"Die Katzen von Moon Cottage" und "Neue Katzengeschichten von Moon Cottage", Doppelband
Die Katzen von Moon Cottage
Kater Septi ist der Chef von Moon Cottage. Trotz seiner Treue ist er stets unabhängig und geht am liebsten allein seiner Wege. Doch alles wird anders, als das winzige Kätzchen Otto in das...
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Die Katzen von Moon Cottage
Kater Septi ist der Chef von Moon Cottage. Trotz seiner Treue ist er stets unabhängig und geht am liebsten allein seiner Wege. Doch alles wird anders, als das winzige Kätzchen Otto in das gemütliche Landhaus einzieht. Otto bringt Septis Leben ganz schön durcheinander! Wird es dem Kätzchen gelingen, sich in seiner neuen Umgebung durchzusetzen - und schließlich auch das Herz von Septi zu gewinnen?
Neue Katzengeschichten von Moon Cottage
Pushkin, ein junger Kater mit graublauem Fell, ist so klein, dass er in der hohlen Hand sitzen kann. Trotz seines jungen Alters hat er es aber schon faustdick hinter den spitzen Öhrchen. Dies müssen die zwei Katzendamen Fannie und Titus zu ihrem Leidwesen feststellen, als der Winzling in Moon Cottage einzieht. Mit der Ruhe ist es nämlich erst einmal (m)aus und vorbei. Kein Wunder also, dass die älteren Katzendamen alles andere als begeistert von dem ungestümen Neuankömmling sind. Wird es dem kleinen Kater dennoch gelingen, die Herzen seiner fauchenden Mitbewohnerinnen zu erobern?
Ein wunderbares Buch, das sich auf leisen Pfoten in Ihr Herz schleicht
Lese-Probe zu „"Die Katzen von Moon Cottage" und "Neue Katzengeschichten von Moon Cottage", Doppelband “
Die Katzen von Moon Cottage & Neue Katzengeschichten von Moon Cottage von Marilyn Edwards Kapitel 2
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Bei der Rückkehr zu unserem Cottage in Hertfordshire an jenem Wochenende machen Michael und ich uns dann aber doch ernsthaft Gedanken darüber, was der betagte dort lebende Kater Septi davon halten wird, sein Reich künftig mit einem kleinen Kätzchen zu teilen. Ursprünglich hatten wir ja sogar erwogen, zwei Kätzchen zu adoptieren, aber dann war das eine doch bereits anderweitig vermittelt gewesen. Septi, der eigentlich »September« heißt und seinen Namen jenem Monat verdankt, in dem er angeschafft wurde, ist als ganz junges Tier zu Michael gekommen und zählt inzwischen stolze siebzehn Lenze. In all diesen Jahren hat er zahlreiche Umzüge mitgemacht und des Öfteren hinnehmen müssen, dass der geregelte Tagesablauf, auf den er solchen Wert legt, empfindlich gestört wurde. Er wurde unzählige Male ein- oder ausgesperrt, hat diese Versehen jedoch ebenso heil überstanden wie die ungezählten Prügeleien mit anderen Stubentigern und diverse Verkehrsunfälle, von denen zumindest einer für jede weniger zähe Katze das sichere Ende bedeutet hätte. Alles in allem hat er einfach sein Leben gelebt, mal verhätschelt, mal sträflich vernachlässigt. So hat Septi in reiferen Jahren eine Unabhängigkeit und Souveränität entwickelt, die Kipling sofort wiedererkannt hätte. Er wandelt wahrhaftig über »regennasse Dächer der Wildnis, mit zuckendem Schwanz und ganz allein mit seinem ungezähmten Selbst«. Kurz, Septi ist sein eigener Herr. Er kontrolliert sein Revier, das Haus, den Garten und die nähere Umgebung energisch und mit viel Liebe zum Detail, was unter anderem bedeutet, dass die Katzen der Nachbarschaft in seinem Dunstkreis nichts verloren haben. Septi hat es wahrlich verdient, standesgemäß vorgestellt zu werden. Er ist ein kastrierter Tigerkater der Gattung »Gemeine Hauskatze«. Er ist außergewöhnlich langgliederig, und die Streifen in seinem ungewöhnlich seidigen Fell sind schwarz wie Ebenholz. Dazu hat er eine schicke weiße Weste an und vier dazupassende weiße Socken. Septi trägt eine leicht hochmütige Miene zur Schau, und ich kenne keine zweite Katze, die in der Lage wäre, andere mit solcher Arroganz zu mustern. Bei einer lange zurückliegenden Balgerei hat er einen Riss im Ohr davongetragen; hinzu kommen leuchtend weiße Schnurrhaare und durchdringende große grünbraune Augen. Sein Gebiss ist nicht mehr ganz vollständig, und die übrig gebliebenen Zähne sind gelblich verfärbt, aber noch bereitet ihm das Fressen keinerlei Schwierigkeiten. Wirklich ungewöhnlich ist an Septi aber vor allem seine seltsam erstickt klingende Stimme. Miauen scheint für ihn ein Kraftakt zu sein, und die Laute, die er von sich gibt, klingen so jämmerlich, als schnürte ihm jemand mit beiden Händen die Luft ab. Nichtsdestotrotz ist er sehr wohl in der Lage, laut genug zu maunzen, um zwar nicht unbedingt Michael, aber immerhin mich zu wecken, wenn er wieder einmal ausgesperrt wurde und im Regen draußen vor dem Schlafzimmerfenster steht. Umso lauter ist das tiefe unwiderstehliche Schnurren, das er über einen wirklich erstaunlich langen Zeitraum hinweg von sich geben kann. Sein Schnurren ist tatsächlich etwas ganz Besonderes, so laut, dass es im ganzen Haus zu hören ist. Man spürt es im Inneren vibrieren. Es geht einem durch und durch wie eine Opernarie. Bei aller Überheblichkeit ist Septi ein liebevoller Stubentiger, der sämtlichen Familienmitgliedern nacheinander eindrucksvoll seine Zuneigung bekundet. Wenn er entsprechender Laune ist, widmet er sich den drei Jungen, vor allem John. Wem in der Familie er nun eigentlich gehört, konnte auch nach heftigen Diskussionen bislang nicht geklärt werden. John meint, er habe sich Septis erbarmt, als der noch ein kleines Kätzchen war. Seine Brüder Damian und Oliver wünschten sich beide einen Hund, und John war der Einzige, der Interesse an einer Katze als Haustier bekundet hatte. Damian seinerseits vertritt den Standpunkt, Septi sei als Familienkatze angeschafft worden und nicht als Haustier für einen Einzelnen. Zu dem Zeitpunkt, da die hier niedergeschriebene Geschichte beginnt, lebt John als einziger der drei Brüder noch bei uns. Die anderen beiden lassen sich sporadisch am Wochenende blicken, wobei Damian seit Längerem in Südafrika lebt; deshalb sind seine Besuche entsprechend selten geworden. Vor vier oder fünf Jahren war Septi allerdings einmal für sechs Monat bei Damian untergebracht, eine Zeit, in der sich zwischen den beiden eine von gegenseitigem Respekt und Liebe geprägte Beziehung entwickelt hat. Was gibt es über Septi sonst noch zu berichten? Seine grenzenlose Furcht vor Gewittern ist beinahe schon krankhaft. Ist er draußen, wenn sich ein Unwetter zusammenbraut, und ich bin nicht da, um ihn hereinzulassen, werde ich seinetwegen ganz nervös. Und was Feuerwerkskörper betrifft, ließe er sich, glaube ich, lieber lebendig begraben, als sich in deren Nähe zu wagen. Meines Wissens hat er nur eine körperliche Schwäche, und zwar einen kleinen Knubbel auf dem Rücken, der ihm möglicherweise wehtut, da er einem manchmal, wenn man zu fest darüber streichelt, in die Hand beißt, mehr abwehrend als böse, aber man erschrickt trotzdem unwillkürlich. Septi war immer ein leidenschaftlicher Jäger und in der Lage, allerlei Getier ebenso rasch wie effizient zu töten. Als ich in sein Leben trat, war seine aktive Jagdphase jedoch bereits weitgehend vorbei. In der Familie wird immer wieder gern erzählt, wie Michaels jüngster Sohn Oliver im Alter von etwa fünf Jahren ein Experiment mit einschneidendem Ergebnis startete. Eines Morgens früh, als alle anderen im Haus noch schliefen, wachte der kleine Junge auf und langweilte sich, sodass er auf die Idee kam, Septi seinen Hamster vorzustellen. Tatsächlich war Oliver stolzer Besitzer zweier Hamster, aber an besagtem Morgen beschränkte er die Formalitäten auf einen von ihnen. Zu seinem Entzücken spielten Kater und Hamster übermütig miteinander. Als John kurze Zeit später aufstand, war er tieftraurig, als er die sterblichen Überreste besagten Hamsters fand und Septis selbstzufriedenen Blick registrierte. Vielleicht waren hiernach die tödlichen Gefahren eines solchen Spiels zwischen Katze und Nager nicht deutlich genug gemacht worden, um Olivers Gefühle zu schonen. Wie dem auch sei, in der Tradition griechischer Tragödien wiederholte sich die grausame Szene gleich am nächsten Tag mit dem zweiten Hamster. Ein wahres Fest für Septi.
Kapitel 3
Juni Jetzt ist es also so weit. »Sagst du es ihm, oder soll ich?« Wir versuchen es gemeinsam. Ich fange mit dem Einschmeicheln an. »Septi, komm mal her. So ein lieber Kater. Schau mal, ich muss dir etwas sagen. Ich weiß, dass es dir anfangs ganz und gar nicht gefallen wird und du schrecklich stinkig werden wirst deswegen, aber ich verspreche dir, dass alles gut wird, ehrlich. Irgendwann. Vertrau mir.« Michael verfolgt meine Vorstellung mit einem ungläubigen Grinsen. Er beugt sich hinab, hebt Septi auf den Arm, drückt ihn fest an sich, und das Schnurren wird zunehmend lauter, als Michael nacheinander sämtliche Lieblingsstellen des alten Katers liebkost. Septi reibt die Wange an Michaels und wirft mir dann einen Blick von oben herab zu, mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, der unzweifelhaft besagt: »Ich bin hier die Nummer eins.« Die Lippen ganz dicht an Septis pelzigem Kopf, murmelt Michael so leise, dass er gerade noch zu verstehen ist: »Sie will ein grässliches kleines Kätzchen ins Haus holen, das deinen beschaulichen Alltag auf den Kopf stellt und alles zunichtemacht, woran du gewöhnt bist und was dir am Herzen liegt. Na, was hältst du davon, alter Junge? Wie gefällt dir das?« Ich ziehe unwillkürlich den Kopf ein. Wieder einmal frage ich mich verärgert, wenn auch nicht ganz frei von Gewissensbissen, wo diese Komplizenschaft unter Männern herrührt und warum sie sich mit jedweder Veränderung so schwer tun. Michael zwinkert mir zu, und ich schlage frustriert mit einem Küchenhandtuch nach ihm. Septi schnurrt ungerührt weiter. Ich höre mein jämmerliches Flehen: »Warum unterstützt du mich nicht, Michael? Wenn du nicht bereit bist, mir in dieser Sache zu helfen, kann ich Susan Hill auch gleich anrufen und das Ganze abblasen.« »Ich glaube nicht, dass Septi begriffen hat, was ich vorhin zu ihm gesagt habe«, entgegnet Michael mit einem Schulterzucken. »O doch, das hat er! Ich denke, dass er viel mehr versteht, als dir bewusst ist. Ich bin überzeugt davon, dass er zumindest den Sinn des Gesagten sehr wohl begreift.« »Das bezweifle ich, aber wie du willst. Hör zu, Septi. Es kommt ein neues Kätzchen zu uns, und du wirst dich da rüber freuen, klar? War das okay so, Marilyn? Entspricht das deinen Erwartungen?« Nachdem der Vorrat an Geschirrhandtüchern erschöpft ist, begebe ich mich stampfenden Schrittes nach oben und lasse mir ein Bad ein, um meine Stimmung zu heben. Als ich ins Wasser steige und zuschaue, wie der Pegel an den Wannenrändern aufsteigt, ertappe ich mich bei einem schiefen Grinsen, denn mir wird bewusst, dass ich in mehr als einer Hinsicht Verdrängung betreibe. 5. Juni Endlich bricht der Tag an, den ich so herbeigesehnt habe, und wir fahren zu einem Meeting nach Solihull. Wir haben diesen Tag deshalb zum Abholtag bestimmt, weil es von Solihull aus nicht mehr weit ist bis zum Geburtsort der Kätzchen, aber die Wartezeit hat sich ewig hingezogen. Am frühen Nachmittag ist das Meeting beendet, sodass wir uns endlich auf den Weg machen können, den heiß ersehnten Familienzuwachs abzuholen. Nach einer halbstündigen Fahrt haben wir das Dorf erreicht. Michael steuert den Wagen eine lange, gewundene Zufahrt hinunter, und wir kommen an Feldern und einem großen Teich vorbei. Schließlich erreichen wir nach endlosen Serpentinen einen Garten, wo wir auf das Herzlichste von Susan Hill empfangen werden, die uns in Begleitung einer schlanken rot-weißen Kurzhaar-Katze entgegenkommt. Nachdem wir unsere Gastgeberin begrüßt haben, beugen Michael und ich uns hinab, um der Katze mit der sportlichen Figur Hallo zu sagen. Die aber wendet sich geschäftig ab, um ohne einen Hauch von Verlegenheit in einem alten, mit Erde gefüllten Pferdetrog ihr Geschäft zu verrichten. Als sie fertig ist, werden wir miteinander bekannt gemacht. Das ist Tallulah, die Mutter der Kätzchen. Ich frage Susan nach dem Vater, worauf diese entgegnet, sie habe einen Hauskater aus einem nahe gelegenen Wohnblock im Verdacht. Susan führt uns in ein hübsches weitläufiges Natursteinhaus. In der geräumigen, lichtdurchfluteten Küche steht ein wunderschöner imposanter Holztisch. Und auf ebendiesem Tisch hockt SIE. Sie ist das entzückendste Kätzchen auf der ganzen Welt. Natürlich hätten Michael und ich uns sowieso in das Kätzchen verliebt, ganz gleich, wie es auch ausgesehen hätte, aber das Tier ist wirklich eine Schönheit. Unser Blick fällt auf ein kleines zusammengerolltes Fellknäuel, das bei unserem Eintreten aufschaut und uns ein winziges herzförmiges Gesicht zuwendet. Dieses wird beherrscht von zwei riesigen, durchdringenden bernsteinfarbenen Augen, die wiederum eingefasst sind von sanft geschwungenen Streifen, die ihr das geheimnisvolle, anmutige Aussehen einer Geisha verleihen. Gekrönt wird der winzige Kopf von zwei aufmerksam aufgerichteten, verhältnismäßig großen Ohren. Der Körper ist schwarz-grau gestromt mit weißen und rötlichen Flecken, eine Färbung, die man auch als »Schildpatt« bezeichnet. Etwas unsicher erhebt sie sich auf ungewöhnlich langen, schmalen Beinchen und wankt auf uns zu. Noch bevor sie uns erreicht hat, ist es um uns geschehen: Wir sind bis über beide Ohren verknallt. Es ist Liebe auf den ersten Blick, und so frage ich bangen Herzens nach, ob es sich auch wirklich um das uns zugedachte Kätzchen handelt. Susan beruhigt uns lächelnd. Es ist tatsächlich das übrig gebliebene Katzenkind; das andere hat im Dorf ein neues Zuhause gefunden. Susan teilt uns mit, dass das Kätzchen bereits einen Namen hat (es war ja so lange bei ihr und konnte schlecht namenlos bleiben). Susan blickt mich an und verkündet, ohne mit der Wimper zu zucken: »Ihr Name ist Ottoline.« »Sie meinen, wie Ottoline Morrell, die Aristokratin und Kunstmäzenin?«, frage ich verblüfft. Lachend nickt sie. Ich wage es gar nicht, Michael anzusehen, aber während ich den Kopf gesenkt halte, sehe ich vor meinem inneren Auge Lady Ottolines spitzes, von Entschlossenheit kündendes Kinn vor mir und muss an ihren legendären Tod durch Kieferkrebs denken, den ich immer als Ironie des Schicksals empfunden habe. Sofort gehen mir allerlei andere mehr oder weniger zusammenhanglose Gedanken durch den Kopf, solche wie die an ihre Vorliebe für die künstlerischen Lichtgestalten ihrer Zeit, ihre leidenschaftliche Beziehung und nicht minder leidenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Gelehrten Bertrand Russell und dem Maler Augustus John sowie jene endlosen Soireen. Sie hat einst im und am Bedford Square gelebt, wo ich selbst nicht nur einen Teil meiner Seele, sondern auch ein Stück meines Herzens zurückgelassen habe, nachdem ich selbst zufällig viele Jahre an diesem selben Ort gearbeitet und gespielt hatte. Wenngleich es einerseits unpassend scheint, ein so winziges Fellknäuel auf einen so hochfahrenden Namen zu taufen, kommt es mir andererseits irgendwie richtig vor. Im Übrigen war es ja ohnehin bereits ein Fait accompli. »In Ordnung. Also Ottoline«, murmle ich zustimmend.
Kapitel 4
Nachdem wir unseren kostbaren, neun Wochen alten Familienzuwachs in einer Transportkiste untergebracht haben, die wir aus Sicherheitsgründen auf dem Rücksitz festklemmen, folgen wir erneut der endlosen Auffahrt, diesmal in Richtung Heimat. Als wir Susan durch das Wagenfenster noch einen letzten Gruß zurufen, versprechen wir, uns regelmäßig bei ihr zu melden und sie über Ottolines Entwicklung auf dem Laufenden zu halten. Anfangs ist vom Rücksitz nur ein leises Maunzen zu hören, das sich jedoch, als wir die Klagen stur ignorieren, nach und nach zu einem wahren Crescendo steigert. Schwer zu glauben, dass ein so winziges Tierchen überhaupt in der Lage ist, so ohrenbetäubende Klagelaute von sich zu geben wie unsere Lady Ottoline. Es ist herzzerreißend. Ich komme mir richtig mies vor und muss ständig daran denken, dass ihre Mutter vermutlich den gleichen Trennungsschmerz durchlebt. Der Ausdruck auf Tallulahs Gesicht, als wir Ottoline in die Transportkiste gesetzt haben, ist mir nicht entgangen. Dann ist es ganz plötzlich still. Kurz darauf sind wir auf der Autobahn, und die Stille hält an. Nach einer ebenso langen wie ereignislosen Fahrt sind wir wieder daheim und tragen die Kiste mitsamt ihrem federleich- ten Inhalt ins Haus. Durch die Haustür unseres alten Hauses gelangt man gleich in das niedrige Wohnzimmer, wo wir die meiste Zeit verbringen und wo Septi bislang unangefochten als Alleinherrscher galt. Als wir den Raum mit der Transportkiste betreten, blickt Septi, der eben auf seinem Lieblingssessel ein Nickerchen hält, uns argwöhnisch entgegen. Vielleicht überlegt er ja, ob ein Besuch bei seinem ärgsten Feind, dem Tierarzt, ansteht. Weshalb sollten wir sonst die Transportkiste hereinschleppen? In exakt diesem Augenblick dringt aus besagter Kiste ein leises, aber unüberhörbares »Miau«. Septi sieht aus, als hätte man ihm einen elektrischen Schlag versetzt. Zusätzlich zu dem akustischen Reiz steigt ihm nun auch der Geruch der fremden Katze in die Nase. Ich kann nicht sagen, wann ich das letzte Mal einen derart empörten Gesichtsausdruck gesehen hätte. Er sieht wütend aus. Seine Schnauze hat jenes kleine gouvernantenhafte »O« geformt, das Katzen so perfekt beherrschen. Zudem hat er die Schnurrhaare aufgestellt, und die »Sorgenfalten« auf der getigerten Stirn ziehen sich noch stärker zusammen. Er ist stinksauer und macht keinen Hehl daraus. Wir fürchten uns beide davor, das Kätzchen herauszulassen, aber nach der langen, anstrengenden Fahrt in der Kiste muss Ottoline sich dringend die Beine vertreten. Frei nach dem Motto »Wer A sagt, muss auch B sagen«, beschließen wir, sie aus ihrem Gefängnis zu lassen und abzuwarten, was passiert. Mit zittrigen Fingern öffnen wir die Tür der Transportkiste, und ein kleines verängstigtes Kätzchen stolpert heraus. Septi gibt ein tiefes, zorniges Knurren von sich, funkelt den Eindringling vernichtend an, macht dann auf dem Absatz kehrt und läuft hinaus. Michael folgt ihm und findet ihn an der Hintertür, wo er darauf wartet, hinausgelassen zu werden. Septis Fluchtbedürfnis ist so eklatant, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als ihm nachzugeben. Außerdem sind wir schockiert von seinem Knurren. (Katzen knurren nur selten, und wenn sie es tun, handelt es sich immer um eine ernst zu nehmende Drohung.) Derweil ist der arglose Auslöser der ganzen Aufregung bereits damit beschäftigt, seine Umgebung zu erkunden. Anfangs noch zögerlich, scheint die junge Dame mit jeder Sekunde an Selbstbewusstsein zu gewinnen, und das kleine Raubtier, das vor so kurzer Zeit erst brutal seiner Mutter und seinem Zuhause entrissen wurde, macht sich nun überraschend schnell und immer mutiger mit seiner neuen Umgebung vertraut. Wir geben ihr etwas Aufzuchtmilch (Susan meinte, die käme in ihrer Zusammensetzung Katzen-Muttermilch noch am nächsten). Ottoline trinkt sie auch, und schon kurz darauf probiert sie einen Happen Dosenfutter. Wir zeigen ihr das Katzenklo und warten: Sie benutzt es bereits eine halbe Stunde nach ihrer Ankunft im neuen Heim. Ottoline hat ihr neues Zuhause in Besitz genommen. Bleibt das Problem mit Septi und seinem Befinden. Vor zwei Wochen war ich mit ihm wegen einer Kleinigkeit beim Tierarzt und habe ihn bei der Gelegenheit gleich einem Gesundheitscheck unterziehen lassen, den er ohne Beanstandungen überstanden hat. Als ich den Tierarzt, einen Mann in den Sechzigern, kurz vor der Pensionierung und somit mit jahrzehntelanger Berufserfahrung, fragte, wie Septi seiner Meinung nach auf Katzenzuwachs in der Familie reagieren würde, hatte er mit nachdenklichem Gesicht entgegnet: »Ihnen muss klar sein, dass der Kater nicht mehr der Jüngste ist. Und was Sie da vorhaben, stellt einen dramatischen Eingriff in seine Alltagsroutine dar. Er wird den Neuankömmling entweder akzeptieren, oder aber er sucht sich ein neues Zuhause. Das kann man nie wissen, beides ist denkbar. « Darauf hatte er lachend gemeint: »Also, wenn ich er wäre, ich würde meine Koffer packen.« Ich für meinen Teil fand dies nicht halb so lustig wie er, stimmte aber dennoch halbherzig in sein Gelächter ein. Aber auch wenn seine Worte mich beunruhigt hatten, kam ich zu dem Schluss, dass Septi sein Zuhause zu sehr schätzte, um einfach abzuhauen. Als ich jetzt wieder daran zurückdenke, mache ich mir doch zunehmend Sorgen. Schließlich gelingt es mir mit viel Überredungskunst, Septi ins Haus zurückzulocken. Mit, wie mir scheint, optimistischer Zurückhaltung tritt er ein, vielleicht in der Hoffnung, das Kätzchen sei ebenso rasch wieder verschwunden, wie es in seinem Reich aufgetaucht ist. Zögerlich durchquert er die Küche in Richtung Wohnzimmer. Der Anblick, der sich ihm dort bietet, grenzt an Majestätsbeleidigung. Das kleine Kätzchen, das die Punkte Fressen, Trinken und Katzenklo bereits abgehakt hat, kuschelt sich ganz selbstverständlich an Michaels Schulter, als gehörte es dorthin. Der alte Kater gibt einen tiefen, lang gezogenen kehligen Laut von sich, der gleichzeitig so verzweifelt und urzeitlich klingt, dass ich davon ebenso beunruhigt bin wie belustigt. Unsere größte Sorge erweist sich als unbegründet, da Septi keine Anstalten macht, den Eindringling anzugreifen, auch wenn ihm die ganze Situation unübersehbar gegen den Strich geht. Steif und voller Unbehagen liegt er am Rand des Sofas und wirft immer mal wieder einen Blick auf Ottoline, während er die übrige Zeit mit säuerlicher Miene stur auf den Boden starrt. Plötzlich regt sich das Katzenkind an Michaels Schulter, streckt die langen schlanken Glieder mit der Anmut einer ausgewachsenen Katze und springt zu Boden. Ottoline durchquert den Raum, bis sie exakt unterhalb des Kissens steht, auf dem Septi ruht. Dann imitiert sie seine Haltung und blickt schüchtern zu ihm auf. Anfangs ignoriert er sie einfach, schließlich starrt er sie unverwandt an. Sie erwidert den Blick sanftmütig und ganz auf ihn konzentriert. Und so beginnt sie, den alten Septi zu bezirzen. Der begehrt jedoch kurz nach dieser ersten Annäherung, hinausgelassen zu werden, und verbringt den Rest des Abends damit, mit zuckendem Schwanz durch sein ureigenstes Revier zu streifen. Es gelingt uns erst, ihn dazu zu bewegen, das Haus wieder zu betreten, als wir zu einer List greifen und Otto line vorübergehend oben unterbringen, wo Septi sich nur äußerst selten blicken lässt. So kann er sich eine Weile der Illusion hingeben, er sei wieder alleiniger Herrscher über sein Reich. Derweil Septi noch verstimmt unterwegs ist, lässt Ottoline im Haus ihren ganzen Charme spielen und schlägt uns ganz in ihren Bann. Sie springt vom Sessel auf den Schreibtisch und von dort auf das Sofa, balanciert mühelos an dessen Rückenlehne entlang, als hätte sie ihr ganzes Leben nichts anderes gemacht, und gelangt mit einem geschmeidigen Satz auf den Kaminsims. Von dort geht es weiter zu einem zweiten Sessel und auf das hochgelegene Fensterbrett. Ganze fünfzehn Sekunden thront sie auf diesem neu entdeckten Aussichtsposten, ehe sie über den Sessel, der Ausgangspunkt ihrer Erkundungstour war, wieder auf den Boden gelangt. Nun rollt sie sich träge auf den Rücken, wobei sie uns ihren schneeweißen Bauch präsentiert, knickt die Vorderpfoten ein und legt kokett den Kopf schräg, um aus dem einen sichtbaren Auge zu beobachten, welche Wirkung ihr Programm auf uns aufmerksame Beobachter hat. Während Michael und ich sie noch bewundernd anschauen, steht sie abrupt wieder auf und springt erst mir und dann Michael auf den Schoß, reibt das Köpfchen an unseren Gesichtern und wickelt sich im Anschluss wie ein lebendiger Pelzkragen zur Hälfte um unseren Hals, eine Position, die ihr besonders zu behagen scheint. Sie verteilt ihre Zuneigungsbekundungen sehr gerecht, wobei diese niemals länger dauern als drei Minuten am Stück. John ist noch im Urlaub, und offen gestanden bin ich in meiner egoistischen Verliebtheit dankbar, dass ich Ottoline am ersten Abend nur mit Michael teilen muss, wenn ich auch gespannt darauf bin, was für Augen John machen wird, wenn er sie bei seiner Rückkehr kennenlernt. Inzwischen sind wir uns einig, dass wir sie Otto rufen wollen. Und von Stund an wird sie auch zu einer Otto. Otto die Schöne. Otto die Tapfere. Otto die Neugierige. Nachdem wir Septi mit viel Mühe überredet haben, zurück ins Haus zu kommen, müssen wir feststellen, dass Otto, wie wohl nicht anders zu erwarten war, ihr Versteck verlassen hat und uns zurück nach unten gefolgt ist, wo sie unermüdliche die Inspektion ihres neuen Heims fortsetzt. Bei ihrem Anblick stakst Septi steif ins Esszimmer, die Schnauze zu jenem berühmtem »O« verzogen. Widerwillig reißen wir uns los von den Freuden der Kätzchen- Anbetung und bereiten uns darauf vor, uns für die Nacht ins Schlafzimmer zurückzuziehen. Bevor wir gehen, reden wir noch begütigend auf den alten Kater ein und streicheln ihn liebevoll und von Gewissensbissen geplagt. Während wir uns abwenden, sehen wir, wie er unsicher ins Wohnzimmer zurückkehrt, immer noch diesen geradezu angewiderten Ausdruck auf dem Gesicht. Als er eine katzenbabyfreie Zone gefunden hat, rollt er sich auf der Couch zusammen, gibt einen tiefen Seufzer von sich und vergräbt die Nase unter seiner Pfote. Als wir schließlich oben sind, wohin wir auch Otto geschmuggelt haben, ist unser Kätzchen todmüde. Vorsichtig legen wir Otto zwischen uns ins Bett, wo sie auch sofort tief und fest einschläft. Und dieserart ruht nun die Familie in jener ersten Nacht mit Otto in ihrem neuen Zuhause.
Kapitel 5 Am darauffolgenden Tag treffen Andrew und Jane aus Neuseeland ein, innig geliebte Stiefkinder aus meiner zweiten Familie. Die beiden sind zu Besuch in England und werden das Wochenende bei uns verbringen. Sie haben schon oft ihr Heim mit Katzen geteilt, und als offensichtlich ist, dass Andrew sein Herz an Otto verliert, warnt Jane uns lachend, dass ein frisch geschlüpftes Kätzchen jeder ausgewachsenen älteren Katze mühelos den Rang abläuft. Ich erkenne, wie recht sie damit hat, und gelobe im Stillen, in Zukunft mehr darauf zu achten, dass Septi sich durch die Anwesenheit des pelzigen Usurpators in unserer Mitte nicht abgeschoben fühlt. John kehrt ebenfalls an diesem Wochenende aus dem Urlaub zurück und ist vom ersten Augenblick an schier überwältigt von Otto. Ich selbst beobachte sein wachsendes Entzücken mit geradezu mütterlichem Stolz, wobei mir erneut schmerzlich bewusst wird, dass wir Septi und seine Bedürfnisse nicht vernachlässigen dürfen. Am Montag beginnt für alle wieder der Ernst des Lebens: Michael, John und ich gehen zur Arbeit und überlassen es Septi und Otto, sich nach eigener Fasson miteinander zu arrangieren. Wir haben keine Katzenklappe in der Tür und Septi bislang immer auf seinen Wunsch hin hinausgelassen. Otto ihrerseits ist noch nicht gegen Katzenschnupfen und Katzenleukämie geimpft, sodass sie noch nicht rausdarf, während es Septi häufiger als früher ins Freie zieht. So kommt es vor, dass er, wenn wir um zehn vor sieben zur Arbeit fahren, noch draußen ist und sich auch nicht überreden lässt, ins Haus zurückzukehren. Wir nehmen es philosophisch. Es ist Sommer und warm, und es gibt einen Schuppen und ein Gewächshaus, wo er im Bedarfsfall Schutz suchen kann vor Sonne oder Regen. Von: Marilyn An: Susan Hill Betreff: Ottoline und Diverses Liebe Susan, das Gespräch mit dir heute Morgen hat mir richtig gutgetan. Richte Clemency doch bitte aus, dass Ottoline glücklich und zufrieden ist und darüber hinaus außerordentlich munter. Außerdem wird sie von allen heiß geliebt und bestens versorgt. Gestern Nachmittag bin ich von der Arbeit früher heimgefahren, weil ich mit ihr zum Impfen musste. Sie war schrecklich tapfer, und bislang sind auch keine Nebenwirkungen aufgetreten!! Ich war erleichtert, dass du meinst, Septi würde sich früher oder später an unseren Neuzugang gewöhnen - der Tierarzt ist diesbezüglich ebenfalls optimistisch. Nur um ihre leidende Mama tut es mir leid. Ich hoffe, dass sie ihre Trauer bald überwunden haben wird. Wenn ihr doch nur jemand begreiflich machen könnte, dass es ihrem Kind gut geht! Euch allen noch einmal herzlichen Dank für diesen Quell unendlicher Freude in unser aller Leben - wir sind alle ganz vernarrt in sie. Diese Mail schrieb ich nach einem Anruf von Susan, die mir erzählt hatte, dass Ottos Mutter entgegen ihren Erwartungen viele Stunden lang verzweifelt nach dem letzten Baby gesucht hatte, nachdem Michael und ich es entführt hatten. Clemency, Susans noch daheim lebende Tochter, hatte viel Zeit darauf verwendet, sie über ihren Kummer hinwegzutrösten. Ich fühle mich ganz elend, obwohl mir Folgendes klar ist: Wenn wir Otto ihrer Mama nicht weggenommen hätten, hätte es irgendjemand anders getan. Bevor Michael und ich zusammengezogen sind, habe ich viele Jahre in den Dales in Yorkshire gelebt. Dort habe ich neben meinem regulären Job unzählige Stunden aus Spaß an der Freud auf den Höfen meiner geduldigen bäuerlichen Nachbarn Landwirt gespielt. Ich hielt mir eine eigene Hühnerschar, half bei der Heuernte und beim Melken, gelegentlich beim Kalben und beim Schafescheren und war, wann immer möglich, bei der Geburt der Lämmer dabei.
Übersetzung: Cécile G. Lecaux
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2009 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Bei der Rückkehr zu unserem Cottage in Hertfordshire an jenem Wochenende machen Michael und ich uns dann aber doch ernsthaft Gedanken darüber, was der betagte dort lebende Kater Septi davon halten wird, sein Reich künftig mit einem kleinen Kätzchen zu teilen. Ursprünglich hatten wir ja sogar erwogen, zwei Kätzchen zu adoptieren, aber dann war das eine doch bereits anderweitig vermittelt gewesen. Septi, der eigentlich »September« heißt und seinen Namen jenem Monat verdankt, in dem er angeschafft wurde, ist als ganz junges Tier zu Michael gekommen und zählt inzwischen stolze siebzehn Lenze. In all diesen Jahren hat er zahlreiche Umzüge mitgemacht und des Öfteren hinnehmen müssen, dass der geregelte Tagesablauf, auf den er solchen Wert legt, empfindlich gestört wurde. Er wurde unzählige Male ein- oder ausgesperrt, hat diese Versehen jedoch ebenso heil überstanden wie die ungezählten Prügeleien mit anderen Stubentigern und diverse Verkehrsunfälle, von denen zumindest einer für jede weniger zähe Katze das sichere Ende bedeutet hätte. Alles in allem hat er einfach sein Leben gelebt, mal verhätschelt, mal sträflich vernachlässigt. So hat Septi in reiferen Jahren eine Unabhängigkeit und Souveränität entwickelt, die Kipling sofort wiedererkannt hätte. Er wandelt wahrhaftig über »regennasse Dächer der Wildnis, mit zuckendem Schwanz und ganz allein mit seinem ungezähmten Selbst«. Kurz, Septi ist sein eigener Herr. Er kontrolliert sein Revier, das Haus, den Garten und die nähere Umgebung energisch und mit viel Liebe zum Detail, was unter anderem bedeutet, dass die Katzen der Nachbarschaft in seinem Dunstkreis nichts verloren haben. Septi hat es wahrlich verdient, standesgemäß vorgestellt zu werden. Er ist ein kastrierter Tigerkater der Gattung »Gemeine Hauskatze«. Er ist außergewöhnlich langgliederig, und die Streifen in seinem ungewöhnlich seidigen Fell sind schwarz wie Ebenholz. Dazu hat er eine schicke weiße Weste an und vier dazupassende weiße Socken. Septi trägt eine leicht hochmütige Miene zur Schau, und ich kenne keine zweite Katze, die in der Lage wäre, andere mit solcher Arroganz zu mustern. Bei einer lange zurückliegenden Balgerei hat er einen Riss im Ohr davongetragen; hinzu kommen leuchtend weiße Schnurrhaare und durchdringende große grünbraune Augen. Sein Gebiss ist nicht mehr ganz vollständig, und die übrig gebliebenen Zähne sind gelblich verfärbt, aber noch bereitet ihm das Fressen keinerlei Schwierigkeiten. Wirklich ungewöhnlich ist an Septi aber vor allem seine seltsam erstickt klingende Stimme. Miauen scheint für ihn ein Kraftakt zu sein, und die Laute, die er von sich gibt, klingen so jämmerlich, als schnürte ihm jemand mit beiden Händen die Luft ab. Nichtsdestotrotz ist er sehr wohl in der Lage, laut genug zu maunzen, um zwar nicht unbedingt Michael, aber immerhin mich zu wecken, wenn er wieder einmal ausgesperrt wurde und im Regen draußen vor dem Schlafzimmerfenster steht. Umso lauter ist das tiefe unwiderstehliche Schnurren, das er über einen wirklich erstaunlich langen Zeitraum hinweg von sich geben kann. Sein Schnurren ist tatsächlich etwas ganz Besonderes, so laut, dass es im ganzen Haus zu hören ist. Man spürt es im Inneren vibrieren. Es geht einem durch und durch wie eine Opernarie. Bei aller Überheblichkeit ist Septi ein liebevoller Stubentiger, der sämtlichen Familienmitgliedern nacheinander eindrucksvoll seine Zuneigung bekundet. Wenn er entsprechender Laune ist, widmet er sich den drei Jungen, vor allem John. Wem in der Familie er nun eigentlich gehört, konnte auch nach heftigen Diskussionen bislang nicht geklärt werden. John meint, er habe sich Septis erbarmt, als der noch ein kleines Kätzchen war. Seine Brüder Damian und Oliver wünschten sich beide einen Hund, und John war der Einzige, der Interesse an einer Katze als Haustier bekundet hatte. Damian seinerseits vertritt den Standpunkt, Septi sei als Familienkatze angeschafft worden und nicht als Haustier für einen Einzelnen. Zu dem Zeitpunkt, da die hier niedergeschriebene Geschichte beginnt, lebt John als einziger der drei Brüder noch bei uns. Die anderen beiden lassen sich sporadisch am Wochenende blicken, wobei Damian seit Längerem in Südafrika lebt; deshalb sind seine Besuche entsprechend selten geworden. Vor vier oder fünf Jahren war Septi allerdings einmal für sechs Monat bei Damian untergebracht, eine Zeit, in der sich zwischen den beiden eine von gegenseitigem Respekt und Liebe geprägte Beziehung entwickelt hat. Was gibt es über Septi sonst noch zu berichten? Seine grenzenlose Furcht vor Gewittern ist beinahe schon krankhaft. Ist er draußen, wenn sich ein Unwetter zusammenbraut, und ich bin nicht da, um ihn hereinzulassen, werde ich seinetwegen ganz nervös. Und was Feuerwerkskörper betrifft, ließe er sich, glaube ich, lieber lebendig begraben, als sich in deren Nähe zu wagen. Meines Wissens hat er nur eine körperliche Schwäche, und zwar einen kleinen Knubbel auf dem Rücken, der ihm möglicherweise wehtut, da er einem manchmal, wenn man zu fest darüber streichelt, in die Hand beißt, mehr abwehrend als böse, aber man erschrickt trotzdem unwillkürlich. Septi war immer ein leidenschaftlicher Jäger und in der Lage, allerlei Getier ebenso rasch wie effizient zu töten. Als ich in sein Leben trat, war seine aktive Jagdphase jedoch bereits weitgehend vorbei. In der Familie wird immer wieder gern erzählt, wie Michaels jüngster Sohn Oliver im Alter von etwa fünf Jahren ein Experiment mit einschneidendem Ergebnis startete. Eines Morgens früh, als alle anderen im Haus noch schliefen, wachte der kleine Junge auf und langweilte sich, sodass er auf die Idee kam, Septi seinen Hamster vorzustellen. Tatsächlich war Oliver stolzer Besitzer zweier Hamster, aber an besagtem Morgen beschränkte er die Formalitäten auf einen von ihnen. Zu seinem Entzücken spielten Kater und Hamster übermütig miteinander. Als John kurze Zeit später aufstand, war er tieftraurig, als er die sterblichen Überreste besagten Hamsters fand und Septis selbstzufriedenen Blick registrierte. Vielleicht waren hiernach die tödlichen Gefahren eines solchen Spiels zwischen Katze und Nager nicht deutlich genug gemacht worden, um Olivers Gefühle zu schonen. Wie dem auch sei, in der Tradition griechischer Tragödien wiederholte sich die grausame Szene gleich am nächsten Tag mit dem zweiten Hamster. Ein wahres Fest für Septi.
Kapitel 3
Juni Jetzt ist es also so weit. »Sagst du es ihm, oder soll ich?« Wir versuchen es gemeinsam. Ich fange mit dem Einschmeicheln an. »Septi, komm mal her. So ein lieber Kater. Schau mal, ich muss dir etwas sagen. Ich weiß, dass es dir anfangs ganz und gar nicht gefallen wird und du schrecklich stinkig werden wirst deswegen, aber ich verspreche dir, dass alles gut wird, ehrlich. Irgendwann. Vertrau mir.« Michael verfolgt meine Vorstellung mit einem ungläubigen Grinsen. Er beugt sich hinab, hebt Septi auf den Arm, drückt ihn fest an sich, und das Schnurren wird zunehmend lauter, als Michael nacheinander sämtliche Lieblingsstellen des alten Katers liebkost. Septi reibt die Wange an Michaels und wirft mir dann einen Blick von oben herab zu, mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, der unzweifelhaft besagt: »Ich bin hier die Nummer eins.« Die Lippen ganz dicht an Septis pelzigem Kopf, murmelt Michael so leise, dass er gerade noch zu verstehen ist: »Sie will ein grässliches kleines Kätzchen ins Haus holen, das deinen beschaulichen Alltag auf den Kopf stellt und alles zunichtemacht, woran du gewöhnt bist und was dir am Herzen liegt. Na, was hältst du davon, alter Junge? Wie gefällt dir das?« Ich ziehe unwillkürlich den Kopf ein. Wieder einmal frage ich mich verärgert, wenn auch nicht ganz frei von Gewissensbissen, wo diese Komplizenschaft unter Männern herrührt und warum sie sich mit jedweder Veränderung so schwer tun. Michael zwinkert mir zu, und ich schlage frustriert mit einem Küchenhandtuch nach ihm. Septi schnurrt ungerührt weiter. Ich höre mein jämmerliches Flehen: »Warum unterstützt du mich nicht, Michael? Wenn du nicht bereit bist, mir in dieser Sache zu helfen, kann ich Susan Hill auch gleich anrufen und das Ganze abblasen.« »Ich glaube nicht, dass Septi begriffen hat, was ich vorhin zu ihm gesagt habe«, entgegnet Michael mit einem Schulterzucken. »O doch, das hat er! Ich denke, dass er viel mehr versteht, als dir bewusst ist. Ich bin überzeugt davon, dass er zumindest den Sinn des Gesagten sehr wohl begreift.« »Das bezweifle ich, aber wie du willst. Hör zu, Septi. Es kommt ein neues Kätzchen zu uns, und du wirst dich da rüber freuen, klar? War das okay so, Marilyn? Entspricht das deinen Erwartungen?« Nachdem der Vorrat an Geschirrhandtüchern erschöpft ist, begebe ich mich stampfenden Schrittes nach oben und lasse mir ein Bad ein, um meine Stimmung zu heben. Als ich ins Wasser steige und zuschaue, wie der Pegel an den Wannenrändern aufsteigt, ertappe ich mich bei einem schiefen Grinsen, denn mir wird bewusst, dass ich in mehr als einer Hinsicht Verdrängung betreibe. 5. Juni Endlich bricht der Tag an, den ich so herbeigesehnt habe, und wir fahren zu einem Meeting nach Solihull. Wir haben diesen Tag deshalb zum Abholtag bestimmt, weil es von Solihull aus nicht mehr weit ist bis zum Geburtsort der Kätzchen, aber die Wartezeit hat sich ewig hingezogen. Am frühen Nachmittag ist das Meeting beendet, sodass wir uns endlich auf den Weg machen können, den heiß ersehnten Familienzuwachs abzuholen. Nach einer halbstündigen Fahrt haben wir das Dorf erreicht. Michael steuert den Wagen eine lange, gewundene Zufahrt hinunter, und wir kommen an Feldern und einem großen Teich vorbei. Schließlich erreichen wir nach endlosen Serpentinen einen Garten, wo wir auf das Herzlichste von Susan Hill empfangen werden, die uns in Begleitung einer schlanken rot-weißen Kurzhaar-Katze entgegenkommt. Nachdem wir unsere Gastgeberin begrüßt haben, beugen Michael und ich uns hinab, um der Katze mit der sportlichen Figur Hallo zu sagen. Die aber wendet sich geschäftig ab, um ohne einen Hauch von Verlegenheit in einem alten, mit Erde gefüllten Pferdetrog ihr Geschäft zu verrichten. Als sie fertig ist, werden wir miteinander bekannt gemacht. Das ist Tallulah, die Mutter der Kätzchen. Ich frage Susan nach dem Vater, worauf diese entgegnet, sie habe einen Hauskater aus einem nahe gelegenen Wohnblock im Verdacht. Susan führt uns in ein hübsches weitläufiges Natursteinhaus. In der geräumigen, lichtdurchfluteten Küche steht ein wunderschöner imposanter Holztisch. Und auf ebendiesem Tisch hockt SIE. Sie ist das entzückendste Kätzchen auf der ganzen Welt. Natürlich hätten Michael und ich uns sowieso in das Kätzchen verliebt, ganz gleich, wie es auch ausgesehen hätte, aber das Tier ist wirklich eine Schönheit. Unser Blick fällt auf ein kleines zusammengerolltes Fellknäuel, das bei unserem Eintreten aufschaut und uns ein winziges herzförmiges Gesicht zuwendet. Dieses wird beherrscht von zwei riesigen, durchdringenden bernsteinfarbenen Augen, die wiederum eingefasst sind von sanft geschwungenen Streifen, die ihr das geheimnisvolle, anmutige Aussehen einer Geisha verleihen. Gekrönt wird der winzige Kopf von zwei aufmerksam aufgerichteten, verhältnismäßig großen Ohren. Der Körper ist schwarz-grau gestromt mit weißen und rötlichen Flecken, eine Färbung, die man auch als »Schildpatt« bezeichnet. Etwas unsicher erhebt sie sich auf ungewöhnlich langen, schmalen Beinchen und wankt auf uns zu. Noch bevor sie uns erreicht hat, ist es um uns geschehen: Wir sind bis über beide Ohren verknallt. Es ist Liebe auf den ersten Blick, und so frage ich bangen Herzens nach, ob es sich auch wirklich um das uns zugedachte Kätzchen handelt. Susan beruhigt uns lächelnd. Es ist tatsächlich das übrig gebliebene Katzenkind; das andere hat im Dorf ein neues Zuhause gefunden. Susan teilt uns mit, dass das Kätzchen bereits einen Namen hat (es war ja so lange bei ihr und konnte schlecht namenlos bleiben). Susan blickt mich an und verkündet, ohne mit der Wimper zu zucken: »Ihr Name ist Ottoline.« »Sie meinen, wie Ottoline Morrell, die Aristokratin und Kunstmäzenin?«, frage ich verblüfft. Lachend nickt sie. Ich wage es gar nicht, Michael anzusehen, aber während ich den Kopf gesenkt halte, sehe ich vor meinem inneren Auge Lady Ottolines spitzes, von Entschlossenheit kündendes Kinn vor mir und muss an ihren legendären Tod durch Kieferkrebs denken, den ich immer als Ironie des Schicksals empfunden habe. Sofort gehen mir allerlei andere mehr oder weniger zusammenhanglose Gedanken durch den Kopf, solche wie die an ihre Vorliebe für die künstlerischen Lichtgestalten ihrer Zeit, ihre leidenschaftliche Beziehung und nicht minder leidenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Gelehrten Bertrand Russell und dem Maler Augustus John sowie jene endlosen Soireen. Sie hat einst im und am Bedford Square gelebt, wo ich selbst nicht nur einen Teil meiner Seele, sondern auch ein Stück meines Herzens zurückgelassen habe, nachdem ich selbst zufällig viele Jahre an diesem selben Ort gearbeitet und gespielt hatte. Wenngleich es einerseits unpassend scheint, ein so winziges Fellknäuel auf einen so hochfahrenden Namen zu taufen, kommt es mir andererseits irgendwie richtig vor. Im Übrigen war es ja ohnehin bereits ein Fait accompli. »In Ordnung. Also Ottoline«, murmle ich zustimmend.
Kapitel 4
Nachdem wir unseren kostbaren, neun Wochen alten Familienzuwachs in einer Transportkiste untergebracht haben, die wir aus Sicherheitsgründen auf dem Rücksitz festklemmen, folgen wir erneut der endlosen Auffahrt, diesmal in Richtung Heimat. Als wir Susan durch das Wagenfenster noch einen letzten Gruß zurufen, versprechen wir, uns regelmäßig bei ihr zu melden und sie über Ottolines Entwicklung auf dem Laufenden zu halten. Anfangs ist vom Rücksitz nur ein leises Maunzen zu hören, das sich jedoch, als wir die Klagen stur ignorieren, nach und nach zu einem wahren Crescendo steigert. Schwer zu glauben, dass ein so winziges Tierchen überhaupt in der Lage ist, so ohrenbetäubende Klagelaute von sich zu geben wie unsere Lady Ottoline. Es ist herzzerreißend. Ich komme mir richtig mies vor und muss ständig daran denken, dass ihre Mutter vermutlich den gleichen Trennungsschmerz durchlebt. Der Ausdruck auf Tallulahs Gesicht, als wir Ottoline in die Transportkiste gesetzt haben, ist mir nicht entgangen. Dann ist es ganz plötzlich still. Kurz darauf sind wir auf der Autobahn, und die Stille hält an. Nach einer ebenso langen wie ereignislosen Fahrt sind wir wieder daheim und tragen die Kiste mitsamt ihrem federleich- ten Inhalt ins Haus. Durch die Haustür unseres alten Hauses gelangt man gleich in das niedrige Wohnzimmer, wo wir die meiste Zeit verbringen und wo Septi bislang unangefochten als Alleinherrscher galt. Als wir den Raum mit der Transportkiste betreten, blickt Septi, der eben auf seinem Lieblingssessel ein Nickerchen hält, uns argwöhnisch entgegen. Vielleicht überlegt er ja, ob ein Besuch bei seinem ärgsten Feind, dem Tierarzt, ansteht. Weshalb sollten wir sonst die Transportkiste hereinschleppen? In exakt diesem Augenblick dringt aus besagter Kiste ein leises, aber unüberhörbares »Miau«. Septi sieht aus, als hätte man ihm einen elektrischen Schlag versetzt. Zusätzlich zu dem akustischen Reiz steigt ihm nun auch der Geruch der fremden Katze in die Nase. Ich kann nicht sagen, wann ich das letzte Mal einen derart empörten Gesichtsausdruck gesehen hätte. Er sieht wütend aus. Seine Schnauze hat jenes kleine gouvernantenhafte »O« geformt, das Katzen so perfekt beherrschen. Zudem hat er die Schnurrhaare aufgestellt, und die »Sorgenfalten« auf der getigerten Stirn ziehen sich noch stärker zusammen. Er ist stinksauer und macht keinen Hehl daraus. Wir fürchten uns beide davor, das Kätzchen herauszulassen, aber nach der langen, anstrengenden Fahrt in der Kiste muss Ottoline sich dringend die Beine vertreten. Frei nach dem Motto »Wer A sagt, muss auch B sagen«, beschließen wir, sie aus ihrem Gefängnis zu lassen und abzuwarten, was passiert. Mit zittrigen Fingern öffnen wir die Tür der Transportkiste, und ein kleines verängstigtes Kätzchen stolpert heraus. Septi gibt ein tiefes, zorniges Knurren von sich, funkelt den Eindringling vernichtend an, macht dann auf dem Absatz kehrt und läuft hinaus. Michael folgt ihm und findet ihn an der Hintertür, wo er darauf wartet, hinausgelassen zu werden. Septis Fluchtbedürfnis ist so eklatant, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als ihm nachzugeben. Außerdem sind wir schockiert von seinem Knurren. (Katzen knurren nur selten, und wenn sie es tun, handelt es sich immer um eine ernst zu nehmende Drohung.) Derweil ist der arglose Auslöser der ganzen Aufregung bereits damit beschäftigt, seine Umgebung zu erkunden. Anfangs noch zögerlich, scheint die junge Dame mit jeder Sekunde an Selbstbewusstsein zu gewinnen, und das kleine Raubtier, das vor so kurzer Zeit erst brutal seiner Mutter und seinem Zuhause entrissen wurde, macht sich nun überraschend schnell und immer mutiger mit seiner neuen Umgebung vertraut. Wir geben ihr etwas Aufzuchtmilch (Susan meinte, die käme in ihrer Zusammensetzung Katzen-Muttermilch noch am nächsten). Ottoline trinkt sie auch, und schon kurz darauf probiert sie einen Happen Dosenfutter. Wir zeigen ihr das Katzenklo und warten: Sie benutzt es bereits eine halbe Stunde nach ihrer Ankunft im neuen Heim. Ottoline hat ihr neues Zuhause in Besitz genommen. Bleibt das Problem mit Septi und seinem Befinden. Vor zwei Wochen war ich mit ihm wegen einer Kleinigkeit beim Tierarzt und habe ihn bei der Gelegenheit gleich einem Gesundheitscheck unterziehen lassen, den er ohne Beanstandungen überstanden hat. Als ich den Tierarzt, einen Mann in den Sechzigern, kurz vor der Pensionierung und somit mit jahrzehntelanger Berufserfahrung, fragte, wie Septi seiner Meinung nach auf Katzenzuwachs in der Familie reagieren würde, hatte er mit nachdenklichem Gesicht entgegnet: »Ihnen muss klar sein, dass der Kater nicht mehr der Jüngste ist. Und was Sie da vorhaben, stellt einen dramatischen Eingriff in seine Alltagsroutine dar. Er wird den Neuankömmling entweder akzeptieren, oder aber er sucht sich ein neues Zuhause. Das kann man nie wissen, beides ist denkbar. « Darauf hatte er lachend gemeint: »Also, wenn ich er wäre, ich würde meine Koffer packen.« Ich für meinen Teil fand dies nicht halb so lustig wie er, stimmte aber dennoch halbherzig in sein Gelächter ein. Aber auch wenn seine Worte mich beunruhigt hatten, kam ich zu dem Schluss, dass Septi sein Zuhause zu sehr schätzte, um einfach abzuhauen. Als ich jetzt wieder daran zurückdenke, mache ich mir doch zunehmend Sorgen. Schließlich gelingt es mir mit viel Überredungskunst, Septi ins Haus zurückzulocken. Mit, wie mir scheint, optimistischer Zurückhaltung tritt er ein, vielleicht in der Hoffnung, das Kätzchen sei ebenso rasch wieder verschwunden, wie es in seinem Reich aufgetaucht ist. Zögerlich durchquert er die Küche in Richtung Wohnzimmer. Der Anblick, der sich ihm dort bietet, grenzt an Majestätsbeleidigung. Das kleine Kätzchen, das die Punkte Fressen, Trinken und Katzenklo bereits abgehakt hat, kuschelt sich ganz selbstverständlich an Michaels Schulter, als gehörte es dorthin. Der alte Kater gibt einen tiefen, lang gezogenen kehligen Laut von sich, der gleichzeitig so verzweifelt und urzeitlich klingt, dass ich davon ebenso beunruhigt bin wie belustigt. Unsere größte Sorge erweist sich als unbegründet, da Septi keine Anstalten macht, den Eindringling anzugreifen, auch wenn ihm die ganze Situation unübersehbar gegen den Strich geht. Steif und voller Unbehagen liegt er am Rand des Sofas und wirft immer mal wieder einen Blick auf Ottoline, während er die übrige Zeit mit säuerlicher Miene stur auf den Boden starrt. Plötzlich regt sich das Katzenkind an Michaels Schulter, streckt die langen schlanken Glieder mit der Anmut einer ausgewachsenen Katze und springt zu Boden. Ottoline durchquert den Raum, bis sie exakt unterhalb des Kissens steht, auf dem Septi ruht. Dann imitiert sie seine Haltung und blickt schüchtern zu ihm auf. Anfangs ignoriert er sie einfach, schließlich starrt er sie unverwandt an. Sie erwidert den Blick sanftmütig und ganz auf ihn konzentriert. Und so beginnt sie, den alten Septi zu bezirzen. Der begehrt jedoch kurz nach dieser ersten Annäherung, hinausgelassen zu werden, und verbringt den Rest des Abends damit, mit zuckendem Schwanz durch sein ureigenstes Revier zu streifen. Es gelingt uns erst, ihn dazu zu bewegen, das Haus wieder zu betreten, als wir zu einer List greifen und Otto line vorübergehend oben unterbringen, wo Septi sich nur äußerst selten blicken lässt. So kann er sich eine Weile der Illusion hingeben, er sei wieder alleiniger Herrscher über sein Reich. Derweil Septi noch verstimmt unterwegs ist, lässt Ottoline im Haus ihren ganzen Charme spielen und schlägt uns ganz in ihren Bann. Sie springt vom Sessel auf den Schreibtisch und von dort auf das Sofa, balanciert mühelos an dessen Rückenlehne entlang, als hätte sie ihr ganzes Leben nichts anderes gemacht, und gelangt mit einem geschmeidigen Satz auf den Kaminsims. Von dort geht es weiter zu einem zweiten Sessel und auf das hochgelegene Fensterbrett. Ganze fünfzehn Sekunden thront sie auf diesem neu entdeckten Aussichtsposten, ehe sie über den Sessel, der Ausgangspunkt ihrer Erkundungstour war, wieder auf den Boden gelangt. Nun rollt sie sich träge auf den Rücken, wobei sie uns ihren schneeweißen Bauch präsentiert, knickt die Vorderpfoten ein und legt kokett den Kopf schräg, um aus dem einen sichtbaren Auge zu beobachten, welche Wirkung ihr Programm auf uns aufmerksame Beobachter hat. Während Michael und ich sie noch bewundernd anschauen, steht sie abrupt wieder auf und springt erst mir und dann Michael auf den Schoß, reibt das Köpfchen an unseren Gesichtern und wickelt sich im Anschluss wie ein lebendiger Pelzkragen zur Hälfte um unseren Hals, eine Position, die ihr besonders zu behagen scheint. Sie verteilt ihre Zuneigungsbekundungen sehr gerecht, wobei diese niemals länger dauern als drei Minuten am Stück. John ist noch im Urlaub, und offen gestanden bin ich in meiner egoistischen Verliebtheit dankbar, dass ich Ottoline am ersten Abend nur mit Michael teilen muss, wenn ich auch gespannt darauf bin, was für Augen John machen wird, wenn er sie bei seiner Rückkehr kennenlernt. Inzwischen sind wir uns einig, dass wir sie Otto rufen wollen. Und von Stund an wird sie auch zu einer Otto. Otto die Schöne. Otto die Tapfere. Otto die Neugierige. Nachdem wir Septi mit viel Mühe überredet haben, zurück ins Haus zu kommen, müssen wir feststellen, dass Otto, wie wohl nicht anders zu erwarten war, ihr Versteck verlassen hat und uns zurück nach unten gefolgt ist, wo sie unermüdliche die Inspektion ihres neuen Heims fortsetzt. Bei ihrem Anblick stakst Septi steif ins Esszimmer, die Schnauze zu jenem berühmtem »O« verzogen. Widerwillig reißen wir uns los von den Freuden der Kätzchen- Anbetung und bereiten uns darauf vor, uns für die Nacht ins Schlafzimmer zurückzuziehen. Bevor wir gehen, reden wir noch begütigend auf den alten Kater ein und streicheln ihn liebevoll und von Gewissensbissen geplagt. Während wir uns abwenden, sehen wir, wie er unsicher ins Wohnzimmer zurückkehrt, immer noch diesen geradezu angewiderten Ausdruck auf dem Gesicht. Als er eine katzenbabyfreie Zone gefunden hat, rollt er sich auf der Couch zusammen, gibt einen tiefen Seufzer von sich und vergräbt die Nase unter seiner Pfote. Als wir schließlich oben sind, wohin wir auch Otto geschmuggelt haben, ist unser Kätzchen todmüde. Vorsichtig legen wir Otto zwischen uns ins Bett, wo sie auch sofort tief und fest einschläft. Und dieserart ruht nun die Familie in jener ersten Nacht mit Otto in ihrem neuen Zuhause.
Kapitel 5 Am darauffolgenden Tag treffen Andrew und Jane aus Neuseeland ein, innig geliebte Stiefkinder aus meiner zweiten Familie. Die beiden sind zu Besuch in England und werden das Wochenende bei uns verbringen. Sie haben schon oft ihr Heim mit Katzen geteilt, und als offensichtlich ist, dass Andrew sein Herz an Otto verliert, warnt Jane uns lachend, dass ein frisch geschlüpftes Kätzchen jeder ausgewachsenen älteren Katze mühelos den Rang abläuft. Ich erkenne, wie recht sie damit hat, und gelobe im Stillen, in Zukunft mehr darauf zu achten, dass Septi sich durch die Anwesenheit des pelzigen Usurpators in unserer Mitte nicht abgeschoben fühlt. John kehrt ebenfalls an diesem Wochenende aus dem Urlaub zurück und ist vom ersten Augenblick an schier überwältigt von Otto. Ich selbst beobachte sein wachsendes Entzücken mit geradezu mütterlichem Stolz, wobei mir erneut schmerzlich bewusst wird, dass wir Septi und seine Bedürfnisse nicht vernachlässigen dürfen. Am Montag beginnt für alle wieder der Ernst des Lebens: Michael, John und ich gehen zur Arbeit und überlassen es Septi und Otto, sich nach eigener Fasson miteinander zu arrangieren. Wir haben keine Katzenklappe in der Tür und Septi bislang immer auf seinen Wunsch hin hinausgelassen. Otto ihrerseits ist noch nicht gegen Katzenschnupfen und Katzenleukämie geimpft, sodass sie noch nicht rausdarf, während es Septi häufiger als früher ins Freie zieht. So kommt es vor, dass er, wenn wir um zehn vor sieben zur Arbeit fahren, noch draußen ist und sich auch nicht überreden lässt, ins Haus zurückzukehren. Wir nehmen es philosophisch. Es ist Sommer und warm, und es gibt einen Schuppen und ein Gewächshaus, wo er im Bedarfsfall Schutz suchen kann vor Sonne oder Regen. Von: Marilyn An: Susan Hill Betreff: Ottoline und Diverses Liebe Susan, das Gespräch mit dir heute Morgen hat mir richtig gutgetan. Richte Clemency doch bitte aus, dass Ottoline glücklich und zufrieden ist und darüber hinaus außerordentlich munter. Außerdem wird sie von allen heiß geliebt und bestens versorgt. Gestern Nachmittag bin ich von der Arbeit früher heimgefahren, weil ich mit ihr zum Impfen musste. Sie war schrecklich tapfer, und bislang sind auch keine Nebenwirkungen aufgetreten!! Ich war erleichtert, dass du meinst, Septi würde sich früher oder später an unseren Neuzugang gewöhnen - der Tierarzt ist diesbezüglich ebenfalls optimistisch. Nur um ihre leidende Mama tut es mir leid. Ich hoffe, dass sie ihre Trauer bald überwunden haben wird. Wenn ihr doch nur jemand begreiflich machen könnte, dass es ihrem Kind gut geht! Euch allen noch einmal herzlichen Dank für diesen Quell unendlicher Freude in unser aller Leben - wir sind alle ganz vernarrt in sie. Diese Mail schrieb ich nach einem Anruf von Susan, die mir erzählt hatte, dass Ottos Mutter entgegen ihren Erwartungen viele Stunden lang verzweifelt nach dem letzten Baby gesucht hatte, nachdem Michael und ich es entführt hatten. Clemency, Susans noch daheim lebende Tochter, hatte viel Zeit darauf verwendet, sie über ihren Kummer hinwegzutrösten. Ich fühle mich ganz elend, obwohl mir Folgendes klar ist: Wenn wir Otto ihrer Mama nicht weggenommen hätten, hätte es irgendjemand anders getan. Bevor Michael und ich zusammengezogen sind, habe ich viele Jahre in den Dales in Yorkshire gelebt. Dort habe ich neben meinem regulären Job unzählige Stunden aus Spaß an der Freud auf den Höfen meiner geduldigen bäuerlichen Nachbarn Landwirt gespielt. Ich hielt mir eine eigene Hühnerschar, half bei der Heuernte und beim Melken, gelegentlich beim Kalben und beim Schafescheren und war, wann immer möglich, bei der Geburt der Lämmer dabei.
Übersetzung: Cécile G. Lecaux
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2009 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
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Autoren-Porträt von Marilyn Edwards
Marilyn Edwards arbeitet in der Verlagsbranche. Sie lebt mit ihrem Mann, ihrem Sohn und den drei Katzen Fannie, Titus und Pushkin in Hertfordhire.
Bibliographische Angaben
- Autor: Marilyn Edwards
- 416 Seiten, teilweise Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 13,5 x 19,1 cm, Flex. Einband
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863655133
- ISBN-13: 9783863655136
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