Wo brennt's denn?
Von Großbrand in der U-Bahn bis zur Schlange im Klo. Die unglaublichsten Einsätze einer Feuerwehrfrau
Allein unter Männern - aus dem Leben einer Feuerwehrfrau
Als Manuela Wedel vor 10 Jahren bei der Berufsfeuerwehr anfing, musste sie sich so manch blöden Spruch anhören. Doch inzwischen macht ihr keiner mehr was vor. Ob Großbrand,...
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Produktinformationen zu „Wo brennt's denn? “
Allein unter Männern - aus dem Leben einer Feuerwehrfrau
Als Manuela Wedel vor 10 Jahren bei der Berufsfeuerwehr anfing, musste sie sich so manch blöden Spruch anhören. Doch inzwischen macht ihr keiner mehr was vor. Ob Großbrand, Schwerverletzte in Autowracks, Giftschlange im Klo, Frühgeburten, kleine Jungs, die mit dem Kopf im Kochtopf feststecken, oder große Jungs, die mit anderen Körperteilen woanders feststecken - die Feuerwehrfrau hat schon vieles gesehen und berichtet von ihren unglaublichsten Einsätzen: oft dramatisch, manchmal skurril, aber immer überraschend.
Klappentext zu „Wo brennt's denn? “
Allein unter Männern - aus dem Leben einer FeuerwehrfrauAls Manuela Wedel vor 10 Jahren bei der Berufsfeuerwehr anfing, musste sie sich so manch blöden Spruch anhören. Doch inzwischen macht ihr keiner mehr was vor. Ob Großbrand, Schwerverletzte in Autowracks, Giftschlange im Klo, Frühgeburten, kleine Jungs, die mit dem Kopf im Kochtopf feststecken, oder große Jungs, die mit anderen Körperteilen woanders feststecken - die Feuerwehrfrau hat schon vieles gesehen und berichtet von ihren unglaublichsten Einsätzen: oft dramatisch, manchmal skurril, aber immer überraschend.
Lese-Probe zu „Wo brennt's denn? “
Wo brennt's denn? von Manuela Wedel und Shirley Michaela Seul Prinzessin, Floristin, Feuerwehrfrau
Rote Autos mit Blaulicht. Laut. Sie kommen, wenn's brennt. So viel zu meiner frühkindlichen Faszination für die Feuerwehr. Die gab es schlichtweg nicht.
Jungs schwärmen für die Feuerwehr, Mädchen wollen lieber Prinzessin werden. Das überlegte ich mir auch gelegentlich. Ohne darüber nachzudenken, dass der Prinzessin eine palasteigene Feuerwehr zur Verfügung stünde. Astronautin hätte mir auch gefallen. Und Tierärztin sowieso.
Später kam alles ganz anders. Als ich im letzten Schuljahr nicht so genau wusste, was ich einmal werden wollte, meinte meine Mutter: »Floristin würde dir bestimmt gut gefallen. Du bist kreativ und bastelst gern.«
... mehr
Kreativität und Basteln ist auch bei der Feuerwehr wichtig. Es gibt keine Patentlösungen. Jede Situation ist anders. Man muss oft ausprobieren, improvisieren. Weiß vorher nie, was einen erwartet. Eine schwer verletzte Frau liegt im Keller. Die Treppe ist eingestürzt. Wie kommen wir runter, um sie nach oben zu bringen? Und wie kriegen wir den Kochtopf runter vom Kopf des kleinen Jungen, der diesen lustigen Hut nur mal ausprobieren wollte und nun schmerzhaft feststeckt? Auch der große Junge steckt fest, beziehungsweise ein gewisses seiner Körperteile. Was die Lust steigern sollte, führt zum Frust und schließlich zur Feuerwehr. Selbst als Geisterfänger wurden wir schon gerufen. »Da ächzt und stöhnt es aus der Mauer! Unheimlich! Gruselig!« Der Mann, der in den Kamin gefallen war, wäre einfach verschwunden gewesen. Für immer. Vom Kamin verschluckt und weg. Die Feuerwehr glaubte jedoch nicht an Geister und rettete ihn, wie so viele andere Menschen in Lebensgefahr. Im Einsatz lernt man: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Da macht eine junge Mutter, die ihr kleines Kind auf die Toilette setzen will, den Deckel auf, und es ringelt sich eine dicke, braungraue, meterlange Schlange im Klo. Wir retteten die Boa Constrictor zwar, konnten den Besitzer aber nicht ermitteln, der die gefährliche Würgeschlange in dem Hochhaus in die Kanalisation gespült hatte. Im Frühling fangen wir Bienen, im Sommer fischen wir nach übermütigen Nichtschwimmern, später trotzen wir Herbststürmen und retten zu groß gewachsene Eiszapfen von Dächern. Hin und wieder, aber seltener, als allgemein vermutet, haben wir mit Feuer zu tun, und zwar in allen Erscheinungsformen. Vom rauchenden Papierkorb bis zum Großbrand, vom versteckten Schwelbrand zum ausgedehnten Dachstuhlbrand, gefährlich anmutendem weißen Pulver auf dem Gehsteig, Gefahrguteinsatz und Gasgeruch bis Verwesungsgeruch. Nachbarn haben die alte Dame schon länger nicht mehr gesehen. Auf einmal riecht es komisch aus der Wohnung. Vielleicht sollte mal jemand nachschauen?
Viele Menschen können sich nicht mehr bemerkbar machen. Hier kommt es darauf an, dass andere für sie handeln, dass Mitbürger die Feuerwehr verständigen. Der Notruf landet in der Leitstelle, und dort bekommt der Anrufer die Anweisung: »Die Feuerwehr ist schon unterwegs. Stellen Sie sich auf die Straße und machen Sie sich bemerkbar, damit wir Sie schnell finden.«
Heute benötigt jeder Berufsfeuerwehrler zusätzlich eine 520 Stunden umfassende Ausbildung zum Rettungssanitäter. Manche meiner Kollegen haben zudem eine Ausbildung als Rettungsassistent, sie dauert zwei Jahre, und ich habe sie noch vor der Feuerwehr absolviert: Die Rettungsassistentin war nach der Floristin also bereits meine zweite Berufsausbildung ... doch dann wollte ich trotzdem noch mal was draufsatteln.
Der Entschluss fiel in einer stürmischen Herbstnacht im Jahr 2001. Wir hatten einen »Autounfall verarztet« und brachten den Verletzten ins Krankenhaus. Vorne der Fahrer, hinten der Notarzt und ich.
»Du musst weitermachen, Mädel«, sagte der Arzt zu mir. »In dir steckt berufich mehr als die Rettungsassistentin. Dich schockt nix. Du weißt dir zu helfen. Und du hast die richtige Einstellung zum Leben - und zum Sterben. Studier was. Oder bewirb dich beim Rettungshubschrauber!«
»Ich denk mal drüber nach«, sagte ich.
Den Floh mit der Feuerwehr setzte mir ein Kollege beim Roten Kreuz ins Ohr. »Bei der Feuerwehr würde es dir gefallen«, meinte Ralph.
»Du kommst vom Bauernhof, kannst hinlangen, brauchst keine Extrawurst.«
Mittlerweile wusste ich, dass hinter der Feuerwehr mehr steckt, als ich mir früher darunter vorgestellt habe: rote Autos mit Blaulicht drauf. Das allein reizte mich nämlich nicht, Blaulicht und Martinshorn hatten wir im Sanka ja auch. Bei vielen meiner Einsätze als Rettungsassistentin kam die Feuerwehr dazu. Vor allem Männer. Meistens jung, meistens nett, meistens sehr kompetent. Feuerwehrler ist ein Beruf zwischen Extremen. Die Feuerwehr rückt aus, wenn andere nicht mehr weiterwissen. Oder wenn gerade kein anderer da ist, der die Arbeit machen kann. Die Feuerwehr rettet Leben, ist aber auch oft mit dem Tod konfrontiert. Damit war ich als Rettungsassistentin ebenfalls vertraut.
So stand mein Entschluss fest, und ich bin dabei geblieben:
Seit zehn Jahren bin ich nun schon Berufsfeuerwehrfrau. Um so weit zu kommen, musste ich ich jedoch 2003 erst mal einen anspruchsvollen Einstellungstest bestehen, bei dem von 259 zur Prüfung zugelassenen Bewerbern nur 30 vorerst auf Probe übernommen wurden. Mein erster Titel lautete Berufsfeuerwehranwärterin, danach wurde ich zur Brandmeisterin und Oberbrandmeisterin. Was ich noch nicht als Endstation betrachtete. Derzeit bin ich als Brandinspektorin tätig. Somit kann ich Ihnen einen guten Einblick in verschiedene Bereiche der Feuerwehr geben. Als Brandinspektorin sitze ich seit 2011 bei Einsätzen mit dem HLF als Gruppenführerin auf dem Beifahrersitz, der Position der Verantwortlichen, die ihre Mannschaft einteilt.
Meinen Entschluss, ein für alle mal auf die Prinzessin zu verzichten, habe ich nie bereut. Feuerwehrfrau ist ein spannender und abwechslungsreicher Beruf. Ich weiß nie, was ein Tag bringen wird. Alles oder nichts - und das 24 Stunden am Stück.
Feuerwehr bedeutet Schichtdienst. Bei uns in München an der Feuerwache 1 sieht er folgendermaßen aus:
24 Stunden Dienst
24 Stunden frei
24 Stunden Dienst
24 Stunden frei
24 Sunden Dienst
4 Tage frei
Und dann beginnt das Spiel von vorne. Egal, ob man Geburtstag hat, ob gerade Weihnachten ist oder Ostern. Dienst ist Dienst. Der Vorteil: Man hat viel frei, wenn andere arbeiten, und man weiß lange im Voraus, wann man frei hat. Anderswo gibt es Schichtdienste, da werden die Pläne monatlich bekannt gegeben. Ich weiß heute schon, ob ich an Silvester im nächsten Jahr frei habe. 24 Stunden Dienst entsprechen einem Wachtag. Er beginnt um 7 Uhr und endet um 7 Uhr. Die vier freien Tage am Stück werden Freischicht genannt - ein verlängertes Wochenende im Rhythmus von neun Tagen. Dieses verlängerte Wochenende fällt nicht immer auf einen Samstag und Sonntag. Der große Nachteil im Schichtdienst: Man muss arbeiten, wenn andere frei haben, und auf manche Geselligkeit verzichten.
Oft werde ich gefragt, wie ich einen Wachtag durchhalte. Aber Dienst heißt ja nicht, dass Alarm auf Alarm folgt. Wenn man ganz großes Glück oder Pech hat und auf einer Wache am Stadtrand Dienst tut, kann es schon mal vorkommen, dass es in 24 Stunden keinen einzigen Einsatz gibt. Glück ist so was für erfahrene Feuerwehrler, die schon lange dabei sind und alles schon mal erlebt haben; Pech ist es für junge Kollegen, die darauf brennen, vollen Einsatz zu bringen.
Auf der Hauptfeuerwache, meinem Arbeitsplatz in der Münchner Innenstadt, gibt es kaum einen Wachtag ohne Einsatz. Schon wenn es aufällig wenige sind, fühlt es sich nicht gut an. Im Dienst bin ich immer ein bisschen alarmiert. Auch nachts. Wir haben zwar Ruheräume mit Betten, doch so richtig entspannt schläft während der Bereitschaft niemand. Man ist stets mit einem Ohr und einem Auge wach. Im Gegensatz zu meinen Kollegen, die sich ihre Ruheräume teilen - früher gab es große Schlafsäle mit bis zu 14 Betten -, genieße ich den Luxus eines Einzelzimmers. Selten ist ein zweites der vier Betten im Damen-Ruheraum belegt. Und selten vergeht eine Nacht ohne ...
Alarm!
Irgendjemand hat den Notruf gewählt. Vielleicht gleich die 112 für Feuer und Rettungsdienst oder die 110 für Polizei, und die Leitstelle der Polizei hat den Einsatz an die Feuerwehr weitergegeben. Nicht auf jeden Anruf folgt ein Einsatz. Pro Jahr erreichen die integrierte Leitstelle - Feuerwehr und Rettungsdienst - allein in München rund eine Million Anrufe. Das sind pro Tag durchschnittlich 2500. Die Aufgaben der Feuerwehr sind vielschichtig, besonders in München, weil wir hier auch den Notarztdienst stellen. Die bekannten Hilfsdienste wie Johanniter, Rotes Kreuz, ASB, Malteser und die privaten Rettungsdienste fahren in München die Notfallrettung, das sind Einsätze ohne Notarzt. Der Notarzt kommt in München stets von einer Klinik und im Feuerwehrauto, mit einem Fahrer von der Feuerwehr. Auch den Kindernotarzt und Neugeborenennotarzt stellt in München die Feuerwehr.
Es brennt nicht immer, wenn die Feuerwehr ausrückt, aber immer ist es brandeilig, zumindest für die Beteiligten, die den Notruf gewählt haben. Sobald die Leitstelle einen Einsatz an die Feuerwehr disponiert, ertönt bei uns der Alarm. Licht-Gong-Straße lautet die Reihenfolge: Zuerst geht im ganzen Gebäude das Licht an. Gleich darauf folgt der Alarmgong mit der Durchsage, zum Beispiel: »Lindwurmstraße 14, Feuerwache 1, der Inspektionsdienst, der Zug, Feuerwache 3 der Halbzug, Feuerwache 4 das zweite HLF, Zimmerbrand, Personen eingeschlossen.«
Das bedeutet, dass sich viele Blaulichter auf den Weg machen, nämlich: der Führungsdienst der Feuerwache 1 in einem Auto, der komplette Löschzug der Feuerwache 1 mit 19 Feuerwehrlern und fünf Fahrzeugen und die halbe Besetzung der Feuerwache 3, ergänzt durch die Feuerwache 4 als zweiter Löschzug.
Jeder Feuerwehrler besetzt innerhalb einer Schicht eine bestimmte Funktion. Können muss er auf seiner jeweiligen Kompetenzstufe alles. Wer auf dem Löschzug sitzt, kann zum Angrifstrupp oder zum Unterstützungstrupp gehören, ist Rettungssanitäter, Maschinist - so nennen wir unsere Fahrer, die auch die Feuerlöschkreiselpumpe, die Stromerzeugung und die Aggregate bedienen -, Gruppenführer, Führungsassistent oder Zugführer. Während man die Freizeit schon lange im Voraus planen kann, durch den regelmäßigen Rhythmus im Schichtdienst, ändert sich die jeweilige Aufgabe von Wachtag zu Wachtag. Welche Position ich in der nächsten Schicht besetzen werde, erfahre ich normalerweise am Wachtag vorher, aber es kann auch kurzfristige Änderungen geben. Es ist ein komisches Gefühl, wenn ich mich darauf eingestellt habe, dass ich morgen das erste HLF fahre, und dann werde ich doch im Notarztwagen eingesetzt.
Die Eier legende Wollmilchsau
Wer Feuerwehr sagt, denkt oft an große rote Autos und hat damit meistens ein HLF vor Augen. Das HLF hört sich gesprochen »Ha-elf« an und steht für »Hilfeleistungslöschfahrzeug«. Unter diesem Wortungetüm verbirgt sich die Eier legende Wollmilchsau unter den Feuerwehrautos. An Bord befindet sich das passende Werkzeug für jeden Einsatz, ob mit oder ohne Personenschaden. Daneben führen wir 1600 Liter Wasser mit, 200 Liter Schaummittel, sehr viel Schlauch, und wir können eigenen Strom erzeugen. Auch Verkehrssicherungsmaterial, eine Kettensäge, den hydraulischen Rettungssatz sowie Rettungsschere und Spreizer haben wir dabei, außerdem Atemschutzgeräte und eine umfangreiche medizinische Versorgung vom Defibrillator, mit dem wir reanimieren, bis hin zum Verbandsmaterial. So sind wir für den Ersteinsatz perfekt gerüstet. Wenn wir darüber hinaus spezielles Gerät brauchen, fordern wir das an.
Das HLF ist unser Herzstück. Auf der Hauptfeuerwache haben wir zwei solcher Fahrzeuge im Einsatz. Sie sind Teil des Löschzuges, der in München aus fünf Fahrzeugen besteht. Angeführt wird der Zug vom Einsatzleitfahrzeug, dem ELW. Wie bei einer richtigen Eisenbahn ist dort der Zugführer zu finden. Dann folgen die beiden HLF sowie die Drehleiter, der der Platz in der Mitte gebührt. Das Schlusslicht im Zug bildet der Rettungswagen.
Die Drehleiter ist neben dem HLF unser zweites Herzstück im Löschzug. Der Feuerwehrfachbegrif lautet Hubrettungsfahrzeug und verrät, dass ihr die Hauptaufgabe der Menschenrettung aus Höhen und Tiefen zugedacht ist. Die Drehleiter ist auf 30 Meter ausfahrbar, an ihrem Ende befindet sich ein Korb, der für drei Personen à 90 Kilogramm ausgelegt ist. Mit der Leiter können wir von oben löschen, jemanden aus dem Fenster retten, auch mit einer Krankentrage. Parkplätze und Gehsteigbreiten werden so geplant, dass die Drehleiter der Feuerwehr problemlos manövriert werden kann. Einige Menschen beschweren sich in Deutschland über zu viele Vorschriften. Wer einmal dringend die Feuerwehr braucht, wird froh über einige sein. Auch Brandschutztüren und Brandmeldeanlagen retten Leben. Solche Paragrafen sind keine Schikanen, sondern für den Notfall optimal umgesetzte Erfahrungswerte. Aber wer denkt beim Parken auf dem Gehsteig schon daran, dass er damit die Rettung eines in seiner Wohnung eingeschlossenen Menschen verzögern oder gar verhindern könnte? Niemand - sonst würde es nicht so viele Gehsteigparker geben! Natürlich räumt die Polizei im Auftrag der Feuerwehr eine solche Blockade oft aus dem Weg. Aber bei einem Feuer zählt jede Sekunde, und gedankenloses Parken kann Menschenleben kosten.
Manchmal können die Menschen allerdings nichts für Blockaden - auch Schnee behindert die Arbeit der Feuerwehr. Doch er wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Jetzt starten wir zuerst einmal in den Frühling. Auf den folgenden Seiten begleiten Sie mich bei vier Schichten in verschiedenen Funktionen. Weil jede Jahreszeit andere typische Einsätze mit sich bringt, werden wir je eine Schicht in einer der vier Jahreszeiten fahren. Helm auf und los geht's!
Ein Wachtag im April
6:43 Uhr. Ich fahre durch die schmale Toreinfahrt der Hauptfeuerwache München auf den Parkplatz. Diese Wache gibt es seit über hundert Jahren. Noch viel früher stand an dieser Stelle das Haus der gemeinen Dochterlein - das städtische Freudenhaus. Hier sorgte ein sogenannter Frauenmeister oder Frauenwirt für Ordnung. Er war »kein selbsternannter Zuhälter, sondern ein öfentlich Bediensteter, der einen Diensteid ablegen und sich verpfichten musste, die Dirnen und das Haus ordentlich zu versorgen, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten und der Stadt einen Zins abzugeben, seit 1450 60 Pfennig jede Woche. Er selbst bekam von jeder Dirne pro Kunde 2 Pfennig, musste dafür aber Wohnung und Verpfegung stellen. Außerdem musste er sich um standesgemäße Kleidung und Gesundheit der Prostituierten kümmern.« (München. Die Geschichte der Stadt, Süddeutsche Zeitung Edition, München 2008) Als ich in diesem Buch über die Stadtgeschichte Münchens von der Vergangenheit meines Arbeitsplatzes las, musste ich schmunzeln. Ein bisschen etwas von jener Zucht und Ordnung ist bis heute geblieben. Bei der Berufsfeuerwehr geht es sehr geregelt zu. Wir sind Beamte, und für alles gibt es Vorschriften - ob das den Turnus der Überprüfung der Löschgeräte, der Leitern, des technischen Gerätes wie Stromerzeuger oder Rettungsschere, die medizinische Ausrüstung oder die Mülltrennung betrifft. Davon abgesehen, ist es natürlich sehr atmosphärisch, in diesem alten Gemäuer Dienst zu tun. In unserer Fahrzeughalle standen seinerzeit Kutschen und Pferde. Wer bei uns heute Fahrzeugmeister und Maschinist heißt, war damals Wagner, Kutscher und Hufschmied. Meine Vorgänger zeigten sich überaus erfindungsreich. So entwickelten sie Schnelleinspannvorrichtungen, mit deren Hilfe sie in zwei, drei Minuten mit ihren Pferdekutschen ausrücken konnten. Das ist eine ziemlich gute Zeit, meine ich. Mir gefällt es, in einem so historischen Gebäude Dienst zu tun, auch wenn es recht verwinkelt und zum Teil unpraktisch ist. Dafür liegt es mitten drin, im Herzen der Stadt.
Während ich mein Auto parke, winke ich mehreren Kollegen zu, die ihre Schicht hinter sich haben und nun nach Hause fahren. Um 7 Uhr ist bei uns auf der Wache Ablösung. Die Luft ist frisch, es verspricht ein sonniger Tag zu werden. Seit ein paar Wochen schon begrüßt mich Vogelgezwitscher im großen Innenhof. Bald werden die Jungen schlüpfen, hoffentlich fallen sie nicht aus dem Nest. Auch die Jungvogelrettung gehört zu unseren Aufgaben, gelegentlich fangen wir Enten, Schwäne oder auch Tauben ein. Einmal retteten wir sogar einen jungen Turmfalken, der beim ersten Flugversuch die Notbremse gezogen hatte und auf dem Straßenpfaster gelandet war. Von dort kam er nicht mehr weg. Wir gaben ihm eine Starthilfe, ohne Kabel. Beherztes Zugreifen und In-die-Luft- Werfen genügte.
»Gottseidank bist da, war a Scheißnacht!« Huber 43, den ich in der Fahrzeughalle trefe, sieht nicht gut aus. Huber 43 ist zwar erst 32, doch da er bei der Münchner Feuerwehr der 43. Huber ist, wird er so genannt.
»Ich seh's«, sage ich.
»Freitagnacht, Partygänger, Discovolk, drei Feuermelder, First Responder, und heute früh hatten wir eine Person unter.«
»Oh je!« Person unter mag keiner bei der Feuerwehr - jemanden retten, der unter einen Zug geraten ist. Außer er hat es noch nie gesehen. Aber eigentlich ist nach dem ersten Mal jeder geheilt von der Vorstellung, das sei nicht so schlimm. Ich kann jedenfalls verstehen, dass Huber 43 sich auf sein Dienstende freut.
»Gute Nacht«, wünsche ich ihm.
»Bis morgen«, nickt er. Am nächsten Morgen werden wir den gleichen Auftritt mit vertauschten Rollen spielen. Er wird mich frisch erholt ablösen. Ich hofe mal, dass meine Schicht ruhiger verläuft, aber nicht zu ruhig. Ich bin nun schon seit sieben Jahren bei der Feuerwehr und obendrein Oberbrandmeisterin. Ich brauche kein Abenteuer mehr im Dienst. Und schon gar keinen Schienenunfall.
Wenn man vor die U-Bahn, S-Bahn oder einen Zug fällt, egal ob freiwillig oder nicht, ist die Wahrscheinlichkeit zu überleben sehr gering. Meistens sind die Verunfallten auf der Stelle tot, dazu oft in einem entsetzlichen Zustand: Selten am Stück, sind sie zumeist meterweit verteilt, beim ICE auch kilometerweit. Ich kenne keinen Kollegen, der so einen Einsatz gerne macht. Wenn wir am Unfallort eintrefen, sind die Fahrgäste in der Regel ausgestiegen, der Bahnsteig von der U-Bahn-Wache abgesperrt, die Polizei bereits anwesend. Für uns geht es erst einmal darum: Wo ist der Verunfallte? Lebt er noch? Wir erkundigen uns, ob der Strom abgeschaltet wurde, Eigenschutz ist die erste Maßnahme. Dann kriechen wir unter den Zug. Da ist nicht viel Platz. Es ist eng. Überall liegt Müll. Es ist dunkel. In der Schutzkleidung fällt das Kriechen schwer, es ist heiß unter dem Helm, in den Sicherheitsschuhen, Handschuhen und der dicken Jacke. Das Gesichtsfeld unter dem Helm ist eingeschränkt, das Visier beschlägt. Kollegen geben die Richtung an. Noch ein Stück vor ... Oft merken wir erst danach, dass da was war, dass wir bereits an ein paar menschlichen Teilen vorbeigekommen sind.
Copyright © 2013 by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH Printed in Germany 2013
Kreativität und Basteln ist auch bei der Feuerwehr wichtig. Es gibt keine Patentlösungen. Jede Situation ist anders. Man muss oft ausprobieren, improvisieren. Weiß vorher nie, was einen erwartet. Eine schwer verletzte Frau liegt im Keller. Die Treppe ist eingestürzt. Wie kommen wir runter, um sie nach oben zu bringen? Und wie kriegen wir den Kochtopf runter vom Kopf des kleinen Jungen, der diesen lustigen Hut nur mal ausprobieren wollte und nun schmerzhaft feststeckt? Auch der große Junge steckt fest, beziehungsweise ein gewisses seiner Körperteile. Was die Lust steigern sollte, führt zum Frust und schließlich zur Feuerwehr. Selbst als Geisterfänger wurden wir schon gerufen. »Da ächzt und stöhnt es aus der Mauer! Unheimlich! Gruselig!« Der Mann, der in den Kamin gefallen war, wäre einfach verschwunden gewesen. Für immer. Vom Kamin verschluckt und weg. Die Feuerwehr glaubte jedoch nicht an Geister und rettete ihn, wie so viele andere Menschen in Lebensgefahr. Im Einsatz lernt man: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Da macht eine junge Mutter, die ihr kleines Kind auf die Toilette setzen will, den Deckel auf, und es ringelt sich eine dicke, braungraue, meterlange Schlange im Klo. Wir retteten die Boa Constrictor zwar, konnten den Besitzer aber nicht ermitteln, der die gefährliche Würgeschlange in dem Hochhaus in die Kanalisation gespült hatte. Im Frühling fangen wir Bienen, im Sommer fischen wir nach übermütigen Nichtschwimmern, später trotzen wir Herbststürmen und retten zu groß gewachsene Eiszapfen von Dächern. Hin und wieder, aber seltener, als allgemein vermutet, haben wir mit Feuer zu tun, und zwar in allen Erscheinungsformen. Vom rauchenden Papierkorb bis zum Großbrand, vom versteckten Schwelbrand zum ausgedehnten Dachstuhlbrand, gefährlich anmutendem weißen Pulver auf dem Gehsteig, Gefahrguteinsatz und Gasgeruch bis Verwesungsgeruch. Nachbarn haben die alte Dame schon länger nicht mehr gesehen. Auf einmal riecht es komisch aus der Wohnung. Vielleicht sollte mal jemand nachschauen?
Viele Menschen können sich nicht mehr bemerkbar machen. Hier kommt es darauf an, dass andere für sie handeln, dass Mitbürger die Feuerwehr verständigen. Der Notruf landet in der Leitstelle, und dort bekommt der Anrufer die Anweisung: »Die Feuerwehr ist schon unterwegs. Stellen Sie sich auf die Straße und machen Sie sich bemerkbar, damit wir Sie schnell finden.«
Heute benötigt jeder Berufsfeuerwehrler zusätzlich eine 520 Stunden umfassende Ausbildung zum Rettungssanitäter. Manche meiner Kollegen haben zudem eine Ausbildung als Rettungsassistent, sie dauert zwei Jahre, und ich habe sie noch vor der Feuerwehr absolviert: Die Rettungsassistentin war nach der Floristin also bereits meine zweite Berufsausbildung ... doch dann wollte ich trotzdem noch mal was draufsatteln.
Der Entschluss fiel in einer stürmischen Herbstnacht im Jahr 2001. Wir hatten einen »Autounfall verarztet« und brachten den Verletzten ins Krankenhaus. Vorne der Fahrer, hinten der Notarzt und ich.
»Du musst weitermachen, Mädel«, sagte der Arzt zu mir. »In dir steckt berufich mehr als die Rettungsassistentin. Dich schockt nix. Du weißt dir zu helfen. Und du hast die richtige Einstellung zum Leben - und zum Sterben. Studier was. Oder bewirb dich beim Rettungshubschrauber!«
»Ich denk mal drüber nach«, sagte ich.
Den Floh mit der Feuerwehr setzte mir ein Kollege beim Roten Kreuz ins Ohr. »Bei der Feuerwehr würde es dir gefallen«, meinte Ralph.
»Du kommst vom Bauernhof, kannst hinlangen, brauchst keine Extrawurst.«
Mittlerweile wusste ich, dass hinter der Feuerwehr mehr steckt, als ich mir früher darunter vorgestellt habe: rote Autos mit Blaulicht drauf. Das allein reizte mich nämlich nicht, Blaulicht und Martinshorn hatten wir im Sanka ja auch. Bei vielen meiner Einsätze als Rettungsassistentin kam die Feuerwehr dazu. Vor allem Männer. Meistens jung, meistens nett, meistens sehr kompetent. Feuerwehrler ist ein Beruf zwischen Extremen. Die Feuerwehr rückt aus, wenn andere nicht mehr weiterwissen. Oder wenn gerade kein anderer da ist, der die Arbeit machen kann. Die Feuerwehr rettet Leben, ist aber auch oft mit dem Tod konfrontiert. Damit war ich als Rettungsassistentin ebenfalls vertraut.
So stand mein Entschluss fest, und ich bin dabei geblieben:
Seit zehn Jahren bin ich nun schon Berufsfeuerwehrfrau. Um so weit zu kommen, musste ich ich jedoch 2003 erst mal einen anspruchsvollen Einstellungstest bestehen, bei dem von 259 zur Prüfung zugelassenen Bewerbern nur 30 vorerst auf Probe übernommen wurden. Mein erster Titel lautete Berufsfeuerwehranwärterin, danach wurde ich zur Brandmeisterin und Oberbrandmeisterin. Was ich noch nicht als Endstation betrachtete. Derzeit bin ich als Brandinspektorin tätig. Somit kann ich Ihnen einen guten Einblick in verschiedene Bereiche der Feuerwehr geben. Als Brandinspektorin sitze ich seit 2011 bei Einsätzen mit dem HLF als Gruppenführerin auf dem Beifahrersitz, der Position der Verantwortlichen, die ihre Mannschaft einteilt.
Meinen Entschluss, ein für alle mal auf die Prinzessin zu verzichten, habe ich nie bereut. Feuerwehrfrau ist ein spannender und abwechslungsreicher Beruf. Ich weiß nie, was ein Tag bringen wird. Alles oder nichts - und das 24 Stunden am Stück.
Feuerwehr bedeutet Schichtdienst. Bei uns in München an der Feuerwache 1 sieht er folgendermaßen aus:
24 Stunden Dienst
24 Stunden frei
24 Stunden Dienst
24 Stunden frei
24 Sunden Dienst
4 Tage frei
Und dann beginnt das Spiel von vorne. Egal, ob man Geburtstag hat, ob gerade Weihnachten ist oder Ostern. Dienst ist Dienst. Der Vorteil: Man hat viel frei, wenn andere arbeiten, und man weiß lange im Voraus, wann man frei hat. Anderswo gibt es Schichtdienste, da werden die Pläne monatlich bekannt gegeben. Ich weiß heute schon, ob ich an Silvester im nächsten Jahr frei habe. 24 Stunden Dienst entsprechen einem Wachtag. Er beginnt um 7 Uhr und endet um 7 Uhr. Die vier freien Tage am Stück werden Freischicht genannt - ein verlängertes Wochenende im Rhythmus von neun Tagen. Dieses verlängerte Wochenende fällt nicht immer auf einen Samstag und Sonntag. Der große Nachteil im Schichtdienst: Man muss arbeiten, wenn andere frei haben, und auf manche Geselligkeit verzichten.
Oft werde ich gefragt, wie ich einen Wachtag durchhalte. Aber Dienst heißt ja nicht, dass Alarm auf Alarm folgt. Wenn man ganz großes Glück oder Pech hat und auf einer Wache am Stadtrand Dienst tut, kann es schon mal vorkommen, dass es in 24 Stunden keinen einzigen Einsatz gibt. Glück ist so was für erfahrene Feuerwehrler, die schon lange dabei sind und alles schon mal erlebt haben; Pech ist es für junge Kollegen, die darauf brennen, vollen Einsatz zu bringen.
Auf der Hauptfeuerwache, meinem Arbeitsplatz in der Münchner Innenstadt, gibt es kaum einen Wachtag ohne Einsatz. Schon wenn es aufällig wenige sind, fühlt es sich nicht gut an. Im Dienst bin ich immer ein bisschen alarmiert. Auch nachts. Wir haben zwar Ruheräume mit Betten, doch so richtig entspannt schläft während der Bereitschaft niemand. Man ist stets mit einem Ohr und einem Auge wach. Im Gegensatz zu meinen Kollegen, die sich ihre Ruheräume teilen - früher gab es große Schlafsäle mit bis zu 14 Betten -, genieße ich den Luxus eines Einzelzimmers. Selten ist ein zweites der vier Betten im Damen-Ruheraum belegt. Und selten vergeht eine Nacht ohne ...
Alarm!
Irgendjemand hat den Notruf gewählt. Vielleicht gleich die 112 für Feuer und Rettungsdienst oder die 110 für Polizei, und die Leitstelle der Polizei hat den Einsatz an die Feuerwehr weitergegeben. Nicht auf jeden Anruf folgt ein Einsatz. Pro Jahr erreichen die integrierte Leitstelle - Feuerwehr und Rettungsdienst - allein in München rund eine Million Anrufe. Das sind pro Tag durchschnittlich 2500. Die Aufgaben der Feuerwehr sind vielschichtig, besonders in München, weil wir hier auch den Notarztdienst stellen. Die bekannten Hilfsdienste wie Johanniter, Rotes Kreuz, ASB, Malteser und die privaten Rettungsdienste fahren in München die Notfallrettung, das sind Einsätze ohne Notarzt. Der Notarzt kommt in München stets von einer Klinik und im Feuerwehrauto, mit einem Fahrer von der Feuerwehr. Auch den Kindernotarzt und Neugeborenennotarzt stellt in München die Feuerwehr.
Es brennt nicht immer, wenn die Feuerwehr ausrückt, aber immer ist es brandeilig, zumindest für die Beteiligten, die den Notruf gewählt haben. Sobald die Leitstelle einen Einsatz an die Feuerwehr disponiert, ertönt bei uns der Alarm. Licht-Gong-Straße lautet die Reihenfolge: Zuerst geht im ganzen Gebäude das Licht an. Gleich darauf folgt der Alarmgong mit der Durchsage, zum Beispiel: »Lindwurmstraße 14, Feuerwache 1, der Inspektionsdienst, der Zug, Feuerwache 3 der Halbzug, Feuerwache 4 das zweite HLF, Zimmerbrand, Personen eingeschlossen.«
Das bedeutet, dass sich viele Blaulichter auf den Weg machen, nämlich: der Führungsdienst der Feuerwache 1 in einem Auto, der komplette Löschzug der Feuerwache 1 mit 19 Feuerwehrlern und fünf Fahrzeugen und die halbe Besetzung der Feuerwache 3, ergänzt durch die Feuerwache 4 als zweiter Löschzug.
Jeder Feuerwehrler besetzt innerhalb einer Schicht eine bestimmte Funktion. Können muss er auf seiner jeweiligen Kompetenzstufe alles. Wer auf dem Löschzug sitzt, kann zum Angrifstrupp oder zum Unterstützungstrupp gehören, ist Rettungssanitäter, Maschinist - so nennen wir unsere Fahrer, die auch die Feuerlöschkreiselpumpe, die Stromerzeugung und die Aggregate bedienen -, Gruppenführer, Führungsassistent oder Zugführer. Während man die Freizeit schon lange im Voraus planen kann, durch den regelmäßigen Rhythmus im Schichtdienst, ändert sich die jeweilige Aufgabe von Wachtag zu Wachtag. Welche Position ich in der nächsten Schicht besetzen werde, erfahre ich normalerweise am Wachtag vorher, aber es kann auch kurzfristige Änderungen geben. Es ist ein komisches Gefühl, wenn ich mich darauf eingestellt habe, dass ich morgen das erste HLF fahre, und dann werde ich doch im Notarztwagen eingesetzt.
Die Eier legende Wollmilchsau
Wer Feuerwehr sagt, denkt oft an große rote Autos und hat damit meistens ein HLF vor Augen. Das HLF hört sich gesprochen »Ha-elf« an und steht für »Hilfeleistungslöschfahrzeug«. Unter diesem Wortungetüm verbirgt sich die Eier legende Wollmilchsau unter den Feuerwehrautos. An Bord befindet sich das passende Werkzeug für jeden Einsatz, ob mit oder ohne Personenschaden. Daneben führen wir 1600 Liter Wasser mit, 200 Liter Schaummittel, sehr viel Schlauch, und wir können eigenen Strom erzeugen. Auch Verkehrssicherungsmaterial, eine Kettensäge, den hydraulischen Rettungssatz sowie Rettungsschere und Spreizer haben wir dabei, außerdem Atemschutzgeräte und eine umfangreiche medizinische Versorgung vom Defibrillator, mit dem wir reanimieren, bis hin zum Verbandsmaterial. So sind wir für den Ersteinsatz perfekt gerüstet. Wenn wir darüber hinaus spezielles Gerät brauchen, fordern wir das an.
Das HLF ist unser Herzstück. Auf der Hauptfeuerwache haben wir zwei solcher Fahrzeuge im Einsatz. Sie sind Teil des Löschzuges, der in München aus fünf Fahrzeugen besteht. Angeführt wird der Zug vom Einsatzleitfahrzeug, dem ELW. Wie bei einer richtigen Eisenbahn ist dort der Zugführer zu finden. Dann folgen die beiden HLF sowie die Drehleiter, der der Platz in der Mitte gebührt. Das Schlusslicht im Zug bildet der Rettungswagen.
Die Drehleiter ist neben dem HLF unser zweites Herzstück im Löschzug. Der Feuerwehrfachbegrif lautet Hubrettungsfahrzeug und verrät, dass ihr die Hauptaufgabe der Menschenrettung aus Höhen und Tiefen zugedacht ist. Die Drehleiter ist auf 30 Meter ausfahrbar, an ihrem Ende befindet sich ein Korb, der für drei Personen à 90 Kilogramm ausgelegt ist. Mit der Leiter können wir von oben löschen, jemanden aus dem Fenster retten, auch mit einer Krankentrage. Parkplätze und Gehsteigbreiten werden so geplant, dass die Drehleiter der Feuerwehr problemlos manövriert werden kann. Einige Menschen beschweren sich in Deutschland über zu viele Vorschriften. Wer einmal dringend die Feuerwehr braucht, wird froh über einige sein. Auch Brandschutztüren und Brandmeldeanlagen retten Leben. Solche Paragrafen sind keine Schikanen, sondern für den Notfall optimal umgesetzte Erfahrungswerte. Aber wer denkt beim Parken auf dem Gehsteig schon daran, dass er damit die Rettung eines in seiner Wohnung eingeschlossenen Menschen verzögern oder gar verhindern könnte? Niemand - sonst würde es nicht so viele Gehsteigparker geben! Natürlich räumt die Polizei im Auftrag der Feuerwehr eine solche Blockade oft aus dem Weg. Aber bei einem Feuer zählt jede Sekunde, und gedankenloses Parken kann Menschenleben kosten.
Manchmal können die Menschen allerdings nichts für Blockaden - auch Schnee behindert die Arbeit der Feuerwehr. Doch er wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Jetzt starten wir zuerst einmal in den Frühling. Auf den folgenden Seiten begleiten Sie mich bei vier Schichten in verschiedenen Funktionen. Weil jede Jahreszeit andere typische Einsätze mit sich bringt, werden wir je eine Schicht in einer der vier Jahreszeiten fahren. Helm auf und los geht's!
Ein Wachtag im April
6:43 Uhr. Ich fahre durch die schmale Toreinfahrt der Hauptfeuerwache München auf den Parkplatz. Diese Wache gibt es seit über hundert Jahren. Noch viel früher stand an dieser Stelle das Haus der gemeinen Dochterlein - das städtische Freudenhaus. Hier sorgte ein sogenannter Frauenmeister oder Frauenwirt für Ordnung. Er war »kein selbsternannter Zuhälter, sondern ein öfentlich Bediensteter, der einen Diensteid ablegen und sich verpfichten musste, die Dirnen und das Haus ordentlich zu versorgen, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten und der Stadt einen Zins abzugeben, seit 1450 60 Pfennig jede Woche. Er selbst bekam von jeder Dirne pro Kunde 2 Pfennig, musste dafür aber Wohnung und Verpfegung stellen. Außerdem musste er sich um standesgemäße Kleidung und Gesundheit der Prostituierten kümmern.« (München. Die Geschichte der Stadt, Süddeutsche Zeitung Edition, München 2008) Als ich in diesem Buch über die Stadtgeschichte Münchens von der Vergangenheit meines Arbeitsplatzes las, musste ich schmunzeln. Ein bisschen etwas von jener Zucht und Ordnung ist bis heute geblieben. Bei der Berufsfeuerwehr geht es sehr geregelt zu. Wir sind Beamte, und für alles gibt es Vorschriften - ob das den Turnus der Überprüfung der Löschgeräte, der Leitern, des technischen Gerätes wie Stromerzeuger oder Rettungsschere, die medizinische Ausrüstung oder die Mülltrennung betrifft. Davon abgesehen, ist es natürlich sehr atmosphärisch, in diesem alten Gemäuer Dienst zu tun. In unserer Fahrzeughalle standen seinerzeit Kutschen und Pferde. Wer bei uns heute Fahrzeugmeister und Maschinist heißt, war damals Wagner, Kutscher und Hufschmied. Meine Vorgänger zeigten sich überaus erfindungsreich. So entwickelten sie Schnelleinspannvorrichtungen, mit deren Hilfe sie in zwei, drei Minuten mit ihren Pferdekutschen ausrücken konnten. Das ist eine ziemlich gute Zeit, meine ich. Mir gefällt es, in einem so historischen Gebäude Dienst zu tun, auch wenn es recht verwinkelt und zum Teil unpraktisch ist. Dafür liegt es mitten drin, im Herzen der Stadt.
Während ich mein Auto parke, winke ich mehreren Kollegen zu, die ihre Schicht hinter sich haben und nun nach Hause fahren. Um 7 Uhr ist bei uns auf der Wache Ablösung. Die Luft ist frisch, es verspricht ein sonniger Tag zu werden. Seit ein paar Wochen schon begrüßt mich Vogelgezwitscher im großen Innenhof. Bald werden die Jungen schlüpfen, hoffentlich fallen sie nicht aus dem Nest. Auch die Jungvogelrettung gehört zu unseren Aufgaben, gelegentlich fangen wir Enten, Schwäne oder auch Tauben ein. Einmal retteten wir sogar einen jungen Turmfalken, der beim ersten Flugversuch die Notbremse gezogen hatte und auf dem Straßenpfaster gelandet war. Von dort kam er nicht mehr weg. Wir gaben ihm eine Starthilfe, ohne Kabel. Beherztes Zugreifen und In-die-Luft- Werfen genügte.
»Gottseidank bist da, war a Scheißnacht!« Huber 43, den ich in der Fahrzeughalle trefe, sieht nicht gut aus. Huber 43 ist zwar erst 32, doch da er bei der Münchner Feuerwehr der 43. Huber ist, wird er so genannt.
»Ich seh's«, sage ich.
»Freitagnacht, Partygänger, Discovolk, drei Feuermelder, First Responder, und heute früh hatten wir eine Person unter.«
»Oh je!« Person unter mag keiner bei der Feuerwehr - jemanden retten, der unter einen Zug geraten ist. Außer er hat es noch nie gesehen. Aber eigentlich ist nach dem ersten Mal jeder geheilt von der Vorstellung, das sei nicht so schlimm. Ich kann jedenfalls verstehen, dass Huber 43 sich auf sein Dienstende freut.
»Gute Nacht«, wünsche ich ihm.
»Bis morgen«, nickt er. Am nächsten Morgen werden wir den gleichen Auftritt mit vertauschten Rollen spielen. Er wird mich frisch erholt ablösen. Ich hofe mal, dass meine Schicht ruhiger verläuft, aber nicht zu ruhig. Ich bin nun schon seit sieben Jahren bei der Feuerwehr und obendrein Oberbrandmeisterin. Ich brauche kein Abenteuer mehr im Dienst. Und schon gar keinen Schienenunfall.
Wenn man vor die U-Bahn, S-Bahn oder einen Zug fällt, egal ob freiwillig oder nicht, ist die Wahrscheinlichkeit zu überleben sehr gering. Meistens sind die Verunfallten auf der Stelle tot, dazu oft in einem entsetzlichen Zustand: Selten am Stück, sind sie zumeist meterweit verteilt, beim ICE auch kilometerweit. Ich kenne keinen Kollegen, der so einen Einsatz gerne macht. Wenn wir am Unfallort eintrefen, sind die Fahrgäste in der Regel ausgestiegen, der Bahnsteig von der U-Bahn-Wache abgesperrt, die Polizei bereits anwesend. Für uns geht es erst einmal darum: Wo ist der Verunfallte? Lebt er noch? Wir erkundigen uns, ob der Strom abgeschaltet wurde, Eigenschutz ist die erste Maßnahme. Dann kriechen wir unter den Zug. Da ist nicht viel Platz. Es ist eng. Überall liegt Müll. Es ist dunkel. In der Schutzkleidung fällt das Kriechen schwer, es ist heiß unter dem Helm, in den Sicherheitsschuhen, Handschuhen und der dicken Jacke. Das Gesichtsfeld unter dem Helm ist eingeschränkt, das Visier beschlägt. Kollegen geben die Richtung an. Noch ein Stück vor ... Oft merken wir erst danach, dass da was war, dass wir bereits an ein paar menschlichen Teilen vorbeigekommen sind.
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Autoren-Porträt von Manuela Wedel
Wedel, ManuelaManuela Wedel, Jahrgang 1980, ist in der Oberpfalz geboren und aufgewachsen. Die gelernte Floristin kam 2003 über Umwege zur Berufsfeuerwehr und ist inzwischen auch Regionalvertreterin der Feuerwehrfrauen in Bayern.
Bibliographische Angaben
- Autor: Manuela Wedel
- 2013, 240 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453602676
- ISBN-13: 9783453602670
- Erscheinungsdatum: 13.05.2013
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