Ritter meiner Leidenschaft
Jamie und seine Braut Aveline glauben sich am Ziel ihrer Träume, doch will ein Feind, ihr Glück zerstören.
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Produktinformationen zu „Ritter meiner Leidenschaft “
Jamie und seine Braut Aveline glauben sich am Ziel ihrer Träume, doch will ein Feind, ihr Glück zerstören.
Lese-Probe zu „Ritter meiner Leidenschaft “
Ritter meiner Leidenschaft von Sue-Ellen WelfonderBaldreagan Castle,
in den Western Highlands, 1325
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Zum Teufel mit deinem Gejammere!« Munro Macpherson ballte die Hände zu Fäusten und starrte die Hebamme wütend an. Um nicht die wie tot daliegende Gestalt auf seinem Bett ansehen zu müssen, richtete er seine ganze Wut gegen die mit blutverschmierten Händen vor ihm stehende alte Frau. »Und sag mir nicht, dass sie stirbt! Das will ich nicht hören!«
Er trat zwei Schritte vor, und dann noch einen, als Morag, die Hebamme, ihn kummervoll ansah. Es war der gleiche Blick, mit dem sie ihn schon einige Male angeschaut hatte, seit er in das Gebärzimmer gestürmt war.
Ein Blick, der beredter war als Worte und der Munro Dinge sagte, die er nicht akzeptieren wollte.
Ein kalter Schauder lief ihm über den Rücken, und er funkelte sie böse an, als könnte er so das Mitgefühl von ihrem runzligen, mit Altersflecken übersäten Gesicht vertreiben. »Du bist es und keine andere, die heute Nacht vor ihren Schöpfer treten wird, wenn du nicht dafür sorgst, dass meine Frau am Leben bleibt!«
»Es ist Gottes Wille, Sir.« Morag seufzte und bekreuzigte sich.
»Dann bete doch zu den alten Göttern!«, schrie Munro mit schmerzverzerrtem Mund. »Jeder in diesen Bergen weiß doch, wie vertraut du mit ihnen bist!« Die alte Frau presste die Lippen zusammen und träufelte noch etwas Kräuteröl auf ihre Hände. »Ihr habt mit eigenen Augen das Stück kaltes Eisen gesehen, das ich in ihr Bett gelegt habe. Und ich habe Euch gesagt, dass das Wasser, mit dem meine Nichte den Schweiß von der Stirn Eurer Gemahlin abtupft, aus dem Brunnen der heiligen Brigida stammt.«
»Dann versuch es mit Hexerei!« Munro versagte nahezu die Stimme. »Tu, was immer nötig ist!«
Aus schmalen Augen schaute er grimmig auf Morags verängstigt wirkende Nichte, die ein tropfnasses Tuch in der Hand hielt. Heiße Wut stieg in ihm auf, weil eine so unscheinbare Maus von Frau leben und atmen durfte, während seine wunderschöne, liebreizende Gemahlin, die gestern Abend noch so voller Leben gewesen war, jetzt sterben sollte.
Verzehrt vom Fieber und nicht mehr Herrin ihrer Sinne.
Unfähig, es noch länger zu ertragen, wandte sich Munro abrupt von den beiden Frauen und dem schmerzgepeinigten schattengleichen Wesen ab, das sein Leben gewesen war. Alles, was von ihr geblieben war, waren ihr Stöhnen, ihr unverständliches Gestammel und die wirren Strähnen ihres einst so wundervollen langen Haars auf den befleckten Laken. Ihre prachtvollen, bronzefarbenen Locken, die matt und stumpf geworden waren und allen Glanz verloren hatten. So wie auch alle Farbe aus ihrer einst so makellosen, rosig angehauchten Haut gewichen war, auf die sie immer so stolz gewesen war.
Ausgezehrt und erschöpft warf sie sich nicht einmal mehr hin und her, wenn die Wehen sie übermannten. Sie lag nur da, mit hohlen Augen und eingefallenem Gesicht, dessen wächserne Blässe vom Nahen des Todes kündete.
Von ihrem Ende und Munros Untergang.
Da ihm nur allzu bewusst war, dass er nichts, aber auch gar nichts dagegen tun konnte, trat er an eines der Fenster und starrte düster in die graue Herbstnacht. Heiße Tränen liefen ihm über die Wangen, aber er versuchte, sie zu unterdrücken, als er die kühle, feuchte Nachtluft einatmete.
So angestrengt er jedoch in die regennasse Finsternis hinausstarrte oder auch das noch ferne, heftige Donnergrollen begrüßte, das Gefühl der Machtlosigkeit blieb. Klein und hilflos fühlte er sich, als wäre er nicht mehr der große, kraftvolle Mann, der furchtlos durch die Berge streifte, sondern ein zitternder Jammerlappen, der sich auf die Knie geworfen hätte, wenn Betteln und Flehen jetzt noch hätten helfen können.
Stattdessen aber gefror ihm das Blut in den Adern, und sein Körper spannte sich so sehr an, dass Munro sich wunderte, weshalb er nicht zersprang und in tausend Stücke auseinanderbrach, die sich nie wieder zusammensetzen lassen würden.
Mit zusammengepressten Lippen hielt er den Blick auf die dunklen Berge gerichtet und umklammerte mit beiden Händen seinen Schwertgurt. »Hör zu, Morag«, sagte er dann im unterwürfigsten Ton, den ein Mann wie er zustande brachte, »trotz meiner Launen und Wutanfälle liebe ich meine Frau. Ich könnte es nicht ertragen, sie zu verlieren.«
Nach diesen Worten drehte er sich um, und sein Magen verkrampfte sich, als er sah, wie die alte Frau unter die blutbefleckten Röcke seiner Frau schaute und ihr Gesichtsausdruck noch düsterer wurde.
Munro schluckte und umklammerte seinen Gürtel fester. »Verlang von mir, was du willst, um sie zu retten. Was immer es auch sein mag. Ich würde mit Freuden für immer in deiner Schuld stehen, Morag.«
Aber die Hebamme schüttelte nur den Kopf. »Das Kind ist zu groß«, sagte sie, während sie die Beine seiner Frau nochweiter spreizte. »Und sie hat schon zu viel Blut verloren.«
»Und was bedeutet das?« Munros unbeherrschtes Naturellerwachte wieder, und vor Wut traten ihm fast die Augen aus dem Kopf. »Sag die Wahrheit, Frau, wenn du nicht willst, dass ich dich und deine greinende Nichte aus dem Fenster werfe!«
»Eure Frau Gemahlin wird sterben, Sir«, antwortete Morag ruhig, »aber es ist möglich, dass das Kleine überlebt. Sein Kopf kommt schon. Und es hat auch kräftige Schultern. Seid dankbar . . .«
»Dankbar?« Wutentbrannt griff Munro nach den blutdurchtränkten Röcken seiner Frau und riss sie gerade noch rechtzeitig hoch, um einen kräftigen kleinen Jungen mit kupferfarbenem Haar zwischen ihren leblosen Schenkeln hervorkommen zu sehen.
»Dankbar für einen zehnten Sohn?«, brüllte er mit einem verächtlichen Blick auf das schreiende Kind. »Für das Kind, das meine Iona umgebracht hat?«
»Er ist Euer Sohn, Mylord.« Morag drückte das Kind an ihre Brust und spreizte ihre knotigen Finger auf seinem nass glänzenden Rücken. »Und ein feiner, strammer Junge noch dazu. Er wird Euch helfen, zu vergessen. Mit der Zeit . . .«
»Ich werde nie vergessen!«, schwor Munro und starrte an ihr vorbei auf die leeren, schon glasig werdenden Augen seiner Frau. »Und noch einen zusätzlichen Esser brauche ich nicht. Ich will diesen Jungen nicht! Neun gesunde Söhne sind genug für einen Mann.«
»Sir, bitte . . .« Die Hebamme reichte den Neugeborenen ihrer Nichte und eilte Munro nach, als der sich zum Gehen wandte. »Ihr müsst ihm wenigstens einen Namen geben.«
»Ich muss gar nichts!« Munro fuhr herum. Wenn Morag nicht so alt gewesen wäre, hätte er sie jetzt vermutlich geschlagen. »Aber wenn du unbedingt einen Namenwillst, dann nenn ihn Jamie - James von der Heide!«
Die Alte blinzelte verständnislos. »›Von der Heide‹?«
»Das war es, was ich sagte«, bestätigte Munro, schon halb aus Der Tür. »Denn dort wurde er gezeugt, was ich mein Leben lang Bereuen werde, und dorthin kann er von mir aus zurückkehren. Sobald er alt genug ist. Auf Baldreagan ist kein Platz für ihn.«
1. Kapitel
Fairmaiden Castle in der Nähe von Baldreagan,
Herbst 1347
Der zehnte Sohn?«
Bestürzt über diese unerwartete Neuigkeit, die ihr Vater soeben verkündet hatte, ging Aveline Matheson auf den Hohen Tisch zu. Der Blick ihrer verweint aussehenden Schwester, der ihr folgte und starke Schuldgefühle auslöste, war kaum weniger beunruhigend.
Aveline holte tief Luft und versuchte mit aller Kraft, das Gefühl zu ignorieren, dass ihre ganze Welt aus den Fugen zu geraten drohte.
»Ich erinnere mich zwar, dass es noch einen jüngeren Sohn gab, aber . . .« Sie verstummte, weil Sorchas tränenfeuchter Blick ihr das Weiterreden schwer machte.
Hinzu kam, dass nicht nur ihre älteste Schwester, sondern auch alle anderen Angehörigen des Clans im großen Saal anwesend waren. Und alle starrten sie an, drehten sich nach ihr um und beobachteten aus schmalen Augen ihre Reaktion, so, als ruhten die Zukunft und das Glück des Matheson-Clans auf ihren schmalen Schultern.
Und nach dem, was Aveline soeben erfahren hatte, war es wohl auch so.
Sie zitterte innerlich, als sie auf ihren Vater zuging und so selbstbewusst und hoch erhobenen Hauptes vor seinem Stuhl stehen blieb, wie ihre zierliche Statur es ihr erlaubte.
Sie gegen Alan Mor Mathesons grimmigen Gesichtsausdruck. Ein Ausdruck, den ihr vollbärtiger, in ein Plaid gehüllter Vater mit dem gleichen Geschick benutzte, mit dem er auch sein Schwert zu führen wusste.
Als Aveline diesen Blick jetzt auf sich gerichtet sah, schluckte sie und wollte nur noch aus dem Großen Saal flüchten. Doch sie riss sich zusammen und blieb stehen. »Es tut mir aufrichtig leid für Laird Macpherson«, begann sie, obwohl sie sich kaum vorstellen konnte, wie grauenvoll es sein musste, neun Söhne auf einmal zu verlieren. »Aber falls du die Absicht hast, auch weiterhin auf einer Verbindung unserer Häuser zu bestehen, sollte dann nicht Sorcha die Braut sein?«
Bei ihren Worten holte Sorcha hörbar Luft.
Alan Mors Gesicht verhärtete sich, und er schlug mit den Händen auf den Tisch. »Himmeldonnerwetter!«, brüllte er so wütend, dass seine älteste Tochter zusammenfuhr, als hätte er sie geschlagen.
Aber Alan schenkte ihr keinerlei Beachtung, als er sich vorbeugte und seinen durchdringenden Blick auf Aveline gerichtet hielt. »Deine Schwester hätte die Braut sein sollen, das ist wahr. Sie sollte Macphersons ältesten Sohn Neill heiraten, wie du sehr wohl weißt. Aber jetzt, da Neill und die anderen tot sind, bleibt nur noch der junge Jamie.«
Er schwieg einen Moment und ließ die letztenWorte in der vom Feuerrauch erfüllten Luft hängen. »Sorcha ist fünfzehn Jahre älter als der Junge, und deine anderen drei Schwestern sind bereits verheiratet. Ich werde das Bündnis mit Macpherson nicht aufs Spiel setzen, indem ich dem einzigen Sohn, der ihm noch geblieben ist, die Braut verweigere, die für ihn am passendsten ist.«
Aveline reckte das Kinn. »Wie immer dem auch sei . . .«
»Das spielt keine Rolle. Nicht jetzt.« Sorcha berührte Aveline am Arm und blinzelte, um ihre Tränen zurückzuhalten. »Es war Neill, der mein Mann hätte werden sollen. Ich . . . ich wäre ihm bis an das Ende dieser Welt, ja, selbst durch die Tore Der Hölle gefolgt«, sagte sie mit belegter Stimme. »Es ist nicht Mein Wunsch, mich mit dem jungen Jamie zu vermählen.«
»Aber es tut mir trotzdem furchtbar leid für dich.« Aveline atmete hörbar aus, als ihr die Brust vor Mitgefühl ganz eng wurde. »Und es zerreißt mir dasHerz für die Macphersons.«
»Ha!«, fuhr Alan Mor sie an. »Deine Schwester ist eine begehrenswerte junge Frau mit guten Aussichten. Es wird sich schon noch ein anderer Ehemann für sie finden«, erklärte er und sah sich um, als machte er sich auf Widerspruch gefasst. »Und was diesen querköpfigen alten Bock Macpherson angeht, so hat er bisher noch immer unglaubliches Glück gehabt. Sein Kummer wird schnell vergehen, wenn er an das schöne Stück Weideland denkt, das er für seine kostbaren Rindviecher bekommt. Ganz zu schweigen von den gut gefüllten Geldschatullen, die der Kerl mir abgeschwatzt hat.«
Ein kalter Schauder lief Aveline über den Rücken, aber sie sagte nichts.
Wenn ihr Vater Macpherson »gut gefüllte« Geldschatullen anzubieten hatte, konnte er sie eigentlich nur mit Steinen gefüllt haben - oder mit leeren Worten und Geprahle.
Sie war sich dessen völlig sicher, als sie Sorcha den Hohen Tisch verlassen und zumKamin hinübergehen sah. Ihre ältere Schwester hielt sich kerzengerade. Im Schein der Fackeln wirkte sie leichenblass, und ihre Augen waren matt und verquollen. Am schlimmsten aber war der versteinerte Ausdruck ihres Gesichts, der nur allzu deutlich sagte, was jederMatheson ohnehin schon wusste.
Neill Macpherson war ihre letzte Chance gewesen, einen Ehemann zu bekommen.
Denn es gab so gut wie keinen Heiratskandidaten für Sorcha, die so grobknochig und reizlos war, dass nicht einmal Alan Mors anpreisende Worte sie zu einer begehrten Partie machen konnten.
So manch einer schüttelte auch heute noch verwundert den Kopf über Neills Bereitschaft, Sorcha zur Frau zu nehmen.
Aber er hätte es des Bündnisses wegen getan.
Und jetzt war er tot.
Aveline erschauderte und krallte die Finger in ihre Röcke, als das Bild der letzten Momente der Brüder Macpherson vor ihrem inneren Auge auftauchte.
Nicht dass sie dabei gewesen wäre. Aber jeder, der in diesen Bergen geboren war, wusste um die Gefahren des berüchtigten Flusses Garbh Uisge, dessen reißende Wasser die tiefe, von Birken gesäumte Schlucht durchströmten, die die Ländereien der Mathesons und Macphersons trennte.
Diese gefahrvolle Schlucht mit dem wild herabstürzenden Wasserfall, dem mit Felsbrocken übersäten Fluss voll heimtückischer Stromschnellen und Nebeln aus aufbrandender Gischt war jetzt zu einer immerwährenden Mahnung vor dem Zorn der Elemente geworden. Zumindest dann, wenn diese sich das Zersplittern von feuchtem, altersmorschem Holz zunutze machten.
Den unerwarteten Zusammenbruch einer schmalen Brücke, die keiner der beiden Clans hatte erneuern wollen, weil beide Oberhäupter darauf beharrt hatten, dass der Nachbar die Brücke häufiger benutzte und demzufolge auch das Geld für ihre Instandsetzung bereitstellen müsste.
Ein dummer Starrsinn, der einen grausamen Zoll gefordert hatte und Aveline jetzt dazu veranlasste, der Arroganz und Großspurigkeit ihres Vaters den Rücken zuzukehren und zu einem Fenster hinüberzugehen.
»Du irrst dich«, sagte sie, als sie die Fensterläden weit öffnete. »Nichts auf dieser Welt wird Laird Macphersons Schmerz je lindern können.«
»Vielleicht nicht«, gab Alan Mor zurück. »Aber der Mann ist noch dümmer, als ich dachte, wenn er sich nicht wenigstens durch die Vorteile getröstet fühlt, die er durch dieses Bündnis zwischen uns haben wird.«
Zu Avelines Enttäuschung ging ein zustimmendes Gemurmel durch den großen Saal, gefolgt vom Klirrender Bierbecher, mit denen die Männer miteinander anstießen, lauten Beifallsrufen und Alan Mors eigenem selbstzufriedenem Grunzen.
Aveline biss die Zähne zusammen und starrte in die neblige, regnerische Nacht hinaus, auf die Umrisse der zerklüfteten, schwarzen Berge und das Glitzern ferner Sterne, die hier und da zwischen den grauen, windgepeitschten Wolken zu sehen waren.
»Gebe Gott, dass du recht behältst«, sagte sie schließlich. Sie war froh darüber, dass die erfrischend kalte Nachtluft ihr das Atmen sehr erleichterte. »Dennoch muss ich mich dagegen aussprechen, die Lage eines Mannes auszunutzen, der vollkommen gebrochen und am Ende ist.«
»›Ausnutzen‹?«, dröhnte Alan Mors tiefe Stimme durch den Saal. »Drück dich gefälligst etwas klarer aus, Mädchen - und komm von diesem Fenster weg!«
Aveline versteifte sich und hielt den Blick auf den silbrig glänzenden Fluss gerichtet, der sich nicht weit von Fairmaiden Castle zwischen den Bäumen dahinwand. Dieser uralte, gemächlich dahinfließende Fluss gab sich weitaus friedfertiger als der weiß schäumende Garbh Uisge, der so viele unschuldige Menschenleben gefordert hatte.
Und der sie und andere in diese unerwartete Lage gebracht hatte.
Ihre Schläfen begannen zu pochen, und schließlich wandte sie sich vom Fenster ab. Sorcha hatte sich in eine der dunkleren Ecken des Großen Saales zurückgezogen, wo ihr von Kummer und Tränen gezeichnetes Gesicht vor dem Licht der Pechfackeln geschützt war. Alle anderen Anwesenden hatten sich Aveline zugewandt, und das Gesicht ihres Vaters trug jetzt einen noch grimmigeren Ausdruck als zuvor.
Aveline straffte die Schultern und trat einen Schritt vor. »Nun?«, fragte Alan Mor mit einem Blick, der schier die Luft versengte. »Wirfst du mir etwa vor, ich würde versuchen, den alten Macpherson zu betrügen?«
»Nein, ich . . .« Aveline sprach nicht weiter, weil sie nicht lügen konnte. Schließlich waren die Gerissenheit und die Zungenfertigkeit ihres Vaters überall in den Highlands wohlbekannt.
Während sie langsam auf ihn zuging, suchte sie deshalb nach einem Weg, ihren Verdacht nicht zu offen auszusprechen. »Ich werfe dir gar nichts vor«, erklärte sie und hoffte, dass nur sie selbst den Spott in ihrer Stimme hörte. »Und ich versichere dir, dass ich nicht nur bereit bin zu heiraten, sondern zudem auch kaum den Tag erwarten kann, an dem ich einen Ehemann und einen eigenen Haushalt habe.«
»Warum machst du dann ein Gesicht, als hättest du in etwas Bitteres gebissen?«
»Weil ich nicht glaube, dass Munro Macpherson unsere Einmischung begrüßen wird . . .«
»Einmischung?« Alan Mor sprang so heftig auf, dass die Dokumente, die vor ihm auf dem Tisch lagen, durcheinanderflogen. »Ich versuche lediglich, dem alten Narren zu helfen! Hast du denn nicht gehört, was ich gesagt habe? Dass schon gemunkelt wird, er verließe nicht mal mehr sein Bett? Dass er Angst hätte, seine Privatgemächer zu verlassen, weil er glaubt, die Geister seiner Söhne seien nach Baldreagan zurückgekehrt, um ihn heimzusuchen?«
Alan Mors Nasenflügel bebten, als er Aveline mit einem aufgebrachten Blick bedachte. »Noch ist Munro nicht völlig übergeschnappt, aber er wird es bald sein, wenn ihn nicht jemand unter seine Fittiche nimmt. Er braucht Jamie.«
»Seit wann kümmert es dich, wie es Macpherson geht?«, erwiderte Aveline in herausforderndem Ton und stieg die Stufen zum Podium hinauf. »Ihr wart nie Freunde, du und Munro.«
»Aber Nachbarn.« Ihr Vater senkte den Blick und schien plötzlich ein reges Interesse für die farbige Kordel zu entwickeln, die ein aufgerolltes Pergament zusammenhielt. »Zu wissen, dass er nicht verrückt ist, ist ein geringeres Übel, als den Mistkerl zu verärgern.«
»Ich wette, dass du ihn sogar sehr verärgern wirst, wenn du auf deinen dummen Plan beharrst.« Aveline nahm ihrem Vater das Pergament aus der Hand und hielt es so, dass er es ihr nicht wegnehmen konnte. »Jeder weiß, dass Munro Macpherson nie ein gutes Wort für Jamie übrig hatte. Er hat immer nur gesagt, der Junge sei ein Dolchstoß zwischen seine Rippen.«
Alan Mor sog scharf den Atem ein, und seine Überraschung über ihre offenen Worte war beredt genug für Aveline.
Also wussten weder der alte Macpherson noch der junge Jamie, dass ihr Vater nach wie vor die Absicht hatte, an dem geplanten Bündnis zwischen den beiden Clans festzuhalten!
»Soviel ich hörte, ist Jamie zu einem feinen, stattlichen jungen Mann herangewachsen.« Alan Mor fasste sich schnell wieder und schob das Kinn vor. »Er hat im letzten Herbst sogar an König Davids Seite in Neville's Cross gekämpft, wo sein Mut und seine Tapferkeit ihm große Anerkennung eingebracht haben. Munro wird seine Meinung über den Jungen ändern, wenn er erst einmal zu Hause ist.«
»Trotzdem . . .« Aveline umklammerte das Pergament noch fester. »Ich glaube nicht, dass wir Jamie dieses Schreiben schicken sollten, bevor Laird Macpherson wieder wohlauf genug ist, um zu entscheiden, ob auch er noch immer eine Verbindung zwischen unseren Häusern wünscht.«
Zu ihrem Entsetzen lachte ihr Vater nur.
Und sein Schreiber, dessen Finger schwarz von Tinte waren, stimmte in sein Lachen ein.
»Zu spät!«, erklärte Alan Mor mit funkelnden Augen. »Dieses Pergament in deinen Händen ist nur ein Brief an deine Schwester in Inverness, in dem ich mich nach ihrer Gesundheit erkundige und für den Wein und die vielen Töpfe Heidekrauthonig bedanke, die uns ihr Mann geschickt hat.«
Aveline legte das Pergament auf den Tisch zurück. »Du meinst, du hast Jamie bereits geschrieben? Ohne Macpherson davon zu unterrichten?«
Ein selbstgefälliges Lächeln erschien auf dem Gesicht ihres Vaters. »Eines Tages wirst du mir dafür dankbar sein. Du und dieser Dummschwätzer Macpherson.«
»Und Jamie?«
»Ha!«, schnaubte Alan Mor. »Der am meisten von allen - wenn er dich erst einmal gesehen hat!«
Plötzlich strahlte er seine Tochter an, seine schlechte Laune schien völlig vergessen. »Welcher junge Bursche wäre nicht entzückt von so einer zarten Blüte?«
Aber Aveline war sich dessen nicht so sicher.
Unwillkürlich blickte sie auf ihren dicken Zopf herab, doch statt dessen wundervollen goldenen Glanz im Kerzenlicht zu registrieren, sah sie nur ihre winzigen Hände und Füße und ihre viel zu kleinen Brüste. Da sie in ihren eigenen Augen alles andere war als eine voll erblühte Frau mit üppigen Rundungen, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein Mann Gefallen an ihr finden könnte.
Oder an den abscheulichen Umständen, die sie und Jamie in ein Ehebett bringen würden.
Kein Mann ließ sich gerne übertölpeln.
Ob er nun ein lang vermisster Sohn war oder nicht.
Viele Meilen entfernt, hinter dunklen Bergen und kargem, von Farn und winterbrauner Heide überzogenem Moorland, erhob sich über den stillen Wassern des Loch Hourn Cuidrach Castle, die stolze Festung der MacKenzies, deren Türme und beeindruckender Wächter, der Bastardstein, sich dunkel gegen den frostklaren Himmel abhoben.
Die Nacht war eisig; Sterne glitzerten kalt am Himmel, und ein beißender Wind pfiff um die Fenster und rüttelte an den Läden. Alle, die sich in der Burg aufhielten, waren dankbar für das hell brennende Feuer im Kamin des Großen Saales. Diensteifrige junge Knappen reichten Tabletts mit Glühwein und dampfend heißen, frisch gebackenen Fleischpasteten herum. Auf einigen der ans Feuer herangezogenen Bänke drängten sich trinkende, miteinander scherzende Männer, deren tiefes Lachen zu den geschwärzten Deckenbalken aufstieg und deren derbe Scherze allen in den Ohren klangen.
Nur ein Bewohner von Cuidrach mied die Behaglichkeit und Wärme des Großen Saales in jener Nacht und suchte stattdessen die Ungestörtheit eines kleinen Lagerraumes auf, der von Fackellicht erhellt wurde und mit Weinfässern gefüllt war.
Unter halb lautem Fluchen, das derb genug war, um selbst den Teufel erschaudern zu lassen, schaute James von der Heide, der scherzhaft auch ›Jamie der Kleine‹ genannt wurde, auf den winzigen Blutstropfen an seinem Daumen.
Es war das fünfte Mal in weniger als einer Stunde, dass er sich in den Finger gestochen hatte.
Und bestimmt auch nicht das letzte Mal, vermutete er. Jedenfalls nicht, wenn er seine Aufgabe zu Ende bringen wollte. Seufzend leckte er das Blut von seinem Finger und rückte mit seinem Schemel noch näher an die am hellsten scheinende Wandfackel heran. Bei hellerem Licht würde es ihm vielleicht leichter fallen, die ausgelassenen Säume seiner neuen Leinentunika wieder umzunähen.
Sie war ein Geburtsgeschenk der Gemahlin seines Lehnsherren und die schönste Tunika, die Jamie je besessen hatte. Sie war aus feinstem Leinen, weicher als Rosenblüten und mit einem exquisiten nordischen Muster um den Halsausschnitt herum bestickt; allein sie anzusehen ließ ihn vor Freude erröten und sein Herz schneller schlagen, wenn er an die vielen Stunden dachte, die Lady Mariota mit der Herstellung dieses wundervollen Geschenks für ihn verbracht hatte. Ein Geschenk, das er unbedingt zu seiner Geburtstagsfeier heute Abend tragen wollte.
Und das würde er auch.
Wenn die Tunika doch nur nicht so eng an den Schultern und ihre Ärmel nicht zu kurz wären. Und seine verdammten Finger nicht so furchtbar ungeschickt.
Widerwillig nahm er die Nadel auf und machte sich wieder an die Arbeit. Denn im Grunde war das Problem gar nicht die Tunika, sondern er selbst.
So war es schon immer gewesen.
Er war einfach viel zu groß.
Und mein Gehör ein bisschen zu gut, dachte er wenig später, als er sich der plötzlichen Stille vor der geschlossenen Lagerraumtür bewusst wurde.
Er legte den Kopf ein wenig schief und lauschte.
Sein Instinkt hatte ihn nicht getäuscht.
Die Ausbrüche männlichen Gelächters im Großen Saal, die zotigen Lieder und das gelegentliche Bellen der Burghunde, ja sogar das vereinzelte, hellere weibliche Gekicher, das er gedämpft gehört hatte, war verstummt. Totenstille herrschte jetzt im Großen Saal, eine eigenartige Lautlosigkeit, die jegliches Geräusch erstickte.
Eine unheimliche Stille, die nichts Gutes zu verheißen schien und etwas Unheildrohendes hatte - wenn es nach den feinen Härchen an seinem Nacken ging, die sich ihm sträubten. Oder wie es ihm kalt über den Rücken lief.
Neugierig geworden, legte Jamie Tunika und Nadel aus der Hand und richtete sich auf. Bevor er jedoch den kleinen Vorratsraum durchqueren konnte, wurde die Tür geöffnet, und sein Lehnsherr Sir Kenneth MacKenzie trat ein. Er war in Begleitung von Sir Lachlan, dem Garnisonskommandanten von Cuidrach, und eines ganz und gar mit Reisestaub bedeckten Mannes, den Jamie noch nie gesehen hatte.
Der durchnässte Umhang, den der Fremde um die Schultern trug, und sein vom Wind zerzaustes Haar zeugten von einem anstrengenden Ritt. Aber es war mehr als das und die verschmutzten Stiefel und müden Augen des Mannes, was Jamies Mund vor Aufregung trocken werden ließ.
Es war der Gesichtsausdruck des Mannes.
Die offenkundige Anspannung und das Mitgefühl, das er ausstrahlte und das den kleinen Vorratsraum zu erfüllen schien, bis Jamie daran zu ersticken glaubte.
Besonders, als er die gleiche müde Traurigkeit auch in Sir Kenneth' und Sir Lachlans Augen sah.
Jamie richtete sich auf. »Was ist passiert?«, fragte er, während er von einem Mann zum anderen sah. »Sagt es mir geradeheraus, denn ich kann sehen, dass etwas Schlimmes geschehen ist.«
»Aye, mein Junge, so ist es, fürchte ich. Ich wünschte, ich könnte dir jetzt widersprechen, aber . . .« Kenneth sah den Fremden an und räusperte sich. »Weißt du, Jamie, dieser Mann kommt aus Carnach nördlich von Kintail. Alan Mor Matheson aus Fairmaiden Castle hat ihn hergeschickt. Er bringt schlechte Nachrichten. Dein Vater . . .« »O Gott!« Jamie starrte die drei Männer an. »Wollt Ihr mir sagen, dass er gestorben ist?«
Übersetzung: Ulrike Moreno
© 2010 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Zum Teufel mit deinem Gejammere!« Munro Macpherson ballte die Hände zu Fäusten und starrte die Hebamme wütend an. Um nicht die wie tot daliegende Gestalt auf seinem Bett ansehen zu müssen, richtete er seine ganze Wut gegen die mit blutverschmierten Händen vor ihm stehende alte Frau. »Und sag mir nicht, dass sie stirbt! Das will ich nicht hören!«
Er trat zwei Schritte vor, und dann noch einen, als Morag, die Hebamme, ihn kummervoll ansah. Es war der gleiche Blick, mit dem sie ihn schon einige Male angeschaut hatte, seit er in das Gebärzimmer gestürmt war.
Ein Blick, der beredter war als Worte und der Munro Dinge sagte, die er nicht akzeptieren wollte.
Ein kalter Schauder lief ihm über den Rücken, und er funkelte sie böse an, als könnte er so das Mitgefühl von ihrem runzligen, mit Altersflecken übersäten Gesicht vertreiben. »Du bist es und keine andere, die heute Nacht vor ihren Schöpfer treten wird, wenn du nicht dafür sorgst, dass meine Frau am Leben bleibt!«
»Es ist Gottes Wille, Sir.« Morag seufzte und bekreuzigte sich.
»Dann bete doch zu den alten Göttern!«, schrie Munro mit schmerzverzerrtem Mund. »Jeder in diesen Bergen weiß doch, wie vertraut du mit ihnen bist!« Die alte Frau presste die Lippen zusammen und träufelte noch etwas Kräuteröl auf ihre Hände. »Ihr habt mit eigenen Augen das Stück kaltes Eisen gesehen, das ich in ihr Bett gelegt habe. Und ich habe Euch gesagt, dass das Wasser, mit dem meine Nichte den Schweiß von der Stirn Eurer Gemahlin abtupft, aus dem Brunnen der heiligen Brigida stammt.«
»Dann versuch es mit Hexerei!« Munro versagte nahezu die Stimme. »Tu, was immer nötig ist!«
Aus schmalen Augen schaute er grimmig auf Morags verängstigt wirkende Nichte, die ein tropfnasses Tuch in der Hand hielt. Heiße Wut stieg in ihm auf, weil eine so unscheinbare Maus von Frau leben und atmen durfte, während seine wunderschöne, liebreizende Gemahlin, die gestern Abend noch so voller Leben gewesen war, jetzt sterben sollte.
Verzehrt vom Fieber und nicht mehr Herrin ihrer Sinne.
Unfähig, es noch länger zu ertragen, wandte sich Munro abrupt von den beiden Frauen und dem schmerzgepeinigten schattengleichen Wesen ab, das sein Leben gewesen war. Alles, was von ihr geblieben war, waren ihr Stöhnen, ihr unverständliches Gestammel und die wirren Strähnen ihres einst so wundervollen langen Haars auf den befleckten Laken. Ihre prachtvollen, bronzefarbenen Locken, die matt und stumpf geworden waren und allen Glanz verloren hatten. So wie auch alle Farbe aus ihrer einst so makellosen, rosig angehauchten Haut gewichen war, auf die sie immer so stolz gewesen war.
Ausgezehrt und erschöpft warf sie sich nicht einmal mehr hin und her, wenn die Wehen sie übermannten. Sie lag nur da, mit hohlen Augen und eingefallenem Gesicht, dessen wächserne Blässe vom Nahen des Todes kündete.
Von ihrem Ende und Munros Untergang.
Da ihm nur allzu bewusst war, dass er nichts, aber auch gar nichts dagegen tun konnte, trat er an eines der Fenster und starrte düster in die graue Herbstnacht. Heiße Tränen liefen ihm über die Wangen, aber er versuchte, sie zu unterdrücken, als er die kühle, feuchte Nachtluft einatmete.
So angestrengt er jedoch in die regennasse Finsternis hinausstarrte oder auch das noch ferne, heftige Donnergrollen begrüßte, das Gefühl der Machtlosigkeit blieb. Klein und hilflos fühlte er sich, als wäre er nicht mehr der große, kraftvolle Mann, der furchtlos durch die Berge streifte, sondern ein zitternder Jammerlappen, der sich auf die Knie geworfen hätte, wenn Betteln und Flehen jetzt noch hätten helfen können.
Stattdessen aber gefror ihm das Blut in den Adern, und sein Körper spannte sich so sehr an, dass Munro sich wunderte, weshalb er nicht zersprang und in tausend Stücke auseinanderbrach, die sich nie wieder zusammensetzen lassen würden.
Mit zusammengepressten Lippen hielt er den Blick auf die dunklen Berge gerichtet und umklammerte mit beiden Händen seinen Schwertgurt. »Hör zu, Morag«, sagte er dann im unterwürfigsten Ton, den ein Mann wie er zustande brachte, »trotz meiner Launen und Wutanfälle liebe ich meine Frau. Ich könnte es nicht ertragen, sie zu verlieren.«
Nach diesen Worten drehte er sich um, und sein Magen verkrampfte sich, als er sah, wie die alte Frau unter die blutbefleckten Röcke seiner Frau schaute und ihr Gesichtsausdruck noch düsterer wurde.
Munro schluckte und umklammerte seinen Gürtel fester. »Verlang von mir, was du willst, um sie zu retten. Was immer es auch sein mag. Ich würde mit Freuden für immer in deiner Schuld stehen, Morag.«
Aber die Hebamme schüttelte nur den Kopf. »Das Kind ist zu groß«, sagte sie, während sie die Beine seiner Frau nochweiter spreizte. »Und sie hat schon zu viel Blut verloren.«
»Und was bedeutet das?« Munros unbeherrschtes Naturellerwachte wieder, und vor Wut traten ihm fast die Augen aus dem Kopf. »Sag die Wahrheit, Frau, wenn du nicht willst, dass ich dich und deine greinende Nichte aus dem Fenster werfe!«
»Eure Frau Gemahlin wird sterben, Sir«, antwortete Morag ruhig, »aber es ist möglich, dass das Kleine überlebt. Sein Kopf kommt schon. Und es hat auch kräftige Schultern. Seid dankbar . . .«
»Dankbar?« Wutentbrannt griff Munro nach den blutdurchtränkten Röcken seiner Frau und riss sie gerade noch rechtzeitig hoch, um einen kräftigen kleinen Jungen mit kupferfarbenem Haar zwischen ihren leblosen Schenkeln hervorkommen zu sehen.
»Dankbar für einen zehnten Sohn?«, brüllte er mit einem verächtlichen Blick auf das schreiende Kind. »Für das Kind, das meine Iona umgebracht hat?«
»Er ist Euer Sohn, Mylord.« Morag drückte das Kind an ihre Brust und spreizte ihre knotigen Finger auf seinem nass glänzenden Rücken. »Und ein feiner, strammer Junge noch dazu. Er wird Euch helfen, zu vergessen. Mit der Zeit . . .«
»Ich werde nie vergessen!«, schwor Munro und starrte an ihr vorbei auf die leeren, schon glasig werdenden Augen seiner Frau. »Und noch einen zusätzlichen Esser brauche ich nicht. Ich will diesen Jungen nicht! Neun gesunde Söhne sind genug für einen Mann.«
»Sir, bitte . . .« Die Hebamme reichte den Neugeborenen ihrer Nichte und eilte Munro nach, als der sich zum Gehen wandte. »Ihr müsst ihm wenigstens einen Namen geben.«
»Ich muss gar nichts!« Munro fuhr herum. Wenn Morag nicht so alt gewesen wäre, hätte er sie jetzt vermutlich geschlagen. »Aber wenn du unbedingt einen Namenwillst, dann nenn ihn Jamie - James von der Heide!«
Die Alte blinzelte verständnislos. »›Von der Heide‹?«
»Das war es, was ich sagte«, bestätigte Munro, schon halb aus Der Tür. »Denn dort wurde er gezeugt, was ich mein Leben lang Bereuen werde, und dorthin kann er von mir aus zurückkehren. Sobald er alt genug ist. Auf Baldreagan ist kein Platz für ihn.«
1. Kapitel
Fairmaiden Castle in der Nähe von Baldreagan,
Herbst 1347
Der zehnte Sohn?«
Bestürzt über diese unerwartete Neuigkeit, die ihr Vater soeben verkündet hatte, ging Aveline Matheson auf den Hohen Tisch zu. Der Blick ihrer verweint aussehenden Schwester, der ihr folgte und starke Schuldgefühle auslöste, war kaum weniger beunruhigend.
Aveline holte tief Luft und versuchte mit aller Kraft, das Gefühl zu ignorieren, dass ihre ganze Welt aus den Fugen zu geraten drohte.
»Ich erinnere mich zwar, dass es noch einen jüngeren Sohn gab, aber . . .« Sie verstummte, weil Sorchas tränenfeuchter Blick ihr das Weiterreden schwer machte.
Hinzu kam, dass nicht nur ihre älteste Schwester, sondern auch alle anderen Angehörigen des Clans im großen Saal anwesend waren. Und alle starrten sie an, drehten sich nach ihr um und beobachteten aus schmalen Augen ihre Reaktion, so, als ruhten die Zukunft und das Glück des Matheson-Clans auf ihren schmalen Schultern.
Und nach dem, was Aveline soeben erfahren hatte, war es wohl auch so.
Sie zitterte innerlich, als sie auf ihren Vater zuging und so selbstbewusst und hoch erhobenen Hauptes vor seinem Stuhl stehen blieb, wie ihre zierliche Statur es ihr erlaubte.
Sie gegen Alan Mor Mathesons grimmigen Gesichtsausdruck. Ein Ausdruck, den ihr vollbärtiger, in ein Plaid gehüllter Vater mit dem gleichen Geschick benutzte, mit dem er auch sein Schwert zu führen wusste.
Als Aveline diesen Blick jetzt auf sich gerichtet sah, schluckte sie und wollte nur noch aus dem Großen Saal flüchten. Doch sie riss sich zusammen und blieb stehen. »Es tut mir aufrichtig leid für Laird Macpherson«, begann sie, obwohl sie sich kaum vorstellen konnte, wie grauenvoll es sein musste, neun Söhne auf einmal zu verlieren. »Aber falls du die Absicht hast, auch weiterhin auf einer Verbindung unserer Häuser zu bestehen, sollte dann nicht Sorcha die Braut sein?«
Bei ihren Worten holte Sorcha hörbar Luft.
Alan Mors Gesicht verhärtete sich, und er schlug mit den Händen auf den Tisch. »Himmeldonnerwetter!«, brüllte er so wütend, dass seine älteste Tochter zusammenfuhr, als hätte er sie geschlagen.
Aber Alan schenkte ihr keinerlei Beachtung, als er sich vorbeugte und seinen durchdringenden Blick auf Aveline gerichtet hielt. »Deine Schwester hätte die Braut sein sollen, das ist wahr. Sie sollte Macphersons ältesten Sohn Neill heiraten, wie du sehr wohl weißt. Aber jetzt, da Neill und die anderen tot sind, bleibt nur noch der junge Jamie.«
Er schwieg einen Moment und ließ die letztenWorte in der vom Feuerrauch erfüllten Luft hängen. »Sorcha ist fünfzehn Jahre älter als der Junge, und deine anderen drei Schwestern sind bereits verheiratet. Ich werde das Bündnis mit Macpherson nicht aufs Spiel setzen, indem ich dem einzigen Sohn, der ihm noch geblieben ist, die Braut verweigere, die für ihn am passendsten ist.«
Aveline reckte das Kinn. »Wie immer dem auch sei . . .«
»Das spielt keine Rolle. Nicht jetzt.« Sorcha berührte Aveline am Arm und blinzelte, um ihre Tränen zurückzuhalten. »Es war Neill, der mein Mann hätte werden sollen. Ich . . . ich wäre ihm bis an das Ende dieser Welt, ja, selbst durch die Tore Der Hölle gefolgt«, sagte sie mit belegter Stimme. »Es ist nicht Mein Wunsch, mich mit dem jungen Jamie zu vermählen.«
»Aber es tut mir trotzdem furchtbar leid für dich.« Aveline atmete hörbar aus, als ihr die Brust vor Mitgefühl ganz eng wurde. »Und es zerreißt mir dasHerz für die Macphersons.«
»Ha!«, fuhr Alan Mor sie an. »Deine Schwester ist eine begehrenswerte junge Frau mit guten Aussichten. Es wird sich schon noch ein anderer Ehemann für sie finden«, erklärte er und sah sich um, als machte er sich auf Widerspruch gefasst. »Und was diesen querköpfigen alten Bock Macpherson angeht, so hat er bisher noch immer unglaubliches Glück gehabt. Sein Kummer wird schnell vergehen, wenn er an das schöne Stück Weideland denkt, das er für seine kostbaren Rindviecher bekommt. Ganz zu schweigen von den gut gefüllten Geldschatullen, die der Kerl mir abgeschwatzt hat.«
Ein kalter Schauder lief Aveline über den Rücken, aber sie sagte nichts.
Wenn ihr Vater Macpherson »gut gefüllte« Geldschatullen anzubieten hatte, konnte er sie eigentlich nur mit Steinen gefüllt haben - oder mit leeren Worten und Geprahle.
Sie war sich dessen völlig sicher, als sie Sorcha den Hohen Tisch verlassen und zumKamin hinübergehen sah. Ihre ältere Schwester hielt sich kerzengerade. Im Schein der Fackeln wirkte sie leichenblass, und ihre Augen waren matt und verquollen. Am schlimmsten aber war der versteinerte Ausdruck ihres Gesichts, der nur allzu deutlich sagte, was jederMatheson ohnehin schon wusste.
Neill Macpherson war ihre letzte Chance gewesen, einen Ehemann zu bekommen.
Denn es gab so gut wie keinen Heiratskandidaten für Sorcha, die so grobknochig und reizlos war, dass nicht einmal Alan Mors anpreisende Worte sie zu einer begehrten Partie machen konnten.
So manch einer schüttelte auch heute noch verwundert den Kopf über Neills Bereitschaft, Sorcha zur Frau zu nehmen.
Aber er hätte es des Bündnisses wegen getan.
Und jetzt war er tot.
Aveline erschauderte und krallte die Finger in ihre Röcke, als das Bild der letzten Momente der Brüder Macpherson vor ihrem inneren Auge auftauchte.
Nicht dass sie dabei gewesen wäre. Aber jeder, der in diesen Bergen geboren war, wusste um die Gefahren des berüchtigten Flusses Garbh Uisge, dessen reißende Wasser die tiefe, von Birken gesäumte Schlucht durchströmten, die die Ländereien der Mathesons und Macphersons trennte.
Diese gefahrvolle Schlucht mit dem wild herabstürzenden Wasserfall, dem mit Felsbrocken übersäten Fluss voll heimtückischer Stromschnellen und Nebeln aus aufbrandender Gischt war jetzt zu einer immerwährenden Mahnung vor dem Zorn der Elemente geworden. Zumindest dann, wenn diese sich das Zersplittern von feuchtem, altersmorschem Holz zunutze machten.
Den unerwarteten Zusammenbruch einer schmalen Brücke, die keiner der beiden Clans hatte erneuern wollen, weil beide Oberhäupter darauf beharrt hatten, dass der Nachbar die Brücke häufiger benutzte und demzufolge auch das Geld für ihre Instandsetzung bereitstellen müsste.
Ein dummer Starrsinn, der einen grausamen Zoll gefordert hatte und Aveline jetzt dazu veranlasste, der Arroganz und Großspurigkeit ihres Vaters den Rücken zuzukehren und zu einem Fenster hinüberzugehen.
»Du irrst dich«, sagte sie, als sie die Fensterläden weit öffnete. »Nichts auf dieser Welt wird Laird Macphersons Schmerz je lindern können.«
»Vielleicht nicht«, gab Alan Mor zurück. »Aber der Mann ist noch dümmer, als ich dachte, wenn er sich nicht wenigstens durch die Vorteile getröstet fühlt, die er durch dieses Bündnis zwischen uns haben wird.«
Zu Avelines Enttäuschung ging ein zustimmendes Gemurmel durch den großen Saal, gefolgt vom Klirrender Bierbecher, mit denen die Männer miteinander anstießen, lauten Beifallsrufen und Alan Mors eigenem selbstzufriedenem Grunzen.
Aveline biss die Zähne zusammen und starrte in die neblige, regnerische Nacht hinaus, auf die Umrisse der zerklüfteten, schwarzen Berge und das Glitzern ferner Sterne, die hier und da zwischen den grauen, windgepeitschten Wolken zu sehen waren.
»Gebe Gott, dass du recht behältst«, sagte sie schließlich. Sie war froh darüber, dass die erfrischend kalte Nachtluft ihr das Atmen sehr erleichterte. »Dennoch muss ich mich dagegen aussprechen, die Lage eines Mannes auszunutzen, der vollkommen gebrochen und am Ende ist.«
»›Ausnutzen‹?«, dröhnte Alan Mors tiefe Stimme durch den Saal. »Drück dich gefälligst etwas klarer aus, Mädchen - und komm von diesem Fenster weg!«
Aveline versteifte sich und hielt den Blick auf den silbrig glänzenden Fluss gerichtet, der sich nicht weit von Fairmaiden Castle zwischen den Bäumen dahinwand. Dieser uralte, gemächlich dahinfließende Fluss gab sich weitaus friedfertiger als der weiß schäumende Garbh Uisge, der so viele unschuldige Menschenleben gefordert hatte.
Und der sie und andere in diese unerwartete Lage gebracht hatte.
Ihre Schläfen begannen zu pochen, und schließlich wandte sie sich vom Fenster ab. Sorcha hatte sich in eine der dunkleren Ecken des Großen Saales zurückgezogen, wo ihr von Kummer und Tränen gezeichnetes Gesicht vor dem Licht der Pechfackeln geschützt war. Alle anderen Anwesenden hatten sich Aveline zugewandt, und das Gesicht ihres Vaters trug jetzt einen noch grimmigeren Ausdruck als zuvor.
Aveline straffte die Schultern und trat einen Schritt vor. »Nun?«, fragte Alan Mor mit einem Blick, der schier die Luft versengte. »Wirfst du mir etwa vor, ich würde versuchen, den alten Macpherson zu betrügen?«
»Nein, ich . . .« Aveline sprach nicht weiter, weil sie nicht lügen konnte. Schließlich waren die Gerissenheit und die Zungenfertigkeit ihres Vaters überall in den Highlands wohlbekannt.
Während sie langsam auf ihn zuging, suchte sie deshalb nach einem Weg, ihren Verdacht nicht zu offen auszusprechen. »Ich werfe dir gar nichts vor«, erklärte sie und hoffte, dass nur sie selbst den Spott in ihrer Stimme hörte. »Und ich versichere dir, dass ich nicht nur bereit bin zu heiraten, sondern zudem auch kaum den Tag erwarten kann, an dem ich einen Ehemann und einen eigenen Haushalt habe.«
»Warum machst du dann ein Gesicht, als hättest du in etwas Bitteres gebissen?«
»Weil ich nicht glaube, dass Munro Macpherson unsere Einmischung begrüßen wird . . .«
»Einmischung?« Alan Mor sprang so heftig auf, dass die Dokumente, die vor ihm auf dem Tisch lagen, durcheinanderflogen. »Ich versuche lediglich, dem alten Narren zu helfen! Hast du denn nicht gehört, was ich gesagt habe? Dass schon gemunkelt wird, er verließe nicht mal mehr sein Bett? Dass er Angst hätte, seine Privatgemächer zu verlassen, weil er glaubt, die Geister seiner Söhne seien nach Baldreagan zurückgekehrt, um ihn heimzusuchen?«
Alan Mors Nasenflügel bebten, als er Aveline mit einem aufgebrachten Blick bedachte. »Noch ist Munro nicht völlig übergeschnappt, aber er wird es bald sein, wenn ihn nicht jemand unter seine Fittiche nimmt. Er braucht Jamie.«
»Seit wann kümmert es dich, wie es Macpherson geht?«, erwiderte Aveline in herausforderndem Ton und stieg die Stufen zum Podium hinauf. »Ihr wart nie Freunde, du und Munro.«
»Aber Nachbarn.« Ihr Vater senkte den Blick und schien plötzlich ein reges Interesse für die farbige Kordel zu entwickeln, die ein aufgerolltes Pergament zusammenhielt. »Zu wissen, dass er nicht verrückt ist, ist ein geringeres Übel, als den Mistkerl zu verärgern.«
»Ich wette, dass du ihn sogar sehr verärgern wirst, wenn du auf deinen dummen Plan beharrst.« Aveline nahm ihrem Vater das Pergament aus der Hand und hielt es so, dass er es ihr nicht wegnehmen konnte. »Jeder weiß, dass Munro Macpherson nie ein gutes Wort für Jamie übrig hatte. Er hat immer nur gesagt, der Junge sei ein Dolchstoß zwischen seine Rippen.«
Alan Mor sog scharf den Atem ein, und seine Überraschung über ihre offenen Worte war beredt genug für Aveline.
Also wussten weder der alte Macpherson noch der junge Jamie, dass ihr Vater nach wie vor die Absicht hatte, an dem geplanten Bündnis zwischen den beiden Clans festzuhalten!
»Soviel ich hörte, ist Jamie zu einem feinen, stattlichen jungen Mann herangewachsen.« Alan Mor fasste sich schnell wieder und schob das Kinn vor. »Er hat im letzten Herbst sogar an König Davids Seite in Neville's Cross gekämpft, wo sein Mut und seine Tapferkeit ihm große Anerkennung eingebracht haben. Munro wird seine Meinung über den Jungen ändern, wenn er erst einmal zu Hause ist.«
»Trotzdem . . .« Aveline umklammerte das Pergament noch fester. »Ich glaube nicht, dass wir Jamie dieses Schreiben schicken sollten, bevor Laird Macpherson wieder wohlauf genug ist, um zu entscheiden, ob auch er noch immer eine Verbindung zwischen unseren Häusern wünscht.«
Zu ihrem Entsetzen lachte ihr Vater nur.
Und sein Schreiber, dessen Finger schwarz von Tinte waren, stimmte in sein Lachen ein.
»Zu spät!«, erklärte Alan Mor mit funkelnden Augen. »Dieses Pergament in deinen Händen ist nur ein Brief an deine Schwester in Inverness, in dem ich mich nach ihrer Gesundheit erkundige und für den Wein und die vielen Töpfe Heidekrauthonig bedanke, die uns ihr Mann geschickt hat.«
Aveline legte das Pergament auf den Tisch zurück. »Du meinst, du hast Jamie bereits geschrieben? Ohne Macpherson davon zu unterrichten?«
Ein selbstgefälliges Lächeln erschien auf dem Gesicht ihres Vaters. »Eines Tages wirst du mir dafür dankbar sein. Du und dieser Dummschwätzer Macpherson.«
»Und Jamie?«
»Ha!«, schnaubte Alan Mor. »Der am meisten von allen - wenn er dich erst einmal gesehen hat!«
Plötzlich strahlte er seine Tochter an, seine schlechte Laune schien völlig vergessen. »Welcher junge Bursche wäre nicht entzückt von so einer zarten Blüte?«
Aber Aveline war sich dessen nicht so sicher.
Unwillkürlich blickte sie auf ihren dicken Zopf herab, doch statt dessen wundervollen goldenen Glanz im Kerzenlicht zu registrieren, sah sie nur ihre winzigen Hände und Füße und ihre viel zu kleinen Brüste. Da sie in ihren eigenen Augen alles andere war als eine voll erblühte Frau mit üppigen Rundungen, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein Mann Gefallen an ihr finden könnte.
Oder an den abscheulichen Umständen, die sie und Jamie in ein Ehebett bringen würden.
Kein Mann ließ sich gerne übertölpeln.
Ob er nun ein lang vermisster Sohn war oder nicht.
Viele Meilen entfernt, hinter dunklen Bergen und kargem, von Farn und winterbrauner Heide überzogenem Moorland, erhob sich über den stillen Wassern des Loch Hourn Cuidrach Castle, die stolze Festung der MacKenzies, deren Türme und beeindruckender Wächter, der Bastardstein, sich dunkel gegen den frostklaren Himmel abhoben.
Die Nacht war eisig; Sterne glitzerten kalt am Himmel, und ein beißender Wind pfiff um die Fenster und rüttelte an den Läden. Alle, die sich in der Burg aufhielten, waren dankbar für das hell brennende Feuer im Kamin des Großen Saales. Diensteifrige junge Knappen reichten Tabletts mit Glühwein und dampfend heißen, frisch gebackenen Fleischpasteten herum. Auf einigen der ans Feuer herangezogenen Bänke drängten sich trinkende, miteinander scherzende Männer, deren tiefes Lachen zu den geschwärzten Deckenbalken aufstieg und deren derbe Scherze allen in den Ohren klangen.
Nur ein Bewohner von Cuidrach mied die Behaglichkeit und Wärme des Großen Saales in jener Nacht und suchte stattdessen die Ungestörtheit eines kleinen Lagerraumes auf, der von Fackellicht erhellt wurde und mit Weinfässern gefüllt war.
Unter halb lautem Fluchen, das derb genug war, um selbst den Teufel erschaudern zu lassen, schaute James von der Heide, der scherzhaft auch ›Jamie der Kleine‹ genannt wurde, auf den winzigen Blutstropfen an seinem Daumen.
Es war das fünfte Mal in weniger als einer Stunde, dass er sich in den Finger gestochen hatte.
Und bestimmt auch nicht das letzte Mal, vermutete er. Jedenfalls nicht, wenn er seine Aufgabe zu Ende bringen wollte. Seufzend leckte er das Blut von seinem Finger und rückte mit seinem Schemel noch näher an die am hellsten scheinende Wandfackel heran. Bei hellerem Licht würde es ihm vielleicht leichter fallen, die ausgelassenen Säume seiner neuen Leinentunika wieder umzunähen.
Sie war ein Geburtsgeschenk der Gemahlin seines Lehnsherren und die schönste Tunika, die Jamie je besessen hatte. Sie war aus feinstem Leinen, weicher als Rosenblüten und mit einem exquisiten nordischen Muster um den Halsausschnitt herum bestickt; allein sie anzusehen ließ ihn vor Freude erröten und sein Herz schneller schlagen, wenn er an die vielen Stunden dachte, die Lady Mariota mit der Herstellung dieses wundervollen Geschenks für ihn verbracht hatte. Ein Geschenk, das er unbedingt zu seiner Geburtstagsfeier heute Abend tragen wollte.
Und das würde er auch.
Wenn die Tunika doch nur nicht so eng an den Schultern und ihre Ärmel nicht zu kurz wären. Und seine verdammten Finger nicht so furchtbar ungeschickt.
Widerwillig nahm er die Nadel auf und machte sich wieder an die Arbeit. Denn im Grunde war das Problem gar nicht die Tunika, sondern er selbst.
So war es schon immer gewesen.
Er war einfach viel zu groß.
Und mein Gehör ein bisschen zu gut, dachte er wenig später, als er sich der plötzlichen Stille vor der geschlossenen Lagerraumtür bewusst wurde.
Er legte den Kopf ein wenig schief und lauschte.
Sein Instinkt hatte ihn nicht getäuscht.
Die Ausbrüche männlichen Gelächters im Großen Saal, die zotigen Lieder und das gelegentliche Bellen der Burghunde, ja sogar das vereinzelte, hellere weibliche Gekicher, das er gedämpft gehört hatte, war verstummt. Totenstille herrschte jetzt im Großen Saal, eine eigenartige Lautlosigkeit, die jegliches Geräusch erstickte.
Eine unheimliche Stille, die nichts Gutes zu verheißen schien und etwas Unheildrohendes hatte - wenn es nach den feinen Härchen an seinem Nacken ging, die sich ihm sträubten. Oder wie es ihm kalt über den Rücken lief.
Neugierig geworden, legte Jamie Tunika und Nadel aus der Hand und richtete sich auf. Bevor er jedoch den kleinen Vorratsraum durchqueren konnte, wurde die Tür geöffnet, und sein Lehnsherr Sir Kenneth MacKenzie trat ein. Er war in Begleitung von Sir Lachlan, dem Garnisonskommandanten von Cuidrach, und eines ganz und gar mit Reisestaub bedeckten Mannes, den Jamie noch nie gesehen hatte.
Der durchnässte Umhang, den der Fremde um die Schultern trug, und sein vom Wind zerzaustes Haar zeugten von einem anstrengenden Ritt. Aber es war mehr als das und die verschmutzten Stiefel und müden Augen des Mannes, was Jamies Mund vor Aufregung trocken werden ließ.
Es war der Gesichtsausdruck des Mannes.
Die offenkundige Anspannung und das Mitgefühl, das er ausstrahlte und das den kleinen Vorratsraum zu erfüllen schien, bis Jamie daran zu ersticken glaubte.
Besonders, als er die gleiche müde Traurigkeit auch in Sir Kenneth' und Sir Lachlans Augen sah.
Jamie richtete sich auf. »Was ist passiert?«, fragte er, während er von einem Mann zum anderen sah. »Sagt es mir geradeheraus, denn ich kann sehen, dass etwas Schlimmes geschehen ist.«
»Aye, mein Junge, so ist es, fürchte ich. Ich wünschte, ich könnte dir jetzt widersprechen, aber . . .« Kenneth sah den Fremden an und räusperte sich. »Weißt du, Jamie, dieser Mann kommt aus Carnach nördlich von Kintail. Alan Mor Matheson aus Fairmaiden Castle hat ihn hergeschickt. Er bringt schlechte Nachrichten. Dein Vater . . .« »O Gott!« Jamie starrte die drei Männer an. »Wollt Ihr mir sagen, dass er gestorben ist?«
Übersetzung: Ulrike Moreno
© 2010 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
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Bibliographische Angaben
- Autor: Sue-Ellen Welfonder
- 2013, 1, 400 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 386365580X
- ISBN-13: 9783863655808
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