten? Wohin gehen Sie ...? Nein! Stopp! Der gehört mir!"
Ich sprang vor, aber es war zu spät. Drake hatte meinen Koffer ergriffen und war aus der Wohnung gerannt, bevor ich noch drei Schritte getan hatte.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Katie MacAlister
Katie MacAlister begann ihre Karriere als Autorin mit einem Sachbuch über Software. Da sie darin jedoch weder witzige Dialoge noch romantische Szenen unterbringen durfte, beschloss sie, von nun an nur noch Liebesromane zu schreiben. Seither sind zahlreiche Romane aus ihrer Feder erschienen, die regelmäßig die amerikanische Bestsellerliste stürmen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Katie MacAlister
- 1280 Seiten, Maße: 13 x 19,1 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 386365501X
- ISBN-13: 9783863655013
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